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Phantom (Solveigh-Lang-Reihe 4)

Phantom (Solveigh-Lang-Reihe 4)

Jenk Saborowski
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Thriller

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Phantom (Solveigh-Lang-Reihe 4) — Inhalt

Sie verwenden kein Telefon, kein Internet, keine Banktransaktionen. Niemand weiß, wer sie sind, sie hinterlassen keine Spuren. Sie sind ein Phantom. Solveigh Lang von der Europapolizei ECSB und Kriminalhauptkommissar Paul Regen sind auf der Jagd nach einer Gruppe gewaltbereiter Terroristen, die sich allen modernen Ermittlungstechniken entzieht. Sie müssen ihre Arbeit vollkommen neu erfinden. Und dabei dürfen sie keine Zeit verlieren, denn der nächste Anschlag steht unmittelbar bevor …

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 09.03.2015
464 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96801-0
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Leseprobe zu „Phantom (Solveigh-Lang-Reihe 4)“

Prolog

Frankfurt, Deutschland

18.01.2014, 17.22 Uhr

Hadi Farhan wischte mit dem Tuch aus der blau gekennzeichneten Verpackung über die blanke Edelstahlfläche und beobachtete den roten Streifen am Horizont mit Sorge. Das Ambulanzzimmer war klein, aber es gab viele Flächen unter den Schränken und immer die Gefahr, dass jemand hereinplatzte. Hadi beeilte sich mit den Schranktüren und widmete sich danach dem Boden. Der Feudel schwang fröhlich über das graue Linoleum. Er machte seine Arbeit gerne, obwohl ihnen der Schichtleiter fast monatlich neue Zeitvorgaben [...]

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Prolog

Frankfurt, Deutschland

18.01.2014, 17.22 Uhr

Hadi Farhan wischte mit dem Tuch aus der blau gekennzeichneten Verpackung über die blanke Edelstahlfläche und beobachtete den roten Streifen am Horizont mit Sorge. Das Ambulanzzimmer war klein, aber es gab viele Flächen unter den Schränken und immer die Gefahr, dass jemand hereinplatzte. Hadi beeilte sich mit den Schranktüren und widmete sich danach dem Boden. Der Feudel schwang fröhlich über das graue Linoleum. Er machte seine Arbeit gerne, obwohl ihnen der Schichtleiter fast monatlich neue Zeitvorgaben machte, die immer schwerer einzuhalten waren. Wer sich beschwerte, flog, so einfach war das. Also beschwerte sich niemand mehr. Hadi nicht, die Kollegen aus dem Senegal nicht und die Rumäninnen auch nicht. Der einzige Deutsche in ihrem vierzig Mann starken Trupp, der für diesen Teil der Universitätsklinik verantwortlich war, war der Schichtleiter. Ein kleiner unfreundlicher Mann mit einem Schnauzbart, der nur lächelte, wenn sich jemand beschwerte.

Als Hadi den Mopp mit dem Klarwasser auswrang, war die Sonne untergegangen. Er rollte den Reinigungswagen neben die Tür und spähte nach draußen. Bis auf eine Schwester, die mit einem Klemmblock vor dem Stationszimmer stand, war der Flur leer. Hadi schloss die Tür leise und zog den Wagen direkt unter die Klinke. So gewann er zumindest ein paar Sekunden Vorwarnung. Er würde nicht lange brauchen für das, was er vorhatte.

An einem kleinen Waschbecken wusch Hadi sich Gesicht und Arme. Dann zog er eine schmale Plastikrolle aus dem Reinigungswagen, die er bei Schichtbeginn zwischen die Flaschen mit den Putzmitteln gestellt hatte. Es war eher eine Plane als ein Teppich, aber der Imam sagte, es wäre in Ordnung. Der Imam der Fatih-Moschee war ein deutscher Konvertit, aber seine Lehre und seine Überzeugung standen selbst für die iranischstämmigen Muslime wie Hadi außer Zweifel. Er hatte beobachtet, dass die Deutschen konservativer sein konnten als die meisten Muslime, die mit ihrem Glauben aufgewachsen waren. Hadis eigenes Weltbild war moderner geprägt als das seines Imam. Aber es war nun einmal seine Moschee, zu der er gehörte wie der Wischmopp zu seiner Arbeit. Beides war einfach da, weil es schon immer so gewesen war. Hadi war niemand, der gerne hinterfragte, was offensichtlich so sein sollte. Seine Weltanschauung war einfach, aber effektiv. Er breitete das Tuch im 45-Grad-Winkel zur Tür auf dem Boden aus. Beim ersten Mal hatte er den Kompass seines Handys benutzt, um herauszufinden, in welcher Richtung Mekka lag. Er hatte diesen Raum schon oft für das Ischā-Gebet genutzt.

Dann zog Hadi die Schuhe aus und ging auf die Knie.


Um 22 Uhr 30 verließ Hadi die Universitätsklinik nach einer Standpauke ihres Schichtleiters. Sie hatten wieder einmal eine Viertelstunde länger gebraucht als vorgesehen. Zwar entstand ihrem Arbeitgeber kein finanzieller Schaden, da die Viertelstunde ohnehin nicht bezahlt wurde, aber darauf schien es ihm auch gar nicht anzukommen.

Als Hadi vor der Klinik auf die Straßenbahnlinie 15 wartete, zog er den Reißverschluss seiner Adidas-Trainingsjacke zu und beobachtete einen großen Jet bei der Landung auf dem nahen Flughafen. Seine blinkenden Positionslichter signalisierten den Ruf fremder Länder. Vielleicht kam der Jet sogar aus seiner Heimat. Hadi war im Iran geboren, lebte aber seit seinem zehnten Lebensjahr bei einem Onkel in Frankfurt. Er vermisste nichts am Iran, weder sein Land noch seine Eltern. Beides war ihm fremd. Seine Heimat war Deutschland, auch wenn das bedeutete, dass er auf Jobs angewiesen war, die kein Deutscher mehr erledigen wollte. Für Hadi ging das in Ordnung. Er konnte es sich leisten, mit der Straßenbahn zu fahren. Er hätte sogar Geld für ein eigenes kleines Zimmer gehabt, wenn er Verwendung dafür hätte. Sein Leben war einfach, aber er kam zurecht. Nicht, dass er jemals viel vom Leben erwartet hätte. Er wusste, dass er die Schule nicht hätte hinschmeißen dürfen, solange er noch Träume hatte. Hadi war nicht an seinen eigenen Träumen gescheitert, sondern an denen der anderen. Niemand, mit dem er befreundet war, hatte Interesse an einem Schulabschluss gezeigt. Und so hatten sie sich gegenseitig darin bestärkt, dass es das Richtige war, erwachsen zu werden und sich möglichst früh eine Arbeit zu suchen. Es war das Leben, das Hadi kannte. Er versuchte die Gebete einzuhalten – vor allem, seit seine Freunde darauf immer mehr Wert legten. Sie lernten die Suren wie andere Vokabeln. Und Hadi war gut darin, sich Dinge zu merken, auch wenn sie auf den ersten Blick kompliziert wirkten.

An der Gartenstraße stieg er in die 16 Richtung Hauptbahnhof um. Er fragte sich, was der Imam von ihm wollte. Er hatte um ein persönliches Gespräch gebeten, es ginge um Hadis Zukunft.

Hadis Verhältnis zum Imam war kompliziert. Er respektierte ihn als das Oberhaupt seiner Gemeinde. Er war ein gläubiger Muslim. Aber die Abende in der Moschee bereiteten ihm zunehmend Bauchschmerzen. Nicht die Gottesdienste oder das Auswendiglernen der Suren, sondern das Programm für die ganz Jungen: die Diskussionsabende und die Vortragsreihen. Manchmal wurde nur Geld gesammelt, das Hadi nicht hatte, aber manchmal wurde auch davon gesprochen, was einen Muslim ausmachte. Und Hadi glaubte nicht, dass so etwas zu seinem Glauben gehörte.

Am Hauptbahnhof angekommen, machte er sich auf den Weg in die Niddastraße, in der das Gemeindezentrum lag. Die Moschee befand sich im Hinterhof eines Reisebüros, das auch Bestattungen verkaufte, was insofern Sinn ergab, als dass gläubige Muslime in heimatlicher Erde bestattet werden wollten und bereit waren, dafür den Wert eines Kleinwagens zu investieren. Der Bestatter war der Vermieter der Gemeinderäume, was für den Erhalt des chronisch klammen Vereins nach deutschem Recht von großer Bedeutung war. Hadi glaubte nicht, dass der Bestatter etwas von den Abendveranstaltungen wusste. Er war ein weltoffener, gläubiger Moslem, der nichts dagegen gehabt hatte, einen deutschen Konvertiten als Imam zu akzeptieren. Vermutlich glaubte er, dass es sie näher zusammenrücken lassen würde, ihre Gastgeber und sie.

Als Hadi den Hinterhof betrat, warf er einen Blick nach oben in den zweiten Stock. Dort wohnte der Imam mit seiner Familie. Er lächelte, als er die einzelne Kerze in ihrem Fenster bemerkte. Es war ihr kleines subtiles Signal, dass Golshan an ihn dachte. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Wenn sie sich im Treppenhaus trafen, gingen sie wie in Zeitlupe aneinander vorbei, manchmal berührten sich ihre Arme dabei. Alles andere war viel zu gefährlich. Der Gedanke daran elektrisierte Hadi. Er blieb kurz stehen und betrachtete die Kerze vor dem zugezogenen Vorhang. Er spürte die Haare auf seinem Arm unter der Jacke, und es war nicht die Kälte, die ihn schaudern ließ. Langsam ging er zu dem Fahrradständer. An dem kleinen roten Rad von Golshans Bruder steckte er den Wimpel von der rechten auf die linke Seite. Sie würde es sehen, bevor sie zu Bett ging. Mehr blieb ihnen nicht, weil nicht sein durfte, was sie beide wussten: dass sie füreinander bestimmt waren. Nur war Golshan längst einem anderen versprochen, und Hadi hätte den Ansprüchen des Imam auch niemals genügt.

Bevor er das Gemeindezentrum betrat, warf er noch einmal einen Blick auf ihr Fenster, und er glaubte zu bemerken, dass sich der Vorhang bewegt hatte.


Wie immer bei ihren Abendveranstaltungen, lief der Fernseher im Aufenthaltsraum. Frank und Wolfgang, die sich seit ein paar Wochen Saif al-Almani und Jafar al-Almani nennen ließen, saßen auf der Couch und starrten auf den Bildschirm. Es lief eine der DVDs, die der Imam besorgt hatte: Überwachungsaufnahmen einer amerikanischen Drohne, die über Pakistan flog. Ein kleines weißes Viereck tanzte über Gebäude, noch kleinere Zahlen zeigten die Entfernung zum Ziel. Als die Bombe das Wohnhaus zerfetzte, das nicht viel mehr als eine Hütte war, flogen arabische und deutsche Schriftzeichen ins Bild: Sie töten unsere Brüder. Sie töten unsere Kinder. Und was tust du? Für Hadi war die Propaganda nichts anderes als das deutsche Fernsehen aus anderer Perspektive. Die Amerikaner führten Krieg gegen ihre Länder, weil sie selbst Krieg führten. Es war ein unausweichlicher Kreislauf, und er wurde nicht akzeptabler, wenn man sich die Folgen vor Augen führte. Hadis Hass wuchs nicht, wenn er immer wieder die gleichen Schrecken sah, weil er wusste, dass man nur Menschen hassen konnte und keine Völker. Es gab solche und solche unter ihnen. Die Konvertiten waren die schlimmsten Hasser, wie ehemalige Raucher die vehementesten Nichtraucher werden konnten. Hadi glaubte, dass der Hass eine Droge war wie die Liebe, vor allem die unerfüllte.

Als er an die Tür zum Büro des Imam klopfte, schlug sein Herz schneller. Und er glaubte, die hämischen Blicke von Frank und Wolfgang im Rücken zu spüren. Es hieß, sie wollten nach Syrien. Für die gerechte Sache kämpfen. Etwas Dümmeres hatte Hadi noch niemals gehört.


Der Imam öffnete selbst die Tür. Er umarmte und küsste Hadi zur Begrüßung. Seine Wangen fühlten sich kalt an, noch kälter als seine Hand. Er bot ihm einen Tee an auf dem kleinen Tisch in der Sitzecke mit den unbequemen Stühlen. Theo Richter war ein Mann großer Worte. Er sprach vom Glauben und von dem, was wichtig war im Leben. Er hörte sich gerne reden, und sein langer Bart schien sich scheinbar schneller als sein Mund zu bewegen. Er sprach von dem Weg, den Saif und Jafar beschritten, davon, dass er ihre Entschlossenheit und ihre Gottesfürchtigkeit bewunderte.

Als Hadi schon dachte, dass sich die Lektion dem Ende zuneigte, begann der Imam plötzlich über Golshan zu sprechen. Hadi sah in seinen Augen, dass er es wusste, noch bevor er darauf zu sprechen kam. Seine Stimme war ausdruckslos, im Gegensatz zu seinen Worten. Saif und Jafar hatten ihn verpfiffen auf ihrem Weg zu besseren Moslems als alle anderen.

Der Iman sprach von Ehre, von Verantwortung, von dem, was richtig ist. Ihm bleibe gar keine Wahl, sagte er später. Und Hadi auch nicht, wenn er seine Ehre retten wollte. Und die seiner Familie. Und wenn er nicht wollte, dass Golshans künftiger Mann davon erfuhr, der sie dann sicher verstoßen würde. Er sprach von der großen Schande, die das bedeuten würde. Für Golshan, für ihn, aber auch für die Familie des Imam. Er legte Golshans Zukunft in Hadis Hände. Und er stellte sicher, dass Hadi wusste, dass er keine Wahl hatte.

Zum Schluss nahm er Hadis Arm in seine kalten Finger und versprach ihm, dass es eine Lösung gebe.


Kapitel 1

Le Havre, Frankreich

18.01.2014, 22.04 Uhr (zur gleichen Zeit)

Hoch wie ein zehnstöckiges Haus ragte das Heck des tiefgrauen RoRo-Schiffs vor der Frontscheibe seines Autos in den nachtschwarzen Himmel. Das Licht der Scheinwerfer brach sich im feinen Nebel, der in hauchzarten Schwaden vorbeizog. Er kurbelte das Fenster herunter und warf die Zigarette hinaus. Dann stellte er den Motor ab und stieg aus.

Schnell kroch ihm die Kälte durch den Mantel, das Jackett und das Hemd bis auf die nackte Haut. Zu dunkel. Zu kalt. Zu still. Nur das sanfte Schlagen der Wellen gegen das hohle Metall des Ruders, groß wie ein Lastwagen, war zu hören. Der Autotransporter war unbeladen.

Er warf einen Blick auf die Uhr. In nicht einmal zwei Stunden würde sich das ändern. Er griff nach seiner Hosentasche, um sich zu vergewissern, dass ihm der USB-Stick nicht im Auto herausgerutscht war. Zu dunkel. Zu kalt. Zu still. Und zu gefährlich. In der Ferne sah er die hell erleuchteten Containerterminals. Schläge, Metall auf Metall, weit entfernt. Die Nacht trug sie über das Wasser. Hier waren die Piers breiter, weil die Schiffe nur verluden, was vier Räder hatte und selbst hineinfahren konnte in den Schlund, um sich auf den zehn Decks zu verteilen. Die Sapphire Highway. Kapazität: 4000 Fahrzeuge. Nicht viel. Ein kleines Schiff, kein wichtiges Schiff. Kein wichtiger Reeder. Weniger Interesse von allen. Ein wichtiger Grund für diesen Treffpunkt.


Er zündete sich eine Zigarette an und wartete. Der Tabak knisterte, als er verbrannte, und er sog den Rauch tief in die Lunge ein. Dann hörte er, wie sich ein Fahrzeug näherte. Er drehte sich um und sah einen dunklen Geländewagen von rechts auf sich zukommen. Der SUV bog von der Straße ab auf den Parkplatz und näherte sich langsam. Die Scheinwerfer blendeten ihn. Er drehte sich um und warf die Zigarette ins Wasser. Wie schweres Öl lag es im Hafenbecken. Fünf Meter tiefer die Schiffsschraube. Ein riesiges Schaufelrad, das einen zerreißen konnte wie ein Mixer. Es schlug einem gegen den Kopf, hob einen nach oben, schleuderte einen nach unten. Riss einem die Bauchdecke auf, grub sich in die Gedärme. Nicht wegen, sondern trotz seiner Größe. Der Sog war schuld. Wie im Mixer. Wenn man Glück hatte – was meistens der Fall war –, wurde man beim ersten Treffer bewusstlos.

Die Schiffsschraube lag still, vollkommen still. Er hörte, wie der Motor des Geländewagens erstarb. Gleich hätte er seinen Teil der Abmachung erfüllt. Und dann würde die Frau wieder aus seinem Leben verschwinden. Ein Teil von ihm wünschte sich das sogar.

Der Geländewagen stand mit aufgeblendeten Scheinwerfern neben seinem alten Passat. Niemand stieg aus. Er schien auf ihn zu warten. Es war ein englisches Fabrikat, ein dunkelblauer Range Rover. Er zündete sich noch eine Zigarette an, während er langsam auf den Wagen zuging. Als er neben die Fahrertür trat, nahm er einen letzten, langen Zug und warf die Kippe auf den Boden.

Ein elektrischer Motor surrte, und das Fenster öffnete sich. Doch hinter dem Steuer saß nicht die, die er erwartet hatte. Ein Mann in einer gelben Öljacke, mit Glatze und dichtem kurzem Bart rund um einen dunkelroten Mund. Er sah aus wie ein Fischer, der er mit Sicherheit nicht war.

„Haben Sie das, was Sie mitbringen sollten?“, fragte der Fischer.

„Ich kenne Sie nicht“, sagte er.

„Natürlich nicht“, sagte der Fischer teilnahmslos. „Hatten Sie etwa angenommen, er käme selbst? Wie ein einfacher Botenjunge?“

Er hielt den Fischer nicht für einen einfachen Botenjungen. Er kannte ihn nicht. Und der Mann kannte seine Auftraggeberin nicht. Er wusste nicht einmal, dass er eine Frau erwartet hatte.

Was kann das bedeuten?, fragte er sich.

„Nein, natürlich nicht“, sagte er. Er musste Zeit gewinnen. Zeit, die er nicht hatte. Der Fischer streckte eine Hand aus dem Auto.

„Geben Sie es mir!“, forderte er. Er trat einen Schritt zurück. Als Nächstes würde der Fischer die Autotür öffnen.

Was hatte er für Optionen? Wenn herauskam, was er gestohlen hatte, war er erledigt. Was, wenn der Fischer zu seiner Firma gehörte? Es gab eine große Sicherheitsabteilung und eine noch größere in der Zentrale in Hamburg. Er hatte nicht gewusst, dass der Werksschutz Mitarbeiter beschäftigte, die aussahen wie Fischer. Andererseits: Was hatte er zu verlieren? Er musste nur zu seinem Auto gehen und wegfahren. Was sollte der Mann machen? Ihn erschießen? Wohl kaum. Ihn zusammenschlagen? Möglich, aber dann hätte er immer noch seine Chance genutzt, heil aus der Sache herauszukommen.

„Ich rede nicht mit Leuten, die ich nicht kenne“, sagte er. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

Er drehte sich um. Und ging. Nicht zu schnell. Nicht zu langsam. Es musste bestimmt wirken, sagte er sich. Unnachgiebig. Er wäre gerne unnachgiebig. Diesmal würde er nicht umfallen, sondern einfach wegfahren. Einfach in seinen Passat steigen, den Schlüssel umdrehen und Gas geben. In der Theorie hörte es sich einfach an. Trotzdem zitterten seine Hände, als er auf das Geräusch wartete, dass der Fischer die Autotür öffnete. Er lief um die Motorhaube des Geländewagens herum. Sein Passat stand in greifbarer Nähe, direkt neben dem Landrover. Er langte nach dem Schlüssel in der Manteltasche, als er hörte, wie der starke V8 des Geländewagens ansprang.

Jetzt passierte alles wie in Zeitlupe: Er wusste, dass die Autotür das kleinere Übel gewesen wäre. Er hörte, wie der Motor auf Drehzahl kam. Eine Sekunde. Sah den riesigen Kühlergrill. Kalkulierte, ob er es mit einem Sprint schaffen konnte. Zwei Sekunden. Es würde etwa eineinhalb Sekunden dauern, den Gang einzulegen. Drei Sekunden. Dann spürte er, wie das Metall gegen seinen Arm schlug, seine Brust eindrückte. Er stürzte zu Boden, wartete darauf, dass der Wagen über ihn hinwegrollte. Vier Sekunden. Aber der Range Rover setzte zurück. Zwei Meter. Drei Meter. Er spürte den feuchten Asphalt an seiner Wange. Fünf Sekunden. Dann schoss der Wagen nach vorne, und er spürte, wie seine Beine brachen unter der tonnenschweren Last, verteilt auf vier 235er Geländereifen. Er schrie. Er hörte, wie die Autotür geöffnet wurde. Der Fischer kam ihn holen. Er würde ihm sagen, was er wissen musste.

Er musste ihr etwas sagen. Eine Nachricht schicken. Was würde mit ihm geschehen? Was würden sie mit ihm machen?

Mit schmerzverzerrtem Gesicht griff er nach dem Handy in seiner Jackentasche. Eine SMS. Mehr Zeit hatte er nicht. Er tippte. Dann drückte er „senden“. Dann spürte er eine Pistole am Kopf. Er blickte nach oben, sah den bärtigen Mann. Er hatte das Ölzeug ausgezogen. Seltsamerweise trug der Mann ein Hawaiihemd, eines mit Palmen und weißen Flamingos. Es war das Unpassendste, was er sich vorstellen konnte. Er spürte etwas Heißes auf der Kopfhaut, bevor er den Schuss hörte. Wieso spürt man das Mündungsfeuer vor dem Schuss? Es ergab keinen Sinn. Und wo blieben die Schmerzen?

Vielleicht liegt es am Überschall der … war das Letzte, was er dachte.

Über Jenk Saborowski

Biografie

Jenk Saborowski, geboren 1977 im Taunus, studierte Publizistik und Germanistik und zog nach New York. Er organisierte die erste interaktive Hundeschau der Welt, betextete unzählige Reklametafeln und arbeitete bei mehreren Medienunternehmen, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Heute lebt der...

Weitere Titel der Serie „Solveigh-Lang-Reihe“

Agentin Solveigh Lang und ihre Kollegen von der kleinen, aber schlagfertigen paneuropäischen Polizeieinheit ECSB ermitteln kompromisslos und mit modernsten Methoden in den rasanten Thrillern von Jenk Saborowski.

Kommentare zum Buch
Terror
leseratte1310 am 09.08.2015

Hadi stammt aus dem Irak, ist aber bei seinem Onkel in Frankfurt aufgewachsen. Vom Iman wird Hadi gezwungen nach Syrien zu gehen, weil er Golshan liebt, die aber jemand anderen heiraten soll. Mit zwei deutschen Konvertiten geht er nach Syrien und wird als Glaubenskämpfer ausgebildet. Er ist aber nicht von dem überzeugt, was ihm erzählt wird. Dann werden sie nach Deutschland zurückgeschickt, um für ihren Glauben zu kämpfen. Aber in Deutschland ist man alarmiert und auch Europapolizei ECSB ist schon seit einiger Zeit auf der Jagd nach den Terroristen. Der Schreibstil ist angenehm flüssig. Es gibt verschiedene Handlungsstränge, zwischen denen man zunächst keinen Zusammenhang sieht. In München ergreifen Kriminalhauptkommissar Paul Regen und seine Assistentin Adelheid Auch nach einem Tipp der Amerikaner vermeintliche Terroristen. In Caracas operiert Solveigh Lang (Slang) vom ECSB unter dem Decknamen Catalina. Hadi und seine beiden Glaubensbrüder verschlägt es von Frankfurt nach Aleppo und dann nach Bayern. Was verbindet diese unterschiedlichen Handlungsstränge? Dieser Band ist der vierte aus einer Reihe um Slang und Regen. Er ist unabhängig von den Vorgängern zu lesen, aber es ist angenehmer, wenn man die anderen Bände kennt, da sich die Personen weiterentwickelt haben. Die Charaktere werden sehr detailliert und authentisch beschrieben. Die sympathische Solveigh Lang muss dieses Mal ganz besonders an ihre Grenzen gehen. Obwohl sie ihren Job mit modernster Technik ausübt, muss sie bei diesem Fall ganz anders vorgehen, denn die Terroristen verzichten sicherheitshalber auf technische Ausrüstung. Paul Regen vertraut lieber seinen Intuitionen und dabei hilft ihm auch gutes Essen. Er und sein Vorgesetzter haben noch eine Rechnung miteinander offen, so dass sich die beiden verhalten wir Kinder im Sandkasten – wenn du mich ärgerst, dann zahle ich dir das zurück. Kurze Kapitel mit ständig wechselnden Orten sorgen für Spannung von Anfang an. Das Szenario ist bestürzend realistisch. Im Laufe der Geschichte steigert sich die Spannung bis zum erschreckenden Showdown. Ein absolut empfehlenswerter Thriller!

Erneut die packende Wahrheit!
tina am 06.04.2015

Der vierte Teil der Lang & Regen Reihe garantiert Spannung, Atemlosigkeit und eine Verstrickung von Geheimdiensten, Polizei und scheinbaren Nebensächlichkeiten bis es so richtig knallt!   Packend und schonungslos wahr!

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