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GummistiefelyogaGummistiefelyoga

Gummistiefelyoga

Felix Tanner
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Roman

„Jörg Steinleitner ein Meister der Inszenierung.“ - Penzeberger Tagblatt, Premierenkritik in Penzberg

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Gummistiefelyoga — Inhalt

„Finden Sie durch Melken, Mähen und Holzfällen zu Ihrer inneren Mitte!“ Die patente Landwirtin Auguste, 63, weiß zwar nicht, was genau dieses „Yoga“ ist, aber sie hat da so eine Idee: Gummistiefelyoga für gestresste Städter! Menschen, die ihr bei der Arbeit helfen und dafür auch noch bezahlen? Das ist die perfekte Lösung für ihre Probleme, denn ihr Hof kann eine Renovierung, ihr Konto eine Auffrischung und sie selbst ein bisschen Unterstützung gut brauchen. Doch kaum treffen die ersten zahlungskräftigen Gäste ein, bricht sich Auguste ein Bein. Plötzlich müssen die Städter den Hof alleine schmeißen. Dabei weiß keiner, wie man Kälbern auf die Welt hilft, Wildschweine fernhält oder Kampfhähne bändigt. Gummistiefelyoga eben.

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 02.06.2020
336 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31564-7
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 02.06.2020
288 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99562-7
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Leseprobe zu „Gummistiefelyoga“

Erster Teil

1 – Katzengeschrei

94,5 Prozent der Fachkräfte, die auf deutschen Bauernhöfen beschäftigt sind, sehen in ihrer Arbeit eine sinnvolle Aufgabe. Damit rangieren sie gleich nach den Akademikern.

Eine Frau braucht keine abgeschnittenen Katzenschwänze. Und eine Frau, die im Paradies lebt, erst recht nicht. Die Auguste lebt im Paradies. Der schöne alte Hof mit den grünen Fensterläden liegt leicht erhöht über Wolkendorf. Mehrere Gebäude, größtenteils jahrhundertealt. Ringsum grüne Wiesen und ganz hinten das Zugspitzmassiv. Die Sonne geht gerade auf. [...]

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Erster Teil

1 – Katzengeschrei

94,5 Prozent der Fachkräfte, die auf deutschen Bauernhöfen beschäftigt sind, sehen in ihrer Arbeit eine sinnvolle Aufgabe. Damit rangieren sie gleich nach den Akademikern.

Eine Frau braucht keine abgeschnittenen Katzenschwänze. Und eine Frau, die im Paradies lebt, erst recht nicht. Die Auguste lebt im Paradies. Der schöne alte Hof mit den grünen Fensterläden liegt leicht erhöht über Wolkendorf. Mehrere Gebäude, größtenteils jahrhundertealt. Ringsum grüne Wiesen und ganz hinten das Zugspitzmassiv. Die Sonne geht gerade auf. Die Sommerblumen im Bauerngarten öffnen ihre Blütenkelche. Margerite, Mohn und Sonnenblume. Gladiole, Glockenblume, Lilie. Ihr pudrig süßer Duft mischt sich mit den Gerüchen des Bauernhofs. Es könnte alles so schön sein, denkt sich die Auguste. Aber da ist die Sache mit dem abgeschnittenen Schwanz von der Mimi. Da ist der Mahnbrief von der Bank. Und dann ist da noch das unverschämte Angebot vom Leichenbacher-Bauern. Da mag die Sonne scheinen, als hätte sie gerade irgendein Jemand erfunden (geniale Erfindung wäre das), aber dieser Tag ist nicht der Tag der Auguste Bernreiter. Sie betrachtet den Schwanz, das rot glänzende Blut, es ist traurig.

„Den muss jemand abgeschnitten haben“, murmelt die Auguste. Wenn du lange allein lebst, redest du zwangsläufig mit dem einzigen Gesprächspartner, der greifbar ist – mit dir selbst.

Die Auguste ist eine feste und dabei attraktive Person. Der Katzenschwanz liegt auf dem kleinen Weg zwischen dem alten Stall und der schweren Eichentür zum Wohnhaus. Eine kleine Blutlache hat sich ringsum gebildet, von der einige Tropfen zur Haustür führen. Dort wird das Blut dann wieder mehr. Die Größe des Schmerzes steht in keinem Verhältnis zur geringen Menge des Bluts.

Die Auguste kniet sich zur Mimi hinunter. Die weiß-schwarz gescheckte Katze hat sie aufgeweckt, noch ehe der Wecker um 5:30 Uhr geläutet hat. Ein furchtbares Schreien war das. Das magst du nicht hören. Warum eigentlich gibt es eine Speise, die Katzengeschrei heißt?, schießt der Auguste ein völlig abwegiger Gedanke durch den Kopf. Doch Gedanken sind wie Kaulquappen – sie sind unreif; manche werden gefressen, aber einige wenige werden Frösche und lernen das Springen. Katzengeschrei: Rindfleisch in Streifen schneiden, Zwiebeln in Ringe hobeln, Kräuter und Eier … Auguste weiß nicht, warum ihr Kopf das jetzt gerade denkt.

Behutsam nimmt sie die Mimi auf den Arm und geht ins Haus. Die Katze tropft. Aber wegen dem Blut auf dem weißen Leinenstoff des Nachthemds ist es nicht. Als Bäuerin kennst du die Körper und ihre Flüssigkeiten. Alles lässt sich abwaschen, rauswaschen oder mit einem Flicken übernähen. Im Leben geht das auch. Aber nur manchmal. Grundsätzlich hat die Auguste schon ein Vertrauen in das Dasein, doch jetzt sieht es gerade nicht rosig aus. Da kann die Sonne scheinen, wie sie mag, und die Zugspitze stolz herüberschauen wie eine Königin.

Das arme Tier. Die Katze wehrt sich, aber die Auguste hat einen festen Griff. Im Bad bekommt die Mimi einen Verband um den Stummel und Arnika-Globuli für die Heilung, aufgelöst in Wasser, aufgezogen mit einer kleinen Spritze und dann eingeflößt. Die Auguste ist eine wuchtige Frau, aber ihre Hände haben etwas Mütterliches, obwohl sie keine Mutter ist, also jedenfalls nicht von Menschenkindern. Von Katzen, Kälbern und Küken manchmal schon.

„So, und jetzt begraben wir deinen Schwanz“, sagt die Auguste. Ihre Stimme klingt zärtlich, dabei aber auch zu allem entschlossen.

Wenig später hebt sie auf der Wiese vor dem Haus ein kleines Loch aus. Die Erde riecht braun und gesund. Der Löwenzahn, der bereits zum zweiten oder dritten Mal in diesem Jahr blüht – es ist ein herrlicher Sommer, wenngleich ein wenig trocken –, reckt sich in die Sonne. Sowie die Auguste den Schwanz ins Grab legt, ist die verwundete Mimi auch schon verschwunden. Das ist nur zu verständlich. Wer will schon bei seiner eigenen Beerdigung dabei sein, auch wenn es nur ein Teil des Körpers ist? Katzen sind schlaue und sensible Tiere.

So. Jetzt Erde drauf. Sogar ein Gebet spricht die Auguste noch. Es ist ein schönes Grab. Zugspitzblick für den Katzenschwanz. Aber kaum ist die Auguste mit dem Beten fertig, nehmen die anderen Gedanken wieder Besitz von ihr. Das Schreiben von der Bank.

… fordern wir Sie hiermit letztmalig und mit Nachdruck auf, die vereinbarte monatliche Kreditrate in Höhe von 800.00 Euro – in Worten: achthundert Euro – binnen 14 Tagen zu überweisen …

Nein, Leute. Nicht die Auguste.
Auguste Bernreiter, dreiundsechzig Jahre, einen Meter zweiundsiebzig groß, früher rotblondes Haar, welches jetzt ins Weiß wechselt, sitzt nun am Küchentisch und mag die Bank nicht. Außerdem findet sie das alles ungerecht. Schließlich ist doch nicht sie schuld an der zweihundertfünfzigtausend Euro hohen Hypothek, die auf dem Höllinger-Hof lastet, sondern ihr Mann, der versoffene. Natürlich hätte sie nach Magnus’ Tod das Erbe ausschlagen und die fünfundzwanzig Kühe, zwanzig Hühner und fünf Gänse wem anderen überlassen können. Dann wären die Schulden und auch der Kredit jetzt nicht da. Aber macht man das? Einen wunderschönen Hof, seit bald zweihundert Jahren in Familienbesitz, einer Bank in den Hintern schieben? Und dann zum Discounter an die Kasse, Bedienung oder Paketdienst, oder was?

Na ja, ein bisschen marode ist er schon, der Höllinger-Hof. Aber: „Erstens mag ich die Arbeit. Zweitens mag ich die Tiere. Drittens ist das meine Heimat“, zählt die Auguste auf. Es ist mehr so ein Murmeln, kaum von einem Gebet zu unterscheiden. Jetzt ist die Katze Mimi plötzlich wieder da mit ihrem verbundenen Nichtschwanz und miaut, als wüsste sie, von wem und worüber die Auguste spricht. Vermutlich ist das auch so. Ein Bauernhof ist wie eine Welt im Kleinen. Man lebt voneinander füreinander. Aber manchmal gibt es Tote.

Die Situation ist die: Der Leichenbacher-Bauer, der Geldsack, würde sich den Höllinger-Hof gern unter den Nagel reißen. Angeblich für den zweiten Sohn. Aber gehört dem Leichenbacher nicht eh schon das halbe Dorf? Bei dem Gedanken an den kleinwüchsigen dicken Beutelschneider muss die Auguste ächzen. Beim Melken heute früh hat der Rücken wieder so gezwickt. Du wirst nicht jünger, auch wenn du dir das lange Haar noch jeden Tag so schön flichtst wie als Mädchen schon. Aber der Haarkranz muss sein. Ein Haarkranz macht aus einer normalen Frau eine Bäuerin, findet die Auguste. Deswegen die tägliche Mühe mit der Frisur. Heute ist außerdem Sonntag, in Wolkendorf am Michlsee noch immer ein Festtag. Man gönnt sich ja sonst nicht viel. Der Sonntag ist der Urlaub der Bäuerin.

Aber der Rücken. Sie schiebt die leere Kaffeetasse von sich weg – keine Sorge, es besteht keine Absturzgefahr für die Tasse, der Tisch ist groß genug. Hier saßen vor achtzig Jahren noch vierzehn Menschen. Kinder, Eltern, Großeltern, Urgroßmutter, eine Magd, ein Knecht. Dann kamen die Maschinen.

Die Auguste steht auf, strafft den Körper. „Ich muss wieder lustig werden.“ Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn der Rücken keine Ruhe gibt. Die Spritzen vom Arzt könntest du genauso gut in einen Sack Heu stechen. Ihre feste Hand legt sich auf den unteren Teil der Wirbelsäule. „Ah, das zwickt!“ Die Mimi miaut gleich mit.

Der Weg in die Stube ist nicht weit. Sie grenzt an die Küche mit dem großen, schweren Holztisch. Der gute alte Kachelofen war schon immer da und nimmt seither am Geschehen in beiden Räumen teil. Aber es ist ja Sommer und der Ofen von daher aus. Hoffentlich nicht bald ganz. Wer nur tut einem Tier solche Qualen an?

Der Computer steht neben dem Klavier. Die Auguste hat es schon lange nicht mehr angefasst. Obwohl sie stolz darauf ist, dass sie des Pianospiels mächtig ist. Sonst kann das im Dorf nur noch der alte Kirchenorganist und ein paar Kinder. Chopin, Bartók, Bach – das kann die Auguste alles rauf und runter. Ihre Klavierlehrerin war eine echte Frau von Zeppelin. Ja, ja, die Welt denkt, Bauern hätten es nur in den Händen. Die Welt hat keine Ahnung. Aber von den Bauern leben wollen!

Der Computer macht ein komisch surrendes Geräusch beim Hochfahren. Es ist nicht einer von der Firma, welche dieser Steve Jobs gegründet hat, weil der ist an Krebs gestorben. Auguste hat die Biografie gelesen. Krebs ist gleich schlechtes Karma. Nein, nein, Augustes Computer ist von diesem Bill Gates, der mit seiner Stiftung die Landwirtschaft unterstützt. Vor allem auch Frauen in der Landwirtschaft. Leider hauptsächlich in Afrika. Und nicht in Bayern. Aber was nicht ist, kann vielleicht noch werden. Des Weiteren hat seine Frau einen schönen Namen: Melinda. Hätte die Auguste eine Tochter bekommen, Melinda wäre ein schöner Name für das Kind gewesen. Aber die Auguste hat nicht. Es ist ein Nichthaben, mit dem du umgehen musst.

Jetzt ist sie schon drin im Internet. Sie sucht. Es muss doch etwas geben, das gegen Rückenschmerzen hilft. Wer das wohl war mit dem Katzenschwanz? Die Auguste hätte da so eine Vermutung. Und wenn die sich bewahrheiten sollte, dann würde sie demjenigen gern … alles Mögliche. Sie hat ja einen Jagdschein. Eigentlich wegen der Wildschweine, die die Weiden aufwühlen und das Heu versauen. Eine Kuh, die mit dem Heu Erde frisst, kann krank werden. Kranke Tiere sind schlecht, weil der Tierarzt kommen muss. Der Tierarzt kostet Geld, aber das ist momentan Mangelware auf dem Höllinger-Hof.

Die Auguste surft auf der Suche nach Mitteln gegen Rückenschmerzen im Internet herum. Surfen! Ein lustiges Wort dafür, dass man mit ein paar Fingern auf Plastiktasten klopft. Die Auguste kann zehn Finger. Surfen … wo sollen denn da die Wellen sein im Internet? Die jungen Menschen haben schon einen Humor.

Je länger die Auguste sucht, umso deutlicher wird eines: Yoga!

Das ist es: Yoga!

Das Allheilmittel gegen Rückenschmerzen scheint heutzutage Yoga zu sein. Außerdem Bewegung und Wärme, heißt es. Und man soll sich erden und nach oben wachsen. Zusätzlich Weite im Becken schaffen und Länge im unteren Rücken herstellen. Mentale Fitness erreicht man durch Meditation und Achtsamkeit, und dann gehen auch die Rückenschmerzen weg, sagt das Internet auf praktisch allen seinen Wohlfühlseiten.

Die Auguste verzieht die Lippen zu einer gewissen Selbstgewissheit. Mental fit fühlt sie sich ohne Frage. Auch ist zweimal am Tag Melken praktisch angewandte Meditation. Und wenn du nicht achtsam bist, dann spielen die Viecher verrückt, das ist klar. Die merken das sofort, wenn in deiner Seele ein Mörder haust oder auch nur ein Taschendieb. Besonders der Stier merkt das. Ja, sie hat noch einen Stier, den Willi. Weil sie findet, dass die natürliche Besamung besser für die Tiere ist, als wenn der Veterinär das macht. Mit einem Arm im Plastikhandschuh und einer riesenlangen Spritze der Kuh hinten hinein, also bitte! Ein Tier braucht doch auch seine Freude.

Die Auguste denkt weiter über diesen Wellnesskram nach: Viel Bewegung hast du als Bäuerin sowieso. Und Erdung auch. Als Bäuerin bist du praktisch am laufenden Band geerdet. Natürlich mit Gummistiefeln zwischen dir und dem Erdreich. Wobei, manchmal auch barfuß. Beim Unkrautjäten im Bauerngarten zieht die Auguste die Schuhe aus. Neben den Blumen recken Mangold, Kohlrabi, Zucchini und Bohnen ihre Blätter in die Höhe, und noch einmal Mangold. Mangold wuchert wie Unkraut. Auf die Zucchiniblüten sind die Schnecken scharf. Die Auguste hat schon versucht, sie wegzubeten. Weil das mit der Schere ist doch unbarmherzig! So barfuß im Beet spürst du die feuchte Wärme der freundlichen Erde unter den Sohlen.

Aber zurück zum Internet, wo steht: Yoga begreift das Schicksal als Chance. Und diese Chance bietet die Möglichkeit zu wachsen. Die Auguste grübelt. Das mit dem Wachsen passt doch zum Höllinger-Hof, weil wachsen tut hier so einiges. Ein Lächeln huscht über das runde Gesicht der Landwirtin. Im Prinzip ist das Bäuerin-Sein doch insgesamt eine Form von Yoga. Augustes eh schon weites Lächeln weitet sich noch mehr. Es ist ein Glücksmoment. Die Auguste hat plötzlich ein Wort im Kopf, das ihr gefällt: Gummistiefelyoga.

Gummistiefelyoga – oder Bauernyoga?

Beides hört sich gut an. Darüber ließe sich länger nachdenken. Darüber sollte sie länger nachdenken. Aber nein, jetzt muss sie sich schnell fertig machen. Es ist Sonntag. Der Gottesdienst geht gleich los. Es ist der erste mit dem neuen Pfarrer. Der ist jung und kommt aus Indien. Indien – so einen ersten Gottesdienst musst du erlebt haben!


2 – Indien

Die oberbayerische Kirchengemeinde Riegsee hat mit ihren indischen Pfarrern durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Allerdings sind ihre Predigten in den ersten Monaten meist nicht so gut zu verstehen. Einer von ihnen war so klein, dass er – auf einem Stuhl sitzend – mit den Füßen nicht bis zum Boden reichte.

Eine volle Kirche ist wie ein philharmonisches Orchester. Vorn die Kinder wie die Violinen. Vom Altar aus gesehen weiter hinten rechts die Frauen – Klarinetten, Flöten und Oboen. Auf der Empore droben die Männer – Pauken und Trommeln.

Heute ist die Kirche rappelvoll. Aber das ist ganz normal in Wolkendorf. Seit sich die bayerischen Pfarrer zwecks Liebe keine Haushälterin mehr gönnen dürfen und das mit den kleinen Buben nicht mehr geduldet wird, mag kaum noch einer den Beruf ausüben, und so kommt alle paar Jahre ein neuer aus Indien. Der Inder fühlt sich wohl in Bayern, sagt man im Dorf und meint damit keinen bestimmten, sondern den gesamten Pfarrervorrat des riesigen Landes. Weil dem Inder seine Tracht auch so bunt und schön ist wie die bayerische. Die Auguste ist sich da nicht so sicher. Ob die Pfarrer aus Indien nicht vielmehr deswegen kommen, weil sie Geld für ihre armen Gemeinden zu Hause sammeln müssen? Denn Lederhosen trägt man, soweit es jedenfalls die Auguste beurteilen kann, in Indien eher nicht. Aber sie war ja auch noch nie in Indien. Und sonst auch nur zweimal in Italien, also besser gesagt, in Südtirol. Da hat sie ein Wochenende im Bauernhofhotel verbracht. Aber das tagelange Nichtarbeiten dort hat sie seinerzeit doch irgendwie aus dem Tritt gebracht.

Der Pfarrer also. Tatsache in diesem Zusammenhang ist Folgendes: Wenn der neue Pfarrer aus Indien seinen ersten Gottesdienst hält, dann kommen alle. Auch die von den Einödhöfen und die sonst eher nicht in die Kirche gehen, sondern lieber gleich zum Frühschoppen.

Jetzt betritt er den Altarraum. Es ist ein christlicher Moment. Und die Auguste erkennt es auf den ersten Blick: Dieser neue Pfarrer ist etwas Besonderes. Nicht nur, dass er fast noch ein Bubengesicht hat, sondern auch weil er so klein ist. Höchstens eins fünfzig. Winzig ist der. Die Auguste sieht ihn schier nicht hinter dem Altar mit der Buchstütze für die Bibel. Nicht nur die Oberministrantinnen sind größer als er, sondern auch ein Teil der jüngeren Messdiener. Und wie der redet, der neue Pfarrer!

„Gutten Tack, meine Name ist Pfallel John Singh aus … äh … Indien. Ich binn neu Pfallel fül diesen Gemeinde.“ Dass der Singh heißt, passt perfekt, findet die Auguste, denn er singt ja wirklich in seinem herzigen Indisch-Deutsch. Aber sie weiß auch (wie im Übrigen alle anderen in der Kirche), dass das jetzt wieder mindestens ein Jahr dauert, bis man alle Worte versteht, die der Pfarrer Singh in seiner Predigt verwendet. Weil das indische Deutsch so ganz anders klingt als das bayerische Deutsch. Wobei Letzteres für viele ja auch nicht ganz einfach zu verstehen ist. Oft wird A zu O oder O zu I. Mann zu Mo. Und ich komm zu i kimm. I kimm, i kimm … das hört sich (wenn die Auguste von ihrem bayerischen Menschen innerlich Abstand nimmt) fast koreanisch an. Heißt nicht irgendein Diktator Kim? Einen Pfarrer aus Korea aber hatte man in Wolkendorf noch nie. Bloß Afrikaner, Inder und einen Augsburger. Der Augsburger konnte sehr gut Deutsch, und er konnte auch gut mit den Leuten, hat aber Heimweh bekommen. Weil er noch ganz jung war und ganz normale Freunde hatte. Ein älterer Pfarrer hat ja dann meistens nicht mehr so viele Freunde, also normale, weil der Kirchenapparat nicht gut ist für Freundschaften. Überhaupt sind Apparate nicht gut für Freundschaften. In der Landwirtschaft fing es damals mit den Maschinen an. Sie ersetzten die Mägde und Knechte und irgendwann die Ehefrauen und Ehemänner. Und irgendwann konntest du einen Hof, den früher sechs oder acht Menschen beackert hatten, allein bewirtschaften. Da bleibt Freundschaft auf der Strecke, ganz klar.

Der Afrikaner konnte auch sehr gut Deutsch, der war sogar ein Doktor, also nicht Medizin, sondern etwas anderes. Aber der wollte, dass man im Gottesdienst klatscht und alle beim Messwein mittrinken. Das hat von den Indern noch keiner verlangt, obwohl das lustig sein könnte. Weniger das Klatschen, aber das gemeinsame Trinken.

Der Inder. Jetzt gerade erzählt er, glaubt die Auguste jedenfalls, weil wie gesagt, man versteht ja höchstens jedes vierte Wort, dass es ihm gut gefällt in Wolkendorf. „Heimweh auch bissell wenick hiel fül mich“, singt er hinter seinem Altar her, die Ministranten kichern schon, das sieht man an den zuckenden Schultern unter den roten Gewändern. „Gut, dass es gibt Intellnett“, sagt der Pfarrer jetzt, „weil jeden Tag ich meine Muttell mit Social Media Kontakt. My mother is also a farmer like many of you here in the church of Wullkändoff.“

Aha, denkt sich die Auguste. Wullkändoff heißt dann wohl Wolkendorf auf Pfarrerindisch. Und Englisch kann er besser als Deutsch. Und mit sozialen Medien kennt er sich anscheinend aus. So viel kann sie sich zusammenkombinieren aus dem Singh-Sang. Dann aber wird die Predigt kompliziert. Wenn die Auguste es richtig versteht, erzählt der Pfarrer, dass er Probleme hatte, seinen Computer mit der Telekom zu verbinden oder mit dem Telefon, genau kann man es nicht wissen, nur erahnen. „Abel nie aufgäbe“, sagt er jetzt. Abel? Meint er Kain und Abel? Aber was hat das mit sozialen Medien zu tun? „Nie aufgäbe. Ploblem ist da zum Lösen.“ Ah, jetzt versteht es die Auguste. Nie aufgeben! Problem ist da zum Lösen. Dieser optimistische Zugang zum Leben gefällt ihr. Dieser ganze, neue, winzige Pfarrer gefällt ihr.

Die Geschichte, die er nun beginnt, hat etwas mit Familie zu tun und mit Landwirtschaft und mit sozialen Medien, und sie scheint gut auszugehen. Jedenfalls lacht der neue Pfarrer aus Indien danach richtig lieb, und man möchte beinahe klatschen, obwohl man das ja nicht tut in der Kirche, außer wohl in Afrika, und vieles rätselhaft bleibt. Auch die anderen möchten gern klatschen, das spürt die Auguste. Das hat man dem afrikanischen Pfarrer zu verdanken, dass es die Wolkendorfer nun manchmal in den Handflächen juckt. Aber nein, in der Kirche klatscht man nicht. In dieser Hinsicht ist die Kirche kein Orchester, sondern eher ein Kuhstall. Leider. Irgendwie ist das schade, dass sich das Afrikanische in der Kirche von Wolkendorf nicht durchgesetzt hat.

Dann kommen irgendwann die Wandlung und die Kommunion. Und als die Auguste schließlich vor dem Pfarrer steht, sieht sie erst, wie jung der ist. Und wie glatt und makellos seine dunkelbraune Haut und wie klein und kurz sein Körper. Und wie lieb der schaut. Er legt ihr die Hostie auf die linke Hand und sagt: „De Leib Listi.“

Mit einem Schmunzeln antwortet die Auguste „Amen“, schiebt den Leib Christi in den Mund, tritt einen Schritt zur Seite, geht in die Knie, schaut zum Jesus am Kreuz hin, richtet sich auf und kehrt zurück in ihre Reihe, zwischen die Marga und die Theresa. Dort kniet sie auf der Bank und betet für die Zukunft ihres Hofs und gegen die Hypothek, für den Schwanz von der Mimi und um eine Lösung für die anderen Probleme. Denn Probleme sind dazu da, dass man sie löst. Hat der Pfarrer gesagt. Weltweite Regel. Fest geschlossen hält sie ihre Augen, die Auguste. Ganz konzentriert denkt sie an ihre Probleme.

Der Katzenschwanz. Wer das wohl war?

Die Bank. Kann man sie aufhalten?

Der Leichenbacher-Bauer, der Geldsack.

Vor allem aber die Bank. Und wie sie so betet und denkt – es ist ein kleines Wunder –, fliegt plötzlich das Wort Gummistiefelyoga wieder durch ihren Kopf.

Gummistiefelyoga. Irgendwie stimmt sie dieses Wort fröhlich.

Jetzt mal halt, du! Kommt denn Yoga nicht aus Indien? Die Auguste öffnet die Augen. Vorn reinigt der zwergenhafte Pfarrer gerade den Kelch mit einem weißen Tuch. Kann das ein Zufall sein, dass der Pfarrer sagt, Probleme sind dazu da, gelöst zu werden, und sie selbst fast gleichzeitig an Gummistiefelyoga denkt, wo doch Yoga wahrscheinlich aus Indien kommt? Genau daher, wo auch der Pfarrer herkommt? Nein, das kann kein Zufall sein, schließlich hat sie ja auch gebetet. Und während des Betens kam das alles. Das ist ein gutes Omen. Das gefällt der Auguste.

Nach dem Gottesdienst geht sie nicht gleich nach Hause. Sie stellt sich an die Tür der Sakristei und wartet auf den Pfarrer. Es dauert eine Weile, denn erst kommen die kichernden Ministranten, die ein bisschen nach Pubertät ohne Deo riechen, dann kommt der Kirchengemeinderatsvorsitzende, der riecht nach Weihrauch, dann kommt die Mesnerin, die riecht nach Parfüm, sie ist eine moderne Frau inklusive Kurzhaarfrisur und ohne Dirndl. Aber dann – hinter der Mesnerin, man sieht ihn kaum, weil er so goldig klein ist – kommt der Pfarrer.

„Grüß Gott, Herr Pfarrer Singh“, sagt die Auguste mit fester Stimme. Sie ist gar nicht aufgeregt, obwohl sie ihn nicht kennt. Wahrscheinlich, weil er so winzig ist. Wirklich winzig! Sein Kopf reicht ihr bis an die Brust. Allerhöchstens.

„Gluss Gott“, antwortet der Pfarrer und lächelt sie an wie ein Bub. Er ist ja auch ein halber. Wie alt mag er sein?

„Herr Pfarrer, ich habe eine Frage an Sie.“

Der Pfarrer nickt ihr aufmunternd zu. „Flagen sind dazu da, antwolltet zu wollen“, stöpselt er ein wenig herum, aber die Auguste versteht genau, was er meint. So gut, wie der Deutsch kann, kann sie jedenfalls nicht Indisch. Und seine Antwort findet sie schon mal gut.

„Sie haben in Ihrer Predigt erzählt, dass Sie jeden Tag mit Ihrer Mutter in Indien über die sozialen Medien in Kontakt stehen.“

„Ja, das ist lichtig, meine Muddell gute Flau, liebe Flau, meine Muddell ist sehl wichtig fül mich.“

„Gut“, sagt die Auguste erleichtert. „Und sagen Sie, Ihre Mutter, die ist auch Bäuerin wie ich? Habe ich das richtig verstanden? Also Farmerin?“

„Mein Muddell is Farmer, richtig. Hat zwei Kuh.“

Na ja, denkt sich die Auguste, zwei Kühe, das ist nun nicht die Welt. Aber Indien ist halt Indien.

„Und Yoga, das kommt doch aus Indien, oder?“, fragt sie weiter.

„Ja, Yoga indische Elfindung“, bestätigt der Pfarrer. „Gute Elfindung, tausend Jahle alt.“

Auguste stößt einen erleichterten Seufzer aus. „Herr Pfarrer, wissen Sie, was?“ Bevor der verdutzte Pfarrer Singh antworten kann, verrät es ihm die Auguste. „Sie schickt mir der Himmel!“

„Ja, natülick“, antwortet der Pfarrer Singh ganz selbstverständlich.

Aber die Auguste ist in Gedanken schon weiter und vermag sich deshalb gar nicht über diese Antwort zu wundern. „Ich möchte nämlich ein Bauernyoga gründen.“ Sie sagt nicht Gummistiefelyoga, weil das könnte ihn verwirren. Wer weiß, ob er das Wort Gummistiefel kennt? In der Bibel steht Augustes Wissen nach nichts darüber. Die Bibel ist eher ein Sandalenbuch. „Aber das muss heutzutage ja über die sozialen Medien bekannt gemacht werden. Weil ansonsten ist das schon gleich eine Totgeburt.“

Jetzt schaut der Pfarrer irgendwie seltsam.

Der Auguste wird es heiß. So ein Mist. Jetzt hat er sie falsch verstanden! Was redet sie auch so kompliziert? Totgeburt und soziale Medien – das bringt der doch nie zusammen in seinem Kopf, der nur wenig größer ist als wie eine von ihren Brüsten. Einfach muss sie es ihm erklären. Ganz einfach … oder englisch, sonst kapiert er es doch nicht. Sie holt kurz Luft. „Es geht mir um Folgendes. Sie kennen sich aus mit sozialen Medien, und Ihre Mutter ist auch Bäuerin, zwei Kühe, und Sie kommen aus Indien, wo das Yoga erfunden wurde, und ich will ein Gummistiefelyoga, also ein Bauernyoga gründen. Für gestresste Städter. Die sollen bei mir wohnen und das Leben und Arbeiten auf dem Hof kennenlernen. Und dadurch zu sich finden. Weil ich brauche Geld, denn ich habe die Bank an der Backe.“ Sie senkt die Stimme, man ist schließlich auf der Schwelle zur Sakristei nicht allein, der Friedhof, das halbe Dorf sperren die Ohrwaschln auf. „Und den Leichenbacher.“ Sie hebt die Stimme wieder. „Aber Sie sind genau der Richtige, der mir dabei helfen kann, dass die Städter von meinem Angebot erfahren. Weil Sie sich eben mit Yoga und sozialen Medien auskennen, Herr Pfarrer. So einen …“ Sie sucht nach dem passenden Wort. „… Internationalen wie Sie gibt’s bei uns in Wolkendorf sonst nicht.“

Die lieben braunen Augen des Pfarrers schauen die Auguste offen an. Was wird er jetzt Hübsches sagen? Die Auguste wartet. Aber der Pfarrer antwortet – nichts. Ehe die Auguste wieder verunsichert wird, fragt sie geradeheraus: „Was ich Sie also fragen will … Helfen Sie mir?“

„Zum Helfen ich bin gebolen“, antwortet der Pfarrer. Und da ist die Auguste extrem erleichtert. Denn mit Gottes Segen im Schlepptau kann das Gummistiefel- oder eben Bauernyoga ja nur ein Erfolg werden.

„Das heißt, Sie sind dabei?“ Die Auguste zwinkert ihm zu.

„Dabei?“ Das Bubigesicht lächelt, als wäre er ein Engel.

O Gott, das mit dem Indisch ist wirklich kompliziert! Sie muss das jetzt abkürzen, vereinfachen, der versteht’s sonst nicht. „Was ich meine … kommen Sie heute zu mir zum Mittagessen?“

„Ja, sehl gelne“, antwortet der Herr Singh. „Eine Einladung slägt man nicht aus.“

„Gut“, sagt die Auguste.

Aber wie sie nach Hause geht in ihrem feschen Dirndl, fragt sie sich, ob er das auch richtig verstanden hat mit der Einladung.

Felix Tanner

Über Felix Tanner

Biografie

Felix Tanner ist das Pseudonym von Jörg Steinleitner. Er war Anwalt, ehe er bei Piper die Tegernsee-Krimis um Anne Loop und die Kunstfälscher-Serie „Ambach“ startete. Zudem schreibt er auf BUCHSZENE.DE eine Kolumne und inszeniert seine Lesungen als unterhaltsame Shows. Er lebt und arbeitet in...

Medien zu „Gummistiefelyoga“
Pressestimmen
Penzeberger Tagblatt, Premierenkritik in Penzberg

„Jörg Steinleitner ein Meister der Inszenierung.“

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt

„Vieles in dem Buch ›Gummistiefelyoga‹ (ist) ein Praliné mit exotischer Füllung.“

buchszene Magazin

„Ein fröhlicher Roman“

Lesestoff Magazin

„Dieser Roman macht glücklich“

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