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A Marvellous Light (The Last Binding 1) A Marvellous Light (The Last Binding 1) - eBook-Ausgabe

Freya Marske
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Der magische Fluch

— Historische Fantasy in London mit einer queeren Grumpy-meets-Sunshine-Lovestory

„Wenn ein Buch Wörter wie ›Ehrpusseligkeit‹ enthält, ist das schon mal ein erstes Anzeichen dafür, dass es ein kostbares Buch sein könnte. Und ›A Marvellous Light‹ (…), funkelt.“ - Ruhr Nachrichten

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A Marvellous Light (The Last Binding 1) — Inhalt

Ein Herrenhaus, ein Heckenlabyrinth und ein magischer Fluch

England, 1908: Baronet Robin Blyth tritt seinen neuen Job an. Eigentlich hatte er einen langweiligen Verwaltungsposten erwartet, doch stattdessen ist er plötzlich Verbindungsmann zu einer magischen Geheimgesellschaft. Sein Vorgänger ist spurlos verschwunden – und hinterließ nur einen Haufen Feinde, die Robin mit einem tödlichen Fluch belegen. Seine einzige Hoffnung, dem Tod zu entrinnen, ist Edwin Courcey, sein unausstehlicher Kollege. Widerwillig müssen die beiden zusammenarbeiten und kommen dabei einer Verschwörung auf die Spur, die die gesamte magische Gesellschaft bedroht.

„Fantastischer Stil, erstklassiger Weltenbau, herrlich queer.“ T. J. Klune, Autor von „Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte“

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 03.05.2024
Übersetzt von: Hannah Brosch
528 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-70801-2
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€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erschienen am 03.05.2024
Übersetzt von: Hannah Brosch
528 Seiten
EAN 978-3-492-60771-1
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Leseprobe zu „A Marvellous Light (The Last Binding 1)“

1

Reginald Gatlings Verhängnis ereilte ihn unter einer Eiche, am letzten Sonntag eines schnell schwindenden Sommers.

Schwer atmend an die Eiche gelehnt, saß er da, jeder Atemzug schmerzte wie Nadelstiche. Seine Beine waren nicht zu spüren und bewegten sich auch nicht, wie Wachsklumpen, die irgendwie am Rest von ihm angebracht worden waren. Wenn er seine Hand auf die taube Masse legte, bekam er einen Brechreiz, daher griff er stattdessen kraftlos ins Gras. Die raue Baumrinde berührte seine Haut durch einen der Risse in seinem blutbefleckten Hemd. Die Risse [...]

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1

Reginald Gatlings Verhängnis ereilte ihn unter einer Eiche, am letzten Sonntag eines schnell schwindenden Sommers.

Schwer atmend an die Eiche gelehnt, saß er da, jeder Atemzug schmerzte wie Nadelstiche. Seine Beine waren nicht zu spüren und bewegten sich auch nicht, wie Wachsklumpen, die irgendwie am Rest von ihm angebracht worden waren. Wenn er seine Hand auf die taube Masse legte, bekam er einen Brechreiz, daher griff er stattdessen kraftlos ins Gras. Die raue Baumrinde berührte seine Haut durch einen der Risse in seinem blutbefleckten Hemd. Die Risse waren seine eigene Schuld, er war nicht rechtzeitig losgerannt, deshalb war ihm das Dickicht einer Brombeerhecke, die den See hier im St.-James-Park umgab, als der beste Fluchtweg erschienen. Die Brombeerranken hatten seine Kleidung zerrissen.

Das Blut stammte von dem, was danach passiert war.

„Schaut nur, wie er hechelt“, sagte einer der Männer in verächtlichem Ton. „Ihm hängt die Zunge heraus wie einem Hund.“

Das Beste, was sich im Augenblick über diesen Mann sagen ließ, war, dass er teilweise zwischen Reggie und der brennenden Sonne stand, die langsam den Nachmittagshimmel hinuntersank. Sie stand wie in einer Astgabel vor blauer Fläche, wie ein brennender Stein, der in einer Schleuder zurückgezogen wurde. Lauernd. Wartend. Jeden Augenblick konnte der Stein losgelassen werden und auf sie zufliegen, und sie alle würden gleißend vergehen.

Reggie hustete und versuchte den Unsinn zu verbannen, der in seinem Gehirn köchelte. Seine Rippen krampften sich erneut unter Schmerzen zusammen.

„Na, na“, sagte der andere Mann. „Lasst uns zumindest höflich bleiben.“ Die Stimme klang nicht verächtlich. Sie war so ruhig und gleichgültig wie der blaue Himmel, und die letzten Reste von Reggies Mut schrumpften dahin.

„George“, sagte Reggie. Ein Appell.

George mit der ruhigen Stimme stand zum Park gewandt und präsentierte Reggie die seidene Rückseite seiner Weste und das Weiß seiner Hemdsärmel, die Manschetten penibel hochgekrempelt, aber dennoch blutbefleckt. Er überblickte die grüne Freifläche am Fuß des niedrigen Hügels, den der Eichbaum krönte. An diesem Sonntag im Sommer war St. James voller Menschen, die noch einen letzten Rest schönen Wetters genießen wollten, ehe der Herbst sich über ihren Köpfen schließen würde. Kinder rannten kreischend umher, stürzten von Bäumen oder warfen Kieselsteine auf empörte Enten. Freunde picknickten, Paare spazierten mit zielloser Muße. Die Sonnenschirme der Damen verhakten sich, wenn sie einander passierten und die Gelegenheit nutzten, um ihre Spitzenärmel zu richten. Männer lagen dösend da, den Strohhut übers Gesicht gezogen, oder knabberten an einem Grashalm, während sie sich, auf einen Ellbogen gestützt, zurücklehnten und in einem Buch blätterten.

Keiner dieser Leute schaute zu George oder Reggie oder dem anderen Mann hin, und selbst wenn sie es getan hätten, wären ihre Blicke weitergewandert, ohne genauer hinzusehen oder beunruhigt zu sein. Keiner von ihnen hatte auch nur kurz aufgeblickt, als die Schreie begonnen hatten. Und auch nicht, als sie weitergegangen waren.

Schwach sah Reggie das perlenartige Säuseln der Luft, das den Verhüllungszauber kennzeichnete.

George wandte sich um, trat näher und ging in die Hocke, achtete auf seine Hose, während er einen Schmutzfleck von seiner polierten Schuhspitze wischte. Reggies gesamter Leib, einschließlich seiner wachsartigen Beine, versuchte vor Georges Lächeln zurückzuweichen. Seine Nerven erinnerten sich an Schmerzen und wollten den Körper selbst in die raue Rinde drücken, durch sie hindurch – sich irgendwie auflösen.

Doch der Baum war unnachgiebig, ebenso wie George.

„Reggie, mein lieber Junge“, seufzte George. „Wollen wir es noch einmal versuchen? Ich weiß, dass du einen Teil davon allein gefunden hast und dachtest, du könntest damit durchkommen, ihn vor uns zu verstecken.“

Reggie starrte ihn an. Das scharfe, überraschte Aufheulen eines Kindes, das sich wahrscheinlich das Knie aufgeschlagen hatte, erscholl irgendwo in der Ferne.

„Was um alles in der Welt hast du dir davon erhofft?“, fragte George. „Ausgerechnet du?“ Er stand wieder auf – es war eindeutig eine rhetorische Frage gewesen – und machte eine knappe Handbewegung zu seinem Begleiter, der seinen Platz vor Reggie einnahm.

Komm schon, dachte Reggie und schielte zu dem unverhüllten Sonnenball. Schleudere dich auf uns. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt.

„Du hast dieses Ding gefunden. Du hast es dir geschnappt. Jetzt sag uns, wo es ist“, verlangte der Mann.

„Ich kann nicht“, sagte Reggie, jedenfalls versuchte er es. Seine Zunge zuckte.

Der Mann brachte die Hände zusammen. Seine Technik hatte keinerlei Raffinesse, aber bei Gott, er war schnell, seine Finger flimmerten durch die kruden Formen des Fadenspiels und erwachten unter dem weißen Glühen seines Zaubers zum Leben, ehe Reggie auch nur Luft holen konnte. Dann hielt er Reggies Hände fest. Aus seinem Griff gab es kein Entrinnen. Seine dicken Brauen zogen sich zusammen, und er blickte stirnrunzelnd auf Reggies Handflächen, als wollte er ihm die Zukunft voraussagen.

Sie wird kurz sein, dachte Reggie hysterisch, dann kroch das Weiß über seine Haut, und er schrie erneut auf. Danach stand einer seiner Finger in einem schrecklichen Winkel ab. Er hatte sich aus dem Griff des Mannes gewunden.

„Was ist?“

Dieses Mal spürte der Schweigezwang Reggies verzweifeltes Bedürfnis nachzugeben und die Frage zu beantworten. Seine empfindliche, pochende Zunge fühlte sich jetzt an wie in dem Moment, als der Zauber geknüpft worden war: gebrandmarkt und kochend heiß. Er wimmerte erstickt und hielt sich das Gesicht. Der Laut, den er von sich gab, schien durch die Luft zu kriechen, dennoch hatte er auf die Parkidylle nicht die geringste Wirkung. Die Leute um sie herum hätten ebenso gut Figuren in einem Gemälde sein können, selig in ihrem Bilderrahmen und sich nicht im Geringsten des kleinen Kindes bewusst, das auf dem Marmorboden der Galerie gerade einen Wutanfall bekam.

„So eine Scheiße“, sagte der Mann. „Verfluchter kleiner Wurm. M’lord, schauen Sie mal.“

„Verdammt und zugenäht“, war Georges Kommentar, während er auf Reggies Zunge starrte, auf der offenbar das Zwangssymbol glühte. Es fühlte sich jedenfalls so an. „Das hat er sich nicht selbst angetan. Trotzdem, ein Schweigezwang hat seine Grenzen. Es gibt Möglichkeiten, ihn zu umgehen.“ Er runzelte die Stirn. „Was ist es, Reggie? Spiel Scharade, wenn nötig. Schreib es auf, zeichne es in die Erde. Finde eine Möglichkeit.“

Bei dieser Vorstellung stieg in Reggie ein Rest Hoffnung auf. Als er versuchte, die Hände zu bewegen, brannten sie unter einer plötzlich aufblitzenden, strafenden Hitze, dann wurden sie ebenso stur unempfänglich wie seine Beine. Nein. Es würde für keinen von ihnen so leicht sein.

George hatte die Augen zusammengekniffen. „Na gut. Wo ist es jetzt?“

Reggie zuckte vollkommen aufrichtig die Schultern.

„Wo hast du es zuletzt gesehen?“

Der Schmerz des Zwangs pulsierte warnend, und Reggie wagte es nicht, seine Stimme auszuprobieren. Doch dieses Mal hoben sich seine Hände, als er es ihnen befahl, und er winkte fieberhaft.

„Ha“, sagte der andere Mann. „Jetzt kommen wir weiter.“

„In der Tat.“ George blickte wieder hinaus in den Park. Er wandte den Blick nach Norden, dann drehte er sich weiter, in einem langsamen Kreis wie jemand, der sich verirrt hatte und nach Orientierungspunkten Ausschau hielt. Als er sich einmal um die eigene Achse gedreht hatte, begann er einen eigenen Zauber aufzubauen, mit der eleganten Meisterhaftigkeit eines Juweliers, der winzige Zahnräder legt.

George spreizte die magisch aufgeladenen Hände, und ein Stadtplan erschien vor Reggie, als hätte jemand eine kleine Tischdecke ausgeschüttelt und über eine Leine gehängt. Blaue Linien leuchteten in der Luft vor einem Hintergrund aus Nichts. Die dickste Linie bildete die vertraute Schlange der Themse, an deren Seiten sich die Stadt ausbreitete.

Reggie tippte auf die ungefähre Lage seiner Behörde. Seine Finger trafen nichts Greifbares, doch der Stadtplan veränderte sich und zeigte einen wesentlich kleineren Ausschnitt von London. Der Fluss bildete die östliche und südliche Grenze, und im Westen erstreckte sich die Stadt bis hinaus nach Kensington und folgte der Nordgrenze des Hyde Park. Es war ein herrlicher Zauber. Reggie fragte sich, wie viele Einzelheiten er entdecken würde, wenn er immer weiter auf den Plan tippte.

„Nicht, wo wir jetzt sind, du Schwachkopf.“

Dieses Mal schaffte Reggie es, auf das Gebäude selbst zu zeigen: Ja, ironischerweise lediglich einen Steinwurf entfernt, östlich von ihrem jetzigen Aufenthaltsort, auch wenn Reggies Finger näher an Whitehall war als am Ende von St. James.

„Dein Büro?“ Zum ersten Mal klang George überrascht.

Reggie schaffte es zu nicken, ehe der Zwang strafend brannte. Er nahm es kaum wahr, als sich der Stadtplan flimmernd auflöste. Er hatte noch immer die Zunge herausgestreckt, als könne er so die Schmerzen wegschieben, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. Die beiden Männer blickten durch den Park in Richtung des Gebäudes.

„Sollen wir …“, setzte der andere Mann an.

„Nein“, sagte George. „Und ich denke, das ist alles, was wir dem Schweigezwang entlocken können. Es genügt. Erledige das.“ George sah Reggie nicht an. „Wir sind hier fertig.“

Wieder bewegte der Mann mit der Mütze sich schnell. Das Zweitletzte, was Reggie sah, war der weiße Strom, der sich wie ein Spinnennetz erhob, um seinen ganzen Körper zu erfassen. Das Letzte war das Sonnenlicht, das auf dem Knauf von Georges Gehstock glänzte, während George durch den Vorhang seines eigenen Verhüllungszaubers spazierte und den Hügel hinabging, ohne Eile, ein Mann, der kein besonderes Ziel hatte, während Reggie seinen letzten Atemzug nahm.


2

Robin würde auf jeden Fall jemandem einen Faustschlag verpassen, noch ehe der Tag vorüber war.

Ganz oben auf seiner Liste idealer Kandidaten standen gerade der Gutsverwalter seiner Familie sowie der Kerl, der es heute Morgen auf der Treppe zum Innenministerium geschafft hatte, Robin mit seinem Regenschirm in den Fuß zu stechen. Und obwohl Robin niemals eine Frau geschlagen hätte, strapazierte der Ring seiner Stenotypistin, der unablässig auf deren Schreibtisch klopfte, seine Nerven noch mehr.

Robin riss sich zusammen. Er würde sich nicht als Tyrann aufspielen und das Mädchen wegen irgendwelcher Bagatellen anfahren, nicht an seinem allerersten Tag auf dieser Stelle. Er würde die Zähne zusammenbeißen und später in seinen Boxclub gehen, um seine Gefühle an einem willigen Gegner auszulassen.

Das Ring-Klopfen stoppte, als Schritte verkündeten, dass jemand das Vorzimmer betrat. Robin setzte sich an seinem Schreibtisch aufrechter hin und schob einen unordentlichen Aktenstapel einige Zentimeter nach links in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, das Ganze weniger danach aussehen zu lassen, als wäre ein Wirbelsturm durch eine Bibliothek gefegt. Das war dann wohl sein Neun-Uhr-Termin.

Hoffentlich hatte der andere verdammt noch mal eine Ahnung, worum es bei diesem Treffen überhaupt ging.

„Mr. Courcey“, ertönte Miss Morrisseys Stimme. „Guten Mor– …“

„Ist er da?“

„Ja, aber …“

Die Schritte hielten nicht inne, und der Sprecher kam direkt ins Zimmer.

„Was hast du bloß getrieben, ich war …“ Schweigen folgte den Worten des Mannes, als sein Blick auf Robin fiel. Er blieb abrupt stehen, nachdem er einige Schritte in den Raum getreten war. Damit befand er sich nur noch wenige Schritte von Robins Schreibtisch entfernt; es war ein kleines Büro.

Robin schluckte. Weniger als eine Sekunde lang hatte Erleichterung in der Stimme des Neuankömmlings gelegen, und er hatte ein ziemlich charmantes Lächeln im Gesicht gehabt. Dieses war erschreckenderweise gänzlich verschwunden, sodass Robin beinahe glaubte, er hätte es sich nur eingebildet.

Der Mann nahm eine Ledermappe von einer Hand in die andere. Er war schlank und blass, mit hellem, farblosem Haar, und sein Gesicht war jetzt zu einem unerfreulichen Ausdruck verzogen, der nahelegte, dass er auf der Straße in etwas getreten war, dessen Geruch gerade erst seine Nase erreicht hatte.

Es war, wie Robin sehnsüchtig sinnierte, ein Gesicht, das in hohem Maße zum Hineinschlagen einlud.

„Was verflucht und zum Teufel noch mal ist das? Wo steckt Reggie?“

„Wer ist Reggie?“ Es war bereits ein schwieriger Morgen gewesen. Robin war sich nicht zu schade, unhöflich zu kontern, da ihm Unhöflichkeit geboten worden war. „Und wer sind Sie, da wir schon dabei sind?“

Ein blaues Augenpaar wurde schmaler. Sie waren der einzige Farbklecks in der Miene des Mannes – ja, sogar in dessen gesamtem Erscheinungsbild. Seine Kleidung war gepflegt, teuer geschnitten, doch alles in ebenso unscheinbaren und tristen Farben wie sein stumpfes Haar.

„Ich bin die Königin von Dänemark“, sagte er mit kaltem Sarkasmus.

Robin verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch, um sich nicht an der Schreibtischkante festzuklammern. Er war derjenige, der hierhergehörte, sosehr ihm das auch gegen den Strich ging. „Und ich bin Leonardo da Vinci.“

Miss Morrissey erschien im Türrahmen. Möglicherweise ahnte sie, dass Blut fließen würde, sollte der Ton noch schärfer werden. Robin gelang es, sie nicht mehr so anzustarren, wie er es bei ihrer ersten Begegnung vor knapp einer Viertelstunde getan hatte. Natürlich hatte er schon Menschen aus Indien getroffen – und ihm waren auch schon einige weibliche Staatsbeamte begegnet, so selten sie auch sein mochten. Doch er hatte niemals erwartet, dass ein Beispiel beider Kategorien sich ihm ruhig als Miss Adelaide Harita Morrissey, seine einzige Untergebene, vorstellen und ihn mit einer Reihe vorwurfsvoller Kommentare bombardieren würde. Dass der Minister wirklich schon eher einen Ersatz hätte finden können, ob Mr. Gatling auf einen neuen Posten versetzt worden sei, und es täte ihr leid, dass auf dem Schreibtisch eine solche Unordnung herrsche, doch vielleicht könnten sie sich diese vornehmen nach seinem ersten Termin in – du liebes bisschen, fünf Minuten, nehmen Sie schon Platz, und sollte sie ihm eine Tasse Tee bringen?

Jetzt legte Miss Morrissey der Königin von Dänemark die Hand auf den Arm. „Mr. Courcey“, sagte sie eilig. „Das ist Sir Robert Blyth. Er ist Mr. Gatlings Nachfolger.“

Robin zuckte innerlich zusammen, dann verfluchte er sich dafür. Früher oder später würde er sich an den verdammten Ehrentitel gewöhnen müssen.

„Sir Robert“, fuhr sie fort, „das ist Mr. Edwin Courcey. Er ist der Verbindungsbeamte für Sonderangelegenheiten. Sie werden hauptsächlich mit ihm zusammenarbeiten.“

„Nachfolger.“ Courcey nahm Miss Morrissey ins Visier. „Was ist mit Reggie passiert?“

Reggie, so viel hatte Robin inzwischen begriffen, war Gatling. Wenn dieser und Courcey freundschaftlich verkehrt hatten und Gatling sich nicht die Mühe gemacht hatte, seinem Kollegen zu erzählen, dass er weitergezogen war – oder versetzt worden, da der Verwaltungsdienst Seiner Majestät manchmal so war –, hätte das dessen Überraschung erklärt, wenn nicht sogar dessen allgemein unwirsches Gebaren.

Miss Morrissey sah unzufrieden aus. „Niemand hat mir irgendetwas erzählt. Ich habe versucht, dem Büro des Ministers mitzuteilen – und auch der Vereinigung –, dass es selbst für Reggies Verhältnisse merkwürdig ist, ohne ein Wort vierzehn Tage lang zu verschwinden. Am Freitag erhielt ich eine knapp formulierte Mitteilung, in der stand, dass am Montag ein Nachfolger erscheinen würde. Und hier ist er.“

Courcey lenkte den Blick zu Robin. „Sir Robert. Mit wem, den ich kennen könnte, sind Sie verwandt?“

„Mit niemand Bestimmtem, dessen bin ich mir sicher“, sagte Robin durch die Zähne. Möglicherweise entsprach das nicht vollständig der Wahrheit, seine Eltern waren bekannt gewesen. Dafür hatten sie gesorgt. Aber schamloser Standesdünkel widerstrebte Robin.

„Ach, um Gottes …“ Courcey unterbrach sich. „Schätze, es spielt keine Rolle. Danke, Miss Morrissey.“

Die Schreibdame nickte und fegte wieder zurück zu ihrem eigenen Schreibtisch, wobei sie die Tür hinter sich zuzog.

Robin rutschte auf seinem Stuhl herum und versuchte, sich nicht eingesperrt zu fühlen. Es war wirklich ein beengtes Büro und dunkel obendrein. Das einzige Fenster versteckte sich betreten in der Nähe der Decke, als wollte es ausdrücken, dass es hier nur geduldet wurde und nicht beabsichtigte, etwas so Erfreuliches wie eine Aussicht zu bieten.

Courcey setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Robins Schreibtisch, öffnete seine Mappe, wobei er ein leeres Blatt zum Vorschein brachte, zog einen Stift aus seiner Westentasche und legte beides auf den Tisch, mit dem Habitus eines Mannes, der nicht darauf vorbereitet war, dass jemand seine Zeit verschwendete.

„Wie Miss Morrissey schon sagte, bin ich der Verbindungsbeamte zum Minister, was bedeutet …“

„Zu welchem Minister?“

„Ha“, machte Courcey säuerlich, als hätte Robin einen unlustigen Witz gemacht und nicht verzweifelt nachgefragt.

„Nein, ich meine es ernst“, sagte Robin. „Sie werden mir eine klare Antwort geben. Ich kann nicht den ganzen Tag hier herumsitzen und vorgeben zu wissen, was zum Teufel ich zu tun habe, denn ich weiß es nicht. Ich habe eine Stunde gebraucht, um heute Morgen hierherzufinden, und das größtenteils, indem ich an Türen geklopft habe. Assistent im Büro für spezielle Inlandsangelegenheiten und -beschwerden. Und das ist alles! Das gesamte Büro! Ich weiß nicht, unter welches Ministerium oder welches Amt es fällt! Ich weiß nicht einmal, an wen ich berichte!“

Courcey hob die Augenbrauen. „Sie berichten direkt an Asquith.“

„Ich … was?“

Das konnte auf keinen Fall stimmen. Diesen Niemands-Posten, so niedrig, dass keiner davon gehört hatte – und dennoch, murmelte ein Teil von Robins Hirn, hatte er seine eigene Schreibdame statt Zugang zu einem ganzen Raum von ihnen –, hatte man ihm gegeben, weil seine Eltern es geschafft hatten, sich die falsche Person zum Feind zu machen, und jetzt trug Robin die Folgen. Healsmith hätte nicht so selbstgefällig ausgesehen, wenn er Robin eine Stelle gegeben hätte, die direkt dem Premierminister unterstellt war.

Courceys Mund hatte jetzt etwas von einer Zitrone. „Sie wissen wirklich nicht einmal, wozu diese Stelle gedacht ist.“

Unbehaglich zuckte Robin mit den Schultern.

„Sonderangelegenheiten. Verbindungsbeamter.“ Courcey machte etwas mit seinen Händen, bewegte seine Finger aufeinander zu und wieder auseinander. „Speziell. Sie wissen schon.“

„Sind Sie etwa eine Art … Spion?“, wagte Robin eine Vermutung.

Courcey öffnete den Mund. Schloss den Mund. Öffnete ihn wieder. „Miss Morrissey!“

Die Tür öffnete sich. „Mr. Courcey, Sie …“

„Was“, sagte Robin, „macht Ihr Stift da?“

Es entstand eine lange Pause. Die Bürotür schloss sich wieder. Robin blickte nicht auf, um sich zu vergewissern, dass Miss Morrissey klugerweise auf der anderen Seite geblieben war. Er war zu sehr damit beschäftigt, auf Courceys Stift zu starren, der auf der Spitze stand. Nein – er bewegte sich, wobei die Spitze emsig Schnörkel aufs Papier malte. Das Datum stand rechts oben: Montag, 14. September 1908. Die Tinte – blau – war noch nicht getrocknet. Während Robin zusah, stahl sich der Stift zurück zum linken Rand des Blatts und verharrte dort wie ein Dienstbote, der hoffte, dass niemand ihn dabei beobachtet hatte, wie er beinahe das Salzfässchen hatte fallen lassen.

Courcey sagte: „Es ist ein ganz einfacher …“, dann brach er ab. Vielleicht war ihm klar geworden, dass er das Wort einfach für etwas verwendete, das alles andere war.

Vielleicht auch nicht.

Robins Kopf war seltsam leer, wie manchmal nach einer besonders gemeinen Prüfung, als hätte er dessen brauchbaren Inhalt mit den Fingern herausgeschöpft und grimmig aufs Papier geschmiert. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als er erfahren hatte, dass seine Eltern tot waren. Statt Überraschung das hier. Ein erschöpfter, ausgelaugter Geisteszustand.

Robin bewegte die Hand zwischen dem Stift und der Zimmerdecke. Nichts. Keine Drähte. Er wusste nicht einmal, wie so etwas mit Drähten hätte funktionieren sollen. Doch die Handlung erschien notwendig, der letzte Seufzer der Vernunft, ehe Akzeptanz hereinströmte.

In einem erbärmlichen Versuch, lässig zu wirken, sagte er: „Das heißt, als Sie Sonderangelegenheiten sagten …“

Courcey betrachtete Robin jetzt so, als gehöre dieser einer ungewöhnlichen Spezies an, der man in der Wildnis begegnete und die ein großes Maul voller noch größerer Zähne besaß. Kurz gesagt sah er aus, als sammle er seine Kräfte für einen Ringkampf und frage sich, warum Robin noch nicht zugeschlagen hatte.

Sie starrten einander an. Das schwache Licht blieb an den fahlen Spitzen von Courceys Wimpern hängen. Er war kein attraktiver Mann, doch Robin war von anderen Männern bisher nur als Auftakt zu Sex auf diese Weise gemustert worden, und allein diese intime Intensität sandte verwirrende Signale durch Robins Körper.

„Wissen Sie“, sagte er, „langsam kommt mir der Verdacht, dass hier ein Irrtum vorliegt.“

„Wie scharfsinnig von Ihnen“, sagte Courcey, noch immer angespannt wie ein Löwendompteur.

„Möglicherweise fehlt mir die eine oder andere wesentliche Qualifikation für diese Stelle.“

„In der Tat.“

„Ich nehme an, Ihr Kamerad Gatling konnte ebenfalls mit einem Fingerschnippen Tauben aus seinen Schreibtischschubladen zaubern?“

„Nein“, sagte Courcey, wobei er die Silbe in die Länge zog wie Karamell. „Diese Stelle gehört noch zum Innenministerium, es ist keine Position für einen Magier. Ich bin der Kontaktmann zum Ministerpräsidenten der Magiervereinigung.“

„Magier. Magisch. Magie.“ Robin warf wieder einen Blick auf den Stift. Er schwebte weiterhin gelassen vor sich hin. Er holte tief Luft. „In Ordnung.“

„In Ordnung?“ Der gereizte Ton ließ Courcey menschlicher wirken und passte zu dem, was in dessen Gesicht aufleuchtete. „Ernsthaft? Ich soll Ihnen abnehmen, dass dies das erste Mal ist, dass Sie auf irgendeine Art von Magie gestoßen sind, und Sie sitzen da, ohne auch nur … und das Beste, was Sie aufbringen können, ist in Ordnung?“ Die blauen Augen musterten ihn erneut. „Soll das ein Scherz sein? Hat Reggie Sie dazu angestiftet?“

Es schien ein wenig zu spät zu sein, um eine solche Frage zu stellen. Robin war nach Lachen zumute. Doch Courcey hatte keine so gewöhnliche Empfindung wie Hoffnung ausgestrahlt. Das Licht in seinem Gesicht hatte sich zurückgezogen, als wäre jemand, der eine Kerze an ein Glas hielt, einige Schritte zurückgetreten. Nun war sein resignierter Ausdruck der eines Menschen, über den des Öfteren gescherzt wurde und der wusste, dass man von ihm erwartete, mitzulachen, selbst wenn die Witze eher grausam als lustig waren. Robin hatte diesen Ausdruck bei den Gästen der verschwenderischen Abendgesellschaften seiner Eltern aufflackern sehen, und die Person, die die Witze machte, war meist Lady Blyth selbst gewesen.

„Das ist kein Scherz“, erklärte er mit fester Stimme. „Was soll ich denn stattdessen sagen?“

„Sie sind nicht im Begriff, anzudeuten, dass Sie wohl gerade den Verstand verlieren?“

„Ich fühle mich nicht, als hätte ich den Verstand verloren.“ Robin streckte die Hand aus und berührte den Stift. Er hatte nicht erwartet, ihn bewegen zu können, doch der Stift ließ sich packen und in der Luft umherziehen. Als er ihn losließ, glitt er zurück, um am Rande des Blattes schwebend zu verharren.

„Woher weiß er, was Sie von ihm wollen?“

„Er hat kein Bewusstsein“, sagte Courcey. „Es ist eine Durchtränkung.“

„Eine was?“

Courcey holte tief Luft und verschränkte die Hände. Robin, der auf Pembroke unter weit ausholenden Tutoren gelitten hatte, erkannte die Vorzeichen und wappnete sich.

Wie zu erwarten gewesen war, ergaben die Worte schnell keinen Sinn mehr. Anscheinend war Magie grundsätzlich genauso knifflig wie lateinische Grammatik und erforderte dieselbe Detailgenauigkeit, selbst wenn man nur etwas konstruierte, das Courcey als geringfügige Objekt-Durchtränkung beschrieb.

Der Stift, offenbar ergriffen von dem Wunsch, nützlich zu sein, schrieb alles, was Courcey sagte, in ordentlicher, spitzer Schrift auf. Doch auch schriftlich ergab das Ganze nicht mehr Sinn. Robins Blick blieb an dem Ausdruck wie ein juristischer Vertrag hängen, als Courcey erklärte, dass britische Magier eine knappe Geste verwendeten, die sie „Fadenknüpfen“ nannten, um die Bedingungen jeglichen Zaubers zu definieren, einschließlich derer, die es einem unschuldigen Stift ermöglichten, eifrig übers Papier zu flitzen.

„Unterschreibt der Stift den Vertrag dann selbst?“, fragte Robin, der kaum noch folgen konnte. Das brachte ihm einen weiteren misstrauischen Blick und zusammengepresste Lippen ein. Courcey fühlte sich eindeutig wieder auf die Schippe genommen. „Zeigen Sie mir etwas anderes“, versuchte Robin es stattdessen. „Irgendetwas.“

Courcey zog ein Stück seiner Lippe zwischen die Zähne. Er holte etwas aus derselben Tasche, die auch den magischen Stift beherbergt hatte, und warf einen Blick über die Schulter, als wolle er sich vergewissern, dass die Tür geschlossen war.

Robins Kopfhaut prickelte vor Aufregung. Er glaubte nicht, dass Courcey ihm tatsächlich schaden wollte, der Mann war viel zu kratzbürstig. Wenn er versucht hätte, liebenswürdig zu sein, dann hätte Robin sich Sorgen gemacht.

Was Courcey aus seiner Tasche gezogen hatte, war eine Schlaufe aus schlichter brauner Schnur, die er sich um beide Hände wickelte; dann hielt er sie etwa fünfundvierzig Zentimeter auseinander, wodurch sich die Schnur spannte.

„Wie beim Fadenspiel“, meinte Robin, und dann: „Oh“, als es ihm dämmerte. „Fadenknüpfen.“

„Ja. Und jetzt seien Sie still.“ Wieder verschwand die Lippe zwischen den Zähnen. Courceys helle Augenbrauen zogen sich zusammen.

Das Fadenspiel war eine Aktivität für zwei: Einer hielt die Schnüre, der andere nahm sie und zog sie in eine neue Position. Courcey spielte allein, und das komplexe Muster, das sich bildete, als er die Finger bewegte und mit den Daumen Schnüre umherschob, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Katzenwiege oder der Futterkrippe oder irgendeiner anderen Figur, an die sich Robin aus Kindertagen erinnerte.

Robins eigene Hände, die auf dem Schreibtisch lagen, fühlten sich langsam an, als hielte er sie an die offene Tür eines Eisschranks. Er konnte sich beinahe vorstellen, dass sein Atem anfing, Wolken zu bilden, wie er das im Winter tat, und Courceys Atem ebenfalls.

Dem war tatsächlich so.

Der Nebel zwischen ihnen wurde eine einzige dichte Wolke, ein weißer Klumpen von der Größe einer Walnuss. Courceys Finger bewegten sich weiter wie geschmeidige Häkelnadeln. Nachdem fast eine ganze Minute verstrichen war, erschien etwas Glitzerndes.

Robin war nie von der Sorte gewesen, die über die Fortschritte der Royal Society nachgrübelten, und hatte noch nie selbst ein Auge an ein Mikroskop gesetzt. Dennoch erkannte er diese Form. Die Schneeflocke war nicht größer als ein Penny, doch sie reflektierte das Licht, das winzige Komplexitäten und aufblitzende Farben zeigte. Sie wuchs noch immer.

In Courceys Miene erschien nun etwas anderes als Geringschätzung – als würde man mit der äußersten Pinselspitze Wasserfarbe auf ein feuchtes Blatt Papier geben. Konzentration. Befriedigung. Er behielt die wachsende Schneeflocke im Blick und zupfte wieder und wieder mit dem Zeigefinger an einer einzigen Stelle des wirren Netzes, wobei er einen stetigen Rhythmus beibehielt.

Als die Schneeflocke die Größe eines kleinen Apfels erreicht hatte, bewegten sich Courceys Finger schneller. Die Schneeflocke sank hinab und tropfte in einer Wasserpfütze auf Robins Schreibtisch.

Eine Reaktion schien angebracht. Robin fehlten die Worte. Er hatte jähen Schmerz empfunden, als die Schneeflocke, so sorgsam erschaffen, geschmolzen war. Er war auf stille, erstaunliche Weise entzückt, dass Courcey bei all seinem kurz angebundenen, pragmatischen Verhalten eine so hübsche Art von Magie ausgewählt hatte, um sie Robin zu zeigen. Er wollte sagen, dass die Schneeflocke ihn an ein Gemälde des Franzosen Monet erinnerte, das erst letztes Jahr bei einer Benefizauktion seiner Eltern verkauft worden war, doch er war zu verlegen.

„Das war schön“, sagte er letztlich. „Kann das jeder? Wenn es nur darum geht – Verträge zu schließen und zu lernen, wie man die Hände bewegt.“

„Nein. Man wird entweder mit Magie geboren oder nicht.“

Robin nickte erleichtert. Die ganze Sache war noch immer seltsam, faszinierend und kaum zu glauben. Doch er glaubte daran, und niemand würde von ihm erwarten, dass er irgendeinen akkuraten Vertrag mit einer immateriellen Macht abschloss, indem er mit den Fingern fuchtelte, daher wirkte es wie etwas, mit dem er leben konnte.

„Aber wenn das hier eine Position für Leute ist, die nicht damit geboren wurden“, sagte er, „müssen Sie es doch sicher gewohnt sein zu erklären, wie besonders diese Sache ist.“

„Üblicherweise berät der Ministerpräsident bei der Ernennung. Sie nehmen den Cousin von irgendjemandem. Jemandem, der keine Magie hat, aber über Magie Bescheid weiß.“ Courcey runzelte die Stirn. „Minister Lorne ist ein Freund des Ministerpräsidenten, er hat immer verstanden …“

„Oh“, machte Robin. „Nein, es war nicht Lorne. Er ist beurlaubt. Irgendetwas mit der Gesundheit seiner Frau. Healsmith ist derjenige, der mir die Tätigkeit übertragen hat.“

Courcey schüttelte den Kopf, wobei sich sein Stirnrunzeln vertiefte. „Kenne ich nicht. Und wenn er nichts davon weiß … Teufel noch mal, was für ein Chaos! Und nichts davon erklärt, wohin Reggie verschwunden ist und warum der Posten überhaupt frei war.“ Er stand auf, steckte sowohl den Stift als auch die Schnur ein, nahm seine Mappe und wandte sich zum Gehen.

„Warten Sie“, platzte Robin heraus. „Wir haben doch … einen Termin?“

„Mich um eine Entscheffelung zu kümmern, reicht für heute. Ich habe keine Zeit, Ihnen dazu noch Schritt für Schritt die Arbeit zu erklären. Fragen Sie Miss Morrissey – es klingt, als hätte sie ohnehin die Führung übernommen.“ Er tippte auf die Mappe. „Das hier hat bis morgen Zeit.“ Der Anflug von Emotionalität war wieder verschwunden. Sein Blick drückte aus, dass Courcey nicht unglücklich sein würde, bei seiner Rückkehr festzustellen, dass Robin ebenso plötzlich aus diesem Büro wieder verschwunden war, wie er aufgetaucht war.

Courcey ging. Robin fuhr mit der Fingerspitze durch die kleine Pfütze auf seinem Schreibtisch, verteilte die Flüssigkeit.

„Sir Robert?“

„Miss Morrissey.“ Robin zwang sich zu lächeln. Allein das bewirkte, dass sich seine Schultern entspannten.

Seine Schreibdame schloss die Bürotür und lehnte sich dagegen. „Mein Gott, was für ein Chaos!“

„Das hat Courcey auch gesagt.“

„Ich wusste nicht, dass Sie nicht Bescheid wussten.“ Miss Morrisseys Version des Löwendompteur-Blicks war erschreckenderweise furchtloser als die von Courcey. Sie sah aus, als kalkuliere sie gerade den gängigen Preis für Löwenfelle. Robin kalkulierte, wie wahrscheinlich es war, dass sie die letzten Minuten ein Glas an die Tür gehalten hatte. „Ich war noch nie in eine Entscheffelung verwickelt. Was hat er Ihnen gezeigt?“

„Entscheffelung?“

„›Wir sind der Menschheit herrliches Licht‹? Oh, das kennen Sie natürlich nicht … in der englischen Umgangssprache ist der Begriff offensichtlich biblisch – ›das Gleichnis vom Licht unter dem Scheffel‹ –, und die Franzosen sagen déclipser. Das ist deren Vorstellung von einem Wortspiel. Auf Panjabi hat das Wort nichts mit Licht zu tun, es ist entweder eine Schlangenhaut, die man ablegt, oder die Flut, die sich zurückzieht, je nachdem, wo man ist …“

„Halt“, sagte Robin. Das war wirklich, als sei er wieder an der Universität. „Bitte, Miss Morrissey. Tun Sie so, als sei ich sehr dumm. Einfache Formulierungen.“

„Entscheffelung. Eine Enthüllung von Magie.“ Miss Morrissey blickte entschuldigend drein. „Vielleicht sollte ich den Tee holen?“

„Tee“, sagte Robin erleichtert. „Genau das Richtige.“

Fünfzehn Minuten später hatten sie gemeinsam die Kanne geleert, ebenso wie einen Teller mit Butterkeksen. Robin hatte erfahren, dass Adelaide Harita Morrissey zunächst die Aufnahmeprüfung für die Arbeit im Hauptpostamt bestanden hatte und dann von Minister Lorne persönlich von einer Stelle als Gruppenleiterin weggeholt worden war, da er und ihr Großvater Mitglieder im selben Club waren und dieser ihren Namen hatte fallen lassen, als Lorne gerade auf der Suche gewesen war nach jemandem – „wie mir“, erklärte sie durch Kekskrümel hindurch. „Wie Reggie – Mr. Gatling.“

„Sie haben also keinerlei … Magie?“

„Keinen Tropfen“, sagte sie fröhlich. „Es ging alles an meine Schwester. So, dann wollen wir Sie mal richtig einarbeiten.“

Wie Robin feststellte, beinhaltete die Arbeit als Assistent im Büro für spezielle Inlandsangelegenheiten und -beschwerden eine verwirrende Mischung aus Analyse von Geheimdienstinformationen, Hellsehen und Fungieren als besserer Laufbursche. Er sollte Beschwerden, Briefe und reißerische Zeitungsartikel durchgehen und einschätzen, in welchen davon echte Magie vorkam. Alles Verdächtige sollte er zusammentragen und an den Kontaktmann weitergeben. Courcey.

Im Gegenzug würde Courcey ihm von allem Bevorstehenden erzählen, das von gewöhnlichen Menschen bemerkt werden könnte oder worüber der magische Beamtenapparat den Premierminister informieren wollte. Mittwochnachmittags um zwei würde Robin Bericht erstatten.

Beim Premierminister. Persönlich. Es war wirklich verrückt.

Einer der Wirbelsturm-Stapel auf dem Schreibtisch war Post, einiges davon war an Gatling selbst adressiert und noch ungeöffnet. Die Briefe, die an das Büro allgemein gerichtet waren, waren mit einem Brieföffner ausgenommen und dann gewissenhaft zurück in den Umschlag gestopft worden.

„Das meiste davon mache eigentlich schon seit Wochen ich“, sagte Miss Morrissey und strich mit dem Finger über den unregelmäßigen Rand eines geöffneten Kuverts. „Reggie hat mich ziemlich in der Tinte sitzen lassen, auch schon, ehe er verschwand. Er ist im ganzen Land herumgereist. Auf der Jagd nach Berichten, wie er sagte. Er verhielt sich, als sei er etwas sehr Wichtigem und Mysteriösem auf der Spur, aber ich dachte, ihm wäre einfach langweilig.“ Nachdenklich drehte sie den Ring an ihrem Mittelfinger.

„Er war noch nie sonderlich geeignet dafür, geduldig an einem Schreibtisch zu sitzen.“

„Ihnen ist doch wohl klar, dass das alles ein absurder Irrtum war“, sagte Robin. „Wie soll ich heraussuchen, was … Ihre Angelegenheiten sind und was reiner Unsinn? Ich bin hiermit nicht aufgewachsen. Ich werde nur im Trüben fischen.“

Miss Morrisseys beredter Blick hätte Robin genauso gut anklagen können, sie wieder zurück in die Tinte zu stoßen.

Robin wurde weich. „Aber natürlich helfe ich, so viel ich kann. Bis Courcey mit seinem Ministerpräsidenten spricht und das alles ausgebügelt bekommt. Bis jemand Geeignetes meinen Platz einnehmen kann. Es dauert sicher nur ein paar Tage.“

Freya  Marske

Über Freya Marske

Biografie

Freya Marske lebt in Australien und wurde bis jetzt noch nicht von der Tierwelt umgebracht. Sie schreibt Geschichten voller Magie, Blut und so vielen Küssen wie man ihr erlaubt. Zu ihren Hobbys gehören Eiskunstlauf und das Entdecken neuer Kunstgalerien, und sie hat es sich zur Mission gemacht, alle...

Pressestimmen
Ruhr Nachrichten

„Wenn ein Buch Wörter wie ›Ehrpusseligkeit‹ enthält, ist das schon mal ein erstes Anzeichen dafür, dass es ein kostbares Buch sein könnte. Und ›A Marvellous Light‹ (…), funkelt.“

buecherseitenrascheln

„Eine Leseempfehlung für das Buch, das mich mit einer originellen Handlung, facettenreichen Charakteren und einem besonderen Schreibstil überzeugt hat.“

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