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Anatomie eines Mordes

Wolfgang Burger
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Kriminalroman

„Der Einstieg ins Buch war sehr packend, die Gedanken und Gefühle von Quentin fand ich nachvollziehbar und sehr gut herausgearbeitet. Schon der Einstieg hat mir sehr gefallen und mich neugierig auf den weiteren Verlauf des Kriminalromans gemacht.“ - travelwithoutmoving.de

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Anatomie eines Mordes — Inhalt

Der Werdegang eines Mörders | „Eine irre Geschichte, psychologisch dicht und sprachlich stimmig.“ Rhein-Neckar-Zeitung

So schnell geht das also: Zweiunddreißig Stunden vom grundsoliden, hoch angesehenen Herrn Doktor zur vernichteten Existenz. Nicht einmal zwei Tage Achterbahn von ziemlich weit oben bis ganz nach unten.

Dr. Bernhard Quentin, gutsituierter Arzt mit eigener Praxis, steht vor den Scherben seines Lebens. Erst vor Kurzem hat er eine neue Patientin kennengelernt und sich in sie verliebt – nun ist sie tot, durch seine Hand gestorben. Wie konnte es so weit kommen? Wie ist er nur in diese fatale Abwärtsspirale geraten? Und wie soll er aus dieser hoffnungslosen Situation wieder herausfinden?


Der Offenbarungseid eines Halbgotts in Weiß, getränkt von grimmigem Humor und schonungsloser Menschenkenntnis. Das hochgelobte Frühwerk des SPIEGEL-Bestsellerautors Wolfgang Burger, vollständig überarbeitet und in besonderer Ausstattung.


„Einfühlsam und mit leiser Ironie wird vom Autor das Psychogramm eines Mörders wider Willen gezeichnet, das einen so schnell nicht wieder loslässt. Eine irre Geschichte, psychologisch dicht und sprachlich stimmig.“ Rhein-Neckar-Zeitung

„Spannend bis zur letzten Seite! Burger gelingt hier ein erstaunliches Psychogramm. Und doch ist diese atmosphärisch dichte Erzählung am Ende mehr als ein Kriminalroman: Sie ist eine Geschichte über das Glück und über die Unfähigkeit, es in dem Moment, in dem es sich offenbart, zu erkennen, weil man zu sehr befangen ist in der Blindheit des Ichs.“ Badische Neueste Nachrichten


Hinweis: Dieser Roman erschien unter dem Titel „Der Mord des Hippokrates“ 2003 beim Leda Verlag. Es handelt sich um eine vollständig überarbeitete Neuausgabe.

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 12.10.2023
240 Seiten, Hardcover
EAN 978-3-492-07264-9
Download Cover
€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 12.10.2023
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60456-7
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Leseprobe zu „Anatomie eines Mordes“

1


So einfach ist es also, zum Mörder zu werden. Ein wenig Geschrei, ein Rausch aus Adrenalin, Herzrasen und Verzweiflung, Gezappel, Angst, Wut, wirbelnde Lichter, eine kreischende Kirmes des Wahnsinns, die Todesspirale einer Achterbahn.

Dann lange Zeit nichts. Dunkelheit, Leere, Taubheit, Herzklopfen. Später Schwindel und Übelkeit. Inzwischen kann ich schon wieder halbwegs klar sehen. Der rote Nebel lichtet sich. Noch ist er nicht ganz verschwunden, doch es wird besser und besser.

Was ich sehe, ist nicht gut: Die Griechin ist tot.

Sie liegt am Boden, vor [...]

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1


So einfach ist es also, zum Mörder zu werden. Ein wenig Geschrei, ein Rausch aus Adrenalin, Herzrasen und Verzweiflung, Gezappel, Angst, Wut, wirbelnde Lichter, eine kreischende Kirmes des Wahnsinns, die Todesspirale einer Achterbahn.

Dann lange Zeit nichts. Dunkelheit, Leere, Taubheit, Herzklopfen. Später Schwindel und Übelkeit. Inzwischen kann ich schon wieder halbwegs klar sehen. Der rote Nebel lichtet sich. Noch ist er nicht ganz verschwunden, doch es wird besser und besser.

Was ich sehe, ist nicht gut: Die Griechin ist tot.

Sie liegt am Boden, vor mir oder besser unter mir, und ist ganz zweifellos tot. Offenbar bin ich immer noch verwirrt, was vielleicht kein Wunder ist, in Anbetracht der Umstände. In Wirklichkeit ist sie ja gar keine Griechin, was ich allerdings erst seit Kurzem weiß. Aber ist das jetzt wichtig? Hat es eine Bedeutung für mich? Nein, ich glaube, eher nicht.

Ich muss achtgeben.

Ich darf jetzt nicht über solche Nebensächlichkeiten nachdenken.

Natürlich ist die Nationalität dieser Toten im Augenblick vollkommen unwichtig. Wichtig ist allein, dass sie tot ist, dass sie hier vor mir, nein, unter mir liegt, auf diesem verblichenen, schmutzigen Teppich, einem traurigen Imitat eines Persers, und wirklich und ganz wahrhaftig tot ist. Ich kann das beurteilen, denn schließlich bin ich Arzt. Und zu allem Elend ist sie auch noch meine Patientin. Seit gestern Nachmittag. Seit sie meine Praxis betrat und mir dieses griechische Pillenschächtelchen auf den Tisch legte und all das andere geschah, was mich schließlich hierhergeführt hat.

In diese Wohnung.

In diese Situation.

In diese unbeschreibliche Katastrophe.

In meinem Kopf herrscht noch immer dieses Toben, die Nachwehen des Sturms von vorhin, ein Irrlichtern der Nerven, das Verglimmen der alles mit sich reißenden Erregung. Hübsche weiße Sternchen sausen durch den roten Nebel. Sieht beinahe lustig aus.

Mein Mund ist so trocken.

Nein, man braucht wahrhaftig nicht vierzehn Semester Medizin studiert zu haben, um zu erkennen, dass sie tot ist. Aus. Hin und weg.

Hin und weg – habe ich das nicht erst kürzlich gehört? Richtig, Penelope hat es gesagt, hin und weg sei Katharina gewesen. In einem völlig anderen Zusammenhang allerdings. Wie lange mag das her sein? Einige Stunden erst, acht oder neun. Unvorstellbar! Katharina, die jetzt tot ist. Wie vieles sich ändern kann in so kurzer Zeit.

Gott, ist mir schlecht!

In meinen Händen kribbelt es, als würden tausend Ameisen meine Adern erforschen. Ich fürchte, ich muss mich gleich übergeben. Wie meine Sprechstundenhilfe Bettina heute Morgen. Oder war es gestern? Ich weiß es nicht mehr. Ich werde darüber nachdenken. Später, wenn ich wieder denken kann.

Wie meine Hände zittern … Meine Gedanken wirbeln durcheinander wie altes Laub im Oktobersturm. Vermutlich bin ich im Begriff, verrückt zu werden. Wenn ich es nicht längst bin.

Aber das darf nicht sein. Ich muss mich zusammenreißen, die Kontrolle behalten. Sonst bin ich verloren. Nichts brauche ich im Moment dringender als meinen Verstand, denn wenn er mich nicht rettet, dann rettet mich nichts mehr.

Doch es gelingt mir nicht. Ich kann mich ja nicht einmal bewegen. Irgendetwas funktioniert nicht mehr in mir. Dabei ist dies doch keineswegs die erste Leiche, die ich in meinem Leben sehe, sehen muss. Ich kann mich noch gut an die Alarmstimmung im Magen und das Würgen in der Kehle bei meinem ersten Toten erinnern, damals in der Pathologie. Anatomie 1, zweites Semester, Professor Kühnle.

Ein Bauarbeiter, aus dem fünften Stock vom Gerüst gestürzt. Kaum äußere Verletzungen, dafür jede Menge glibberiges schwarzes Blut beim Aufschneiden. Die Diagnose war dann selbst für uns Anfänger einfach: Aortariss, nicht der schlechteste aller Tode. Sofortiger Blutdruckabfall auf null, Verlust des Bewusstseins im Bruchteil einer Sekunde – und das war’s. Lange bevor das Nervensystem irgendwelche Alarmmeldungen an die Zentrale senden kann, ist der Film des Lebens ein für alle Mal zu Ende.

Diese wächserne Haut, wie ungebackener Fleischkäse.

Und dieser Geruch.

Ist mir verdammt schwergefallen, damals. Aber das ist normal, das lässt keinen kalt, zumindest am Anfang. Hinterher habe ich stundenlang geduscht und mir noch nach Tagen eingebildet, diesen Leichengeruch an mir zu haben. War nicht schön, aber es musste sein. Da muss man eben durch, wenn man Arzt werden will.

Später, in der Klinik, war der Tod dann bald kein großes Thema mehr. Eine unschöne Verschlechterung der Stationsstatistik, eine kleine Beleidigung des persönlichen Ehrgeizes. Unangenehm sind jedes Mal die Angehörigen. Jemand ist ja immer da, der heult, verzweifelt, zusammenklappt. Und das tut weh. Auch nach über fünfzehn Jahren noch und Hunderten von Toten. Von Katharina weiß ich nicht einmal, ob sie überhaupt Angehörige hat. Doch, natürlich, wie konnte ich es vergessen. Zumindest zwei Verwandte hat sie in der Stadt: Penelope und deren Mann. Aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ich es sein werde, der ihnen die schlimme Nachricht überbringen muss. Denn ich bin Katharinas Mörder und werde alles daransetzen, dass dieser Umstand mein Geheimnis bleibt.

Die Griechin – warum kann ich mir nicht abgewöhnen, sie so zu nennen? – liegt auf dem Rücken, den Kopf im Todeskampf weit nach hinten gebeugt, weg, nur weg von mir, und ich sitze auf ihrer Brust, noch immer am ganzen Leibe zitternd, die Knie auf ihren Oberarmen, um mir ihre Hände vom Leib zu halten. Ich kann nicht aufhören, dieses hässliche Kissen zu kneten, mit dem ich sie erstickt habe. Ein selten scheußliches Ding, schwarzseiden glänzend, mit bunten Stickereien darauf. Menschen in Trachten, Häuser, Tiere, Blumen. Vielleicht aus ihrer Heimat, bestimmt handgemacht.

Mit diesem Kissen habe ich Katharina getötet. Wann? Vor zehn Minuten? Einer halben Stunde? Ich weiß es nicht.

So einfach ist es also, zum Mörder zu werden.

Dabei habe ich sie doch kaum gekannt.

Ich fange an zu rechnen.

Statt Spuren zu verwischen, zu fliehen, meinen Hals zu retten, rechne ich. Aber immerhin, es geht, mein Kopf scheint wieder zu funktionieren, das Gehirn hat zumindest wieder eine Art Notbetrieb aufgenommen. Vor etwas mehr als zweiunddreißig Stunden war es. Damals war ich noch der angesehene Herr Doktor in mittleren Jahren mit gut gehender Praxis, attraktiver, charmanter und allseits beliebter Ehefrau, ohne Kinder – manchmal denke ich: leider –, mit standesgemäßem Wagen, Rotary-Club, allem, was dazugehört. Dazu das sinnlos große Haus am Westhang des Heiligenbergs. Seit Bettina sich einmal verplappert hat, weiß ich, dass diejenigen, die nicht das Privileg haben, dort zu wohnen, die Gegend den „Bonzenbuckel“ nennen.

Alles wie in einem kitschigen Arztroman – und nun das hier. Nein, ich kann es nicht begreifen. Ich werde es vermutlich niemals begreifen können.

Etwas Kaltes läuft meinen Rücken hinab, und plötzlich spüre ich, dass ich schweißüberströmt bin. Ich werde duschen müssen, bevor ich nach Hause fahre. Merkwürdig, jedes Mal, wenn ich auf Katharina treffe, muss ich anschließend duschen. Ob es in dieser schäbigen Anderthalb-Zimmer-Altbauwohnung wohl ein ordentliches Bad gibt?

Ich werde nachsehen. Später, sobald ich mich wieder rühren kann, werde ich nachsehen. Zumindest wird es eine Dusche geben, die gibt es doch heute überall, und dann werde ich duschen, ganz heiß und ganz lange. Anschließend muss ich verschwinden, nach Hause fahren.

Schwachsinn!

Natürlich werde ich nicht duschen. Damit würde ich ja noch mehr Spuren hinterlassen als ohnehin schon. Ich muss von hier fort, so rasch wie irgend möglich. Aber wie soll ich fahren können, in meinem Zustand? Und wie soll ich Anja unter die Augen treten, ohne rot zu werden, ohne mich sofort zu verraten? Wie soll ich nach dieser Sache überhaupt jemals wieder einem Menschen ins Gesicht sehen? Aber andererseits, bin ich nicht ebenso ein Opfer wie Katharina? Ich habe sie getötet, ja, aber ich bin nicht schuldig.

Auf einmal bin ich sterbensmüde. Ich lasse das Kissen los, lasse mich auf die Seite fallen, den Kopf auf Katharinas Oberarm sinken, rolle mich zusammen wie ein Embryo. Ihr Arm ist noch ganz warm, die Haut so sanft und weich und duftend wie gestern Abend, als wir …

Wüsste ich es nicht besser, könnte ich mir einbilden, sie wäre noch am Leben. Würde nur schlafen. Wie in der vergangenen Nacht, nach unserem grandiosen Sex. Meine Augen fallen zu. Schlafen, ja. Und nie wieder aufwachen.

Die Sternchen sind inzwischen verschwunden und der rote Nebel auch. Nur dieses Rauschen in den Ohren ist geblieben. Wie ein Sommerregen auf belaubte Bäume bei offenem Fenster. Und mein Puls hämmert noch immer viel zu schnell.

Erinnerungen blitzen durch meinen Kopf. Wie sie ins Behandlungszimmer kam, ihre Augen, ihr ruhiger Blick ohne jede Anzüglichkeit, ihre Brüste, ihre heißen, schweren Brüste, die plötzlich wie selbstverständlich in meinen Händen lagen. Dann ihr Lächeln vorhin. Dieses warme, offene, von Herzen kommende Lächeln, das mich hoffen ließ, es könnte doch noch alles gut werden.

Und jetzt das …

Alles hin, alles zerstört innerhalb so kurzer Zeit.

Was soll ich nur tun?

Ein Ende machen. Jetzt sofort. Alles, was mir das Leben nach diesem Desaster noch bieten kann, ist es nicht wert, gelebt zu werden. Es gibt hier eine Kochecke, habe ich vorhin gesehen, dort wird es Messer geben. Oder besser aus dem Fenster springen? Wir sind im zweiten Obergeschoss, das sollte reichen. Aber wie ich mich kenne, werde ich falsch abspringen, mir die Beine brechen und mich zu allem Unglück auch noch lächerlich machen. Nein, besser ein Messer. Ich bin Arzt. Ich weiß, wie man schneiden muss, um …

Offenbar bin ich wirklich eingenickt. Hoffentlich nicht für lange. Als ich die Augen wieder öffne, ist alles unverändert. Es war kein böser Traum, es ist die bittere Wirklichkeit: Katharina ist tot, und ich habe sie umgebracht. Und meinem Leben ein Ende zu machen, ist immer noch der einzige Ausweg aus dieser Katastrophe, der mir einfällt.

Unendlich mühsam komme ich auf die Beine, torkle einige Schritte in Richtung Kochnische, finde gleich in der obersten Schublade ein einigermaßen scharfes Filetiermesser. Es liegt gut in der Hand, ich setze es am linken Handgelenk an, längs, nicht quer, schließe die Augen, beiße die Zähne zusammen, atme ein letztes Mal tief ein und schneide. Es tut nicht einmal besonders weh, aber ich fühle, bevor ich die Augen wieder öffne: Ich habe das Messer falsch angesetzt, die Arterie nicht erwischt. Es blutet ein bisschen, das ist alles. Ich lasse das Messer einfach fallen, nehme ein sauber aussehendes, weiß-gelb kariertes Geschirrhandtuch vom Haken, bastle einen notdürftigen Verband.

Was bin ich nur für ein Versager!

Ob es hier wohl irgendwo Schlaftabletten gibt?

Oder soll ich einfach die Polizei rufen und den Dingen ihren Lauf lassen?

Meine Schuld lässt sich ohnehin nicht verheimlichen. Zu viele Menschen haben mich gesehen, auf der Straße unten, während ich im Jaguar saß und auf Katharina wartete, in dieser schäbigen Kneipe schräg gegenüber und wahrscheinlich auch später, unten vor der Tür, mit Katharina zusammen. Dies ist ein dicht bewohntes Viertel. Drei, vier Stockwerke hohe Mietshäuser. Überall Menschen, überall Licht, überall potenzielle Augenzeugen. Auf einer Fläche der Größe, wie Anja und ich sie bewohnen, leben hier zwanzig Personen und mehr.

Ein verlockender Gedanke: Einige Männer werden kommen, Profis, für die das hier nicht die Bohne aufregend ist. Sie werden mich irgendwo hinsetzen, damit ich nicht im Weg stehe, mir vielleicht der Form halber Handschellen anlegen, obwohl keine Fluchtgefahr besteht. Aber man weiß ja nie, was in so einem Komiker vorgeht. Etwas zu trinken werden sie mir geben und eine Zigarette anbieten, die ich dankend ablehne, weil ich nicht mehr rauche, seit ich nicht mehr in der Klinik arbeite. Ruhige, erfahrene Beamte werden mich ohne jede Aufregung befragen. Vielleicht sind auch Frauen dabei. Fast gemütlich wird es werden, und ich werde ihnen alles erzählen. Von Katharinas Brüsten, von ihren Augen, wie ich später mit ihr geschlafen habe, und alles, was danach geschah. Nicht die unbedeutendste Kleinigkeit werde ich auslassen. Vermutlich werden sie sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen können, wenn sie die Zusammenhänge verstehen.

Vielleicht werden sie hie und da ein wenig den Kopf schütteln, aber nicht sehr, denn sie sind eine Menge gewöhnt, haben schon zu viel erlebt, um sich noch über irgendetwas zu wundern. Ein Irrer hat mal wieder jemanden ins Jenseits befördert, die übliche Geschichte halt. Sie werden mir dankbar sein dafür, dass alles so einfach ist, dass der Mörder mit der Leiche gleich mitgeliefert wird, dass es keine Nacht- und Wochenenddienste geben wird, keine Überstunden, keine Lauferei, nur ein wenig Papierkram am nächsten Tag. Heute Nacht werden sie nicht mehr viel tun. Keine Gefahr im Verzug. Alles sonnenklar.

Ja, bestimmt werden sie mir dankbar sein, weil ich keine Umstände mache. Ansonsten werde ich kaum noch eine Rolle spielen. Alles Weitere ist nicht mehr mein Bier.

Wenn ich kein Bier getrunken hätte, vorhin in dieser trüben Kneipe, dann wäre Katharina jetzt vielleicht noch am Leben.

Für die Polizisten werde ich nur noch „der Täter“ sein, fast eine Randfigur in einem bürokratischen Verfahren. Erst müssen die wichtigen Dinge getan werden: Spuren gesichert, Nachbarn befragt, Fotos gemacht, Protokolle geschrieben. Morgen wird man mich dann noch einmal ausführlich vernehmen. Aber es wird ganz schnell gehen, denn ich werde alles gestehen und alles erklären.

Kann man so etwas überhaupt jemals erklären? Dass ich getan habe, was ich mir niemals vorstellen konnte? Was mich immer empört hat, wenn ich von Kollegen hörte, die sich auf solche zweifelhaften Abenteuer einließen? Dass ich mit einer Patientin, die ich zum ersten Mal im Leben sah, innerhalb von Minuten ein Verhältnis anfing? Innerhalb von Sekunden alle meine ehernen Prinzipien vergaß? Und am Ende nun auch noch das getan habe, was nach dem Eid des Hippokrates doch so unbedingt zu vermeiden ist: Meiner Patientin geschadet, wie ich ihr schlimmer nicht hätte schaden können?

Wie oft hat Anja sich über mich lustig gemacht, mich ihren „tapferen Hippokrates“ genannt, der sich zum Sklaven seines Eids macht, weil er seinen Beruf wie alles im Leben viel zu ernst nimmt. Wie oft hat sie mir vorgeworfen, ich würde mir nie etwas gönnen, Vergnügen sei ein Fremdwort für mich. Nun habe ich mir einmal etwas gegönnt, einen Seitensprung, ein kleines sexuelles Vergnügen, und dies hier ist nun also das Ergebnis.

Man wird mir zugutehalten, dass ich geständig bin. Auch später vor Gericht wird dieser Umstand einen positiven Eindruck machen, strafmildernd wirken. Selbstverständlich werde ich mildernde Umstände bekommen. Massenhaft mildernde Umstände werde ich bekommen. In keinem Mordprozess der Welt wird es jemals so viele mildernde Umstände gegeben haben wie in meinem. Und hoffentlich kommt dann auch endlich heraus, wer mir diese Tragödie eingebrockt hat, denn irgendjemand muss sie mir eingebrockt haben, davon bin ich jetzt mehr denn je überzeugt.

Und wer weiß, womöglich werde ich am Ende sogar freigesprochen, und die Hintermänner, Katharinas Komplizen, wandern an meiner Stelle ins Gefängnis. Ja, so wird es kommen. Freispruch oder wenigstens Bewährung, es kann gar nicht anders sein.

Schon wieder Schwachsinn.

Keinerlei mildernde Umstände wird es geben für Dr. Bernhard Quentin. Ich habe Katharina getötet, ohne jede Not. Sie hat mich nicht bedroht, zumindest nicht körperlich. Ich bin nicht psychisch krank, zumindest habe ich das bis vor Kurzem noch geglaubt, ich bin nicht einmal betrunken, jedenfalls nicht genug, als dass mein Anwalt auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren könnte. Nein, es wird keine Gnade geben für mich.

Soll ich Albert anrufen? Den kenne ich aus dem Club. Er ist Strafverteidiger, angeblich ein guter, und sollte wissen, was in einem Fall wie meinem zu tun ist.

Aber nein, das geht alles nicht. Niemand darf jemals hiervon erfahren. Anja würde sich umgehend scheiden lassen, mit ihrem protestantischen Moralfimmel. Schon dass ich sie betrogen habe, würde sie mir nicht verzeihen. Und das andere, dass ich ein Mörder bin, natürlich erst recht nicht. Und wenn sie sich scheiden lässt, dann ist alles hin. Die Praxis, der Jaguar, das Haus, alles.

Um Himmels willen, der Jaguar! Der steht unten, fast vor der Tür, gut beleuchtet, und das in einem Stadtviertel, wo schon ein Baby-Benz Aufsehen erregt. Ebenso gut könnte ich nachher eine Visitenkarte an die Tür pinnen. Solche Wagen in Bordeauxrot gibt es bestenfalls zwei oder drei in Heidelberg. Was für ein Irrsinn!

Aber konnte ich denn ahnen, dass ich Katharina töten würde? Natürlich nicht. Zugegeben, ein wenig in Rage war ich schon. Aber ist es ein Wunder, nach allem, was sie mir angetan hat? Und dann muss ich irgendwie ausgerastet sein. Obwohl das sonst überhaupt nicht meine Art ist. Sonst bin ich als ruhiger, besonnener Mensch bekannt. Zu beherrscht, wie Anja oft meint. Mein Sternzeichen ist die Waage. Immer ausgeglichen, immer zuverlässig bis zum Gehtnichtmehr, immer der freundliche Onkel Doktor, dem man bedenkenlos Leben und Gesundheit anvertraut. Es geht einem schon besser, wenn man ihm nur ins unerschütterlich optimistische Antlitz blickt und seine kräftige, trockene Hand drückt …

Ja, Scheiße!

Und noch immer stehe ich Wahnsinniger hier, neben meiner Leiche, die Hände zittern mit einem Mal wieder stärker, für einen Moment fürchte ich, mich doch noch übergeben zu müssen. Kalt ist mir plötzlich. Der Verband färbt sich rot von meinem Blut. Eben noch war mir heiß, höllenheiß, ein blutschwarzer Hitzesturm. Nie zuvor in meinem Leben war ich in einem solchen Zustand. Ich weiß ja, wie das alles funktioniert, habe es viele Semester lang gelernt. Stresshormone, Adrenalin und Noradrenalin fluten den Körper, Atmung und Kreislauf arbeiten auf Höchstleistung, denn jetzt geht es um das Äußerste, um das Leben. Die Arterien sind weit geöffnet, alle nicht unbedingt lebensnotwendigen Körperfunktionen laufen im Sparbetrieb. Und später, wenn es überstanden ist, wenn die Anspannung nachlässt … Wäre ich mein Patient, ich könnte mir wissenschaftlich exakt erklären, was gerade in mir vorgeht.

Doch all diese Erkenntnisse helfen mir nicht weiter. Ich muss endlich etwas tun, verdammt noch mal! Ich brauche klare Gedanken, gute Ideen, meinen ganzen sonst so zuverlässig arbeitenden Verstand und außerdem eine Menge Glück, dann bin ich vielleicht noch zu retten.

Aber ich kann nicht. Ich kann nicht einmal die Augen von Katharinas Gesicht wenden. Das im Tod so friedlich aussieht, so ruhig, als hätte sie ein großes Ziel erreicht. Ist der Tod nicht genau das? Unser letztes Ziel? Es ist mir so vertraut, dieses ebenmäßige, jetzt so blasse Gesicht, obwohl ich sie doch nur so kurz gekannt habe.

Wie sie mein Behandlungszimmer betrat und auf mich zukam. Mit gesenktem Blick, vielleicht senkte sie immer den Blick, wenn sie einem Mann begegnete. In der Gegend im Süden, aus der sie stammt, sind die Frauen zurückhaltender als hier.

Ihre dunklen Augen haben schon keinen Glanz mehr, sind schon fast getrocknet, im Weißen um die Iris rote Äderchen, Speichel im Mundwinkel, erste Hinweise für die Kollegen von der forensischen Fakultät. Ich sollte ihr die Augen schließen, wird mir bewusst, wenigstens das kann ich noch für sie tun. Doch ich bin nicht dazu in der Lage, sie noch einmal zu berühren. Später. Jetzt noch nicht. Ja, blass ist sie, die Frisur reichlich derangiert im Handgemenge, aber sonst sieht sie fast genauso aus wie gestern Nachmittag, nein, vorgestern Nachmittag, denn Mitternacht ist ja schon vorüber. Immerhin weiß ich plötzlich wieder, wie spät es ist. Das ist doch schon mal was.

Vorgestern Nachmittag gegen 16 Uhr habe ich Katharina zum ersten Mal gesehen. Ihr klassisch schönes, vielleicht ein wenig zu kantiges, zu strenges Gesicht. Keinerlei Make-up, das üppige schwarze Haar zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengesteckt. Zwei, drei freche, unordentliche Löckchen an den Schläfen. Dünne goldene Ringe an den Ohren, diese Südländerinnen lieben ja alle Goldschmuck. Der Gesichtsausdruck schwer zu deuten, nicht übertrieben intelligent, aber auch nicht dumm, nein, keinesfalls dumm. Eher zurückhaltend, undurchsichtig, ja, geheimnisvoll, warum nicht.

Sonst durchschaue ich Menschen rasch. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht, einige wenige Worte aus ihrem Mund, und ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Katharina habe ich nicht durchschaut, und vielleicht ist genau dieser Umstand der Grund für alles. Dass ich mich mit ihr eingelassen habe, dass ich sie einen Tag lang so verzweifelt gesucht habe, nur um sie, nachdem ich sie endlich, endlich aufgespürt hatte, zu ermorden.

Ihre Augen … Vielleicht lag es auch an diesen dunklen Augen und daran, dass sie so wenig gesprochen hat. Keine zehn Worte habe ich gehört aus dem Mund, der jetzt ein wenig offen steht und einige sehr weiße, wenn auch nicht übertrieben ebenmäßige Zähne freilegt. Darüber die griechische Nase, wie man sie von Skulpturen antiker Göttinnen kennt. Und, ja, dieser Blick, dieser unbegreifliche, bodenlos tiefe Blick, aus dem ich einfach nicht schlau wurde.

Mit einem Mal bin ich mir sicher: Mit diesem Blick hat alles begonnen. Ihre Augen sind schuld daran, dass ich jetzt vor dem Ruin stehe. Nicht vor Pleite, Konkurs, Bankrott, nein, vor dem endgültigen, dem absoluten Nichts. Rien ne va plus.

Nach Baden-Baden könnte man mal wieder fahren und im Casino … Anja liebt es ja so, das Spielen um Geld, ständig schließt sie mit irgendwem Wetten ab über alles und jedes. Einige Male hat sie es sogar geschafft, mich nach Iffezheim zu diesen albernen Pferderennen zu schleppen, wo sie dann regelmäßig ein paar Tausender verlor, sich über die Hüte hoffnungslos übertakelter Damen amüsierte und über die roten Gesichter älterer Herren, die schon Schlagseite hatten vom ständigen Nippen an ihren Champagnerschalen. Auf der Rückfahrt hatte sie dann immer den leuchtenden Blick eines glücklichen Kindes und konnte vor Aufregung nicht einen Moment den Mund halten. Das Einzige, wofür sie sich dabei keine Sekunde interessierte, waren die Pferderennen.

Gott, ich bin wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf! Immer noch stehe ich hier, denke irgendwelchen belanglosen Blödsinn von Casinos und Pferderennen und sollte doch im Gegenteil alle meine verbliebene Energie zusammenkratzen und versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Aber da ist keine Energie mehr, das ist ja das Problem. Alle meine Kräfte habe ich vorhin verbrannt in diesem Höllensturm. Jetzt bin ich leer und schwach, unendlich müde, so gut wie tot.

Warum schaffe ich es nicht, dem Ganzen ein Ende zu setzen? Wenn ich mir schon nicht die Pulsadern aufschneiden kann, dann bringe ich es vielleicht fertig, mir das Messer ins Herz zu rammen? Das kann doch nicht so schwer sein, verflucht! Das haben Millionen Menschen vor mir gekonnt. Ein kurzer Moment der Überwindung, ein kleiner Schmerz, und dann ist Nacht und Stille für immer. Kein Drama mit Anja, kein Prozess, kein Gefängnis. In meiner Praxis hätte ich Mittelchen und Möglichkeiten. Wenn in meinem Giftschrank noch etwas drin wäre, was ja leider nicht der Fall ist. Aber hier?

Schon will ich das Messer wieder aufheben, aber dann lasse ich es doch liegen. So schnell gebe ich nicht auf. Habe ich mein Leben lang geackert und Anjas Launen und Nervenzusammenbrüche ertragen, um nun wegen dieser Frau hier alles hinzuschmeißen? Sie hat es verdient, verflucht noch mal! Ich habe es nicht gewollt, es war eine Tat im Affekt. Jetzt erst weiß ich übrigens, was das bedeutet: Affekt. Aber es ist wahr, sie hat es verdient. Sie wollte mich vernichten, und nun habe ich eben sie vernichtet.

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Allmählich beginnen meine Gedanken sich zu ordnen. Ich weiß nicht, wie viele Minuten vergangen sind, seit Katharina aufgehört hat, sich zu winden, aufzubäumen, mit so erschreckender Kraft zu wehren. Für einen Moment muss ich Halt an einer Tischkante suchen, zucke beim Gedanken an Fingerabdrücke zurück, stecke sicherheitshalber die Hände in die Taschen, stehe leicht schwankend da, löse den Blick von ihr. Rechts tut etwas weh, am Brustkorb. Ich taste vorsichtig. Sie muss mich im Todeskampf geschlagen haben. Ansonsten scheine ich zumindest äußerlich unbeschädigt zu sein.

Was für eine ungeheure Kraft sie hatte!

Die Vorhänge sind aufgezogen, im Haus gegenüber gedämpftes Licht, buntes Fernsehgeflacker. Auch hier brennt Licht. Ich habe meinen Mord sozusagen in aller Öffentlichkeit begangen. Eine unbekannte Anzahl Menschen hatte Gelegenheit, mir dabei zuzusehen.

Ich muss die schäbigen, lappigen Vorhänge zuziehen. Sofort. Als würde das jetzt noch irgendetwas helfen.

So schnell geht das also: Zweiunddreißig Stunden vom grundsoliden, hoch angesehenen Herrn Doktor zur vernichteten Existenz. Zweiunddreißig Stunden Achterbahn von ziemlich weit oben bis ganz nach unten. Ein altvertrautes, so lange vergessenes Gefühl: Gleich fange ich an zu weinen. Wenn ich doch jemanden wüsste, der mir helfen könnte, den ich um Rat fragen dürfte, der mich festhielte, mir neue Kraft gäbe.

Wolfgang Burger

Über Wolfgang Burger

Biografie

Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seine Gerlach-Krimis wurden bereits...

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„In ›Anatomie eines Mordes‹ (…) muss sich die Spannung aber nicht erst aufbauen, sie ist durchwegs da.“

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