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Level (Silo 2)

Hugh Howey
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Roman

„Abermals beklemmend, wieder mit einer großen, gesellschaftskritischen Geste. (...) Ein zugleich packendes und beängstigendes Buch.“ - Dresdner Neueste Nachrichten

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Level (Silo 2) — Inhalt

Wenn die Apokalypse überstanden ist, fängt der Kampf ums Überleben gerade erst an

Das Prequel zu „Silo“

2049. Die Erde ist unbewohnbar. Nur wenige haben überlebt. Ihre letzte Hoffnung liegt tief unter der Oberfläche. Im einzigen Ort, an dem sie noch sicher sind. Im Silo. Doch ihre Sicherheit hat einen hohen Preis: In den Silos wird das Leben autoritär organisiert und streng reglementiert. Und es fordert Opfer. Als ein Aufstand ausbricht, muss der Wärter Troy alle Bewohner in den sicheren Tod schicken. Doch Troy weiß mehr über die Silos, als alle vermuten …

Spannende Science-Fiction und verstörende Gesellschaftsvision zugleich

Die Bücher der „Silo“-Reihe:

Band 1: Silo

Band 2: Level

Band 3: Exit

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 01.02.2016
Übersetzt von: Gaby Wurster
432 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30677-5
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 11.08.2014
Übersetzt von: Gaby Wurster
432 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96791-4
Download Cover

Leseprobe zu „Level (Silo 2)“

2052

Fulton County, Georgia

Der Nieselregen am Morgen des Parteitags weichte die künstlichen Hügel auf, der neu verlegte Rasen war glitschig. Das Wetter konnte der allgemeinen Feststimmung jedoch wenig anhaben. Die Baufahrzeuge und die schlammverkrusteten Pick-ups waren von den Parkplätzen verschwunden, auf denen nun Hunderte von Bussen und ein paar schwarze Stretchlimos abgestellt waren.

Das Areal, auf dem zuvor die Bauarbeiter in ihren Mobilhäusern gewohnt hatten, war den Mitarbeitern und freiwilligen Helfern, den Delegierten und Würdenträgern übergeben [...]

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2052

Fulton County, Georgia

Der Nieselregen am Morgen des Parteitags weichte die künstlichen Hügel auf, der neu verlegte Rasen war glitschig. Das Wetter konnte der allgemeinen Feststimmung jedoch wenig anhaben. Die Baufahrzeuge und die schlammverkrusteten Pick-ups waren von den Parkplätzen verschwunden, auf denen nun Hunderte von Bussen und ein paar schwarze Stretchlimos abgestellt waren.

Das Areal, auf dem zuvor die Bauarbeiter in ihren Mobilhäusern gewohnt hatten, war den Mitarbeitern und freiwilligen Helfern, den Delegierten und Würdenträgern übergeben worden, die wochenlang geschuftet hatten, um diesen Tag Wirklichkeit werden zu lassen. Das Gelände war übersät mit Begrüßungszelten, in denen die Hauptquartiere der Veranstaltungskoordinatoren untergebracht waren. Scharen von Neuankömmlingen stiegen aus den Bussen und passierten in langen Reihen die Sicherheitsschleusen der ALEK. Die massiven Zäune waren zusätzlich mit Stacheldrahtrollen geschützt, was für einen Parteitag etwas übertrieben und lächerlich wirkte, im Zusammenhang mit der Lagerung atomaren Materials aber den Vorschriften entsprach. Diese Tore und Barrieren hielten eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Demonstranten in Schach – die Rechten, die den eingelagerten Müll heute nicht auf ihrem Land wollten, die Linken, die sich vor den Folgen in der Zukunft fürchteten.

Nie hatte ein Bundesparteitag eine solche Menschenmenge angezogen. Weit hinter den Baumwipfeln zeichnete sich Downtown Atlanta ab, wobei die Stadt mit der plötzlichen Hektik im Lower Fulton County nur wenig gemeinsam zu haben schien. Donald stand unter seinem Regenschirm auf einer kleinen Erhebung und blickte auf das Meer von Menschen, die zwischen den Hügeln zusammenkamen und mit hüpfenden Regenschirmen auf die verschiedenen Tribünen zuliefen, die mit der Flagge ihres jeweiligen Staates gekennzeichnet waren.

Irgendwo schmetterte eine Blaskapelle einen Ohrwurm. Es lag in der Luft, dass die Welt sich verändern würde – eine Frau sollte als Präsidentschaftskandidatin nominiert werden; in Donalds Leben war es erst die zweite derartige Nominierung. Und wenn man den Meinungsumfragen glauben durfte, hatte sie tatsächlich gute Chancen. Solange der Krieg im Iran nicht eine unerwartete Wendung nahm, würde man ein politisches Zeichen setzen und ein letztes überfälliges Tabu einreißen. Und genau hier würde es geschehen, zwischen diesen Hügeln. Donald schüttelte zwei Tabletten aus einem Plastikröhrchen in seine Hand. Drei Jahre auf Pillen, drei Jahre komplett angstfrei, er war herrlich betäubt.

Immer mehr Busse wühlten sich durch das Gelände und luden ihre Passagiere ab. Donald zog sein Handy aus der Tasche und sah nach der Uhrzeit. Noch immer zeigte das Display an, dass es keine Verbindung gab, das Netz war durch die Überlastung zusammengebrochen. Er war überrascht, dass das Präsidium trotz der sorgfältigen Planung nicht in Betracht gezogen hatte, vorübergehend ein oder zwei zusätzliche Masten aufzustellen.

„Abgeordneter Keene?“

Donald erschrak und fuhr herum, Anna kam über den Hügelkamm auf ihn zu. Er blickte hinunter auf die Tribüne von Georgia, sah aber ihren Wagen nicht. Es erstaunte ihn, dass sie einfach hier heraufkam. Andererseits sah es ihr natürlich ähnlich, dass sie immer den schwierigen Weg wählte.

„Ich habe dich erst gar nicht gefunden“, sagte sie fröhlich, „alle haben die gleichen Schirme.“

Er atmete tief ein, spürte, dass ihm die Brust noch immer eng wurde vor Nervosität, sobald er sie sah – als könnte jedes Gespräch ihn in Schwierigkeiten bringen.

Anna kam näher, als erwarte sie, dass er den Schirm mit ihr teilte. Er nahm ihn in die andere Hand, damit sie geschützter stand, Regentropfen spritzten auf seinen Arm. Er sah hinüber zum Busparkplatz und suchte sinnloserweise in der Menschenmenge nach Helen. Sie müsste mittlerweile angekommen sein.

„Das wird ein Chaos“, sagte Anna.

„Das wird sich schon alles noch ordnen.“

Eine Frau auf der Tribüne von North Carolina prüfte ihr Mikrofon, das Feedback kam pfeifend zurück.

„Wir werden sehen“, sagte Anna und zog ihren Mantel im frischen Morgenwind enger um sich. „Kommt Helen denn nicht?“

„Doch. Senator Thurman hat darauf bestanden. Sie wird nicht glücklich sein, wenn sie sieht, wie viele Leute hier sind. Sie hasst Massenaufläufe, und der Schlamm ist ganz bestimmt auch nicht nach ihrem Geschmack.“

Anna lachte.

Donald spähte noch einmal zur Tribüne von Georgia hinunter. Dort würden sich später am Tag zum ersten Mal die Bundesdelegierten versammeln, alle wichtigen Leute in einem Zelt. Das einzige Anzeichen für die unterirdische Anlage war ein kleiner Betonturm, der sich hinter der Tribüne zwischen den Versorgungszelten erhob. Ein Büschel Antennen ragte von der Turmspitze auf. Donald dachte daran, wie viel Arbeit es kosten würde, all die Flaggen und die durchnässten Bühnendekorationen wegzuschaffen, bevor die ersten ausgebrannten Brennstäbe schließlich eingelagert werden könnten.

„Eigenartig, wenn man bedenkt, dass ein paar Tausend Leute aus Tennessee, ohne es zu wissen, auf diesem Riesending herumtrampeln, das wir geplant haben“, sagte Anna. Ihr Arm berührte seinen Arm. Er stand ganz reglos da, überlegte, ob es Zufall gewesen war. „Ich wünschte, man könnte mehr von der Anlage sehen.“

Donald schauderte, eher vor Anstrengung, still zu stehen, als wegen der Kälte oder der feuchten Morgenluft. „Es ist verrückt, wie viel Zeit und Mühe wir in etwas investiert haben, das keiner je nutzen wird“, sagte er.

Anna murmelte zustimmend. Ihr Arm berührte noch immer den seinen. Noch immer keine Spur von Helen. Gegen jede Vernunft hatte Donald das Gefühl, dass er sie irgendwo in der Menge erkennen müsste. Normalerweise konnte er das. Er erinnerte sich an den Balkon hoch oben in dem Hotel auf Hawaii, wo sie ihre Flitterwochen verbracht hatten. Selbst von dort oben hatte er sie beim Morgenspaziergang am Strand sehen können, wo sie Muscheln gesucht hatte. Dort unten waren vielleicht ein paar Hundert Spaziergänger unterwegs gewesen, trotzdem hatte sie seinen Blick sofort auf sich gezogen.

„Ich schätze, die Anlage ist sowieso nur aus Versicherungsgründen gebaut worden.“ Donald wiederholte das, was der Senator gesagt hatte. Aber es klang noch immer verkehrt.

„Die Menschen wollen sich sicher fühlen“, sagte Anna. „Sie wollen wissen, dass sie sich an jemanden anlehnen oder sich an einen Ort zurückziehen können, wenn etwas Schlimmes passiert.“

Wieder lehnte Anna sich gegen Donalds Arm. Es war ganz bestimmt kein Zufall. Donald merkte, dass er zurückwich, und wusste, dass sie das ihrerseits spüren würde.

„Ich hatte wirklich gehofft, einen der anderen Bunker besichtigen zu können“, sagte er. „Es hätte mich interessiert, was sich die anderen Teams haben einfallen lassen. Ganz offensichtlich hatte ich aber nicht die Befugnis, man hat mich einfach nicht reingelassen.“

Anna lachte. „Ich hab’s auch versucht. Ich wollte unbedingt sehen, was die Konkurrenz gemacht hat, wobei ich verstehe, dass man vorsichtig ist.“ Sie ignorierte den Abstand, den er geschaffen hatte, und lehnte sich wieder an ihn. „Trotz der Zäune und Mauern kannst du darauf wetten, dass die ganze Welt ein Auge auf das hat, was hier geschieht.“

Donald nickte. Er wusste, dass Anna nicht den Parteitag meinte, sondern das große öffentliche Interesse, das eine Anlage wie die ALEK mit sich brachte.

„He, sieht so aus, als müsste ich wieder zurück“, sagte sie.

Er folgte ihrem Blick und sah Senator Thurman zu Fuß den Hügel heraufkommen, ein schwarzer Golfschirm hielt den Regen in einem breiten Kreis von ihm ab. Der Mann schien auf seine ganz eigene Weise unempfindlich gegen Schlamm und Schmutz zu sein, genauso, wie ihm auch das Verstreichen der Zeit nichts anhaben konnte.

Anna streckte die Hand aus und drückte Donalds Arm. „Glückwünsche noch mal. Es hat Spaß gemacht, mit dir an dieser Sache zu arbeiten.“

„Gleichfalls“, sagte er. „Wir sind ein gutes Team.“

Sie lächelte. Er fragte sich kurz, ob sie sich vorbeugen und ihn auf die Wange küssen würde. Es hätte sich ganz natürlich angefühlt. Aber dann war der Moment so schnell vorbei, wie er gekommen war. Anna verließ Donalds schützende Deckung und eilte dem Senator entgegen.

Thurman hob den Schirm, küsste seine Tochter auf die Wange und sah ihr nach, als sie den Hügel hinunterlief. Dann kam er die letzten Meter zu Donald herauf.

Eine Weile standen sie nur nebeneinander, der Regen trommelte gedämpft auf ihre Schirme.

„Sir?“, sagte Donald schließlich. Seit Neuestem fühlte er sich wieder wohl in Gegenwart dieses Mannes. Die letzten Wochen waren wie ein Sommerferienlager gewesen; fast den ganzen Tag hatte er mit denselben Leuten verbracht, was zu einer Familiarität und Vertrautheit geführt hatte, wie Donald sie nicht für möglich gehalten hätte. Erzwungene Gemeinschaft auf engstem Raum brachte die Menschen einander nahe – über das offensichtliche physische Beisammensein hinaus.

„Verfluchter Regen!“, war Thurmans Antwort.

„Man kann nicht alles unter Kontrolle haben“, sagte Donald.

Der Senator brummte, als wollte er widersprechen. „Ist Helen nicht hier?“

„Nein, Sir.“ Donald wühlte in der Tasche nach seinem Telefon. „Ich simse ihr gleich noch mal. Ich weiß nicht, ob meine SMS durchgeht, das Netz ist völlig überlastet. Das hat es mit Sicherheit vorher noch nicht gegeben, dass so viele Menschen in diese Ecke des Countys gekommen sind.“

„Nun, dieser Tag wird in jeder Hinsicht einmalig bleiben“, sagte Thurman. „Nichts wird mehr sein wie zuvor.“

„Das ist im Wesentlichen Ihr Verdienst, Sir. Ich meine, Sie haben diese Anlage nicht nur gebaut, Sie haben auch auf Ihre Kandidatur verzichtet. Sie hätten die Regierung dieses Jahr übernehmen können.“

Der Senator lachte. „Das war auch in anderen Jahren schon so, Donald. Aber ich habe gelernt, meine Ziele höher zu setzen.“

Donald verkrampfte sich wieder. Er konnte sich nicht erinnern, wann der Senator ihn das letzte Mal Donald genannt hatte. Vielleicht bei ihrem ersten Treffen in seinem Büro? Auch der alte Herr schien ungewöhnlich angespannt zu sein.

„Sobald Helen da ist, kommt ihr bitte zu mir ins Georgia-Zelt, ja?“

Donald zog das Handy heraus und sah auf die Uhr. „In einer Stunde müsste ich eigentlich im Tennessee-Zelt sein.“

„Planänderung. Ich will, dass du in der Heimat bleibst. Mick wird dich drüben vertreten. Ich brauche dich in meiner Nähe.“

„Sicher? Ich hatte ein Treffen mit …“

„Ich weiß. Vertrau mir, es ist alles in Ordnung. Ich will dich und Helen bei mir im Georgia-Zelt haben. Und außerdem …“, der Senator drehte sich um und sah ihm ins Gesicht, „… hast du mehr zu diesem Tag beigetragen, als du weißt.“

„Sir?“

„Heute wird sich die Welt verändern, Donny.“

Donald überlegte, ob der Senator in letzter Zeit wohl auf seine Nanobäder verzichtet hatte. Seine Pupillen wirkten geweitet und waren in die Ferne gerichtet. Irgendwie sah er älter aus.

„Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe …“

„Das wirst du. Ach, wir bekommen übrigens noch einen Überraschungsgast. Sie sollte jeden Moment hier sein.“ Thurman lächelte. „Die Nationalhymne ist für zwölf Uhr angesetzt. Danach gibt es eine Flugschau von der 141. Staffel. Ich will dich dabeihaben, wenn es so weit ist.“

Donald nickte. Er hatte gelernt, wann er aufhören musste, Fragen zu stellen, und einfach tun sollte, was der Senator von ihm verlangte.

„Ja, Sir.“

Senator Thurman lief den Hügel wieder hinunter. Mit dem Rücken zum Georgia-Zelt beobachtete Donald, wie der letzte Bus seine Passagiere entlud, und fragte sich, wo in aller Welt Helen nur blieb.



2110

Silo 1

Troy ging durch die Reihe der Kryo-Pods, als wüsste er, wohin er wollte. Es war genauso, wie seine Hand im Aufzug den Knopf gedrückt hatte, der ihn auf diese Etage gebracht hatte. Auf den kleinen Monitoren leuchteten die Namen, die man sich für die Menschen ausgedacht hatte. Phantasienamen. Er erinnerte sich, wie ihm sein eigener Name eingefallen war. Es hatte etwas mit seiner Frau zu tun gehabt, es war eine Art Hommage gewesen oder eine heimliche, unzulässige Eselsbrücke, damit er sich eines Tages an sie würde erinnern können.

Aber all das lag in der Vergangenheit, im Nebel, in einem vergessenen Traum. Vor seiner Schicht hatte es eine Orientierungsphase gegeben. Er hatte die üblichen Bücher lesen müssen. Damals hatte er sich seinen Namen ausgesucht.

Ein bitterer Geschmack auf seiner Zunge ließ ihn verharren. Es schmeckte wie eine Pille, die sich auflöste. Troy streckte die Zunge heraus und kratzte daran, aber da war nichts. Er spürte die Abszesse an seinem Zahnfleisch, erinnerte sich aber nicht, wie sie zustande gekommen waren.

Er ging weiter. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er sah sich selbst auf einer Liege, schreiend, jemand schnallte ihn fest, er bekam eine Injektion. Das war nicht er selbst. Er hielt die Stiefel eines Mannes in der Hand.

Er blieb stehen und las den Namen, der an der Kryo-Einheit vor ihm aufleuchtete. Helen. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, ein nagender Zweifel, das Gefühl, ein wichtiges Stück seiner selbst zurückgelassen zu haben. Mit dem Handballen wischte er den Frost vom Glas. Troy kannte die Person im Sarg nicht und ging weiter zum nächsten. Bilder aus der Zeit vor den Orientierungswochen kamen zurück.

Er erinnerte sich an Korridore voller weinender Menschen, erwachsener Männer, die schluchzend zusammenbrachen, an Tabletten, die ihnen Beruhigung verschafften. Bedrohliche Wolken zogen auf einem Videobildschirm auf. Frauen wurden zu ihrer eigenen Sicherheit weggebracht. Wie auf einem sinkenden Schiff. Frauen und Kinder zuerst.

Troy erinnerte sich: Es war kein Unfall gewesen. Er erinnerte sich an ein Gespräch in einem fremden Raum, in einem größeren Raum. Da war noch ein anderer Mann gewesen, das Gespräch hatte sich um das bevorstehende Ende der Welt gedreht, darum, dass alles beendet werden sollte, bevor es von selbst zu Ende ging.

Eine kontrollierte Explosion. Manchmal wurden die Bomben nur deshalb gezündet, weil ein Brand gelöscht werden sollte.

Er ging zu einem weiteren Glasdeckel und wischte den Frost ab. Die Augenwimpern der schlafenden Frau glitzerten vom Eis. Es war eine Fremde. Troy ging weiter, und Schritt für Schritt wurden die Erinnerungen deutlicher. Er erinnerte sich an eine Katastrophe, an einen Anschlag, der letztlich nur eine Inszenierung gewesen war: Die wahre Bedrohung lag in der Luft, war unsichtbar. Die Bomben hatten den Menschen nur Angst machen sollen. Sie waren wie Murmeln in eine Schüssel gepurzelt. Nicht in eine Schüssel – in einen Schacht. Jemand hatte erklärt, warum sie selbst verschont bleiben sollten. Troy sah wieder den weißen Nebel vor sich, sah sich durch einen weißen Nebel gehen. Der Tod war bereits in ihnen. Troy erinnerte sich an den metallischen Geschmack auf seiner Zunge.

Das Eis auf der nächsten Scheibe war schon abgekratzt, war kürzlich von jemandem weggewischt worden. Das Kondenswasser perlte in kleinen Linsen, in denen sich das Licht brach. Er rieb über das Glas und wusste, was geschehen war. Er sah die Frau im Inneren, ihr kastanienbraunes Haar, das sie manchmal zu einem Knoten gebunden hatte. Es war nicht seine Frau. Es war jemand, der sich für ihn zurechtgemacht hatte, der von ihm mit diesen Haaren gewollt werden wollte.

„Hallo?“

Troy wandte sich nach der Stimme um. Der Arzt der Nachtschicht kam auf ihn zu, lief eilig zwischen den Särgen hindurch. Troy drückte auf die wunde Stelle an seinem Arm. Er wollte nicht wieder gefangen werden. Sie konnten ihn nicht dazu bringen, dass er alles vergaß.

„Sie sollten nicht hier sein, Sir.“

Troy sagte nichts. Am Fuß der Kryo-Einheit blieb der Doktor stehen. Darin schlief eine Frau, die nicht seine Ehefrau war, es aber gern gewesen wäre.

„Warum kommen Sie nicht mit mir?“, fragte der Arzt.

„Ich würde gern bleiben“, sagte Troy. Er verspürte eine seltsame Gelassenheit. Aller Schmerz war verschwunden. Das hier war mächtiger als das Vergessen. Er erinnerte sich an alles. Seine Seele war frei.

„Sie können nicht bleiben, Sir. Kommen Sie mit. Sie werden hier drinnen noch erfrieren.“

Troy blickte an sich hinunter. Er hatte vergessen, Schuhe anzuziehen. Er hob die Zehen vom Boden, dann setzte er sie wieder ab.

„Bitte, Sir!“ Der junge Arzt deutete ans Ende des Raumes, versuchte ihn zum Gehen zu bewegen. Aus dem Korridor hörte Troy schwere Stiefel herankommen. Ein großer Mann vom Sicherheitsdienst erschien in der offenen Stahltür, er war sichtlich atemlos. Troy sah, wie der Arzt dem Mann ein Zeichen gab, dass er verschwinden sollte. Sie wollten Troy nicht erschrecken. Doch sein Schreck hätte in diesem Moment nicht größer sein können.

„Sie werden mich für immer wegsperren“, sagte Troy. Er blickte zum hinteren Ende des Raums, wo die leeren Särge aufbewahrt wurden, wie er wusste. Dort würde er begraben werden.

„Ganz ruhig“, sagte der Arzt.

Er brachte ihn zum Ausgang, und Troy wusste, dass er nun eine von diesen himmelblauen Spritzen bekommen würde. Sie schwiegen, während sie an den Kryo-Pods vorbeigingen. Der Sicherheitsmann stand in der Tür und atmete schwer, seine breite Brust hob und senkte sich in seinem Overall. Ein zweiter Mann kam heran, wieder war das Trampeln der Stiefel zu hören. Troy war klar, dass seine Schicht vorüber war. Zwei Wochen vor dem Ende. Er hätte es fast geschafft gehabt.

Der Arzt winkte die großen Männer aus dem Weg, offenbar hoffte er, dass er sie nicht brauchen würde. Sie schienen anderer Meinung zu sein und stellten sich auf beiden Seiten neben die Tür. Troy wurde den Gang entlanggeführt.

„Sie wissen Bescheid, nicht wahr?“, fragte er den Doktor und sah ihn an. „Sie erinnern sich an alles.“

Der Arzt sah Troy nicht an. Er nickte nur.

Das war wie Betrug, es war ungerecht.

„Warum dürfen Sie sich erinnern?“, fragte Troy weiter. Er hätte gern gewusst, warum diejenigen, die die Medikamente verteilten, sie nicht selbst nehmen mussten.

Der Arzt bat ihn in sein Sprechzimmer. Sein Helfer war da, im Schlafanzug hängte er einen Infusionsbeutel auf, der mit dem blauen Serum gefüllt war.

„Einige von uns erinnern sich“, sagte der Doktor, „weil wir wissen, dass wir nichts Böses getan haben.“ Stirnrunzelnd half er ihm auf die Liege. Er schien wirklich betrübt zu sein über Troys Zustand. „Wir arbeiten hier“, sagte er. „Wir retten die Welt, wir zerstören sie nicht. Die Medikamente wirken lediglich gegen unser schlechtes Gewissen.“ Er sah auf. „Und manche von uns haben eben keins.“

Am Eingang drängten sich die Sicherheitsleute, das Zimmer war überfüllt. Der Arzthelfer hakte Troys Overall auf, Troy sah ihm stumpf dabei zu.

„Man bräuchte noch eine ganz andere Medizin, um Einfluss auf das zu nehmen, was wir wissen“, sagte der Arzt. Er nahm ein Klemmbrett von der Wand. Nach einer Weile drückte er Troy einen Stift in die Hand.

Lachend unterschrieb Troy sein eigenes Urteil.

„Warum dann ich?“, fragte er. „Warum bin ich hier?“ Das hatte er in den vergangenen Wochen ständig jemanden fragen wollte, der es wissen könnte.

Lächelnd nahm der Doktor das Clipboard entgegen. Er war vielleicht Ende zwanzig und hatte erst vor wenigen Wochen seine Schicht angetreten. Troy würde in wenigen Jahren vierzig werden, und doch hatte der andere Mann alles Wissen, alle Antworten.

„Es ist gut, wenn Menschen wie Sie die Leitung übernehmen“, sagte der Arzt mit großem Ernst. Troy sah zu, wie sein Overall bis zur Taille hinunterrutschte. Ein Fingernagel schnippte mit einem hörbaren Klicken gegen die Spritze.

„Darüber würde ich gern nachdenken“, sagte Troy. Mit einem Mal überkam ihn Panik. Er wusste, dass alles, was nun kam, unvermeidlich war, aber er hätte gern noch einige Minuten seinen Gedanken nachgehangen, hätte den kurzen Moment des Verstehens gern länger ausgekostet. Er wollte schlafen, aber noch nicht jetzt.

Die Männer in der Tür wurden unruhig, als sie Troys Zweifel spürten und die Angst in seinen Augen sahen.

„Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit“, sagte der Doktor traurig. Er legte Troy eine Hand auf die Schulter und führte ihn zur Liege zurück. Die Sicherheitsleute kamen näher.

Ein Stich am Arm, ein plötzlicher Schmerz ohne Warnung. Troy blickte an sich hinunter und sah die silberne Nadel in seine Ader eindringen, das hellblaue Serum verschwand.

„Ich will nicht …“

Hände auf seinen Schienbeinen, seinen Knien, Gewicht auf seinen Schultern. Nur die Schwere in seiner Brust hatte andere Gründe.

Ein brennendes Kribbeln fuhr ihm durch den Körper, gefolgt von einer weichen Taubheit. Sie versetzten ihn nicht in Tiefschlaf – sie brachten ihn um! Troy wusste das so plötzlich und so schnell, wie er auch wusste, dass seine Frau tot war, dass eine andere Frau versucht hatte, ihren Platz einzunehmen. Dieses Mal würde er für immer in einem Sarg liegen. Und all die Erde über ihm würde endlich ihren Zweck erfüllen.

Dunkelheit umgab ihn, er schloss die Augen, wollte schreien, dass es aufhören solle, aber kein Ton kam aus seinem Mund. Er wollte treten und kämpfen, aber die Müdigkeit hatte ihn bereits im Griff. Er versank.

Seine letzten Gedanken galten seiner schönen Frau, ohne noch viel Sinn zu ergeben, die Gedanken gehörten bereits zu der Traumwelt, die über ihn hereinbrach.

Sie ist in Tennessee, dachte er. Er wusste nicht, woher oder warum er das wusste. Aber sie war dort und wartete. Sie war bereits tot und hatte neben sich eine Grube ausheben lassen, nur für ihn.

Troy hatte nur noch eine Frage, einen Namen, den er zu erfassen und festzuhalten hoffte, bevor er unterging, einen Teil seiner selbst, den er mit in diese Tiefen nehmen wollte. Er lag ihm auf der Zunge wie eine bittere Pille, er war so nah, dass Troy ihn schmecken konnte …

Und dann vergaß er ihn wieder.



2052

Fulton County, Georgia

Der Regen ließ schließlich nach. Die Haupttribühne war schon für die Gala am Abend geschmückt, und die Eröffnungsbands begannen ihr Programm.

Donald fühlte sich ein wenig klaustrophobisch vor der Georgia-Tribüne – so ganz unten in der Grube. Er hatte das unstillbare Bedürfnis, nach oben zu gehen, auf der Kuppe zu stehen und zu sehen, was los war. Er konnte sich lediglich vorstellen, wie sich die Gäste insgesamt zu Tausenden um die einzelnen Hügel versammelten, konnte sich den politischen Eifer nur ausmalen, der überall in der Luft hing, die Vereinigung gleichgesinnter Familien, die das Versprechen eines neuen Zeitalters feierten.

Sosehr Donald den Neuanfang auch mit ihnen hätte feiern wollen – er freute sich vor allem auf das Ende. Er konnte es nicht erwarten, dass der Parteitag vorüber wäre. Die Wochen hatten an ihm gezehrt. Er freute sich auf ein richtiges Bett, eine gewisse Privatsphäre, seinen Computer, ein zuverlässiges Telefonnetz, ein Essen im Restaurant und vor allem auf die Zeit, die er allein mit seiner Frau verbringen würde.

Er holte sein Handy aus der Tasche und sah zum x-ten Mal auf die Uhr. In wenigen Minuten würde man die Nationalhymne singen, dann würde die Flugschau beginnen. Zudem hatte er gehört, dass es ein Feuerwerk geben sollte, um den Parteitag mit einem lauten Knall zu eröffnen.

Auf dem Display sah er, dass seine letzten Nachrichten noch immer nicht verschickt worden waren. Das Netz war weiterhin blockiert. Eine Fehlermeldung blinkte auf, die er noch nie gesehen hatte. Er suchte mit den Augen die schlammigen Hänge nach Helen ab, hoffte, sie dort herabsteigen zu sehen, ihr Lächeln, das er aus jeder Entfernung erkennen würde.

Jemand stellte sich neben ihn. Donald wandte den Blick von den Hügeln und sah Anna neben sich vor der Tribüne.

„Es geht los“, sagte sie leise und blickte in die Menge.

Sie wirkte nervös und klang auch so. Vielleicht wegen ihres Vaters, der so viel Arbeit in die Haupttribüne gesteckt und sichergestellt hatte, dass jeder am richtigen Platz wäre. Donald blickte hinter sich, sah, dass die Leute zu ihren Sitzen gingen, der morgendliche Regen wurde von den Stühlen gewischt. Es waren weit weniger Menschen, als es zuvor den Anschein gehabt hatte. Entweder sie arbeiteten in den Zelten oder waren zu den anderen Tribünen hinübergegangen. Es war das leise Brodeln vor dem …

„Da ist sie!“

Anna wedelte mit den Armen. Donald spürte, wie sein Herz bis zum Hals klopfte, als er Annas Blick folgte. In seine Erleichterung mischte sich sofort die Panik, dass Helen ihn hier Seite an Seite mit Anna sehen könnte.

Dann sah er dort eine vertraute Gestalt den Hügel herunterkommen. Eine junge Frau in einer gestärkten blauen Uniform, die Mütze unterm Arm, ihr dunkles Haar war zu einem strengen Knoten gebunden.

„Charlotte?“ Donald beschattete seine Augen gegen die helle Mittagssonne, die nun durch die flaumigen Wolken brach. Ihm stand vor Verwunderung der Mund offen. Alle anderen Ereignisse und Sorgen gerieten für einen Moment in Vergessenheit, als seine Schwester ihn erkannte und die Hand hob.

„Sie hat es mit Sicherheit nur ganz knapp geschafft“, flüsterte Anna.

Donald lief zu seinem Geländewagen und drehte den Zündschlüssel. Der Wagen sprang an, er gab Gas und raste ihr über das nasse Gras entgegen.

Charlotte strahlte, als er am Fuß des Hügels abbremste. Er würgte den Motor ab.

„Hallo, Donny!“

Seine Schwester beugte sich über ihn, bevor er noch aussteigen konnte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn fest an sich.

Er erwiderte die Umarmung, gab jedoch acht, ihre perfekt gebügelte Uniform nicht zu ruinieren. „Was in aller Welt tust du hier?“, fragte er.

Sie ließ ihn los, wich einen Schritt zurück und strich die Vorderseite ihres Hemdes glatt. Die Mütze der Luftwaffe verschwand wieder unter ihrem Arm, jede Bewegung wirkte einstudiert und akkurat.

„Bist du überrascht?“, fragte sie. „Ich dachte, der Senator hätte es dir inzwischen verraten.“

„Nein, verdammt! Er hat etwas von einem Überraschungsgast gesagt, aber nicht, wer genau es sein würde. Ich dachte, du bist im Iran. Hat Thurman das eingefädelt?“

Sie nickte. Donald grinste so breit, dass er spürte, wie sich seine Wangen verkrampften. Immer wenn er sie sah, stellte er erleichtert fest, dass sie nach wie vor dieselbe war. Das spitze Kinn und die Sommersprossen auf der Nase, ihre leuchtenden Augen, die noch nicht stumpf geworden waren von dem Grauen, das sie gesehen hatte. Sie war gerade erst dreißig geworden. Sie war am anderen Ende der Welt gewesen und hatte ohne Familie ihren Geburtstag begangen, aber in Donalds Vorstellung war sie noch immer das junge Mädchen, das sich gerade zur Armee gemeldet hatte.

„Ich glaube, ich muss bei der Gala heute Abend auf die Bühne.“

„Natürlich.“ Donald lächelte. „Sie wollen dich sicherlich filmen, um später ihre Unterstützung für die Truppen vorführen zu können.“

Charlotte zog die Augenbrauen zusammen. „Mein Gott, ich bin wirklich eine von denen, nicht wahr?“

Er lachte. „Es sind sicherlich noch andere vom Militär dabei, die Navy und die Marines.“

„Oh ja, aber ich bin das einzige Mädchen!“

Sie lachten zusammen, eine der Bands hinter den Hügeln beendete ihr Programm. Donald eilte zum Wagen und ließ seine Schwester einsteigen. Er fühlte sich auf einmal seltsam erleichtert. Das Wetter hatte sich verändert, die Wolken lösten sich auf, es wurde ruhig auf den Tribünen, und nun tauchte völlig überraschend auch noch seine Familie auf!

Er ließ den Motor an und fuhr über den am wenigsten morastigen Weg zurück zur Tribüne. Seine Schwester hielt sich hinter ihm fest. Er bremste neben Anna, und seine Schwester sprang aus dem Wagen und fiel ihr in die Arme. Während die beiden plauderten, stellte Donald den Motor ab und sah auf seinem Handy nach Nachrichten. Endlich hatte er eine Verbindung bekommen.

Helen: Bin in Tennessee. Wo bist du?

Er versuchte, einen Sinn aus der SMS herauszulesen, und geriet kurz in Panik. Was zum Teufel tat Helen in Tennessee?

Eine weitere Tribüne wurde ruhig. Donald brauchte nur ein, zwei Herzschläge, um sich darüber klar zu werden, dass seine Frau nicht Hunderte Kilometer entfernt war. Sie saß lediglich auf der anderen Seite des Hügels. Keine seiner Nachrichten – dass sie sich vor der Georgia-Tribüne treffen sollten – war gesendet worden.

„He, bin gleich wieder zurück!“

Er ließ den Geländewagen an. Anna packte sein Handgelenk.

„Wohin willst du?“

Er lächelte. „Tennessee. Helen hat sich gemeldet.“

Anna blickte in die Wolken, Charlotte begutachtete ihre Mütze. Auf der Bühne wurde ein junges Mädchen zum Mikrofon geführt, an ihrer Seite ein farbiger Bodyguard. Die Plätze vor der Bühne füllten sich, Hälse reckten sich erwartungsvoll.

Bevor Donald etwas dagegen tun oder den Gang einlegen konnte, griff Anna über ihn hinweg und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss.

„Nicht jetzt“, sagte sie.

Donald spürte die Wut als Welle in seiner Brust. Er wollte ihre Hände packen, den Schlüssel packen, aber sie hielt ihn hinter ihrem Rücken versteckt.

„Warte!“, zischte sie.

Charlotte blickte zur Bühne. Senator Thurman stand oben mit dem Mikrofon in der Hand, neben ihm das etwa sechzehnjährige Mädchen. Auf der Tribüne war es totenstill geworden. Donald wurde sich bewusst, was für einen Krach der Wagen gemacht hätte. Das Mädchen würde jetzt gleich singen.

„Meine Damen und Herren, liebe Parteigenossinnen und -genossen …“

Pause. Donald stieg aus dem Wagen, warf einen letzten Blick auf sein Handy und steckte es ein.

„… und Freunde aus der Opposition.“

Gelächter in der Menge. Donald lief schnell über den flachen Boden am Fuß des Hügels. Seine Schuhe quietschten im nassen Gras und auf der dünnen Schlammschicht. Senator Thurmans Stimme schallte weiter über die Menge:

„Heute bricht eine neue Ära an, ein neues Zeitalter.“

Donald war nicht mehr trainiert, seine Schuhe wurden schwer vom Schmutz.

„Nachdem wir uns hier am Ort unserer zukünftigen Unabhängigkeit versammelt haben …“

Als das Gelände anstieg, war Donald schon außer Puste.

„… erinnere ich mich an die Worte eines unserer Gegner, eines Republikaners.“

Leises Lachen, aber Donald achtete nicht darauf, er konzentrierte sich auf den Aufstieg.

„Ronald Reagan sagte einmal, dass man für die Freiheit kämpfen müsse, dass man sich den Frieden erarbeiten müsse. Wenn wir nun der Hymne lauschen, die in einer Zeit geschrieben wurde, als Bomben fielen und ein neues Land entstand, lasst uns des Preises gedenken, den wir für unsere Freiheit bezahlt haben. Fragen wir uns selbst, ob je ein Preis zu hoch sein könnte, um zu garantieren, dass wir auf diese Freiheit niemals verzichten müssen.“

Nach einem Drittel des Aufstiegs musste Donald stehen bleiben und nach Luft schnappen. Er bereute es, in den vergangenen Wochen jede noch so kurze Strecke gefahren zu sein. Er nahm sich vor, wieder fitter zu werden.

Donald blickte auf die Bühne hinunter, wo nun die Nationalhymne von einer wunderschönen jungen Stimme vorgetragen wurde – und er sah Anna hinter sich den Hügel hinaufkommen. Während der Nationalhymne saßen alle Teilnehmer auf den Plätzen, die man ihnen zugewiesen hatte, und er fragte sich, ob er die Hymne entweihte, wenn er hier hochkletterte. Er drehte Anna den Rücken zu und ging mit neuer Entschlossenheit weiter, hörte dabei den Text der Hymne:

„… O’er the ramparts we watched …“

Es war leicht zu erkennen, was in den letzten Wochen aus den Grabungen geworden war – einzelne Staaten voller Menschen, Waren, Vieh. Fünfzig Staaten, in denen nun der große Feiertag abgehalten wurde.

„… And the rockets’ red glare, the bombs bursting in air, …“

Er war oben angelangt und sog die frische, saubere Luft in seine Lungen ein. Unten auf der Bühne schwangen träge Flaggen im leichten Wind.

Jemand packte ihn am Handgelenk.

„Komm zurück!“, zischte Anna.

Er keuchte. Auch Anna war außer Atem, ihre Knie waren voller Schlamm und Gras. Sie musste auf dem Weg nach oben ausgerutscht sein.

„Helen weiß nicht, wo ich bin“, sagte er.

„… does that star-spangled banner yet wave …“

Noch vor dem Ende der Hymne brandete der Applaus auf. Donald sah die Düsenjets, die von ferne herangeschossen kamen. Eine funkelnde Formation, deren Tragflächen sich an den Spitzen fast berührten.

„Komm wieder nach unten, verdammt noch mal!“, schrie Anna und zerrte an seinem Arm.

Donald riss seine Hand weg. Er war gefesselt vom Anblick der herannahenden Jets.

„Lass mich los!“, schrie er, als Anna ihn packte und mit aller Macht den Hügel wieder hinunterziehen wollte.

Die Luft vibrierte vom Donnern der Flieger. Die Triebwerke kreischten, als die Jets ihre Formation auflösten und hinauf in die weißen Wolken flogen.

„Verflucht, Donny, wir müssen da runter!“

Der erste Blitz kam, bevor Anna ihm die Augen zuhalten konnte. Ein helles Licht am Rande seines Gesichtsfelds aus Richtung Downtown Atlanta. Ein Blitz mitten am Tag. Donald wandte sich um, erwartete Donner zu hören. Der Lichtblitz war zu einer gleißenden Helligkeit geworden. Anna hatte die Arme um seine Taille gelegt und zog ihn zurück. Da war auch seine Schwester, sie keuchte, hielt sich die Augen zu, schrie. „Was zum Teufel ist das?“

Wieder ein Blitz, so hell, dass er Sterne vor den Augen hatte. Sirenen schrillten aus allen Lautsprechern. Donald war halb blind. Sogar als dann die Pilzwolken von der Erde aufstiegen – unglaublich groß für diese Entfernung –, brauchte er noch einen Moment, um zu begreifen, was geschah.

Die beiden Frauen zogen ihn hügelabwärts. Der Applaus war in Geschrei umgeschlagen, das die brüllende Sirene sogar noch übertönte. Donald sah kaum etwas. Er stolperte rückwärts und stürzte, sie glitten zu dritt aus und rutschten den Hügel hinunter, auf dem nassen Gras in Richtung Bühne. Die wolkigen Spitzen der Explosionen stiegen höher und höher.

„Was ist los?“, schrie er.

Irgendetwas entglitt ihm, er konnte sich nicht mehr erinnern, was es war. Wie war er hier hochgekommen? Was passierte hier?

„Los, los, los!“, sagte Anna.

Seine Schwester fluchte, sie war so verwirrt und erschrocken wie er selbst.

„Das Hauptzelt!“

Donald fuhr herum, seine Absätze rutschten im Gras, seine Hände waren nass vom Regen und voller Schlamm und Gras. Wann war er hingefallen?

Die drei stolperten die letzten Meter des Hangs hinunter, als das ferne Grollen des Donners sie endlich erreichte. Die Pilzwolken am Himmel schienen vor den Donnerschlägen zu fliehen, zur Seite geschoben zu werden von einem unnatürlichen Wind. Die Unterseiten der Wolken blitzten und blinkten, als würden noch weitere Bomben detonieren. Unten auf der Tribüne versuchten die Menschen nicht etwa, aus dem Amphitheater zu flüchten, sie rannten stattdessen in die Zelte, gelenkt von freiwilligen Helfern, die sie hindurchwinkten. Die Essens- und Marktstände wurden weggeräumt, die Bestuhlung war umgeworfen und zu einem Wirrwarr aufgetürmt worden. Ein Hund, noch immer an einen Pfosten gebunden, bellte.

Einige Menschen schienen noch im Vollbesitz ihrer Sinne zu sein. Anna war eine von ihnen. Donald sah, wie der Senator in einem kleinen Zelt die Menschenströme koordinierte. Wohin wollten all diese Leute? Donald fühlte sich ausgebrannt und leer, als er zusammen mit den anderen weitergetrieben wurde. Sein Verstand brauchte lange, um zu verarbeiten, was er gerade gesehen hatte. Atomexplosionen. Was er bisher nur von körnigen Kriegsvideos gekannt hatte, spielte sich nun in unmittelbarer Nähe live ab. Echte Atombomben, die tatsächlich explodiert waren.

Nackte Todesangst überkam ihn. In einem Winkel seines Gehirns wusste Donald, dass sie alle sterben würden. Es war das Ende von allem. Man konnte dem Tod nicht entkommen. Es gab kein Versteck. Abschnitte eines Buches, das er gelesen hatte, kamen ihm in den Sinn, Tausende Paragrafen, die er auswendig gelernt hatte. Er tastete in seiner Hose nach seinen Pillen, aber da waren sie nicht. Er blickte hinter sich und versuchte sich zu erinnern, was er zurückgelassen hatte …

Anna und Charlotte zogen ihn am Senator vorbei, der eine Miene grimmiger Entschlossenheit aufgesetzt hatte. Die Zeltklappe schlug Donald ins Gesicht. Vor seinen Augen sah er noch die Blitze der Detonationen. Die Menschen drängten sich in das Zelt, aber nicht so viele, wie es hätten sein müssen. Wo waren denn alle? Es ergab keinen Sinn, bis er merkte, dass er eine Betonrampe hinabgetrieben wurde. Überall Leiber, rempelnde Schultern, Menschen, die nach einander riefen, ausgestreckte Hände, Ehepaare, die getrennt worden waren. Manche weinten, andere waren vollkommen gefasst …

Ehepaare.

Helen!

Donald schrie ihren Namen in die Menge. Er drehte sich um und versuchte, gegen den Strom der panischen Menschen anzukämpfen. Anna und Charlotte zerrten an ihm. Die Leute drängten nach unten und wurden von oben weitergeschoben. Donald wurde in die Tiefe gespült.

„Helen!“

Oh Gott, jetzt fiel es ihm wieder ein.

Ihm fiel ein, was er zurückgelassen hatte.

Die Panik wich der Angst. Er sah wieder klar. Aber gegen das Unvermeidliche konnte er nichts ausrichten.

Er erinnerte sich an ein Gespräch mit dem Senator über das Ende von allem. Die Luft war aufgeladen, auf seiner Zunge schmeckte er totes Metall, weißer Nebel hüllte ihn ein. Er erinnerte sich an den Inhalt eines Buches. Er wusste, was es war, wusste, was passierte.

Die Welt war untergegangen.

Eine neue Welt verschlang ihn.





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Sie wollen lesen, was nach „Level“ geschah? Hugh Howey erzählt diese Geschichte in „Silo“. Hier können Sie auch in „Silo“ reinlesen:


SILO von Hugh Howey


1. Kapitel


Die Kinder spielten, als Holston in den Tod hinaufstieg. Erhörte sie kreischen, wie nur glückliche Kinder es tun. Wild tobten sie dort oben umher, während er ganz langsam die Wendeltreppe hinaufging, jeder Schritt bedacht und schwer, seine alten Stiefel dröhnten auf den Stahlstufen.Die Stufen zeigten, wie auch die Stiefel seines Vaters, deutliche Spuren der Abnutzung. Es klebten Farbbläschen daran, vor allem in den Ecken und an der Unterseite, wo die Stufen vor den Tritten geschützt waren.

Der Verkehr weiter unten auf der Treppe wirbelte kleine Staubwölkchen auf. Holston spürte die Vibrationen am Geländer, das bis auf das glänzende Metall abgewetzt war. Das hatte ihn immer fasziniert – dass nackte Handflächen und schlurfende Füße massiven Stahl im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich abschleifen konnten. Molekül für Molekül, dachte er. Jedes Leben schliff eine Schicht ab, während der Silo eben dieses Leben schleifte. Die Stufen waren von generationenlangem Verkehr durchgetreten, die Kante hing herab wie eine schmollende Unterlippe.In der Mitte waren fast keine Spuren der kleinen Noppen geblieben, die den Stufen einmal Trittsicherheit verliehen hatten.

Man konnte sie nur noch an den Seiten erahnen, wo kleine konische Erhebungen mit gezackten Kanten und Farbspritzern aus dem flachen Stahl ragten. Holston setzte einen Stiefel auf eine alte Stufe, er trat auf und wiederholte die Bewegung dann mit dem anderen Bein. In Gedanken war er weiter bei diesen unzähligen Jahren: Moleküle und Leben waren Schicht um Schicht zu feinem Staub zermahlen worden. Und er dachte nicht zum ersten Mal, dass weder das Leben noch die Treppe für diese Art von Existenz bestimmt waren. Die enge und lange Spirale, die sich durch den unterirdischen Silo wand wie ein Strohhalm in einem Glas, war nicht für eine derart massenhafte Benutzung gebaut worden. Wie der Großteil ihres zylindrischen Heims schien die Treppe für andere Aufgaben gedacht, für Zwecke, die lange vergessen waren. Was nun als Verkehrsachse für Tausende Leute diente, die sich in täglichen, sich wiederholenden Spiralen hinauf- und hinunterbewegten, schien in Holstons Augen eher für Notfälle und für lediglich ein paar Dutzend Menschen geeignet zu sein. Holston ließ ein weiteres Stockwerk hinter sich, in das man kuchenstückförmige Schlafsäle eingeteilt hatte. Während er auf seinem allerletzten Gang die letzten Ebenen hinaufstieg, drang der Klang kindlicher Ausgelassenheit immer lauter zu ihm herab. Das Gelächter der jungen Seelen, die noch kein Bewusstsein für ihren Lebensraum entwickelt hatten, die noch nicht den Druck der Erde von allen Seiten spürten und in ihrer Vorstellung nicht begraben, sondern einfach nur lebendig waren– ein unbeschwertes Geträller, das so gar nicht zu Holston sVorhaben passte, zu seiner Entscheidung, nach draußen zugehen.

Eine einzelne junge Stimme übertönte die anderen, als er sich der obersten Ebene näherte. Holston erinnerte sich an seine Kindheit im Silo, an seine Schulzeit, die Spiele. Damals war der stickige Betonsilo mit seinen vielen Stockwerken, mit den Werkstätten, Hydrokulturgärten und dem Gewirr der Lüftungsrohre ein unermessliches Universum gewesen, eine weite Welt, die man nie zur Gänze erkunden konnte, ein Labyrinth, in dem er und seine Freunde sich für immer verirren konnten.Doch diese Zeiten waren seit mehr als dreißig Jahren vorbei. Holston hatte das Gefühl, seine Kindheit läge zwei, drei Leben zurück und gehöre zu jemand anderem. Nicht zu ihm. Er war sein Leben lang Polizist gewesen, das wog schwer und blendete die Vergangenheit aus. Außerdem hatte kürzlich ein dritter Lebensabschnitt begonnen – ein geheimes Leben nach seiner Kindheit und nach seiner Zeit als Polizist. Es war die letzte Schicht seiner selbst, die zu Staub zerfallen war. Drei Jahre lang hatte er still auf etwas gewartet, das niemals eintreten würde.Ganz oben glitt Holstons Hand am Geländer ins Leere. Die geschwungene Stange aus abgewetztem Stahl endete mit der Wendeltreppe, die sich in den größten Raum des ganzen Silos öffnete – die Kantine und den angrenzenden Aufenthaltsraum.Holston war nun auf einer Ebene mit den spielenden Kindern. Helle Gestalten flitzten kreuz und quer zwischen den herumstehenden Stühlen umher und spielten Fangen. Ein paar wenige Erwachsene versuchten, dem Chaos Herr zu werden. Holston sah, wie Donna Kreide und Stifte von den fleckigen Bodenfliesen aufhob.

Clarke, ihr Mann, saß an einemTisch, der mit Saftbechern und Schalen voller Maismehlkekse gedeckt war. Holston blickte auf die Wand der Kantine und die verschwommene Panoramaprojektion – dem umfassendsten zusammenhängenden Blick auf die unwirtliche Welt dort draußen. Es war Morgen, trübes Dämmerlicht überzog die leblosen Hügel, die sich seit Holstons Kindheit kaum verändert hatten.Da waren sie, so wie sie immer da gewesen waren, während er sich von einem unbeschwert in der Kantine spielenden Jungen zu der ausgebrannten Hülle entwickelt hatte, die heute noch von ihm übrig war. Hinter den sich erhaben wellenden Hügelkämmen wurden die schwachen Strahlen der Morgensonne von der Spitze der vor sich hin rottenden Skyline reflektiert. Altes Glas und Stahl standen dort in der Ferne, wo vermutlich einmal Menschen auf der Erdoberfläche gelebt hatten. Ein Kind löste sich wie ein Komet aus der Gruppe und stieß gegen Holstons Knie. Unvermittelt dachte er an die Lotterie, die sie in Allisons Todesjahr gewonnen hatten. Er hatte noch immer das Los, nahm es überall mit hin.

Eines dieser Kinder hätte ihres sein können – ein Mädchen oder ein Junge, es wäre nun zwei Jahre alt und würde mit den anderen Kleinen herumtoben. Wie alle Eltern hatten sie von doppeltem Zwillingsglück geträumt. Sie hatten es versucht, natürlich hatten sie das. Nachdem Allisons Hormonimplantat entfernt worden war, hatten sie eine wundervolle Nacht nach der anderen versucht, den Gewinn einzulösen. Einige Eltern hatten ihnen Glück gewünscht, andere hoffnungsfrohe Kandidaten hatten still gebetet, dass ihr Jahr erfolglos vorüberginge. Allison und er hatten gewusst, dass ihnen nur ein Jahr zur Verfügung stand, also hatten sie jedes nur erdenkliche Hilfsmittel benutzt und waren am Ende gar dem Aberglauben verfallen. Knoblauch über dem Bett steigerte angeblich die Fruchtbarkeit, zwei Münzen unter der Matratze brachten Zwillinge, ein rosa Band in Allisons Haar, blaue Farbe auf Holstons Augenlidern – alles lächerlich und aussichtslos.

Einzig, nicht alles zu versuchen, irgendeinen dummen Trick, irgendeine Strategie auszulassen wäre noch verrückter gewesen. Doch es hatte nicht sein sollen. Noch bevor die Jahresfrist abgelaufen war, war das Los einem anderen Paar zugefallen. Es hatte nicht daran gelegen, dass sie sich keine Mühe gegeben hätten, sondern es hatte ihnen die Zeit gefehlt. Genauer gesagt: Es fehlte plötzlich die Frau. Holston wandte sich von den Kinderspielen und dem trüben Ausblick ab und ging zu seinem Büro, das zwischen der Kantine und der Luftschleuse des Silos lag. Während er diese Strecke zurücklegte, wanderten seine Gedanken zu dem Kampf, der dort einmal stattgefunden hatte, einem Kampf der Geister, den er in den letzten drei Jahren Tag für Tag erneut hatte durchleben müssen. Und er wusste: Würde er sich umdrehen und dem weiten Ausblick an der Panoramawand folgen, würde er durch die zunehmend trüben und fleckigen Kameralinsen und die Luftverschmutzung hindurchspähen und entlang der dunklen Spalte den Hügel hinaufblicken, entlang dieser Falte, die sich über die schlammige Düne zur Stadt hinzog, dann würde er ihre reglose Gestalt erblicken können. Dort auf dem Hügel würde er seine Frau sehen. Sie lag da wie ein schlafender Fels, die Arme unter dem Kopf verschränkt, während die vergiftete Luft an ihr zehrte. Vielleicht.

Es war nicht gut zu sehen, war auch damals nicht eindeutig auszumachen gewesen, bevor sich die Linse von Neuem zutrüben begann. Außerdem war diesem Blick kaum zu trauen, es gab eher guten Grund, ihn anzuzweifeln. Und deshalb sah Holston ganz einfach nicht hin. Er durchquerte den Raum, indem der Geist seiner Frau gekämpft hatte und in dem die schlechten Erinnerungen für immer gespeichert waren – das Bild ihres plötzlichen Wahnsinns –, und betrat sein Büro.„Da ist heute aber einer früh dran!“, sagte Deputy Marnes lächelnd. Holstons Stellvertreter schloss gerade eine Schublade des metallenen Aktenschrankes, dessen uralte Scharniere leblos quietschten. Er nahm einen dampfenden Becher, dann sah er Holstons ernste Miene. „Alles in Ordnung, Chef?“ Holston nickte. Er deutete auf das Schlüsselbrett hinter dem Schreibtisch. „Zur Arrestzelle“, sagte er. Das lächelnde Gesicht seines Stellvertreters verzog sich zu einem irritierten Stirnrunzeln. Er stellte den Becher ab, drehte sich um und nahm den Schlüssel.

Während Marnes ihm den Rücken zudrehte, rieb Holston ein letztes Mal den scharfkantigen, kalten Stahl in der Hand und legte seinen Stern dann flach auf die Schreibtischplatte. Marnes drehte sich wiederum und reichte Holston den Schlüssel.„Soll ich den Wischmopp holen?“ Marnes deutete mit dem Daumen hinter sich zur Kantine. Sie betraten die Zelle sonst nur, um zu putzen, mit der einzigen Ausnahme, dass gerade jemand verhaftet worden war. „Nein.“ Holston nickte zur Zelle hinüber und bedeutete seinem Stellvertreter, ihm zu folgen. Der Schreibtischstuhl knarzte, als Marnes aufstand. Holston ging zur Tür, der Schlüssel glitt leicht ins Schloss. Das Innere der massiven Tür gab ein tiefes Stöhnen von sich. Die Türangeln knirschten leise, dann ein entschlossener Schritt, ein Stoß, und die Tortur hatte ein Ende. Holston reichte den Schlüssel zwischen den Gitterstäben hindurch. Marnes sah ihn unsicher an, aber seine Hand hobsich und nahm ihn entgegen.

„Was ist los, Chef?“ „Hol die Bürgermeisterin“, sagte Holston. Er seufzte, ließ den schweren Atem aus, den er drei Jahre lang angehalten hatte.„Hol Mayor Jahns. Sag ihr, dass ich rauswill.“

Hugh Howey

Über Hugh Howey

Biografie

Hugh Howey, Jahrgang 1975, verdiente sein Geld als Skipper, Bootsbauer, Dachdecker und Buchhändler, bevor er als Romanautor erfolgreich wurde. Mit seinem dystopischen Thriller „Silo“, den er zuerst selbst verlegte, erschloss er sich eine schnell wachsende Leserschaft und schaffte den internationalen...

Medien zu „Level (Silo 2)“
Pressestimmen
Dresdner Neueste Nachrichten

„Abermals beklemmend, wieder mit einer großen, gesellschaftskritischen Geste. (...) Ein zugleich packendes und beängstigendes Buch.“

Leipziger Volkszeitung

„Ein zugleich packendes und beängstigendes Buch.“

Technology Review - Heise Online

„Beklemmend realistisch und fesselnd.“

captain-fantastic.de

„Die Stärke des Buchs ist seine beklemmende, klaustrophobische Atmosphäre, kombiniert mit den nach und nach zum Vorschein kommenden Geheimnissen. Darüber hinaus regt es zum Nachdenken darüber an, wie weit man gehen darf, um seine Werte zu verteidigen.“

Neue Westfälische

„›Level‹ ist eine spannende, clever konstruierte Fortsetzung und Weiterentwicklung von Howeys Debüt.“

http://computer-oiger.de

«Ein Muss nicht nur für Sci-Fi-Fans. Da steckt das Zeug für einen Genre-Klassiker drin.«

Kölner Stadt-Anzeiger

„Howey nimmt seine Leser erneut mit auf eine rasante Höllentour in eine Zukunft, die nicht einmal so unwahrscheinlich erscheint. Mit starken Charakteren, mit visionärer Kraft und eindrucksvollen Bildsequenzen.“

Daily Express

„Ein moderner Klassiker. Aufregend, hintergründig und eindrucksvoll.“

VIRUS

„Mit ›Level‹ wird Howeys Kosmos endgültig zu einer gnadenlosen Dystopie, wie sie in der Gegenwartsliteratur leider viel zu selten zu finden ist.“

BÜCHER

„Wendungsreicher Endzeit-Thriller und beklemmendes Porträt einer geschlossenen Gesellschaft.“

Nautilus - Abenteuer und Fantastik

„›Level‹ ist ein würdiger Nachfolger von ›Silo‹.“

agm Magazin

„Wer es mysteriös, spannend und menschlich abgründig mag, der ist bei Hugh Howey genau richtig.“

Sunday Telegraph

„Besser nicht im Dunkeln lesen.“

Kommentare zum Buch
Ein faszinierender Science Fiction Roman, der den Leser in seinen Bann zieht!
Kristin Schöllkopf am 17.05.2016

Als ich den Klappentext von "Level" zum ersten Mal gelesen habe, wusste ich: Das ist ein perfektes Buch für mich! Ich habe den Piper-Verlag um ein Rezensionsexemplar gebeten und mich sehr gefreut, als ich es bekam. Nochmals vielen Dank an den Piper-Verlag!   Das Cover hat mich sofort angesprochen. Das futuristische Design und die Farbgebung erinnern an ein anderes Universum. Auch das "Loch" am Ende des Tunnels, in welches man aufgrund des grellen Lichtstrahls nicht hineinsehen kann, macht das Cover zu etwas Mystischem und steigert bei jedem Science-Fiction-Fan die Vorfreude auf das Buch.   "Level", der zweite Band von "Silo", ist eigentlich die Vorgeschichte zum ersten Teil der Reihe. Es wird geschildert, wie es zur Erbauung von Silo kam und was vor der eigentlichen Handlung im ersten Band von "Silo" geschieht. Das Buch ist in verschiedene Blickwinkel geteilt (Silo 1, Silo 17 und Silo 18), dies macht die Geschichte spannend und abwechslungsreich.   Die Charakterzüge der Personen sind sehr schön geschildert und der Leser fühlt schon zu Beginn mit den Protagonisten verbunden. Ich konnte an meiner Reaktion auf bestimmte Ereignisse spüren, wie mir die Charaktere immer mehr ans Herz wuchsen.   Der Sprachstil war sehr angenehm und flüssig zu lesen. Meist sind mir die Bücher, in welcher eine etwas einfachere Sprache verwendet wird, zu oberflächlich, doch bei "Level" war das nicht der Fall. Obwohl nicht die kompliziertesten Wörter verwendet werden, sind die Beschreibungen und Darstellungsweisen sehr detailgetreu und der Leser hat keine Probleme, sich die Welt von "Silo" vor dem inneren Auge vorzustellen.   Mir persönlich haben die Zeitsprünge und die Wechsel der Erzählperspektiven sehr gefallen, der Leser kann unterschiedliche Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln erleben, was mich fasziniert hat. Auch die Spannung ab der ersten Seite war phenomenal! Ich war an das Buch gefesselt und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen.   Fazit   "Level" ist ein beeindruckender Science-Fiction Roman, der dem Leser sowohl eine Gänsehaut, als auch viel Spaß bereitet. Egal, ob man den ersten Teil gelesen hat oder nicht, "Level" zieht jeden in seinen Bann und macht neugierig auf mehr.

Ein fesselndes, dystopisches Science Fiction Abenteuer.
Marion Gallus am 24.11.2014

Donald ist eigentlich Architekt, schafft es jedoch mit Senator Thurmans Hilfe als Abgeordneter in den Senat. Er ist natürlich sehr stolz auf diesen Erfolg, und als der Senator ihn mit der Planung und dem Bau eines gigantischen unterirdischen Silos beauftragt, zweifelt er keinen Moment am genannten Nutzen des Teils. Das Silo muss angeblich als zusätzliche Schutzmaßnahme neben einem geplanten Endlager für radioaktive Brennstäbe erbaut werden.   Als es dann am Tage der Einweihung der Anlage zur Katastrophe kommt, flüchten sich die Menschen in die erbauten Silos, auch Donald gelingt die Flucht in eines der unterirdischen Wohnanlagen. Mit dem Wechsel des Lebens von der überirdischen Welt, die durch den Kollaps unbewohnbar geworden ist, in die unterirdische, beginnt nicht nur für Donald ein Leben, wie man es sich nicht annähernd vorstellen kann.   Macht, Intrigen, Rebellion und Aufstände beherrschen das Leben in den Silos und nach und nach kommt Troy, der Leiter des Silo 1 dahinter, dass sein eigenes Schicksal mit dem der mächtigen Gründer der Silos verbunden ist ….   ***   Level ist der zweite Teil der Silo-Reihe, der jedoch keine Fortsetzung, sondern ein Prequel ist, somit also die Vorgeschichte zu SILO erzählt. Wusste man in SILO nicht wirklich, in welchem Jahr die Geschichte spielt, so sind hier in LEVEL die Jahreszahlen benannt. Und Hugh Howey springt zwischen den Jahren hin und her, sodass ich mir ab der Hälfte des Buches etwa einen Spickzettel zugelegt habe, damit ich nicht den Überblick verliere. Denn auch zwischen zwei Zeitsprüngen hat der Autor gerne nochmal eine Rückblende eingebaut.   Der Autor beginnt den ersten Teil mit der Zeit vor dem Bau und dem anschließenden Bau der Silos, und springt dann immer wieder in eine Zeit, in der die Menschheit schon geraume Zeit dort unten lebt.   Dann eröffnet Howey im Laufe der Handlung immer wieder neue Handlungsstränge, die sich schlussendlich auch verbinden, wobei ich einen Handlungsstrang für die „Auflösung“ nicht unbedingt als wichtig erachtet habe, aber nun gut. Deshalb war er nicht weniger interessant :-)   Hugh Howey hat den Spannungsbogen gut gespannt und seine Charaktere wieder gut ausgearbeitet. Ich kam in Laufe der Geschichte recht schnell auf die anstehenden „Auflösungen“, allerdings empfand ich sie nicht als zu absehbar. Als aufmerksamer Leser, der sich noch gut an den ersten Teil SILO erinnern kann, kann man aber gut folgen. Von daher war für mich das Ende auch nicht wirklich überraschend. Ich muss jedoch gestehen, dass ich während der Lektüre SILO mindestens viermal in der Hand hatte, um mir Figuren aus dem ersten Buch noch einmal anzuschauen und mir meine Vermutungen zu bestätigen. PIPER präsentiert den Roman wieder als gebundene Ausgabe mit Lesebändchen. Dass der Verlag aber in diesem zweiten Teil an einem schönen Hingucker des Erstlings SILO gespart hat, verstehe ich nicht wirklich und finde es auch schade. Denn bei Silo war der Schnitt ringsherum passend zum Cover in knallgelb gefärbt. In diesem Teil hätte ein türkis oder ähnliches sehr gut gepasst, der Schnitt wurde in LEVEL aber gar nicht farbig gefertigt.   .   Mein Fazit: 5 Sterne für einen gelungenen Teil 2, der eher ein Prequel und keine Fortsetzung ist, sich jedoch im Laufe der Handlung an SILO heranarbeitet. Ausgestattet mit einem guten Handlungsbogen und charakterstarken Figuren, gefällt er mir sogar besser als Teil 1. Ein fesselndes, dystopisches Science Fiction Abenteuer.   © Buchwelten 2014

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