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A Restless Truth (The Last Binding 2) A Restless Truth (The Last Binding 2) - eBook-Ausgabe

Freya Marske
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Das silberne Medaillon

— Magische Murder Mystery an Bord eines Ozeandampfers
Paperback (18,00 €) E-Book (4,99 €)
€ 18,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 01.08.2024 In den Warenkorb
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A Restless Truth (The Last Binding 2) — Inhalt

Mord, Mysterien und Magie
Junge Frau aus gutem Hause trifft auf einem Ozeandampfer ein charmant-verruchtes Society-Girl
Maud ist entschlossen, ihrem Bruder Robin Blyth bei der Aufdeckung einer Verschwörung zu helfen. Dafür begleitet sie eine Verbündete Robins auf eine Reise mit einem Ozeandampfer. Womit sie nicht gerechnet hat: die alte Dame direkt am ersten Tag tot aufzufinden. Nun hat Maud nicht nur eine Leiche, sondern auch einen respektlosen Papagei und die gefährlich attraktive Schauspielerin Violet am Hals, die eine mysteriöse Rolle in all dem zu spielen scheint. Umgeben von nichts als der See und einem Schiff voller Verdächtiger muss Maud einen Mörder entlarven, ohne dabei selbst über Bord zu gehen.

„Dieses Buch, das die besten Elemente von Mystery, Fantasy und Romance vereint, ist ein wahrer Seelenschmeichler.“ Buzzfeed

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erscheint am 01.08.2024
Übersetzt von: Julia Becker, Hannah Brosch
528 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-70802-9
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€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erscheint am 01.08.2024
Übersetzt von: Julia Becker, Hannah Brosch
528 Seiten
EAN 978-3-492-60772-8
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Leseprobe zu „A Restless Truth (The Last Binding 2)“

1

Elizabeth Navenby war für drei Dinge bekannt: Handarbeiten, mit den Toten reden und Übellaunigkeit selbst an den besten Tagen.

Dies war nicht der beste Tag. Seekrankheit hatte ihre Nerven strapaziert. Und gut gemeintem Geplapper über die Einrichtung der Kabine ausgesetzt zu sein und darüber, dass die Taschentücher schwenkende Menschenmenge, die den Kai in New York säumte, während die Lyric auslief, haargenau wie ein Taubenschwarm aussah – fand sie nicht auch? –, hatte kaum geholfen.

Daher hatte Elizabeth die gesprächige Miss Blyth, die für ein Mädchen [...]

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1

Elizabeth Navenby war für drei Dinge bekannt: Handarbeiten, mit den Toten reden und Übellaunigkeit selbst an den besten Tagen.

Dies war nicht der beste Tag. Seekrankheit hatte ihre Nerven strapaziert. Und gut gemeintem Geplapper über die Einrichtung der Kabine ausgesetzt zu sein und darüber, dass die Taschentücher schwenkende Menschenmenge, die den Kai in New York säumte, während die Lyric auslief, haargenau wie ein Taubenschwarm aussah – fand sie nicht auch? –, hatte kaum geholfen.

Daher hatte Elizabeth die gesprächige Miss Blyth, die für ein Mädchen ihres Alters wahrhaft abscheulich viel Energie besaß, das Schiff erkunden geschickt.

„Endlich“, sagte Elizabeth in die leere Kabine hinein. „Ich habe etwas Stille gebraucht.“

Es war nicht wirklich still. Doch das Brummen der Schiffsmotoren war nicht schwerer zu ignorieren als der übliche Lärm eines Nachmittags in Manhattan. Und die Einrichtung der Kabine war nun, da sie dieser ihre Aufmerksamkeit widmete, … hinreichend luxuriös. Wenn auch recht modern. Grüne Glaslampen hingen wie verschimmelte Schneeglöckchen von den Messingarmen des Kronleuchters. Die Stühle waren in einem helleren Grün gepolstert. Dorians Käfig stand auf einer niedrigen Kommode, deren Schubladen Tulpen-Intarsien mit langen, gewundenen Stängeln aufwiesen.

„Schätze, dir würde das zusagen, Flora“, sagte Elizabeth. „Du hast deine Innenräume immer gern mit Dingen von draußen dekoriert.“

Zu einer weiteren Welle der Übelkeit gesellte sich ein dumpfer Schmerz, als stecke ihr Knie in einem Maul mit stumpfen Zähnen. An Land waren Elizabeths Knie recht belastbar, doch sie waren es nicht gewohnt, ihren Körper gegen das Meer im Gleichgewicht halten zu müssen.

Mit unsicheren Schritten ging sie zum nächststehenden Stuhl und knüpfte einen Wärmezauber. Dessen gelbes Licht schimmerte schwach, spiegelte sich im glänzenden Holz der Kommode und verschwand dann, als sie die Magie auf ihr Bein anwandte. Hitze sickerte in ihr geplagtes altes Gelenk.

„Und ich will kein Wort darüber hören, dass ich einen Gehstock benutzen sollte“, sagte sie.

Einer der leitenden Stewards war einfältig lächelnd auf sie zugestürzt, sobald sie von der Landungsbrücke getreten waren. Sie hatte ihn im Verdacht gehabt, Miss Blyth schöne Augen machen zu wollen, doch stattdessen hatte er Elizabeth verdammt herablassend darüber belehrt, wie schwierig die Überfahrt für ältere und gebrechliche Personen sein konnte, dass die White Star Line sich ihrer kleinen Annehmlichkeiten für Passagiere der ersten Klasse rühmte, und ob sie zusätzlicher Kissen bedürfe – etwas Brühe oder Ingwertee, um ihren Magen zu beruhigen –, einen Gehstock …

An dieser Stelle hatte Elizabeth ihn einen aufdringlichen Wichtigtuer genannt und war an ihm vorbeigerauscht, wobei sie es Miss Blyth in ihrem Kielwasser überließ, um Entschuldigung zu bitten. Zwecklos. Männer würden niemals lernen, sich zu benehmen, wenn man sich bei ihnen entschuldigte.

„Gebrechlich!“, murmelte sie jetzt. „So eine Frechheit!“

„Frechheit“, wiederholte Dorian.

Das Wort hatte Elizabeth ihm beigebracht, nachdem sie diesen langweiligen alten Furz Hudson Renner dabei erwischt hatte, wie er an ihrem Pokertisch Holzringe trug. Es gab keine Entschuldigung dafür, an einem zivilisierten Glücksspielabend Illusionen zu verwenden, ganz gleich, wie viel von seinem Vermögen man in Investitionen verprasst hatte, von denen einem jeder hätte sagen können, dass sie töricht bis idiotisch waren.

Ächzend stand Elizabeth auf. Ihrem Knie ging es besser. Ihrem Magen nicht.

„Ich habe einfach nicht erwartet, an diesem Punkt in meinem Leben noch eine Reise zu unternehmen. Obwohl ich zugeben muss“ – zähneknirschend – „letztes Mal, als ich den Atlantik überquert habe, erinnere ich mich, dass die Seekrankheit noch schlimmer war.“

Das letzte Mal war in die andere Richtung gewesen, als sie und ihr Mann England auf der Suche nach einem anderen Leben in Amerika hinter sich gelassen hatten. Jenes Schiff war viel kleiner gewesen. Kein bisschen wie dieser riesige Dampfer.

Elizabeth schnaubte bei der Erinnerung. „Der arme Ralph. Den ersten Tag verbrachte er damit, mir den Rücken zu reiben und Schüsseln zu leeren, ehe es mir wieder gut genug ging, dass ich mich daran erinnerte, eine von Seras magenberuhigenden Tonika eingepackt zu haben, und diese getrocknete Kamille aus deinem Garten …“

Das Maul der Trauer besaß keine stumpfen Zähne. Sie schnappten zu wie die Falle eines Wilderers.

Elizabeth stand da, die Hand um ihr silbernes Medaillon gekrampft, und unterdrückte mühsam den Drang, die Toten dafür zu verfluchen, dass sie gestorben waren. Sie wollte Magie auf diese grünen Lampen schleudern, nur um etwas zersplittern zu sehen. Die Erinnerung quälte sie, kehrte ihr Innerstes nach außen, knurrte ihr auf den Fersen. Flora hatte ihre Kamille in Magie eingesponnen, während diese gewachsen war. Sie hatte ihr Dinge zugeflüstert, bis selbst deren schwacher Duft am Rande eines Windhauchs ein schlaffördernder Zauber gewesen war, wie Finger auf den Augenlidern.

Langsam lockerte sich Elizabeths Griff um das Medaillon. Sie betrachtete ihre Handfläche, als könne sich das Sonnenblumenmuster in die Haut gedrückt haben.

Gewiss stand die Größe dieses Kummers in keinem Verhältnis. Sie und Flora hatten die spätere Hälfte ihres Lebens auf verschiedenen Kontinenten verbracht. Sie waren so alt, dass man damit rechnen musste, dass der Tod an die Tür klopfte.

Nichts davon machte einen Unterschied. Elizabeth hatte sich so leer gefühlt, tieftraurig und zugleich zornerfüllt, als Miss Blyth betreten mit der Neuigkeit von Floras Tod herausgeplatzt war.

Ihr Alter machte es nur schlimmer. Es war absurd. Elizabeth war zu alt, um durch die Gegend zu ziehen und einen Mord zu rächen. Natürlich würde sie es trotzdem tun. Selbst wenn ihre Knochen sich zu brüchig anfühlten, um die Wut zu enthalten, die sie antrieb.

„Ich weiß, ich weiß“, murmelte sie. „Solange noch Leben in mir ist, kann ich selbst entscheiden, was ich damit anfange.“

Elizabeth sprach nicht mit den Toten im Allgemeinen, sondern im Besonderen.

Vielmehr hatte sie schon lange, ehe die Bezeichnung zutraf, mit ihrer speziellen Toten gesprochen. Seit sie damals England verlassen hatte, redete sie mit Flora Sutton, als sei diese da – als verbinde das Medaillon sie nicht nur auf metaphorische Weise. Als hätten sie eine Möglichkeit gefunden, die Beschränkungen von Magie über gewaltige Entfernungen hinweg zu überwinden, und alle Worte, die sie sprach, würden wirklich über den Ozean zurück an Floras Ohren getragen.

In Anwesenheit von Miss Blyth hatte sie das unterlassen. Ihre Zunge war mit Worten vollgestopft, die sich unausgesprochen angesammelt hatten. Nun, da sie sie in Ruhe herauslassen konnte, rollten die gewichtigsten voran.

„Ich dachte, ich würde den genauen Moment kennen“, sagte Elizabeth Navenby zu ihrer abwesenden Toten. „Das dachte ich wirklich. Ich dachte – oh, dass ich mich mit flatterigem Herzen im Bett aufsetzen würde. Eine Schrecksekunde lang auf der Straße anhalten. Aber nein – man musste es mir ins Gesicht sagen, Monate, nachdem du schon unter der Erde lagst. Ich musste glotzen wie ein Fisch und erkennen, dass sogar nachdem – nachdem – niemand daran gedacht hatte, dass ich vielleicht ein verdammtes Telegramm zu schätzen gewusst hätte …“

Eine weitere Welle zorniger Trauer. Als spüre er es, stieß Dorian einen langen, krächzenden Seufzer aus.

Nein. Der verdammte Vogel war nicht empathisch, lediglich passiv-aggressiv, er bediente sich des Pathos zu krächzen als Hinweis darauf, dass er Aufmerksamkeit wollte. Oder Mittagessen.

Elizabeth nahm den Napf aus seinem Käfig und füllte ihn mit frischem Wasser. Hoffentlich würde Miss Blyth während ihrer Erkundung daran denken, die Stewards um Futter für ihn zu bitten. Unwahrscheinlich. Das Mädchen besaß ein Gehirn wie eine Elster. Sie hatten Glück, wenn sie zurück zur Kabine fand.

„Wenn du hier wärst, würdest du mir sagen, ich solle dem Mädchen gar nicht trauen.“ Sie lachte schnaubend. „Du warst immer ein paranoides Geschöpf, Flora. Keine Sorge. Mir ist kein Wort über meinen Teil des Vertrags über die Lippen gekommen. Wir verraten nichts – nicht, solange es noch andere Möglichkeiten gibt. Das haben wir versprochen.“

Sie stellte den randvollen Napf wieder hinein. Dorian zwickte sie billigend in den Finger, als sie sich zurückzog.

Sie hatten es versprochen. Und dennoch war es allen Berichten nach die paranoide Flora selbst gewesen, die ihren Teil des Vertrags ihrem nichtmagischen Großneffen mitgegeben hatte – ihn mit einem Schweigezwang belegt und in den Tod geschickt und sich dann ihrerseits das Leben genommen hatte, um nichts auszuplaudern –, weil es keine andere Möglichkeit gegeben hatte.

Denn nach all den Jahrzehnten, die sie den Letzten Vertrag sicher verwahrt, seine drei Teile voneinander getrennt gehalten und es dadurch unmöglich gemacht hatten, daraus eine Waffe zu entwickeln, die allen Magiern in Großbritannien Macht entziehen würde, legte sich ein Netz über den Forsythia Club. Über die Frauen, die so arrogant und neugierig gewesen waren, diese Waffe überhaupt erst ans Licht zu zerren.

„Hybris“, sagte Elizabeth, als sei das Wort ein Zauber. Es schmeckte bitter auf ihren Lippen.

Sie schüttelte sich. Sinnlos, darüber nachzudenken. Widme dich lieber anderen Dingen.

Vielleicht etwas, um diesen Brechreiz zu unterdrücken. Sie hatte einen hilfreichen Zauber in ein Schultertuch für eine Nichte eingenäht, die unter einer schwierigen Schwangerschaft gelitten hatte – sie konnte sich gerade nicht an den genauen Zauber erinnern, doch ihn zusammenzusetzen würde eine Ablenkung darstellen.

Ihr Nähzeug befand sich in einer der Truhen. Als sie hinüberging, um es hervorzukramen, schlingerte das Schiff auf ganz besonders Übelkeit erregende Weise. Elizabeth biss die Zähne zusammen.

Nach einigen Augenblicken gestand sie sich ein, dass es sinnlos war, Krankheit mit Sturheit bezwingen zu wollen, und ging in das kleine Badezimmer der Kabine, um dort über einem Becken unangenehm zu würgen.

Jemand wählte diesen idyllischen Augenblick, um an die Kabinentür zu klopfen.

Elizabeth umfasste den Beckenrand und weigerte sich, zu reagieren. Sollten sie doch glauben, sie schliefe. Sie würde sich nicht von Stewards verhätscheln lassen. Eher würde sie ein Dornennest herbeizaubern und sich selbst hineinschleudern, als eine Brühe anzunehmen. Sie würde selbst hiermit fertigwerden.

Sobald ihr Magen damit aufhörte, ihren Brustkorb zu erklimmen.

Das Schloss klickte. Die Kabinentür öffnete sich mit einem sachten Knarren. Das war wohl Miss Blyth, die des Erkundens bereits müde war. Elizabeth betrachtete finster das Porzellan und wartete schicksalsergeben darauf, dass das muntere Geplapper wieder einsetzte.

Nichts.

Und in diesem Nichts: Schritte. Zu schwer, um von Miss Blyth zu stammen. Zu langsam. Vorsichtig.

Furcht strömte flutartig herein. Sie schaffte es, den Brechreiz teilweise zur Seite zu drängen. Elizabeth richtete sich auf. Dank der angelehnten Badezimmertür konnte man sie vom Hauptraum aus nicht sehen.

Der Betäubungszauber, den sie vorbereitete, stammte von Flora, aufgebaut mit einer Hand und festem Willen – sodass die andere Hand frei blieb, um einen schönen, schweren Kerzenhalter anzuheben, wie sie immer gescherzt hatten, für den Fall, dass der Zauber danebenging. Magie füllte ihre Hand wie Schnee.

Elizabeth holte tief Luft.

Mit der freien Hand schob sie die Badezimmertür auf. Das verdammte Ding knarrte und beraubte sie so der Chance auf einen Überraschungsangriff. Ein Fluch glitt ihr zwischen die Zähne. Sie erhaschte nur einen kurzen Blick – ein Mann, der abrupt den Kopf hob von dort, wo er sich über die Kommode gebeugt und ihre Habe begrapscht hatte –, ehe sie den Zauber auf ihn warf.

Das Knarren war Warnung genug gewesen. Er wich aus. Und … verflucht, jetzt knüpfte er selbst. Ein Magier.

Sie musste es noch einmal versuchen. Ein weiterer Zauber, schnell. Verdammt sollten sie sein, ihre steifen alten Hände. Sie hörte Flora sagen, indem sie endlich ihre Hälfte des Gesprächs aufnahm: Du verlässt dich noch zu sehr auf dieses Fadenspiel, Beth, das habe ich dir immer gesagt.

Flora hatte recht. Verflucht, Flora hatte immer recht. Doch Elizabeth war jetzt von ihren eigenen Schwächen gebunden. Der Zauber bildete sich nur mühsam zwischen ihren zitternden Fingern.

Es tut mir leid, Flora. Ich wollte sie so gern für dich umbringen.

Ihr Herz zitterte sogar noch mehr, sprang ihr halb aus der Brust vor lauter Furcht und heftigem Zorn. Sie fühlte sich benommen und erschüttert, sogar noch bevor den Händen des Mannes heiß riechende Magie entsprang und wie ein Blitz ihre Sinne umhüllte.

Es tut mir leid.


2

Sobald sie die Tür öffnete, wusste Maud, dass Mrs. Navenby tot war.

Sie war sich nicht sicher, woher genau sie es wusste. Sie war noch nie mit einer Leiche allein gewesen. Als Tochter eines Baronets war es unwahrscheinlich, öfter in eine solche Situation zu geraten.

Dennoch überkam sie die Gewissheit so schlagartig, als hätte jemand einen Eimer Wasser über ihr ausgeleert.

Mrs. Navenby lag auf dem Boden ausgestreckt. Ihre Augen standen offen, und der Ausdruck ihres wachsartigen, regungslosen Gesichts war nichts, was Maud länger als einige Sekunden betrachten wollte.

„Gütiger Himmel“, hörte Maud sich selbst quieken und sackte rückwärts gegen die Tür.

Absurderweise empfand sie Enttäuschung. Erstens hatte sie gequiekt. Zweitens hatte sie nicht die Gelegenheit ergriffen, Scheiße zu sagen. Zu keinem geringeren Anlass war sie mutig genug gewesen, und gewiss würde sie sich nie wieder in einer Situation befinden, in der Unflätigkeit so angemessen war.

„Waaaas?“, machte Dorian.

Maud kicherte los, als habe sie sauren Wein im Mund.

„Ganz meine Meinung“, sagte sie zu dem Papagei, und das brach den kalten Bann, der sie erstarrt an der Tür gehalten hatte.

Maud stürzte ins Zimmer. Prompt stolperte sie und fing sich auf einem Knie auf, als der Boden schwankte und sie sich mit dem Schuh in ihrem Rock verhedderte. Ihre Seemannsbeine waren noch nicht zurückgekehrt, und der Kapitän hatte ihnen gesagt, sie sollten mit einem kabbeligen Beginn der Reise rechnen.

Sie suchte nach einem Puls. Sie hatte keine Ahnung, ob sie an der richtigen Stelle fühlte. Es gab keine Spuren von Gewalteinwirkung auf der Haut und auch kein Blut – Maud schreckte zurück und tastete vorsichtig am Hinterkopf der Toten – im Haar. Vielleicht war sie an einem plötzlichen Hirnschlag gestorben. Vielleicht hatte ihr Herz aufgegeben.

Doch noch vor wenigen Stunden war Mrs. Navenby gesund und munter gewesen. Und Magie hinterließ nicht notwendigerweise Spuren, wenn sie tötete.

Bei einem Treffen der Suffragetten in London war Maud einmal einer Miss Harlow begegnet, die gerade Medizin an der Sorbonne studiert und anschauliche Geschichten von blutigen Verletzungen erzählt hatte und davon, wie man durch die Untersuchung von Leichen Anatomie lernte. Maud, sosehr sie sich auch danach sehnte, die Universität zu besuchen, glaubte nicht, dass sie genügend Mumm und einen so robusten Magen besaß, wie man es als Ärztin benötigte. Miss Harlow hatte einen menschlichen Schädel herumgereicht. Maud war mit dem Finger die Augenhöhlen entlanggefahren und hatte sich gefragt, welche Farbe diese Augen wohl zu Lebzeiten gehabt hatten. Dann war ihr flau geworden, und sie hatte den Schädel an Liza weitergegeben.

Und als ihre Eltern gestorben waren, war das bei einem Unfall in einem Automobil geschehen. Es hatte außer Frage gestanden, Maud darum zu bitten, die Leichen zu identifizieren. Das hatte Robin übernommen, während Maud sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte, damit niemand sah, dass sie daran scheiterte zu weinen. Ihr Leben lang hatte Robin die unangenehmen Dinge übernommen, damit Maud sich darum nicht zu sorgen brauchte. Immer hatte er sie beschützt und sie niemals im Stich lassen.

Und jetzt ließ sie ihn im Stich bei der einen großen, lebenswichtigen Sache, von der sie ihm geschworen hatte, sie würde damit fertigwerden.

Mrs. Navenby war tot, was bedeutete, dass jemand auf diesem Schiff wusste, dass Mrs. Navenby ein möglicherweise gefährliches Objekt von ungeheurer Macht in ihrem Besitz hatte, und dass dieser Jemand es haben wollte.

Die alte Frau hatte sich geweigert, Maud zu verraten, welche ihrer Habseligkeiten ihren Teil des Zaubers darstellte, der als der Letzte Vertrag bekannt war. Das ist sicherer, hatte sie zu Maud gesagt, in dem bissigen Ton, der keine Diskussion duldete.

Und jetzt hatte Maud eine Leiche zu ihren Füßen und sechs ganze Tage der Atlantiküberquerung vor sich, saß auf einem Schiff mit mindestens einem Magier fest, der bereit war, zu töten, während Maud keine eigene Magie besaß und keine Ahnung hatte, was sie beschützte, und ob es nicht vielleicht sogar bereits entwendet worden war …

Maud rieb sich das Gesicht. Dämlich, dämlich.

Sie zwang sich dazu, sich zu fokussieren, während sie sich im Raum umsah. Sie hatte Mrs. Navenbys Gepäck teilweise ausgepackt, während sie noch im Hafen gelegen hatten. Der Raum sah nicht aus, als sei er durchsucht worden, doch es standen genügend Dinge halb geöffnet herum, dass es schwer festzustellen sein würde.

Maud inspizierte die Kommode mit roten Flecken im Gesicht und einem Panikpuls. Zahlreiche Kästchen voller Broschen und Ringe. Nippes. Was fehlte? Irgendetwas? Es gab ein Gesellschaftsspiel: Man starrte auf ein Tablett mit Gegenständen, ehe es weggenommen, umgeräumt und wieder vor einen hingestellt wurde. Manche Dinge waren hinzugefügt worden. Manche entfernt.

Robin war in diesem Spiel ganz hervorragend. Maud … nicht.

Doch sie hatte genau heute alles auf der Kommode angeordnet und eine gute Viertelstunde damit verbracht, die Dinge gemäß dem pingeligen Geschmack der alten Frau herzurichten, und …

Der Spiegel. Es hatte einen Handspiegel aus Silber mit einer dazugehörigen Haarbürste gegeben, beide schwer und kunstvoll verziert. Das war es, was fehlte.

Mauds Herzschlag beruhigte sich bei der Erkenntnis. Sie schaffte es, einige weitere fehlende Gegenstände zu identifizieren: einen versilberten Armreif, auf dem indische Elefanten abgebildet waren. Ein Silberfläschchen wie der Flachmann eines Gentlemans, das einen von Mrs. Navenbys Lieblingsdüften enthielt.

Silber. Silber. Der erste Teil des Vertrags, den Robin und sein Partner Edwin wiedergefunden hatten – und dann verloren –, waren drei Silberringe gewesen, die zu einer einzigen Silbermünze verschmolzen waren. Maud hatte nicht gefragt, ob Mrs. Navenbys Teil, die Tasse, aus demselben Material bestand.

Silber.

Ein einziger Blick bestätigte Mauds Ahnung, als sie den Kopf der Leiche angehoben hatte, um nach Blut zu tasten. Das Medaillon war fort. Schwer und oval mit einem Sonnenblumenmuster, und Maud hatte Mrs. Navenby noch nie gesehen, ohne dass sie es an einer Kette um ihren Hals trug. Sie hatte bemerkt, wie sehr die Frau daran hing, und bereits begonnen, die eine oder andere private Vermutung zu hegen.

Nun. Einige Gegenstände aus Silber fehlten, und reichlich wertvolle Schmuckstücke waren zurückgelassen worden, obwohl sie offen herumlagen.

Es war Mord, und zwar von jemandem, der genau wusste, wonach er suchte.

„Scheiße“, sagte Maud.

„Scheiße“, stimmte Dorian ihr zu.

***

„Sind Sie sicher, dass wir Ihnen nicht etwas Wasser holen können, Miss Cutler?“, fragte der Bootsmann. „Oder eine Tasse Tee?“

„Nein danke, Mr. Berry.“ Maud lächelte schwach. „Aber es ist so liebenswürdig von Ihnen, mir das anzubieten.“

Der Sicherheitschef der Lyric besaß eine stämmige Figur und ein freundliches Gesicht mit einem rötlichen Schnurrbart, der sein Bestes tat, um dessen Oberlippe einzuhüllen, als hätte er ihn von einem größeren Verwandten geerbt und warte darauf, hineinzuwachsen. Er beäugte Maud mit der vertrauten Besorgnis eines Mannes, der sich nicht sicher war, ob das Mädchen vor ihm im Begriff stand, in Tränen auszubrechen.

Er beschloss, vorsichtshalber davon auszugehen, dass Maud zu aufgewühlt und zu feminin war, um zu wissen, was sie brauchte, und wies den nächsten Steward an, sofort eine Tasse Tee zu bringen.

Maud konzentrierte sich darauf, eine neutrale Miene beizubehalten. „Was geschieht jetzt mit ihr?“

„Ich nehme an, für ein junges Ding wie Sie mag es morbide klingen, Miss Cutler, doch die White Star Line ist auf tragische Vorfälle dieser Art gut vorbereitet. Dies ist nicht das erste Mal, dass einer unserer betagten Gäste während der Reise aus der Welt der Sterblichen verschieden und in eine bessere Welt übergegangen ist.“ Mr. Berry berührte die Stelle zwischen seinen Schlüsselbeinen, an der unter seinem Hemd und der Uniformjacke ein Kreuz an einer Kette hängen mochte. „Wir werden dafür sorgen, dass sie respektvoll behandelt und an einem Ort verwahrt wird, wo sie – verzeihen Sie – nicht verdirbt.“

„Liebe Güte. Daran hatte ich nicht gedacht.“ Maud biss sich auf die Zunge, um nicht zu fragen, ob sie einen zweiten Kühlraum hatten, der speziell für Leichen bestimmt war, und wenn nicht, ob den Passagieren der ersten Klasse bekannt war, dass das für deren Dessert verwendete Eis auch einem solchen Zweck diente. Mrs. Navenby hätte das amüsant gefunden.

„Kam ihr Ableben … sehr unerwartet?“

Grundsätzlich hasste Maud es zu lügen. Ihr war bewusst, dass dieses Prinzip für eine junge Frau, die derzeit unter falschem Namen reiste und vorhatte, eine verdeckte Ermittlung zu starten, in etwa so nützlich war wie ein Nadelkissen in einem Boxring.

Dennoch. Die Wahrheit war ein biegsames Schilfrohr. Man konnte es in allerlei Formen flechten, je nachdem, welche man brauchte.

Was Maud brauchte, war, dass niemand anderer eine Ermittlung wegen Raubmords in irgendeiner offiziellen Funktion durchführte. Das würde Besorgnis erregen, ihr in die Quere kommen und Mauds Feinde – die sich wahrscheinlich gerade zu ihrem Erfolg beglückwünschten – alarmieren.

Abgesehen davon las Maud Detektivgeschichten. Sie hatte die Leiche gefunden. Wenn auch nur der Hauch eines Verdachts bestand, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war, würde man sie verhören, und sie reiste schließlich unter falschem Namen. Wenn jemand anfing, ungelegene Dinge zu tun und ein Telegramm mit Erkundigungen zurück nach New York oder voraus nach London schickte, bestand das Risiko, dass besagter Jemand herausfand, dass Mrs. Navenbys entfernte und verarmte Verwandte Miss Maud Cutler frei erfunden war.

„Mrs. Navenby war … sich ihres Alters sehr bewusst. Nach Hause, nach England zurückzukehren war für sie eine Angelegenheit von einiger Dringlichkeit.“

Mr. Berry nickte. Er hatte aus diesen Sätzen eine Krankheit herausgehört, und das kam ihm gelegen.

„Nichtsdestotrotz.“ Er tätschelte Maud die Schulter. „Ganz gleich, wie sehr man damit rechnet, es ist immer ein schwerer Schlag, diejenigen zu verlieren, die uns nahestehen.“

Mauds Augen füllten sich mit heißen Tränen. Es war eine Verschwendung. Eine verdammte dumme Verschwendung, und sie hatte ihren Bruder enttäuscht, und Mrs. Navenby sollte noch leben. Leute sollten nicht einfach andere Leute töten dürfen, nur weil sie ihnen im Weg standen, als wären sie nicht mehr als Dinge.

Der Bootsmann öffnete den Mund und wurde von einem empörten Krächzen unterbrochen. Der zurückkehrende Steward war im Vorbeigehen an Dorians Käfig gestoßen. Alle Anwesenden blickten auf. Dorian krächzte erneut, diesmal leiser, und begab sich auf den Boden des Käfigs, um seinen Kopf ungehalten in seinen Wassernapf zu senken.

„Mrs. Navenby hing sehr an ihrem Vogel“, sagte Maud entschuldigend.

„Ein reizendes Geschöpf, dessen bin ich mir sicher“, sagte Mr. Berry. „Nun möchten Sie sich vielleicht auf Ihr eigenes Zimmer zurückziehen und ruhen. Sicherlich können wir arrangieren – ah, da kommt ja der Tee. Rogers, benachrichtigen Sie die Küche, dass Miss Cutler in den nächsten Tagen ihre Mahlzeiten in ihrer Kabine einnehmen wird.“

„Nein“, sagte Maud rasch.

Augenbrauen hoben sich.

Um Zeit zu gewinnen, nahm Maud einen stärkenden Schluck Tee. Jetzt musste sie sich aus jeglicher Erwartung herauslavieren, dass sie in ihrem Zimmer blieb und dort dahinschmachtete, obwohl erforderlich war, dass sie draußen nach Antworten suchte. Und nach Mördern. Und nach dem gestohlenen Teil des Letzten Vertrags.

„Das ist … ich danke Ihnen für Ihre Rücksichtnahme, doch ich glaube, etwas glanzvolle, heitere Gesellschaft wird mir guttun. Mich ablenken. Ich muss gestehen, Mr. Berry, dass ich Mrs. Navenby nicht allzu gut kannte. Ich war erst seit Kurzem ihre Gesellschafterin, und sie war nicht die einfachste Dienstherrin.“ Maud blickte hinunter auf die Untertasse, wo etwas Tee übergeschwappt war. Sie rief sich nicht Mrs. Navenbys Unbeherrschtheit und deren scharfe Zunge ins Gedächtnis, sondern eine Erinnerung an ihre eigene Mutter. Diese hatte anderen stets Honig um den Mund geschmiert, doch ihre falsche Freundlichkeit pflegte sich im Geist festzusetzen und einem den Atem zu nehmen.

Maud sagte: „Gewiss halten Sie mich für schrecklich herzlos.“

„Ganz und gar nicht“, sagte Mr. Berry sofort, und der in der Nähe verharrende Steward gab bekümmert einen Laut der Zustimmung von sich. Maud spähte unter ihren Wimpern hervor zu ihm hoch. Rogers war nicht viel älter als sie, mit einem hervorstehenden Hals und Pickeln am Kinn, und er errötete, als er ihrem Blick begegnete.

„Ich danke Ihnen beiden so sehr“, sagte sie sanft. „Ich werde mich tatsächlich hinlegen, bis es Abendessen gibt.“

Ihr angrenzender Raum war kleiner als die Hauptkabine, mit einem schmalen Bett, das an der Wand stand, und weniger vornehm eingerichtet. Viele der Kabinen besaßen solche Arrangements, für Familien mit Kindern oder jene, die mit persönlichen Bediensteten reisten. Mauds eigene Rolle einer Gesellschafterin stand eine Stufe über einer Dienstbotin, jedoch nicht wesentlich höher.

Sie schloss die Tür zwischen den Zimmern und lehnte sich dagegen. In der plötzlichen Stille, nun, da keine Blicke mehr auf ihr ruhten, fand das Schwanken des Schiffs sie erneut. Dieses Mal stemmte Maud die Schuhe in den Boden und stellte sich vor, sie sei ein Anker, der im Meeresgrund steckte, zwischen den Algen.

Sie hatte versagt. Sie war allein. Doch sie würde nicht in sechs Tagen zu ihrem Bruder zurückkehren und ihm diese Geschichte erzählen.

Maud ging zu ihrer Truhe und holte das Notizbuch heraus, das nahe dem Boden zwischen zwei Büchern steckte. Sie blätterte durch die Seiten, die mit kurzen Absätzen in Robins flüchtiger Handschrift beschrieben waren, mit gelegentlichen Anmerkungen in Edwins ordentlicherer Schrift. In der Mitte des Buchs gab es eine Porträtskizze einer Frau: eine lange Nase und ein entschlossenes Kinn, die Helligkeit ihres Haares war anhand der fehlenden Schraffur auf der oberen Hälfe der Seite offensichtlich.

Es brachte gewisse Vorteile, wenn der ältere Bruder Zukunftsvisionen hatte.

Maud ergriff ihr Verankert-Sein. Sie würde die Dinge richten. Sie würde den Magier – oder die Magier – auf diesem Schiff aufspüren und herausfinden, wer von ihnen Mrs. Navenby getötet hatte. Sie würde diese gestohlenen Gegenstände zurückbekommen, jeden davon. Sie würde jene Leute finden, die noch nicht wussten, dass sie ihre Verbündeten waren, und sie würde deren Unterstützung gewinnen.

Und dann würde sie triumphierend in Southampton von Bord gehen, und Robin wäre stolz auf sie, und es würde die erste wichtige und wertvolle Sache sein, die Maud Blyth, Tochter und Schwester eines Baronets, in ihrem gesamten kurzen, nutzlosen Leben vollbracht hatte.

Freya  Marske

Über Freya Marske

Biografie

Freya Marske lebt in Australien und wurde bis jetzt noch nicht von der Tierwelt umgebracht. Sie schreibt Geschichten voller Magie, Blut und so vielen Küssen wie man ihr erlaubt. Zu ihren Hobbys gehören Eiskunstlauf und das Entdecken neuer Kunstgalerien, und sie hat es sich zur Mission gemacht, alle...

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