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Die Ersten ihrer Art

Heike Specht
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Frauen verändern die Welt

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Die Ersten ihrer Art — Inhalt

Ohne Frauen fehlt die Hälfte
Simone Veil, Margaret Thatcher, Angela Merkel, Kamala Harris: Sie alle eroberten ihren Platz in einer Männerwelt und veränderten sie Stück für Stück. Das Buch führt uns zu diesen und vielen anderen Ersten ihrer Art. Es zeigt nicht nur, was fehlt, wenn Frauen nicht mit am Tisch sitzen, sondern auch wie sie in den letzten hundert Jahren gegen Widerstände an die Spitze gelangten und neue Themen setzten.

Die Autorin hat viele Erste interviewt und akribisch recherchiert. Sie belegt, dass die Kämpfe noch nicht ausgefochten sind: Die Hälfte der Menschheit hat noch längst nicht die Hälfte der Macht.

„Dieses Buch ist so viele Bücher auf einmal: Es ist ein Geschichtsbuch, eine Biographien-Sammlung, ein politisches Statement und ein feministisches und aufklärerisches Pamphlet. Es ist Frauen- und Weltgeschichte. Heike Specht hat ein wunderbares Buch geschrieben, das belehrt und erfreut (und zuweilen auch entsetzt: warum ist die Gleichberechtigung der Frau so unfassbar schwer zu erreichen?).“ Hedwig Richter


„Dieser spannende Teil der Geschichte kam in der Schule nie vor. Das ist ein Buch, das müssten Männer lesen!“ Nicole Seifert im BRIGITTE WOMAN-Podcast Meno an mich

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 28.03.2024
384 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32054-2
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€ 23,99 [D], € 23,99 [A]
Erschienen am 24.02.2022
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60057-6
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Leseprobe zu „Die Ersten ihrer Art“

Einleitung

„Mr. Vice President, I’m speaking“, die Kandidatin im dunkelblauen Blazer mit US-Flagge am Revers hebt mahnend die Hand, blickt nur einmal knapp und kühl in Richtung ihres Konkurrenten, der sie in dieser Vizepräsidentschaftsdebatte im Herbst 2020 in Utah erneut unterbrochen hat, und wiederholt dann noch einmal nachdrücklich: „I’m speaking!“

„Jetzt rede ich!“ – Unzählige Frauen daheim vor den Bildschirmen konnten sich spätestens zu diesem Zeitpunkt problemlos mit Kamala Harris identifizieren. Nahezu jede von ihnen hatte das schon erlebt, im [...]

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Einleitung

„Mr. Vice President, I’m speaking“, die Kandidatin im dunkelblauen Blazer mit US-Flagge am Revers hebt mahnend die Hand, blickt nur einmal knapp und kühl in Richtung ihres Konkurrenten, der sie in dieser Vizepräsidentschaftsdebatte im Herbst 2020 in Utah erneut unterbrochen hat, und wiederholt dann noch einmal nachdrücklich: „I’m speaking!“

„Jetzt rede ich!“ – Unzählige Frauen daheim vor den Bildschirmen konnten sich spätestens zu diesem Zeitpunkt problemlos mit Kamala Harris identifizieren. Nahezu jede von ihnen hatte das schon erlebt, im Büro, bei einem Meeting, bei einem Arzttermin, in geselliger Runde. Ein Mann unterbricht, belehrt, macht das von ihr Gesagte lächerlich oder redet es klein. Und nahezu jede steckte schon mal in dem Dilemma: Wie adäquat reagieren? Wie sich zur Wehr setzen, ohne entweder aggressiv und zornig zu wirken oder, genauso fatal, hilflos und überfordert? Mit einiger Genugtuung beobachteten Frauen weltweit an diesem Abend, wie souverän die Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten dem amtierenden Vizepräsidenten von den Republikanern Paroli bot – mit Ruhe und Entschiedenheit ließ sie den quengelnden Mike Pence lächelnd auflaufen.

Harris gewann diese TV-Debatte, da waren sich Beobachter*innen hinterher ziemlich einig. Und sie gewann wenig später zusammen mit Joe Biden auch die Präsidentschaftswahlen. Aber während Joe Biden der 46. Mann in einer Liste von 45 weißen und einem Schwarzen Präsidenten war, zog Kamala Harris im Januar 2021 als eine Erste ins Weiße Haus: Sie ist nicht nur die erste Vizepräsidentin, sondern auch die erste mit jamaikanisch-indischen Wurzeln. Sieht man sich die Porträtgalerie ihrer ernst und wichtig dreinblickenden 48 Vorgänger an, so stellt man fest, dass es in 230 Jahren zwar fünf Johns, drei Thomasse und drei Charles’ gab, aber keine einzige Frau. Sicher, ein bisschen Variation lässt sich beim Anblick der honorigen Herren schon konstatieren, schließlich änderten sich Moden und Trends innerhalb der letzten Jahrhunderte, so waren manche der Amtsvorgänger glatt rasiert, andere wiederum trugen Backen-, wieder andere einen rauschenden Vollbart und selbstverständlich gab es auch die Moustache-Fraktion. Die frühen Herren waren angetan mit Musselinhemd mit steifem „Vatermörder“ und Gehrock, spätere bevorzugten Jackett, dazu Hemd und Fliege, und die modernen Vizepräsidenten griffen zu dunklem Anzug und Krawatte.

Allen bisherigen Vizepräsidenten aber war gemeinsam gewesen, dass sie Männer waren. Weiße Männer. Allen, bis zu Kamala Harris. Plötzlich vollendete die Reihe der VP-Porträts das Bild einer Frau mit brauner Haut und schwarzen, schulterlangen Haaren, mit Hosenanzug und wahlweise High Heels oder bunten Chucks. Es kursierten Fotos von Harris als kleinem Mädchen mit dunklem Lockenkopf oder geflochtenen Zöpfen, Abbildungen mit ihr und ihrer aus Madras stammenden Mutter, die einen Sari trägt, und Fotos der erwachsenen Harris mit ihrer Patchworkfamilie.

Vielfach in ihrem Leben und in ihrer beruflichen Karriere, so Harris, sei sie in Räume gekommen, in denen sie niemand fand, der oder die aussah wie sie selbst. Mit dieser Feststellung spricht die Politikerin den springenden Punkt an, der uns in diesem Buch beschäftigen wird: Die Erste sein – das ist natürlich verbunden mit einem Erfolgserlebnis, mit Triumph, mit einem weiteren beachtlichen Loch in der gläsernen Decke, es ist aber vor allem auch ein Kraftakt. Während ihre Vorgänger im Weißen Haus aussahen, sprachen und sich verhielten wie Dutzende der Herren, die dieses Amt bereits innegehabt hatten, sticht Harris heraus. Die Erste sein heißt aufzufallen, nicht reinzupassen, keine Vorbilder zur Nachahmung zu haben. Es heißt auch, dass es keine ausgetretenen Pfade gibt, vielmehr gilt es, sich erst einen Weg freizuschlagen und Neuland zu erobern. Und schließlich heißt es, sich permanent rechtfertigen zu müssen. Ein Anzug tragender Mann in fortgeschrittenem Alter muss kaum jemandem auseinandersetzen, warum er diesen oder jenen Job möchte, dieses oder jenes Amt anstrebt. „Obrigkeit ist männlich. Das ist ein Satz, der sich eigentlich von selbst versteht“, schrieb der sächsische Historiker, Antisemit und Frauenfeind Heinrich von Treitschke Ende des 19. Jahrhunderts, und bis zum heutigen Tag machen Politikerinnen, Funktionärinnen, generell Frauen, die für diesen oder jenen Posten die Hand heben, die Erfahrung, dass ihr Engagement erklärungsbedürftig ist. Unser mentales kulturelles Modell einer mächtigen Person, so die Historikerin Mary Beard, sei weiterhin eindeutig männlich.[i] Frauen, die Machtanspruch erheben, sind noch immer suspekt. Wieder und wieder, so Hillary Clinton, sei sie 2016 gefragt worden, warum sie Präsidentin werden wolle: „Why? But, really – why?“ Die klare Implikation von derlei Fragen war, dass irgendetwas nicht stimmen könne mit ihr, dass ihrer Kandidatur etwas anderes zugrunde liegen müsse, ein unerklärlicher, fast widernatürlicher Machthunger. Niemand, so Clinton, habe dagegen Bernie Sanders oder Ted Cruz einer Psychoanalyse unterzogen. Die Tatsache, dass diese Herren ins Rennen um das höchste Amt gingen, wurde als völlig normal betrachtet.[ii]

Männliche Herrschaft, so der französische Soziologe Pierre Bourdieu, sei deswegen so dominant, weil sie der Rechtfertigung nicht bedürfe.[iii] Es verlangt einer Frau also viel ab, Erste zu sein. Neben all dem Engagement, dem Durchhaltevermögen und der Arbeit, die ohnehin nötig sind, um eine außergewöhnliche Karriere zu machen, müssen es die Ersten zusätzlich aushalten, dass ihre schiere Gegenwart in diesem oder jenem Umfeld, ihre bloße Existenz auf diesem oder jenem Posten unentwegt infrage gestellt wird. Die Anforderungen also an Frauen, dorthin zu gelangen, wo Männer seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich agieren – an die Schaltstellen der Macht –, waren und sind zum Teil noch heute enorm. Um es mit den Worten der US-amerikanischen Politikerin Faith Whittlesey zu sagen: „Ginger Rogers tat nichts anderes als Fred Astaire, aber sie tat es rückwärts und mit High Heels.“

 

Die Ersten ihrer Art widmet sich den ersten Frauen, die in den letzten gut hundert Jahren in Männerdomänen einbrachen, aufstiegen, Posten und Ämter einnahmen. Es geht um Frauen – vor allem um Politikerinnen, aber auch um Juristinnen, Journalistinnen, Bischöfinnen, Künstlerinnen und, ja, auch um eine Terroristin –, die ihren Platz am Tisch der Macht eroberten. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten Frauen in mehr und mehr Ländern der westlichen Welt das aktive und passive Wahlrecht. Seit sich rund fünftausend Jahre zuvor patriarchale Strukturen durchgesetzt hatten, konnte nun erstmals die weibliche Hälfte der Menschheit in der Masse politisch und gesellschaftlich Einfluss nehmen, zu dieser Zeit wurde für sie auch der Weg frei in die Verwaltung, an die Universitäten und in die Gerichtssäle.[iv]

Sicher hat es in der überlieferten Geschichte immer wieder mächtige Frauen gegeben, von der ägyptischen Königin Hatschepsut über Elizabeth I. von England bis zur Habsburgerin Maria Theresia, doch diese Herrscherinnen waren eben genau das – HERRscherinnen. Sie blieben Ausnahmen, die die Regel bestätigten. Das patriarchale System sollte durch sie nicht angetastet werden, und so ließ sich die mächtige Hatschepsut mit dem pharaonischen Knebelbart abbilden und Elizabeth I. wurde als Kriegerkönigin in Rüstung und zu Pferde mystifiziert. „Politisch“, so die Maria-Theresia-Biografin Barbara Stollberg-Rilinger, „galt Maria Theresia als Mann“. Die Regentin hörte auf, eine Frau zu sein, sobald sie den Thron bestieg.[v] Auch wenn diese Herrscherinnen natürlich trotz der nach außen an den Tag gelegten männlichen Machtinszenierung auf dem Thron Frauen blieben – ein Fakt, der gerade bei Maria Theresia als Mutter von sechzehn Kindern, kaum übersehen werden konnte –, machten sie nicht dezidiert als Frauen und schon gar nicht für Frauen Politik.

Erst im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wurden mit dem Streben nach Nationalstaat, Menschenrechten, Verfassung und Demokratie auch Stimmen laut, die eine staatsbürgerliche Gleichstellung der Frau forderten. In den USA, Großbritannien und auch in Deutschland wurden Frauenvereine gegründet, 1865 etwa der Allgemeine Deutsche Frauenverein unter der Führung von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt oder 1866 der unter der Schirmherrschaft von Kronprinzessin Victoria stehende Berliner Lette-Verein. In England kämpften Suffragetten zum Teil mit Guerilla-Methoden um das Recht auf politische Mitbestimmung. In Deutschland forderten mutige Frauenrechtlerinnen und Publizistinnen wie Hedwig Dohm, Helene Lange, Anita Augspurg oder Minna Cauer bessere Bildung für Mädchen, das Recht auf weibliche Erwerbstätigkeit und das Frauenwahlrecht. In diesen Jahren zeigte sich außerdem eindrucksvoll, dass die Arbeiterbewegung eben auch eine Arbeiterinnenbewegung war. Sozialistinnen wie Marie Juchacz und Kommunistinnen wie Clara Zetkin kämpften für gleiche Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und wirksamen Mutterschutz. Die soziale Frage und deren Lösung brannte vielen Frauen – bürgerlichen wie sozialistisch gesinnten – unter den Nägeln, soziale Berufe entstanden, und Reformerinnen wie Alice Salomon waren federführend an der Professionalisierung der Sozialarbeit beteiligt. Neben dem Kampf für fairere und sicherere Arbeitsbedingungen rückte der häusliche Bereich in den Fokus. Die Idee kam auf, dass auch Gesundheit, Hygiene und Erziehung politisch waren. Und es waren vor allem Reformerinnen, die diese Idee trugen. Der Aufbruch der Frauen war weltweit vermutlich der wichtigste Emanzipationsprozess in der Reformzeit um 1900, konstatiert die Historikerin Hedwig Richter.[vi]

Warum aber wird die umwälzende Veränderung, die diese frühen Frauen in Gang gesetzt haben und die dann von all den Ersten, denen wir in diesem Buch begegnen, auf die eine oder andere Art fortgesetzt wurde, bis heute vielfach nicht als bahnbrechend wahrgenommen? Sicher, die Frauen veranstalteten keine dröhnenden Aufmärsche, sie schwangen keine Fahnen und schrien: „Es lebe die Revolution!“, äußerst selten legten sie die Arbeit nieder und streikten. Im Gegenteil, sie krempelten die Ärmel hoch und machten sich ans Werk. Sie griffen, von einzelnen militanten Suffragetten einmal abgesehen, nicht zu Pistolen und Gewehren, ihre Waffen waren der gespitzte Bleistift, die Schreibmaschine, das geschliffene Wort, ihre Rüstung waren Krankenschwesternschürzen, Richterinnenroben, die Aktentasche der Sozialarbeiterin, das Dossier der Parlamentarierin.

Vielleicht wird der Einfluss, den Frauen auf unsere Gesellschaften in den letzten hundert Jahren nahmen und nehmen, in der Geschichtsschreibung und politischen Berichterstattung so oft übersehen, weil ihr Kampf so gänzlich unmartialisch ausgefochten wurde und wird, weil so wenig Triumphgeheul im Spiel ist, so wenig brennende Barrikaden. Unser Fokus auf Revolutionen, die stets als etwas durch und durch Männliches wahrgenommen wurden, verstellen uns den Blick auf die große, aber langwierige und meist wenig glamouröse Reformarbeit der Frauen.[vii] Hinzu kommt, dass die Themen und Anliegen der Frauen über Jahrzehnte kleingeredet und marginalisiert wurden. „Frauenpolitik“, das galt vielen als ein kleiner Garten ganz am Rande der großen, wichtigen Politik, den ein paar emsige Damen beackern durften. Tatsächlich aber, auch das wird in den folgenden Kapiteln deutlich, haben Frauen in den letzten hundert Jahren Weichen gestellt und Akzente gesetzt, die unseren Gesellschaften erst jenes Antlitz gaben, das wir heute kennen. Viele ihrer Ziele – Geschlechtergerechtigkeit, wertschätzende Erziehung, Bildungsgerechtigkeit, Ehe als Partnerschaft und Ehe für alle, Gesundheitsschutz, körperliche Selbstbestimmung – haben unser Leben stärker geprägt als so manche viel diskutierte außen- oder sicherheitspolitische Entscheidung.

Das, was jahrzehntelang als „Frauenpolitik“ verniedlicht wurde, ist in Wahrheit wirkmächtige Gesellschaftspolitik. Und dennoch konnte noch in den 1970er-Jahren der französische Premierminister Jacques Chirac seiner Gesundheitsministerin Simone Veil entgegenhalten, Abtreibung sei „Weibersache“, und selbst in den späten 1990er-Jahren nannte der deutsche Kanzler Gerhard Schröder das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schlicht „Familie und das ganze Gedöns“. Lange Jahre wurde die „Frauenpolitik“ auch als Abstellgleis für Politikerinnen betrachtet und die eine oder andere potenzielle Konkurrentin auf diese Weise aus dem Weg geschafft. Nach dem Einzug in die Parlamente dauerte es viele Jahrzehnte, bis Politikerinnen erstmals sogenannte „klassische“ Ressorts übernahmen beziehungsweise das, was Männer dafür hielten: das Justiz-, Finanz-, Verteidigungs- oder Innenressort etwa. 1992 wurde Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die erste deutsche Justizministerin, 2007 übernahm Christine Lagarde als erste Frau das französische Finanzministerium, 2021 bekamen die USA mit Janet Yellen ihre erste weibliche Secretary of the Treasury, und im selben Jahr wurden Annalena Baerbock und Nancy Faeser Deutschlands erste Außen- bzw. Innenministerin.

Nur nach und nach also konnten Frauen damit beginnen, ihre Perspektiven in das einzuspeisen, was lange als „allgemeine“ Politik verstanden worden war, was tatsächlich vielfach aber eben „Männerpolitik“ war. Und tatsächlich gibt es bis heute noch immer Erste. Deswegen reicht dieses Buch auch ganz bewusst bis in die unmittelbare Gegenwart. All die Ersten aber, die in den letzten hundert Jahren in die Parlamente und Amtsstuben, Gerichtssäle und Redaktionen eingezogen sind und die Welt veränderten, auch das sei betont, stehen auf den Schultern von Gigantinnen: Von der Pariserin Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution die damals ungeheuerliche Meinung vertrat, Menschenrechte seien auch Frauenrechte; über die Engländerin Mary Wollstonecraft, die mit ihrem 1792 erschienenen Buch A Vindication of the Rights of Woman auf das Recht der Frauen auf Bildung pochte und damit ein erstes feministisches Manifest vorlegte; über Sojourner Truth, die als ehemalige Sklavin in den USA ihren Kampf gegen die Sklaverei mit dem Kampf um Frauenrechte verband; bis zu den bereits erwähnten deutschen Frauenrechtlerinnen und vielen mehr.

Sämtliche Ersten, die uns in diesem Buch begegnen, brachten Aspekte und Themen ein, die die herrschenden Männer zuvor jahrzehnte-, zuweilen jahrhundertelang einfach nicht auf dem Schirm gehabt hatten. Wenn heute zu Recht Frauenquoten und vielfach auch Parität gefordert wird, halten vor allem Männer häufig dagegen, dass in einer repräsentativen Demokratie Abgeordnete das ganze Volk vertreten sollen und das Parlament eben keine Ständevertretung sei. Das stimmt schon. Aber erstens stellen Frauen die Hälfte der Menschheit dar, sie sind keine Minorität, keine Kaste oder soziale Schicht, keine spezielle Sondergruppe mit Partikularinteressen. Und zweitens muss man mit Blick auf die Geschichte leider sagen, dass die Interessen und Rechte von Frauen oft erst dann ausreichend berücksichtigt wurden, als sie auch in den entsprechenden staatlichen Organen vertreten waren. Es war mit Louise Schroeder eben eine der ersten Parlamentarierinnen, die in der Weimarer Republik den Mutterschutz durchsetzte. Es war in der Geburtsstunde der Bundesrepublik Elisabeth Selbert und nicht einer der 61 Männer im Parlamentarischen Rat, die die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz verankerte. Es war Erna Scheffler und keiner ihrer männlichen Kollegen am Bundesverfassungsgericht, die dem väterlichen Stichentscheid den Todesstoß verpasste und der patriarchalen Familie damit einen empfindlichen Schlag beibrachte. Es war mit Gesundheitsministerin Simone Veil eine Frau, die Abtreibung in Frankreich endlich aus der Illegalität rausholte. Und es war schließlich ein überfraktionelles Bündnis von Parlamentarierinnen im Bundestag, das dafür sorgte, dass Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat wurde.

Wenn heute also Parität gefordert wird, so soll diese für mehr Pluralität, für mehr politische Teilhabe und eine gerechtere Verteilung der Macht sorgen. In der Politik, aber auch im Recht, im Journalismus, in der Literatur, im Film und in vielen anderen Bereichen unseres Lebens fehlt die Hälfte, wenn Frauen nicht mit am Tisch sitzen. Die italienische Schauspielerin Anna Magnani brachte es auf den Punkt: „Die Phantasie der Männer reicht bei weitem nicht aus, um die Realität Frau zu begreifen.“ Dass der weibliche Blick aber noch immer als eine Abweichung von der Norm betrachtet wird, zeigt sich daran, dass es Etiketten wie „Frauenliteratur“[viii], „Frauenfilm“ oder eben „Frauenpolitik“ gibt, wohingegen Bücher von Männern einfach Literatur sind, Filme von Männern häufig als großes Kino betrachtet werden und Politik von Männern schlicht Politik ist. Der weiße, heterosexuelle Mann, so noch immer vielfach die Auffassung, ist das Basismodell des Menschen.[ix] Alle anderen, auch die Frauen, sind mehr oder weniger exotische Sondermodelle. Wenn Männer ihre Argumente vortragen, ihre Geschichten erzählen – egal, ob in der Politik, in einem Zeitungskommentar, in einem Roman oder Film –, gelten diese als universell. Und mit genau diesem Impetus und dieser Selbstverständlichkeit – dass eben ihre Perspektive die allgemein gültige ist – tragen die Herren seit Jahrhunderten ihre Betrachtungen und Thesen vor, während Themen, die das Leben und den Alltag von Frauen betreffen, vielfach banalisiert und marginalisiert werden.

An vermeintlichen Selbstverständlichkeiten zu rütteln, ist mühsam. Aber genau das taten und tun die Ersten ihrer Art durch ihre bloße Existenz. Und wenn wir auf die letzten hundert Jahre schauen, haben sie durchaus beachtliche Erfolge zu verbuchen. Herausragende Spitzenpolitikerinnen haben die Gesellschaften, in denen sie wirkten und wirken, dauerhaft geprägt – von Tel Aviv über London, Berlin, Brüssel und Washington bis Buenos Aires, Monrovia und Wellington. Manche dieser Frauen – Golda Meir mit Zigarette in der Hand etwa, Margaret Thatcher mit Perlenkette und Handtasche, Angela Merkel, die Raute formend, oder auch die trauernde Jacinda Ardern mit schwarzem Kopftuch nach dem Terrorangriff auf zwei Moscheen in Christchurch – sind zu wahren Ikonen geworden. Aber Vorsicht: Der Hinweis auf diese Ersten dient zuweilen als Ausrede, um nötige strukturelle Veränderungen auszubremsen. Wenn diese Frauen es geschafft haben, dann sei der Weg doch prinzipiell frei, so die Behauptung. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Die Präsenz von Frauen auf ehemals genuin männlichem Territorium ist in den letzten hundert Jahren sicht- und hörbarer geworden. Seit mit Margaret Thatcher 1979 die erste Frau Regierungschefin eines westlichen Industriestaates wurde, übernehmen regelmäßig Politikerinnen in aller Welt den Posten der Premierministerin, der Kanzlerin, der Präsidentin – auch wenn sie immer noch weit in der Minderheit sind. Der Frauenanteil unter den Abgeordneten stieg in den letzten Jahrzehnten seit Ende des Zweiten Weltkriegs kontinuierlich und kommt erst in jüngerer Zeit durch den Einzug rechter Parteien in die Parlamente ins Stocken. Auch die Zahl von Autorinnen, Regisseurinnen, Professorinnen, Chefredakteurinnen und Verfassungsrichterinnen wuchs in den letzten Jahrzehnten, ja selbst in immer mehr Unternehmensvorständen und Aufsichtsräten sitzt inzwischen die eine oder andere Frau. Aber mit dem Zugewinn an weiblichem Einfluss und weiblicher Macht verstärkt sich auch die Gegenreaktion. Je präsenter Frauen werden, desto krasser werden die misogynen Angriffe jener Männer, die mit dieser Moderne nicht umgehen können oder wollen. Gerade in den letzten Jahren ist vor allem auf Social-Media-Plattformen ein erschütterndes Ausmaß an Frauenfeindlichkeit zu verzeichnen. Frauen werden überdurchschnittlich häufig Opfer von Hasskommentaren und Beleidigungen bis hin zu konkreter Androhung von Gewalt.

Noch immer ist in der öffentlichen Debatte außerdem ein deutlicher Double Standard zu beobachten, oder wie Hildegard Knef einmal sagte: „Brüllt ein Mann, ist er dynamisch. Brüllt eine Frau, ist sie hysterisch.“ Was bei Männern als engagiert, führungsstark und leidenschaftlich gilt, wird Frauen allzu oft als überehrgeizig, übereifrig und schrill ausgelegt. Frauen sind entweder zu emotional oder zu kaltherzig, sie sind die graue Maus oder die männermordende Schwarze Witwe, die sorgende Mutti oder berechnende Karrierefrau. Hillary Clinton, eine, die es wissen muss, sagte einmal in einem Interview: „You know as a woman we are many things.“[x]

Solcherlei Stereotypen zu entkommen, ist nicht leicht und viele der Ersten haben deswegen ihr Frausein sicherheitshalber kaum zum Thema gemacht. Das ändert sich in den letzten Jahren spürbar mit einer neuen Generation, die auf Demut pfeift. Aber auch diese Jungen haben noch mit einem Phänomen zu kämpfen, das die britische Journalistin Mary Ann Sieghart den Authority Gap nennt.[xi] Sieghart zeigt eindrücklich, wie häufig und intensiv weibliche Expertise infrage gestellt wird, während wir noch immer dazu neigen, Männern in dunklen Anzügen Autorität und Wissen zuzuschreiben. Das hängt zum Teil mit Körpergröße und Stimmlage zusammen, aber eben vor allem mit tradierten Mustern und Stereotypen, die schwer aus den Köpfen zu bekommen sind und die den Ersten ihrer Art von Weimar bis heute zu schaffen machen.


Einleitung

[i]             Mary Beard, Frauen & Macht, Frankfurt 2018, S. 56.

[ii]             Hillary Clinton, What happened, New York 2017, S. 40.

[iii]            Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, Frankfurt am Main 2005.

[iv]            Der Evolutionsbiologe und Verhaltensforscher Carel van Schaik und der Historiker und Literaturwissenschaftler Kai Michel zeigen in ihrem Buch Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern (Hamburg 2020), dass Frauen und Männer die längste Zeit der Menschheitsgeschichte relativ egalitär miteinander gelebt haben. Die völlige Schieflage im Machtverhältnis der Geschlechter und die Marginalisierung der Frauen nennen sie eine „kulturelle Verirrung“, die erst vor etwa fünftausend Jahren begann.

[v]             Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit, München 2018, S. XVI.

[vi]            Hedwig Richter, Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich, Berlin 2021, S. 106. Siehe zu den Reformerinnen auch Dies., Demokratie. Eine deutsche Affäre, München 2020, S. 155. Zum ambivalenten Verhältnis zwischen Arbeiterbewegung und „Frauenfrage“ siehe Vincent Streichhahn und Frank Jacob (Hg.): Geschlecht und Klassenkampf. Die „Frauenfrage“ aus deutscher und internationaler Perspektive im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2020.

[vii]           Hedwig Richter, „Demokratiegeschichte ohne Frauen? Ein Problemaufriss“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 42/2018, www.bpb.de/apuz/277329/demokratiegeschichte-ohne-frauen-ein-problemaufriss

[viii]           Vgl. hierzu Nicole Seiferts kluges Buch Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, Köln 2021.

[ix]            Sehr interessante Daten dazu hat Caroline Criado-Perez gesammelt in: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert, München 2020.

[x]             Hillary Clinton im Gespräch mit der schwedischen Journalistin Stina Dabrowski, 2013, www.youtube.com/watch

[xi]              Mary Ann Sieghart, The Authority Gap. Why women are still taken less seriously than men, and what we can do about it, New York 2021.

Heike Specht

Über Heike Specht

Biografie

HEIKE SPECHT, Jahrgang 1974, studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in München. Sie promovierte über die Familie Lion Feuchtwangers und arbeitete mehrere Jahre als Verlagslektorin. Heute lebt sie als freie Autorin in Zürich. Zuletzt erschienen die Biografien »Lilli Palmer. Die preußische...

Veranstaltung
Lesung und Gespräch
Freitag, 14. Juni 2024 in Waldenburg
Zeit:
19:30 Uhr
Ort:
Ländl. Heimvolkshochschule Hohebuch,
Hohebuch 16
74638 Waldenburg
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