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Das Gift der Lüge (Die Morde von Edinburgh 2)

Ambrose Parry
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Roman

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Das Gift der Lüge (Die Morde von Edinburgh 2) — Inhalt

Mord und Medizin im historischen Edinburgh – der zweite Band der düsteren, atmosphärischen und genial erzählten Krimi-Reihe 

Eine Kette unerklärlicher Todesfälle erschüttert das viktorianische Edinburgh. Will Raven und Sarah Fisher sind wieder im Einsatz und jagen durch einen historischen Krimi der Extraklasse. 

Das goldene Zeitalter der modernen Medizin begann unter den schummrigen Gaslaternen des viktorianischen Edinburghs. Hier wirkte etwa James Simpson, der Vater der modernen Anästhesie. Doch während helle Köpfe zum Wohl der Menschheit forschten, waren in den Schatten oft düstere Kräfte am Werk. Denn der einzige Unterschied zwischen Gift und Medizin ist die Dosierung … 

In der heiß erwarteten Fortsetzung von „Die Tinktur des Todes“  müssen der junge Arzt Will Raven und das kluge Hausmädchen Sarah Fisher einer unerklärlichen Todesserie auf die Spur kommen, die sich schnell als diabolisches Werk eines Serienmörders entpuppt. In den Gassen Edinburghs entspinnt sich eine packende und mitunter schaurige Jagd gegen die Zeit. 

Der Kriminalroman „Das Gift der Lüge“  versteht es meisterhaft, das historische Edinburgh vor dem Hintergrund bestens recherchierter Medizingeschichte auferstehen zu lassen. Und er liefert mit seinem Ermittler-Duo ein längst überfälliges Update für Fans von Sherlock Holmes. 

Gefeierte Spannung über das Gift der Lüge – Gänsehaut und Schreckmomente inklusive 

Ambrose Parry ist das Pseudonym des preisgekrönten Krimi-Autors Christopher Brookmyre und seiner Frau, der promovierten Anästhesistin Marisa Haetzman. Brookmyres Feder und Haetzmans Fachwissen sind die perfekten Zutaten für eine Krimi-Serie, die Sie nicht loslassen wird! 

Sherlock Holmes trifft Jack the Ripper – und die Jagd geht weiter! 

Die „Morde von Edinburgh“-Reihe fügt dem viktorianischen Historienroman ein neues, schauriges Kapitel hinzu, das sich vor den großen Vorbildern des Genres nicht verstecken muss. Denn mit den sympathischen Protagonisten Will Raven und Sarah Fisher hat Ambrose Parry ein neues Powerpaar erschaffen, dem seine Fans in jedes Abenteuer folgen.

„Ein meisterhaft geschriebener, höchst lesenswerter Kriminalroman, eine glaubwürdige, auf Fakten basierende Handlung, die auf hervorragenden Recherchen beruht, mit einer Menge zusätzlicher Spannung und Nervenkitzel.“ Crime Review 

„Herausragend.“ Publishers Weekly 

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 01.12.2022
Übersetzt von: Hannes Meyer
496 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31829-7
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 31.05.2021
Übersetzt von: Hannes Meyer
512 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99809-3
Download Cover

Leseprobe zu „Das Gift der Lüge (Die Morde von Edinburgh 2)“

Prolog

Es gibt in diesem Reich keine Frau, die nicht weiß, was Furcht bedeutet. Nicht einmal jene, die über uns herrscht, denn sie wurde nicht als Königin geboren. Sie kam als Mädchen zur Welt, und deshalb weiß ich, dass auch sie die Furcht und Hilflosigkeit derer kennt, die dem Manne unterworfen sind. Denn jede Frau wird sich zuweilen ihrer Schwäche Männern gegenüber bewusst, deren größere Macht nicht allein auf physischen Gegebenheiten beruht.

Schon viele Männer hatten Macht über mich. Es waren keine großen Männer. Oft waren es nicht einmal starke. Denn [...]

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Prolog

Es gibt in diesem Reich keine Frau, die nicht weiß, was Furcht bedeutet. Nicht einmal jene, die über uns herrscht, denn sie wurde nicht als Königin geboren. Sie kam als Mädchen zur Welt, und deshalb weiß ich, dass auch sie die Furcht und Hilflosigkeit derer kennt, die dem Manne unterworfen sind. Denn jede Frau wird sich zuweilen ihrer Schwäche Männern gegenüber bewusst, deren größere Macht nicht allein auf physischen Gegebenheiten beruht.

Schon viele Männer hatten Macht über mich. Es waren keine großen Männer. Oft waren es nicht einmal starke. Denn in dieser Welt braucht ein Mann weder Größe noch Kraft, um den Schwachen und Hilflosen seinen Willen aufzuzwingen. Oder zumindest jenen, die man hat glauben machen, sie seien schwach und hilflos.

Im Laufe meines Lebens habe ich so einiges über Heimtücke und Täuschung erfahren, doch der feigste Trick von allen ist gewiss der, einer Person wider besseres Wissen einzureden, sie sei machtlos.

Deshalb ist es für uns lebenswichtig, die Furcht zu überwinden; jede Frau muss sich ihrer Macht bewusst werden und sie nutzen. Doch dies kann nur behutsam geschehen. Ohne Einschüchterung. Ohne offene Drohung. Es ist das Schicksal großer Frauen, dass die Welt unsere Namen nicht kennenlernen wird – dass wir nicht den gebührenden Beifall für unsere Leistungen erhalten, auch wenn sie jene der Männer übertreffen.

Wir müssen unsere Macht im Stillen ausüben. Zwar dürfen wir nach Einbruch der Dämmerung nicht allein das Haus verlassen, doch spreche ich nicht von der Tageszeit, wenn ich sage, wir müssen im Zwielicht wirken. Ich meine vielmehr die Zwischenräume, die Orte zwischen Dunkelheit und Licht, die toten Winkel im Blickfeld der Männer.

Sie möchten wissen, wie ich mein Werk vollbringen konnte, wie ich so viele Leben nehmen konnte, ohne den geringsten Verdacht zu erregen. Die Antwort liegt in Ihnen selbst. Denn wem meine Gegenwart nicht beachtenswert erscheint, für den bin ich unsichtbar.

1849

Berlin

Kapitel 1

Er spürte warmes Blut auf dem Gesicht. Er sah Blut auf Stahl, auf Stoff, an den Wänden und auf dem Boden. Aber wichtiger war, dass das Blut in seiner Brust noch pulsierte.

Will Raven verschnaufte und stützte sich ab. Seine Angreifer verschwanden im Dunkel der verwinkelten Gasse, doch das Geräusch ihrer Schuhe auf dem Pflaster nahm er nach dem lauten Schuss nur gedämpft wahr. Der leichte Wind trug süße Gerüche herüber, eine Konditorei buk schon für den Verkauf am Morgen. Die laue Abendluft hatte ihn unachtsam werden lassen. In Edinburgh wäre er des Nachts niemals so sorglos daherflaniert, denn selbst nach ausgiebigem Ale-Genuss mahnte ihn dort stets die nüchterne Wachsamkeit, was hinter der nächsten Ecke lauern könnte. Hier in Preußen aber hatte sich seine Vorsicht von der fremden Umgebung ablenken lassen.

Sie waren überfallen worden, während sie die Königsstraße entlanggingen, eine Prachtstraße, die vom Alexanderplatz über die Spree zum Königlichen Schloss führte. Das Schloss in der Mitte der Stadt erinnerte ihn daran, woher er kam, und zugleich, wie weit er von dort entfernt war. Mit seiner auffälligen grünen Kuppel und seiner präzisen Geometrie hätte es kaum in einem schrofferen Gegensatz zu der kargen Garnisonsburg auf dem erloschenen Vulkan am Ende der High Street zu Hause stehen können. Aber auch hier kreuzten düstere, schmale Gassen die breitesten Boulevards; und anscheinend lauerte in solchen Gassen auf der ganzen Welt das Gleiche.

Drei maskierte Männer hatten in den Schatten gewartet und sich ihnen in den Weg gestellt. Einer von ihnen verlangte Geld. Sein Deutsch hatte einen seltsamen Akzent, aber die Forderung war unmissverständlich. Doch einer seiner Kumpane hatte anscheinend beschlossen, dass es leichter wäre, die Leichen zu fleddern. Er hatte eine Pistole gezogen, und dann war alles ganz schnell gegangen.

Das Blatt hatte sich mit einem Messerstreich gewendet; auf solch ein Ergebnis wäre jeder Chirurg stolz gewesen. Dieser Gedanke zog im Augenblick der Erleichterung vorüber, bevor Raven eine neue Angst packte – nämlich die davor, dass er es noch teuer würde bezahlen müssen, dass er dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen hatte.

Raven wurde oft von der Ahnung heimgesucht, dass er in just solch einer dunklen, schäbigen Gasse eines gewaltsamen Todes sterben würde. Diese Sorge ging auf eine kalte, nasse Nacht 1847, zwei Jahre zuvor, in Edinburgh zurück, als er sich seinem Ende nahe gewähnt hatte. Zwar hatte er überlebt, doch die Bilder ließen ihn seither nicht mehr los; weniger aus Angst vor dem Tod als vielmehr davor, dass er aus seinem Leben nichts gemacht hatte. Er sorgte sich, dass er für ein solches Ende bestimmt war; dass seine hehren Ziele nichts als Luftschlösser waren und dass er im tiefsten Inneren einfach ein Mann war, der nur als Leiche in einer Gasse enden konnte.

Er drehte sich um, und sein Blick wanderte zu der Einmündung in die große Straße zurück. Im Schimmer einer Straßenlaterne sah er Henry zusammengesackt an der Mauer lehnen. Es schien, als würde der Knall noch immer zwischen den Häusern widerhallen, aber in Wahrheit fand dies nur noch zwischen seinen eigenen Schädelwänden statt. Seine Erinnerung an die letzten Momente war unklar. Er erinnerte sich an das wohlbekannte Krachen von Faust auf Knochen, an Henry, der, vom Schlag herumgeworfen, mit dem Kopf an die Wand prallte. Eine Pistole; Ravens Hechtsprung, um den Arm wegzustoßen, der sie hielt. Ein Schuss. Dann waren die Angreifer fortgelaufen, und Raven hatte die Verfolgung aufgenommen.

Raven eilte zu seinem gestürzten Freund und hockte sich vor ihn. Er hob Henrys Kinn an, um das blutüberströmte Gesicht zu begutachten. Die Augen waren glücklicherweise geöffnet, auch wenn der Blick nicht die gewohnte Schärfe zeigte.

„Wo sind sie?“, fragte Henry.

„Davongerannt. Bist du verletzt? Du hast Blut im Gesicht.“

„Du ebenso. Bei mir ist es nur eine Platzwunde. Am Kopf bluten die immer übermäßig stark. Aber ich muss mir beim Sturz das Bein angestoßen haben. Es tut mehr weh. Was ist mit den Damen?“

Raven schaute die Königsstraße hinunter und erspähte Liselotte und Gabriela an einem Brunnen auf dem Schlossplatz. Als sie überfallen worden waren, hatte er gebrüllt, sie sollten laufen, aber weit waren sie nicht gekommen. Solche Sachen waren immer schneller vorbei als gedacht. Was einem Beteiligten wie ein langwieriger Kampf erscheint, ist für den bloßen Beobachter meist eine Sache weniger Augenblicke. Die Frauen waren stehen geblieben und schauten nun zurück nach der Stelle, an der Henry gestürzt war.

Raven versuchte, ihm aufzuhelfen, aber Henry heulte auf.

„Himmel!“

Sie schauten beide nach unten und sahen es auf Henrys Oberschenkel dunkel schimmern. Instinktiv tastete Raven nach der Stelle, und Henry heulte noch einmal auf, nun aber doppelt so laut.

„Der Schuss hat dich getroffen.“

Henrys Gesicht war nun ebenso verwirrt wie schmerzverzerrt.

„Wie konnte er mich denn vorn in den Oberschenkel treffen? Ich hatte den Rücken zu ihm und schlug mit dem Gesicht an die Mauer, als er den Abzug drückte.“

„Ein unglücklicher Querschläger“, erwiderte Raven in dem Bewusstsein, dass es auch viel schlimmer hätte kommen können. Er war sich sicher, dass der Feigling mit der Pistole auf Gabriela gezielt hatte, als er ihn am Arm erwischte.

Liselotte und Gabriela waren mittlerweile herbeigeeilt, um zu helfen. Besorgnis stand ihnen im Gesicht.

„Wir haben den Schuss gehört“, sagte Gabriela. „Wer von euch wurde getroffen?“

Raven schaute sie fragend an, denn für ihn war die Antwort offensichtlich: der, der blutete. Dann berührte er sein Gesicht. Es war voller Blutspritzer, ebenso wie der Ärmel seines rechten Armes.

„Das ist Henrys Blut“, sagte er. Das war weder die ganze Wahrheit noch vollends gelogen. „Er wurde ins Bein getroffen.“

„Wir müssen ihn zu einem Chirurgen schaffen“, sagte Liselotte in dringlichem Ton.

„Ich bin selbst Chirurg“, erinnerte Henry sie. „Bringt mich einfach zurück nach Schloss Wolfburg, dann kann ich die Wunde selbst in Augenschein nehmen.“

Raven riss sich den blutbesudelten Ärmel vom Hemd und verband damit straff Henrys Oberschenkel, um die Blutung zu stillen. Auf beiden Seiten gestützt konnte Henry voranhumpeln. Ihre Wohnungen in der Jägerstraße waren ohnehin nicht fern.

Sie waren auf dem Weg dorthin gewesen, als sie überfallen wurden. Vielleicht hatte man sie für wohlhabende Reisende aus Übersee gehalten. Falls dem so war, wollte Raven es als Kompliment betrachten, dass die Gauner ihn als derart vornehm wahrgenommen hatten, denn wenn Henry und er auch tatsächlich von jenseits der Nordsee kamen, waren sie doch weiß Gott nicht reich. Nach einem Aufenthalt in Leipzig famulierten sie nun seit zwei Monaten an der Charité. Davor hatten sie sich bereits in London, Paris und Wien aufgehalten.

Raven öffnete die Tür zu dem gemeinsamen Flur der beiden Wohnungen und entzündete die Lampen, während Liselotte und Gabriela Henry hineinhalfen.

„Ins Schlafzimmer mit ihm“, verfügte Liselotte.

„Mit vertrautem Nachdruck geäußerte Worte“, neckte Raven sie.

Liselotte schnaubte. Sie kannte die beiden nun schon lange genug, um nichts Besseres zu erwarten.

Eigentlich war Raven kaum nach Scherzen zumute, aber er wollte dafür sorgen, dass sich die Stimmung seines Freundes nicht zu sehr verfinsterte.

„Nein“, widersprach Henry. „Hier ist das Licht besser. Und ich muss aufrecht sitzen können.“

Sie brachten ihn zum Sofa am Wohnzimmerkamin.

„Alle Lampen herbei!“

Henry stöhnte zum Steinerweichen, als Raven ihm die Hose auszog, und der Schmerz schien ihn zu übermannen. Zunächst hatten ihn der Schock und die Aufregung etwas gedämpft, aber nun blieb Henry diese Gnade versagt.

Er untersuchte die Wunde und betastete sie behutsam. Dann sah er Raven an, der ihm die Lampe hielt.

„Die Kugel ist nicht durchgeschlagen. Sie sitzt auch nicht tief, aber sie ist noch drinnen.“

Er keuchte bei jedem Wort. Er schwitzte. Raven wusste, was bevorstand; hatte es gewusst, seit sie die Wunde entdeckt hatten.

„Ich fürchte, ich muss dich bitten, mir die Ehre zu erweisen, alter Freund“, sagte Henry.

„Ah, aber worauf beharrt dein hochverehrter Professor Syme immer wieder? Entbindungsärzte sollten gefälligst keine Operationen durchführen.“

„Und was kontert stets dein geschätzter Professor Simpson? Wir sind doch alle Absolventen des Royal College of Surgeons, nicht wahr?“

„Nun denn. Wie es scheint, habe ich keine Wahl.“

Henry lehnte sich auf dem Sofa zurück, legte den Kopf ab und ächzte von Neuem.

„Was denn? Ich habe doch noch gar nicht angefangen.“

„Mir ist gerade eingefallen, dass ich mein Operationsbesteck im Krankenhaus liegen lassen habe. Hast du deine Sachen hier?“

Raven überspielte seine Gefühle mit einem Grinsen und klopfte sich auf die Manteltasche, wo er sein Messer hatte.

„Und vor allem: Hast du Chloroform da?“

„Nein. Du wirst es eben aushalten müssen.“

Raven benutzte die gleichen Worte wie einst Henry, als er Ravens Wange hatte nähen müssen. Dabei hob er die Hand an die Narbe, um Henry daran zu erinnern. Dieser wirkte vollends entmutigt.

„Ein Scherz“, sagte Raven. „Gabriela, holst du mir bitte die Tasche aus meinem Zimmer?“

„Danke“, erwiderte Henry. „Mir geht es weniger um den Schmerz als darum, dein wüstes Schlachtwerk an meinem Bein nicht mitansehen zu müssen.“

„Ach, sei keine Mimose! Du hast doch noch eins.“

Raven zog das Messer aus der Tasche. Henrys Augen suchten sofort die Klinge, und ihm fiel auf, dass sie voller Blut war. Raven hoffte, dass er sich in seinem Zustand nicht die Frage nach dessen Herkunft stellte.

„Ich muss doch hoffen, dass du das Ding vorher abwäschst. Denk an Semmelweis.“

Henry bezog sich auf einen Arzt, den er in Wien kennengelernt hatte. Semmelweis hatte einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er der weitaus höheren Müttersterblichkeit in Gebärabteilungen nachging, die mit Medizinstudenten besetzt waren, im Vergleich zu jenen, in denen Hebammen arbeiteten. Er postulierte, diese gehe darauf zurück, dass die Studenten unmittelbar aus dem Sektionsraum traten, ohne sich die Hände zu waschen, sodass die Wöchnerinnen mit faulen Stoffen in Berührung kamen. Nachdem er aber dafür sorgte, dass die Studenten sich die Hände mit Chlorwasser wuschen, sank die Sterberate. Dennoch fiel es Semmelweis schwer, seine Kollegen von dieser Entdeckung zu überzeugen, und er machte seiner Enttäuschung bei jedem Luft, der ihm zuhörte. Henry hatte stets ein offenes Ohr für ihn gehabt.

Raven hatte bei diesem Thema allerdings keine Aufklärung nötig. Simpson lehrte seine Studenten schon seit Jahren, dass das Kindbettfieber über den Arzt oder die Hebamme von einer Patientin zur nächsten übertragen wurde.

Er ließ Liselotte einige Krüge mit Wasser füllen und Laken für den Verband zerreißen. Währenddessen bereitete Raven das Chloroform vor und bat Gabriela, genau auf Henry zu achten und ihm nötigenfalls eine weitere Dosis zu verabreichen, solange er an Henrys Bein arbeitete.

Raven drehte aus einem kleinen Stück Musselin einen Trichter und kippte die Flasche behutsam, sodass kleine Tropfen der Flüssigkeit auf den Stoff fielen. Er musste daran denken, dass Dr. Simpsons Entdeckung ihm auf seinen Reisen stets vorausgeeilt war. Das Chloroform hatte die Chirurgie verändert und fand an immer mehr Orten Anwendung. In London hatte er John Snow über die Bedeutung der präzise vorgenommenen Dosierung und der Überwachung ihrer Wirkung dozieren hören. Dann hatte Raven ihn seinen Verdampfungsapparat vorführen sehen, den er zu diesem Zwecke erfunden hatte. Doch an diesem Abend in Berlin musste Raven sich auf eine ungeschulte Assistentin verlassen, die die Flüssigkeit bei schlechtem Licht auf den Stoff träufelte, während sie alle mehr oder weniger betrunken waren.

„Es müssen kleine Tröpfchen sein“, erklärte er Gabriela. „Damit er nicht zu viel einatmet.“

„Gerade wäre mir das lieber als zu wenig.“

Raven hielt Henry den Trichter über das Gesicht.

„Und gib acht, dass es nicht an seine Haut kommt. Es ist bei Berührung schädlich und hinterlässt arge Spuren.“

„Ganz so wie du“, erwiderte Henry spitz. Er war überzeugt von Ravens Talent, Ärger anzuziehen.

„Es geht nicht auf meine Kappe, dass diese Männer über uns hergefallen sind.“

„Und doch erlebe ich gerade wieder einmal ausgerechnet in deiner Gesellschaft das blutige Nachspiel eines Überfalls.“

„Vielleicht bist ja auch du derjenige, der zu oft das Schicksal herausfordert, und hast bloß das Glück, dass ich dir jederzeit treu zur Seite springe. Hast du es schon einmal so betrachtet?“

„Nie im Leben. Dafür habe ich aber schon oft gesagt, dass du mich noch ins Grab bringst.“

Raven versuchte, sich zu erinnern.

„Das hast du noch nie gesagt.“

„Nein“, gab Henry zu, „aber sicher schon oft gedacht. Also beweise mir jetzt bitte das Gegenteil. Und vergiss nicht, das Messer abzuwaschen.“

Raven träufelte noch mehr Chloroform auf den Stoff und ließ Gabriela den Trichter halten, während er Wasser über die Klinge goss. Er sah, wie sich das Blut löste und vom Stahl in die bereitgestellte Schale rann.

Er dachte an etwas, was Gabriela von ihrem früheren Zuhause in Madrid erzählt hatte. Sie war an einem Ort namens Lavapies aufgewachsen. Der befand sich am Fuße eines Hügels, wohin seit Jahrhunderten das Regenwasser der Stadt durch sorgfältig gepflegte Rinnen abfloss. Dort wusch man sich die Füße, daher der Name.

Unglücklicherweise konnte Wasser allein nicht alles fortwaschen.

Raven sammelte sich und hoffte, dass der Wein seine Nerven gestärkt, seiner Hand aber nicht die Ruhe genommen hatte. Behutsam berührte er den Bereich rund um die Wunde. Da Henry sich nicht regte, sah er dessen Bewusstlosigkeit als bestätigt an und konnte nach der harten Beule tasten, in der die Kugel festsaß.

Auf seine Anweisung hin ließ Liselotte vorsichtig Wasser aus einem Lappen über die Stelle laufen, um sie vom Blut zu reinigen, während Raven einen kleinen Schnitt setzte. Glücklicherweise hatte der Schuss keine größeren Blutgefäße getroffen, auch wenn er der Oberschenkelschlagader gefährlich nahe gekommen war. Diesmal hatte etwa ein Zentimeter den Unterschied zwischen Leben und Tod ausgemacht.

Raven zog die Kugel mit der Kornzange heraus. Er wollte sie schon entsorgen, doch dann fiel ihm ein, dass Henry sie vielleicht gern als Andenken behalten würde.

Mit konzentrierter Miene träufelte Liselotte weiteres Wasser auf die Wunde.

Das Blut und das Wasser tränkten den Sofastoff unter Henry, während Raven mit der Naht begann. Er wollte sich nicht ausmalen, was Herr Wolfburg, ihr Furcht einflößender Vermieter, zu den Flecken sagen würde.

Bald darauf kam Henry zu sich, blinzelte und ächzte. Gabriela stand mit dem Chloroform bereit und schaute Raven an, aber Henry war bereits wach genug, um abzuwinken.

„Vielen Dank, meine Liebe, aber es drängt mich, Ravens Werk zu begutachten.“ Er verzog das Gesicht. „Mein Gott, das sieht ja aus wie ein geschundener Fußball.“

Dann grinste er Raven zu.

„Ich scherze. Saubere Arbeit, alter Freund. Ich danke dir. Und nun hoffe ich, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich nach deinem schweißtreibenden Einsatz wieder in die Bewusstlosigkeit zurücksinke, wozu nun aber kein Chloroform mehr vonnöten ist. Sollte sich herausstellen, dass ich am Morgen noch lebe, sorge bitte dafür, dass man mich vor acht Uhr weckt. Denn um neun hält Langenbeck eine Vorlesung über Amputationen auf dem Schlachtfeld, die ich nicht verpassen möchte.“


Kapitel 2

„Das war sehr mutig von dir“, sagte Gabriela. Es waren die ersten Worte, die sie miteinander wechselten, nachdem sie übereinander hergefallen waren.

Wohlig müde, doch dem Schlafe fern, lagen sie in Ravens Bett. Liselotte war an Henrys Seite geblieben und kümmerte sich um ihn, wenn auch auf andere Art und Weise, als sie es vielleicht noch Stunden zuvor vorgehabt hatte. Bei Raven und Gabriela aber hatte die durchgestandene Gefahr ein unerwartetes Verlangen entfacht; Todesangst, in Leidenschaft verwandelt.

Raven kannte sie seit einigen Wochen, nachdem man sie ihm bei einem Abendessen im Hause des Prosektors der Charité, Dr. Virchow, vorgestellt hatte. Dieser leitete zwar die dortige Pathologie, war aber am Gebiet der Geburtshilfe interessiert und damit auch an Raven, der, wenn auch selbst von niederem Range, als Famulus des berühmten Professor Simpson gearbeitet hatte. Alle wollten mehr über den großen Mann und seine außerordentliche Entdeckung erfahren. Gabriela war eine Freundin von Rose Mayer, Virchows Gattin in spe. Sie hatte an Ravens Ausführungen über das Chloroform wenig Interesse gezeigt, dann aber aufmerksam gelauscht, als er von seinem Treffen mit den Edinburgher Pionieren der Photographie, David Octavius Hill und dem später verstorbenen Robert Adamson, erzählte.

Gabriela war eine zierliche Frau mit dunklen Augen und dunklem Haar, die Locken beiläufig hochgebunden, dabei stets in Gefahr, wieder hervorzuwallen. Raven stach jedes Mal der Kontrast zu den Frauen zu Hause ins Auge, deren Haar immer so straff gezurrt, deren Haut so blass war. Und nicht nur deren Äußeres war so viel strenger. Gabriela war fünfzehn Jahre älter als er, Schriftstellerin, Künstlerin und gelegentliches Modell und hatte vor Jahren ihre wohlhabende Familie in Aufruhr versetzt, als sie ihren adligen Ehemann verließ. Sie war keine Frau, die sich von Konventionen binden ließ, was Raven einerseits zu ihr hinzog, ihn andererseits aber auch argwöhnisch machte. Sie wussten beide, dass ihre Beziehung nicht von Dauer sein konnte – ihre Vergänglichkeit machte zweifellos einen Teil des Reizes aus. Sonst hätte keiner von beiden den anderen als geeigneten Gefährten in Erwägung gezogen.

Raven betrachtete sie im Licht der Kerzen, die sie rund um das Bett in wachsverkrusteten Flaschen aufgestellt hatte.

„Es war nicht meine erste Operation, auch wenn der Chirurgie nicht mein vornehmliches Interesse gilt. Mutig war Henry, der mir den Eingriff zugetraut hat.“

„Nein, ich meine, wie du die Männer in die Flucht geschlagen hast, die uns ausrauben wollten. Sie waren zu dritt, und du hast dich ihnen allein entgegengestellt, und zwar in dem Wissen, dass einer von ihnen eine Pistole hatte.“

Vernahm er da einen Unterton in ihren Worten? Vorsichtig war er bei Gabriela auch deshalb, weil er fürchtete, mit ihrer Erfahrung und Klugheit könnte sie alles durchschauen, was er zu verbergen suchte.

„Ich habe darauf gesetzt, dass ihm die Zeit zum Nachladen fehlte.“

„Eine kühne Wette.“

Raven wandte den Blick ab, damit sein Gesicht ihr nicht verriet, dass er falsch gewettet hatte. Stattdessen schlug er einen neckischen Ton an.

„Ich hätte ihnen ja Geld gegeben, hätten wir noch welches gehabt. Nachdem wir es aber alles vertrunken hatten, schien ein Gegenangriff der einzige Ausweg. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass sie sich mit unseren aufrichtigen Entschuldigungen an Geldes statt hätten vertrösten lassen.“

„Nichtsdestoweniger ist ein Kampf drei gegen einen kein redlicher Wettstreit, und doch bist du nicht davor zurückgeschreckt.“

„Es war nicht meine erste Prügelei, falls du darauf hinauswillst. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jene, die den Schwachen und Arglosen auflauern, sich einem wahren Kampf nicht immer gewachsen fühlen.“

„Auch dabei hast du hoch gewettet.“

Raven schwieg. Sein Blick suchte den Brief, der an seinem Bett lag und den er noch immer nicht beantwortet hatte. Dr. George Keith verließ die Queen Street 52, um gemeinsam mit seinem Bruder Thomas eine eigene Praxis zu eröffnen, und Professor Simpson bot Raven die Stelle als sein neuer Assistent an. Er hatte nun seine Ausbildung abgeschlossen, war kein Famulus mehr und hatte im Laufe seines Jahres im Ausland seinen medizinischen Horizont in einer Art und Weise erweitert, wie er es in solch einer kurzen Zeitspanne nicht für möglich gehalten hätte.

Und doch.

Er dachte an Henry, der ihm oft einen „krankhaften Jähzorn“ vorwarf. Außerdem hallten ihm im Kopf die Worte seiner Mutter wider, mal im Scherz gesprochen, mal im Ernst.

Du hast den Teufel in dir.

Raven hegte die Hoffnung, dass dies überwunden war. Schon seit Langem war er nicht mehr an derartiger Gewalt beteiligt gewesen, gewiss nicht, seit er Edinburgh verlassen hatte, und er glaubte, seine Natur gezähmt zu haben. Nun fragte er sich aber, ob sich nur keine Gelegenheit geboten hatte. An diesem Abend hatte sich der Teufel in ihm nur allzu bereitwillig wecken lassen, er war also nicht tot, sondern hatte bloß geschlummert. Und dort in der Gasse hatte ein Mann dafür bezahlt, dass er dessen Schlaf gestört hatte.

Gabriela legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Hast du mich vergessen?“, fragte sie.

„Tut mir leid. Meine Gedanken sind abgeschweift. Ich musste an Henry denken.“

Sie lachte. „Du warst mit den Gedanken weiter weg als bloß im Nebenzimmer. Verkauf mich nicht für dumm, Raven. Ich kenne dich. Wann immer wir uns lieben, bist du hinterher nicht mehr hier.“

Leugnen war aussichtslos. Erst recht vor ihr.

„Du bist an einem fernen Ort, bei einer anderen. Und ich frage mich schon lange, bei wem.“

Er hätte gern erklärt, dass die Angelegenheit komplexer war, aber er wollte sie nicht ermutigen, weiter nachzubohren. Sie war älter als er, weiser als er, und er befürchtete, dass er nur wenig vor ihr verbergen konnte. Allerdings fragte er sich, warum er das überhaupt wünschte.

Raven dachte an die Männer, die Gabriela gewiss vor ihm gehabt hatte. Er war aber weder eifersüchtig noch missbilligend. Vielmehr fragte er sich, welche Version ihrer selbst sie jedem von ihnen gezeigt hatte. Er versuchte, sich die verschiedenen Leben auszumalen, die sie gekreuzt hatte, die verschiedenen Personen, die sie gewesen war.

„Gabriela, du hast an vielen Orten gelebt, Gewohntes aufgegeben und von Neuem angefangen. Ist es möglich, jemand anders zu werden, sich selbst neu zu erschaffen? Oder hat man doch immer den Menschen bei sich, der man wirklich ist?“

Gabriela fuhr ihm mit einem Finger über die Brust.

„Ich glaube, du solltest dir eher die Frage stellen, wer du werden möchtest. Weißt du das denn?“

„Ich möchte ein erfolgreicher Arzt werden. Geachtet von meinen Kollegen und gefragt bei den Patienten.“

„Warum solltest du dich dazu neu erfinden müssen? Genau darauf arbeitest du doch schon lange hin.“

„Richtig, aber in Edinburgh sind der Anspruch und die Erwartungen so hoch, dass ich fürchte, ich könnte mich irgendwie verraten. In der Stadt ist der gute Ruf alles.“

Gabriela zog eine Augenbraue hoch und blickte ihn durchdringend an.

„Du sprichst vor einer Frau wie mir von gutem Ruf? Hättest du auch nur die geringste Ahnung von der Verachtung, mit der ich mich …“

„Aber deshalb frage ich ja. Kann man wirklich zu dem Menschen werden, den die Welt erwartet? Oder muss man immerfort eine Maske tragen, um seine unvollkommene Natur zu verbergen?“

Gabriela dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete.

„Wenn man eine Maske lange genug trägt, passt sie einem irgendwann wie angegossen. Allerdings läuft man dann auch Gefahr, den Menschen dahinter zu verlieren.“

Das schien Raven kein zu hoher Preis.

„Ich bin in London, Paris, Wien, Leipzig und nun Berlin gewesen. Ich habe an exzellenten Instituten studiert, von großen Männern gelernt. Ich müsste mich wohl wie verwandelt fühlen, doch in vieler Hinsicht habe ich mich überhaupt nicht verändert, fürchte ich. Je mehr ich lerne, je mehr ich von der Welt erfahre, glaubte ich, desto größer würde ich als Mann werden. Ich glaubte, ich könnte Selbstgewissheit erlangen. Aber stattdessen erscheint es mir, als würde die Welt immer größer und als könnte ich niemals genug wachsen, um ihr gerecht zu werden.“

Gabriela nickte und betrachtete ihn mit einem mitfühlenden Blick, der ihm Trost bot, ihm aber zugleich das Gefühl gab, ein Kind zu sein.

„Ich vermute, du bist nun weit genug gereist, Will Raven. Solltest du dich verloren haben, gibt es nur einen Ort, an dem du dich wiederfinden kannst.“

Ambrose Parry

Über Ambrose Parry

Biografie

Ambrose Parry ist das Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman. Das Paar ist verheiratet und lebt in Schottland. Brookmyre arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur- und Theaterwissenschaften als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Der mehrfach...

Weitere Titel der Serie „Die Morde von Edinburgh“

Medizin trifft auf Mord: Das Autorenduo Ambrose Parry lässt den jungen Medizinstudenten Will Raven tief in die dunklen Gassen des historischen Edinburgh vordringen, ihm zur Seite steht die wissbegierige Sarah Fisher. Nervenkitzel und eiskalte Spannung garantiert!

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