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Beim Leben meiner SchwesterBeim Leben meiner Schwester

Beim Leben meiner Schwester

Jodi Picoult
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Roman

Tief bewegend und spannend wie ein Krimi. - Für Sie

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Beim Leben meiner Schwester — Inhalt

Ohne ihre Schwester Anna kann Kate Fitzgerald nicht leben: Sie hat Leukämie. Doch eines Tages weigert sich die 13-jährige Anna, weiterhin Knochenmark für ihre todkranke Schwester zu spenden … Jodi Picoults so brisanter wie aufrüttelnder Roman über den Wert des Menschen wird niemanden kaltlassen.

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 01.09.2006
Übersetzt von: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
480 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-24796-2
Download Cover
€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 16.05.2011
Übersetzt von: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
480 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95250-7
Download Cover

Leseprobe zu „Beim Leben meiner Schwester“

Für die Currans:
die besten Familienmitglieder,
mit denen wir gar nicht verwandt sind.
Danke, daß ihr in unserem Leben
eine so wichtige Rolle spielt.


Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erste ist der Zweck, das andere das Ziel.


CARL VON CLAUSEWITZ,
›Vom Kriege‹, 8. Buch, 2. Kapitel


PROLOG


In meiner frühesten Erinnerung bin ich drei Jahre alt und versuche, meine Schwester umzubringen. Manchmal ist die Erinnerung so deutlich, daß ich wieder [...]

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Für die Currans:
die besten Familienmitglieder,
mit denen wir gar nicht verwandt sind.
Danke, daß ihr in unserem Leben
eine so wichtige Rolle spielt.


Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erste ist der Zweck, das andere das Ziel.


CARL VON CLAUSEWITZ,
›Vom Kriege‹, 8. Buch, 2. Kapitel


PROLOG


In meiner frühesten Erinnerung bin ich drei Jahre alt und versuche, meine Schwester umzubringen. Manchmal ist die Erinnerung so deutlich, daß ich wieder genau weiß, wie kratzig sich das Kopfkissen anfühlte, wie ihre Nasenspitze gegen meine Handfläche drückte. Sie hatte natürlich keine Chance gegen mich, aber geklappt hat es nicht. Mein Vater kam rein, um vor dem Schlafengehen noch einmal nach uns zu sehen, und rettete sie. Er brachte mich zurück zu meinem eigenen Bett. „Das“, sagte er zu mir, „ist nie passiert.“
Als wir älter wurden, schien ich gar nicht zu existieren – außer wenn es um sie ging. Manchmal betrachtete ich sie, wenn sie in ihrem Bett auf der anderen Seite unseres Zimmers schlief, und ging die Möglichkeiten durch. Gift in ihren Cornflakes. Eine tückische Unterwasserströmung beim Baden im Meer. Blitzschlag.
Aber ich habe meine Schwester nicht umgebracht. Sie hat es ganz allein gemacht.
Zumindest rede ich mir das ein.


MONTAG


Bruder, ich bin Feuer
Lodere unter dem Ozeanboden.
Ich werde dir nie begegnen, Bruder – Jedenfalls jahrelang nicht;
Vielleicht erst in Tausenden von Jahren, Bruder.
Dann werde ich dich wärmen,
Dich umfassen, dich umkreisen,
Dich verbrauchen und dich verwandeln –
Vielleicht in Tausenden von Jahren, Bruder.


CARL SANDBURG,
›Kin‹


ANNA


Als ich klein war, fragte ich mich nicht, wie Babys gemacht wurden, sondern warum. Wie eine Zeugung ablief, wußte ich – mein großer Bruder Jesse hatte mich aufgeklärt –, obwohl ich damals sicher war, daß er die Hälfte davon falsch verstanden hatte. Andere Kinder in meinem Alter schlugen im Klassenlexikon emsig die Wörter Penis und Vagina nach, wenn die Lehrerin ihnen den Rücken zudrehte, aber mich beschäftigten andere Fragen. Warum zum Beispiel manche Mütter nur ein Kind hatten, während andere Familien vor unseren Augen immer größer wurden. Oder wieso die Neue in der Schule, Sedona, jedem erzählte, sie sei nach der Stadt benannt, in der ihre Eltern sie im Urlaub gezeugt hatten („Ein Glück, daß sie nicht gerade in Jersey City waren“, sagte mein Vater, als er das hörte).
Jetzt, mit dreizehn, sind die Fragen, die mich beschäftigen, noch komplizierter: die Achtkläßlerin, die von der Schule geflogen ist, weil sie sich in Schwierigkeiten gebracht hat; eine Nachbarin, die sich hat schwängern lassen, weil sie gehofft hat, das würde ihren Mann davon abhalten, die Scheidung einzureichen. Ich finde, wenn heute Außerirdische auf der Erde landen und sich ganz genau anschauen würden, warum Babys geboren werden, kämen sie unweigerlich zu dem Schluß, daß die meisten Leute aus Versehen Kinder kriegen oder weil sie an einem bestimmten Abend zu viel getrunken haben oder weil die Verhütungsmethoden nicht hundertprozentig sicher sind oder aus tausenderlei anderen Gründen, die nicht besonders schmeichelhaft sind.
Ich dagegen wurde zu einem ganz bestimmten Zweck geboren. Ich war nicht die Folge einer billigen Flasche Wein oder einer Vollmondnacht oder eines Augenblicks ungezügelter Leidenschaft. Ich wurde geboren, weil es einem Wissenschaftler gelungen ist, ein Ei meiner Mutter mit einer Samenzelle meines Vaters zu vereinen, um eine bestimmte Kombination von kostbarem genetischem Material zu schaffen. Tatsache ist, als Jesse mir erzählte, wie Babys gemacht werden, und ich, die große Zweiflerin, zu meinen Eltern marschierte, damit sie mir erzählten, wie es wirklich funktionierte, erfuhr ich mehr, als ich wissen wollte. Natürlich erzählten sie mir den üblichen Kram – aber sie erklärten mir auch, daß sie sich speziell für mein kleines Embryonen-Ich entschieden hatten, weil ich meine Schwester Kate retten konnte. „Wir haben dich sogar noch mehr geliebt“, versicherte meine Mutter mir, „weil wir ja genau wußten, was wir bekamen.“
Aber daraufhin mußte ich mir die Frage stellen, was wohl gewesen wäre, wenn Kate nicht diese Krankheit gehabt hätte. Sehr wahrscheinlich würde ich dann immer noch sonstwo herumschweben und darauf warten, eine Weile auf Erden verbringen zu können. Auf jeden Fall wäre ich nicht Teil dieser Familie. Denn anders als der Rest der freien Welt bin ich kein Zufallsprodukt. Und wenn eure Eltern euch aus einem bestimmten Grund bekommen haben, dann ist zu hoffen, daß es den Grund noch gibt. Denn sobald der sich erledigt hat, seid ihr es auch.


Pfandhäuser sind vielleicht voller Plunder, aber sie sind auch eine Brutstätte für Geschichten, wenn ihr mich fragt. Was ist passiert, daß jemand den „garantiert noch nie getragenen“ Diamantring versetzen mußte? Wer brauchte so dringend Geld, daß er einen Teddybär verkauft hat, dem ein Auge fehlt? Als ich auf die Theke zugehe, kommt mir der Gedanke, ob sich andere dieselben Fragen stellen werden, wenn sie das Medaillon sehen, von dem ich mich trennen werde.
Der Mann an der Kasse hat eine Nase, die spitz ist wie eine Möhre, und so tiefliegende Augen, daß ich Zweifel habe, ob er damit überhaupt gut genug sehen kann, um sein Gewerbe auszuüben. „Was darf’s sein?“ fragt er.
Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen und wieder hinausmarschieren, so tun, als wäre ich nur aus Versehen hereingekommen. Doch ich bleibe, weil ich mir sage, daß ich nicht der erste Mensch bin, der vor dieser Theke steht und einen Gegenstand in der Hand hält, von dem er nie gedacht hätte, daß er sich mal von ihm trennen würde.
„Ich hab was zu verkaufen“, sage ich.
„Muß ich raten, was?“
„Oh.“ Ich schlucke und hole das Medaillon aus meiner Jeanstasche. Das Herz fällt auf die Glastheke, und die Kette sammelt sich wie ein Pfütze drum herum. „Vierzehn Karat Gold“, preise ich das Schmuckstück an. „Kaum getragen.“ Das ist gelogen. Bis heute morgen habe ich es sieben Jahre lang kein einziges Mal abgenommen. Mein Vater hat es mir geschenkt, als ich sechs war, nach der Knochenmarkspende, und er sagte, ein Mädchen, das seiner Schwester so ein großartiges Geschenk macht, hätte selbst auch eins verdient. Als ich es da auf der Theke liegen sehe, fühlt sich mein Hals fröstelig und nackt an.
Der Pfandleiher hält sich eine Lupe vors Auge, das jetzt fast normal groß aussieht. „Ich geb dir zwanzig.“
„Dollar?“
„Nein, Pesos. Was hast du denn gedacht?“
„Das Ding ist fünfmal soviel wert!“ Ich rate.
Der Pfandleiher zuckt die Achseln. „Du brauchst das Geld, nicht ich.“
Ich nehme das Medaillon, um das Geschäft resigniert zu besiegeln, als etwas sehr Merkwürdiges geschieht – meine Hand verkrampft sich so fest wie ein Schraubstock. Ich werde rot im Gesicht von der Anstrengung, meine Finger zu öffnen. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis das Medaillon endlich in der ausgestreckten Hand des Pfandleihers landet. Seine Augen ruhen unverwandt auf meinem Gesicht und blicken jetzt sanfter. „Sag ihnen, du hast es verloren“, rät er mir, ein guter Rat als Gratiszugabe.


Wenn man den Begriff „Laune der Natur“ erklären wollte, böte sich eine Beschreibung von Anna Fitzgerald an. Nicht nur äußerlich: mager wie ein Flüchtlingskind, flach wie ein Brett, schmutzigblondes Haar, auf den Wangen Hunderte von Sommersprossen, die auch nicht mit Hilfe von Zitronensaft oder Sonnenmilch blasser werden. Nein, am Tag meiner Geburt war Gott anscheinend nicht gut drauf, weil er mir nämlich zu diesen tollen körperlichen Eigenschaften auch noch den entsprechenden Hintergrund mitgegeben hat – die Familie, in die ich hineingeboren wurde.
Meine Eltern gaben sich alle Mühe, ein normales Familienleben zu führen, aber das ist ein relativer Begriff. Die Wahrheit ist, ich hatte nie eine richtige Kindheit. Zugegeben, die hatten Kate und Jesse auch nicht. Vielleicht hatte mein Bruder die ein oder andere sonnige Stunde in den vier Jahren seines Lebens, bevor Kate krank wurde, aber seitdem sind wir zu sehr damit beschäftigt, ständig auf das Schlimmste gefaßt zu sein, um unbeschwert aufzuwachsen.
Die meisten kleinen Kinder sehen sich ja gerne als Zeichentrickfiguren – ihr wißt schon, wenn ihnen ein Amboß auf den Kopf fällt, rappeln sie sich einfach wieder auf und laufen weiter. Ich dagegen hab das nie geglaubt. Wie denn auch, wo wir doch jeden Abend am Tisch für den Tod mitgedeckt haben?
Kate hat akute promyelozytäre Leukämie. Na ja, so ganz stimmt das nicht – im Augenblick hat sie sie nicht, aber die Krankheit schlummert unter ihrer Haut wie ein Bär, der Winterschlaf hält und irgendwann wieder losbrüllt. Sie wurde krank, als sie zwei war; jetzt ist sie sechzehn. Molekularer Rückfall und Granulozyten und Portkatheter – solche Wörter gehören fest zu meinem Vokabular, obwohl sie in keiner Klassenarbeit vorkommen. Ich bin ein allogener Spender – ein Geschwister mit hundertprozentiger Übereinstimmung. Wenn Kate Leukozyten oder Stammzellen oder Knochenmark braucht, um ihrem Körper weiszumachen, er sei gesund, bin ich ihr Lieferant. Fast jedes Mal, wenn Kate ins Krankenhaus muß, lande ich auch dort.
Das alles bedeutet nichts, außer daß ihr nicht alles glauben sollt, was ihr über mich hört, schon gar nicht das, was ich euch selbst erzähle.
Als ich die Treppe runtergehe, kommt meine Mutter schon wieder in einem neuen Ballkleid aus ihrem Zimmer. „Ah“, sagt sie und dreht mir den Rücken zu. „Zu dir wollte ich gerade.“
Ich mache ihr den Reißverschluß zu, und sie dreht sich einmal im Kreis. Meine Mutter könnte wunderschön sein, wenn sie in das Leben von jemand anderem hineingezaubert würde. Sie hat langes, dunkles Haar und die eleganten Schlüsselbeine einer Prinzessin, aber ihre Mundwinkel zeigen ständig nach unten, als hätte sie gerade eine bittere Nachricht geschluckt. Sie hat nicht viel Zeit für sich, da ihr Terminkalender sich dramatisch ändern kann, wenn meine Schwester plötzlich einen Bluterguß oder Nasenbluten bekommt, aber die wenige Zeit, die sie hat, verbringt sie im Internet auf der Webseite Bluefly.com und bestellt todschicke Abendkleider für Veranstaltungen, die sie nie besuchen wird. „Wie seh ich aus?“ fragt sie.
Das Kleid hat alle Farben eines Sonnenuntergangs und ist aus einem Stoff, der raschelt, wenn sie sich bewegt. Es ist trägerlos, ein Kleid für eine Filmschauspielerin, die einen roten Teppich entlangstolziert, völlig unpassend für eine Stadtrandsiedlung in Upper Darby, Rhode Island. Meine Mutter dreht ihre Haare zu einem Knoten und hält es hoch. Auf ihrem Bett liegen drei andere Kleider – eins eng geschnitten und schwarz, eins mit Glasperlen besetzt, eins, das unglaublich klein wirkt. „Du siehst …“
Müde aus. Das Wort drängt sich mir auf die Zunge.
Meine Mutter wird ganz still, und ich denke schon, daß ich es unabsichtlich ausgesprochen habe. Sie hält eine Hand hoch, damit ich leise bin, Richtung Tür. „Hast du das gehört?“
„Was gehört?“
„Kate.“
„Ich hab nichts gehört.“
Aber sie verläßt sich nicht auf mich. Wenn es um Kate geht, verläßt sie sich nämlich auf niemanden. Sie marschiert die Treppe hoch, und als sie die Tür von unserem gemeinsamen Zimmer öffnet, findet sie meine Schwester in Tränen aufgelöst auf dem Bett, und schon stürzt die Welt wieder ein. Mein Vater, ein Hobbyastronom, hat mir mal die schwarzen Löcher erklärt. Sie sind so schwer, daß sie alles in sich aufsaugen, sogar Licht, direkt in ihre Mitte. Augenblicke wie jetzt sind genauso ein Vakuum; egal, woran du dich festklammerst, du wirst hineingesogen.
„Kate!“ Meine Mutter sinkt auf den Boden, das alberne Kleid wie eine Wolke um sie herum. „Kate, Schätzchen, tut dir was weh?“
Kate hält ein Kissen auf den Bauch gedrückt, und Tränen strömen ihr übers Gesicht. Ihr helles Haar klebt ihr in feuchten Strähnen an den Wangen, und sie atmet gepreßt. Ich stehe wie erstarrt an der Tür und warte auf Anweisungen: Ruf Daddy an. Ruf einen Krankenwagen. Ruf Dr. Chance an. Schließlich schüttelt meine Mutter Kate sogar, um eine Antwort zu bekommen. „Preston“, schluchzt sie. „Er hat sich endgültig von Serena getrennt.“
Erst da bemerken wir den laufenden Fernseher. Auf dem Bildschirm wirft ein blonder, heißer Typ einer Frau, die fast genau wie meine Schwester Rotz und Wasser heult, einen schmachtenden Blick zu und knallt dann die Tür hinter sich zu. „Aber wo tut’s dir weh?“ will meine Mutter wissen, überzeugt, daß es für die Tränen einen ernsteren Grund geben muß.
„Gott, wie traurig“, sagt Kate schniefend. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was Serena und Preston alles durchgemacht haben?“
Die Faust in mir lockert sich, jetzt, da ich weiß, daß alles in Ordnung ist. Der Normalzustand bei uns zu Hause ist wie eine zu kurze Bettdecke – manchmal deckt sie dich schön zu, und dann wieder bibberst du vor Kälte, und das schlimmste ist, daß du nie weißt, was von beidem der Fall sein wird. Ich setze mich ans Fußende von Kates Bett. Ich bin zwar erst dreizehn, aber größer als sie, und hin und wieder werde ich für die ältere Schwester gehalten. In diesem Sommer war sie schon nacheinander in Callahan, Wyatt und Liam verschossen, die männlichen Stars der Seifenoper. Jetzt ist Preston anscheinend ihr Favorit. „Die Kidnappingdrohung war echt heftig“, sage ich. Die Episode habe ich mitbekommen, weil ich für Kate ein paar Folgen aufgenommen habe, als sie zur Dialyse mußte.
„Und dann hätte sie fast aus Versehen seinen Zwillingsbruder geheiratet“, fügt Kate hinzu.
„Vergeßt nicht, daß er bei dem Bootsunfall ums Leben gekommen ist. Jedenfalls für zwei Monate.“ Meine Mutter steuert auch etwas bei, und mir fällt ein, daß sie die Sendung ja auch mal angeguckt hat, bei Kate im Krankenhaus.
Jetzt erst scheint Kate das Outfit meiner Mutter zu bemerken. „Was hast du denn da an?“
„Ach das. Das schick ich zurück.“ Sie stellt sich vor mich, damit ich ihr den Reißverschluß öffnen kann. Jeder anderen Mutter mit so einem Versandhausbestellzwang würde man dringend zu einer Therapie raten. Bei meiner Mutter kann man es wahrscheinlich als gesunden Ausgleich betrachten. Ich frage mich, was ihr daran gefallen mag; die Illusion, für eine Weile in die Haut von jemand anderem zu schlüpfen, oder die Möglichkeit, etwas zurückschicken zu können, wenn es ihr nicht gefällt? Sie sieht Kate an, eindringlich. „Dir tut auch wirklich nichts weh?“
Sobald meine Mutter gegangen ist, sinkt Kate ein wenig in sich zusammen. Nur so läßt es sich beschreiben – wenn ihr plötzlich die Farbe aus dem Gesicht weicht, wenn sie auf dem Kissen zu verschwinden scheint. Je kränker sie wird, desto weniger wird sie, und ich habe Angst, daß ich eines Morgens wach werde und sie gar nicht mehr sehen kann. „Weg da“, befiehlt Kate. „Du stehst mir im Bild.“
Also stehe ich auf und setze mich auf mein Bett. „Das ist doch nur die Vorschau für morgen.“
„Trotzdem, wenn ich heute abend sterbe, will ich wenigstens wissen, was ich verpasse.“
Ich schiebe mir mehrere Kissen unter den Kopf. Kate hat sich wie üblich alle weichen unter den Nagel gerissen, alle, die sich nicht anfühlen wie Steine im Nacken. Angeblich hat sie das verdient, weil sie drei Jahre älter ist als ich oder weil sie krank ist oder weil der Mond im Wassermann steht – es gibt immer einen Grund. Ich schiele auf den Fernseher, wünschte, ich könnte ein bißchen zappen, weiß aber, daß ich nicht den Hauch einer Chance habe. „Preston sieht aus, als wäre er aus Plastik.“
„Und wieso hast du dann gestern nacht seinen Namen ins Kopfkissen geflüstert?“
„Klappe“, sage ich.
„Selber Klappe.“ Dann lächelt Kate mich an. „Wahrscheinlich ist er sowieso schwul. So eine Verschwendung, wo die Fitzgerald-Schwestern doch –“ Sie zuckt zusammen und bricht mitten im Satz ab, und ich rolle mich näher zu ihr.
„Kate?“
Sie reibt sich das Kreuz. „Schon gut.“
Es sind ihre Nieren. „Soll ich Mom holen?“
„Noch nicht.“ Sie streckt eine Hand zwischen unsere Betten, die gerade so weit auseinander stehen, daß wir uns berühren können, wenn wir es beide wollen. Auch ich strecke eine Hand aus. Als wir klein waren, haben wir manchmal diese Brücke gebaut und ausprobiert, wie viele Barbiepuppen wir darauf balancieren konnten.
In letzter Zeit habe ich Alpträume, in denen ich zerhackt werde, in so kleine Stücke, daß ich nicht mehr zusammengesetzt werden kann.


Mein Vater sagt, ein Feuer im Haus geht von alleine aus, es sei denn, du öffnest ein Fenster, denn das gibt ihm Nahrung. Ich glaube, genau das mache ich, wenn man es recht überlegt. Aber mein Dad sagt auch, wenn die Flammen dir schon an den Fersen lecken, mußt du ein oder zwei Wände einreißen, wenn du davonkommen willst. Also hole ich die Ledermappe unter meiner Matratze hervor, als Kate von ihren Medikamenten eingeschlafen ist, und gehe damit ins Bad, wo ich ungestört bin. Ich weiß, daß Kate in meinen Sachen schnüffelt – ich habe einen roten Faden zwischen die Zähne des Reißverschlusses geklemmt, um ihr auf die Schliche zu kommen, und der Faden ist zerrissen, aber es fehlt nichts. Ich drehe das Wasser in der Wanne an, damit es sich anhört, als hätte ich einen Grund, im Bad zu sein, setze mich auf den Fußboden und zähle.
Mit den zwanzig Dollar vom Pfandhaus habe ich 136,87 Dollar zusammen. Das wird nicht reichen, aber es muß trotzdem eine Lösung geben. Jesse hatte auch keine 2.900 Dollar, als er seinen klapprigen Jeep gekauft hat, und die Bank hat ihm ein Darlehen gegeben. Natürlich mußten meine Eltern die Papiere unterschreiben, und ich bezweifele, daß sie das für mich tun werden. Ich zähle das Geld noch einmal, für den Fall, daß sich die Scheine wie durch ein Wunder vermehrt haben, aber nein, die Summe bleibt gleich. Und dann lese ich die Zeitungsausschnitte.
Campbell Alexander. Ein blöder Name, finde ich. Er hört sich an wie ein überteuerter Drink in einer Bar oder wie eine Brokerfirma. Aber der Mann hat eine beeindruckende Erfolgsbilanz.
Um zum Zimmer meines Bruders zu gelangen, muß man das Haus verlassen, was genau in seinem Sinne ist. Als Jesse sechzehn wurde, zog er in die Mansarde über der Garage – ein prima Arrangement, denn er will nicht, daß meine Eltern mitbekommen, was er so treibt, und meine Eltern wollen es auch gar nicht unbedingt mitbekommen. Die Treppe in sein Reich wird von vier Winterreifen blockiert, einer Wand aus Kisten und einem umgekippten Eichenschreibtisch. Manchmal denke ich, Jesse baut die Hindernisse auf, um den Weg zu ihm noch schwieriger zu machen.
Ich klettere über das Gerümpel und steige die Treppe hoch, die vom Baß aus Jesses Stereoanlage vibriert. Es dauert fast fünf geschlagene Minuten, bis er mein Klopfen hört. „Was ist?“ faucht er, als er die Tür einen Spalt öffnet.
„Kann ich reinkommen?“
Er überlegt kurz, tritt dann zurück und läßt mich herein. Das Zimmer ist ein Meer aus schmutziger Wäsche und Zeitschriften und Pappschachteln vom Chinesen. Es riecht wie ein verschwitzter Turnschuh. Die einzige saubere Stelle ist das Regal, wo Jesse seine besondere Sammlung aufbewahrt – ein silberner springender Jaguar, ein Mercedes-Stern, das Pferd eines Ford Mustang – Kühlerfiguren, die er angeblich irgendwo gefunden hat, aber ich bin nicht so blöd, daß ich ihm das abnehme.
Versteht mich nicht falsch – es ist nicht so, daß Jesse meinen Eltern egal wäre oder daß es sie nicht interessiert, wenn er sich Ärger einhandelt, sie haben einfach nur keine Zeit, sich darum zu kümmern, weil das Problem auf der Dringlichkeitsliste weiter unten steht.
Jesse ignoriert mich und macht weiter mit dem, womit er auf der anderen Seite dieses Chaos zugange war. Mein Blick fällt auf einen Wasserkocher, der vor einigen Monaten spurlos aus der Küche verschwunden ist und jetzt auf Jesses Fernseher steht. Vom Deckel aus führt ein dünnes Kupferrohr nach unten durch einen Plastikmilchkrug voller Eis und weiter in ein Einmachglas. Jesse ist vielleicht ein verkappter Krimineller, aber er ist ein Genie. Als ich die Vorrichtung anfassen will, dreht Jesse sich um. „He!“ Er kommt förmlich über die Couch geflogen und schlägt meine Hand weg. „Du ruinierst mir noch die Kühlschlange.“
„Das Ding ist doch wohl nicht das, wofür ich es halte?“
Ein freches Grinsen schleicht sich in sein Gesicht. „Kommt drauf an, wofür du es hältst.“ Er nimmt das Einmachglas, so daß die Flüssigkeit jetzt auf den Teppich tropft. „Probier mal.“
Für einen Destillierapparat Marke Eigenbau ist der Selbstgebrannte nicht von schlechten Eltern. Ein Inferno rast mir durch Bauch und Beine, und ich sinke auf die Couch nieder. „Ekelhaft“, keuche ich.
Jesse lacht und nimmt auch einen Schluck. „Und was willst du von mir?“
„Wie kommst du darauf, daß ich was von dir will?“
„Weil sich keiner von euch hier blicken läßt, nur um mich zu besuchen“, sagt er und setzt sich auf die Armlehne der Couch. „Und wenn es um Kate ginge, hättest du’s schon gesagt.“
„Aber es geht um Kate. Indirekt.“ Ich drücke meinem Bruder die Zeitungsausschnitte in die Hand. Sie können die Sache besser erklären als ich. Er überfliegt sie, blickt mir dann in die Augen. In seinen ist ein Hauch Silber, was so verblüffend ist, daß du manchmal, wenn er dich direkt ansieht, völlig vergißt, was du eigentlich sagen wolltest.
„Leg dich nicht mit dem System an, Anna“, sagt er verbittert. „Wir haben hier alle unsere festen Rollen. Kate spielt die Märtyrerin. Ich bin die große Enttäuschung. Und du, du bist der Friedensengel.“
Er glaubt mich zu kennen, aber das gilt auch umgekehrt – und wenn es um Spannungen geht, kann Jesse nicht widerstehen. Ich blicke ihn unverwandt an. „Wer sagt das?“

Jodi Picoult

Über Jodi Picoult

Biografie

Jodi Picoult wurde 1967 in Long Island, New York, geboren. Sie studierte zunächst in Princeton Kreatives Schreiben, später machte sie in Harvard einen Masterabschluß in Pädagogik. Bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie als Texterin und Lehrerin. Bereits in Princeton lernte Jodi...

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Tief bewegend und spannend wie ein Krimi.

Elizabeth George

Das bewegende Porträt einer zerrissenen Familie. Jede Figur ist lebendig, jede Situation wahr. Jodi Picoult gelingt es, ihre Leser bis zur letzten Seite zu fesseln... mich inbegriffen.

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