Die Bedeutung von Science Fiction
Ein Interview mit Übersetzer und Buchhändler Simon Weinert
Faszination Science Fiction
Seit Jahren wird das Ende von Science-Fiction-Literatur angekündigt und trotzdem erfreut sich dieses Genre ungebrochener Beliebtheit. Warum Science-Fiction-Stoffe nicht aus der Mode kommen und was einen guten SF-Roman ausmacht, erklärt Simon Weinert, Übersetzer und Inhaber der Buchhandlung Otherland im Interview.
Lieber Simon, du bist gelernter Opernsänger und leitest zusammen mit Wolfgang Tress und Jakob Schmidt die Berliner Buchhandlung Otherland. Wie schaffst du es, nebenbei noch als Übersetzer zu arbeiten?
Ich habe Operngesang zwar studiert, bin aber kein Opernsänger geworden, deshalb arbeite ich in der Hauptsache tatsächlich „nur“ als Buchhändler und Übersetzer. Vom Buchhandel allein könnte ich nur leben, wenn ich fast meine gesamte Arbeitszeit in den Laden investieren würde, und dann wäre das Auskommen auch noch recht dürftig. Deshalb betreiben meine beiden Partner, unser Team an Mitarbeitern und ich den Laden eher als Hobby, das einen kleinen Nebenverdienst für jeden abwirft. Der Projekt- und Spaßcharakter ist uns bei der kleinen, auf Science-Fiction und Fantasy spezialisierten Buchhandlung sehr wichtig, weniger der Broterwerb. Letzteren bestreite ich mit Übersetzungen. Die beiden Jobs ergänzen sich hervorragend. Das Übersetzen ist eine geregelte, ruhige, aber auch einsame Tätigkeit, während man im Laden viel mit Menschen zu tun hat und die Arbeitstage eher unberechenbar und abenteuerlich sind.
Wie lange sitzt du an einer Übersetzung?
Je nach Dicke des Buches und den Widerständen, die der Text bietet, zwischen zwei und vier Monaten pro Buch.
„1984“ und „Brave New World“ sind technisch auch längst überholt, aber immer noch relevante Science-Fiction-Romane. Über die Möglichkeiten unserer Gegenwart werden wir auch in 50 Jahren noch nachdenken müssen, und kaum eine Literatur kann das besser als die Science-Fiction.
Was schätzt du besonders an deiner Arbeit? Und was sind die größten Herausforderungen?
Ich fange mal mit den Herausforderungen an: Was mir am meisten Bauchschmerzen bereitet, sind die vielen, unzähligen (Fach-)Gebiete, mit denen man sich beim Übersetzen beschäftigen muss, über die man recherchieren muss. Man lebt ständig in der Angst, dass man was hinschreibt, was jemand, der Spezialist auf dem Thema ist, als Blödsinn entlarven könnte. Ein Beispiel sind die häufigen Krankenhausszenen. Mithilfe von Wörterbüchern und Wikipedia lassen sich die ÜBERSETZUNGEN der ganzen Geräte, Vorgänge, etc. leicht herausfinden. Dann schreibt man das hin. Zum Glück ist meine Frau ehemalige Krankenpflegerin, die ziehe ich dann immer zu Rate, und dann bekomme ich oft zu hören: ja, das HEISST schon so, aber so SAGT niemand. Oder ich muss feststellen, dass die Verfasser des englischen Originals schon nicht genug recherchiert haben, und dann werden an den Patienten Dinge gemacht, wo meine Frau nur die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Ich hatte auch schon den Fall, dass in einem Roman antibiotischer Schaum gegen Zombieviren eingesetzt wurde … Das empfinde ich als Herausforderung, und da lebt man ständig in Sorge, dass einem etwas nicht aufgefallen ist, dass man einem Fehler aufgesessen ist.
Gleichzeitig ist das aber auch ein großer Reiz beim Übersetzen: Man lernt so viel! Das ist manchmal fast so, als wäre man wieder in der Schule. Wobei: da tut sich gleich der nächste Fallstrick auf; wie oft lande ich wegen eines Wortes, über das ich mich nur schnell mal vergewissern wollte, bei Wikipedia, und ruckzuck ist wieder eine Stunde wegprokrastiniert mit all den interessanten Dingen, die man da so entdeckt ...
Du arbeitest seit einigen Jahren für den Piper Verlag als Übersetzer in den Bereichen Fantasy und Science-Fiction. Was war dein Anreiz, als Übersetzer zu arbeiten?
Ich habe seit Teenagertagen immer gerne selber geschrieben, und als im Umfeld des Otherlands – damals war ich noch Mitarbeiter, da hatte der Laden noch andere Besitzer – für das leider kurzlebige Magazin Pandora Übersetzungen gebraucht wurden, habe ich mich mal ausprobiert. Dadurch bekam ich einen Einstieg bei den Verlagen als Übersetzer, und da das in die Zeit fiel, als mir klar wurde, dass ich auf keinen Fall als Sänger an eine Oper wollte und einen Job brauchte, hat sich das alles sehr passend ineinander gefügt. Übersetzen ist in gewisser Weise eine schöpferische Tätigkeit, aber keine unbedingt künstlerische. Schöpferisch als Broterwerb tätig zu sein, und nicht als Künstler seine Seele verkaufen zu müssen oder zu verhungern, war damals genau das Richtige für mich und hat sich seither sehr bewährt. Es ist eine wirklich tolle Art, Geld zu verdienen!
Aktuell hast du David Wellingtons „Die letzte Astronautin“ übersetzt. Wie unterscheidet sich die Arbeit im Science-Fiction-Genre vom klassischen Fantasy-Setting?
Bei der SF ist man meistens nicht so frei, wenn es um die Übersetzung oder Handhabung von spezieller Terminologie geht, da lässt einem die Fantasy oft mehr Freiräume. Während man bei letzterer viel Hirnschmalz darauf verwenden muss, Begriffe rund um magische Konzepte und dergleichen zu „erfinden“, sodass sie die Intention und den Klang der entsprechenden Begriffe im Original treffen, geht der Hirnschmalz bei der SF häufiger in die Recherche und die etwas restriktivere Umsetzung von Technobabbel. Ich kann nicht sagen, was mir mehr Spaß macht.
Warum sollte man David Wellingtons „Die letzte Astronautin“ lesen? Ist es ein Buch, das auch Science-Fiction-Neueinsteiger gut lesen können?
Ich glaube nicht, dass es spezielle Neueinsteiger-Bücher für die Science-Fiction gibt oder braucht. Und bei „Die letzte Astronautin“ kann man auch beherzt zugreifen, wenn man den Unterschied zwischen Star Wars und Star Trek noch nicht kennt. :D
Wellington kann richtig gut erzählen. Und was er erzählt, beginnt zunächst gar nicht so wahnsinnig sf-mäßig. Das liest sich eher wie ein gründlich recherchierter Near-Future-Wissenschaftsthriller mit dem Thema Raumfahrt. Eine Handvoll interessanter, konfliktreicher Figuren wird nach und nach eingeführt, und durch geschickte erzählerische Kniffe baut Wellington bereits am vordergründig harmlosen Anfang eine ziemliche Spannung auf. Als die vierköpfige NASA-Crew dann zu ihrer Mission ins All aufbricht, um sich einem Alienraumschiff zu nähern, zieht er die Schraube von Kapitel zu Kapitel weiter an, es wird teilweise richtiggehend unheimlich und rätselhaft. Ein wirklich packender, realistischer, überraschender SF-Roman, der ohne Weltraumschlachten auskommt und sich über weite Strecken beinahe auf der Ebene eines Kammerspiels abspielt.
Hast du bereits einen Lieblingscharakter gefunden?
Ich glaube, die Astrobiologin Parminder Rao dürfte meine Lieblingsfigur sein, sie ist so ein bisschen die Willow der Raumschiffbesatzung, nerdig, rational und doch einfühlsam und mit sympathischen Macken.
Mit welcher Figur kannst du dich am besten identifizieren?
Identifizieren kann ich mich mit keiner der Figuren so richtig, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie man monatelang durchs All fliegen kann in dem Wissen, dass man vor der Kälte, der Hitze, der Strahlung, dem Vakuum und der Endlosigkeit nur durch einen besseren, mit Alufolie verkleideten Schuhkarton abgeschirmt ist. Ich würde da auf permanenten Panikmodus umschalten.
„Die letzte Astronautin“ wird dem Bereich der Science-Fiction zugeordnet. Der SciFi wird oft der Vorwurf gemacht, sie sei nur für technikaffine, an Fakten und naturwissenschaftlicher Genauigkeit interessierte Leser geeignet. Wie stehst du (auch als Buchhändler) dazu?
Das ist natürlich ein verkürztes Klischee. Man muss doch nur einmal „Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes, „Die linke Hand der Dunkelheit“ von Ursula K. Le Guin, „Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro, „Die Frau des Zeitreisenden“ von Audrey Niffenegger, „Das Licht der letzten Tage“ von Emily St. Mandel lesen … die Liste der Bücher, die einem dieses Klischee aus-, dafür aber vielleicht beim Lesen die Tränen in die Augen treiben, ist endlos.
Angesichts der rasanten technischen Entwicklungen wird oft behauptet, die Realität hätte die Science-Fiction eingeholt. Wird Science-Fiction-Literatur in Zukunft überflüssig?
Es zeugt von einer sehr naiven Sichtweise, wenn man davon ausgeht, in der Science-Fiction ginge es nur darum, künftige technische Entwicklungen zu erraten. So wie in der Rubrik der Mickey-Maus-Club-Zeitung MMK in den späten 50er-Jahren: „Eine Reise in das Jahr 2000“. Die erschöpfte sich darin, über technische Zukunftsvisionen zu spekulieren. Gute Science-Fiction macht ja aber etwas anderes, ihr ist es in den meisten Fällen gar nicht so wichtig, die technische Entwicklung der Zukunft „richtig“ zu erraten, sondern eben irgendeine Schraube unserer Verhältnisse weiterzudrehen und dann zu überlegen, welche Tragweise, welche Konsequenzen das haben könnte.
Daher auch der in meinen Augen sehr schöne Zweitname der Science-Fiction: Speculative Fiction. Sie leistet ein Weiterdenken technischer – oder gesellschaftlicher, biologischer, wirtschaftlicher – Möglichkeiten, um anhand ihrer vorgenommenen Prämissen über Allgemeines und Aktuelles zu reflektieren. Und damit sagt sie eigentlich weniger über die Zukunft als über unsere Gegenwart und den Horizont unserer Gegenwart aus.
„1984“ und „Brave New World“ sind technisch auch längst überholt, aber immer noch relevante Science-Fiction-Romane. Über die Möglichkeiten unserer Gegenwart werden wir auch in 50 Jahren noch nachdenken müssen, und kaum eine Literatur kann das besser als die Science-Fiction.
Wie geht es nach deiner Übersetzung weiter?
Sehr wahrscheinlich noch ein kurzer Ausflug ins Horror-Genre mit ein bisschen Lovecraft und 80er-Nostalgie, dann einen dicken Fantasy-Schinken, auf den ich mich besonders freue, und außerdem muss ich dringend mal wieder mit dem Piper-Lektor sprechen, da wartet ja hoffentlich auch schon das nächste spannende Projekt!
Herzlichen Dank an Simon Weinert von der Buchhandlung „Otherland“, zu finden in der Bergmannstraße 25, 10961 Berlin.
Gute Science-Fiction macht ja aber etwas anderes, ihr ist es in den meisten Fällen gar nicht so wichtig, die technische Entwicklung der Zukunft „richtig“ zu erraten, sondern eben irgendeine Schraube unserer Verhältnisse weiterzudrehen und dann zu überlegen, welche Tragweise, welche Konsequenzen das haben könnte.
Kommentare
DATENSCHUTZ & Einwilligung für das Kommentieren auf der Website des Piper Verlags
Die Piper Verlag GmbH, Georgenstraße 4, 80799 München, info@piper.de verarbeitet Ihre personenbezogenen Daten (Name, Email, Kommentar) zum Zwecke des Kommentierens einzelner Bücher oder Blogartikel und zur Marktforschung (Analyse des Inhalts). Rechtsgrundlage hierfür ist Ihre Einwilligung gemäß Art 6I a), 7, EU DSGVO, sowie § 7 II Nr.3, UWG.
Sind Sie noch nicht 16 Jahre alt, muss zwingend eine Einwilligung Ihrer Eltern / Vormund vorliegen. Bitte nehmen Sie in diesem Fall direkt Kontakt zu uns auf. Sie selbst können in diesem Fall keine rechtsgültige Einwilligung abgeben.
Mit der Eingabe Ihrer personenbezogenen Daten bestätigen Sie, dass Sie die Kommentarfunktion auf unserer Seite öffentlich nutzen möchten. Ihre Daten werden in unserem CMS Typo3 gespeichert. Eine sonstige Übermittlung z.B. in andere Länder findet nicht statt.
Sollte das kommentierte Werk nicht mehr lieferbar sein bzw. der Blogartikel gelöscht werden, ist auch Ihr Kommentar nicht mehr öffentlich sichtbar.
Wir behalten uns vor, Kommentare zu prüfen, zu editieren und gegebenenfalls zu löschen.
Ihre Daten werden nur solange gespeichert, wie Sie es wünschen. Sie haben das Recht auf Auskunft, auf Berichtigung, auf Löschung, auf Einschränkung der Verarbeitung, ein Widerspruchsrecht, ein Recht auf Datenübertragbarkeit, sowie ein Recht auf Widerruf Ihrer Einwilligung. Im Falle eines Widerrufs wird Ihr Kommentar von uns umgehend gelöscht. Nehmen Sie in diesen Fällen am besten über E-Mail, info@piper.de, Kontakt zu uns auf. Sie können uns aber auch einen Brief schicken. Sie erhalten nach Eingang umgehend eine Rückmeldung. Ihnen steht, sofern Sie der Meinung sind, dass wir Ihre personenbezogenen Daten nicht ordnungsgemäß verarbeiten ein Beschwerderecht bei einer Aufsichtsbehörde zu. Bei weiteren Fragen wenden Sie sich gerne an unseren Datenschutzbeauftragten, den Sie unter datenschutz@piper.de erreichen.