

Archer's Voice. Die geheime Sprache der Liebe (Pelion Lake 1) Archer's Voice. Die geheime Sprache der Liebe (Pelion Lake 1) - eBook-Ausgabe
Roman
— TikTok made me buy it: Der „New York Times“-Bestseller auf deutschArcher's Voice. Die geheime Sprache der Liebe (Pelion Lake 1) — Inhalt
Großes Gefühlskino, das mitten ins Herz trifft!
Die bewegende Slow Burn Romance der Bestsellerautorin über eine große Liebe, die tiefe Wunden heilt – perfekt für Fans von Colleen Hoover und Lucy Score
Ich wollte in der verschlafenen Kleinstadt Pelion in Maine in meinem Häuschen am See neu anfangen. Um alles zu vergessen, was ich hinter mir gelassen habe. Das Geräusch des Regens. Das Blut. Die Kälte der Waffe an meiner Haut. Seit sechs Monaten erinnert mich jeder Atemzug daran, dass ich überlebt habe – und mein Vater nicht. Nun bin ich fast wieder sicher. Aber als ich Archer Hale begegne, gerät meine Welt erneut ins Wanken. Und wird nie wieder dieselbe sein.
Bevor ich in Archers fremdes, stilles und isoliertes Universum eingedrungen bin, sprach er mit niemandem. Und doch sehe ich in seinen whiskey-farbenen Augen, dass etwas Unbegreifliches zwischen uns passiert. Da ist so viel mehr als nur seine Schönheit, seine Ausstrahlung oder die Art, wie seine Hände mit mir sprechen. Auf mir. Diese Stadt ist voller Geheimnisse und Betrug, und Archer ist der explosive Mittelpunkt von allem.
So viel Leidenschaft. Und so viel Schmerz. Nur in Archers Stille können wir vielleicht finden, was wir brauchen, um zu heilen … und zu leben.
Mit exklusivem erweitertem Epilog aus Archers Perspektive.
Leseprobe zu „Archer's Voice. Die geheime Sprache der Liebe (Pelion Lake 1)“
1
Archer – sieben Jahre alt, April
„Nimm meine Hand. Ich halte dich“, flüsterte ich. Der Hubschrauber flog los, und Duke packte entschlossen Snake Eyes’ Hand. Ich versuchte, möglichst keinen Lärm zu machen, als ich spielte – meine Mama hatte nämlich wieder mal ein blaues Auge, und ich wollte sie nicht wecken, während sie in ihrem Zimmer lag und schlief. Sie hatte mir gesagt, ich könne mir bei ihr im Bett ein paar Zeichentrickfilme im Fernsehen ansehen, doch nach einer Weile, als sie eingeschlafen war, war ich wieder ins Wohnzimmer gegangen, um mit meinen [...]
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Archer – sieben Jahre alt, April
„Nimm meine Hand. Ich halte dich“, flüsterte ich. Der Hubschrauber flog los, und Duke packte entschlossen Snake Eyes’ Hand. Ich versuchte, möglichst keinen Lärm zu machen, als ich spielte – meine Mama hatte nämlich wieder mal ein blaues Auge, und ich wollte sie nicht wecken, während sie in ihrem Zimmer lag und schlief. Sie hatte mir gesagt, ich könne mir bei ihr im Bett ein paar Zeichentrickfilme im Fernsehen ansehen, doch nach einer Weile, als sie eingeschlafen war, war ich wieder ins Wohnzimmer gegangen, um mit meinen G. I.-Joe-Spielsachen zu spielen.
Der Hubschrauber setzte zur Landung an, und meine Jungs sprangen von Bord und rannten schnell unter den Stuhl, weil er ein Teil der unterirdischen Festungsanlage war. Mit einem leisen Wupp, wupp, wupp hob ich den Hubschrauber wieder vom Boden auf. Ich wünschte mir, ich könnte mit den Fingern schnipsen und statt meines Spielzeugs stünde ein echter Helikopter vor der Tür. Dann könnte ich mit meiner Mama davonfliegen – von ihm, den blauen Augen und den Tränen, die sie beinahe jeden Tag vergoss. Es wäre mir total egal, wohin wir fliegen würden, Hauptsache, wir flögen weit, weit weg.
Ich krabbelte zurück in meinen Bunker, und ein paar Minuten später hörte ich, dass irgendwer die Haustür öffnete und wieder schloss und mit schweren Schritten durch den Flur direkt in meine Richtung kam. Ich lugte unter meinem Stuhl hervor, sah ein Paar blank polierter schwarzer Schuhe und den Saum einer Uniformhose.
Ich krabbelte so schnell wie möglich unter meinem Stuhl hervor, und noch während ich „Onkel Connnor!“ rief, ging dieser bereits in die Knie, und ich warf mich auf der Seite, wo er nicht die Waffe und die Taschenlampe trug, an seine Brust.
„Hallo, mein kleiner Mann.“ Er hielt mich fest. „Wie geht es meinem Helden?“
„Gut. Siehst du die unterirdische Festungsanlage, die ich gebaut habe?“ Ich richtete mich wieder auf und zeigte ihm voll Stolz das Handtuch-Decken-Fort unter unserem Tisch, das wirklich cool geworden war.
Lächelnd schaute Onkel Connor sich die Konstruktion an. „Na klar. Das hast du wirklich super hingekriegt. Sieht uneinnehmbar aus.“ Sein Lächeln wurde noch ein bisschen breiter, und er zwinkerte mir zu.
Ich grinste stolz. „Willst du mit mir spielen?“
Lächelnd fuhr er mir mit einer Hand durchs Haar. „Nicht jetzt, Kumpel. Später, ja? Wo ist deine Mama?“
Ich machte ein langes Gesicht. „Hm, sie fühlt sich nicht so gut. Sie hat sich hingelegt.“ Ich sah in das Gesicht mit den goldbraunen Augen, die mit einem Mal so dunkel und so Furcht einflößend aussahen wie der Himmel kurz vor einem fürchterlichen Sturm. Ich wich ein Stück vor ihm zurück, aber genauso plötzlich waren seine Augen wieder klar, und er zog mich an seine Brust.
„Schon gut, Archer, schon gut.“ Er stellte mich zurück auf meine eigenen Füße, hielt mich dann auf Armeslänge von sich und sah mir forschend ins Gesicht.
Ich lächelte ihn an, und er lächelte zurück. „Du lächelst genau wie deine Mama, weißt du das?“
Ich fing an zu strahlen, weil das Lächeln meiner Mama warm und wunderschön war und ich das Gefühl hatte, geliebt zu werden, sobald ich es sah.
„Aber ich sehe aus wie mein Daddy.“ Ich blickte vor mir auf den Boden, weil die Leute immer sagten, ich sei ein echter Hale.
Er sah mich an, als wollte er mir widersprechen, meinte aber nur: „Da hast du wirklich Glück, mein Kleiner. Dein Daddy ist schließlich ein teuflisch gut aussehender Bursche.“ Er lächelte mich wieder an, doch seine Augen blieben ernst.
Ich schaute Onkel Connor an und wünschte mir, ich sähe aus wie er. Denn meine Mama hatte mir einmal erzählt, in ihrem ganzen Leben hätte sie noch keinen schöneren Mann gesehen als ihn. Doch dabei hatte sie so schuldbewusst gewirkt, als hätte sie das niemals sagen sollen. Sicher weil er nicht mein Daddy war. Und außerdem war er ein Polizist, also ein Held. Wenn ich einmal groß wäre, wollte ich genauso sein wie er.
Dann stand Onkel Connor wieder auf. „Ich schau mal, ob deine Mama wach ist. Spiel du einfach weiter, bis ich wieder runterkomme, ja?“
„Okay.“ Ich nickte, und er fuhr mir noch mal mit der Hand durchs Haar. Dann ging er zur Treppe. Ich wartete ein paar Minuten und schlich ihm dann lautlos hinterher. Ich hielt mich am Geländer fest und wich den Stufen, die knarzten, wenn man drauftrat, aus. Ich wusste, wie man sich geräuschlos durch das Haus bewegen konnte, weil das lebenswichtig war.
Am Kopf der Treppe angekommen, blieb ich mit gespitzten Ohren vor dem Zimmer meiner Mama stehen. Die Tür stand zwar nur einen Spaltbreit offen, doch das reichte mir.
„Wirklich, Connor, ich bin okay“, drang Mamas leise Stimme an mein Ohr.
„Du bist ganz sicher nicht okay, Alyssa“, zischte er sie an, und ängstlich hörte ich, wie seine Stimme brach. „Mein Gott. Am liebsten würde ich ihn umbringen. Ich habe endgültig genug davon, Lys. Du hast lange genug die Märtyrerin gespielt. Du denkst vielleicht, du hättest das verdient, aber Archer. Hat. Das. Nicht“, stieß er mit so gepresster Stimme hervor, dass ich wusste, dass er seine Zähne aufeinanderbiss. So wie er es immer machte, wenn mein Daddy in der Nähe war.
Dann hörte ich, dass meine Mama leise weinte, ehe Onkel Connor weitersprach. Dieses Mal jedoch klang seine Stimme völlig ausdruckslos.
„Willst du wissen, wo er gerade ist? Er hat die Bar verlassen, ist zu Patty Nelson in den Wohnwagen und vögelt sie jetzt kräftig durch. Ich bin eben dort vorbeigefahren und konnte es sogar im Auto hören.“
„Mein Gott, Connor.“ Mamas Stimme klang erstickt. „Willst du es noch schlimmer machen …“
„Nein!“, schrie er sie derart wütend an, dass ich erschreckt zusammenfuhr, und sagte dann noch einmal etwas ruhiger: „Nein. Ich will nur, dass du endlich kapierst, dass es jetzt reicht. Es reicht. Falls du denkst, dass du für irgendetwas büßen müsstest, hast du das inzwischen ausreichend getan. Begreifst du nicht? Du hast nie etwas falsch gemacht, aber da ich mich nicht mit dir streiten will, nehmen wir mal an, es wäre so gewesen. Aber dafür hast du bereits einen hohen Preis bezahlt, Lys. Deine angebliche Schuld ist längst beglichen, aber trotzdem zahlen wir alle immer weiter. Himmel, willst du wissen, was für ein Gefühl es für mich war, als ich an dem Wohnwagen vorbeigefahren bin? Am liebsten wäre ich dort reingestürmt und hätte diesen Widerling durch Sonne und durch Mond geprügelt, weil er dich so mies behandelt, weil er dir nicht mal ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringt. Obwohl ich mich im Grunde hätte freuen sollen, dass er mit einer anderen vögelt als mit der Frau, die mir so unter die Haut gegangen ist, dass nichts und niemand mich von ihr trennen könnte. Stattdessen haben die Geräusche aus dem Wohnwagen mich einfach krank gemacht. Krank, Lys. Es hat mich mal wieder einfach krank gemacht, dass er dich derart schlecht behandelt, obwohl es bedeuten würde, dass ich selbst dich niemals wieder haben könnte, ginge er urplötzlich besser mit dir um.“
Es wurde still im Schlafzimmer, aber ich wagte nicht, verstohlen durch den Spalt zu sehen. Alles, was ich hörte, waren das leise Schluchzen meiner Mama und ein leises Rascheln.
Dann fuhr Onkel Connor, jetzt mit ruhiger, sanfter Stimme fort: „Lass uns von hier verschwinden, Baby. Bitte, Lys. Erlaub mir endlich, dich und Archer zu beschützen. Bitte.“ Ich hätte das Gefühl in seiner Stimme nicht benennen können, doch ich hielt gespannt den Atem an. Würde Onkel Connor uns tatsächlich von hier wegbringen?
„Und was ist mit Tori?“, fragte meine Mama leise, und es dauerte ein paar Sekunden, bis Onkel Connor antwortete.
„Ich werde ihr sagen, dass ich sie verlasse. Es wird sie nicht überraschen. Schließlich ist die Ehe, die wir beide führen, schon seit Jahren eine Farce. Sie muss verstehen, dass ich so nicht weiterleben kann und will.“
„Aber sie wird es nicht verstehen, Connor“, widersprach ihm meine Mama ängstlich. „Und vor allem wird sie es bestimmt nicht klaglos akzeptieren. Sie wird sich an uns rächen. Denn sie hat mich immer schon gehasst.“
„Wir sind keine Kinder mehr, Alyssa. Das hier ist kein dämlicher Wettkampf, sondern das wahre Leben. Es geht darum, dass wir zwei uns lieben und das Recht haben, uns zusammen ein neues Leben aufzubauen. Du und ich und Archer.“
„Und was soll aus Travis werden?“, fragte meine Mama.
Wieder gab es eine kurze Pause, dann sagte er: „Das werde ich mit Tori klären. Keine Angst.“
Abermals dauerte es einen Augenblick, bis meine Mama wieder sprach. „Dein Job, die Stadt …“
„Alyssa“, meinte Onkel Connor sanft, „das alles ist mir vollkommen egal, weil ohne dich nichts wirklich eine Rolle für mich spielt. Ist dir das immer noch nicht klar? Ich werde meinen Job hier kündigen, das Grundstück verkaufen, und dann bauen wir uns irgendwo ein neues Leben auf. Dann werden wir zusammen glücklich sein. Weit weg von hier – weit weg von diesem Ort. An einem neuen Ort, der uns gehört. Willst du das nicht auch? Sag, dass du das auch willst.“
Plötzlich klang es so, als ob die zwei sich küssten. Die Geräusche hatte ich schon mal gehört, als ich spioniert hatte, so wie jetzt. Ich wusste, das war falsch – Mamas sollten keine Männer küssen, die nicht mit ihnen verheiratet waren. Aber ich wusste auch, dass Daddys nicht ständig betrunken heimkommen und ihre Frauen schlagen sollten und dass Mamas nicht so zärtlich lächeln sollten, wie es meine Mama immer tat, wenn Onkel Connor zu uns kam. Es war alles fürchterlich verwirrend, und da ich nicht wusste, was das alles zu bedeuten hatte, spionierte ich den beiden in dem Wunsch hinterher, das fürchterliche Durcheinander zu begreifen.
Nach einer langen Zeit flüsterte meine Mama derart leise, dass ich sie fast nicht verstehen konnte: „Ja, Connor, das will ich auch. Bitte bring uns weg. Bring uns weit, weit weg von hier. Wir drei, ich und du und Archer. Lass uns ein kleines bisschen Glück finden. Das wünsche ich mir mehr als alles andere. Ich will mir dir zusammen sein. Ich wollte niemals einen anderen als dich.“
„Lys … Lys … meine Lys.“
Heimlich schlich ich mich wieder nach unten, wich den Holzstufen, die knarzten, aus und machte auf dem Weg zurück zu meiner Festung nicht einmal das leiseste Geräusch.
2
Bree
Ich schwang meinen Rucksack über die Schulter, nahm die kleine Hundetrage vom Beifahrersitz und schlug die Wagentür hinter mir zu. Dann blieb ich reglos stehen, lauschte dem morgendlichen Zirpen der Grillen und genoss die milde Brise, die das Laub der Bäume leise rascheln ließ. Der Himmel über mir war strahlend blau, und durch einen Spalt zwischen den kleinen Häusern fiel mein Blick auf den im Sonnenlicht glitzernden See. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich auf das kleine weiße Haus, in dessen Fenster immer noch das kleine Schild mit der Aufschrift Zu vermieten hing. Obwohl das Häuschen alt und leicht verwahrlost war, hatte es einen ganz eigenen Charme, der mich sofort angezogen hatte. Ich sah mich bereits abends auf der winzigen Veranda sitzen, während hinter mir über dem See der Mond aufging, die Bäume, die das Haus umgaben, sachte im warmen Wind schwankten und mich der Duft von Pinien und von Seewasser umhüllte. Ich lächelte und hoffte, dass das Innere des Häuschens ebenfalls einen gewissen Charme versprühte und zumindest ansatzweise sauber war.
„Was meinst du, Phoebs?“, fragte ich leise, und mein Hündchen stieß ein zustimmendes Schnauben aus.
„Ja, finde ich auch.“
Eine betagte Limousine parkte neben meinem kleinen VW-Käfer, und ein ebenfalls älterer, fast kahler Mann stieg aus und trat lächelnd auf mich zu.
„Bree Prescott?“
„Genau die bin ich“, lächelte ich und reichte ihm die Hand. „Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich gefunden haben, Mr Connick.“
„Bitte nennen Sie mich George.“ Er erwiderte mein Lächeln, und gemeinsam gingen wir zum Haus und wirbelten mit jedem unserer Schritte Staub und Piniennadeln auf. „Kein Problem. Ich bin inzwischen pensioniert, habe also jede Menge Zeit.“ Wir gingen die drei Stufen hoch auf die Veranda, wo er einen Schlüsselring aus seiner Tasche zog und nach dem passenden Schlüssel suchte.
„Da ist er ja“, sagte er schließlich, schob den Schlüssel in das Schloss und stieß die Haustür auf. Als wir über die Schwelle traten, schlug uns der Geruch von Staub und Moder entgegen.
„Meine Frau versucht, so oft wie möglich herzukommen und ein bisschen Staub zu wischen und die Räume durchzuputzen, aber wie Sie sehen können, täte eine ordentliche Grundreinigung dem Häuschen durchaus gut. Mit ihrer Arthritis kann sich Norma nicht mehr ganz so gut bewegen. Außerdem stand das Häuschen den ganzen Sommer über leer.“
„Kein Problem.“ Lächelnd stellte ich den Hundekorb neben die Tür, um mir erst mal die Küche anzusehen. Die würde ich erst mal gründlich schrubben müssen, ehe ich dort etwas kochen könnte. Aber trotzdem war ich hin und weg, weil sie wie der Rest des Häuschens einfach urgemütlich war. Die mit Laken abgedeckten Möbel waren alt, aber durchaus geschmackvoll, der mit breiten Holzdielen belegte Boden wirkte herrlich rustikal, und die Wände waren in Pastelltönen gestrichen, die ich angenehm beruhigend fand.
Die Ausstattung der Küche war nicht unbedingt modern, doch da ich womöglich sowieso nie wieder kochen würde, störte mich das nicht.
„Schlaf- und Badezimmer gehen nach hinten raus …“, setzte Mr Connick an.
„Ich nehme es“, fiel ich dem Mann ins Wort und schüttelte, verblüfft von meiner Spontaneität, den Kopf. „Ich meine, falls das Haus noch zu vermieten ist und Sie es mir vermieten wollen.“
Er sah mich schmunzelnd an. „Tja, nun, sehr gern. Dann hole ich noch schnell den Mietvertrag aus meinem Wagen, und wir gehen ihn zusammen durch. Ich hätte gern eine Kaution, aber falls Ihnen das Schwierigkeiten macht, finden wir ganz sicher einen Weg.“
Ich schüttelte den Kopf. „Kein Problem. Das ist okay für mich.“
„Dann bin ich sofort wieder da“, erklärte er und ging zur Tür.
Während er zu seinem Wagen lief, ging ich den kurzen Flur hinab und sah mir noch das Schlaf- und Badezimmer an. Die beiden Räume waren ziemlich klein, doch das hatte ich nicht anders erwartet, und für mich alleine reichten sie auf alle Fälle aus. Was mich besonders begeisterte, war das große Schlafzimmerfenster, das einen wunderbaren Blick über den See bot. Lächelnd sah ich auf den kleinen Steg hinaus, auf das glasklare, leuchtend blaue Wasser, das im hellen Licht der Morgensonne schimmerte wie ein Juwel, und die beiden weit entfernten kleinen Punkte, die wahrscheinlich Boote waren.
Als ich auf das Wasser blickte, füllten meine Augen sich seltsamerweise mit Tränen – nicht der Trauer, sondern des Glücks. Doch sofort verflog dieses Gefühl, und ich verspürte ein Heimweh, das ich mindestens genauso unerklärlich fand.
„Hier bin ich wieder.“ Mr Connick zog die Tür hinter sich zu, und ich kehrte ins Wohnzimmer zurück, um den Mietvertrag für die bescheidene Unterkunft zu unterschreiben, die während der nächsten Wochen mein Zuhause sein würde und in der ich vielleicht endlich etwas Ruhe finden würde. Auch wenn das eher unwahrscheinlich war …
Norma Connick hatte alle Reinigungsprodukte dagelassen, und nachdem ich meinen Koffer aus dem Wagen in das Schlafzimmer gebracht hatte, machte ich mich umgehend ans Werk.
Drei Stunden später schob ich eine feuchte Haarsträhne aus meiner Stirn, trat einen Schritt zurück und bewunderte mein Werk. Der Holzboden war blank geschrubbt, die Möbel waren nicht mehr unter Bettlaken versteckt, und nirgends lag auch noch das allerkleinste Körnchen Staub. Dazu hatte ich in einem Schrank im Flur Bettwäsche und Handtücher entdeckt und sofort in die Waschmaschine und dann in den Trockner in dem kleinen, an die Küche angrenzenden Raum gesteckt und schließlich das Bett frisch bezogen. Die Küche und das Bad waren blank geputzt, und durch die offenen Fenster drang der warme Sommerwind, der aus Richtung See blies, herein. Ich würde mich am besten nicht zu sehr an dieses Haus gewöhnen, doch so sauber und so aufgeräumt, wie es inzwischen war, hielte ich es hier wahrscheinlich eine Zeit lang aus.
Ich trug meinen Kulturbeutel ins Bad, stellte den bescheidenen Inhalt in den Spiegelschrank, duschte lang und kalt und wusch dabei all den Schmutz, der sich während des stundenlangen Putzens und der noch längeren Autofahrt auf meinem Körper angesammelt hatte, ab. Die sechzehn Stunden Fahrt aus Cincinnati in Ohio bis hierher hatte ich in zwei gleich lange Stücke aufgeteilt. Dabei hatte ich die erste Nacht in einem kleinen Motel an der Straße zugebracht, war dann in New York gewesen, hatte dort in einem Internetcafé nach einer freien Unterkunft an meinem Ziel gesucht und war danach die ganze letzte Nacht hindurch gefahren.
Mein eigentliches Ziel in Maine war eine Stadt am anderen Seeufer gewesen, die jedoch ein so beliebtes Urlaubsziel vor allem von Familien war, dass ich die Suche dort schließlich aufgegeben hatte und in diesem Städtchen namens Pelion gelandet war.
Ich trocknete mich ab, zog ein frisches T-Shirt und ein Paar sauberer Shorts an, griff nach meinem Handy und rief meine beste Freundin an. Ich hatte Natalie geschrieben, als ich zu Hause losgefahren war, und obwohl sie seither schon mehrmals versucht hatte, mich anzurufen, hatte ich als Antwort jedes Mal nur eine kurze Nachricht geschickt, weswegen ich ihr einfach einen Anruf schuldig war.
„Bree?“, rief Natalie über die lauten Stimmen irgendwelcher anderer Frauen hinweg.
„Hi, Nat. Ist’s gerade schlecht?“
„Warte kurz, ich nehme dich mit raus.“ Sie legte ihre Hand über den Hörer, sagte irgendwas zu irgendwem und kam dann wieder an den Apparat. „Nein, es passt sehr gut! Ich kann es kaum erwarten, mit dir zu reden! Ich bin mit meiner Mom und meiner Tante Mittag essen, aber sie kommen auch gut ein paar Minuten ohne mich zurecht. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, nachdem du plötzlich einfach weg warst“, fügte sie in vorwurfsvollem Ton hinzu.
Ich seufzte leise. „Ja, ich weiß. Es tut mir leid. Ich bin in Maine.“ Das hatte ich ihr bereits geschrieben.
„Himmel, Bree, du warst plötzlich einfach nicht mehr da. Hast du überhaupt Gepäck dabei?“
„Ein bisschen was. Auf jeden Fall genug.“
Sie atmete vernehmlich aus. „Okay. Und wann kommst du zurück?“
„Das weiß ich nicht. Ich dachte, vielleicht bleibe ich erst mal ein bisschen hier. Aber wie dem auch sei – ich habe es dir bisher nicht erzählt, aber ich bin ziemlich knapp bei Kasse, und den größten Teil des Gelds, das ich noch hatte, habe ich gerade für die Kaution für meine neue Bleibe rausgehauen. Ich brauche also dringend einen Job, wenigstens für ein, zwei Monate, damit ich die Rückfahrt überhaupt bezahlen kann.“
Nach einer kurzen Pause meinte Nat: „Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Aber, Schätzchen, du hast einen Collegeabschluss. Komm zurück und mach etwas daraus. Du brauchst nicht wie ein Vagabund in einer Stadt zu leben, wo du keine Menschenseele kennst. Ich vermisse dich schon jetzt. Und Avery und Jordan fehlst du auch. Lass dir von deinen Freunden auf dem Weg zurück ins Leben helfen, denn wir lieben dich. Ich kann dir etwas Geld schicken, wenn du dann früher wieder heimkommst.“
„Nein danke, Nat. Ich … brauche diese Zeit, okay? Ich weiß, dass du mich liebst. Das weiß ich wirklich“, antwortete ich ruhig. „Und ich liebe dich auch. Aber das ist einfach etwas, was ich machen muss.“
Wieder legte meine Freundin eine kurze Pause ein. „Ist es wegen Jordan?“
Ich kaute einige Sekunden auf meiner Unterlippe. „Nein, oder auf jeden Fall nicht nur. Ich meine, vielleicht war das der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, aber nein, ich laufe nicht vor Jordan weg. Aber genau das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Plötzlich wurde mir zu Hause alles einfach irgendwie … zu viel.“
„Ach, Süße, das wäre es jedem anderen an deiner Stelle sicher auch.“
Als ich nichts sagte, seufzte sie und fragte mich: „Denkst du, dass dir dieser seltsame spontane Ausflug hilft?“
In ihrer Stimme schwang ein Lächeln mit, und leise lachend sagte ich: „In gewisser Hinsicht, ja, in anderer noch nicht.“
„Dann hast du sie also immer noch?“, hakte sie vorsichtig nach.
„Ja“, räumte ich ein. „Aber hier an diesem Ort fühle ich mich wohl. Wirklich“, sagte ich und hoffte, dass ich möglichst fröhlich klang.
Wieder legte meine Freundin eine kurze Pause ein, doch schließlich meinte sie: „Ach, Süße, es liegt doch nicht am Ort.“
„Das habe ich damit auch nicht gemeint. Ich meine einfach, dass ich das Gefühl habe, als ob ich eine Zeit lang gut hier aufgehoben wäre und den ganzen Mist … verflixt, du musst doch sicher langsam wieder los. Deine Mom und deine Tante warten doch wahrscheinlich schon auf dich. Wir können auch ein andermal über diese Sache reden.“
„Meinetwegen“, stimmte sie mir zögernd zu. „Dann fühlst du dich dort also sicher?“
Ich zögerte. Ich fühlte mich, egal an welchem Ort, nie wirklich sicher. Und langsam fragte ich mich, ob ich mich jemals wieder sicher fühlen könnte. Doch schließlich sagte ich: „Oh ja, und obendrein ist es hier einfach wunderschön. Ich wohne hier in einem kleinen Haus direkt am See.“ Ich blickte durch das Fenster und sog erneut den wunderbaren Blick aufs Wasser in mich auf.
„Kann ich dich dort mal besuchen?“
„Lass mich erst mal richtig ankommen. Vielleicht, bevor ich zurückkomme?“
„Abgemacht. Auch wenn du mir echt fehlst.“
„Du mir auch. Ich rufe dich bald wieder an, okay?“
„Okay. Bis dann, Süße.“
„Bis dann.“
Ich legte auf, trat näher an das große Fenster meines neuen Schlafzimmers, zog ordentlich den Vorhang zu und krabbelte unter die Decke meines frisch bezogenen Betts. Phoebe rollte sich zu meinen Füßen ein, und in dem Augenblick, in dem mein Kopf das Kissen berührte, schlief ich auch schon ein.
Ich wurde von lautem Vogelzwitschern und dem leisen Plätschern kleiner Wellen, die gegen das Ufer schlugen, aufgeweckt. Müde drehte ich mich nach dem Wecker auf dem Nachttisch um und sah, dass es bereits nach sechs, also schon früher Abend war. Ich streckte mich, setzte mich auf und sah mich in dem fremden Zimmer um.
Dann stand ich auf, und Phoebe folgte mir, als ich ins Badezimmer ging, mir die Zähne putzte und beim Gurgeln einen Blick in den Spiegelschrank über dem Waschbecken warf. Die dunklen Ringe unter meinen Augen waren noch nicht ganz verschwunden, doch zumindest hatten die fünf Stunden Schlaf, die ich bekommen hatte, sie gelindert. Ich kniff mir in die Wangen, um ein wenig Farbe zu bekommen, sah mein Spiegelbild mit einem breiten, falschen Grinsen an und schüttelte den Kopf. „Es wird alles gut, Bree. Du bist stark, und irgendwann wirst du auch wieder glücklich sein. Hörst du mich? Dieser Ort hat etwas Gutes an sich. Spürst du das?“
Ich legte meinen Kopf ein wenig schräg und starrte mich noch einen Augenblick im Spiegel an. Viele Menschen hielten vor dem Badezimmerspiegel aufmunternde Reden an sich selbst, oder? Das war total normal. Leise schnaubend schüttelte ich abermals den Kopf, wusch mir das Gesicht und drehte mein hellbraunes langes Haar zu einem wirren Knoten auf.
Dann ging ich in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und sah auf die paar Lebensmittel, die ich in einer Kühltasche von zu Hause mitgebracht hatte. Es war nicht viel gewesen, was ich daheim im Eisschrank gehabt hatte: ein paar Mikrowellengerichte, Milch, Erdnussbutter, Brot, ein bisschen Obst und eine Packung Hundefutter. Das würde bestimmt für ein paar Tage reichen, ehe ich gezwungen wäre, in den Supermarkt am Ort zu gehen.
Ich machte ein Nudelgericht in der Mikrowelle warm, lehnte mich gegen die Arbeitsplatte und pikste die aufgewärmte Pasta mit der beiliegenden Plastikgabel auf. Dabei sah ich aus dem Küchenfenster und bemerkte eine alte Frau mit kurzem weißem Haar in einem blauen Kleid, die mit einem Korb in ihrer Hand aus dem Nachbarhaus kam und auf mein Häuschen zulief. Als ich sie leise klopfen hörte, warf ich meine halb gegessene Mahlzeit in den Mülleimer und öffnete die Tür.
Die alte Dame lächelte mich freundlich an. „Hallo, meine Liebe, ich heiße Anne Cabbott. Wie es aussieht, sind Sie meine neue Nachbarin. Willkommen hier in unserer Nachbarschaft.“
Ich lächelte zurück und nahm den Korb entgegen, den sie mir hinstreckte. „Bree Prescott. Danke. Das ist aber nett.“
Ich hob einen Zipfel des Geschirrtuchs, das den Korb bedeckte, und der süße Duft von frisch gebackenen Blaubeermuffins stieg mir in die Nase. „Die riechen wirklich köstlich. Haben Sie vielleicht Lust hereinzukommen?“
„Vielen Dank, aber eigentlich hatte ich Sie fragen wollen, ob Sie auf meiner Veranda einen Eistee mit mir trinken möchten. Denn ich habe gerade einen Krug gemacht.“
„Oh.“ Ich zögerte, doch schließlich nickte ich. „Ja sicher, warum nicht? Ich ziehe mir nur schnell noch Schuhe an.“
Ich ging wieder ins Haus, stellte die Muffins auf der Arbeitsplatte in der Küche ab, lief weiter in mein Schlafzimmer und schlüpfte dort in meine Flip-Flops.
Als ich wieder an die Haustür kam, stand Anne am Rand der Veranda und sah auf den See hinaus. „Was für ein wunderbarer Abend. Ich versuche, abends immer vor dem Haus zu sitzen und das wunderbare Wetter zu genießen. Denn jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis ich mich beschwere, weil es bitterkalt geworden ist.“
Wir liefen los, und ich blickte sie fragend von der Seite an. „Leben Sie das ganze Jahr über hier?“
Sie nickte knapp. „Die meisten Leute hier auf dieser Seite des Sees leben das ganze Jahr über hier. Die Urlauber haben bisher noch kein Interesse an dieser Stadt. Die Touristenattraktionen sind alle da drüben.“ Sie wies mit dem Kopf ans andere Seeufer, das nur als undeutlicher Schatten zu erkennen war. „Und damit sind die meisten Leute hier in Pelion sehr zufrieden. Aber trotzdem wird sich das bald ändern. Denn Victoria Hale, die Frau, der das Land, auf dem Pelion steht, gehört, will eine Reihe Ferienhäuser bauen, um die Touristen anzuziehen.“ Seufzend stieg sie hoch zu ihrer Veranda, wo sie sich in einen Korbstuhl sinken ließ und mir den Platz auf der Hollywoodschaukel wies.
Ich lehnte mich gemütlich gegen die Kissen und sah mich um. Mit den bequemen weißen Korbmöbeln, auf denen im Wechsel gelbe oder leuchtend blaue Kissen lagen, und mit den unzähligen Töpfen voll Petunien und wild rankendem Jasmin war die Veranda ein wunderschöner, heimeliger Ort.
„Was halten Sie davon, Touristen hierherzulocken?“, fragte ich, und sie runzelte unmerklich die Stirn.
„Tja, nun, ich mag das Städtchen, wie es ist. Meiner Meinung nach sollen die Touristen ruhig dort drüben bleiben. Die Leute, die bisher bei uns vorbeischauen, reichen mir vollkommen aus. Ich lebe gern in einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Und wenn die neuen Ferienhäuser kommen, müssen all die Häuschen weg, die bisher direkt am Ufer stehen.“
Jetzt runzelte auch ich die Stirn. „Oh, das tut mir leid.“ Dann würde schließlich auch sie selbst wegziehen müssen.
Sie aber winkte ab. „Ich komme schon zurecht. Ich mache mir vor allem Sorgen um die Läden in der Stadt, die schließen müssen, weil der Platz dann für die Ferienanlage benötigt wird.“
Ich runzelte immer noch die Stirn, und nachdem wir kurz geschwiegen hatten, sagte ich: „Ich habe selber mal mit meinen Eltern Urlaub auf der anderen Seite des Sees gemacht, als ich ein kleines Mädchen war.“
Sie nahm den Eisteekrug vom Tisch, schenkte uns beiden ein und hielt mir eins der Gläser hin. „Ach ja? Und was führt Sie nach all der Zeit hierher zurück?“
Da ich etwas Zeit gewinnen wollte, nippte ich an meinem Glas. Schließlich sagte ich: „Ich wollte einfach mal kurz raus. Und ich war sehr glücklich während dieses Sommers dort.“ Ich zuckte mit den Achseln, und obwohl ich hätte lächeln wollen, spürte ich, so wie jedes Mal, wenn ich von meinen Eltern sprach, einen Kloß im Hals. Trotzdem hoffte ich, dass mein Gesicht auch weiter freundlich war.
Sie sah mich an, trank einen Schluck von ihrem eigenen Eistee und nickte dann verständnisvoll. „Nun, meine Liebe, für mich klingt das nach einem durchaus guten Plan. Und wenn Sie hier schon einmal glücklich waren, werden Sie das sicher noch einmal. Denn ich denke, dass bestimmte Orte einfach richtig für bestimmte Menschen sind.“
Sie schenkte mir ein warmes Lächeln, und ich lächelte zurück. Ich behielt aber für mich, dass ich auch deshalb hergekommen war, weil hier an diesem Ort meine Familie zum letzten Mal glücklich und sorgenfrei gewesen war. Nach der Rückkehr von der Reise hatte man bei meiner Mutter Brustkrebs diagnostiziert, an dem sie innerhalb von einem halben Jahr gestorben war. Danach hatte es nur noch meinen Dad und mich gegeben.
„Wie lange wollen Sie bleiben?“, riss mich Anne aus meinen Gedanken.
„Ich bin mir noch nicht sicher. Denn ich habe keinen echten Plan. Allerdings brauche ich einen Job. Sie wissen nicht zufällig, wo ich in Pelion Arbeit finden kann?“
Sie stellte vorsichtig ihr Glas auf den Tisch. „Das weiß ich sogar ganz genau. Der Imbiss in der Stadt braucht jemanden, der morgens dort bedient. Sie bieten Frühstück und auch Mittagessen an. Ich war erst gestern dort und habe das Schild im Fenster hängen sehen. Die bisherige Bedienung will erst mal zu Hause bleiben, weil sie gerade erst ein Kind bekommen hat. Das Norm’s liegt direkt an der Hauptstraße. Sie können es unmöglich übersehen. Ein wirklich netter Laden und durchgehend gut besucht.“ Sie zwinkerte mir zu. „Richten Sie dort einfach Grüße von mir aus.“
Ich lächelte sie an. „Vielen Dank. Das mache ich.“
Schweigend nippten wir erneut an unserem Tee, lauschten dem Zirpen der Grillen, dem Surren einer Handvoll Mücken, die um unsere Köpfe tanzten, dem Plätschern des Wassers und den fernen Rufen irgendwelcher Segler auf dem See, die wahrscheinlich auf dem Weg zurück zum Ufer waren.
„Wie herrlich friedlich es hier ist.“
„Ich hoffe, dass Sie mir diese Bemerkung nicht verübeln, aber Sie sehen aus, als könnten Sie das gut gebrauchen“, meinte Anne.
Ich atmete vernehmlich aus, stellte dann aber mit einem leisen Lachen fest: „Sie haben offensichtlich eine gute Menschenkenntnis.“
Ebenfalls mit einem leisen Lachen sagte sie: „Ich konnte Menschen immer schon gut einschätzen. Mein Bill hat stets gesagt, selbst wenn er wollte, könnte er mir einfach nichts verheimlichen, was natürlich unter anderem daran lag, dass wir uns liebten und uns so gut kannten, dass der andere fast so etwas wie ein Teil von einem selber war. Und sich selbst kann man nun mal nichts vormachen. Auch wenn sich manche Leute alle Mühe geben, das zu tun.“
„Tut mir leid. Dann lebt Ihr Mann also nicht mehr?“
„Oh, er ist schon fast zehn Jahre tot. Krebs. Aber trotzdem fehlt er mir noch immer.“ Melancholie trübte kurz ihren Blick, doch dann straffte sie die Schultern und wies mit dem Kopf auf mein halb leeres Glas. „Am liebsten trank er seinen Eistee immer mit einem Schlückchen Bourbon. Hat immer gesagt, dass ihn das munter macht. Und ich habe ihm diese Freude immer gern gemacht, weil es nicht wirklich Arbeit für mich war und er dann immer so schön gelächelt hat.“
Ich hatte gerade einen kleinen Schluck von meinem Eistee genommen und musste mir die Hand vorhalten, sonst hätte ich den Tee bestimmt in hohem Bogen ausgespuckt. Doch schließlich gelang es mir zu schlucken, und ich fing an zu lachen. Sie sah mich grinsend an.
„Ich nehme an, dass Männer diesbezüglich wirklich ziemlich simpel sind.“
Sie lächelte. „Das lernen wir Frauen schon ziemlich früh, nicht wahr? Wartet daheim ein junger Mann auf Sie?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe ein paar gute Freunde, aber davon abgesehen wartet niemand dort auf mich.“ Während ich dies sagte, traf mich das Bewusstsein meiner Einsamkeit wie ein Fausthieb in den Bauch. Die Erkenntnis war nicht neu, doch erst jetzt, als ich zum ersten Mal darüber sprach, drang sie vollends zu mir durch. Eilig leerte ich mein Glas, bevor mich die Gefühle überwältigen konnten, und stand entschlossen auf.
„Ich sollte langsam gehen. Danke für den Tee und die nette Gesellschaft.“
Lächelnd erhob sich auch Anne von ihrem Platz.
„Sie sind mir jederzeit willkommen, Bree. Falls Sie irgendetwas brauchen, wissen Sie, wo ich zu finden bin.“
„Danke, Anne. Das ist sehr nett. Oh. Ich müsste noch in eine Drogerie. Gibt es eine hier im Ort?“
„Ja. Haskell’s. Fahren Sie den Weg zurück, den Sie gekommen sind, dann sehen Sie den Laden auf der linken Seite. Direkt vor der einzigen Ampel, die es hier gibt. Sie können ihn gar nicht verfehlen.“
„Super. Nochmals vielen Dank.“ Ich trat von der Veranda, und als ich ihr winkte, nickte sie und winkte gut gelaunt zurück.
Als ich durch den Garten lief, um meine Tasche aus dem Haus zu holen, sah ich, dass dort eine Pusteblume stand. Ich pflückte sie, hob sie vor meinen Mund, schloss die Augen, dachte an Annes Worte, flüsterte unhörbar „Frieden“, blies die Schirmchen fort, sah ihnen hinterher und hoffte, einer dieser Samen trüge dieses eine Wort zu einem Wesen, dass die Fähigkeit besäße, Wünsche zu erfüllen.
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