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Der Pfad des Todes (Louise-Rick-Reihe )

Der Pfad des Todes (Louise-Rick-Reihe )

Sara Blædel
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Kriminalroman

„(...) Rasante Geschichte mit vielen Leichen und viel Tempo. Aber auch mit viel Spannung und Personen, die einem nahe kommen.“ - P.S. Zeitung (CH)

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Der Pfad des Todes (Louise-Rick-Reihe ) — Inhalt

In den Tiefen der dänischen Wälder zeichnet eine Wildkamera Bilder eines verängstigten Jugendlichen auf. Als sich herausstellt, dass der Junge vor mehr als zwei Wochen als vermisst gemeldet wurde, ist Kommissarin Louise Rick alarmiert. Warum wirkt er auf den Aufnahmen so panisch? Und warum kehrt er nicht nach Hause zurück? Dann wird im selben Wald die Leiche einer jungen Frau gefunden. Louise steht kurz davor, einer Reihe ungesühnter Verbrechen auf die Spur zu kommen, die schon lange zurückliegen. Denn der Waldboden ist mit Blut getränkt …

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 14.09.2015
Übersetzt von: Marieke Heimburger
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97102-7
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Leseprobe zu „Der Pfad des Todes (Louise-Rick-Reihe )“

Er zögerte. Dann nahm er das tote Huhn, das sein Vater ihm reichte. Da, wo vorher der Kopf gewesen war, klebte jetzt Blut an dem weißen Gefieder. Sune hatte Blut noch nie gemocht. Den Geruch nicht und auch nicht die dunkle Farbe, wenn es herauslief und eine Pfütze bildete. Aber das wollte er sich heute nicht anmerken lassen. Nicht vor seinem Vater. Nicht heute. Wenn seine Mutter auch mit dabei wäre, dann wäre alles leichter, dachte er und blinzelte ein paarmal. Aber seine Mutter lag in ihrem Schlafzimmer im Sterben. Fast den ganzen Tag hatte er an ihrem [...]

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Er zögerte. Dann nahm er das tote Huhn, das sein Vater ihm reichte. Da, wo vorher der Kopf gewesen war, klebte jetzt Blut an dem weißen Gefieder. Sune hatte Blut noch nie gemocht. Den Geruch nicht und auch nicht die dunkle Farbe, wenn es herauslief und eine Pfütze bildete. Aber das wollte er sich heute nicht anmerken lassen. Nicht vor seinem Vater. Nicht heute. Wenn seine Mutter auch mit dabei wäre, dann wäre alles leichter, dachte er und blinzelte ein paarmal. Aber seine Mutter lag in ihrem Schlafzimmer im Sterben. Fast den ganzen Tag hatte er an ihrem Bett gesessen. Das Schlimmste war der Tropf. Die Stelle, wo die Nadel in ihrer Hand verschwand. Er konnte gar nicht hinsehen, obwohl ein Pflaster darüberklebte. Sie hatte geschlafen, als sein Vater ihm zurief, sie müssten los. Seit Monaten hatte er sich auf seine Jugendweihe gefreut, auf das Ritual und die Feier. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, abends als Kind von zu Hause wegzufahren und irgendwann nachts als Mann zurückzukehren. Zumindest würde er von da an als solcher betrachtet werden und die gleichen Rechte und Pflichten haben wie ein Erwachsener. Seine Klassenkameraden waren bereits alle konfirmiert, aber die Asatrus bestätigten ihren Glauben erst an ihrem fünfzehnten Geburtstag. Und Sune wurde heute fünfzehn. Er legte das Huhn in den Eimer, den sein Vater geholt hatte, und stellte ihn in den Fußraum vor dem Beifahrersitz, bevor er selbst ins Auto kletterte. Sein Vater hatte den weißen Lieferwagen mit allem beladen, was sie für den Mitternachtsblót brauchten, und er selbst hatte sich gerade noch einmal vergewissert, dass er auch wirklich die beiden kleinen Geschenke für die Götter dabeihatte. Das eine sollte seine Kindheit symbolisieren, das andere seine Zukunft. Er hatte sich für sein Lieblingskinderbuch entschieden, obwohl es ihm sehr schwerfiel, sich von der abgegriffenen Ausgabe von Pu der Bär zu trennen. Tesafilm hielt das Buch zusammen. Seine Mutter hatte ihm daraus vorgelesen, bis die Seiten herausfielen. Sune wusste, dass seinem Vater diese Entscheidung nicht passte. Statt eines Buches hätte der Junge doch besser einen Fußball genommen, hatte er gesagt. Aber Sunes Mutter hatte zu ihrem Sohn gehalten. Die andere Opfergabe war das große Taschenmesser, ein Geschenk seines Vaters. Sune hoffte, die Götter würden ihm als Erwachsenem dafür Mut und Stärke geben. Er wollte ganz bestimmt nicht Schlachter werden wie sein Vater und sein Großvater. Aber ihm war nichts Besseres als dieses Messer und dieser Wunsch eingefallen. Und sein Vater war zufrieden gewesen. Sune würde auch selbst ein Geschenk bekommen. Ein Geschenk, das ihm einen Schubs in die richtige Richtung geben würde. Sein Vater hatte seinerzeit ein Schlachtermesser bekommen. Lesen und Schreiben waren nicht seine Stärke gewesen, und so hatte Sunes Großvater seinen Sohn gleich nach dessen Jugendweihe von der Schule und zu sich in die Schlachterlehre genommen. Sune hatte auch schon von einem Jungen gehört, der ein Flugticket nach irgendwohin ganz weit weg bekommen hatte, begleitet von der Ansage, er solle erst dann zurückkehren, wenn er nicht mehr an Mutters Rockzipfel hing. Er war nie wiedergekommen. Sune hoffte, eine Silberkette mit einem Thorshammer zu bekommen, dem Symbol ihres nordischen Glaubens. Sein Vater hatte ihm vorgeschlagen, sich das zu wünschen. Als sie jetzt in den Waldweg abbogen und der Vater ihn fragte, ob er bereit sei, lächelte Sune und nickte. Er sah die Fackeln und das Feuer schon von Weitem. Die Dämmerung war fortgeschritten, die hohen Bäume ragten dunkel über ihnen auf, und die goldenen Flammen wirkten einladend. Sune spürte ein Kribbeln im Bauch, als er sah, dass die anderen bereits da waren und alles für ihn vorbereitet hatten. Die Flammen der Fackeln tänzelten in der Dunkelheit. Heute Abend war sein Blót. Endlich würde er in den Kreis der Männer aufgenommen. Solange Sune denken konnte, war er mit seinen Eltern in den Wald gefahren, um sich mit den anderen Asatrus zu treffen. Er liebte die Stimmung bei diesen Zusammenkünften und das große gemeinsame Mahl, das es gab, wenn die Erwachsenen mit der Gottesanbetung fertig waren. Bisher war er aber nie selbst ein Teil des Kreises gewesen. Bisher war er ihren Regeln nicht verpflichtet gewesen. Wenn er heute Abend Teil des Kreises der Männer und dieser Kreis mit ihm geschlossen wurde, war er für immer an seinen Eid gebunden. Der Kreis der Erwachsenen konnte nur von Kindern oder von Tieren gebrochen werden, die nicht begriffen, dass er heilig war. Sune und die anderen Kinder waren immer zum Spielen hinter den großen Feuerplatz geschickt und strengstens ermahnt worden, die Erwachsenen nur dann zu stören, wenn eins der Kinder sich ernsthaft verletzte. Ab heute Abend würde er ein Teil des Kreises sein, wenn die Götter angerufen wurden. Er würde mit­machen dürfen, wenn das Trinkhorn die Runde machte, und zum Dank für seine Weihe würde er den Göttern das Huhn opfern und seinen nordischen Glauben bestätigen. In den letzten Monaten waren sein Vater und er sämtliche Rituale durchgegangen. Sein Vater hatte ihm vom Eidring erzählt und ihm eingeschärft, dass ein Gelöbnis bei diesem Ring ein Versprechen an die Götter war, das man niemals brechen durfte. Sune dachte an das Schwein hinten im Lieferwagen. Es würde zum Schluss der Zeremonie getötet und sein Blut den Göttern geopfert werden, eine Dankesgabe der Familie für die Aufnahme ihres Sohnes. Sein Vater ging ihm voraus Richtung Feuer. Mit zwei Metern Abstand standen die Fackeln rundherum, das Ganze sah fast wie eine Festung aus. Sune war die Stille plötzlich unangenehm, und auch, dass die Männer sich so feierlich in einer Reihe aufgestellt hatten und jetzt einer nach dem anderen hervortraten, um ihn in den Arm zu nehmen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und versuchte, sein stolzes Grinsen zu unterdrücken, schließlich wollte er nicht kindisch wirken. Da legte sich der Gode den Umhang um, und die Männer versammelten sich schweigend in einem Kreis rund um das Feuer. Jetzt, dachte Sune. Jetzt ist es so weit. Gleich bin ich erwachsen. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass der Gode das Wort ergreifen würde. Schließlich sprach er auch immer die Einführung, wenn die Erwachsenen sich in einem Kreis versammelten. Aber es war sein Vater, der hervortrat, den Kopf leicht zur Seite neigte und seinen Sohn mit einem Lächeln im Blick ansah. „ Sune, mein Sohn “, hob er etwas unbeholfen an. „ Heute Abend fängt dein Leben als Erwachsener an. Ab sofort bist du kein Kind mehr, und du musst viel lernen. “ Ein paar der Männer räusperten sich oder husteten. Sune musste an die Sage von Signe, der Tochter König Vølsungs, denken, die ihre Söhne in den Wald geschickt hatte, als der älteste gerade mal zehn war. Sie hatten furchtbare Angst gehabt. Er selbst war fünfzehn und fand den dunklen Wald auch ganz schön unheimlich. Er war nie besonders mutig gewesen, das wusste er selbst. Er musste an seine Mutter denken. „ Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag “, hatte sie gesagt, als er sich am Morgen mit seinem Frühstück zu ihr ans Bett gesetzt hatte. Sie selbst aß kaum noch, sie wurde hauptsächlich über eine Sonde ernährt. Aber sie hatte gelächelt und Sunes Hand genommen. „ Freust du dich auf heute Abend ? “ Jetzt schob Sunes Vater ihn in den Kreis hinein, und der Gode ging langsam um den Kreis herum und sang dabei. In jeder Himmelsrichtung blieb er stehen und rief eine Gottheit an. Im Norden Odin, den höchsten aller Götter. Thor, den Beschützer der Menschen, im Süden. Frey, den Gott der Fruchtbarkeit, im Osten, und im Westen Frigg, Odins Gemahlin, die für die Ehe und Stabilität in Beziehungen stand. „ Der Kreis ist geschlossen “, erklärte der Gode, als er wieder seinen Platz einnahm. Sune bezweifelte, dass er später mal wiederholen könnte, was während des Rituals gesagt wurde. Mehrmals nahm er das Trinkhorn entgegen, drehte es so, dass die Spitze des Horns auf seinen Bauch zeigte, und hob es vorsichtig an die Lippen, damit kein Unterdruck entstand und ihm der Met ins Gesicht spritzte. Sein Vater hatte ihm erklärt, daran könne man erkennen, wer neu im Kreis war und wer schon länger dazugehörte. Sunes Wangen glühten vom Feuer und vom Alkohol. Berauscht hörte er zu, als die Männer einer nach dem anderen hervortraten und ihm einen Vers vortrugen. Einige suchten Zeilen aus der Hávamál aus, während andere Verse aus der Völuspa stammen mussten, aber es dauerte nicht lange, da verschwammen alle Worte. Nachdem alle ihre Verse gesagt hatten, sangen sie für ihn. Sune legte die Geschenke für die Götter auf die Erde, dann machte das Trinkhorn abermals die Runde. Schließlich wurde der Kreis geöffnet. Einige der Männer jubelten und hoben Sune hoch, und wieder nahmen sie ihn einer nach dem anderen in den Arm. Woran Sune sich später aber bis ins letzte Detail erinnern würde, war jener magische Augenblick nach dem Blót, als er in die Eidbruderschaft der Männer eingeführt werden sollte. Er blieb beim Feuer stehen, während die Erwachsenen sich unter der großen Opfereiche versammelten. Der über tausend Jahre alte Baum stand einige Meter von der Feuerstelle entfernt. Als Sune kleiner gewesen war, hatte er sich die Wartezeit, bis die Erwachsenen mit dem Blót fertig waren, mit Begeisterung damit vertrieben, immer wieder durch das große Loch im Stamm zu springen. Heute Abend sah das Loch aus wie ein großes schwarzes Auge, das ihn im Halbdunkel anstarrte. Ihm lief ein leichter Schauer über den Rücken, aber kein unangenehmer. Angst hatte er keine, im Gegenteil. Der Gode grub ein Stück Grasnarbe aus und platzierte sie so auf zwei Zweigen, dass eine Art Torbogen entstand. Die Sage von Odin und Loke und ihrer Blutsbrüderschaft hatte Sune schon immer fasziniert. Jetzt war er selbst Teil des Rituals: Mit ihnen unter der Grasnarbe hindurchzugehen symbolisierte ihre gemeinsame Wiedergeburt. Ihm kam das alles wie in Zeitlupe vor, als sein Vater ihn bei der Hand nahm und der Gode direkt hinter ihm ging. Als er auf der anderen Seite herauskam, hatte er das Gefühl, der Mond würde allein ihn direkt anleuchten. Natürlich wusste er, dass er sich das nur einbildete, aber es fühlte sich wirklich so an. Er hatte sich etwas vor dem Teil des Rituals gefürchtet, bei dem sich jeder eine Ader aufschnitt und Blut auf die Stelle laufen ließ, an der die Grasnarbe fehlte. Aber das war dann alles gar nicht so schlimm. Hinterher überreichten sie ihm einen langstieligen Bronzelöffel, der wie ein großer Kochlöffel aussah, nur schwerer und mit einem breiten, kantigen Stiel. Es erfüllte Sune mit Stolz, als die anderen ihn feierlich aufforderten, im Blut auf dem Erdboden zu rühren, und er kam sich richtig mutig vor, als er ihrer Aufforderung nachkam. Dann nahm der Gode die Grasnarbe von den Ästen und legte sie dahin zurück, wo er sie ausgegraben hatte, um das Ritual zu besiegeln. Die Erde wurde festgeklopft und Sune in den Kreis gezogen. Er fühlte sich erwachsen. Der Gode erklärte, von nun an sei er an den Pakt gebunden, nach dem sie einander ehren und behüten sollten. „ Wir passen aufeinander auf “, hatte Sunes Vater erklärt, als sein Sohn ihn einmal fragte, was das bedeutete. Sune blieb stehen, als sein Vater sich in Richtung Auto entfernte. Am liebsten hätte er sich davongeschlichen. Er hatte keine Lust, dabei zuzusehen, wie sie gleich das Schwein schlachteten. „ Hilfst du eben beim Auspacken ? “, fragte der Gode. Er hatte den Umhang abgelegt und zeigte zum Feuerplatz. Dort standen bereits einige der weißen Thermokisten aus der Schlachterei, in denen sich das Essen für das Fest befand. Zum Glück würden sie das Schwein jetzt nicht auch sofort essen, ging es Sune durch den Kopf. Es würde nur getötet und aufgehängt werden. Sein Blut sollte ins Erdreich sickern, den Göttern zu Ehren. Das Schwein selbst würden sie wieder mit nach Hause nehmen und am nächsten Tag zer- legen – obwohl das gegen die Vorschriften der Lebensmittelbehörde verstieß. Aber wie sagte sein Vater doch immer ? „ Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. “ „ Ist der Haken bereit ? “, rief Sunes Vater vom Lieferwagen her. Zwei Männer eilten mit drei schweren Eisenstangen herbei, die sie unter der Opfereiche aufstellten wie für ein Indianerzelt. Sie wurden oben mit einer massiven Eisenscheibe fixiert, an der ein großer Fleischerhaken befestigt wurde. Dann fuhr sein Vater mit dem Lieferwagen rückwärts an den Dreifuß heran, schaltete den Motor ab, bestieg den Laderaum und machte sich daran, das Tier hinauszuschieben. Er hatte die Sau betäubt, bevor er sie geladen hatte, und vorhin, als sie losgefahren waren, hatte er gesagt, sie sei scheißeschwer gewesen. Sune verstand immer noch nicht, wieso sein Vater sie nicht gleich getötet hatte. Dann müsste sie das hier jetzt nicht miterleben. Sune gefiel die Vorstellung gar nicht, dass das Tier lebend an den Haken gehängt wurde und die Kehle durchgeschnitten bekam. Er wandte sich ab und packte weiter das Essen aus. Es gab mehrere Kisten Bier, aber keinen Met mehr. Die Männer hatten dem Honigwein während des Blót kräftig zugesprochen. Sune sah sich nach Cola oder Limonade um, aber daran hatte offenbar keiner gedacht. „ Soll der Junge jetzt nicht mal langsam sein Geschenk kriegen ? “, grölte einer quer über den Feuerplatz. Sune konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, wer das war. Er sah sich nach seinem Vater um. „ Ja, los, her damit ! “, johlte ein anderer. Kurz darauf waren alle verschwunden, und Sune stand ganz allein am Feuer. Er dachte nach. Musste er jetzt irgendetwas tun ? Aber da hörte er zwischen den Bäumen eine Autotür zuschlagen, und kurz darauf kamen die Männer in einer geschlossenen Gruppe zurück. In der Dunkelheit erkannte Sune zunächst nur, dass sie eine Frau mit langen, offenen Haaren dabeihatten. Sune dachte, sie wollten ihn überraschen und hätten seine Mutter geholt. Doch als sie näher kamen, sah er, dass die Frau eine junge Frau war, viel jünger als seine Mutter, aber deutlich älter als er selbst. Sein ­Vater hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und stapfte hinter den anderen her. Da wurde Sune plötzlich unruhig und wollte auf ihn zugehen. „ Bleib da stehen “, sagte der Gode. Die Männer hielten zwischen dem Feuer und der alten Eiche an, wo immer noch der weiße Lieferwagen mit geöffneter Heckklappe stand. „ Wir haben dir ein Geschenk mitgebracht. “ Sune sah die Frau an. Er hatte sie noch nie gesehen. Dann senkte er den Blick und spürte, wie er immer unsicherer wurde. „ Dein Vater hat uns erzählt, dass du deine Nase den lieben langen Tag immer nur in Bücher steckst “, sagte der Gode. „ Das wollen wir gerne ändern. “ Einige der Männer lachten heiser. Das, was den ganzen Abend ein gespanntes Kribbeln im Bauch gewesen war, verwandelte sich jetzt langsam in handfeste Bauchschmerzen. „ Heute Nacht wirst du Freja huldigen und das Fruchtbarkeitsritual zelebrieren. “ Der Gode nickte der Frau kurz zu, worauf sie sich auf Sune zubewegte. Die Männer bildeten einen Halbkreis. „ So wird deine Männlichkeit gestärkt “, fuhr der Gode fort. „ Und genau das ist unser Geschenk für dich: Männlichkeit. “ Sune sah auf und schüttelte den Kopf. Er suchte den Blick seines Vaters, als die Frau anfing, ihre schwarze Bluse aufzuknöpfen. Sie lächelte Sune an, als sie die Bluse auf den Boden warf und ihm bedeutete, näher zu kommen. Aber Sune blieb stehen, wo er war. Wie angewurzelt. Die langen Locken fielen ihr über die Schultern, die im Schein des Lagerfeuers schimmerten. Sune wollte wegsehen, konnte den Blick aber nicht von ihren nackten Brüsten abwenden. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er nackte Brüste direkt vor sich, und er begann, auf ungewohnte Weise zu zittern. Sie öffnete ihren schwarzen Rock, trat einen Schritt auf Sune zu und ließ auch den Rock zu Boden fallen. Sune starrte immer noch auf ihre Brust. Er konnte ihr einfach nicht in die Augen sehen, jetzt, da sie splitternackt vor ihm stand. Sune bemerkte, dass einige der Männer unruhig wurden. Die Frau strich sich mit beiden Händen über den nackten Körper und machte einen letzten Schritt auf Sune zu. Nun stand sie so dicht vor ihm, dass ihm ihr Geruch in die Nase stieg und in den Unterleib fuhr. Sie stand mit leicht gespreizten Beinen da und begann, sich zu wiegen, als würden sie tanzen. Er spürte ihre Hand an seinem Hosenknopf und hörte, wie sie den Reißverschluss aufzog. Da riss er sich los und taumelte rückwärts. Doch bevor er sich zu weit entfernen konnte, packte ihn jemand beim Arm. „ Du bleibst hier ! “, hörte er jemanden hinter sich sagen. Sune sah die Männer an, die gleichzeitig den Kreis um sie ein wenig enger werden ließen. „ Verdammt, jetzt mach schon ! “, zischte der Gode. Sune hatte das Gefühl, die Dunkelheit des Waldes würde sich tiefer auf ihn legen und ihn ganz umschließen. Es wurde kurz ganz still in seinem Kopf, als seien alle Geräusche um ihn herum verstummt. Verzweifelt sah er sich um, suchte nach einer Lücke in der Wand aus Männern, die nun ganz eng um ihn und die nackte Frau herumstanden. Sunes Blick fiel auf seinen Vater. Er wollte zu ihm hinlaufen, aber sein Körper wollte sich nur in Zeitlupe bewegen, und da wurde er von hinten auch schon so heftig geschubst, dass er beinahe hingefallen wäre. Plötzlich waren die Stimmen der Männer wieder da. Sune wollte sich losreißen, aber der Griff um seinen Arm war eisern. „ Los ! Fick sie ! “, rief jemand. „ Ich will aber nicht ! “, schrie Sune. Die junge Frau wich schnell ein paar Schritte zurück und bückte sich nach ihren Kleidern. Sofort stürzte sich einer der Männer auf sie. „ Du bleibst schön hier ! “, herrschte er sie an. „ Wenn der Junge nicht will, will er nicht. Dann soll man ihn auch nicht zwingen. “ Sie machte sich daran, ihren Rock anzuziehen, da schlug er ihr ins Gesicht. „ Du tust gefälligst, wofür wir dich bezahlen ! “, stellte er klar und schlug sie noch einmal. Das Lächeln der jungen Frau war erstorben. Ihre Nase blutete. Sune wusste gar nicht, wie ihm geschah, als ihm jemand unsanft die Hose herunterriss und ihn dann kurzerhand zu der Frau schleifte. „ Jetzt komm schon, du Schlappschwanz ! Sieh zu, dass du ihn hochkriegst ! Wird ja wohl nicht so schwer sein ! “ „ Ich will aber nicht “, jammerte Sune kopfschüttelnd. Er spürte, wie seine Lippen bebten, wie seine Wangen zuckten – und da verlor er auch schon die Beherrschung und fing an zu weinen. Verzweifelt biss er sich auf die Lippen, um sich wieder zu fangen. Da hörte er ganz dicht neben seinem Ohr die Stimme seines Vaters. „ Nun mach schon, Junge. Ich habe keine Lust, mich hier vor den anderen lächerlich zu machen ! “ Die junge Frau herrschte Sunes Vater an und schubste ihn. „ Jetzt lasst doch den armen Jungen in Ruhe ! “, schrie sie. „ Wenn er nicht will, will er eben nicht ! Ihr könnt ihn doch nicht zwingen ! “ Kaum wurde sein Arm losgelassen, zog Sune die Hose hoch und rannte weg. Weg vom Lagerfeuer, weg von den Fackeln, weg von den Männern. Er rannte, so schnell er konnte. In den Wald hinein. In die Dunkelheit. Er blieb erst stehen, als es in seinen Schläfen so heftig pochte, dass ihm schwindelig wurde. Er beugte sich vornüber, stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und spuckte aus. Er keuchte und keuchte und spürte, wie der Schweiß unter seinem Sweatshirt abkühlte. Während er so vornübergebeugt dastand, sah er wieder die nackten Brüste der Frau vor sich und spürte wieder das ungewohnte Zittern. Er kniff die Augen zu, aber das Bild von der blutenden Nase blieb. Auf einmal hörte er sie schreien. Abrupt richtete er sich auf, dann ging er ganz langsam und zögerlich zurück. Erst, als er das Feuer zwischen den Bäumen hindurch wieder sehen konnte, ging ihm auf, dass die Angstschreie der Frau verstummt waren. Und als er sah, warum, stützte er sich entsetzt an einem Baum ab. Man hatte ihr mit etwas Weißem den Mund zugebunden. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, aber sie schlug verzweifelt um sich. Sune wollte wegsehen, doch sein Blick verharrte auf den Männern, die die Frau festhielten. Er erkannte seinen Vater, der über dem Rücken der Frau zusammensackte, sich dann die Hose zumachte und den nächsten ranließ. Die junge Frau versuchte sich zu wehren und zu entkommen, während die Männer sie einer nach dem anderen vergewaltigten. Jedes Mal, wenn sie wieder heftiger um sich schlug oder trat, kassierte sie noch mehr Schläge. Als der letzte mit ihr fertig war und die beiden, die sie festgehalten hatten, sie losließen, fiel sie zu Boden und blieb liegen. Sune wollte schreien, aber der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Auf einmal war ihm kalt. Er wollte zum Feuer gehen, aber er war wie gelähmt. Erstarrt stand er da und sah dabei zu, wie die Männer an den Armen der Frau zerrten und sie an den Schultern rüttelten. Schließlich bückte sich der Gode zu ihr hinunter, um ihren Puls zu spüren. Kurz darauf schüttelte er den Kopf und ließ ihren Arm los. Er bedeutete den Männern, sich um das Feuer zu versammeln. Sune hörte nur ihre Stimmen, aber nicht, was sie sagten. Dann gingen ein paar von ihnen um den weißen Lieferwagen herum und verschwanden im Wald. Die anderen fingen an, den Feuer­platz aufzuräumen. Sune hatte keine Ahnung, wie lange er so dagestanden und bei alldem zugesehen hatte. Er wusste nur, dass die junge Frau, die vorhin noch lächelnd direkt vor ihm gestanden hatte, nun reglos auf dem Boden lag. „ Wir sind so weit ! “, rief jemand aus der Richtung, in die die Männer zwischen den Bäumen verschwunden waren. Der Gode ging zu der Frau, hob sie hoch und trug sie in den Wald. Ihre Arme und Beine baumelten leblos herunter. Erst jetzt bemerkte Sune, dass er zitterte. Sein rechter Fuß war eingeschlafen, das Bein knickte unter ihm weg, als er sich weiter in sein Versteck zurückziehen wollte. Es war, als weigere sich sein Gehirn zu kapieren, was er da gerade gesehen hatte. Sein Herz raste, und sein Körper war bleischwer vor Entsetzen – er wusste genau, dass die junge Frau tot war. Er hatte es schon vorher gewusst. Er krabbelte ein Stück weg und versuchte, sein eingeschlafenes Bein zu wecken. Es schmerzte wie tausend Nadelstiche, als die Durchblutung endlich wieder einsetzte. Eigentlich sollte er jetzt weglaufen und sich verstecken – nur wo ? Er blickte in den stockdunklen Wald. Unsicher richtete er sich auf und tastete sich voran. Unter seinen Füßen knackten ein paar Zweige. Da hörte er Stimmen. Sie riefen ihn. Sie waren zurückgekommen, und jetzt suchten sie ihn. Sune hielt die Luft an und ging in die Knie. Er kroch unter ein paar auf dem Waldboden liegende Zweige und kauerte sich dort zusammen. Da hörte er wieder die Stimmen. Sie waren näher gekommen. „ Sune ! Wo bist du ? “ Das war sein Vater. „ Jetzt komm schon raus. Du gehörst dazu. Du kannst nicht einfach weglaufen und dich verstecken ! “ Schnellen Schrittes ging jemand an dem Unterholz vorbei, wo er kauerte. Nicht hautnah, aber doch so nah, dass Sune die Luft anhielt. Zweige knackten, dann entfernten sich die Schritte wieder. Sune blieb liegen. Wagte nicht, sich zu rühren. Kurz darauf waren sie zurück. Wieder knackten Zweige, raschelte Laub. Sune hörte jemanden keuchen. Er duckte sich noch mehr, hielt abermals die Luft an. Spürte den feuchten Waldboden unter sich. Offenbar kreisten sie um die Stelle, wo er sich versteckt hatte. Sie gaben nicht auf, bis plötzlich ein lauter Pfiff ertönte. Und noch einer. Wie eine Sirene in der nächtlichen Stille des Waldes. Die Männer kehrten zu der Lichtung am Feuerplatz zurück, als sei die Suche abgeblasen worden. Erst als Sune keine Schritte mehr hören konnte, atmete er erleichtert auf. Er holte tief Luft und drehte sich so, dass er den Mond durch die Baumkronen sehen konnte. Sein Herz hämmerte, während er die Götter anflehte, die Männer nicht sein Versteck finden zu lassen. Nach einer Weile, als sein Herz sich wieder etwas beruhigt hatte, setzte er sich vorsichtig auf und reckte den Hals. Drüben bei der Opfereiche war der Gode dabei, sich wieder den Umhang umzulegen, und die Männer versammelten sich abermals um das langsam erlöschende Feuer. Die Flammen züngelten unsicher, es wurde immer dunkler auf der Lichtung. Sune sah, wie sie einen Kreis bildeten. Hörte, wie der Gode den Kreis schloss. Versuchte zu erkennen, was da von einer Hand zur anderen wanderte. Es war der Eidring, der die Runde machte. Sune wurde eiskalt, als er begriff. Der Eidring war der Grund dafür, dass sie nach ihm gesucht hatten. Er war jetzt erwachsen. Ein Teil ihrer Gemeinschaft. Mit seinem Blut hatte er geschworen, jetzt zu ihnen zu gehören. Sie erwarteten von ihm, dass er Seite an Seite mit seinen Brüdern stand, wenn sie den Kreis schlossen und schworen, auf ewig zu schweigen.

Sara Blædel

Über Sara Blædel

Biografie

Sara Blædel, geboren 1964 in Kopenhagen, wuchs als Tochter eines bekannten Journalisten und einer Schauspielerin in Hvalsø auf. Sie hat unter anderem als Grafikerin, Journalistin und Redakteurin gearbeitet, ehe sie 2004 ihren ersten Kriminalroman veröffentlichte. Sie wurde in ihrem Heimatland...

Weitere Titel der Serie „Louise-Rick-Reihe “

In der von der dänischen Autorin Sara Blædel verfassten Serie bilden Kommissarin Louise Rick und Journalistin Camilla Lind das Ermittlerteam.

Pressestimmen
P.S. Zeitung (CH)

„(...) Rasante Geschichte mit vielen Leichen und viel Tempo. Aber auch mit viel Spannung und Personen, die einem nahe kommen.“

michiseiler.blogspot.de

„Was Wallander und Mørck können, das kann Louise Rick schon lange.“

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