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Die Magie der Lüge (Die Magie der Namen 2)

Die Magie der Lüge (Die Magie der Namen 2) - eBook-Ausgabe

Nicole Gozdek
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Roman

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Die Magie der Lüge (Die Magie der Namen 2) — Inhalt

Anderta Passario führt ein Doppelleben. Tagsüber ist sie eine harmlose Wahrsagerin, nachts eine gerissene Diebin. Sie ist glücklich. Doch eines Tages verändert ein Zauber die Wirklichkeit und Anderta scheint die Einzige zu sein, die sich an ihre Vergangenheit erinnert. War ihr ganzes Leben nur eine Lüge? Anderta ist wild entschlossen, ihr altes Leben mit allen Mitteln von dem schuldigen Magier zurückzufordern: Tirasan Passario. Dieser ahnt zwar nichts von Andertas Plänen, aber auch ihn schmerzt der Verlust seiner Vergangenheit. Gerade die Beziehung zu seinem Freund Rustan ist komplizierter denn je, denn Tirasan weiß genau, was dieser heimlich für ihn empfindet – nur hat Rustan sein Liebesgeständnis von einst vergessen. Dabei war Tir ihm noch eine Antwort schuldig! Doch sowohl Anderta als auch Tirasan müssen feststellen, dass es nichts bringt, der Vergangenheit nachzutrauern, wenn man die Gefahren der Gegenwart nicht erkennt.

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 01.09.2017
336 Seiten
EAN 978-3-492-97809-5
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Leseprobe zu „Die Magie der Lüge (Die Magie der Namen 2)“

Unerwartete Enthüllungen

 


„Die Gabe des Wahrheit-Sprechens ist mit der Entstehung der Dynastien verschwunden. Heute gibt es niemanden mehr, der sie beherrscht.“
Ceor Bluber Elluren im 6. Jahrhundert


Die Perücke kratzte wieder einmal fürchterlich, als ich sie mir auf den Kopf setzte und sie sorgfältig befestigte. Kritisch verfolgte ich im Spiegel, wie ich mich von einer eher unauffälligen Brünetten in eine rassige Schwarzhaarige mit langen, schweren Locken verwandelte. Wobei die Betonung auf schwer lag.
In meinem Leben gab es eigentlich nur eines, was ich [...]

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Unerwartete Enthüllungen

 


„Die Gabe des Wahrheit-Sprechens ist mit der Entstehung der Dynastien verschwunden. Heute gibt es niemanden mehr, der sie beherrscht.“
Ceor Bluber Elluren im 6. Jahrhundert


Die Perücke kratzte wieder einmal fürchterlich, als ich sie mir auf den Kopf setzte und sie sorgfältig befestigte. Kritisch verfolgte ich im Spiegel, wie ich mich von einer eher unauffälligen Brünetten in eine rassige Schwarzhaarige mit langen, schweren Locken verwandelte. Wobei die Betonung auf schwer lag.
In meinem Leben gab es eigentlich nur eines, was ich hasste, und das war die Notwendigkeit, eine Perücke tragen zu müssen. In einer Gesellschaft, in der dein Name darüber bestimmt, wer du bist, und deine Dynastie, was du bist, hat jeder die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Es war beispielsweise undenkbar, einen Hero zu sehen, der nicht allzeit Wert auf respektable Kleidung legte. Niemand würde einen Juristen ernst nehmen, der sich wie ein Bauer oder ein Fischer kleidete. Allein dein Name bestimmte über deinen Charakter, deinen Beruf, dein Vermögen – und natürlich auch über dein Auftreten in der Öffentlichkeit.
Ich seufzte, als die verhasste Perücke endlich saß. Nun konnte ich mich dem Rest meines Kostüms für die Öffentlichkeit widmen. Auf die Wangen kam etwas Rouge, die Lippen malte ich blutrot an, die Augenlider leuchtend blau und die Wimpern grün. Zufrieden betrachtete ich das Ergebnis im Spiegel, bevor ich in mein rotes Kleid und die bauschigen Unterröcke stieg. Dann legte ich meine Goldketten an, meine große, mit Juwelen besetzte Brosche und die großen Goldringe und fertig war meine Verwandlung.
Niemand, der mich vor einer Stunde gesehen hatte, als ich das Gasthaus betreten hatte, würde mich jetzt noch erkennen. Darauf legte ich großen Wert. Schließlich hatte ich eine Rolle zu spielen und mein Ehrgeiz ließ nicht zu, dass ich sie anders als perfekt spielte. Das schuldete ich meinen Kunden.
Ich verließ mein Schlafzimmer und betrat den geräumigen Salon nebenan. Zufrieden musterte ich meine Bühne. Die schweren, roten Vorhänge hingen an den Wänden und verdeckten die meisten Fenster. Lediglich eines, das auf eine schmale, dunkle Gasse hinausging, war noch frei. Dadurch lag der Eingangsbereich im Zwielicht, der Rest des Salons aber im Dunkeln. Niemand, der das Zimmer betrat, würde mich auf der anderen Seite des Raums im ersten Moment bemerken.
Langsam ließ ich mich im bequemen Ohrensessel nieder und drapierte meine Röcke, bis sie so lagen, wie ich es wollte. Perfekt! Das Schauspiel konnte beginnen!
Während ich auf die ersten Kunden wartete, schweifte mein Blick durch den Salon. Er war groß, so wie es sich für das beste Gasthaus der Stadt Lodessis geziemte, und mit edlen Teppichen, kostbaren Möbeln und dunklen Vorhängen ausgestattet. Ich hatte die meisten sperrigen Gegenstände und den größten Teil der Dekoration entfernen lassen. Ich brauchte nur wenig für meine Auftritte. Zuallererst mein Kostüm. Einen bequemen Sessel mit einem kleinen Tisch. Ein Regal für meine Utensilien, auch wenn ich diese nur selten benötigte. Und natürlich Stühle für die Kunden.
Es war still im Zimmer, während ich wartete. Mein erster Kunde ließ sich Zeit, aber das war immer so. Ich war gestern in Lodessis eingetroffen und auch wenn die Stadtbewohner in den letzten Tagen schon Geschichten und Gerüchte über mich und meine Gabe gehört hatten, so erforderte es auch Mut – oder Verzweiflung –, der Erste zu sein, der mich aufsuchte. Doch nach vier Jahren in meinem Beruf hatte ich Geduld erlernt. Vorher war ich häufig impulsiv und spontan gewesen. Dafür hatte ich einen schmerzhaften Preis gezahlt …
Ich unterdrückte den Gedanken rigoros, bevor meine Aufmerksamkeit von meiner Vergangenheit in Anspruch genommen werden konnte. Es zählten nur noch das Hier und Jetzt und die Zukunft, die ich mir mit meiner Gabe erschaffen wollte.
Forsche Schritte hallten vom Gang zu mir in den Raum. Ah, ein mutiger Kunde!
Gespannt setzte ich mich etwas aufrechter hin und wartete, bis die Schritte nahe der Tür verlangsamten. Diese hatte ich offen gelassen, daher konnte ich in Ruhe die Frau im Türrahmen mustern, während sie versuchte, mich im Dunkeln ausfindig zu machen. Ein Hauch von Irritation huschte über ihr Gesicht und wurde rasch durch eine ausdruckslose Miene ersetzt.
Ich betrachtete das Wappen, das an einer Kette um ihren Hals hing. Die goldene Waage auf schwarzem Grund wirkte edel – genauso wie ihr Gewand, das aus grünem Samt gefertigt war und ihr ausgezeichnet stand. Die ganze Kleidung, die Rubinohrringe, die goldene Kette und die beiden goldenen Ringe an ihrer rechten Hand schrien förmlich „Reich! Wichtig!“, aber ich ließ sie auf dem Flur stehen, als wäre sie eine einfache Anderti, die darauf hoffte, die Aufmerksamkeit ihres Herrn zu erlangen.
„Seid mir gegrüßt, Briolta Meran“, sagte ich schließlich, als die Richterin kurz davor stand, wieder zu gehen. Das konnte ich natürlich nicht zulassen. „Bitte, kommt doch herein und setzt Euch zu mir.“
Beinahe wäre mir das kurze, erschrockene Zusammenzucken entgangen, doch ich hatte ihre Körpersprache genau beobachtet, um sie besser einschätzen zu können. Die Kunden kamen zu mir, um meine Künste in Anspruch zu nehmen. Doch nicht immer gefiel ihnen das Ergebnis. Ich hatte gelernt, auf Warnzeichen zu achten und Unruhestifter rechtzeitig zu erkennen. Ich hatte schon genug Narben auf meiner Seele, die von meiner früheren Unvorsichtigkeit zeugten.
„Woher wisst Ihr meinen Namen?“, fragte Briolta Meran mit beherrschter Stimme.
Während sie den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss, entzündete ich die Kerze auf dem Tisch vor mir, um ihr so einen allerersten Blick auf mich zu gestatten. Ich wusste, was sie sah: eine exotische Frau von etwa zwanzig mit langen, schwarzen Locken und einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Sie war mit Erwartungen zu mir gekommen und die würde ich erfüllen. Sie wollte Hoffnung, Rache, Reichtum, Antworten, Geheimnisse und noch vieles mehr, das ihr bislang noch gar nicht bewusst war. Doch vor allem wollte sie eines: Magie. Meine Magie.
„Ich weiß vieles“, erklärte ich ihr daher ruhig.
„Vieles?“
Die Richterin musterte mich mit abschätzendem Blick.
„Ihr möchtet eine Kostprobe?“, wollte ich wissen.
Damit hatte ich gerechnet. Obwohl mir mein Ruf vorauseilte, trauten die Leute ihm nicht. Zu fremd erschien ihnen meine Magie. Die Menschen kannten lediglich die Heilmagie ihrer Zunus, die Wettermagie ihrer Wellbanns, die magischen Tricks ihrer Wabloos und natürlich die Namensmagie ihrer Ellusans. Meine Magie und meine Dynastie waren ihnen unbekannt. Das war der Nachteil daran, einen so seltenen Namen zu besitzen: Viele begegneten mir mit großer Skepsis und einige sogar mit ausgewachsenem Misstrauen.
„Der Mord an Hotta Ipso letzten Monat – es war ihr Liebhaber, Ulire Kanres Bonisa, der es nicht verkraftet hat, dass seine beste Kundin und Gönnerin sich von ihm trennte. Er nahm ein kleines Obstmesser, als sie ihm die Neuigkeit verkündete, und stach voller Jähzorn auf sie ein. Als er erkannte, was er getan hatte, flüchtete er vom Tatort und steckte das Obstmesser ein. Ihr findet es versteckt in der untersten Schublade der Kommode in seinem Schlafzimmer. Hotta Ipsos Blut klebt noch immer an ihm und an der Innenseite der Hosentasche seiner grauen Baumwollhose, in der er das Messer während seiner Flucht versteckt hatte. Lasst ihn nicht mit der Lüge durchkommen, es sei Farbe, nur weil er ein Maler ist! Befragt die Andertis der Großhändlerin, ob sie das Obstmesser wiedererkennen!“
„Was?“
Ich gestattete mir ein weiteres geheimnisvolles Lächeln, während ich meine fassungslose Kundin betrachtete. Sie wusste nicht, was sie von meinen Informationen halten sollte. Ich konnte förmlich ihre Gedanken lesen: Woher wusste sie das alles? Konnte es wirklich wahr sein? Hat der Mörder es ihr erzählt? Oder hat sie gelogen und ihr Wissen über den ungelösten Mordfall nur vorgetäuscht?
„Bitte, überprüft es ruhig!“, erlaubte ich großzügig, während ich zum Regal ging und unter all den kleinen Fläschchen, Tinkturen, Gläsern, Schalen und für die Kunden so geheimnisvollen Materialien eine Flasche Wein auswählte, mir ein Glas nahm und damit zurück zu meinem Sessel ging. „Ich werde auf Eure Rückkehr warten.“
Briolta Meran rang sichtlich mit sich, bevor ihr Wissensdurst über ihre Zweifel siegte. „Darum kümmere ich mich später“, erklärte sie und nahm nun endlich auf dem Stuhl vor meinem Tisch Platz.
Ich unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Natürlich waren meine Informationen korrekt, aber es bereitete mir große Freude, wenn ich nicht in jeder neuen Stadt erst einmal angezweifelt wurde. Je länger ich brauchte, um den ersten Kunden zu überzeugen, umso weniger Zeit blieb mir für die übrigen.
„Nun gut, habt Ihr eine bestimmte Frage? Oder soll ich Euch verraten, was Ihr erfahren wollt?“, bot ich ihr an.
„Ihr könnt also tatsächlich die Wahrheit herausfinden?“, erkundigte sich die Richterin angespannt und beugte sich zu mir vor. „Oder ist das alles nur ein Trick?“
Ich legte meine Hand unter mein Wappen und hob es etwas hoch, sodass sie den darauf abgebildeten Kreis gut erkennen konnte.
„Wisst Ihr, wofür dieses Symbol steht?“, fragte ich sie und sie schüttelte stumm den Kopf. Wenig überraschend, schließlich fand man mein Wappen in keinem einzigen der gängigen Dynastie- und Wappenverzeichnisse.
„Es steht für allumfassende Wahrheit“, erklärte ich und ließ das Wappen theatralisch zurück auf meine Brust fallen. „Meine Magie vermag sie zu erkennen – zu unterscheiden, was Wahrheit und was Lüge ist.“
Und jetzt in diesem Moment spürte ich das erste Kribbeln meiner erwachenden Magie. Am liebsten hätte ich erleichtert geseufzt. Meine größte Angst war, dass meine Magie mich im Stich ließ und ich es mit einem wütenden Kunden zu tun bekam, der den Rest des Dorfes oder der Stadt auf mich hetzte. Und leider war die Angst nicht unbegründet, auch wenn der letzte Vorfall dieser Art schon lange zurücklag. Ich wusste nicht, ob die anderen Magier ähnliche Probleme hatten wie ich und ob sie diese nur besser überspielten. Aber ich hatte manchmal das Gefühl, meine Wahrheitsmagie wäre eine eigene, von mir getrennte Persönlichkeit. Und wenn ich sie irgendwie verärgert hatte, schmollte sie und ließ sich durch nichts hervorlocken.
Nun allerdings hörte ich das Flüstern ihrer Stimme und lauschte der Wahrheit, deren Klang sich zuerst in meinem Kopf und dann in meinem Körper ausbreitete. Wie so oft fühlte ich mich berauscht von der Magie, die auf mich in ihrer vollen Stärke einwirkte. Ich erfuhr, was Briolta Meran am heutigen Tag zu mir geführt hatte – und welche Lüge sie ihren Bekannten erzählt hatte.
„Ihr seid nicht zu mir gekommen, um mich zu fragen, wer für die Diebstahl-Serie verantwortlich ist, welche die großen Namen von Lodessis so verärgert, obwohl Ihr dies allen erzählt habt“, stellte ich sie zur Rede.
Der Richterin klappte der Mund vor Staunen auf. „Woher wisst Ihr das?“, flüsterte sie fassungslos.
„Meine Magie sagt es mir“, erklärte ich, während das Flüstern der Wahrheitsmagie wieder alle anderen Geräusche übertönte. Ich hörte nichts anderes mehr, sondern versank in dieser lockenden Stimme, in den Wahrheiten, die sie mir erzählte. Es war wie ein Rausch und selbst wenn es mir die Gesellschaft erlaubt hätte, meine Magie zu verbergen, ich hätte es nicht vermocht. In seltenen Momenten des Zweifels fühlte ich mich wie eine Sklavin meiner Magie, auch wenn ich wusste, dass es nicht so war.
„Ihr wollt wissen, ob Euer Liebhaber Euch tatsächlich betrügt“, fuhr ich schließlich laut fort, während ich den Kopf schräg legte, um der Stimme, die nun von rechts zu kommen schien, besser lauschen zu können.
„Die Antwort lautet Ja.“
Briolta Meran keuchte. Sie wurde erst blass und dann rot vor Wut, als sie aufsprang und der Stuhl mit einem für mich unhörbaren Knall auf dem Boden aufschlug.
„Mäßigt Euch!“, ermahnte ich die Richterin ruhig, bevor sie aus dem Zimmer stürmen konnte. „Ich verstehe, wie wütend Ihr seid. Ihr fühlt Euch verraten, weil er Euch erst heute Morgen noch seine Liebe beteuert hat. O ja, ich weiß, dass Ihr ihn letzte Woche zur Rede gestellt habt, als er eines Abends erst Stunden später als sonst betrunken nach Hause kam. Und ja, er hat Euch mit einer anderen Frau betrogen in dieser Nacht, genauso wie Ihr es befürchtet habt. Aber das ist nicht der Verrat, den er an Euch begangen hat.“
„Was denn sonst?“, rief sie.
Ich musste ihr die Frage von den Lippen ablesen und mir von meiner Magie zuflüstern lassen, denn ich hörte sie nicht. Nichts anderes als meine Magie drang noch zu mir durch.
„Er erinnert sich nicht daran, dass er Euch betrogen hat“, klärte ich die eifersüchtige Meran auf. „Er hat Euch nicht belogen, als er Euch sagte, dass er Euch liebt. Denn das tut er.“
„Wie könnt Ihr das sagen? Wie könnt Ihr Euch dessen sicher sein? Wie kann er mich betrügen, wenn er mich doch liebt?“
Ihr schlanker Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Ich erhob mich aus meinem Sessel und ging um den Tisch herum, um sie in die Arme zu nehmen und zu trösten, froh, dass sie mein Gesicht nicht länger sehen konnte, denn so sicher, wie ich tat, war ich nicht. Meine Gabe hatte ihre Grenzen, Gefühle wie Liebe, Eifersucht oder Hass blieben ihr verschlossen.
„Schhh, schon in Ordnung, weint ruhig“, sagte ich zu ihr und strich ihr über die Haare, was sie niemals zugelassen hätte, wenn sie ihre Gefühle unter Kontrolle gehabt hätte. Aber ich wusste, dass sie den Trost jetzt brauchte. Nichts war schlimmer als Liebeskummer.
„Er liebt Euch, Briolta“, fuhr ich nach einer Weile fort. „Doch Resu hat ein Problem. Ein großes Problem, das Euer gemeinsames Glück zerstört und sein Leben bedroht.“
„Welches?“, schniefte sie.
„Er ist süchtig“, erklärte ich.
„Süchtig?“
Verständnislos starrte sie mich an. Kein Wunder, denn ich wusste, dass es nicht mehr als vier Süchtige in ganz Lodessis gab, und diesen gelang es gut, die Anzeichen ihrer Abhängigkeit zu verbergen, da der Nachschub ihnen stets prompt geliefert wurde. Die wenigen Warnzeichen, die es gab, hatte Briolta nicht richtig deuten können.
„Er ist süchtig nach Traumsaft“, erklärte ich ihr. „Der Kräuterkundige Flommis Karresis hat ihn und drei weitere reiche Männer von Lodessis abhängig gemacht, um sein Einkommen aufzustocken.“
„Was?“, flüsterte sie fassungslos. „Flommis ist unser Freund! Das würde er niemals tun!“
Sie schüttelte den Kopf, leugnete die Wahrheit, weil sie sie nicht hören wollte. Aber sie musste sie hören. Die Stimme in meinem Kopf verlangte es.
„Ihr wisst nicht, dass er einem mächtigen Mann viel Geld schuldete, Briolta“, klärte ich sie auf. „Und dieser Mann wollte endlich sein Geld zurückhaben. Doch durch Flommis’ Spielsucht rann ihm sein Geld schneller durch die Finger, als er es zurückzahlen konnte. Er dachte, er hätte keine Wahl, wenn er weiterleben will, und so hat er bei einem Abendessen Eurem Resu und drei anderen Männern mit Traumsaft versetzten Kräuterschnaps vorgesetzt. Und nachdem sie süchtig waren, hat er ihnen die Drogen zu hohen Preisen verkauft. Inzwischen ist Euer Freund Flommis schuldenfrei – und Resu und seine Freunde immer noch süchtig.“
„Was kann ich tun, um Resu zu helfen?“
„Ihr müsst Flommis verhaften und den Traumsaft vernichten!“, beschwor ich sie eindringlich. Es war wichtig, dass sie mir jetzt genau zuhörte.
„Solange Resu mühelos Nachschub bekommt, wird er niemals vom Traumsaft loskommen“, erklärte ich. „Am besten wäre es, Ihr würdet Euch aufs Land zurückziehen, fernab von Dörfern oder Städten, wo er an Traumsaft kommen könnte. Dort müsst Ihr ihm helfen, die Krise, die auf ihn – und auf Euch – zukommt, zu überstehen. Zweifelt nicht an seiner Liebe, auch wenn er Euch anschreit, Euch entgegenschleudert, dass er Euch hasst, dass er es bereut, Euch jemals kennengelernt zu haben. Denn das wird er, während er gegen den Entzug kämpft. Lasst Euch von einigen kräftigen Andertis begleiten, die ihn notfalls körperlich bändigen können, wenn er sich nicht mehr im Griff hat. Sagt, Briolta: Liebt Ihr Resu?“
„Ja“, hauchte sie, während ich ihre tränenverquollenen Augen nicht aus dem Blick ließ.
„Gut. Denkt immer daran! Resu wird Euch brauchen. Vertraut auf Eure gemeinsame Liebe! Bleibt stark! Habt Hoffnung! Ich verspreche Euch, dass Eure Liebe danach stärker sein wird als je zuvor.“
„Wie könnt Ihr so sicher sein?“, fragte sie staunend.
Ich lächelte sie mitfühlend an. „Ich weiß es einfach, Briolta. Vertraut mir, in Ordnung?“
„Das tue ich.“
Mit neuer Entschlossenheit im Blick setzte sie sich auf, trocknete ihre Tränen und atmete tief durch. Während wir darauf warteten, dass ihr Gesicht wieder eine normale Farbe annahm und sie zu der neugierigen Menge dort draußen gehen konnte, ohne dass man ihr ihren Ausbruch ansah, nannte ich ihr die Namen der drei anderen Opfer und alles andere, was sie über Flommis’ Verbrechen und Resus Genesung wissen musste.
Nachdem sie mich verlassen hatte, trat ich zum Fenster, schlug den schweren Vorhang zurück und starrte nach draußen, wo die junge Richterin von meinen nächsten Kunden umringt wurde. Ich hatte ihr genug Wissen geliefert, sodass sie ihr wahres Anliegen vor den anderen Stadtbewohnern verbergen konnte. Genug Wissen, damit ab morgen die Bewohner von Lodessis meine Tür einrennen würden, um Antworten zu erhalten.
Ich spürte, wie jemand hinter mich trat, und lächelte, als ich Londurs’ vertraute Präsenz erkannte.
„Und? Wie ist es gelaufen?“
Ich drehte mich zu meinem Partner um, während mein Herz etwas schneller schlug. Wie immer brachte sein Anblick meinen Atem zum Stocken. Londurs war Kraft, Sex-Appeal, Verführung und Gefahr in einem. Genau die Mischung, auf die ich stand.
„Großartig!“, antwortete ich und lachte, als er mich in seine Arme nahm und herumwirbelte. „Ich habe gerade unser erstes Opfer gefunden!“

Nicole Gozdek

Über Nicole Gozdek

Biografie

In Buxtehude, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen, nahm Nicole Gozdeks Leidenschaft für phantastische Geschichten ihren Anfang. Nach dem Germanistik- und Romanistikstudium mit Schwerpunkt auf Literatur und einem Abstecher in die Buchbranche arbeitet sie heute als Online Marketing Managerin. Mit...

Kommentare zum Buch
Schnecken sind interessanter als man denkt!
Janine2610 am 08.01.2016

Schon allein der Titel "Das Geräusch einer Schnecke beim Essen" hat mich neugierig auf den Inhalt gemacht, dazu noch der Klappentext und ich konnte gar nicht anders als gleich loszulesen.   Dieses Buch ist kein gewöhnlicher Roman, eigentlich ist es die Autobiografie der Autorin Elisabeth Tova Bailey. Hierin beschreibt sie ein Jahr ihrer etwa 20 Jahre andauernden Krankheit, die sie sich in einem kleinen Dort auf ihrem Europabesuch eingefangen hat. In diesem einen Jahr war sie mehr oder weniger ständig auf ihr Bett angewiesen. Und wenn ich mir das so überlege: man fährt auf Urlaub auf einen anderen Kontinent, kehrt krank zurück - aber nicht etwa für eine Woche, sondern für ganze 20 Jahre ... Das ist hart. Da verpasst man unter Umständen ein Viertel seines gesamten Lebens! Wäre ich an Stelle der Autorin gewesen, ich weiß nicht, ob ich in all den Monaten im Bett nicht wahnsinnig geworden wäre.   ~ Das Überleben hängt oft davon ab, dass man einen Lebensinhalt hat: eine Beziehung, einen Glauben, eine auf dem schmalen Grat des Möglichen balancierende Hoffnung. ~ (S. 25)   Was für ein Glück, dass sie zufällig zu ihrer Schnecke gekommen ist. Geplant war das nämlich nicht. Denn eine Freundin von Elisabeth hat ihr eine Topfpflanze geschenkt (Veilchen) und darin hat eine Schnecke geschlafen. Und weil die Autorin ja sowieso an ihr Bett gefesselt war, hat sie genügend Zeit und zwangsweise wohl auch Geduld gehabt, um die Schnecke zu beobachten. Und all das beschreibt sie eben in ihrem Buch - und es ist wirklich faszinierend!   ~ Nachdem wir uns wochenlang rund um die Uhr Gesellschaft geleistet hatten, konnte an unserer Beziehung kein Zweifel mehr bestehen: Die Schnecke und ich lebten offiziell zusammen. ~ (S. 31)   Von so viel Schnecke auf so wenigen Seiten habe ich noch nie gelesen. Na gut, ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich überhaupt schon mal was Schneckiges gelesen habe ... Jedenfalls war nicht nur die Autorin total begeistert und gebannt bei der Schneckenbeobachtung und Informationen-über-Schnecken-Beschaffung, sondern auch ich. Teilweise fand ich die Beschreibung über ihre Schnecke richtig niedlich und man bekommt große Lust, nach draußen zu gehen, sich eine Schnecke zu suchen und diese in ihrem Tun zu bestaunen.   ~ Das Leben einer Schnecke ist, so sehr wie jedes andere, von dem ich weiß, von leckerem Essen, mehr oder weniger bequemen Schlafplätzen und einer Mischung aus erfreulichen und weniger erfreulichen Abenteuern erfüllt. ~ (S. 94/95)   Diese Schnecke hat die Autorin wahrlich vor dem Wahnsinn bewahrt, denn die Zeit mit ihr war eine interessante Ablenkung, die sie nicht gehabt hätte, wenn ihre Freundin ihr den Veilchentopf nicht gebracht hätte. So gesehen war dieses kleine Lebewesen nicht nur wahnsinnig interessant zu beobachten, sondern auch eine Art Lehrmeisterin für die Autorin. Erstaunlich, wie viel Mut so ein Tier einem Menschen machen kann ...   ~ Die Schnecke war mir eine echte Lehrmeisterin gewesen, ihr bescheidenes Dasein hatte mir Kraft gegeben. ~ (S. 145)   Das ist nicht nur die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft, sondern auch eine Art Liebeserklärung an das Leben, die man durch das Dasein der Schnecke versteht. So wie es hier bei mir der Fall ist, bin ich nur selten durch Beschreibungen eines Lebewesens gleich so fasziniert davon. Dass Schnecken so spannend sein können, hätte ich nie erwartet. Ich sehe diese Tiere nun definitiv mit völlig anderen Augen.

Weihnachten bei den Elchen
Cordula Zitzke am 16.12.2015

Eine sehr schöne Geschichte, bin gespannt wie es weitergeht!

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