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Der Helicopter Coup

Der Helicopter Coup

Jonas Bonnier
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Die Millionen Beute

„Ein Lesevergnügen, weil sich Bonnier die Freiheit nimmt, dort die Fantasie zu bemühen, wo es keine Fakten und eindeutigen Aussagen der Täter gibt.“ - Mitteldeutsche Zeitung

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Der Helicopter Coup — Inhalt

Am 23. September 2009 detoniert auf dem Dach des Stockholmer Banknotendepots ein Sprengstoffpaket. Es reißt ein Loch in die Betondecke und öffnet den Weg zu 39 Millionen Kronen. Der Plan sieht vor, mit einem Helicopter zu fliehen und die Beute an einem sicheren Ort zu verstecken. Mehr als acht Monate haben Niklas Nordgren, Michel Malouf, Sami Farhan und Zoran Petrovic in die minutiöse Vorbereitung investiert. Und in dem spektakulärsten Raubüberfall der schwedischen Geschichte gelingt es ihnen, mit dem Helicopter vom Dach des Depots abzuheben. Doch damit ist die Beute noch nicht in Sicherheit ... - Bis heute haben die vier Räuber nie über ihre Tat gesprochen, in deren atemberaubendem Verlauf es der Polizei nicht gelang, sie aufzuhalten. So ist der 23. September 2009 zu einem schwedischen Mythos geworden, die Täter zu nationalen Helden. Nun erzählt Jonas Bonnier ihre rasante Geschichte und beweist, dass die Realität spannender ist als jede Fiktion.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 19.03.2018
Übersetzt von: Susanne Dahmann
416 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99097-4
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Leseprobe zu „Der Helicopter Coup“

1 

Auf seinen Spazierstock gestützt und in gebeugter Haltung kam der alte Mann aus dem Wald. Der Weg bestand nur aus ein paar zugewucherten Reifenspuren. Der Mann trug schwarze Gummistiefel, die er vor einigen Wochen beim Coop in einem Vorort Stockholms gekauft hatte, sowie einen dunkelbraunen Regenmantel aus dem Supermarkt im Einkaufszentrum Fältöversten in der Innenstadt.

Für Kleidung interessierte er sich nicht. Hatte er noch nie.

Es lag kein Schnee, aber der Frost hielt Bäume und Büsche in seinem eisigen Griff. Endlich mal ein richtig kalter Tag! [...]

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1 

Auf seinen Spazierstock gestützt und in gebeugter Haltung kam der alte Mann aus dem Wald. Der Weg bestand nur aus ein paar zugewucherten Reifenspuren. Der Mann trug schwarze Gummistiefel, die er vor einigen Wochen beim Coop in einem Vorort Stockholms gekauft hatte, sowie einen dunkelbraunen Regenmantel aus dem Supermarkt im Einkaufszentrum Fältöversten in der Innenstadt.

Für Kleidung interessierte er sich nicht. Hatte er noch nie.

Es lag kein Schnee, aber der Frost hielt Bäume und Büsche in seinem eisigen Griff. Endlich mal ein richtig kalter Tag! Vielleicht würde es am Abend ja schneien.

Aus dem Wald, wo die dunkelgrünen Tannennadeln die stärkste Farbe auf der ansonsten grau-braunen Palette waren, tauchte jetzt etwa zehn Meter hinter ihm ein schwarzer Hund auf. Ein Labrador Retriever. Das Tier schaute zu seinem Herrn, senkte die Nase auf den Boden und lief weiter. Kurz darauf kamen drei weitere schwarze Hunde angelaufen, alle von derselben Rasse und gleich groß. Sie überquerten den Weg und verschwanden im Gebüsch auf der anderen Seite. Der alte Mann folgte ihnen. Hinter sich hörte er den Rest des Rudels, drei Hündinnen und einen Rüden, die kreuz und quer über gefrorenes Blaubeerreisig, Schlingpflanzen und Farnkraut schnürten.

Sie waren auf dem Nachhauseweg.

 

Der alte Mann wohnte in einer dunkelroten Hütte südlich von Landfjärden, ungefähr auf der halben Strecke zwischen Nynäshamn und Stockholm. Obwohl der Wald vor seinem Küchenfenster dicht stand, konnte er im Winter bis zur Insel Muskö hinübersehen. Vom Gartenzaun bis zur Uferlinie waren es nur ein paar Hundert Meter, und dort gab es zahlreiche Stellen, an denen seine Hunde im Frühjahr und im Sommer baden konnten. Der Labrador ist eine Hunderasse, die darauf ausgerichtet ist, aus dem Wasser zu apportieren. Man könnte meinen, die Tiere hätten Schwimmhäute zwischen den Zehen.

Die acht großen Hunde wohnten zusammen mit dem Mann in der Hütte, die beiden Schuppen nebenan benutzte er für die Welpen. Seit bald zwanzig Jahren züchtete er Labradore, und die Hunde waren ihm lieber als die Menschen. Deshalb wohnte er auch hier im Wald. Es gab in der Gegend weder eine Wasserleitung noch zuverlässige Elektrizität, und die nächste von der Stadt angelegte Siedlung begann ungefähr zwanzig Kilometer weiter südlich. Die Nachbarn hielten Abstand.

In den ersten Jahren hatte der Mann noch selbst mit den Hundekäufern gesprochen, doch er bekam schlechte Laune, wenn die fetten Tanten fragten, ob die Hunde viel Bewegung bräuchten, oder wenn verwöhnte Kinder die Welpen an den Ohren zogen. Und wenn er schlechte Laune bekam, dann erhob er die Stimme und gab den Kindern eins auf ihre Rotzfinger.

Er war kein guter Verkäufer, deshalb ließ er sich inzwischen helfen. Leute von anderen Zuchthöfen stellten seine Welpen und Junghunde aus und kümmerten sich sogar um die Finanzen. Dafür heimsten sie auch das Lob und die Ehre ein, aber darauf legte der Alte sowieso keinen Wert.

 

Als er vom Morgenspaziergang zurückkam, war es kurz vor neun Uhr. Die Hütte bestand aus drei Zimmern und einer Küche. Weil die Hunde regelmäßig den halben Wald mit in die Stube brachten und der alte Mann es seit ein paar Jahren im Rücken hatte, machte es nicht viel Sinn zu putzen. Aber in die Küche durften die Tiere nicht, und so war das der einzige Raum, in dem einigermaßen Ordnung herrschte. Der Mann setzte Kaffee auf.

Er erwartete Besuch.

Er kannte die beiden gut genug, um sicher sein zu können, dass sie auch kommen würden, wenn er sie rief. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor ihm, und da waren sie nicht die Einzigen.

 

Sami Farhan war der Erste.

Der alte Mann sah ihn den Pfad von der Landstraße her kommen. Der Bus von Västerhaninge Richtung Nynäs hielt oben an der 73, und die Hütte lag von dort knapp zehn Minuten in den Wald hinein.

Obwohl es viele Jahre her war, seit Sami im Ring gestanden hatte, bewegte er sich immer noch wie ein Boxer. Die Füße schnell und leicht, der Körper schwer und behäbig. Weniger als eine Minute brauchte er, um vom Gartentor zum Haus zu kommen. Er trug einen kurzen grauen Wollmantel, der besser zu einem warmen Frühlingstag in der Stadt gepasst hätte, an den Füßen hatte er weiße Turnschuhe.

Der Mann ließ ihn hinein. Die acht schwarzen Hunde warfen den Boxer fast um, so freuten sie sich über den unerwarteten Besuch. Weil sich der andere Gast des Mannes offenbar nicht in demselben Bus befunden hatte, würden sie nun fünfunddreißig Minuten warten müssen. Der Alte nahm den Schlüssel zum Schuppen vom Haken bei der Tür, und sie gingen zusammen auf den Hof hinaus.

„Wie geht es eigentlich deinen Brüdern, Sami?“, fragte der Alte freundlich.

„Wieso?“

„Deinen großen Bruder Ali habe ich kürzlich mal getroffen, aber deinen kleinen Bruder habe ich lange nicht gesehen. Adli heißt er doch, oder?“

„Ja, so heißt er.“

„Alles in Ordnung mit ihm?“

„Lad ihn doch ein und frag ihn, wenn es dich interessiert.“

Der Mann nickte amüsiert und sah zu Boden. Was seine Brüder anging, war Sami unverändert stur.

Zwischen den beiden Schuppen gab es unter einem Klippenvorsprung einen Erdkeller aus den Fünfzigerjahren. Jemand hatte auf traditionelle Weise Steine übereinandergefügt, und auf dem Dach wuchs Moos, weshalb der Hügel inzwischen aussah, als wäre er genauso alt wie der Wald ringsumher.

Dicht gefolgt von den acht Hunden gingen der Alte und Sami hinüber, um Futter für die Welpen zu holen, das dort zusammen mit allem anderen, was in der Speisekammer des großen Hauses keinen Platz fand, verwahrt wurde. Ganz hinten in der Dunkelheit des geräumigen Kellers, für den Besucher nicht zu erkennen, waren an die fünfzig Kartons aufeinandergestapelt, sämtlich voller Bargeld, in Plastiktüten sortiert. Es waren Scheine der unterschiedlichsten Währungen, insgesamt mehr als dreihundert Millionen Kronen.

Wahrscheinlich war das Geld auf dem besten Wege, in der Feuchtigkeit und Kälte zu verschimmeln.

Der alte Mann machte sich deswegen aber keine Sorgen. Es gab ohnehin nichts Besonderes, was er sich von dem Geld hätte kaufen wollen.

Er bat Sami, das Hundefutter zu tragen, und sie gingen schweigend zum Schuppen, um es den hungrigen Welpen zu bringen.

 

Als sie wieder in die Hütte kamen, verschwand der Alte nach oben ins Schlafzimmer, und Sami blieb derweil in der Küche und starrte zehn lange Minuten auf den Kaffeefilter, durch den das Wasser tröpfelte. Es war ihm schon immer schwergefallen, still zu sitzen, und ohne es selbst zu bemerken, wippte er so ungeduldig mit der rechten Ferse, dass sein ganzes Bein wackelte. Er starrte aus dem Fenster, und da endlich sah er Michel Maloof durch den Wald kommen. Und schon hörte er auch Schritte auf der Treppe: Der Alte war wieder auf dem Weg nach unten.

Maloof war kleiner als Sami. Er ging mit leicht hochgezogenen Schultern, bewegte sich aber ebenfalls behände und zielgerichtet. Seine Stiefel schienen einigermaßen für den Wald zu taugen, wenngleich er offensichtlich fror. Als der alte Mann die Tür aufmachte, legte Maloof sein charakteristisches Grinsen auf, das zwei Zahnreihen entblößte, die in seinem schwarzen, gut gepflegten Bart weiß strahlten.

„Hallo, hallo“, sagte er.

Er streckte die Hand aus, hatte aber vergessen, dass der alte Mann niemals jemandem die Hand gab. Doch in dem Chaos, das die Hunde anstellten, konnte die Situation gar nicht erst peinlich werden.

„Sami ist schon da“, erklärte der Alte.

„Sami?“, echote Maloof. „Der Sami?“

In der Frage schwang eine kaum merkbare Schärfe mit, wobei unmöglich zu erraten war, was Maloof zu dieser Reaktion veranlasste. Seine Fähigkeit, zu verbergen, was in ihm vorging, war legendär: Niemand hätte aus freien Stücken mit Maloof Poker gespielt. Sein freundliches Lächeln schien unabhängig von dem, was um ihn herum geschah.

Er strich sich über den Bart, und da tauchte Sami in der Küchentür auf.

„Das ist aber eine Überraschung“, sagte der Boxer.

 

Michel Maloof stammte aus einem christlichen Zuhause im Libanon, Sami Farhan aus einer muslimischen Familie im Irak. Beide waren als Kinder mit ihren Familien nach Schweden gekommen und in Stockholms südlichen Vororten zur Schule gegangen. Der alte Mann hatte sie zu verschiedenen Gelegenheiten und in unterschiedlichen Zusammenhängen kennengelernt, und beide hatten ihn gleichermaßen beeindruckt. Im Laufe der Jahre hatten sie sich als professionell und verlässlich erwiesen, was zum Teil darauf beruhte, dass sie keine Drogen anrührten, weder zum eigenen Konsum noch geschäftlich. Wollte man mit Michel Maloof oder Sami Farhan arbeiten, dann konnte man nicht gleichzeitig mit Drogen rummachen, das wussten alle.

Trotzdem hatten sich Maloofs und Samis Wege bis zu diesem Tag nur flüchtig gekreuzt.

Sie setzten sich um den abgenutzten Küchentisch. Sami und Maloof hielten die Hände um ihre heißen Kaffeetassen. Wie konnte der Mann so kalt wohnen? Einer der Hunde draußen in der Stube begann zu bellen, woraufhin mehrere seiner sieben Verwandten und Freunde einstimmten, bis der alte Mann sie mit einem kurzen, leisen Kommando zum Schweigen brachte.

Sami Farhan und Michel Maloof sahen sich an.

Sie hatten ebenso viel Respekt vor dem Alten wie die Hunde, wenn sie ihn auch nicht wirklich kannten oder mochten. Er war kein Mensch, für den man Sympathie empfand. Wenn er allerdings von sich hören ließ, dann kamen sie, warum auch nicht? Oft genug hatte er interessante Ideen.

„Ihr zieht einfach zu wenig an“, erwiderte er auf Samis Frage, ob man es in dem Haus nicht wärmer machen könnte.

„Ich habe einen Vorschlag“, fuhr der Alte fort. „Oder, besser gesagt, eine Frage.“

Sami und Maloof hörten zu. Wenn sie so nebeneinandersaßen, waren die Unterschiede zwischen ihnen besonders deutlich. Samis Blick war offen und fordernd, er wartete gespannt auf den nächsten Satz, war engagiert. Maloof saß mit abgewandtem Gesicht da, entspannt und scheinbar desinteressiert, in sich selbst versunken. Als er flüchtig dem Blick des Alten begegnete, geschah es mit der abwartenden Neugier des Beobachters.

„Es gibt in Västberga ein Gebäude“, begann der Alte, „von dem ich weiß, dass ihr beide es kennt. Ein Haus, in dem große Summen von Bargeld lagern. Und da hat sich jetzt eine Möglichkeit ergeben . . .“

Die Hunde knurrten und begannen zu spielen, und kurz klang es, als würden sie nebenan die Möbel umwerfen. Es kehrte wenig später von selbst wieder Ruhe ein, ohne dass der Alte seine Stimme erheben musste.

„Es gibt eine Frau“, fuhr er fort, „von der ich glaube, dass sie . . . eine Hilfe sein könnte. Sie sucht, nun, Gesellschaft und ist auf diesen Seiten angemeldet. Ihr wisst schon, wo man sich zum Ausgehen verabredet?“

Sami und Maloof nickten. Hätte es sich um jemand anderen gehandelt, hätten sie sicher über den Ausdruck „zum Ausgehen verabredet“ Witze gemacht. Aber über den Alten scherzte man nicht. Man hielt die Schnauze und hörte zu.

Sie tranken von dem Kaffee, der stark und wie Teer war, und warteten, dass er weitersprach.

„Deshalb habe ich euch hergebeten“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Ich glaube, das könnte was für euch sein. Würdet ihr das Mädel nicht gern mal treffen? Sie ist in eurem Alter. Geht mit ihr essen. Ihr könnt ja sagen, dass ihre Adresse in einer der Kontaktanzeigen stand.“

Maloof und Sami sahen einander an. Keiner von beiden litt generell an Frauenmangel.

„Ich glaube, ich komme da leider nicht infrage“, sagte Sami schließlich. „Du weißt doch, dass wir noch einmal ein Kind erwarten, oder?“

„Das weiß ich“, sagte der Alte mit einem Nicken. „Das ging flott, oder? Dein Sohn ist doch noch nicht mal ein Jahr. Wie heißt er noch? John? Ist er denn schon getauft?“

„Ich kann kein Date mit einem Mädchen ausmachen“, erwiderte Sami, ohne auf die Fragen einzugehen. Er trat mit den Füßen auf, um sich warm zu halten, und erklärte: „Ich kann nicht mal so tun, als ob. Ich habe jetzt eine Familie. Außerdem drehe ich keine Dinger mehr. Ich hab jetzt was anderes am Laufen. Verstehste?“

Der Mann nickte, doch sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, als hätte er Samis Einwände nicht gehört.

„Und was sagst du, Michel?“, fragte er.

„Ja, also“, erwiderte Maloof, „ich kann daten, wen ich will. Aber . . . zweihundert Meter von diesem Haus in Västberga entfernt befindet sich ein Polizeirevier. Daran wird auch das Mädel nicht viel ändern, oder?“

Der alte Mann antwortete nicht.

„Und . . .“, fuhr Maloof fort, der dem Alten nicht widersprechen, aber trotzdem seine Zweifel anbringen wollte, „in dem Haus, also, die haben rund um die Uhr den Empfang besetzt. Hunderte von Überwachungskameras. Die Hütte gehört definitiv zu den sichersten in Nordeuropa.“

Der Mann sah nicht so aus, als würde er die Skepsis der beiden überhaupt wahrnehmen.

„Trefft euch mit ihr“, wiederholte er und wandte sich an Sami. „Hör ihr einfach zu. Vielleicht sagt sie zufällig etwas, das interessant klingt.“

Sami zerrte am Halsausschnitt seines Pullovers, als bräuchte er Luft.

„Schon, aber das ist wirklich nichts für mich“, antwortete er höflich, als wäre er eingeladen worden, sich noch ein Stück Kuchen zu nehmen.

Der Mann starrte ihn ausdruckslos an und wandte sich dann Maloof zu.

„Michel?“

„Ich weiß irgendwie nicht“, sagte er.

„Wenn du sie zum Essen einlädst, bezahle ich die Rechnung“, sagte der Alte. „Wenn es irgendwohin führt, kann ich mir auch vorstellen, finanziell bei der Durchführung der Sache zu helfen.“

„Absolut, absolut“, nickte Maloof. „Nein.“

„Nein?“

Maloof machte eine Handbewegung, die so vage war, dass man sie unmöglich interpretieren konnte. Er wollte nicht ablehnend wirken. Er sah zu Sami, der fast unmerklich den Kopf schüttelte, während er seine Hände rieb, um sie zu wärmen. Sie hatten beide größten Respekt vor dem Mann mit den Hunden, doch diesmal schien seine Idee einfach zu weit hergeholt.

„Das enttäuscht mich“, sagte der Alte und stand vom Tisch auf. „Das enttäuscht mich sehr.“

Über die Küche senkte sich ein bleiernes Schweigen, und die beiden Besucher fühlten sich unwohl.

Der Mann zog ein Papier aus der Hosentasche und gab es Maloof.

„Nimm trotzdem das hier mit. Das sind die Personalien des Mädchens. Und ihre Mailadresse. Für den Fall, dass du es dir anders überlegst.“

„Danke“, sagte Maloof, nahm das Papier und schob es in die Jackentasche. „Man weiß ja nie.“

„Ich glaube, dass ihr zwei, du und Sami, etwas richtig Interessantes zustande bringen könntet, wenn ihr zusammenarbeiten würdet“, erwiderte der Mann.

 

Februar – Mai 2009

2

Michel Maloof unternahm einen Spaziergang entlang der Uferpromenade Hornsbergstrand mit ihren neu gebauten Wohntürmen. Über seinem dunklen Anzug trug er einen dünnen schwarzen Mantel. Die glatten Sohlen der Anzugschuhe waren für den eisigen Untergrund nicht geeignet, immer wieder schlidderte er über den Weg, wobei die schwarze Aktentasche, die er in der Hand hielt, als eine Art Gegengewicht fungierte. Er bog auf der anderen Seite der Ekelundsbron vom Weg ab, um runter zum Kanal zu gehen.

Er war früh dran. Die Besprechung würde erst in zwanzig Minuten beginnen. Sein Auto hatte er direkt vor dem Eingang der G4S-Niederlassung geparkt. Der hellgraue Seat Ibiza war das unauffälligste Auto, das er je gefahren hatte. Wenn es auf einem großen Parkplatz stand, kam es vor, dass er selbst daran vorbeiging. Für Maloof war es nicht selten wichtig, keine Aufmerksamkeit zu erregen, und der Seat schien zu ebendiesem Zweck entworfen worden zu sein.

Aber in dem Auto zu hocken und fast eine halbe Stunde zu warten, bis er reingehen konnte, dazu hatte er keine Ruhe gehabt.

So nah war er noch nie dran gewesen. Nervös war er nicht, aber aufgeregt, und dieser kurze Spaziergang sollte ihn ein wenig beruhigen.

Nach einem warmen Januar war die Kälte jetzt zurückgekehrt, trotzdem war kein Eis auf dem schmalen Kanal. Vielleicht sorgte die Stadt ja auch dafür, dass die Fahrrinne frei blieb. Maloof wusste nichts über die Gegend hier, das war nicht sein Kiez.

Michel Maloof war im Libanon geboren, doch als er sechs Jahre alt war, floh die Familie vor dem blutigen Bürgerkrieg. Sein Vater hatte immer nur ein Ziel: Sie würden nach Skandinavien gehen, dem Paradies auf Erden. Der junge Michel wusste nicht, wie sein Vater auf die Idee gekommen war, dass der Norden die Lösung aller Probleme wäre, er war allerdings nicht dazu erzogen worden, die Entscheidungen seines Vaters infrage zu stellen. Also ging es nach Norden, und die warmen Winter des Libanons wurden gegen die kalte, nordische Wirklichkeit getauscht. Maloof erinnerte sich vor allem daran, wie er gefroren hatte. Rund um die Uhr.

Nach dem ersten Jahr in einem kleinen Ort auf halber Strecke zwischen Östersund und Arvidsjaur war sogar Maloofs Vater die Stille, die Dunkelheit und den Wald am Polarkreis leid. Die Familie packte ihre wenigen Sachen und ließ sich in dem Stockholmer Vorort Fittja nieder. Das war eine Umgebung, die von den Einheimischen mit Kriminalität, Armut und Krawallen in Verbindung gebracht wurde, die Familie jedoch fand dort die Geborgenheit, die sie gesucht hatte. Die Vorteile der Gegend waren groß genug, dass man die Augen vor den Nachteilen verschließen konnte, und sie lebten immer noch dort.

Am Brückenpfeiler des Essingeleden machte Maloof kehrt und ging zurück. Das Gras zu beiden Seiten des Weges war mit einer feinen Schicht Pulverschnee bedeckt, was den grauen Nebel ein wenig heller machte.

Von allen Stadtteilen Stockholms trat das versteckte Stadshagen am wenigsten ins Rampenlicht. Seit den Fünfzigerjahren war das Viertel ein Industriegebiet gewesen, wo billige Quadratmeterpreise und der Zugang zu den Ladekais geboten wurden. Erst in den letzten Jahren hatten Politiker und Stadtplaner erkannt, dass die Lage eigentlich viel zu gut war, um dort lediglich eine Fabrikwüste zu kultivieren. Jetzt war man im Begriff, die Gegend in ein attraktives Wohngebiet umzuwandeln.

Als Maloof auf die Promenade zurückkehrte und die Baustellen sah, die wegen der Kälte vorübergehend stillstanden, empfand er Erleichterung darüber, nicht innerhalb der Stadtgrenzen Stockholms wohnen zu müssen.

Ihm gefiel es draußen in Fittja, und er sehnte sich nie nach der Stadt, sondern wollte schnell wieder weg, wenn er einmal dort war.

Er sah auf die Uhr. Zehn vor zwei.

Maloof holte tief Luft.

 

Am Empfang saß eine ältere Frau mit schwarzem Brillengestell und blonder Föhnwelle. An der Wand hinter ihr leuchtete das G4S-Logo, als wäre es eine Ikone, vor der die Angestellten sich auf dem Weg ins Büro verbeugen sollten.

Die Frau blickte Maloof streng an, als er die Treppen im Eingangsbereich hinaufkam.

Unbewusst rückte er seinen Schlips zurecht, strich sich eilig das lange Haar hinter die Ohren und fuhr sich mit der Hand über den gepflegten Bart. Dann legte er ein breites Lächeln auf.

„Ich habe um zwei Uhr einen Termin mit Anders Mild.“

Die Frau war nicht empfänglich für seinen Charme. Sie nickte widerwillig und bat ihn, sich rechts vom Empfang niederzulassen, während sie Anders Milds Sekretärin anrufen würde.

Das streng wirkende Designersofa war sogar noch unbequemer, als es aussah. Als Maloof sich setzte, wurde er daran erinnert, wie wenig er Anzüge mochte. Das modisch auf Taille geschnittene Jackett spannte über den Schultern. Tags zuvor hatte er einen dunkelroten Schlips erstanden und zwanzig Minuten gebraucht, um sich einen anständigen Knoten zu binden. Sein Kopf war rot vom Zorn gewesen. Wie sollte man mit so einer Strippe um den Hals jemals selbstbewusst auftreten?

Er beugte sich vor und sah verstohlen zu den Fluren, von denen die Büros abgingen. Der Mann, auf den er wartete, Anders Mild, war Geschäftsführer und Chef der G4S in Schweden. Ohne die Hilfe von Zoran Petrovic hätte Maloof niemals diesen Termin bekommen, und als Milds Sekretärin jetzt den Flur herunterkam, wurde ihm auch klar, wie Petrovic das hingekriegt hatte.

Die Sekretärin war sehr jung und sehr süß.

Maloof erhob sich und schüttelte dem Mädchen die Hand. Dabei hielt er den Griff der schwarzen Aktenmappe zu fest umklammert.

„Kann ich Ihnen etwas bringen?“, fragte sie, während sie ihn in einen großen Besprechungsraum mit Blick über die Dächer der umstehenden Gebäude führte. „Wasser? Kaffee?“

„Genau, ja klar“, erwiderte Maloof und stellte seine Aktentasche auf einem Stuhl ab. „Vielen Dank, ja.“

„Benötigen Sie den Beamer?“, fragte das Mädchen, das immer noch nicht wusste, ob er Kaffee oder Wasser wollte.

Erst begriff er nicht, was sie meinte.

„Für Ihre Präsentation“, erklärte sie. „Sie werden Anders doch etwas vorführen, oder?“

Maloof schüttelte den Kopf.

„Exakt, genau. Ja. Nein, kein Beamer, heute nicht“, sagte er und klopfte mit einem breiten Lächeln auf seine schwarze Aktentasche. „Das hier ist meine Präsentation.“

Sie nickte, ohne sich weiter darum zu kümmern, was er meinte, und ließ ihn mit offen stehender Tür allein, um ihren Chef zu holen.

Maloof war zu aufgeregt, um sich setzen zu können.

 

Zusammen mit Zoran Petrovic hatte Maloof alles sorgfältig recherchiert. G4S war das größte Sicherheitsunternehmen der Welt. Mit einer Präsenz in einhundertfünf Ländern und mehr als sechshunderttausend Angestellten war es zudem einer der größten privaten Arbeitgeber. Den eher unspektakulären Ursprung des Unternehmens konnte man bis Kopenhagen zurückverfolgen, wo etwa zeitgleich mit dem Begrüßungsfeuerwerk für das 20. Jahrhundert eine Firma gegründet worden war, die Nachtwächter vermietete.

Zu Anfang des 21. Jahrhunderts fiel das Augenmerk der Risikokapitalisten auf die Sicherheitsbranche. Sie öffneten ihre Geldschleusen, schwangen ihre Peitschen, änderten den Namen des Unternehmens in Group 4 Securicor und gingen im großen Stil einkaufen – in Schweden fiel etwa das einstmals staatliche Unternehmen ABAB der Expansion des Konzerns zum Opfer.

Group 4 Securicor oder G4S wuchs an der Londoner Börse. Man organisierte sich in zwei Geschäftsbereiche: die G4S Secure Solutions, die mit Bewachung zu tun hatte, und die G4S Cash Solutions, die zuständig war für das Aufgabengebiet Werttransporte.

 

Anders Mild war für G4S Cash Solutions in Schweden verantwortlich, und er ließ Michel Maloof nicht länger als ein paar Minuten im Besprechungsraum warten. Mild, mittelgroß, mit blauen Augen und einem derart schmalen Nacken, dass er den Kopf kaum halten konnte, trug einen glänzenden grauen Anzug, dazu ein exklusives hellblaues Hemd, dessen oberer Knopf offen stand. Mit energischen Schritten ging er um den Konferenztisch herum, schüttelte Maloofs Hand und nickte dem älteren Mann zu, der wenige Schritte hinter ihm hereinkam, dann jedoch auf der anderen Seite des Tisches stehen blieb.

„Michel, das hier ist Rick Almanza“, stellte Anders Mild seinen Kollegen vor. „Rick zeichnet für unsere europäischen Unternehmen verantwortlich. Er ist also sozusagen mein Chef. Ich habe ihm von unserem Treffen erzählt, und er fand die Sache so spannend, dass er aus London hergekommen ist, um dabei zu sein. Ist es okay, wenn wir das Ganze auf Englisch machen?“

Maloof lächelte und nickte.

Konnte das angehen? Was hatte Zoran Petrovic eigentlich erzählt? Anders Mild wusste nichts über Maloof, der bei der Vereinbarung des Termins nicht einmal seinen richtigen Nachnamen benutzt hatte. Er wollte nicht, dass Mild über Google die falschen Dinge herausfand. Flogen Leute wirklich auf eine vage Andeutung hin aus London ein? Hatte man ihm eine Falle gestellt?

Diese Skepsis war genau, was er brauchte. Er merkte, wie sein Puls sich verlangsamte, seine Nervosität sich in Tatkraft verwandelte und die neue Herausforderung sein Konzentrationsvermögen schärfte. Das war, wie Maloof funktionierte.

Er war nur nervös, wenn ihm eine Aufgabe bevorstand, niemals, während er sie löste. Also nickte er zustimmend und ergriff mit Schwung über den Tisch hinweg Rick Almanzas Hand.

„Englisch. Kein Problem. I’m truly honored.“

Anders Mild kehrte zufrieden auf die andere Seite des Tisches zurück und ließ sich neben seinem Chef nieder.

Maloof erwog kurz, sich vor das Whiteboard am Kopfende des Tisches zu stellen, ließ es aber bleiben. Er hatte nichts, was er auf ein Whiteboard hätte schreiben können.

Verstohlen betrachtete er die kleine Nadel mit dem G4S-Logo auf Milds Jackettrevers. Seit seinen frühen Teenagerjahren hatte Michel Maloof Geldtransporte mit ebendiesem Logo ausgeraubt. Wussten die beiden Geschäftsführer, dass sie einen der bekanntesten Räuber Schwedens in die Schaltzentrale des größten Sicherheitsunternehmens der Welt eingeladen hatten?

Jonas Bonnier

Über Jonas Bonnier

Biografie

Jonas Bonnier, geboren 1963, ist schwedischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Zwischen 2008 und 2014 leitete er die Bonnier Group, ein internationales Medienunternehmen. Jonas Bonnier lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Miami.

Am Morgen des 23. September 2009 landete ein Hubschrauber mit drei Räubern auf dem Dach des G4S Banknotendepots in Västberga, einem Industriegebiet nahe Stockholm. Die Räuber schlugen ein Dachfenster ein und verschafften sich dann mit Sprengsätzen Zugang zum Gebäude. Weder der Polizei noch dem Militär gelang es, sie aufzuhalten:
Die Polizei-Hubschrauber wurden durch Bombenattrappen am Einsatz gehindert. Aus Sicherheitsgründen konnte nicht auf den Hubschrauber geschossen werden. Die einsatzbereiten Kampfflugzeuge über der Ostsee konnten nicht eingreifen,  da der Raubüberfall in den Zuständigkeitsbereich der Polizei und nicht des Militärs fiel.
Sieben Personen erhielten Gefängnisstrafen für ihre Beteiligung an dem Raubüberfall. Die Räuber erbeuteten über 39 Millionen schwedische Kronen (ca. 4 Millionen Euro) –  die bis heute nie gefunden wurden.

Für seinen Thriller traf Jonas Bonnier die vier Täter Niklas Nordgren, Michel Malouf, Sami Farhan und Zoran Petrovic gleich nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis: 
„Ich saß stundenlang mit ihnen zusammen. Weil sie so lange ständig mit der Gefahr leben mussten, abgehört oder enttarnt zu werden, sprachen sie ohne Pronomen. Es war, als wären sie geradewegs einem Roman entstiegen, sie waren fast schon fiktive Charaktere. Ich war wie elektrisiert.“ (aus einem Interview in Dagens Nyheter)

Medien zu „Der Helicopter Coup“
Pressestimmen
SWR3 „Der gar nicht böse Lesezirkel“

„richtig gute, spannende Unterhaltung“

WDR 4 Buchtipp

„In der Nähe zur Wirklichkeit liegt die Spannung des Buches. Man kann genau nachvollziehen, in welchen Konflikten die Täter stecken. Und bald fiebert man mit ihnen mit.“

Neue Presse

„Rasanter Plot, Spannung bis zur letzten Seite.“

Mitteldeutsche Zeitung

„Ein Lesevergnügen, weil sich Bonnier die Freiheit nimmt, dort die Fantasie zu bemühen, wo es keine Fakten und eindeutigen Aussagen der Täter gibt.“

FAZ

„Das Buch ist kompakt und sehr gut konstruiert. Die vier Männer, die den Raub akribisch planen und die gerade durch ihre sehr unterschiedlichen Fähigkeiten zum Team werden, sind plausibel gezeichnet. Und spannend ist das Szenario ohnehin, (…). Dass Netflix sich für die Filmrechte interessiert, wundert nicht.“

Ruhr Nachrichten

„Der schwedische Autor und Journalist Jonas Bonnier führte für seinen Thriller ausführliche Gespräche mit den Tätern, die wenige Tage nach dem Überfall von der Polizei gestellt werden konnten. Und auch wenn es sich um einen Roman und keine Dokumentation handelt – dieser intensive Kontakt zu den Räubern gibt dem Thriller eine besondere Note.“

Nordis

„Obwohl man weiß, wie die Geschichte ausgeht, gelingt es Bonnier mit geschicktem Perspektivenwechsel Hochspannung bis zur letzten Seite zu erzeugen.“

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