6000 Kilometer westwärts 6000 Kilometer westwärts - eBook-Ausgabe
Auf dem Rad mitten durch Amerika
„Unterwegs in grandiosen Landschaften suchte Rohrbach nach spannenden Geschichten und außergewöhnlichen Menschen.“ - Süddeutsche Zeitung
6000 Kilometer westwärts — Inhalt
Dirk Rohrbach fühlt sich in keinem anderen Land so zu Hause wie in Amerika. 40 Reisen in 25 Jahren hat er dorthin unternommen, Zehntausende von Meilen zurückgelegt: zu Fuß, im Kanu, auf dem Fahrrad und mit seinem 74er Ford Truck Loretta. Jetzt sattelt er wieder sein Rad und durchquert den Kontinent vom Atlantik zum Pazifik, immer auf der Suche nach spannenden Geschichten und außergewöhnlichen Menschen. Die genaue Route ergibt sich unterwegs, kein GPS-Navi, sondern Seiten aus dem Straßenatlas weisen ihm den Weg. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch ein Land, das ihn doch jedes Mal aufs Neue inspiriert.
Leseprobe zu „6000 Kilometer westwärts“
Vorweg
„Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Ich brauchte einen kurzen Moment, bis ich das Missverständnis selbst erfasste. Seit ein paar Minuten schon strampelte der Radler auf dem Weserradweg neben uns her. Die volle Zuladung mit Packtaschen an Vorder- und Hinterradträgern, Lenkertasche und zusätzlichen Packsäcken schien so früh in der Saison wohl noch ungewöhnlich und sorgte für Gesprächsstoff. Schon in Fulda hatte mich ein Fußgänger angesprochen, als wir vor einem Zebrastreifen die nächste Grünphase abwarteten. „Wo soll die Reise denn hingehen?“ – »Los [...]
Vorweg
„Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Ich brauchte einen kurzen Moment, bis ich das Missverständnis selbst erfasste. Seit ein paar Minuten schon strampelte der Radler auf dem Weserradweg neben uns her. Die volle Zuladung mit Packtaschen an Vorder- und Hinterradträgern, Lenkertasche und zusätzlichen Packsäcken schien so früh in der Saison wohl noch ungewöhnlich und sorgte für Gesprächsstoff. Schon in Fulda hatte mich ein Fußgänger angesprochen, als wir vor einem Zebrastreifen die nächste Grünphase abwarteten. „Wo soll die Reise denn hingehen?“ – „Los Angeles!“ Schallendes Gelächter, auch bei den anderen Passanten, die gerade die Straße überquerten, und den Motorradfahrern, die auf gleicher Höhe auf der Abbiegespur standen. „Ehrlich, kein Scherz …“, wollte ich noch rufen, aber da sprang die Ampel um, und wir setzten uns mit einem Grinsen wieder in Bewegung.
Zugegeben, Hanau – Los Angeles ist keine gewöhnliche Radroute. Aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, bei dieser für mich besonderen Reise tatsächlich vor der Haustür zu starten und zunächst gemeinsam mit meinem Schulfreund Matthias auf den deutschen Fernradwanderwegen bis nach Bremerhaven zu fahren. Dort wollte ich auf ein Frachtschiff steigen, bis nach New York schippern und dann allein irgendwie bis nach Los Angeles radeln. Besonders war diese Reise für mich nicht zuletzt deshalb, weil es die insgesamt 40. sein würde und ich vor genau 25 Jahren zum allerersten Mal nach Amerika gereist war. Eine Erfahrung, die eine nachhaltige Begeisterung fürs Unterwegssein, dieses Land und vor allem für seine Bewohner ausgelöst hatte.
Ich weiß, viele Menschen können das angesichts des in den USA allgegenwärtigen Größenwahns, geradezu militanten Patriotismus und scheinheiliger Moralvorstellungen nur schwer nachvollziehen. Vom fragwürdigen Kampf gegen den Terror, der Vorliebe für Schusswaffen, die Todesstrafe oder so manchen Präsidentschaftskandidaten ganz zu schweigen. Aber bei meinen ausgedehnten Reisen in den letzten drei Jahrzehnten habe ich ein anderes Amerika kennengelernt. Eines, in dem man sich noch immer traut, groß zu träumen. Wo man sein Schicksal lieber selbst in die Hand nimmt und nicht darauf vertraut, dass andere und allen voran der Staat es schon irgendwie richten werden. Klingt nach Wildwest, ist aber eher Ausdruck des erfrischenden, oft unkonventionellen Pragmatismus im Alltag. Und ich habe die Amerikaner stets als höflich, hilfsbereit, freundlich und überschwänglich gastfreundlich empfunden. Das sind nicht nur Attribute, die das Zusammenleben netter gestalten, sondern die auch die sonst so gern zitierte amerikanische Oberflächlichkeit deutlich übertrumpfen. Klar verzweifle auch ich hin und wieder an der Schizophrenie der Gesellschaft, an der absurden Obrigkeitshörigkeit vieler Uniformträger und der fast paranoiden Wahnvorstellung, eine flächendeckende Gesundheitsversorgung nach europäischem Vorbild bedeute gleichzeitig den Sieg des teuflischen Sozialismus über die Demokratie und – noch schlimmer – den Kapitalismus. Aber erstens gibt es Idioten überall, und zweitens bereichern mich die Begegnungen mit den Menschen dort auch nach all den Jahren auf eine derart intensive Weise, dass ich einfach nicht genug davon bekommen kann.
Vor diesem Hintergrund fiel die Wahl auch bei dieser Reise auf das Fahrrad. Schon einmal, im Sommer 2004, hatte ich Amerika mit dem Rad erkundet, war sechs Monate an seinen Grenzen einmal rundherum gefahren und hatte am Ende fast 15 000 Kilometer zurückgelegt. Dabei ist die körperliche Herausforderung für mich zwar jedes Mal spannend, aber viel mehr noch genieße ich das entschleunigte Reisen aus eigener Kraft, um Land und Menschen intensiver zu erleben.
Ich wollte auf den legendären Highways weit abseits der Hauptrouten fahren – mitten rein ins Herz Amerikas, nach small-town America, wo die Tugenden, die unsere Fantasien und Sehnsüchte nach endloser Weite und grenzenloser Freiheit beflügeln, kein Mythos sind, sondern Alltag. Die genaue Route würde sich unterwegs ergeben, und kein GPS-Navi, sondern Seiten aus einem Straßenatlas würden mir den Weg weisen – zusammen mit den Geschichten und Menschen, denen ich unterwegs begegnen würde. Den norddeutschen Flachlandradler, der davon ausging, dass ich in Deutschland nur Urlaub machen und dann heim nach Amerika radeln würde, ließ ich in seinem Glauben. Denn wenn man es genau nimmt, hatte er ja auch irgendwie recht …
I. Aller Anfang ist weit
Von Hanau nach Philadelphia
Wie schön Deutschland im April sein kann. Und wie einfach man sich hier zurechtfindet. Nahezu lückenlos markieren die Wegweiser an den Radwegen unsere Strecke. Fulda, Werra, Weser, Bremen mit kurzem Fotostopp bei den Stadtmusikanten, dann Finale entlang der Bundesstraße nach Bremerhaven. Fünf Tage brauchen Matthias und ich für die gut 650 Kilometer durch die Flusstäler bis zur Nordseeküste. Mein Nacken ist verspannt, das rechte Knie geschwollen. Fit fühlt sich anders an. Immerhin hat sich die Ausrüstung bewährt, auch wenn ich wieder viel zu viel eingepackt habe. Aber in den nächsten zwei Wochen auf dem Schiff kann ich ja aussortieren.
Bremerhaven – New York, eine geschichtsträchtige Route. Mehr als sieben Millionen Menschen sollen von hier aus in eine unbekannte Welt aufgebrochen sein, verkündet der illuminierte Schriftzug über der Rezeption des Auswanderermuseums am Hafen, das wir am Morgen vor dem Ablegen meines Containerschiffs noch kurz besuchen.
Matthias begleitet mich mit dem Rad bis zum Kai, wo die „MSC Uganda“, noch fest vertäut, gerade beladen wird. Tausende von Containern müssen auf oder in den Schiffsrumpf, überall wuseln Hafenarbeiter und Matrosen. Ich frage mich durch und werde mit knappen Worten an den Kapitän verwiesen. Waldemar Murawski fährt seit Jahrzehnten zur See. Bei einem Gespräch später an Bord erklärt er mir die Faszination, die die Meere auf ihn ausüben.
„Als Kapitän da draußen bin ich immer noch ein Stück weit unabhängig, ich muss schnell entscheiden. Und das macht viel Spaß.“
Der Deutsch-Pole mag die Herausforderung, auch wenn Bürokratie und Richtlinien die romantische Vorstellung von der Seefahrerei genauso schnell zurechtrücken wie meine, während der Überfahrt als Hilfsmatrose auf oder unter Deck eingebunden zu sein. Schade, ich hatte mich schon im schnieken schneeweißen Matrosenoutfit das Oberdeck schrubben oder im Maschinenraum Kohle schippen sehen. Wobei die „Uganda“ natürlich auf einen ganz anderen Treibstoff setzt: „Wir fahren mit verschiedenen Typen von Schweröl. In Europa darf man nur mit Low-Sulphur-Brennstoff fahren“, erklärt mir Kapitän Murawski. Das Gleiche gilt für Amerika: Ab einer Entfernung von 200 Meilen vor der Küste dürfen nur schwefelarme Treibstoffe eingesetzt werden. Mehr als 23 Knoten kann die „Uganda“ damit machen, also etwa 43 Stundenkilometer. Meistens fährt sie aber im Eco-Modus mit 18 Knoten, um Sprit zu sparen. Dann braucht sie fast 100 Tonnen pro Tag. Die Tanks fassen mehr als 3000 Tonnen Treibstoff, das reicht theoretisch also für knapp einen Monat auf See. Tausende von Tonnen Schweröl pro Überfahrt – das klingt nicht sehr umweltfreundlich. Wenn man aber die Ladekapazität eines Superfrachters berücksichtigt, gibt es keine ressourcenschonendere Transportmethode.
Die Tage an Bord der „MSC Uganda“ werden entspannend und geschäftig zugleich. Schlafen, Essen, Lesen und Arbeiten. In meiner passablen Zweizimmerkajüte schreibe ich meine „Gebrauchsanweisung für Alaska“ fertig und plane grob meine Route. Alles ohne Internet, das an Bord eigentlich nur auf der Kommandobrücke verfügbar ist, mit steinzeitlicher Analoggeschwindigkeit. Ich probiere den Fitnessraum mit ein paar Hanteln, Tischtennisplatte und Ergometer. Leider ist der Sattel defekt und ein Training vorerst nicht möglich. Auf Sauna und Pool, den mir die Crew auf Wunsch gerne mit eiskaltem Atlantikwasser gefüllt hätte, verzichte ich und freue mich stattdessen auf die drei regelmäßigen Mahlzeiten in der Offiziersmesse. Die deutsche Crew und die zwölf Matrosen aus Kiribati und von den Philippinen essen getrennt. Es gibt reichlich, auch wenn die Gaumenfreude ein wenig zu kurz kommt. Zweimal am Tag brüht der reizende Steward extra für mich eine Kanne Kaffee und reicht dazu Dosenplätzchen. Zur Verdauung der vielen Kalorien gönne ich mir gelegentlich einen Hollywood-Blockbuster aus dem DVD-Archiv des Schiffs. Kein Wunder, dass der Bund meiner Fleecehose sehr bald spannt.
Die „Uganda“ läuft unter deutscher Flagge und pendelt regelmäßig über den Nordatlantik. Gut 4000 Container kann sie maximal fassen, damit ist sie ein großer Pott, aber kein Superfrachter. Die neuesten Schiffe schaffen locker das Vierfache. Für Passagiere bieten Spezialagenturen seit Jahren die Eignerkabinen an, in denen ist das Reisen zwar weniger luxuriös als auf einem Kreuzfahrer, aber allemal geräumiger und in meinem Fall auch deutlich langsamer. Denn es geht nicht auf dem direkten Weg an die amerikanische Ostküste, sondern erst nach Zwischenstopps in Felixstowe, Großbritannien, Antwerpen, Belgien, und Le Havre in Frankreich endgültig raus auf den Ozean. Der gibt sich während der gesamten Überfahrt weitgehend ruhig. Nur an zwei Tagen wogen die knapp 300 schwergewichtigen Meter der „Uganda“ deutlicher wahrnehmbar in den Wellen.
Kurz vor der Ankunft dümpeln wir stundenlang vor der Küste. Wir sind zu früh dran, unser Anlegeplatz wird erst am nächsten Morgen frei. Ich stelle mir den Wecker auf vier Uhr, um die Einfahrt nicht zu verpassen. Schlaftrunken torkle ich dann die Treppe rauf zur Brücke. Ich reibe mir die Augen, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Kein Zweifel, das muss sie sein. Verheißungsvoll und vertraut reckt sie ihren rechten Arm in den noch immer stockfinsteren Nachthimmel. Lichtstarke Scheinwerfer lösen ihr grünes Kupfergewand aus der schier endlosen Skyline, die dagegen nur spärlich beleuchtet wirkt. Mir treibt es unvermittelt die Tränen in die Augen, nicht nur wegen der auffrischenden Brise. Was müssen wohl erst die zahllosen Einwanderer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefühlt haben, die sich beim Anblick der Freiheitsstatue ihrem Traum einer neuen Existenz im gelobten Land ganz nah wähnten?
Ich bin vor dieser Reise noch nie in New York gewesen, hatte immer Angst vor der großen Stadt und muss jetzt feststellen, dass sie völlig unbegründet war. Der Big Apple ist zwar groß, aber durch die unterschiedlichen Ortsteile auch irgendwie überschaubar, und die Orientierung fällt durch die schachbrettartige Anordnung der Straßen gar nicht so schwer.
200 000 Radfahrer sollen täglich auf New Yorks Straßen unterwegs sein. Eine Dreiviertelmillion Einwohner nutzt das Rad regelmäßig. Die Stadt hat sich darauf eingestellt und in den letzten fünf Jahren 500 Kilometer neue Radwege gebaut. Und nachdem die Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos in Manhattan laut Statistik bei knapp 14 Stundenkilometern liegt und es im übrigen New York nicht besser zu sein scheint, sind wir auf den Rädern auch nicht langsamer.
Der Pfarrer der Seemannsmission, der bei der Ankunft jedes Schiffes an Bord kommt und seine Hilfe anbietet, nimmt mich inklusive Rad und Ausrüstung in seinem Auto vom Hafen mit nach New Jersey. In einem Coffeeshop checke ich zum ersten Mal seit zwei Wochen meine Mails, rund 130 sind im Posteingang. Die dringendsten beantworte ich gleich, den Rest hebe ich mir für später auf.
Ich schwinge mich aufs Rad und fahre meine ersten Kilometer durch Amerika. Am Hudson River entlang gelange ich über die George Washington Bridge nach Manhattan, finde mühelos Central Park, Times Square und den neuen Freedom Tower, wo ich in ein paar Tagen eine Fähre besteigen und die Stadt verlassen werde.
Zuvor aber will ich noch einen Mann treffen, der genauso gerne Rad fährt wie ich. Sam Polcer ist in erster Linie Fotograf. Durch sein schickes Buch „New York Bike Style“ bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Dafür hat er eine Reihe hipper New Yorker auf ihren stylischen Fahrrädern abgelichtet, um zu zeigen, wie cool Radfahren sein kann. Die meisten seiner Models sprach er zufällig auf der Straße an, bevorzugt in Brooklyn, wo Sam auch lebt. Die lässigen Fotografien zeigen Kuriere, BMX-Fahrer, Fixie-Anhänger und Mitglieder des Puerto Rican Schwinn Club vor, hinter oder auf ihren gepimpten, verchromten Oldtimern. Hauptberuflich arbeitet Sam für die gemeinnützige Organisation Bike New York, ist dort der director of communications, also für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Wir bringen den Leuten bei, wie man Rad fährt – Kindern, aber auch Erwachsenen“, erzählt er mir im Red Lantern, einem coolen Coffeeshop mit Radwerkstatt in Brooklyn, in dem wir verabredet sind. Denn Radfahren scheint in den USA längst nicht so selbstverständlich wie in Europa. „Wie heißt es so schön: Radfahren verlernst du nie! Aber viele Menschen hier hatten nie die Gelegenheit, es richtig zu lernen.“ Entweder weil das Rad fehlte, der Platz oder die Eltern es für zu gefährlich hielten in der Großstadt. „Allein im letzten Jahr haben wir mehr als 17 000 New Yorkern Radunterricht gegeben, Anfängern, aber auch Fortgeschrittenen, denen wir erklären, wie man im Straßenverkehr sicherer unterwegs ist“, freut sich Sam über den Erfolg von Bike New York. Es sei das größte Programm dieser Art, schwärmt er weiter, und wie toll es sei, gerade Erwachsene aufs Rad zu bringen. „Kinder lernen ständig Neues und kriegen alles locker in einer Stunde hin. Aber Erwachsene sind meist unsicher, und wenn sie es dann doch schaffen, gib’s Tränen und Freude darüber, dass sie etwas gelernt haben, das sie für den Rest ihres Lebens nutzen können. Das ist jedes Mal sehr inspirierend.“
Bike New York bietet nicht nur Radunterricht für alle Altersklassen an, sondern organisiert auch diverse Events und die New Yorker Bike Expo. Höhepunkt des Jahres ist die Five Borough Bike Tour Anfang Mai, bei der jährlich mehr als 30 000 Radfahrer aus den ganzen USA und dem Rest der Welt durch die Häuserschluchten aller fünf New Yorker Stadtteile strampeln. Wenn das so weitergeht, kann New York bald Amsterdam und Münster den Rang als Fahrradhauptstadt der Welt streitig machen. Im Übrigen meint Sam, der natürlich die 20 Kilometer zur Arbeit mit dem Rad fährt, dass es in den letzten Jahren in der Stadt deutlich sicherer für Radler geworden sei. „Wir bekommen immer mehr Radwege. Trotzdem raten wir den Leuten, sich auf dem Rad am besten wie ein Nilpferd zu verhalten. Beanspruche die ganze Fahrbahn, mach dich sichtbar, lass die Autofahrer und Fußgänger wissen, was du vorhast, fahr mit Selbstvertrauen!“ Nach so viel Theorie schwingen wir uns auf die Bikes und fahren auf dem zweispurigen Radweg der Williamsburg Bridge nach Manhattan, eine Etage über dem stockenden Autoverkehr. „Manche meckern über die Brücken“, meint Sam unterwegs. „Aber irgendwie muss man ja auch auf sein Work-out kommen. Und dann diese Aussicht, das ist wahrscheinlich einer der am häufigsten auf Instagram geposteten Orte des Planeten.“ Ich stimme zu, obwohl ich mit Social Media immer noch nichts am Hut habe. Mit Fotografieren schon, und dafür, da sind wir uns einig, gibt’s nichts Besseres als Radfahren. „Auf dem Rad ist New York visuell besonders interessant, man sieht so viel mehr. Deshalb sind hier auch so viele Radfahrer Fotografen und umgekehrt.“ Ich kann Sam nur beipflichten, die Geschwindigkeit beim Radfahren ist normalerweise langsam genug, um eben auch Details wahrzunehmen, Besonderheiten, an denen man mit dem Auto wahrscheinlich vorbeirasen würde. Am Fuß der Brücke halten wir für ein Foto. Sam setzt mich in Szene. Ich soll hinter meinem Rad posieren, mit Helm und Brille stoisch und entschlossen in die Kamera schauen. Dass ich es in eine zweite Auflage seines Buches schaffe, bezweifle ich. Mein überladener Packesel wirkt alles andere als stylish, und eine blau verspiegelte Radbrille macht noch keinen coolen Biker. „Ich wollte mit meinem Buch die Vielfältigkeit unter Radfahrern zeigen, dass Radfahren Spaß macht und so gut aussehen kann, wie es sich anfühlt. Damit noch mehr Menschen aufs Rad steigen!“ Wie gut, dass Sam mir abschließend gewährt, wenigstens ein bisschen zu lächeln, trotz Nieselregen, der eingesetzt hat. Sonst würde sich der Spaß an der Sache auf den Fotos nicht sehr glaubwürdig vermitteln, befürchte ich. Und dabei freue ich mich, endlich starten zu können, verabschiede mich von Sam und fahre noch einmal zum Times Square. „You are living my dream!“, kommentieren einige Passanten, die ich in der Rushhour treffe, meinen Plan. Einfach aufbrechen, losfahren, ohne festes Ziel und Zeitdruck das Ungewisse suchen. Ein Traum, offenbar nicht nur für mich …
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