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Operation Blackmail (Solveigh-Lang-Reihe 1)

Operation Blackmail (Solveigh-Lang-Reihe 1)

Jenk Saborowski
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Thriller

„Mit >Operation Blackmail< hat Jenke Saborowski ein fulminantes Debüt hingelegt.“ - Mannheimer Morgen

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Operation Blackmail (Solveigh-Lang-Reihe 1) — Inhalt

In Paris wird eine junge Bankangestellte auf offener Straße erschossen, in Bologna stirbt ein ranghoher Mitarbeiter desselben Instituts bei einem Anschlag. Per E-Mail fordern Erpresser 500 Millionen Euro, sonst werden weitere der 60.000 Mitarbeiter irgendwo in Europa sterben. Ein Fall für die geheime, grenzüberschreitend agierende Eliteeinheit ECSB. Agentin Solveigh Lang und ihr Team ermitteln, kompromisslos und mit modernsten Methoden. Als sie erkennt, wie skrupellos und gerissen ihr Gegner wirklich ist, beginnt ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 04.08.2011
356 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95237-8
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Leseprobe zu „Operation Blackmail (Solveigh-Lang-Reihe 1)“

KAPITEL 1

Paris, Avenue Friedland

Tag 0: Freitag, 4.Januar, 08:34 Uhr

Leonid Mikanas blies warmen Rauch hinaus in die nasskalte Luft des verregneten Pariser Januarmorgens. Wie immer drückte er seine Zigarette so kunstfertig aus, dass sie neben den anderen vierzehn im Aschenbecher auf der Spitze stehen blieb. Um den beißenden Tabakgeschmack von seiner Zunge zu vertreiben, nahm er einen Schluck aus der mitgebrachten Wasserflasche und kontrollierte zum wiederholten Mal die Einstellung seines Zielfernrohrs. Dabei ließ er das renommierte Bankhaus auf der [...]

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KAPITEL 1

Paris, Avenue Friedland

Tag 0: Freitag, 4.Januar, 08:34 Uhr

Leonid Mikanas blies warmen Rauch hinaus in die nasskalte Luft des verregneten Pariser Januarmorgens. Wie immer drückte er seine Zigarette so kunstfertig aus, dass sie neben den anderen vierzehn im Aschenbecher auf der Spitze stehen blieb. Um den beißenden Tabakgeschmack von seiner Zunge zu vertreiben, nahm er einen Schluck aus der mitgebrachten Wasserflasche und kontrollierte zum wiederholten Mal die Einstellung seines Zielfernrohrs. Dabei ließ er das renommierte Bankhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite nicht aus den Augen. Er beobachtete geduldig, wie sich die Angestellten durch die Drehtüren vor dem Regen in Sicherheit brachten. Einer nach dem anderen, wie die Glieder einer Kette. Mit einem Blick auf die kleine Stofffahne, die er an ­einer Straßen­laterne gegenüber angebracht hatte, analysierte er den Wind, berechnete im Kopf zentimetergenau die Abweichung des Projektils. Obwohl es nicht notwendig war, sah er noch einmal kurz hinüber zum Foto seines Zielobjekts, das er mit einem Reißnagel am Fensterbrett fixiert hatte. Die Frau war hübsch, auf dem Foto wirkte sie gelöst und lachte, war sich der heimlichen Aufnahme nicht bewusst. Während der letzten Woche hatte er sich ihr Gesicht anhand vieler ähn­licher Bilder genau eingeprägt. Seine Vorbereitungen waren abgeschlossen, er atmete zunehmend flacher, bis kaum noch eine Bewegung seines Brustkorbs wahrzunehmen war, den Personaleingang der Bank im Visier.


Da war sie. Sein Ziel. Ohne Zweifel. Sie machte einen gehetzten Eindruck, als sie sich in die kurze Schlange einreihte, die sich vor der Drehtür gebildet hatte. Ihm blieb nicht viel Zeit. Das Fadenkreuz seines Zielfernrohrs tanzte kaum merklich um das Zentrum ihres Hinterkopfs. Wie immer, wenn er im Begriff war zu töten, fühlte er das Adrenalin pulsierend durch seine Venen jagen. „Für dich, Mischa“, flüsterte er kaum hörbar. Der Profi in ihm zog ohne das geringste Zögern den Abzug durch.

Durch die Optik beobachtete er, wie ihr Kopf von der Wucht der Kugel zur Seite geschleudert wurde, ihre Gesichtsmuskeln zuckten den erstaunten Tanz eines unerwarteten Todes. Die Menschen um sie herum stoben panisch auseinander, ihr Körper stürzte, schlug auf den Asphalt und lag grotesk verdreht in einer roten Pfütze aus Blut, die schnell größer wurde.

Wie es ihm sein Ausbilder vor mehr als dreißig Jahren beigebracht hatte, sammelte Leonid Mikanas seine Patronenhülse ein, zerlegte die Waffe und verstaute sie in einer unauffälligen schwarzen Nylontasche. Sein Blick fiel auf den Aschenbecher mit den fünfzehn kerzengerade aufgestellten Zigarettenkippen. Ganz nach seiner Gewohnheit schnippte er mit dem rechten Zeigefinger die Erste an, woraufhin alle anderen der Reihe nach umfielen wie Dominosteine. Er hatte seinen Auftrag ­erfüllt.


KAPITEL 2

Paris, Boulevard Haussmann

Tag 0: Freitag, 4.Januar, 08:52 Uhr

Im Café Friedland balancierte Marcel Lesoille unruhig auf den hinteren Beinen seines Stuhls und stocherte frustriert in seinem weichgekochten Ei. Ihn plagten heftige Gewissensbisse, im Grunde hatte er bereits gestern gewusst, dass Linda ausrasten würde. Seine Lebensgefährtin saß ihm in diesem Moment gegenüber und schielte ihn aus wütend zusammengekniffenen Augen an, ihr Frühstück hatte sie noch nicht angerührt. Natürlich war sie sauer, aber schließlich ging es um seine Leidenschaft, damit würde sie sich abfinden müssen. Er erinnerte sich an ihren letzten Streit vor wenigen Wochen. Wie immer war es um seine beruflichen Ambitionen gegangen. Oder besser: ihr Fehlen. Er wusste, dass sie seit einem halben Jahr auf den Antrag wartete. Mit Ring, Stein und allem, was dazugehört. Bringen wir erst mal diese Kuh vom Eis, nahm er sich vor, dann sehen wir weiter. Er konnte nicht gut mit ihr streiten.

„Hör mal, Linda“, brach er gepresst das Schweigen. „Es ist ja nicht so, dass ich das Geld versoffen hätte. Mir ist es ernst, ich möchte damit später mal meine Brötchen verdienen. Für uns. Oder traust du mir das nicht zu?“ Ihre Stimmungslage war nach wie vor frostig und kühlte weiter ab, er musste es mit einer anderen Taktik versuchen: „Außerdem gibt mir mein Vater auch einen Anteil dazu.“

„Aha. Wenn ich mich recht entsinne, kann sich dein Vater nicht einmal einen neuen Anzug leisten. Da wird dir seine mildtätige Spende wohl kaum eine große Hilfe sein.“

Gut, zumindest antwortet sie, schöpfte Marcel zaghaft Hoffnung. Jetzt bloß nicht zu früh auf sie eingehen, er hatte nicht vor, sich weiter als unbedingt nötig in die Ecke des Boxrings treiben zu lassen, den sie Beziehung nannten.

Unbeirrt setzte Linda ihre Tirade fort: „Ich kann einfach nicht verstehen, wieso das sein muss. Ein mittelloser Student, der nicht mal genug Geld zum Kinderkriegen hat und der eher seine Eltern unterstützen sollte statt umgekehrt. Ausgerechnet der braucht eine neue Kamera für fünftausend Euro? Haben sie dir im Krankenhaus gleich das Kleinhirn mit rausoperiert?“

„Linda, es war der Blinddarm. Meinem Kleinhirn geht es prächtig“, versuchte Marcel sein Glück. Normalerweise waren sein markantes Kinn und das schiefe Lächeln eine Kombination, der Frauen nicht widerstehen konnten. Vielleicht gelang es ihm so, ein fingernagelkleines Loch in ihre Mauer aus Wut zu hämmern. Genau da, wo sie gerade kurz ob ihrer eigenen Formulierung den Mundwinkel zu einem Beinahe-Lächeln verzogen hatte.

„Du hast dir also wirklich in den Kopf gesetzt, Fotoreporter zu werden, statt Arzt? Und wie willst du damit unsere Familie ernähren? Was verdient denn so ein Profi-Knipser?“, ätzte Linda.

Marcel erahnte Sonnenstrahlen, die den Nebel zwischen ­ihnen vertreiben könnten. Linda sprach gern über Geld, vor allem zur Finanzierung ihrer künftigen Familienpläne.

„Na ja“, setzte er an. „Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Manchmal, wenn man wirklich Glück hat, kann man schon mal mit einem Foto ein paar Tausender machen.“

„Wer ist denn so bescheuert und zahlt für ein einziges Bild so viel Geld?“, echauffierte sich Linda.

Die Auseinandersetzung war noch nicht vorbei, und Marcel ging ihr simples Gemüt auf die Nerven. Vielleicht sollte er sich doch unter seinen Kommilitoninnen nach einer neuen Freundin umsehen, statt weiter auf Linda zu setzen. Sie sah zwar umwerfend aus, war aber augenscheinlich gierig und teilte sich zudem das Intelligenzniveau mit einer Tomatenstaude. Seufzend widmete sich Marcel wieder seinem Frühstücksei, als ihn Sirenen aus seinen Gedanken rissen. Für jeden Foto­reporter, auch einen Anfänger wie ihn, waren die schrillen Fanfaren von Polizei, Feuerwehr und Notärzten Musik in den Ohren. Allerdings würde sich Lindas Wut, wenn er jetzt ging, nicht so schnell legen, im Gegenteil. Kurz wog er ab, ob er nicht doch bleiben sollte, aber seine neue Kamera hatte den Kampf schon vorab gewonnen. Hektisch wühlte er in seiner Tasche nach einem Zwanzig-Euro-Schein. „Ich muss los, entschuldige“, bemerkte er und küsste Linda, die dasaß, als hätte sie der Blitz getroffen.

„Du spinnst ja. Das kannst du doch nicht machen“, legte sie los, aber er war schon aufgesprungen und hechtete den Sirenen hinterher. Um Linda würde er sich später kümmern.


Während er durch den kalten Regen lief, zählte Marcel acht Polizeifahrzeuge und dazu mehrere Krankenwagen, die mit hohem Tempo in die Avenue Friedland einbogen. Da muss etwas Größeres passiert sein, dachte Marcel und kramte seine Leica M8 aus der Fototasche. Endlich besaß er das richtige Werkzeug, eine Profi-Kamera, deren digitaler Chip Bilder aufnahm, die auch den Ansprüchen großer Tageszeitungen genügen würden. Als er die Avenue Friedland erreicht hatte, keuchte er heftig, und sein Puls raste. Scheiß Zigaretten. Zu seinem Glück blieben die Streifenwagen etwa hundert Meter von ihm entfernt stehen und riegelten die gesamte vierspurige Straße ab, was die Pariser Pendler mit einem gellenden Hupkonzert beantworteten. Marcel verlangsamte seinen Schritt und hob den Sucher vor sein Auge. Die Leica war nichts für Anfänger, er musste jedes Bild einzeln scharf stellen. Pah, Auto­fokus ist doch was für Touri-Knipser, er hatte es gestern Abend lange geübt. Außerdem war das genau der Grund, ­warum Reporter die Leica so schätzten: Angeblich bekam man mit der Zeit das Gefühl, mitten in seinem Motiv zu stehen. Na ja, was nicht ist, kann ja noch werden, machte sich Marcel Mut. Ihm war die Bedienung noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen, und so brauchte er einen Augenblick, um sich zu orientieren: Die Polizeiwagen bildeten eine Barriere direkt vor der Pariser Filiale der EuroBank, einem großen Geldinstitut aus Deutschland. Klick. Auch von der anderen Seite waren Einsatzkräfte angerückt, sodass vor dem Gebäude ein Sicherheitskordon entstanden war. Klick. Ein Beamter zog das Visier seines Schutzhelms herunter. Eine Spezialeinheit. Klick. Sie brachten ihre Waffen in Anschlag. Klick. Die Fahrer nahe stehender Autos waren ausgestiegen, um einen Blick auf das Spektakel zu erhaschen. Ein rothaariger Gaffer mit einem Flicken­teppich aus Muttermalen und einem Glimmstängel im Gesicht, wild gestikulierend. Klick. Eine Frau reckte den Hals, um besser sehen zu können, blankes Entsetzen. Klick. Es herrschte das reinste Chaos, der Einsatzleiter der Polizei schrie etwas, das Marcel nicht sofort verstand. Sein Gesicht war ernst, professionell, ausgeprägte Wangenknochen und ein Dreitagebart. Klick. Was hatte er gesagt? Marcels Gehirn verarbeitete das ungewohnte Wort ein paar Sekunden nachdem er es gehört hatte. Panisch vor Angst warf er sich hinter eines der Polizeiautos mitten in eine große Pfütze: Der Kommandant hatte seine Leute vor einem Scharfschützen ­gewarnt. Nicht nur er hatte es gehört, neben ihm kniete ein Polizist, der mit dem Sucher seiner automatischen Waffe das Haus gegen­über abscannte. Marcel lief Angstschweiß den ­Rücken herunter, aber er besann sich auf seine zukünftige Reporterehre und schoss blind einige Bilder rücklings über die Motorhaube. Klick. Klick. Er atmete tief ein und drückte sich so fest er konnte gegen den Kotflügel. Sechzig Sekunden, eine gefühlte Ewigkeit später, ging die Polizei davon aus, dass keine akute Bedrohung mehr vorlag, denn alle Beamten waren aufgestanden und sicherten routiniert die Szene. Gebückt schlich sich Marcel an den Streifenwagen entlang, um eine Lücke zu finden, durch die er zum Eingang der EuroBank vordringen konnte. Er ging fest davon aus, dass ein sensationelles Motiv auf ihn wartete. Und tatsächlich fand er zwischen zwei Stoßstangen einen Spalt, durch den er sich quetschen konnte, ohne aufgehalten zu werden. So ruhig wie möglich hob er seine Leica ans Auge und dokumentierte: Vor dem Eingang der Bank knieten zwei Notärzte vor einem leblosen Körper. Der Kleidung nach zu urteilen, handelte es sich um eine Frau. Klick. Sie drehten sie auf den Rücken. Da war kein Gesicht mehr. Klick. Die Blutlache floss über den Asphalt, breitete sich aus wie ein verschüttetes Glas Wein. Es roch ekelhaft nach Eisen. Klick. Der zweite Arzt schüttelte den Kopf. Klick. Der andere nickte. Sie bedeckten ihren Körper mit einer golden glänzenden Folie, zogen sie bis über ihr Gesicht. Klick. Klick. Ein Polizeibeamter in voller Kampfmontur kam auf ihn zu, ein Maschinengewehr an der Schulter. Klick. Kevlar-Panzer an Brust, Schienbeinen und Oberarmen. Klick. Hinter ihm erschienen die ersten Uniformierten ohne Panzerung. Klick. Er hielt ihm die Linse der Kamera zu und drängte ihn aus dem Kreis, den die Streifenwagen bildeten. Marcel blickte zurück. Klick. Sein Job war erledigt.


An der nächsten Straßenecke kotzte er in einen Gulli. Er hatte noch nie eine Tote gesehen, und obwohl die Leiche frisch war, roch der Tod grauenhaft: das Blut wie Eisenkraut, die aus­tretenden Körpersäfte nach Kot und Essig. Ach du Scheiße, dachte Marcel und lehnte sich erschöpft an eine raue Hauswand, die ihn am Rücken kratzte. Er blieb ein paar Minuten auf dem kalten Gehsteig sitzen, bis er den Mut aufbrachte, seine Ausbeute auf dem digitalen Display seiner Kamera zu begutachten. Einige Bilder waren unscharf. Eines fand er richtig gut: Der Polizist, der mit ihm hinter dem Wagen gekauert hatte, von der Seite und von unten fotografiert, das Maschinengewehr im Anschlag, Angst im Gesicht, Schweiß auf der Stirn. Als er durch die Bilder blätterte, fiel ihm auf, wie sehr er zitterte. Er konnte die kleinen Tasten kaum kontrolliert drücken. Es kostete ihn endlos lange Zeit, sein Handy aus der Jackentasche zu ziehen und die Nummer eines befreundeten Bildredakteurs zu wählen.


„Hey, Anon. Ich hab was für dich. Vor der Zentrale der EuroBank ist eine Frau von einem Scharfschützen erschossen worden. Ich habe Bilder.“

„Wovon hast du Bilder?“, fragte sein Freund, der Bildredakteur.

„Von allem. Von der Polizei, den Notärzten und sogar von der Frau selbst, bevor sie ihr eine Decke über den Kopf gezogen haben.“

Anon lachte herzlich. „Ist ja super, kannst du dir an den Kühlschrank hängen. Die ersten Bilder kamen vor zehn Minuten, online über das Handy vom Fotografen. Unser Chefredakteur hat längst ausgewählt. Junge, wir sind in Paris, hier gibt es Fotografen wie Sand am Meer. Und nicht wenige davon hören den Polizeifunk. Mach das nächste Mal ein Foto vom Mord selbst, das ist sensationell. Für alles andere musst du früher aufstehen. Tut mir leid, Mann.“

„Schon klar. In Ordnung. Danke dir, Anon.“

„Okay. Ich will dich nicht entmutigen. Ruf wieder an, wenn du was hast.“

Frustriert legte Marcel auf. Vielleicht war es doch nicht so einfach, vom Medizinstudenten auf Fotoreporter umzusatteln. Er hatte noch viel zu lernen. Und Linda würde sauer sein. Richtig sauer. Dabei hatte er nichts, um sie zu beruhigen. Obwohl, vielleicht doch, sinnierte er, als er sich hochstemmte und mit zittrigen Knien zur nächsten U-Bahn-Station wankte.


KAPITEL 3

Paris, Boulevard Haussmann

Tag 0: Freitag, 4.Januar, 09:14 Uhr

Fünfzig Meter entfernt atmete Dominique Lagrand hörbar aus. Endlich hat sich die verdammte Journaille verzogen, dachte der Adjutant des Polizeipräsidenten, der als erster Stabsoffizier vor Ort war. Ein fucking Albtraum: Irgendein Wahnsinniger hatte am helllichten Tag eine Passantin von ­einem belebten Pariser Bürgersteig geputzt. Das versprach ­Ärger, und sein cholerischer Chef würde toben. Er musste die Lage so schnell wie möglich in den Griff kriegen, was ihm wie immer nicht leichtfallen dürfte. Trotz seiner mittlerweile fast achtundzwanzig Jahre sah er mit seiner Täubchenbrust, so sein ehemaliger Sportlehrer, immer noch aus wie ein Teenager. Er hatte blonde Haare, war mit 1 Meter 68 auch nicht gerade groß gewachsen und musste regelmäßig bei Disco­besuchen seinen Ausweis vorzeigen. Keine guten Voraussetzungen, um sich bei einer testosteronstrotzenden Spezial­einheit durchzusetzen. Aber Dominique war vom Leben nicht eben verwöhnt worden, er war hart im Nehmen, und die ihm übertragenen Aufgaben pflegte er mit geradezu selbstloser Hartnäckigkeit zu erledigen. Und er brauchte nun einmal den Bericht. So baute er seine schmale Statur so gut es ging vor dem Einsatzleiter auf, einem Mann Mitte fünfzig mit wet­tergegerbtem Gesicht und Dreitagebart, der genauso aussah, wie Dominique gerne ausgesehen hätte. Wenn er sich drei Tage nicht rasierte, machte ihn sein dünner Flaum auch nicht männlicher. Dominique Lagrand war Realist, und er setzte Vertrauen in die Streifen seiner Uniform: »Guten Morgen, Capi­taine, können Sie mich bitte ins Bild setzen?«

Der Leiter des Sondereinsatzkommandos stand lässig an ­einen Mannschaftswagen gelehnt und rauchte einen nach verbrannten Autoreifen stinkenden Zigarillo. Geduldig musterte ihn der erfahrene Beamte, letztendlich fiel seine Antwort jedoch gar nicht so abschätzig aus, wie Lagrand erwartet hatte: „Sie müssen der Neue von Rocard sein, nicht wahr?“, fragte er und spuckte Tabakfetzchen auf den Boden.

„Das stimmt, Monsieur“, seufzte Dominique.

„Na gut, Sie können ja nichts für den Bastard. Da wir beide wissen, dass sich die aufgeblasene Kröte gleich hier blicken lassen wird, um der Presse seine Meinung aufs Auge zu drücken, will ich Ihnen nicht den Freitagabend vermiesen.“

„Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar“, gab Dominique zurück und entspannte sich etwas.

„Im Moment scheint keine Gefahr mehr zu bestehen, von dem Täter fehlt jede Spur. Laut Ausweis heißt das Opfer Sophie Besson, eine Angestellte der EuroBank, die gerade auf dem Weg zur Arbeit war. Ob sie es wirklich war, können wir derzeit nicht sagen. Er hat ihr das halbe Gesicht weggepustet, so wie ich den Notarzt verstanden habe, mit einem ziemlich großen Kaliber. Üble Austrittswunde, ich tippe auf ein Gewehr. Genaueres bekommen Sie erst vom Gerichtsmediziner. Wie schon gesagt: Unsere Arbeit ist getan, die Straße ist sicher. Jetzt sind Sie dran, und ich schätze, Sie werden nicht so schnell wieder in die gemütliche Kaserne kommen. Obwohl, bei Rocards Leuten weiß man nie, angeblich kriecht ihr ja in die Wärme eurer Büros wie die Motten zum Licht“, lachte der Beamte schallend und zündete sich noch einen Zigarillo an. Aus dem Augenwinkel beobachtete Lagrand, wie sich die silberne Limousine seines Vorgesetzten näherte.

„Besten Dank erst einmal, Capitaine, Sie haben mir schon sehr geholfen“, murmelte er zum Abschied und bereitete sich auf die Ankunft Seiner Majestät, des selbst ernannten Königs von Paris, vor. Der schwere Wagen kam neben ihm zum Stehen, und noch während er ausrollte, wurde energisch die hintere Tür geöffnet: General Rocard betrat die Szene. Seine ­Uniform sah aus, als hätte er heute schon vier beschwerliche Stunden im Dienst der Republik absolviert, obwohl Lagrand wusste, dass er seine Haushälterin anwies, an Arm- und Kniebeugen Falten hineinzubügeln. Du bist fast genauso ein dämlicher Lackaffe wie mein Alter, dachte er im Stillen. Äußerlich das Gegenteil des schweren Rocard, war ihm sein Vater charakterlich umso ähnlicher. Eitel von den Haarspitzen bis zur Schuhsohle, hatte ihn der Pedant in den kindlichen Wahnsinn getrieben. Und schließlich aus reiner Rebellion gegen das verhasste Jurastudium in den Polizeidienst und damit indirekt in die Arme des ebenso eitlen Rocard. Nachdem er seinen Chef über die Lage informiert hatte, unterbreitete er ihm seine Vorschläge: Spurensicherung, Durchsuchung aller umliegenden Wohnungen, Befragung der Anwohner sowie der Kollegen in der Bank.

„Bei der zu erwartenden Publicity würde ich Ihnen Commissaire Fallot vorschlagen. Sie ist kompetent und wird Ihnen auf der Pressekonferenz nicht den Rang ablaufen“, schloss er mit einem Lächeln. Er wusste, dass die Erwähnung der ­Medien seinen Chef eher dazu bringen würde, seine Vorschläge zu akzeptieren. Sein eigentlicher Beweggrund für die Ernennung von Catherine Fallot zur Leiterin der Sonderkommission war die Tatsache, dass sie ihn nicht wie alle anderen herablassend behandelte. Viele sahen in ihm den unerfahrenen Jagdhund vor der Eignungsprüfung, dabei hatte er sein Studium an der Polizeiakademie mit Prädikat abgeschlossen. In diesem Fall hatte ihn sein Urteilsvermögen nicht getäuscht, und der General winkte seine Pläne ohne jede Änderung durch. „Pressekonferenz um 13 Uhr“, verlangte er noch, bevor er wieder in seinen Dienstwagen stieg und es Lagrand überließ, seine Anwei­sungen umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Dominique Lagrand nicht, dass auch die überaus kompetente Catherine Fallot den ersten brauchbaren Hinweis auf ein Motiv erst 72 Stunden später erhalten sollte.

Jenk Saborowski

Über Jenk Saborowski

Biografie

Jenk Saborowski, geboren 1977 im Taunus, studierte Publizistik und Germanistik und zog nach New York. Er organisierte die erste interaktive Hundeschau der Welt, betextete unzählige Reklametafeln und arbeitete bei mehreren Medienunternehmen, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Heute lebt der...

INTERVIEW: Special Agent Solveigh Lang über Beruf und Privates.

Die Heldin aus „Operation Blackmail“, „Biest“ und „Argwohn“ ist eine Frau der Kontraste: Knallhart und erfolgreich ermittelt sie im Auftrag Europas gegen grenzübergreifenden Terror.

Kein Problem. Und „Slang“ reicht vollkommen, jeder nennt mich so.

 Was ist Ihr Motiv, diesen doch sehr anstrengenden und gefährlichen Job eines Special Agents auszuüben? 
Wie sagt man so schön: Weil ich es kann? Nein, im Ernst: Ich hatte eine sagen wir mal durchaus problematische Jugend, und als Eddy (Anm. d. Red.: Eddy Rames, ihr Partner) mich aufgelesen hat, lebte ich mehr oder weniger auf der Straße. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich heute bin, und ich würde alles für ihn und Will (Anm. d. Red.: William Thater, der Chef der ECSB) tun, die an mich geglaubt haben, als ich es selbst nicht mehr tat.

Wie lang dauerte Ihre Ausbildung und wie sah diese aus?
Die Ausbildung dauert etwa fünf Jahre. Wir sind ja eine sehr kleine Einheit, und als Field Agent wird man zum Generalisten ausgebildet: Forensik bei Scotland Yard, Nahkampf und Waffentechnik bei der GSG9, Anti-Terror-Training in Frankreich und so weiter. Als Einheit der Europäischen Kommission haben wir das Glück, von den Besten lernen zu dürfen - auch außerhalb Europas. Ich war auch zur Ausbildung beim FBI in den USA und für Under-Cover-Einsätze in einem kleinen Land im Nahen Osten, aber darüber darf ich nicht reden.

 Was war Ihr erster Fall?
Meinen ersten großen Feldeinsatz hatte ich bei der Operation Tempest, einem besonders perfiden Fall von Industriespionage. Wussten Sie, dass man Bildschirme mit einem relativ einfachen technischen Verfahren aus über 300 Metern Entfernung einfach abtasten kann? Sehen Sie, wir vorher auch nicht. Und der Pharma-Hersteller hat sich tatsächlich darüber gewundert, wie die Chinesen an die Formel gekommen waren ...

Haben Sie Angst bei diesen gefährlichen Aufträgen?
Natürlich ist uns bewusst, dass wir gefährlicher leben als ein Steuerberater. Im Safe bei der ECSB liegt immer ein Brief an die Angehörigen - für den Fall der Fälle. Wenn ein neuer Mensch in Ihr Leben tritt, und Sie eine neue Version schreiben, dann haben Sie schon ein mulmiges Gefühl. „Lieber Marcel, wenn Du diesen Brief liest …“, das schreiben Sie nicht ohne Gefühle. Aber bei einem Einsatz dürfen Sie keine Angst haben. Weil die Angst Sie lähmt, und dann müssen Sie aufhören.

Ihr Job hat ja sehr männliche Aspekte: Wie behalten/pflegen Sie Ihre Weiblichkeit?
 (Lacht). Sie stellen vielleicht Fragen. Was wollen Sie wissen: Ob ich mir die Fingernägel lackiere? Ehrlich gesagt ist das Quatsch: Männliche Aspekte, weibliche Aspekte, was heißt das? Nur, weil ich eine Waffe trage, soll das unweiblich sein? Dann fahren Sie mal nach Israel und sagen mir, ob Sie die Soldatinnen unweiblich finden. Mein Job lässt Weiblichkeit durchaus zu, sie ist sogar sehr hilfreich. Glauben Sie mir, ich kriege manchmal schneller Informationen mit einem gezielten Augenaufschlag als einem platzierten Schuss … Ich fühle mich sehr weiblich, das ist die Hauptsache.

Wir wissen, Sie haben einen empfindlichen Geruchssinn. Tragen Sie überhaupt Parfüm? Und wenn ja, welches?
Ja, das stimmt. Ich reagiere sehr empfindlich auf Gerüche – positiv wie negativ. Aber klar trage ich Parfüm, eben eines, das mir besonders gefällt. Leider ist es eine Spezialanfertigung von einem kleinen Parfümeur in Paris und sündhaft teuer. Aber für irgendwas muss diese kleine schwarze Karte doch gut sein, oder nicht? Und bitte sagen Sie das nicht Will ...

 Im Dienst tragen Sie förmliche Kleidung. Sie haben aber auch eine Vorliebe für exklusive Kleider. Wie kleiden Sie sich privat?
Ja, ich gestehe. Vollumfänglich schuldig. Kleider- und Schuhtick wie fast alle Frauen. Aber nicht immer nur Luxus-Klamotten. Ich trage auch mal ein Top von H&M zu einem Rock von Prada, oder umgekehrt. Und in meinem Schrank hängen eine Menge bunter Sommerkleidchen, die ich nie trage – auch das ist glaube ich sehr normal.

INTERVEW mit Jenk Saborowski

Für diejenigen, die Jenk Saborowski noch nicht kennen: Was dürfen wir von Ihren Büchern erwarten?

Jedes meiner Bücher hat ein zentrales Thema, im Fall von „Argwohn“ den organisierten Menschenhandel. Es gibt immer mehrere Handlungsstränge, die miteinander verwoben sind und alle meine Bücher spielen in einem relativ kurzen Zeitraum von ein paar Wochen. Kurz: Sie dürfen einen sehr temporeichen Thriller erwarten, der Ihnen mehrere Perspektiven zu einem aktuellen Thema bietet.

Ihre Heldin Solveigh Lang arbeitet bei der Europapolizei ECSB, einer Art Europäischem FBI. Reine Fiktion?

Ja und nein. Natürlich gibt es offiziell keine Polizei mit operativen Befugnissen über Landesgrenzen hinweg. Allerdings halten sich die Verbrecher auch nicht an Schlagbäume - möglicherweise sollte es sie geben. Und politisch war solch eine Einheit nie ganz vom Tisch.

Das Thema bei „Argwohn“ist Menschenhandel. Wie haben Sie dazu recherchiert? Und für wie realistisch halten Sie Ihre Geschichte?

Natürlich habe ich mit vielen Ermittlern gesprochen und wie immer sehr intensiv recherchiert. Was Lila und Ioana passiert, ist absolut realistisch. Leider auch was die Psychotricks angeht, die zwei clevere junge Frauen dazu verleiten, wider besseres Wissen zu handeln. Realistisch vor allem aber auch in dem, was eben nicht passiert. Es gibt viele Klischees zu diesem Thema - glauben Sie mir, es ist viel schlimmer ...

In „Argwohn“ führen Sie neben Solveigh Lang von der Europapolizei einen deutschen Hauptkommissar ein: Paul Regen. Was hat Sie dazu bewogen?

Ehrlich gesagt meine Leserinnen und Leser. Heutzutage steht man ja im direkten Kontakt per E-Mail oder Facebook und nachdem im BIEST erstmals die Arbeitsweise einer deutsche Behörde im Gegensatz zur ECSB dargestellt wurde, haben viele geschrieben: Mehr davon. Ich hoffe, das Ergebnis begeistert meine Leserinnen und Leser genauso wie mich die Idee.

Weitere Titel der Serie „Solveigh-Lang-Reihe“

Agentin Solveigh Lang und ihre Kollegen von der kleinen, aber schlagfertigen paneuropäischen Polizeieinheit ECSB ermitteln kompromisslos und mit modernsten Methoden in den rasanten Thrillern von Jenk Saborowski.

Pressestimmen
Mannheimer Morgen

„Mit >Operation Blackmail< hat Jenke Saborowski ein fulminantes Debüt hingelegt.“

Münchner Merkur

„Saborowski ist ein echter Page- Turner gelungen, eine Geschichte also, die so spannend ist und in einem atemberaubenden Tempo erzählt wird, dass der Leser das Buch kaum aus der Hand legen kann.“

Krimi-Couch

Ein lupenreiner, furioser Page-Turner.'

OK! Magazin

'Diese Seiten machen süchtig.'

Hörzu

Spannende Strandlektüre mit einem weiblichen Jason Bourne.'

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