Das weiße Herz (Das dunkle Herz 2) — Inhalt
Der Abschlussband der fesselnden Saga um das dunkle Herz! Drei Wochen sind vergangen, seit Anna und Nick aus dem Gefängnis des dunklen Herzens entkommen konnten. In der wirklichen Welt sind sie sicher - oder nicht? Als die beiden der Hilferuf Elifs aus der Türkei ereilt, machen sie sich auf den Weg nach Istanbul. Dort werden sie Zeugen brutaler Polizeigewalt und erleben, wie die Gefängniswelt des dunklen Herzens beginnt, diese Welt zu durchdringen. In vielen Ländern herrscht ein Klima von Angst und Konfrontation. In Großbritannien zu Straßenkämpfen. In Frankreich sind Kriminalität und Fremdenhass mehr und mehr an der Tagesordnung. Anna erkennt, dass nur der Alte allein das letzte Opfer bringen kann, um sein Volk und gleichzeitig das dunkle Herz endgültig erlöschen zu lassen. Doch er braucht dafür die Hilfe aller anderen. Ein gefährlicher Wettlauf mit der Zeit beginnt ...
Leseprobe zu „Das weiße Herz (Das dunkle Herz 2)“
Prolog
„Spasti! Hey, Spasti!“
Peter zuckte innerlich zusammen, als er Tylers Stimme hörte, doch er unterdrückte den Impuls davonzulaufen. Links von ihm verlief eine lange Backsteinmauer, rechts ging es in die Reihenhaus-Siedlung. Er war nicht schnell genug, sie abzuschütteln, und wenn sie ihn jagen konnten, würden sie nur noch mehr Spaß bei der Sache haben. Peter klammerte sich an die Riemen seiner Schultasche und blieb in seinem langsamen Trott, als wüsste er nicht, dass er gemeint war.
„Bist du schwerhörig, Spasti? Rennst du heim zu deiner Spasti-Mama?“
T [...]
Prolog
„Spasti! Hey, Spasti!“
Peter zuckte innerlich zusammen, als er Tylers Stimme hörte, doch er unterdrückte den Impuls davonzulaufen. Links von ihm verlief eine lange Backsteinmauer, rechts ging es in die Reihenhaus-Siedlung. Er war nicht schnell genug, sie abzuschütteln, und wenn sie ihn jagen konnten, würden sie nur noch mehr Spaß bei der Sache haben. Peter klammerte sich an die Riemen seiner Schultasche und blieb in seinem langsamen Trott, als wüsste er nicht, dass er gemeint war.
„Bist du schwerhörig, Spasti? Rennst du heim zu deiner Spasti-Mama?“
Tyler hatte ihn schon im Sandkasten drangsaliert. Obwohl Tylers Mutter Peters Mum versichert hatte, dass sie nach einem Sommer sicher beste Freunde sein würden, hatte Tyler ihm auch im Herbst noch den Plastikbagger auf dem Spielplatz abgeknöpft und im Winter Schnee in seinen Nacken und die Jacke hinuntergestopft, bis seine Lippen blau geworden waren. Und je besser Peter es hinbekommen hatte, Tyler aus dem Weg zu gehen, desto schlimmer waren ihre Begegnungen geworden.
Auch wenn Tyler zwei Klassen über ihm war, hatte er Peter nie aus den Augen verloren. Irgendwann hatte er ihn mit seiner ganzen Bande gejagt. Wenn sie ihn erwischt hatten (und sie hatten ihn meistens erwischt), hatte Tyler ihn zu Boden geschubst und auf den Rücken gezwungen. Er hatte ihm die Oberarme mit beiden Knien auf den Boden genagelt: Muskelreiten hieß das, und für Peter hatten die ständigen blauen Flecken irgendwann fast so sehr zu seinem Körper gehört wie das Muttermal an seinem linken Oberschenkel. Irgendwann hatte Tyler Peter aufgefordert, den Mund zu öffnen, als er am Boden lag. Peter hatte sich geweigert, aber Tyler hatte dennoch mit einem schmatzenden Geräusch, das von seinen Jungs johlend aufgenommen wurde, Spucke gesammelt und sie einfach genüsslich in Peters Gesicht tropfen lassen. Natürlich hatte Peter danach noch Prügel bekommen. Er glaubte eigentlich nicht, dass Tyler so pervers war, dass ihm die Sache mit dem Spucken wirklich gefiel. Er spielte einfach sein Spiel. Und er musste das Spiel jedes Mal ein bisschen weiter treiben, damit es spannend blieb.
Jemand rempelte Peter grob von hinten an, doch er fing sich im Stolpern.
Ich bin weit weg, dachte er und versuchte sich die Straße als einen langen Tunnel vorzustellen. Er konzentrierte sich auf das andere Ende, das kommen würde, wenn sie mit ihm fertig waren. Es würde kommen, egal was passierte.
„Was ist los, Spasti, kannst du nicht mal richtig laufen?“
Gelächter folgte, während sich der fünfzehnjährige Junge vor ihm aufbaute. Peter hatte das Gesicht vor Augen, ohne dazu aufsehen zu müssen.
„Hey!“, fuhr Tyler ihn an, doch Peter hielt den Blick gesenkt.
Er ignorierte Tyler nicht etwa aus Mut oder gar Stolz. Er wusste: Egal, was er tat, er konnte es nur schlimmer machen.
Eine Hand setzte sich auf seine Stirn und schob ihn grob zurück. Peter machte einen Ausfallschritt nach hinten, doch einer der anderen kickte ihm den Fuß weg, und er fiel auf den Rücken. Er spürte, wie seine Schultasche am Randstein aufplatzte und sich Hefte und Bücher über die Straße verteilten.
„Schaut ihn euch an, er kann nicht reden und nicht laufen, und auf den Füßen bleiben kann er auch nicht. Aber wen wundert’s.“
Peter hob den Blick, was ein Fehler war. Er sah direkt in Tylers hämisch funkelnde Augen.
„Die Wahrheit schmeckt dir wohl nicht, Spasti. Du bist behindert, genau wie deine Mutter. Weiß doch jeder. Na los, bringt ihm Respekt bei, Jungs!“
Respekt war ihm wichtig, denn davon sprach er viel. Peter hatte nur eine vage Vorstellung davon, was Respekt für Tyler genau bedeutete. Es hatte irgendetwas mit blauen Flecken zu tun, und mit dem Geschmack von Angst auf der Zunge, wenn man seine Stimme hörte.
Also brachten Tyler und sein Affengefolge ihm Respekt bei. Den ersten Tritt konnte Peter mit seinen Armen abwehren, doch als er sich zur Seite drehte, traf ihn der zweite mitten in der Magengrube. Ein heißer Schmerz bahnte sich seinen Weg durch Peters Eingeweide, und er übergab sich sofort über den Randstein.
„Mann, das war ein Volltreffer!“, lachten sie.
„Gott, wie erbärmlich!“, kommentierte Tyler. „Nicht mehr lang, dann ist er ein Penner. Genau wie sein erbärmlicher Vater.“
Ich bin weit weg, redete Peter sich weiter ein, doch das war nicht so einfach, wenn man gleichzeitig noch immer sein Pausenbrot herauswürgte. Der saure Mageninhalt brannte in seinem Rachen, und er hörte, wie jemand neben seinem Kopf nach seinen Büchern trat. Doch dann entfernten sich die Schritte. Das andere Ende des Tunnels war da: Sie zogen ab.
Nach einiger Zeit richtete sich Peter stöhnend auf. Er hatte zum Glück nicht über seine Sachen gekotzt und bis auf sein Englischbuch war alles heil geblieben. Der Umschlag des Buchs hatte sich abgelöst, aber es war ohnehin schon ramponiert gewesen, und wenn er es zu Hause klebte, würde es kaum anders aussehen als zuvor.
Hätte schlimmer kommen können, dachte er, während er die Sachen wieder einräumte. Und er vermied den Gedanken, dass es erneut schlimmer kommen würde. Wenn nicht morgen, dann übermorgen oder am Tag danach. Peter hatte die Hoffnung, dass Tyler mit dem Ergebnis seiner Erziehungsarbeit zum Thema Respekt irgendwann zufrieden sein würde, schon lange aufgegeben. Er zog den verdreckten und sauer riechenden Pulli aus und steckte ihn ebenfalls zusammengeknüllt in die Tasche. Als er wieder aufsah, fiel ihm das erste Mal der Staub in der Luft auf. Er war fein und im Schatten der Backsteinmauer leicht zu übersehen, doch wo die Strahlen der Sonne hinfielen, wirbelten die winzigen Punkte im Wind.
Peter setzte sich nur langsam in Bewegung. Es gab etwas, das ihm noch größere Bauchschmerzen bescherte als die Tritte von Tyler und seinem Gefolge, und das wartete zu Hause am Küchentisch. Als die Straße, in der er wohnte, rechts in Richtung Siedlung abzweigte, bog er einfach nicht ab. Stattdessen lief Peter weiter die Mauer entlang und beschleunigte seine Schritte, je weiter er vom Heimweg abwich.
Seine Mutter würde dort sitzen und ins Leere starren, wie sie es manchmal stundenlang tat. Seine Spasti-Mama. Vielleicht mit einer Tüte voller Einkäufe neben sich. Wenn sie die Tür hörte, würde sie aufspringen und so tun, als wäre sie gerade erst heimgekommen. Doch die Butter in der Tüte würde längst aufgeweicht und vom Rest der Einkäufe zusammengedrückt sein.
Nein, das wäre vielleicht noch vor ein paar Wochen so gewesen. Jetzt würde sie gar nicht auf die Tür reagieren, vielleicht sogar immer noch im Bett liegen, wo er sie am Morgen zurückgelassen hatte. Immer häufiger verließ sie es den ganzen Tag nicht.
Mit seinem Penner-Vater, wie Tyler höhnte, hatte das nichts zu tun, auch wenn es irgendwie zusammengehörte, wie zwei Strophen in einem Lied, die unterschiedliche Geschichten erzählten und doch in denselben Refrain mündeten: Als Peter noch klein gewesen war, war sein Vater Stammgast in dem roten Ziegelbau gewesen. Dem Hexenhäuschen, das am Rande der Siedlung, in der sie wohnten, zwischen einer Autowerkstatt und einer Tierhandlung stand. Während seine Mutter lieber einen Umweg von zehn Minuten in Kauf genommen hatte, um zum Bus zu kommen, ohne das Hexenhäuschen zu passieren, hatte es die Kinder der Siedlung geradezu magisch angezogen. Sie hatten sich aufgeregt hinter den Autoreifen vor der Werkstatt versteckt und beobachtet, wie die Gäste das Hexenhäuschen durch die Vordertür betraten, immer nur Männer. Und ab und zu war eine Frau am Hinterausgang erschienen, um eine Zigarette zu rauchen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis auch Peter eine Vorstellung davon hatte, was hinter den rot ausgeleuchteten Fenstern des Hexenhäuschens vor sich ging. Und dann hatte es wieder nicht lang gedauert, bis er unter dem Gelächter der anderen seinen Vater das erste Mal am Eingang hatte verschwinden sehen. Peter war danach nicht wieder hingegangen, und doch hatten die Kinder der Gegend ihn auf dem Laufenden gehalten über die Besuche seines Vaters. Sie hatten es mit der Diskretion und Anteilnahme im Schulhof herumgeplärrt, die Kindern zu eigen war.
Peters Vater hatte nicht mehr lange bei ihnen gewohnt, und die Aussetzer von Peters Mutter hatten erst viel später begonnen, doch irgendwie trug beides dieselbe gackernde Handschrift eines Schicksals, das Tylers Sinn für Humor besaß.
Wo die Backsteinmauer endete, begann ein kleiner Grünstreifen mit einem Kriegerdenkmal, um das manchmal gebrauchte Nadeln oder Gummis herumlagen. Für die gefallenen irischen Soldaten in zwei Weltkriegen, stand in erhabener Schrift auf dem Denkmal.
Peter setzte sich ins Gras und lehnte sich an die massive Steintafel mit den zahlreichen Namen. Tyler hatte Peter einmal hier abgepasst und ihn angefahren, er solle gefälligst Respekt haben vor dem Denkmal. Seine Grobiane hatten Peters Kopf dagegengeschlagen, bis sein Blut am Stein geklebt hatte. Tyler schien danach zufrieden, als wäre das ein stimmiges Bild.
„Peter.“
Peter erstarrte, als er die raue Stimme hörte, die diesen Namen aussprach. Niemand hier kannte diesen Namen. Peter selbst hatte ihn sich schließlich ausgesucht, als all die Dinge passiert waren, die so vieles und doch nichts geändert hatten.
„Wer ist da?“ Peter rappelte sich auf und fürchtete einen weiteren grausamen Scherz von Tylers Bande. Dieser hier hätte ihn getroffen. Aber sie konnten nichts davon wissen, denn er hatte niemandem etwas erzählt, nicht mal seiner Mutter. Es schien hier ja auch kaum Zeit vergangen zu sein, während er drüben gewesen war. Er war nach der Dunkelheit plötzlich auf dem Pausenhof aufgeschreckt, fassungslos, dass er die Heimkehr tatsächlich geschafft hatte. Er hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle fortbewegt, wo ihm zehn Tage zuvor schwarz vor Augen geworden war. Niemand hatte Notiz von ihm genommen, und Peter hatte schon Angst gehabt, dass er geerbt hatte, was immer seiner Mutter fehlte. Es war wie der Ruck gewesen, den er jedes Mal bei ihr beobachtete, wenn sie aus einem ihrer Aussetzer zurückkehrte.
Doch dann hatte er den Zustand seiner Schuluniform gesehen. Und noch realer war die verbrannte Haut an seinem Arm, seine Verletzung aus dem Feuerinferno, das Álvaros Leute angefacht und damit dem kleinen Pan das Leben genommen hatten. Die Narbe hatte er später vor den Lehrern versteckt, die ihn entgeistert fragten, was er in der Pause mit seinen Klamotten angestellt hatte.
„Du weißt nicht, wer ich bin?“
Auf zittrigen Knien trat Peter um den Stein herum und traute seinen Augen kaum mehr als zuvor seinen Ohren. Dort stand er: etwas größer als Peter selbst, blondes Stoppelhaar auf dem Kopf und ein triumphierendes Grinsen im Gesicht. Er badete im Licht, das zwischen den Bäumen zu Boden fiel, und der seltsame Staub tanzte überall um seine Gestalt.
„E-Eric“, stammelte Peter.
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