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The Beautiful (Der Hof der Löwen 1)

The Beautiful (Der Hof der Löwen 1)

Renée Ahdieh
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Tödliche Dämmerung

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The Beautiful (Der Hof der Löwen 1) — Inhalt

„Die Vampire sind zurück - und sie sind verführerischer denn je!“Bustle


1872 ist New Orleans eine Stadt, die von den Toten beherrscht wird. Als die junge Schneiderin Celine dort ankommt, ist sie von der wilden Lebensfreude der Stadt sofort verzaubert. Eigentlich wollte sie hier ein respektables Leben führen, doch sie findet stattdessen Freunde in der schillernden Unterwelt der Stadt. Besonders der rätselhafte Sébastien Saint Germain geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Doch als sich eine grausame Mordserie ereignet, stellt sich die Frage, welches Spiel hier überhaupt gespielt wird – und ob die Mitspieler menschlich oder doch etwas ganz anderes sind …


***Der erste Band der düster-romantischen „Hof der Löwen“-Reihe***

Band 1: The Beautiful. Tödliche Dämmerung

Band 2: The Damned. Jäger und Gejagte

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 31.03.2022
Übersetzt von: Anna Wichmann
432 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60092-7
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Leseprobe zu „The Beautiful (Der Hof der Löwen 1)“

Hiver 1872
Rue Royale
New Orleans, Louisiana


New Orleans ist eine Stadt, die von den Toten regiert wird.

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, an dem ich jemanden das sagen hörte. Der alte Mann hatte mir damit Angst einjagen wollen. Er sagte, es habe eine Zeit gegeben, in der die Särge nach starkem Regen aus dem Boden gekommen und die Toten durch die Straßen der Stadt getrieben seien. Angeblich kannte er eine Kreolin an der Rue Dauphine, die im Jenseits mit Geistern sprechen konnte.

Ich glaube an Magie. In einer Stadt voller Illusionisten ist es [...]

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Hiver 1872
Rue Royale
New Orleans, Louisiana


New Orleans ist eine Stadt, die von den Toten regiert wird.

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, an dem ich jemanden das sagen hörte. Der alte Mann hatte mir damit Angst einjagen wollen. Er sagte, es habe eine Zeit gegeben, in der die Särge nach starkem Regen aus dem Boden gekommen und die Toten durch die Straßen der Stadt getrieben seien. Angeblich kannte er eine Kreolin an der Rue Dauphine, die im Jenseits mit Geistern sprechen konnte.

Ich glaube an Magie. In einer Stadt voller Illusionisten ist es schlichtweg unmöglich, an ihrer Existenz zu zweifeln. Aber diesem Mann habe ich nicht geglaubt. Halte an deinem Glauben fest, hat er mich gewarnt. Denn die Ungläubigen sind im Tode allein, blind und verängstigt.

Bei seinen Worten tat ich schockiert, fand ihn aber eigentlich amüsant. Er gehörte zu der seltenen Sorte fehlgeleiteter junger Seelen mit Geschichten über schaurige Kreaturen, die in dunklen Ecken lauern. Doch ich war auch fasziniert, besaß ich doch ebenfalls eine fehlgeleitete junge Seele. Von Kindheit an versteckte ich mich hinter gebügelten Stoffen und feinen Worten, aber sie bestand darauf, mich zu peinigen. Sie rief mich wie eine Sirene, trieb mich dazu, die Maske abzulegen und meine wahre Natur zu enthüllen.

Sie hat mich dorthin getrieben, wo ich nun bin. Doch ich bin nicht undankbar, denn sie hat mir zwei tief in mir verankerte Wahrheiten bewusst gemacht: Ich werde auf ewig eine fehlgeleitete junge Seele besitzen, ungeachtet meines Alters.

Und ich werde stets die schattenhafte Kreatur sein, die in einer finsteren Nische lauert.

Deinetwegen, o du meine Liebe. Deinetwegen.



Janvier 1872
An Bord der CGT Aramis
Der Schein trügt


Die Aramis sollte beim ersten Tageslicht eintreffen, wie in Celines Träumen.

Sie würde unter einem sonnenbeschienenen Himmel aufwachen, den Duft des Meeres in der Nase haben und die Stadt am fernen Horizont ausmachen können.

Voller Versprechen. Und Absolution.

Stattdessen läutete die Messingglocke am Bug der Aramis zur Dämmerstunde, was ihre Freundin Pippa als „das Zwielicht“ bezeichnete. Celine hielt das für eine sehr britische Aussage.

Sie hatte, nicht lange nachdem sie Pippa vor vier Wochen während eines zweitägigen Andockens der Aramis in Liverpool kennengelernt hatte, damit angefangen, diese Ausdrücke zu sammeln. Bisher war ihr „verdammt unwahrscheinlich“ am liebsten. Celine konnte selbst nicht sagen, warum sie das derart bedeutsam fand. Vielleicht, weil sie der Ansicht war, sehr britische Formulierungen könnten ihr in Amerika bessere Dienste leisten als die sehr französischen, die sie von sich gab.

In dem Augenblick, in dem Celine die Glocke vernahm, eilte sie auf die Backbordseite und hörte, wie Pippa ihr mit leisen Schritten folgte. Tintenschwarze Ranken aus Dunkelheit fächerten sich über den Himmel, und ein geisterhafter Nebel hüllte die „Crescent City“ genannte Stadt ein. Die Luft um die beiden jungen Frauen wurde dichter, die lauschten, wie die Aramis sich langsam einen Weg durch das Wasser des Mississippi bahnte und New Orleans immer näher kam, während sie sich weiter von dem Leben entfernten, das sie hinter sich zurückgelassen hatten.

Pippa schniefte und rieb sich die Nase. Sofort wirkte sie jünger als sechzehn. „Nach all den Geschichten sieht sie nicht so hübsch aus, wie ich erwartet hatte.“

„Sie sieht genauso aus, wie ich dachte“, versicherte Celine ihr.

„Lüg mich nicht an.“ Pippa warf ihr einen Seitenblick zu. „Dadurch fühle ich mich auch nicht besser.“

Ein Lächeln umspielte Celines Lippen. „Vielleicht belüge ich mich ja ebenso wie dich.“

„Lügen ist in jedem Fall eine Sünde.“

„Unausstehlichkeit auch.“

„Das steht nicht in der Bibel.“

„Sollte es aber.“

Pippa hüstelte, um ihre Belustigung zu verbergen. „Du bist schrecklich. Die Schwestern im Ursulinenkonvent werden gar nicht wissen, was sie mit dir anfangen sollen.“

„Sie werden dasselbe tun, was sie mit jedem unverheirateten Mädchen machen, das mit all seinen weltlichen Besitztümern nach New Orleans reist: Sie werden einen Gatten für mich finden.“ Celine riss sich zusammen, um nicht die Stirn zu runzeln. Es war ihre freie Entscheidung gewesen. Die beste aller schlimmen Optionen.

„Wenn sie dich für gottlos halten, bringen sie dich mit dem hässlichsten Narren der Christenheit zusammen. Einem mit Knollennase und Plauze.“

„Mir ist ein hässlicher Mann lieber als ein langweiliger. Und eine Plauze bedeutet, dass er immer gut essen kann, also …“ Celine legte den Kopf auf die Seite.

„Also wirklich, Celine.“ Pippa lachte auf, und ihr Yorkshire-Akzent wob sich wie feine Chantillyspitze durch die Worte. „Du bist die unverbesserlichste Französin, die ich je kennengelernt habe.“

Celine grinste ihre Freundin an. „Du bist gewiss noch nicht vielen Französinnen begegnet.“

„Jedenfalls keinen, die so gut Englisch sprechen wie du. Als wärst du damit aufgewachsen.“

„Mein Vater hielt es für wichtig, dass ich die Sprache beherrsche.“ Celine hob eine Schulter, als wäre das alles und nicht knapp die Hälfte. Bei der Erwähnung ihres Vaters – eines biederen Franzosen, der in Oxford Linguistik studiert hatte – drohte ein Schatten über sie zu kommen. Eine Traurigkeit, die Celine noch nicht zu ertragen vermochte. Sie zwang sich zu einem schiefen Grinsen.

Pippa schlang die Arme um den Leib, als würde sie frieren. Sorge zeichnete sich unter dem blonden Pony auf ihrer Stirn ab, während die beiden Freundinnen zu der Stadt in der Ferne hinüberblickten. Jede der jungen Frauen an Bord hatte die geflüsterten Berichte gehört. Auf See bekamen die Mythen, die sie über einer Tasse des grobkörnigen, bitteren Kaffees austauschten, ein eigenes Leben. Sie vermischten sich mit den Geschichten aus der Alten Welt zu unheilvolleren Geschichten. New Orleans wurde heimgesucht. Piraten hatten die Stadt verflucht. Taugenichtse strichen dort herum. Sie sei die letzte Zuflucht für all jene, die an Magie und Mysterien glaubten. Es gab sogar Gerüchte über Frauen, die ebenso viel Macht und Einfluss besaßen wie manch ein Mann.

Celine hatte darüber gelacht. Und sie wagte es, weiter zu hoffen. Möglicherweise war New Orleans nicht so, wie der erste Blick vermuten ließ. Passenderweise konnte man dasselbe auch über sie sagen.

Und wenn eines auf die jungen Reisenden an Bord der Aramis zutraf, dann, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Magie – einer solchen Welt – zu etwas Maßgeblichem geworden war. Insbesondere für jene, die den Geist der Vergangenheit abschütteln und etwas Besseres und Strahlenderes werden wollten.

Und erst recht für jene, die zu entkommen versuchten.

Pippa und Celine sahen zu, wie das Unbekannte näher kam. Ihre Zukunft.

„Ich habe Angst“, gestand Pippa leise.

Celine erwiderte nichts. Die Nacht war durch das Wasser gesickert wie ein dunkler Fleck, der sich auf Organza ausbreitete. Ein rauer Seemann balancierte so anmutig wie ein Luftakrobat auf einem Holzbalken, während er eine Lampe an den Schiffsbug hängte. Wie als Antwort darauf züngelte Feuer über das Wasser und tauchte die Stadt in noch schaurigere Grüntöne.

Die Glocke der Aramis ertönte erneut und verriet allen am Hafen, wie weit das Schiff noch zu reisen hatte. Weitere Passagiere kamen unter Deck hervor, stellten sich neben Celine und Pippa und unterhielten sich leise auf Portugiesisch und Spanisch, Englisch und Französisch, Deutsch und Holländisch miteinander. Junge Frauen, die den mutigen Schritt gewagt und ihr Heimatland verlassen hatten, um ein neues Leben anzufangen. Ihre Worte verschmolzen miteinander zu einer sanften Kakofonie aus Geräuschen, die Celine unter normalen Umständen als beruhigend empfunden hätte.

Doch damit war es vorbei.

Seit jener verhängnisvollen Nacht inmitten der Seide im Atelier sehnte sich Celine nach beruhigendem Schweigen. Es war Wochen her, dass sie sich in der Gegenwart anderer sicher gefühlt hatte. Sicher mit ihren aufgewühlten Gedanken. Nur in Pippas Nähe gelang es ihr überhaupt, durch ruhigeres Wasser zu waten.

Als das Schiff nahe genug zum Andocken war, nahm Pippa unverhofft Celines Hand, als müsste sie sich wappnen. Celine keuchte auf. Zuckte bei der unerwarteten Berührung zusammen. Als wäre ihr Blut ins Gesicht gespritzt, dessen Salz sie auf den Lippen schmeckte.

„Celine?“ Pippa riss die blauen Augen weit auf. „Stimmt etwas nicht?“

Celine musste durch die Nase atmen, um ihren Herzschlag zu beruhigen, und schlang beide Hände um Pippas Finger. „Ich fürchte mich auch.“




Eine Kontraststudie


Dreiundzwanzig Passagiere entstiegen der Aramis, und alle hatten einen einfachen Koffer dabei, der ihre weltlichen Besitztümer enthielt. Nach einem Blick in die Frachtliste des Schiffes gestattete ihnen der Beamte im Zollamt, amerikanischen Boden zu betreten. Eine Stunde später setzten sich sieben Mädchen in eine bescheidene Equipage und fuhren durch die dunklen Straßen zum Ursulinenkonvent. Die Zukunft der anderen erwartete sie an den Docks.

Der offene Wagen holperte über das Kopfsteinpflaster. Um sie herum waren die Zweige der Bäume schwer von strahlend bunten Blüten. Zikaden und Schnellkäfer summten im Schatten und flüsterten von einer verfluchten Geschichte. Die tropische Brise strich durch die Äste einer Lebens-Eiche auf einem kleinen Platz. Die Wärme ihrer Umarmung fühlte sich auf Celines Haut seltsam an, insbesondere im Kontrast zum leicht kühlen Spätjanuarabend.

Aber sie wusste, dass sie sich nicht beschweren durfte. Vor ihrem Haus in Paris lag wahrscheinlich Schnee auf den Gehwegen, und es hätte noch Wochen gedauert, bevor sie das bequeme Musselinkleid, das sie nun trug, in Erwägung gezogen hätte. Celine erinnerte sich noch gut daran, wie sie es letzten Juni aus Stoffresten angefertigt hatte, die sie von einem eleganten Nachmittagskleid für eine reiche Dame, deren Salons berüchtigt waren, übrig behalten hatte. Damals hatte sich Celine ausgemalt, eines Tages selbst eine dieser Zusammenkünfte zu besuchen und sich unter die schicksten Mitglieder der Pariser Gesellschaft zu mischen. Sie würde sie mit ihrer Liebe zu Shakespeare und Voltaire beeindrucken. Sie würde genau dieses Kleid tragen, dessen dunkler Aubergineton einen wunderschönen Kontrast zu ihrer hellen Haut bildete und dessen Überrock mit reichlich Rüschen und Bändern verziert war. Und sie würde ihre schwarzen Locken auf dem Kopf auftürmen, so wie es der neuesten Mode entsprach.

Schmunzelnd erinnerte sich Celine an das siebzehnjährige Mädchen, das sie gewesen war. An die Dinge, von denen dieses Mädchen geträumt hatte. All das, was sie sich ersehnte: die Aufnahme in die Gemeinschaft der eleganten jungen Frauen, denen sie Kleider anpasste, die nur wenige Tage später weggeworfen wurden. Die Gelegenheit, sich in einen attraktiven jungen Mann zu verlieben, der ihr mit Gedichten und Versprechungen das Herz raubte.

Nun rümpfte sie bei diesem Gedanken die Nase.

Nach mehreren Wochen auf See, die es tief vergraben in einem Holzkoffer verbracht hatte, spiegelte das zerknitterte Kleid, das Celine nun trug, die deutliche Wende wider, die ihr Leben erfahren hatte. Es eignete sich nicht für eine Sonntagsmesse und erst recht nicht für einen Salon. Bei diesem Gedanken setzte sich Celine auf dem Holzsitz etwas anders hin, wobei sich das Korsett gegen ihre Rippen presste. Das Fischbein bohrte sich in ihre Brüste, als sie tief Luft holte.

Wobei sie einen derart köstlichen Duft einatmete, dass sie kurz abgelenkt war.

Sie schaute sich auf dem Platz nach der Ursache dafür um. An der Ecke der Lebens-Eiche gegenüber befand sich eine offene Bäckerei, die Celine an ihre Lieblingsboulangerie am Boulevard de Montparnasse erinnerte. Der Geruch von frischem Teig und langsam schmelzendem Zucker waberte zwischen den wächsernen Magnolienblättern hindurch zu ihr herüber. In der Nähe wurden die Fensterläden vor einem Balkon lautstark zugeknallt, und ein Spalier mit einer üppig wuchernden rosafarbenen Bougainvillea bebte, und die Blüten zitterten, als würden sie sich fürchten. Möglicherweise taten sie es aber auch aus Vorfreude.

Das hätte ein wunderschöner Anblick sein sollen, aber die entzückende Szene schien von etwas Unheilvollem unterlegt zu sein. Als hätte sich ein bleicher Finger zwischen einem Vorhang gezeigt und würde sie in einen dunklen Abgrund locken wollen.

Sie wusste, dass es weise wäre, die Warnung zu beherzigen. Dennoch war Celine wie verzaubert. Als sie die sechs anderen Mädchen im Wagen musterte – vier auf der einen und drei auf der anderen Seite –, sah Celine sich weit aufgerissenen Augen und beklommenen Mienen gegenüber. Oder war es Aufregung? Wie bei der Bougainvillea ließ es sich auch hier schwer sagen.

Der Wagen hielt an einer geschäftigen Straßenecke, und das kräftige Zugpferd warf die Mähne in den Nacken. Menschen in allen nur denkbaren Kleidungsstilen – von den Reichen mit ihren goldenen Uhrenketten bis hin zu den Bescheidenen mit ihren verschlissenen Leinengewändern – überquerten die Decatur Street mit entschlossenen, eiligen Schritten, als wären sie auf einer Mission. Es kam ihr ungewöhnlich vor für eine Tageszeit, die eher von Abschlüssen denn Anfängen geprägt war.

Da Pippa am nächsten zum Fahrer saß, beugte sie sich vor und sprach ihn an. „Geschieht heute Abend etwas Bemerkenswertes, das die versammelte Menschenmenge erklären würde?“

„Die Parade“, antwortete der barsche Mann, ohne sich umzudrehen.

„Wie bitte?“

Er räusperte sich. „In der Nähe der Canal Street fängt die Parade an. Aufgrund des Karnevals.“

„Eine Karnevalsparade!“, rief Pippa aus und drehte sich zu Celine um.

Antonia – die junge Frau, die links neben Celine saß – schaute sich aufgeregt mit großen, strahlenden braunen Augen um, die an die Augen einer Eule erinnerten. „Um carnaval?“, fragte sie auf Portugiesisch und deutete in die Richtung, aus der ferne Feiergeräusche zu hören waren.

Celine nickte lächelnd.

„Jammerschade, dass wir sie nicht sehen können“, sagte Pippa.

„Keine Sorge, Mädel“, erwiderte der Fahrer, dem die Worte mit leicht irischem Akzent über die Zunge kamen. „Es gibt den ganzen Monat lang noch mehr als genug Karnevalsparaden und -feiern. Sie werden bestimmt noch eine zu sehen bekommen. Und warten Sie erst mal den Maskenball zu Mardi Gras ab. Das ist der große Höhepunkt.“

„Eine Freundin in Edinburgh hat mir schon von der Karnevalszeit hier erzählt“, warf Anabel – eine flinke Rothaarige mit attraktiven Sommersprossen auf der Nase – ein. „Die ganze Stadt New Orleans feiert vor Beginn der Fastenzeit wochenlang mit unzähligen Soireen, Bällen und Kostümfesten.“

„Feste!“, wiederholten die Zwillinge aus Deutschland, sobald sie das Wort erkannten, und eine klatschte vor Freude in die Hände.

Ihre strahlenden Gesichter fesselten Celine. Etwas hinter ihrem Herzen bewegte sich bei diesem Anblick; eine Emotion, die sie sich seit den Ereignissen dieser schicksalhaften Nacht versagt hatte: Hoffnung.

Sie trafen in einer feiernden Stadt ein. Einer Stadt, in der über Wochen ein buntes Treiben herrschen würde. Die Menschen auf den Straßen waren von derselben Vorfreude erfüllt, die sie auch in ihren Schicksalsgenossinnen sah. Vielleicht hatten ihre Mienen ja nichts mit Verzagtheit zu tun. Möglicherweise wurde die Bougainvillea nur wachgerüttelt, statt vor Furcht zu zittern.

Eventuell musste Celine keine Angst vor dem haben, was morgen geschehen würde.

Während sie darauf warteten, dass die vorbeiziehenden Fußgänger die Straße verließen, begann sich ein Hochgefühl in ihr breit zu machen. Celine beugte sich vor und versuchte, einen Efeustrang zu erwischen, der von einem verzierten gusseisernen Geländer herabhing. Das Geräusch von Schritten zu ihrer Linken lenkte sie jedoch ab, und die Menge teilte sich, um den Wagen hindurchzulassen.

Nein.

Man machte nicht ihnen den Weg frei.

Sondern etwas ganz anderem.

Dort im bernsteinfarbenen Licht einer Gaslaterne stand eine einsame Gestalt und machte sich daran, die Decatur Street zu überqueren, wobei sie den Panamahut so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass ihre Gesichtszüge nicht zu erkennen waren.

Ohne zu zögern, zollte ihr Fahrer dem Mann sofort Hochachtung und neigte den Kopf in seine Richtung, als wollte er sich verbeugen … oder aber den Blick abwenden.

Der Mann überquerte die Straße und bewegte sich vom Licht in den Schatten und zurück ins Licht, glitt förmlich von einer Straßenecke zur anderen. Er bewegte sich … seltsam. Als wäre um ihn herum nicht etwa Luft, sondern Wasser. Oder vielleicht Rauch. Seine polierten Schuhe klapperten in einem schnellen Tempo über die Pflastersteine. Er war groß. Breite Schultern. Trotz des Abendlichts konnte Celine erkennen, dass sein Anzug aus dem besten Material bestand und von geübter Hand geschneidert worden war. Vermutlich aus der Savile Row. Ihre Ausbildung im Atelier von Madame de Beauharnais’ – der besten Modeschöpferin von Paris – hatte ihr ein gutes Auge für derartige Dinge beschert.

Doch seine Kleidung faszinierte Celine bei Weitem nicht so sehr wie das, was er vollbrachte. Er hatte die Straße überquert, ohne ein einziges Wort zu sagen, und Damen mit Sonnenschirmen und Kindern mit zuckerbestäubten Beignets ebenso wie Männer mit eleganten Hüten allein durch einen Blick in ihre Richtung dazu bewogen, ihm aus dem Weg zu gehen.

Diese Art von Magie hätte sie auch gern beherrscht.

Celine sehnte sich allein deswegen danach, derart mächtig zu sein, weil damit eine große Freiheit einherging. Sie beobachtete den Mann, der auf den Gehweg trat, und Neid umwölkte ihren Blick und erfüllte ihr Herz, um die Hoffnung zu verdrängen, die sie sich gerade erst eine Minute zuvor zaghaft gestattet hatte.

Dann hob er den Kopf. Er sah ihr in die Augen, als hätte sie nach ihm gerufen, allerdings lautlos.

Celine blinzelte.

Er war jünger, als sie erwartet hatte. Nicht viel älter als sie. Vielleicht neunzehn oder zwanzig, höchstens. Später würde Celine versuchen, sich an Details zu erinnern. Aber es war, als wäre ihre Erinnerung an diesen Augenblick verschwommen, als würde Öl über die Oberfläche eines Spiegels fließen. Das Einzige, das sie noch glasklar vor sich sah, waren seine Augen. Sie glänzten im Schein der Gaslampe, als würden sie von innen heraus leuchten.

Dunkelgrau. Wie der Lauf einer Waffe.

Er senkte den Blick. Grüßte sie mit einem Antippen des Hutes. Und ging weg.

„Grundgütiger“, hauchte Pippa.

Zustimmendes Gemurmel in mehreren Sprachen erhob sich unter den sitzenden jungen Frauen. Sie beugten sich zueinander, und mit einem Mal waren sie alle aufgeregt. Eines der Zwillingsmädchen aus Deutschland sagte etwas auf Deutsch, bei dem sich ihre Schwester kichernd die Hand vor den Mund hielt.

Allein Celine starrte der schnell kleiner werdenden Gestalt hinterher und kniff die Augen zusammen, so wie er es ebenfalls getan hatte. Als könnte sie es nicht glauben.

Was, wusste sie selbst nicht.

Ihr Wagen setzte seinen Weg zum Konvent fort. Celine sah zu, wie der junge Mann mit der Dunkelheit verschmolz und wie ihn seine langen, schlanken Beine mit einer nahezu außerweltlichen Selbstsicherheit durch die Nacht trugen.

Sie fragte sich, was jeden Menschen an der Kreuzung dazu bewogen haben mochte, ihm einfach Platz zu machen. Sehnte sich danach, es auch nur ansatzweise zu begreifen. Wäre Celine ebenfalls eine Person gewesen, der man derart großen Respekt entgegenbrachte, hätte sie sich nicht gezwungen gesehen, Paris zu verlassen. Ihren Vater anzulügen.

Oder einen Mann zu ermorden.

Renée Ahdieh

Über Renée Ahdieh

Biografie

Renée Ahdieh besuchte die University of North Carolina in Chapel Hill. In ihrer Freizeit tanzt sie gerne Salsa, sammelt Schuhe und begeistert sich für alle Arten von Curry, gerettete Straßenhunde und College-Basketball. Die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einem Wolkenkratzer in Südkorea,...

Renée Ahdieh im Interview

Wenn Sie die Handlung von „The Beautiful“ in nur drei Sätzen erklären müssten, welche wären es?

„The Beautiful“ ist ein Vampirkrimi, der im Jahr 1872 spielt. Es ist die Geschichte von Celine, die von Frankreich nach New Orleans reist, um ihrer Vergangenheit zu entkommen. Nach ihrer Ankunft ist sie ganz verzaubert von der dekadenten Unterwelt der Stadt, die von nicht ganz menschlichen und definitiv tödlichen Kreaturen bevölkert wird.

Wenn es nach Ihnen ginge – wer sollte die „Hof der Löwen“-Reihe auf keinen Fall verpassen?

Meiner bescheidenen Meinung nach ist in dieser Reihe für jeden etwas dabei. Es gibt Magie, Fantasy, Intrigen, Mord, Romantik und natürlich Vampire!

Mit „The Beautiful“ versetzen Sie die Vampire zurück an einen klassischen Schauplatz des Genres – die Stadt New Orleans. Warum haben Sie sich dazu entschieden, Ihre Geschichte im historischen New Orleans anzusiedeln (im Gegensatz zum zeitgenössischen), und was fasziniert Sie am meisten an Vampiren?

Ich habe es schon immer geliebt, LeserInnen in andere Zeiten und an andere Orte zu entführen. New Orleans ist perfekt für eine Geschichte über Vampire, denn es ist ein Ort, der sich mit keinem zweiten vergleichen lässt. In dieser Stadt sind so viele verschiedene Kulturen und Sichtweisen aufeinandergetroffen, die eine eigene, einzigartige Welt haben entstehen lassen. Vampire haben mich schon immer fasziniert, weil sie zeitlos sind und wunderschön und tödlich zur gleichen Zeit sein können.

Was wünschen Sie sich, dass Ihre LeserInnen aus Ihren Romanen mitnehmen?

Ich möchte, dass meine LeserInnen das Gefühl haben, die Welt meiner Figuren wirklich zu erleben. Als würden sie mit ihnen spazieren gehen oder den Regen auf ihren Haaren spüren oder weinen oder lachen, weil die Figuren weinen oder lachen. Ich liebe Bücher, die mich völlig in ihren Bann ziehen, darum ist meine Hoffnung, dass ich das bei allen erreichen kann, die eines meiner Bücher in die Hand nehmen.

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