

Das kleine Kräutercafé – Waffelherzen (Alles grün 2) - eBook-Ausgabe Das kleine Kräutercafé – Waffelherzen (Alles grün 2)
Roman
— Liebestrubel und Babyglück in einem Frankfurter CaféDas kleine Kräutercafé – Waffelherzen (Alles grün 2) — Inhalt
Ein Wohlfühlroman rund um die große Liebe und die kleinen Hürden des Lebens inmitten des Dufts von frischen Waffeln im Herzen Frankfurts
„Natália hob vorsichtig den Deckel des gusseisernen Waffeleisens. Tatsächlich: Backseite und Deckel zeigten ein großes Herz, das ein kleineres Herz umspannte wie eine Blume.“
Das Frankfurter Café „Alles grün“ floriert und Kräuterköchin Natália und ihr Verlobter erwarten ihr erstes Baby. Während sie mit Kochlöffel und Geburtsvorbereitung jongliert, wird Robert von seinem Chef in der Bank massiv unter Druck gesetzt, so dass seine Gesundheit in Gefahr gerät. Natálias beste Freundin, die Tortenbäckerin Isa, muss bei ihrer Meisterprüfung über sich hinauswachsen. Eigentlich bringt die alleinerziehende Mutter nichts so leicht aus der Fassung, aber der isländische Pâtissier-Meister Rúrik lässt Isas Herz schneller schlagen und irgendwas geht immer schief.
„Dieser Roman macht nicht nur Lust auf Frankfurter Grüne Soße, er macht Lust auf Frankfurt und darauf, hinter die Kulissen dieser kontrastreichen Stadt zu blicken.“ ((Frankfurter Neue Presse))
„Die Geschichte wird sehr spannend und mit Emotionen gespickt erzählt.“ ((wodisoft.ch))
Leseprobe zu „Das kleine Kräutercafé – Waffelherzen (Alles grün 2)“
Kapitel 1
Ein blaues Wunder Natália
Montag, 2. September
„Bis heute Abend, dann bekommst du deine richtige Geburtstagsüberraschung“, versprach Natália und gab Robert einen sanften Kuss auf die Lippen. „Aber komm nicht so spät heim. Lass zur Abwechslung mal deine Kollegen die Kleinarbeit machen.“
„Ich schiebe einfach alle Tasks zu Marco“, scherzte er und zwinkerte ihr zu. Dann lief er die metallene Wendeltreppe vom Dachgarten hinab, wobei die Carbonsohlen seiner Radfahrschuhe rhythmisch darauf klapperten. Er schwang sich auf sein Rennrad und Natália sah ihm [...]
Kapitel 1
Ein blaues Wunder Natália
Montag, 2. September
„Bis heute Abend, dann bekommst du deine richtige Geburtstagsüberraschung“, versprach Natália und gab Robert einen sanften Kuss auf die Lippen. „Aber komm nicht so spät heim. Lass zur Abwechslung mal deine Kollegen die Kleinarbeit machen.“
„Ich schiebe einfach alle Tasks zu Marco“, scherzte er und zwinkerte ihr zu. Dann lief er die metallene Wendeltreppe vom Dachgarten hinab, wobei die Carbonsohlen seiner Radfahrschuhe rhythmisch darauf klapperten. Er schwang sich auf sein Rennrad und Natália sah ihm dabei nach, wie er die Berger Straße Richtung Friedberger Anlage hinabsauste.
Die Morgenluft war noch kühl und bescherte ihr in ihrem Morgenmantel eine Gänsehaut. Trotzdem tänzelte sie auf Zehenspitzen eine Runde über ihren geliebten Dachgarten. Die Holzbohlen der sich um die Hochbeete schlängelnden Wege fühlten sich angenehm rau unter ihren nackten Füßen an. Dort lugten ihr die Kirschtomaten prall und rot entgegen, von denen sie vorhin schon einige für ihr Frühstück gepflückt hatte. Die Lavendelstauden verströmten ihren unverkennbar herben Duft und lockten einige Bienen an.
Im Vorübergehen zupfte sie ein Pfefferminzblatt ab und steckte es sich in den Mund, wo es beim Kauen sein frisches Aroma entfaltete. Bei den Herbsthimbeeren, die im vertikalen Garten die Wand hinaufwuchsen, flatterten drei Zitronenfalter. Mutter, Vater und Kind?
Ihr Herzschlag beschleunigte sich und schlug bald so schnell wie das Flattern der Schmetterlingsflügel. Ob Robert und sie auch bald zu dritt sein würden? Gleich würde sie den Test machen.
Ihre Periode war schon zwei Wochen überfällig und am Samstag hatte sie den Schwangerschaftstest in der Drogerie gekauft. Aber die Durchführung hatte sie bis jetzt aufgeschoben. Fürchtete sie sich vor dem Ergebnis? Sie horchte in sich hinein. Ein Baby mit Robert? Ja, das konnte sie sich gut vorstellen. Er war der richtige Mann für sie, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers. Er würde auch ein liebevoller und engagierter Vater sein – so nett, wie er immer mit seiner Nichte Melanie umging. Und sie selbst war bereit dafür, Mutter zu werden.
Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, nur war dieser Wunsch in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten, weil sie vollauf damit beschäftigt gewesen war, sich in Deutschland eine berufliche Existenz aufzubauen. Und in früheren Jahren hatte natürlich immer der passende Mann für eine Familiengründung gefehlt. Inzwischen war sie 37 Jahre alt und ihre biologische Uhr schien dringlicher zu ticken. Ja, jetzt war der Zeitpunkt gut.
Na ja, vielleicht nicht ideal, denn Isa und sie waren mit dem florierenden Alles grün ziemlich ausgelastet. Aber Robert verdiente schließlich genug Geld, sodass sie ein wenig kürzertreten und für das Café Personal einstellen könnte.
Entschlossen eilte sie ins Bad der kleinen Dachwohnung, wo sie den Schwangerschaftstest hinter ihren Tampons versteckt hatte. Ihre Finger zitterten leicht, als sie die sperrige Pappschachtel aufriss und die Gebrauchsanleitung studierte. Die Gedanken in ihrem Kopf purzelten durcheinander und sie hatte Mühe, sich auf die Worte zu konzentrieren. Zum Glück gab es auch Bilder. Der Test schien ein Kinderspiel zu sein.
Sie entfernte die Einschweißfolie und hielt den Plastikstift mit dem blauen Deckel in der Hand, der in wenigen Minuten über ihr weiteres Leben Auskunft geben würde. Nachdem sie einigermaßen zielgenau einen Urinstrahl auf das Testpapier gerichtet hatte, setzte sie die blaue Kappe wieder auf und legte den Stift wie vorgeschrieben waagerecht auf das Badezimmerboard. Das größere der beiden Kontrollfenster im Teststift lief hellblau an und es trat eine dunkelblaue horizontale Linie hervor. Auch im kleineren Testfenster war ein blauer Strich sichtbar, wie es in der Anleitung stand. Aber würde sich im Hauptfenster ein zweiter Strich zu einem Plus bilden?
Zwei Minuten musste sie nun warten. Sie hatte das Gefühl, als würde ein ganzer Schwarm Bienen in ihrem Bauch summen. Um etwas zu tun zu haben, stürmte sie in die Küche und goss sich eine Tasse Tee ein. Der Kräuteraufguss schmeckte bitter, aber das störte sie nicht. Sie spürte in sich hinein. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie schwanger war. Seit zwei Wochen war sie seltsam aufgekratzt und schlief unruhig. Es kam ihr so vor, als wäre in ihrem Innern ein Motor angesprungen, der ihr Blut schneller durch die Adern pumpte und ihren Körper auf Hochtouren antrieb.
Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie sich ihr Uterus in eine Großbaustelle verwandelt hatte und dem Fötus seine neue Unterkunft und Nahrungsquelle einrichtete. Seit vorgestern spürt sie auch noch ein deutliches Ziehen in ihren Brüsten. Wurde da gerade die Milchbar vorbereitet? Gleich würde sie Gewissheit haben.
Sie stakste zurück ins Bad. Da prangte das Ergebnis: Ein blaues PLUS!
Ihre Mundwinkel zuckten auf und ab in einem Gefühl zwischen Freude und Fassungslosigkeit. Sie ließ sich auf den Rand der Badewanne sinken und starrte auf den magischen Plastikstift in ihren Händen. Sie war wirklich schwanger! Was würde Robert bloß davon halten? Hoffentlich würde er sich freuen. Er hatte ihr nie direkt gesagt, dass er sich ein Kind mit ihr wünschte. Sie waren um das Thema immer ein wenig herumgetänzelt. Klar, sie hatten über Verhütung gesprochen. Da Natália die Pille nicht gut vertrug, benutzte sie den Persona-Monitor, um ihre fruchtbaren Tage zu ermitteln. Wenn sie ihre roten Tage hatte, dann kam beim Sex ein Kondom zum Einsatz. Das hatten sie aber vor ungefähr einem Monat nicht getan. Waldhütte am See und spontane Leidenschaft. Da konnte man schon mal vergessen, vorher den Fruchtbarkeitscheck zu machen.
Nachdem Natália geduscht hatte, wobei sie sich ihr Haar gleich zweimal einschäumte, so sehr war sie in Gedanken, streifte sie Jeans und irgendein Shirt über und ging hinunter in die Küche des Cafés. Bereits auf der Treppe stieg ihr ein köstlicher Kuchenduft in die Nase. Isa war wie fast jeden Tag schon seit sieben Uhr am Backen.
„War wohl ein stürmischer Geburtstagsmorgen, was?“, meinte Isa mit einem verschwörerischen Lächeln.
„Woran siehst du das?“
„Du trägst dein T-Shirt auf links.“ Isa lachte.
Natália schaute an sich herunter. Tatsächlich, die Innennähte waren außen. Mit einem Kichern zog sie sich das Shirt über den Kopf und schlüpfte richtig herum wieder hinein.
„Ich will Robert für heute Abend seine Lieblingstörtchen backen“, meinte sie und band sich ihre grüne Schürze um. „Rote Johannisbeeren auf Vanillecreme mit einem Baiser-Häubchen.“
„Soll ich dir helfen?“, bot Isa an, während sie mit geübter Hand eine Torte mit Buttercreme einstrich. Isa sah mit ihrem kunstvoll am Hinterkopf zusammengesteckten Haarknoten und der adretten Bluse selbst wie eine ihrer fein modellierten Marzipanfiguren auf einer Torte aus.
„Ach, das schaffe ich schon alleine“, meinte Natália. Tatsächlich aber ließ sie das erste Blech mit den Baiser-Häubchen verbrennen. Ein Baiser sollte eigentlich ein leichter, süßer Kuss aus Eischnee und Zucker sein, aber wie im echten Leben war auch dieser Kuss eine Frage des richtigen Timings.
„Du hast die Backzeit falsch eingestellt. Was ist heute nur los mit dir?“, wollte Isa kopfschüttelnd wissen. „Du bist überhaupt nicht richtig bei der Sache.“
Natália zuckte mit den Achseln und murmelte etwas Unverständliches. Wie Isa wohl auf die Baby-Nachricht reagieren würde? Eigentlich konnte sie ihrer besten Freundin alles anvertrauen. Aber in diesem Fall wollte sie es Robert zuerst sagen. Heute Abend, passend zu seinem Geburtstag. Ein Kind im Anmarsch war doch wohl das beste Geschenk, das eine Frau ihrem Mann machen konnte, oder? Ja, sie würde den Test mit dem blauen Plus in Geschenkpapier einwickeln und ihm als Highlight überreichen. Vielleicht würde sie sogar eine festliche Schleife um ihren noch flachen Bauch binden?
Sie musste lächeln bei dem Gedanken. Aber ein kleiner sorgenvoller Schatten hing über ihrer Vorfreude. Was, wenn Robert nicht begeistert sein würde? Ein Baby krempelte alles um. Die Dachwohnung wäre jedenfalls zu klein für drei. Und ein Baby benötigte nicht nur Platz, sondern auch viel Zeit. Sie würde Robert an ihrer Seite brauchen – nicht nur für ein paar Stunden am Abend nach Dienstschluss. Hoffentlich ließ er sich nicht wieder von seiner Arbeit auffressen so wie früher.
Aber seit Robert mit ihr zusammen war, hatte er sich gewandelt. Er war wieder zum jungen Abenteurer geworden, mit dem sie lauthals lachen konnte, der neugierig war, alles an ihr zu entdecken, und dem sie sich ganz anvertrauen konnte. Die Zeiten, in denen er Tag und Nacht vor dem Computer gehangen hatte und jedem Fingerschnippen seines Chefs gefolgt war, waren endgültig vorbei. Das glaubte sie zumindest. Doch manchmal fiel Robert in seine alten Gewohnheiten zurück, absolvierte Überstunden aus diesem elenden Pflichtgefühl heraus und sie musste die Abende damit verbringen, auf ihn zu warten. In diesen Situationen fühlte Natália sich schmerzhaft zurückgesetzt und machte ihm meist eine Szene – dann ging ihr Temperament mit ihr durch, stilles Schmollen war nicht ihr Ding. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum ihm seine Arbeit bisweilen wichtiger zu sein schien, als eine schöne Zeit mit ihr zu verbringen.
Kapitel 2
Robert, der „Low Performer“ Robert
„Herr von Auerstedt hat dein Quartalsgespräch von 15 Uhr auf 11 Uhr vorgezogen“, sagte Lisette, als sie Robert die lederne Posteingangsmappe auf den Schreibtisch legte. Dabei zog der schwere Veilchenduft ihres Parfüms aus der Provence in seine Nase.
Er schnaubte, aber weniger, um das Aroma loszuwerden, sondern mehr aus Ärger. Es war typisch für seinen Chef, die Termine kurzfristig vorzuziehen. Robert hatte den Verdacht, dass es eine Taktik von Auerstedts war, um seine Mitarbeiter auf dem falschen Fuß zu erwischen und bestenfalls ungenügend vorbereitet zu überrumpeln. Der Montagmorgen war dessen Lieblingstag, um einem Untergebenen die Hölle heiß zu machen, falls der Unglückliche noch eingelullt vom Wochenende war und die Auftragsattacken nicht geschickt genug zu parieren wusste.
„Alles klar“, sagte Robert in seinem ebenmäßigen Banker-Tonfall, den er über Jahre hinweg perfektioniert hatte und der keinerlei Emotion erkennen ließ. Nur seine Augen gehorchten ihm heute nicht so recht und rollten sich unwillkürlich gen Decke. Lisette war schon seit einigen Jahren seine „PA“ – persönliche Assistentin – und kannte ihn gut genug, um seine verräterische Körpersprache zu verstehen.
„Ja, typisch Herr von A.“, raunte sie. „Soll ich deinen 10-Uhr-Call verschieben, damit du dich vorbereiten kannst?“
„Nein, das geht schon in Ordnung“, wiegelte Robert ab und spürte, wie sich seine Bauchdecke spannte. Er hatte sich gestern Nacht im Bett, als Natália schon friedlich neben ihm geschlafen hatte, ein paar Notizen gemacht, um sich auf das vierteljährliche Mitarbeitergespräch vorzubereiten. Er wusste schließlich, wie der Hase lief, und er hatte sich in puncto Arbeitsqualität nichts vorzuwerfen. Warum also knotete sich trotzdem sein Magen zusammen?
Um fünf vor elf segelte er ins Vorzimmer von Herrn von Auerstedt ein. In seinem maßgeschneiderten Anzug fühlte Robert sich ganz leger und beinahe so leichtfüßig wie ein Tänzer, auch wenn der Muskelkater in den Oberschenkeln von seiner Radtour im Taunus seine Schritte ein wenig dämpfte. Seine braunen Locken hatte er ordentlich gekämmt und mit ein wenig Gel gezähmt.
Adelheid, die langjährige PA des Chefs, thronte wie gewohnt hinter dem großen Schreibtisch und verlieh dem Vorzimmer eine Würde, die kein Innenausstatter hätte erzeugen können. Sie hob ihren Blick, als Robert eintrat, und taxierte ihn aus ihren dunklen Augen, die von noch dunkleren Brauenbögen überspannt waren. Ihr rabenschwarz gefärbtes Haar war mit viel Spray helmartig hochtoupiert. Sie verströmte die Schönheit einer Hollywood-Diva à la Ava Gardner vermischt mit der Autorität des Alters. Ihrem Blick entging nichts und ihre Macht als rechte Hand des Chefs von Auerstedt war von jedem in der Risk Analysis Division der Europäischen Zentralbank – EZB – anerkannt.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Robert“, sagte Adelheid und schenkte ihm mit ihren korallenrot geschminkten Lippen ein kurzes Lächeln. Zu allem Überfluss war heute sein 44. Geburtstag, was den Chef natürlich nicht zu besonderer Milde verleiten würde. In der EZB wurden die Geburtstage der Banker mit einem Einkaufsgutschein über 200 Euro und einer edlen Flasche Wein gewürdigt, ansonsten wurde kein Brimborium darum gemacht, das würde nur unnötig Arbeitszeit kosten und Zeit war bekanntlich Geld.
„Feiern Sie heute noch ein wenig?“, wollte Adelheid wissen.
„Ja, meine Freundin hat bestimmt etwas für mich vorbereitet“, sagte Robert und musste beim Gedanken an Natália unwillkürlich lächeln. Heute Morgen hatte sie ihn besonders zärtlich geweckt …
Schnell schob er die Erinnerung beiseite, weil er fürchtete, Adelheid mit ihrem Sphinxblick könnte seine intimen Gedanken lesen. Er nahm auf dem Besucherstuhl Platz und blätterte in der Mappe mit seinen Projektupdates und Notizen. Er hatte sich eine Strategie überlegt, wie er seinen Wunsch nach weniger Arbeitslast und Überstundenausgleich durch Freizeit dem Chef verkaufen wollte, ohne wie ein Faulpelz zu wirken.
Als Adelheid ihm mit ihren Händen, die wie von Michelangelo gemeißelt aussahen, die Geste zum Einlass gab, sprang er mit Entschlossenheit vom Stuhl und trat in die Höhle des grauen Löwen ein.
Walther von Auerstedt blickte nicht auf, als Robert hereinkam und auf dem niedrigen Besuchersessel Platz nahm, sondern fixierte seinen Bildschirm und tippte in zackiger Manier. Offensichtlich erteilte er Befehle per Mail. Robert kannte diese Nachrichten nur zu gut, die eine Backpfeife in ein höfliches „Bitte“ einkleideten. Ein zufriedenes Lächeln glitt über das glatt rasierte und gebräunte Gesicht von Auerstedts, der mehrmals in der Woche die Sonne auf dem Golfplatz genoss, während er mit links dicke Deals einlochte und mit rechts dünne Frauen verführte. Seine Macht und guten Manieren machten ihn für die meisten der Mitspieler auf dem Marktplatz für Geld und Genuss unwiderstehlich.
„Guten Morgen, Robert. Ganz ausgeschlafen?“, fragte von Auerstedt unter gesenkten Lidern, während er immer noch seinem Bildschirm mehr Aufmerksamkeit schenkte als seinem Untergebenen. Aber die Begrüßungsfloskel war schon eine Fangfrage: Wenn er ganz ausgeschlafen wäre, dann wäre er ein Faulpelz, wenn er es nicht war, dann womöglich müde und nicht leistungsfähig.
Robert hielt kurz die Luft an, bevor er antwortete. „Der frühe Vogel fängt den Wurm, nicht wahr?“, sagte er und ließ die angestaute Luft in einem künstlichen Lachen entweichen.
Nun fixierte von Auerstedt ihn intensiv, zog seine grauen Augenbrauen hoch und stimmte mit einem röhrenden Lachen ein, bei dem seine makellos gebleichten Zähne aufblitzten.
„Dann wollen wir mal Ihre Performance-Evaluation durchgehen“, sagte der Chef, dessen Gesicht sich verdüsterte, während er ein Dossier aufklappte. „Robert Habermann: Supervisor der Sektion Strategic Risk Analysis“, verlas von Auerstedt mit einem fragenden Unterton in der Stimme, der die Position seines Mitarbeiters zur Diskussion zu stellen schien. Robert kannte selbstverständlich die Excel-Auswertung seiner Arbeitsleistung: Unbestechliche Zahlen gaben Auskunft darüber, wie viele Stunden Robert gearbeitet hatte, wie viele Tasks er geschlossen, Analysen präsentiert, Meetings er besucht hatte und vieles mehr. Nicht in dieser Aufstellung befanden sich jedoch die unzähligen Gesten, vermittelnden Worte und Verhandlungen mit Kollegen, die einer guten Lösung immer vorausgingen.
„Wie man sieht, zeigt Ihre Kurve in diesem Jahr einen stetig abfallenden Verlauf“, sagte von Auerstedt und seine Mundwinkel senkten sich in selber Weise. Er hielt ein Säulendiagramm vor seine Brust, das die „Performance“ Roberts zeigte, und tatsächlich wurden die Balken jeden Monat kleiner.
„Ja, ich habe in letzter Zeit kaum noch neue Überstunden gemacht“, gab Robert zu. Der Grund dafür war natürlich Natália. Bevor sie in sein Leben geweht war wie ein Sturm, der sein Innerstes nach außen kehrte, hatte er keinen Grund gehabt, abends pünktlich nach Hause zu gehen. Nun aber konnte er es kaum erwarten, seinen Bankeranzug abzustreifen und sie in ihrer grünen Oase in die Arme zu schließen. Das Wort „Feierabend“ hatte eine gänzlich neue Bedeutung für ihn gewonnen. In Natálias Gegenwart fühlte sich sein Leben wie eine Feier an.
„Warum?“, fragte von Auerstedt. „Sind Sie nicht ausgelastet oder erledigen Sie Ihre Aufgaben nur mit halber Kraft?“
Robert spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pulsierte. „Ich erledige meine Aufgaben mit vollem Einsatz und innerhalb meiner regulären Arbeitszeit. Meine Ergebnisse sind nicht zu beanstanden.“
Heute war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, den Antrag auf drei Wochen Urlaub einzureichen. Natália träumte seit Monaten davon, dass sie beide endlich auf die Atlantikinsel Madeira flogen. „Die Pflanzenwelt soll dort einzigartig sein“, hatte sie mit leuchtenden Augen geschwärmt, „das Klima sehr mild und die Erde fruchtbar. Wir können im Meer baden und an den Levadas wandern gehen.“ Er hatte ihr versprochen, dass sie im Oktober endlich dorthin reisen würden.
Sein Blick fiel auf die ausladende Zimmerpflanze beim Fenster, die wegen ihrer großen Blätter Elefantenohr genannt wurde, wie er von Natália wusste. Sie kannte die Büros auf der 33. Etage noch aus ihrer Zeit als Putzkraft in diesem Haus. Von Auerstedts Büro hatte sie nie leiden können, bis auf die Elefantenohrpflanze. Alles, was grün war und wuchs, eroberte ihr Herz.
„Es liegt an dieser Frau mit dem grünen Café, nicht wahr?“, riss ihn die Stimme des Chefs aus seinen Gedanken. „Ihre Verlobte?“
Robert hatte seiner geliebten Natália die Frage aller Fragen noch nicht gestellt, aber er verbesserte von Auerstedt nicht. „Ja, das stimmt. Durch meine Partnerin haben sich meine Prioritäten verschoben und ich strebe eine Work-Life-Balance an.“
Diese sogenannte „Work-Life-Balance“ war ein Modewort der Personalentwickler. Damit sollte dem potenziell ausgebrannten Mitarbeiter das gute Recht auf ein wenig Freizeit und Erholung eingeräumt werden. Allerdings war ein Familienleben damit nicht gemeint. Von den Bankern in Führungspositionen so wie Robert wurde erwartet, dass sie mit ihrem Job verheiratet waren. Für die gesundheitliche Balance gab es ein Gym und eine Sauna im Haus. Sogar Yoga-Kurse wurden inhouse angeboten. So musste ein Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz gar nicht verlassen und konnte nach einem kleinen Work-out noch eine Nachtschicht an seinem Schreibtisch einlegen. Auf diese Art hatte Robert es auch jahrelang gemacht. Immer mit dem Ziel des beruflichen Aufstiegs vor Augen.
„Ich habe Sie stets gefördert und viel Vertrauen in Sie gesetzt, Robert“, sagte von Auerstedt nun in einem gönnerhaften Ton, „ich habe Sie die Karriereleiter aufsteigen lassen.“
Dieser selbstgefällige Sack stellte es so dar, als hätte Robert seinen Aufstieg nicht der eigenen Arbeit zu verdanken, sondern alleine dem Steigeisen seines Chefs. Unwillkürlich verkrampfte sich Roberts Hand um die Armlehne des Stuhls. Damit sein Zorn sein Gegenüber nicht durch die Augen ansprang, senkte er den Blick, der sich im Briefbeschwerer auf dem Tisch verfing. Dieses Designobjekt aus weißem Porzellan in Form einer geöffneten Hand kam ihm heute besonders heuchlerisch vor. Diese Hand in der Geste des Gebens und der Großzügigkeit war in Wirklichkeit eine Hand, die raffen wollte und alles einsackte, was unverdient vom Himmel fiel. Es war eine Hand, die schnell zupacken konnte, die sich blitzschnell in eine Kralle mit Würgegriff oder in eine Faust verwandeln konnte.
„Ehrlich gesagt bin ich enttäuscht von Ihnen, Robert. Ihre Arbeitsmoral hat sehr gelitten und auch Ihre Leistungen“, sagte von Auerstedt nun und schüttelte traurig seinen Kopf. Die Hand hatte nach Roberts Gurgel geschnappt und drückte zu.
Er räusperte sich. „Woran machen Sie das fest?“, wollte er wissen.
Sein Vorgesetzter deutete stumm auf die Grafiken im Dossier. Ja, Roberts Leistungskurve ging bergab, das konnte jeder sehen. „Aber ich gebe Sie so schnell nicht auf“, sagte von Auerstedt jovial. „Sie bekommen die Chance, wieder Ihre wahren Qualitäten zu zeigen.“
Robert schwieg und biss die Zähne zusammen. Er ahnte, was nun kommen würde.
„Im Follow-up-Projekt zur Brexit-Analyse II wird noch ein Teammitglied aus meiner Abteilung benötigt. Helmut Greven ist wieder der Projektmanager. Mit ihm haben Sie ja schon öfter zusammengearbeitet.“ Der Chef trommelte mit seinen manikürten Fingern auf die Tischplatte. „Sehen Sie sich dieser Herausforderung gewachsen?“
Nein! Ich will nicht in dieses verdammte Projekt, schrie Robert innerlich. Das bedeutete mindestens ein Jahr lang wieder Hunderte von Überstunden. Genüssliche Feierabende oder gar Urlaub mit Natália könnte er sich dann erst mal abschminken.
„Ja, selbstverständlich bin ich dieser Aufgabe gewachsen“, hörte Robert sich sagen. Seine Stimme erklang wie aus weiter Ferne.
Von Auerstedt lächelte schmallippig und in seinen Augen funkelte die Genugtuung eines Herrschers.
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