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Inspired

Inspired - eBook-Ausgabe

Nicole Gozdek
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Magie der Muse

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Inspired — Inhalt

In Tressina City gelten die goldäugigen Musen als die Elite unter den Völkern. Sie gehen meist ein Bündnis mit einem menschlichen Partner ein, um ihre magischen Kräfte entfalten zu können. Der 22-jährige Jay aus dem menschlichen Getto sieht in den Musen jedoch nur seine Chance, um mithilfe ihrer Magie zum Verbrechergenie zu werden. Kurzerhand entführt er die 18-jährige Muse Niliana, die allerdings keineswegs die Absicht hat, ihm zu helfen. Als die beiden bei einem Streit ungewollt das Musenbündnis und damit Nilianas volle Kräfte aktivieren, kann sie ihre Macht nur noch in Zusammenarbeit mit Jay einsetzen – und möchte ihren ahnungslosen Verlobten so schnell wie möglich wieder loswerden.

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 30.11.2020
400 Seiten
EAN 978-3-492-99595-5
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Leseprobe zu „Inspired“

Kapitel 1

Als ein Krampf im Unterschenkel seine Position unbequem machte, erhob sich Jay von den niedrigen Stufen vor dem Springbrunnen in der Mitte des berühmten Place de la Créativité. Er streckte sich wie eine Raubkatze nach langem Dösen in der warmen Sommersonne. Seine Muskeln zitterten. Etwas strich wie ein kühler Hauch über seine bloßen Unterarme und seinen Nacken, den das Basecap nicht bedeckte. Beinahe wäre er zusammengezuckt. Dann erkannte er, dass er nicht die sanfte Berührung des Tastzaubers eines menschlichen Magiers der Musenpolizei oder [...]

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Kapitel 1

Als ein Krampf im Unterschenkel seine Position unbequem machte, erhob sich Jay von den niedrigen Stufen vor dem Springbrunnen in der Mitte des berühmten Place de la Créativité. Er streckte sich wie eine Raubkatze nach langem Dösen in der warmen Sommersonne. Seine Muskeln zitterten. Etwas strich wie ein kühler Hauch über seine bloßen Unterarme und seinen Nacken, den das Basecap nicht bedeckte. Beinahe wäre er zusammengezuckt. Dann erkannte er, dass er nicht die sanfte Berührung des Tastzaubers eines menschlichen Magiers der Musenpolizei oder eines Elfen spürte, sondern lediglich ein paar kühle Tropfen aus dem Götterbrunnen direkt hinter ihm. Er musste sich zusammenreißen. Das Warten zerrte an seinen Nerven, auch wenn es nicht zu vermeiden war. Jay musterte die bunte Menge um sich herum.

Der übliche Mittagsansturm auf das Musenviertel von Tressina City war bereits vorbei und der Marktplatz leerte sich allmählich, sodass er jetzt erstmals Lücken in den Besucherströmen erkennen konnte. Trotzdem hielten sich immer noch zahlreiche Touristen im Zentrum auf. Zu viele.

Drei Elfenkinder jagten an ihm vorbei. Er hörte sie lachen und rufen, während ihre Mutter ihnen nachsetzte, aber die Kleinen bewegten sich flink wie wendige Tiere. Ein zartes Elfenmädchen kletterte innerhalb von zwei Atemzügen auf den Brunnenrand und von dort auf den gebeugten Rücken des bronzenen Satyrs, hielt sich strahlend am ausgestreckten Arm der Musengöttin fest und nutzte ihre magischen Kräfte, um das Wasser, das aus den Handflächen und Hörnern der Götterstatuen sprudelte, in einem wackligen weiten Bogen auf ihre Geschwister zu lenken. Die kleinen Elfen quietschten und ein paar unbeteiligte Zuschauer protestierten erschrocken, als sie ebenfalls von dem Strahl getroffen wurden.

Jay wandte sich ab. Keinesfalls durfte er in die Situation kommen, dass man ihn ansprach oder gar um Hilfe bat, also tat er so, als hätte er nichts gesehen. Er schlenderte ein Stück weiter, scheinbar uninteressiert, den Blick zu Boden gerichtet. Trotzdem entging ihm nichts, was um ihn herum geschah.

Er sah auf, als eine Gruppe Trolle sich unmittelbar vor ihm durch die Besuchermassen schob. Sie bildeten eine lebende Mauer von etwa acht oder neun Fuß Höhe um die Musen in ihrer Mitte und schirmten sie wirkungsvoll von den Touristen ab. Jay stand da und beobachtete den Trupp aufmerksam. Die eleganten Bewegungen der Musen waren hinter den grobschlächtigen Leibern ihrer Bewacher kaum auszumachen, trotzdem versuchte er, wie jeder hier, zwischen den Trollen hindurchzuspähen. Wie beiläufig rückte er näher heran. Ein Blick aus goldfarbenen Augen streifte Jay, dann schloss sich die Lücke wieder und er kassierte einen Stoß, der ihn kurz taumeln ließ, und der verantwortliche Troll sah ihn an und schnüffelte misstrauisch. Jay erstarrte und versuchte ruhig zu atmen. Kleine, schwarze Augen in einem riesigen Gesicht. Ein drohendes Grollen löste sich aus der Kehle des Wesens und Jay fragte sich, was das hochsensible Riechorgan des Trolls an ihm wahrnahm. Aufregung? Angst?

Jay wich scheinbar respektvoll zwei Schritte zurück und der Troll schien sich damit zufriedenzugeben, zumal seine Kameraden weiterzogen und er den Anschluss nicht verlieren durfte. Die Gruppe verschwand in der Touristenmenge und Jay schaute ihnen nach. Den Musen, die sich wie in einem lebenden Bunker über den Platz bewegten. Unerreichbar.

Ich muss vorsichtiger sein, dachte er und schlängelte sich weiter durch das Gewusel in Richtung Hauptstraße. Er kam sich vor wie bei einem Hindernisparcours im Sportunterricht, dabei mied er bereits die schmalen Gänge und das größere Gedränge zwischen den Marktständen auf der nördlichen Seite des Platzes, wo die Händler jetzt lautstark ihre Rabatte zu Feierabend verkündeten.

Endlich näherte er sich dem Rand des Place de la Créativité. Sein Blick huschte achtlos über die schicken 5-Sterne-Restaurants zu seiner Linken, die er nur von Promi-Hochzeiten aus den Hochglanzmagazinen seiner Mutter und aus den Realityshows im Fernsehen kannte. Die Angestellten begannen bereits die Tische im Außenbereich abzuräumen und die Möbel zusammenzuschieben und Jay warf einen Blick auf seine Uhr, aber er hatte noch etwa fünfundzwanzig Minuten, bis die offizielle Besuchszeit für Touristen endete und die Ausreisezeit begann. Jay streckte die Beine und schritt ein wenig schneller aus.

Er schob sich den Schirm seiner Mütze weiter ins Gesicht, während er an den Glasfronten der Restaurants und Cafés vorbeiging und seinen Blick im Schutz seines Basecaps über das Treiben auf dem Wochenendmarkt wandern ließ und versuchte, dabei nicht zu lange auf den hellblauen Uniformen der allgegenwärtigen Beamten der Musenpolizei zu verweilen. Für einen Moment streifte er den Blick eines Trolls, der mit einem drei Fuß langen Schlagstock bewaffnet war und mit großen Schritten auf seine Straßenseite zueilte. Jays Herz pochte schneller.

Kontrolliert atmete er ein und aus, bevor er stehenblieb und betont ruhig den Rucksack von seinem Rücken nahm, um ihn zu seinen Füßen abzustellen, ohne jedoch die potenzielle Gefahr aus den Augen zu lassen. Während er seine Wasserflasche herausholte und aufschraubte, verfolgte er erleichtert, wie der Troll in einigen Fuß Abstand an ihm vorbei und mit Sieben-Meilen-Schritten auf das Juweliergeschäft zwei Läden weiter an der Straßenecke zulief. Erst jetzt bemerkte er die Gruppe aus menschlichen High-Society-Ladys und selbstbewusst auftretenden Geschäftsmännern in maßgeschneiderten Anzügen und edlen Lederschuhen, die sich vor dem Eingang zusammengerottet hatten. Zwei Elfen in grünen Uniformen standen mit ausgebreiteten Armen unmittelbar vor den Glastüren und versperrten ihnen den Weg.

„Unerhört!“, empörte sich eine Frau von vielleicht Mitte oder Ende dreißig in einem mit Edelsteinen besetzten Designerkleid und ausladenden Hut mit Pfauenfedern daran, während die anderen Menschen um sie herum durcheinandersprachen und der Troll von der Musenpolizei sich zwischen die Elfen und die aufgebrachten Luxus-Touristen schob.

„Was ist hier los?“ Die massige Gestalt überragte die Gruppe und bildete einen scharfen Kontrast zu den vergleichsweise zierlichen Menschen, die sich jetzt etwas eingeschüchtert ein Stück zurückzogen.

Jay nahm einen gierigen Schluck aus seiner Wasserflasche – er hatte nicht bemerkt, wie durstig ihn die Hitze der vergangenen Stunden gemacht hatte. Sein Mund fühlte sich bereits wieder wie ausgedörrt an, kaum dass die Flüssigkeit seine Kehle hinabgeronnen war.

Eine männliche Muse in einem weißen Sommeranzug trat in einer geschmeidigen Bewegung an dem Troll vorbei vor die Touristen. Der Mann trug feinen Goldschmuck an den Handgelenken, sogar an den Ohren und um den Hals. Die Nachmittagssonne ließ das Gold aufleuchten, wenn er sich bewegte.

„Herrschaften, Sie haben das Schild über unserem Eingang gesehen. Bitte halten Sie sich an die Regeln und ersparen Sie uns weitere Auseinandersetzungen.“ Der Mann nickte seinen elfischen Türhütern kurz zu und verschwand wieder in seinem Laden.

Das Schild mit dem goldenen Auge hing tatsächlich gut sichtbar über der Tür, aber die Gruppe schien das immer noch nicht akzeptieren zu wollen.

„Sie wissen nicht, mit wem Sie hier reden!“, rief einer der Männer dem Ladeninhaber nach. „Sie wissen nicht, wer ich bin! Ich habe eine Sondergenehmigung, ich …“

„Keine Ausnahmen. Gehen Sie weiter“, sagte der Troll und schob sich zwei Schritte auf den Mann zu. Die Frauen wichen weiter zurück.

„Komm, wir gehen“, sagte eine von ihnen und berührte den Mann am Arm.

„Das ist lachhaft. Ich werde mich über diesen Laden beschweren!“

„Tun Sie das. Und jetzt gehen Sie. Das ist die letzte Verwarnung.“

Die beiden Elfen stellten sich rechts und links neben den Troll.

Jay unterdrückte ein Kopfschütteln, steckte seine Wasserflasche zurück in den Rucksack, schwang ihn sich auf den Rücken und ging weiter. Solche und ähnliche Szenen hatte er heute mehrfach beobachtet, wenn Menschen versuchten, die den Musen vorbehaltenen Geschäfte zu betreten. Er wusste, dass die begehrten Waren aus diesen Läden gern mal in den Seitengassen zu horrenden Preisen vertickt wurden. Natürlich war über die Hälfte von dem Zeug gefälscht.

Jay musste auf die Straße ausweichen, um an der Gruppe vorbeizukommen.

„Andere Juweliere würden sich darum reißen, wenn ich ihre Schmuckstücke auf einem Ball oder Empfang präsentieren würde!“ Der Mann hatte immer noch nicht aufgegeben. Jay vermutete, dass er den Damen versprochen hatte, sie in ein Musengeschäft einzuschleusen und jetzt mit seiner Aufschneiderei dumm dastand.

Der Troll richtete nun seinen Schlagstock steil nach oben, drückte einen Knopf am unteren Ende und ließ magische rote Funken weit sichtbar in die Höhe schießen, um Verstärkung von seinen Kollegen auf dem Platz anzufordern. Höchste Zeit für Jay zu verschwinden.

„Das Quartier des Muses schließt in fünfzehn Minuten für Besucher. Es wird Zeit für Sie alle, zu gehen“, erinnerte unterdessen einer der Elfen die Touristen.

Arrogantes Musenpack und ihre elitären Freunde! Jay schnaubte unwillkürlich, dann konzentrierte er sich wieder bewusst auf seine Mission. Auch ihm blieb nur noch wenig Zeit, um zu seinem Auto zurückzugelangen und die Aufbruchstimmung der halbstündigen Ausreisezeit nach Geschäftsschluss für sich zu nutzen. Vermutlich hätte er nicht so früh im Musenviertel sein müssen, aber er hatte die Vorbereitungszeit eingeplant, um sich gründlich umzusehen, die allgemeinen Abläufe und das Verhalten der Musen und anderen Bewohner des Quartier des Muses zu studieren und sein Vorhaben an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.

Mit großen Schritten eilte Jay voran. Zunächst einmal wollte er möglichst weit weg sein, bevor weitere Beamte der Musenpolizei am Schauplatz des Aufruhrs eintrafen und er womöglich mit der Gruppe in Verbindung gebracht wurde.

Er wusste im Grunde, dass seine Sorgen unsinnig waren und von seiner Anspannung herrührten. Doch erst als er die Gruppe ein paar hundert Schritte hinter sich gelassen hatte und in eine Seitenstraße eingebogen war, gestattete er sich, etwas langsamer zu gehen. Sein Auto stand nicht weit entfernt. Er hatte es auf den Namen Michael Turner gemietet. Vor einem kleinen Schaufenster blieb er kurz stehen. Aus der spiegelnden Scheibe schaute ihm ein unauffälliger Typ entgegen, ein Student mit Band-T-Shirt und Stonewashedjeans. Seine Haarfarbe wirkte echt und er trug Kontaktlinsen. Jay zog die billige Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Dann ging er weiter.

 

Der Wagen stand in einer schmalen Seitengasse mit hohen Mauern, die dem Fußweg auf der Linken und der Fahrbahn auf der Rechten das Licht nahmen. Hinter den Mauern ragten zu beiden Seiten der Einbahnstraße luxuriöse Stadtvillen empor. Lediglich durch die vergitterten Eingangstore konnte man einen Blick auf die großen Grundstücke und prächtigen Gebäude erhaschen. Hecken und Bäume entlang der Auffahrt schützten die Privatsphäre der Musen zusätzlich vor der Neugier der Touristen, die von Montag bis Samstag während der offiziellen Besuchszeiten durch das Viertel strömten. Jay kam der Wunsch der Musen nach Abgeschiedenheit nun zugute. Von den Häusern aus würde ihn niemand sehen und sofern er sich von den Eingangstoren fernhielt, würde er auch nicht in den Sichtbereich der Kameras geraten.

Ein paar hundert Schritte von seinem Wagen entfernt hielt Jay inne und wartete am Eingang der Gasse. Lässig lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand und beobachtete die Musen und Menschen, die an ihm vorbeischlenderten. Die Geschäfte sowie die Kunstschulen der Musen schlossen in diesen Minuten, sodass ab jetzt mit einem Strom von Menschen und heimkehrenden Musen zu rechnen war. Die meisten Touristen strebten zu den beiden Parkhäusern am nördlichen Stadtrand, doch immer wieder bogen auch vereinzelte Touristenfamilien oder kleine Grüppchen in seine Gasse ein und stiegen dort in ihre wartenden Wagen.

Jay warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Doch trotz des knappen Zeitfensters von einer halben Stunde war er zuversichtlich. Er würde es schaffen! Er musste es schaffen!

Die Nervosität war zurück und er verfluchte seine Hände dafür, dass sie zitterten, während er den Rucksack zu seinen Füßen einen Spalt öffnete und sich vergewisserte, dass sein Werkzeug noch da war.

Seine Blicke huschten unter dem Mützenschirm hin und her. Er stand am Übergang vom Geschäftsviertel zum Wohnviertel. Menschen wanderten schwatzend und lachend in Richtung der Parkplätze. Sie waren immer noch aufgedreht vom Besuch in einem der berühmten Musenviertel des Landes. Vom Glamour, der Genialität und der Attraktivität der Musen geblendet, fühlten sie sich wahrscheinlich, als wären sie kurzzeitig selbst ein Teil dieser glitzernden Scheinwelt. Dabei würden sie niemals dazugehören. Egal wie sehr sie sich anstrengten, wie sehr sie lächelten oder wie viel Geld sie besaßen.

Als eine Gruppe von jungen Musen an ihm vorbeischlenderte, musterte er sie intensiv. Zwei der Musen waren Männer, groß und kräftig. Eine ganze Ecke größer als Jay. Die beiden schieden als Opfer schon einmal aus. Doch die anderen vier Musen waren vielversprechend. Eine von ihnen war ein Traum in Gold: Locken, Augen, ein raffiniertes Kleid und Pumps, alles in der Farbe, die viele – und auch Jay selbst – mit den Musen und mit Reichtum verbanden. Goldlöckchen zog eine regelrechte Wolke von Selbstbewusstsein und Macht hinter sich her. Jays Blick wurde unwillkürlich von ihr angezogen und verharrte einen Augenblick lang auf ihr. Die Muse war unglaublich attraktiv und auch wenn es ihm in den Fingern juckte, ihr das eingebildete Lächeln von ihrem perfekten Gesicht zu wischen, so warnte ihn doch eine innere Stimme davor.

Die drei anderen Mädchen erschienen ihm gewöhnlicher. Goldlöckchens Freundinnen waren eine hübsche Brünette mit einer kunstvollen Flechtfrisur und Blumen in den Haaren, eine Rothaarige mit langer Mähne und einem lauten Lachen, das sie jedes Mal ausstieß, wenn ihre Anführerin etwas sagte, und ein schweigsames, zierliches Mädchen. Jay hatte zuerst gedacht, dass die Muse mit den weißblonden Haaren und dem schlichten Kleid allein unterwegs war, weil sie sich nicht am Gespräch der anderen beteiligte. Doch als die anderen an der Kreuzung stehen blieben, hielt auch sie an.

Die Musen waren keine zehn Schritte von Jay entfernt und bemerkten ihn wie erwartet nicht, während er sein Opfer auswählte. Die Brünette wirkte mächtig, ebenso wie die Rothaarige, die es jedoch gewohnt zu sein schien, sich ihrer Anführerin unterzuordnen. Die Dritte war ungewöhnlich unauffällig für eine Muse und hätte Jay nicht kurz einen Blick auf ihre goldenen Augen erhascht, hätte er sie für einen Menschen gehalten. Vermutlich waren ihre Musenkräfte nicht besonders stark, wenn sie so wenig Macht und Selbstbewusstsein ausstrahlte. Nein, seine Entscheidung stand fest: Die Rothaarige oder, falls das nicht ging, die Brünette.

Kurz darauf musste er einen Fluch unterdrücken. Er hatte gehofft, dass die Gruppe sich trennen, er eine von ihnen allein erwischen würde und mit einem Trick zu seinem Auto locken konnte. Doch ausgerechnet diese beiden gingen zusammen in die entgegengesetzte Seitengasse, während Goldlöckchen und die männlichen Musen weiter auf der Hauptstraße entlangmarschierten. Jay starrte den beiden Musenmädchen hinterher, doch es sah nicht so aus, als würden sie sich demnächst voneinander verabschieden. Im Gegenteil, sie schienen in ein lebhaftes Gespräch vertieft. So ein Pech!

Und nun? Sollte er an einem anderen Tag zurückkommen?

Jay dachte kurz daran, die Umsetzung seines Plans zu verschieben, doch dann erinnerte er sich, dass ihm in zweifacher Hinsicht die Zeit knapp wurde. Er musste es riskieren!

Ein Insekt flog mit einem lauten Summen haarscharf an seinem Gesicht vorbei, riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte den Kopf, um dem Tier hinterherzuschauen. Dann erst bemerkte er, dass die weißblonde Muse an ihm vorbei in seine Straße gegangen war. Sie war so unscheinbar, dass er sie glatt übersehen hatte. Er unterdrückte ein Seufzen. Es war nicht ideal, aber er konnte nicht unbestimmte Zeit auf die nächste Gruppe warten, um sich die perfekte Muse für seine Zwecke auszusuchen. Jetzt galt’s. Entweder diese oder keine.

Leise folgte er dem Mädchen. Vielleicht wohnte sie in einer der schicken Villen, die hinter den hohen Mauern aufragten. Die Muse mit den weißblonden Haaren wurde kurz langsamer, als sie sich zwischen Jays Wagen und der Mauer entlangschlängelte. Jay hatte absichtlich so weit auf dem Fußgängerweg geparkt, dass nur wenig Platz blieb. Das war sein Moment, seine Chance. Er wartete, bis das Musenmädchen das Auto fast passiert hatte, dann trat er aus dem Schatten der Mauer hinter sein Opfer.

„He! Pass doch auf! Du hast mein Auto zerkratzt!“

Wie geplant drehte das Mädchen den Kopf zu ihm um, die Augen groß vor Überraschung. Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen – und Jay drückte ihr das vorbereitete Tuch mit Chloroform aufs Gesicht, das er im Gehen aus seinem Rucksack geholt hatte. Geistesgegenwärtig streckte er auch die andere Hand aus, als sie taumelte.

Er hatte damit gerechnet, dass sie recht schnell erschlaffen würde, aber anscheinend wirkte das Zeug bei Musen weniger stark als bei Menschen. Sie wand sich und er versuchte sie zu halten, nicht aus seinem Griff zu entlassen.

Etwas traf ihn in die Seite, etwas Hartes, das leise knisterte, aber bevor er sich dazu Gedanken machen konnte, schoss ein Schmerz durch seinen Körper wie ein Schock. Jay stieß einen Fluch aus, sah aus dem Augenwinkel Funken aufblitzen, als die Muse ihn erneut angriff. Auch der zweite Stromstoß hinterließ eine Spur aus Schmerzen und verkrampfenden Muskeln. Er biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. Unwillkürlich ließ er nach dem Überraschungsangriff das Tuch mit dem Chloroform fallen und packte mit der anderen Hand wieder nach der Muse, die aufschrie, als auch sie die elektrischen Funken abbekam. Jede Bewegung war eine Agonie, als er gegen die Muse kämpfte, die sich jetzt in eine kleine Wildkatze zu verwandeln schien, die sich mit aller Kraft wehrte.

Jay gelang es, ihre Hand mit der Stabwaffe zu packen, sie herumzudrehen und ihre Finger aufzubiegen. Der Schocker fiel mit einem letzten Funkenausstoß zu Boden und das Mädchen erschlaffte. Jay wimmerte, während er sich verzweifelt bemühte, nicht selbst ohnmächtig zu werden.

Die Muse war rücklings gegen ihn gesunken. Er hielt sie mit einem Arm an seine Brust gedrückt, atmete keuchend ein und aus. Wertvolle Sekunden vergingen. Noch war die Gasse bis auf ihn und das bewusstlose Musenmädchen leer, aber von der Hauptstraße konnte jederzeit jemand kommen. Er durfte nicht hier verharren, egal welche Anstrengung es ihn kostete.

Er ging ein paar Schritte zurück, öffnete die Tür zur Rückbank und schob das Mädchen vorsichtig hinein, bis er sie auf der anderen Seite gegen die Tür gelehnt hatte. Es sah aus, als würde sie schlafen, und ihr eher normales Äußeres entpuppte sich als Vorteil. So würde sie niemand für eine Muse halten.

Jay setzte sich ans Steuer, schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete gegen die Schmerzen an, bevor er sie entschlossen öffnete, den Autoschlüssel ins Zündschloss steckte und den Motor startete.

Langsam fuhr er in Richtung seiner Ausfahrt und warf dabei einen Blick auf die Uhr in der Mittelkonsole. Es war zehn vor vier, er hatte die Hauptausreisezeit genau abgepasst.

Am nördlichen Rand des Musenviertels, der zugleich auch die Stadtgrenze von Tressina City darstellte, reihte er sich in die lange Autoschlange ein, die sich vor den Toren gebildet hatte. Die Musenpolizei war bereits dort und wartete auf ihren Einsatz, während die Parkwächter die Besucherautos eins nach dem anderen vorwärts winkten.

Jay hielt am Kassenhäuschen, ließ die getönte Scheibe ein Stück herunter, aber nicht zu viel, und hielt dem Kassierer sein Ticket hin. Es war ein Elf, zum Glück, denn die waren anders als die Trolle nicht für ihren guten Geruchssinn bekannt, und der Mann konnte daher seinen Angstschweiß nicht wahrnehmen. Der Elf las sein Ticket und meinte: „Das macht dann vierundzwanzig Dollar.“

Vierundzwanzig Dollar? Für vier Stunden?

Jay unterdrückte seine Empörung über diesen Wucher schnell. Stattdessen zwang er sich zu einem schmalen Lächeln, während er sein mühsam erspartes Geld hinüberreichte und es in den gleichgültigen Händen des Kassierers verschwand.

Der Elf nickte ihm kurz zu und drückte auf den Knopf. Der Schlagbaum vor ihm hob sich, er durfte weiterfahren. Ganz einfach. Jay atmete durch.

Das Musenviertel lag hinter ihm und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er über den Rückspiegel einen Blick auf seine Beute warf.

Nicole Gozdek

Über Nicole Gozdek

Biografie

In Buxtehude, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen, nahm Nicole Gozdeks Leidenschaft für phantastische Geschichten ihren Anfang. Nach dem Germanistik- und Romanistikstudium mit Schwerpunkt auf Literatur und einem Abstecher in die Buchbranche arbeitet sie heute als Online Marketing Managerin. Mit...

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