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Big History

David Christian
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Die Geschichte der Welt - Vom Urknall bis zur Zukunft der Menschheit

„Eine faszinierende kosmologische Detektivgeschichte, die uns verstehen lässt, wie alles zusammenhängt. Und eine atemberaubende moderne Ursprungsgeschichte, die mit einem Ausblick auf die Zukunft endet, in der wir endlich die Verantwortung für den Planeten übernehmen müssen.“ - dieniederoesterreichin.at (A):

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Big History — Inhalt

Alles, was Sie über Kosmologie, Geologie, Archäologie und Evolutionsbiologie wissen müssen!

„Mein absoluter Lieblingsgeschichtskurs.“ Bill Gates

David Christian, Begründer der Big History, erzählt die Geschichte der Welt in acht Akten: von der Entstehung des Lebens bis zur Fotosynthese, von der Sprache bis zum menschengemachten Klimawandel. Sein Buch ist eine brillante Synthese der Erkenntnisse aus Physik, Chemie, Biologie, Geologie und Archäologie. Eine faszinierende kosmologische Detektivgeschichte, die uns verstehen lässt, wie alles mit allem zusammenhängt. Und eine atemberaubende moderne Ursprungsgeschichte, die mit einem Ausblick auf die Zukunft endet, in der wir endlich die Verantwortung für den Planeten übernehmen müssen.

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 02.03.2020
Übersetzt von: Hainer Kober
384 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-24255-4
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Leseprobe zu „Big History“

VORWORT
Wir erzählen Geschichten, um den Dingen einen Sinn zu geben. Das
liegt uns im Blut.
Lia Hills, „Return to the Heart“

Das Projekt einer modernen Ursprungsgeschichte liegt in der Luft. Für
mich begann sie mit einem Kurs über die Geschichte von allem, den
ich 1989 an der Macquarie University in Sydney zum ersten Mal gab.
Damals lehrte und forschte ich über russische und sowjetische Geschichte.
Aber ich befürchtete, ein weiterer Kurs über nationale oder
imperiale Geschichte würde wieder nur die unterschwellige Botschaft
vermitteln, die Menschheit sei [...]

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VORWORT
Wir erzählen Geschichten, um den Dingen einen Sinn zu geben. Das
liegt uns im Blut.
Lia Hills, „Return to the Heart“

Das Projekt einer modernen Ursprungsgeschichte liegt in der Luft. Für
mich begann sie mit einem Kurs über die Geschichte von allem, den
ich 1989 an der Macquarie University in Sydney zum ersten Mal gab.
Damals lehrte und forschte ich über russische und sowjetische Geschichte.
Aber ich befürchtete, ein weiterer Kurs über nationale oder
imperiale Geschichte würde wieder nur die unterschwellige Botschaft
vermitteln, die Menschheit sei hoffnungslos in rivalisierende Stämme
zerstritten. War das eine hilfreiche Botschaft in einer Welt voller Kernwaffen?
Mir ist noch lebhaft im Gedächtnis, dass ich als Schüler während
der Kubakrise dachte, wir stünden am Rande einer Apokalypse
und uns drohe eine totale Vernichtung. Ich weiß, dass ich mich fragte,
ob die Jugendlichen „drüben“ in der Sowjetunion genauso viel Angst
hatten. Schließlich waren auch sie Menschen. Als Kind hatte ich in
Nigeria gelebt. Das hatte mir das intensive Gefühl vermittelt, einer einzigen
außerordentlich vielfältigen menschlichen Gemeinschaft anzugehören
– ein Gefühl, das noch verstärkt wurde, als ich im Jugendalter das
Atlantic College, eine internationale Schule in South Wales, besuchte.
Mehrere Jahrzehnte später, als Historiker, begann ich darüber nachzudenken,
wie man eine einheitliche Geschichte der Menschheit erzählen
könnte. Vermochte ich das gemeinsame Erbe aller Menschen zum Gegenstand meiner Lehrveranstaltungen zu machen, um darüber so
begeistert und ergriffen zu berichten wie über die Nationalgeschichten?
Ich gewann die Überzeugung, dass wir eine Geschichte bräuchten, in
der unsere paläolithischen Vorfahren und neolithische Bauern eine
ebenso gewichtige Rolle spielten wie die Herrscher, Eroberer und Kaiser,
die die Inhalte unseres Fachs bisher so nachhaltig beherrscht
hatten.
Nach und nach begriff ich, dass das keine besonders originellen
Ideen waren. 1986 vertrat der namhafte Welthistoriker William McNeill
die Ansicht, die Beschäftigung mit den „Triumphen und Tragödien der
Menschheit als Ganzer“ sei „die moralische Pflicht der historischen
Zunft in unserer Zeit“1. Noch früher verfasste H. G. Wells im gleichen
Geist eine Geschichte der Menschheit als Reaktion auf das Blutbad des
Ersten Weltkriegs.
Wie wir alle wissen, kann es heute keinen anderen Frieden als
einen gemeinsamen und weltweiten Frieden, keinen anderen
Wohlstand als einen allgemeinen Wohlstand geben. Aber es kann
keinen gemeinsamen Frieden und Wohlstand geben ohne gemeinsame
historische Ideen … Mit nichts als nationalistischen
Traditionen voller Engstirnigkeit, Selbstsucht und Feindseligkeit
bleibt für die Rassen und Völker kein anderer Weg als der ins
Verderben.2
Wells hat noch etwas anderes verstanden: Wenn man die Geschichte
der Menschheit lehren möchte, muss man die Geschichte von allem
lehren. Deshalb hat sich seine Geschichte unserer Welt in eine Geschichte
des Universums verwandelt. Um die Geschichte der Menschheit zu verstehen,
müssen wir begreifen, wie sich eine so seltsame Art entwickelte,
das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung des Lebens auf dem
Planeten Erde erfahren, das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung
des Planeten Erde erfahren, das heißt, wir müssen etwas über die Entwicklung von Sternen und Planeten erfahren, und das heißt letztlich,
wir müssen etwas über die Entwicklung des Universums erfahren.
Heute können wir diese Geschichte mit einer Genauigkeit und wissenschaftlichen
Zuverlässigkeit erzählen, die zu der Zeit, als Wells schrieb,
undenkbar war.
Wells bemühte sich um eine Vereinheitlichung des Wissens – ein
Wissen, das sowohl die Disziplinen als auch die Menschen als Einheiten
begriff. Alle Ursprungserzählungen vereinheitlichen Wissen, sogar diejenigen
nationalistischer Geschichtsschreiber. Die umfassendsten von
ihnen führen uns durch viele Zeiträume und konzentrische Kreise der
Erkenntnis und der Identität – vom Selbst zur Familie und zur Sippe,
zur Nation, zur Sprachgruppe oder Religionszugehörigkeit, zu den riesigen
Kreisen der Menschheit und des Lebens und schließlich zu der
Vorstellung, dass wir Teil eines ganzen Universums oder Kosmos sind.
Doch in den letzten Jahrhunderten haben vermehrte interkulturelle
Kontakte gezeigt, wie tief Ursprungsgeschichten und Religionen in
lokalen Traditionen und Umwelten verwurzelt sind. Deshalb hat die
Globalisierung und Verbreitung neuer Ideen den Glauben an traditionelles
Wissen untergraben. Selbst wahre Gläubige begannen zu erkennen,
dass es viele unterschiedliche Ursprungsgeschichten gibt. Gelegentlich
reagierten die Menschen mit aggressiver, sogar gewalttätiger
Verteidigung ihrer religiösen, tribalen oder nationalen Traditionen.
Doch viele verloren einfach ihre Religion und Überzeugung und mit
diesen ihre innere Orientierung, das Wissen um ihre Stellung im Universum.
Dieser Verlust des Glaubens ist eine Erklärung für die weitverbreitete
Anomie, das Gefühl von Ziel- und Sinnlosigkeit und sogar Verzweiflung,
das im 20. Jahrhundert Literatur, Kunst, Philosophie und
Geisteswissenschaft so nachhaltig prägte. Vielen bot der Nationalismus
ein Gefühl der Zugehörigkeit, doch heute, im Zeichen einer global vernetzten
Welt, ist unübersehbar, dass der Nationalismus die Menschheit
trennt, mag er die Bürger eines bestimmten Landes auch vereinen.
Ich habe dieses Buch in der optimistischen Überzeugung geschrieben, dass wir Menschen der Moderne nicht zu einem chronischen
Zustand der Zersplitterung und Sinnlosigkeit verurteilt sind. Heute bildet
sich eine neue, globale Ursprungsgeschichte heraus, die genauso
sinnhaft, ehrfurchtgebietend und geheimnisvoll wie jede traditionelle
Ursprungsgeschichte ist, sich dabei aber im Unterschied zu diesen auf
viele moderne wissenschaftliche Erkenntnisse einer großen Zahl von
Disziplinen stützt.3 Diese Geschichte ist keineswegs vollständig und bedarf
der Ergänzung durch ältere Ursprungsgeschichten, aus denen wir
lernen können, wie man gut und nachhaltig lebt. Aber sie hat ihre
Daseinsberechtigung, weil sie sich auf ein globales Erbe sorgfältig überprüfter
Informationen und Erkenntnisse beruft und weil sie die erste
Ursprungsgeschichte ist, die menschliche Gesellschaften und Kulturen
unseres ganzen Planeten berücksichtigt. Sie ist ein kollektives und globales
Projekt, eine Geschichte, die in Buenos Aires genauso wie in
Peking, in Lagos genauso wie in London Gehör finden dürfte. Heute
haben sich viele Wissenschaftler und Forscher der faszinierenden Aufgabe
verschrieben, diese moderne Ursprungsgeschichte zu entwickeln
und zu erzählen. Dabei bemühen sie sich, dass ihr Werk, wie alle anderen
Ursprungsgeschichten, ein Gefühl der Orientierung und Gemeinsamkeit
vermittelt, nur eben für die globalisierte Welt von heute.
Ab 1991 verwendete ich den Begriff Big History 4 – „Große Geschichte
“ oder Gesamtgeschichte. Erst als das Projekt allmählich Gestalt annahm
und Nachahmer fand, wurde mir bewusst, dass ich versuchte, die
Grundrisse einer globalen Ursprungsgeschichte herauszuarbeiten.
Heute wird Gesamtgeschichte an Universitäten in vielen verschiedenen Teilen
der Welt gelehrt, und durch das Big History Project mittlerweile auch
an vielen Schulen unterrichtet.
Wir werden dieses neue Verständnis der Vergangenheit brauchen,
um uns den enormen Herausforderungen und Chancen des 21. Jahrhunderts
gewachsen zu zeigen. Das vorliegende Buch ist mein Versuch,
eine aktualisierte Version dieser gewaltigen, komplexen, schönen und
beflügelnden Geschichte zu erzählen.

EINLEITUNG
Die Formen, die kommen und gehen – von denen euer Leib nur eine
ist –, sind das Zucken meiner tanzenden Glieder. Erkenne mich in
allem, und wovor sollst du dich fürchten?
Dem Hindugott Shiva zugeschriebene Worte
In: Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten1

Ungefragt kommen wir in dieses Universum, zu einer Zeit und an
einen Ort, über die wir nicht entscheiden können. Einige kurze Augenblicke
lang reisen wir mit anderen Menschen, mit unseren Schwestern
und Brüdern, mit unseren Kindern, mit Freunden und Feinden. Wir
sind auch mit anderen Lebensformen unterwegs, mit Bakterien und
Bonobos, mit Felsen und Ozeanen und Morgenröten, mit Monden und
Meteoren, Planeten und Sternen, mit Quarks und Photonen, Supernovae
und Schwarzen Löchern und mit leeren Räumen unvorstellbaren
Ausmaßes. Die Gesellschaft der Reisenden ist vielfältig, bunt, lärmend
und geheimnisvoll, und obwohl wir Menschen sie irgendwann
verlassen werden, wird sie weiterziehen. In einer fernen Zukunft werden
sich ihr andere Reisende anschließen und sie wieder verlassen.
Doch irgendwann wird sie ausdünnen. Nach Myriaden von Jahren
wird sie sich verflüchtigen wie ein Gespenst in der Morgendämmerung,
sich auflösen in dem Meer von Energie, aus dem sie einst entstand.
Was ist das für eine merkwürdige Menge, mit der wir reisen? Welche
Stellung haben wir in ihr? Woher kommt sie, wohin zieht sie und wie
wird sie schließlich verschwinden?
Heute können wir Menschen diese Geschichte besser erzählen als
jemals zuvor. Wir vermögen mit bemerkenswerter Genauigkeit zu bestimmen,
was sich dort draußen befindet, Milliarden von Lichtjahren
von der Erde entfernt, und was sich vor Milliarden Jahren ereignet hat.
Dazu sind wir in der Lage, weil unserem Erkenntnisdrang heute viel
mehr Puzzleteile zur Verfügung stehen als früher, sodass wir uns eine
viel bessere Vorstellung vom Gesamtbild machen können. Das ist eine
erstaunliche und recht junge Errungenschaft. Viele Teile unserer Ursprungsgeschichte
sind erst zu meinen Lebzeiten entdeckt worden.
Zum Teil verdanken wir es unseren großen Gehirnen, dass wir diese
umfassenden Karten des Universums anlegen können, denn wie viele
Organismen verwenden wir unsere Gehirne, um innere Karten von der
Welt zu entwerfen. Diese Karten erzeugen eine Art virtueller Realität,
mit deren Hilfe wir uns orientieren können. Nie können wir die Welt
unmittelbar in allen ihren Einzelheiten sehen. Aber wir sind fähig, einfache
Karten einer unfassbar komplizierten Wirklichkeit anzufertigen,
und wir wissen, dass diese Karten wichtigen Aspekten der Wirklichkeit
entsprechen. Das übliche Diagramm der Londoner U-Bahn lässt die
meisten Kurven der Strecke außer Acht, hilft den meisten Reisenden
aber trotzdem, ihren Weg durch die Stadt zu finden. Dieses Buch bietet
eine Art U-Bahn-Karte des Universums.
Was den Menschen von allen anderen intelligenten Arten unterscheidet,
ist die Sprache, ein Kommunikationswerkzeug, das so außerordentlich
leistungsfähig ist, weil wir dank seiner unsere individuellen
Weltkarten miteinander teilen und auf diese Weise Karten erzeugen
und miteinander vergleichen konnten, die viel größer und detaillierter
sind als die Erzeugnisse individueller Gehirne. Durch diesen Prozess
kollektiven Lernens haben die Menschen während der zweihunderttausend
Jahre ihrer Existenz als Spezies Pixel für Pixel immer komplexere
Karten des Universums entwickelt. So kommt es, dass ein kleiner
Teil des Universums beginnt, sich selbst zu betrachten. Es ist, als öffnete
das Universum nach einem langen Schlaf ein Auge. Heute sieht dieses Auge immer neue Einzelheiten, was einer Reihe von Faktoren zu verdanken
ist: dem weltweiten Austausch von Ideen und Informationen;
der Genauigkeit und Schlüssigkeit der modernen Naturwissenschaft;
neuen Forschungstechniken, von hochenergetischen Teilchenbeschleunigern
bis zu Weltraumteleskopen; und Computernetzen, die unvorstellbare
Zahlenmengen verarbeiten können.
Der Geschichte dieser Karten verdanken wir die großartigste Erzählung,
die Sie sich vorstellen können.
Als Kind konnte ich nichts verstehen, was ich nicht in irgendeine Karte
einordnen konnte. Wie viele Menschen versuchte ich, die vielen Wissensgebiete
zu verknüpfen, mit denen ich mich beschäftigte. Literatur
hatte nichts mit Physik zu tun; zwischen Philosophie und Biologie
konnte ich ebenso wenig einen Zusammenhang erkennen wie zwischen
Religion und Mathematik oder zwischen Wirtschaftswissenschaft und
Ethik. Ich suchte nach einem übergeordneten Bezugssystem, nach einer
Art Weltkarte der verschiedenen Kontinente und Inseln menschlichen
Wissens; ich wollte erkennen, wie das alles zusammenpasste. Traditionelle
religiöse Erzählungen halfen mir wenig, denn da ich als Kind in
Nigeria gelebt hatte, war mir schon sehr früh klar geworden, dass Religionen
sich zu häufig widersprechen, um zu erklären, wie die Welt zu
dem wurde, was sie ist.
Heute entsteht in unserer globalisierten Welt ein neues Bezugssystem.
Es wird von Tausenden von Menschen aus verschiedenen wissenschaftlichen
Disziplinen und einer Vielzahl von Ländern kollektiv entworfen,
entwickelt und publik gemacht. Wenn wir alle diese Einsichten
zusammenfassen, können wir unter Umständen Dinge wahrnehmen,
die innerhalb der Grenzen einer bestimmten Disziplin nicht zu erkennen
sind. Wir betrachten die Welt von einem Berggipfel und nicht vom
Boden aus. Wir sehen die Verbindungen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen
Landschaften, daher können wir gründlicher über allgemeine
Themen nachdenken, etwa das Wesen von Komplexität, Leben oder auch unsere eigene Art! Heute erforschen wir den Menschen aus
dem Blickwinkel vieler verschiedener Disziplinen (Anthropologie, Biologie,
Physiologie, Primatologie, Psychologie, Linguistik, Geschichte,
Soziologie), aber die Spezialisierung erschwert es dem einzelnen Forscher
erheblich, so viel Abstand zu gewinnen, dass er die Menschheit
als Ganzes sieht.
Die Suche nach Ursprungsgeschichten, die verschiedene Wissensgebiete
miteinander verbinden können, ist so alt wie die Menschheit. Ich
stelle mir gern eine Gruppe von Menschen vor, die vor vierzigtausend
Jahren bei Sonnenuntergang um ein Feuer herumsaß. Ich sehe sie am
Südufer des Lake Mungo in der Willandra-Seenregion von New South
Wales, wo die ältesten menschlichen Überreste Australiens gefunden
wurden. Heute leben dort die Paakantji, Ngyiampaa und Mutthi Mutthi,
aber wir wissen, dass seit mindestens fünfundvierzigtausend Jahren
Menschen in dieser Region leben.
1992 wurden die 1968 von Archäologen entdeckten Überreste eines
Vorfahren (des sogenannten Mungo 1) endlich an die lokale Aborigines-
Gemeinschaft zurückgegeben. Es handelt sich um eine junge Frau,
die teilweise verbrannte.2 Einen halben Kilometer entfernt wurden die
Überreste eines weiteren Menschen gefunden (Mungo 3), wahrscheinlich
ein Mann, der mit ungefähr fünfzig Jahren starb. Er hatte an Arthritis
gelitten und wies zahlreiche beschädigte Zähne auf, vermutlich
weil er Pflanzenfasern durch seine Zähne gezogen hatte, um Netze oder
Schnüre anzufertigen. Sein Körper war achtsam und ehrerbietig bestattet
worden, nachdem man ihn aus einer Entfernung von zweihundert
Kilometern herbeigeschafft und mit rotem Ockerpuder bestreut hatte.
Beide Menschen starben vor rund vierzigtausend Jahren, als die heute
ausgetrockneten Willandra-Seen noch voller Wasser, voll von Fischen
und Schalentieren waren und eine Vielzahl von Vögeln und Tieren anlockten,
die gejagt oder in Fallen gefangen werden konnten.3
Kehren wir zu den fiktiven Gesprächen in der Abenddämmerung
am Feuer zurück. Dort finden wir Mädchen und Jungen, ältere Männer und Frauen, Eltern und Großeltern, einige in Felle gewickelt und Babys
wiegend. Kinder jagen sich am Seeufer, während die Erwachsenen ihre
Mahlzeit aus gebratenen Wurzelknollen, Witchetty-Maden und Waransteaks
beenden. Allmählich wendet sich das Gespräch ernsteren Themen
zu und wird zunehmend von den älteren Leuten bestimmt. Wie an
so vielen langen Sommertagen und Winternächten erzählen die Alten,
was sie von ihren Vorfahren und Lehrern erfahren haben. Sie stellen die
Art von Fragen, die mich seit jeher faszinieren: Wie hat die Landschaft
mit ihren Hügeln und Seen, ihren Tälern und Schluchten Gestalt angenommen?
Woher kommen die Sterne? Wann haben die ersten Menschen
gelebt, und woher kamen sie? Oder waren wir schon immer da?
Sind wir mit Waranen, Wallabys und Emus verwandt? (Auf letztere
Frage antworten sowohl die Menschen vom Lake Mungo wie die
moderne Wissenschaft mit einem entschiedenen „Ja!“) Die Erzähler
lehren Geschichte. Sie berichten über mächtige Kräfte und Wesen, die
in ferner Vergangenheit unsere Welt erschufen.
Diese Erzählungen erstrecken sich über viele Nächte und Tage und
beschreiben die paradigmatischen Ideen und Mythen der Menschen
am Lake Mungo. Das sind die Ideen mit langem Atem, die Ideen, die
Jahrhunderte überdauern. Sie fügen sich zu einem riesigen Mosaik von
Informationen über die Welt zusammen. Einige Kinder finden Teile der
Geschichte zu schwierig, um sie beim ersten Mal zu verstehen. Aber sie
hören die Geschichten oft und in unterschiedlichen Versionen, und sie
gewöhnen sich an sie und ihren tieferen Sinn. Wenn die Kinder älter
werden, verinnerlichen sie die Geschichten. Sie lernen sie besser kennen
und wissen ihre Schönheiten, Feinheiten und Bedeutungen zu
schätzen.
Wenn die Menschen über Sterne, Landschaften, Wombats und Wallabys
oder über die Welt der Vorfahren sprechen, entwerfen die Lehrer
eine gemeinsame Karte, die den Mitgliedern der Gemeinschaft das Verständnis
erleichtert, die ihnen zeigt, wo ihr Platz in einem vielfältigen,
schönen und manchmal schrecklichen Universum ist: Dies seid Ihr;dies ist, woher ihr kommt; dies sind die, die es gab, bevor ihr geboren
wurdet; dies ist das Ganze, von dem ihr ein kleiner Teil seid; dies sind
die Pflichten und Aufgaben, die euch aus dem Leben in einer Gemeinschaft
mit anderen wie euch selbst erwachsen. Die Geschichten haben
große Macht über die Menschen, weil man ihnen vertraut. Sie fühlen
sich wahr an, weil sie auf dem erprobten Wissen beruhen, das von den
Vorfahren über viele Generationen weitergegeben wurde. Immer wieder
wurde es auf Richtigkeit, Plausibilität und Schlüssigkeit überprüft,
wobei man sich der reichen Erkenntnisse über Menschen, Sterne,
Landschaften, Pflanzen und Tiere bediente, die die Mungogemeinschaft,
ihre Vorfahren und ihre Nachbarn erworben hatten.
Wir können alle von den Karten profitieren, die unsere Vorfahren
anlegten. Der französische Soziologe Émile Durkheim vertrat die Ansicht,
dass die Karten, die sich in den Ursprungsgeschichten und Religionen
verbergen, von entscheidender Bedeutung für unsere Selbstwahrnehmung
sind. Ohne sie könnten wir von einem Gefühl der Verzweiflung
und Sinnlosigkeit überwältigt werden, das gelegentlich in
den Selbstmord führe. Kein Wunder, dass fast alle Gesellschaften, die
wir kennen, die Ursprungsgeschichten in den Mittelpunkt ihrer Erziehung
gestellt haben. In der Steinzeit lernten die Jungen die Ursprungserzählungen
von den Älteren, so wie die Gelehrten später die zentralen
Erzählungen
des Christentums, Islams und Buddhismus an den Universitäten
von Paris, Oxford, Bagdad und Nalanda studierten.
Doch merkwürdigerweise fehlt im modernen Bildungswesen eine
überzeugende Ursprungsgeschichte, die alle Erkenntnisbereiche miteinander
verbindet. Das könnte zumindest teilweise erklären, warum
das von Durkheim beschriebene Gefühl der Orientierungslosigkeit und
Vereinzelung heute überall auf der Erde spürbar ist, in Delhi oder Lima
genauso wie in Lagos oder London. In einer global vernetzten Welt
werben so viele lokale Herkunftserzählungen um das Vertrauen und
die Aufmerksamkeit der Menschen, dass sich die Geschichten gegenseitig
entwerten. Daher konzentriert sich das moderne Bildungswesen überwiegend auf Teile der Geschichte, sodass die Schüler ihre Welt
nur durch einzelne Disziplinen kennenlernen. Zum Lernstoff heutiger
Schüler gehören Dinge, die unseren Vorfahren am Lake Mungo völlig
fremd waren – von der Infinitesimalrechnung über moderne Geschichte
bis zu Programmiersprachen. Doch im Unterschied zu den Menschen
am Lake Mungo wird selten von uns verlangt, das Wissen zu einer einzigen,
zusammenhängenden Erzählung zu vereinigen, ähnlich wie die
Globen in altmodischen Klassenzimmern Tausende von lokalen Karten
zu einer einzigen Weltkarte zusammenfassten.

Eine moderne Ursprungsgeschichte
Und doch … stückweise bildet sich eine moderne Ursprungsgeschichte
heraus. Wie die Geschichten, die am Lake Mungo erzählt wurden, ist
auch unsere moderne Ursprungserzählung von unseren Vorfahren entworfen
und dann im Laufe vieler Generationen und Jahrtausende
immer wieder kritisch betrachtet und überprüft worden.
Natürlich unterscheidet sie sich von den meisten traditionellen
Ursprungserzählungen. Was zum Teil daran liegt, dass sie nicht einer
bestimmten Region oder Kultur zu verdanken ist, sondern einer globalen
Gemeinschaft von mehr als sieben Milliarden Menschen, daher
bezieht sie ihr Wissen aus allen Teilen der Welt. Sie ist eine Ursprungserzählung
für alle modernen Menschen, und sie stützt sich auf die globalen
Traditionen der modernen Naturwissenschaft.
Anders als viele traditionelle Ursprungserzählungen weist die moderne
Version keinen Schöpfergott auf, obwohl ihre Energien und Teilchen
nicht weniger übernatürlich erscheinen als viele traditionelle
Ursprungsgeschichten. Wie in den Erzählungen des Konfuzianismus
oder des frühen Buddhismus geht es in der modernen Ursprungsgeschichte
auch um ein Universum, das einfach ist. Jeder darüber hinausgehende
Sinn oder Zweck wird ihm von uns Menschen zugeschrieben.
„Was ist der Sinn des Universums?“ fragt Joseph Campbell, ein Mythenforscher
und Religionswissenschaftler. „Was ist der Sinn eines Flohs?
Er ist einfach da, das ist es; und das ist auch sein Sinn, einfach da zu
sein.“4
Die Welt der modernen Ursprungserzählung ist instabiler, unruhiger
und weit größer als die Welten vieler traditioneller Ursprungsgeschichten.
Diese Eigenschaften verweisen auf die Grenzen der modernen
Ursprungsgeschichte. Obwohl von globaler Geltung, ist sie noch
sehr jung, gewissermaßen im Rohzustand, mit einigen blinden Flecken
der Jugend. Sie entwickelte sich zu einer ganz bestimmten Zeit in der
menschlichen Geschichte, daher ist sie von den dynamischen und möglicherweise
destabilisierenden Traditionen des modernen Kapitalismus
geprägt. Das erklärt, warum sie in vielerlei Hinsicht die nötige Sensibilität
für die Biosphäre vermissen lässt, die wir von den Ursprungsgeschichten
indigener Völker überall auf der Erde kennen.
Das Universum der modernen Geschichte ist ruhelos, dynamisch, in
Bewegung und riesig. Der Geologe Walter Alvarez erinnert uns daran,
indem er fragt, wie viele Sterne es enthält. Die meisten Galaxien umfassen
etwa 100 Milliarden Sterne, und es gibt mindestens ebenso viele
Galaxien im Universum. Daraus folgt, dass es (tief Atem holen!) mindestens
10 000 000 000 000 000 000 000 (1022) Sterne im Universum
gibt.5 Ende 2016 haben neuere Beobachtungen gezeigt, dass es wohl
sehr viel mehr Galaxien im Universum gibt – Sie dürfen also gern noch
ein paar Nullen an diese Zahl dranhängen. Unsere Sonne ist nur ein
ganz gewöhnliches Mitglied dieser riesigen Gruppe.
Die moderne Ursprungsgeschichte ist keineswegs vollständig. Sie
befindet sich noch im Bau. Neue Abschnitte müssen hinzugefügt, bereits
vorhandene Teile überprüft und abgeändert, Gerüste und Abfallhaufen
entfernt werden. Und es gibt noch immer Lücken in der Geschichte,
daher wird sie – wie alle Ursprungserzählungen – niemals den
Nimbus des Geheimnisses und der Erhabenheit verlieren. Doch in den
letzten Jahrzehnten haben wir das Universum, in dem wir leben, sehr viel besser kennengelernt, ohne dass es sein Geheimnis verloren hätte,
ganz im Gegenteil. Bei Blaise Pascal lesen wir: „Wissen ist wie eine
Kugel. Je größer das Volumen, desto stärker der Kontakt mit dem Unbekannten.
“6 Die moderne Ursprungsgeschichte berichtet von dem Erbe
aller Menschen und kann uns daher auf die großen Herausforderungen
und Chancen vorbereiten, denen wir uns alle an diesem entscheidenden
Punkt in der Geschichte des Planeten Erde gegenübersehen.
Im Zentrum der modernen Ursprungsgeschichte steht die Idee
wachsender Komplexität. Wie entstand unser Universum, in dem wir
mitreisen, und wie brachte es zunächst Elemente und irgendwann
Schnabeltiere hervor? Wir wissen nicht wirklich, woraus sich das Universum
gebildet hat und ob es vor ihm schon irgendetwas gab. Aber wir
wissen, dass unser Universum, als es aus einem riesigen Energieschaum
hervorging, außerordentlich einfach war. Und Einfachheit bleibt auch
seine Grundbedingung. Schließlich ist es größtenteils ein kalter, dunkler
und leerer Raum. Trotzdem herrschten in speziellen und ungewöhnlichen
Umwelten, wie auf unserem Planeten, vollkommene Goldilocks-
Bedingungen, die wie der Brei in der gleichnamigen angelsächsischen
Kindergeschichte sind: nicht zu warm und nicht zu kalt, nicht
zu dick und nicht zu dünn, sondern genau richtig für die Entwicklung
von Komplexität.7 In diesen Goldilocks-Umwelten sind im Laufe von
vielen Milliarden Jahren immer komplexere Phänomene in Erscheinung
getreten, mit mehr beweglichen Teilen und unübersichtlicheren
inneren Beziehungen.
Komplexere Phänomene traten an entscheidenden Übergangspunkten
auf, und die wichtigsten von ihnen werde ich als Schwellen bezeichnen.
Die Schwellen geben dem komplizierten Narrativ der modernen
Ursprungsgeschichte eine Struktur. Sie verweisen auf wichtige Wendepunkte,
an denen bereits vorhandene Dinge neu angeordnet oder auf
andere Weise verändert wurden, sodass etwas Neues mit „emergenten“
Eigenschaften entstand – Besonderheiten, die es vorher noch nie gab.
Das frühe Universum hatte keine Sterne, keine Planeten und keine lebenden Organismen. Dann wurden aus Wasserstoff- und Heliumatomen
Sterne gebildet, im Inneren sterbender Sterne entstanden neue
chemische Elemente, Planeten und Monde bildeten sich mit Hilfe dieser
neuen chemischen Elemente aus Eis- und Staubklumpen, und die
ersten lebenden Zellen entwickelten sich in den vielfältigen Umwelten
felsiger Planeten. Wir Menschen gehören unmittelbar zu dieser Geschichte,
denn wir sind Produkte der Evolution und Diversifizierung
des Lebens auf dem Planeten Erde. Doch im Laufe unserer kurzen, aber
bemerkenswerten Geschichte haben wir so viele vollkommen neue
Formen der Komplexität geschaffen, dass wir heute die Veränderung
auf unserem Heimatplaneten zu beherrschen scheinen. Das Auftreten
von neuen Phänomenen, die komplexer sind als das, was vorher war,
von Phänomenen mit emergenten Eigenschaften, wirkt stets so wundervoll
wie die Geburt eines Kindes, weil das Universum im Allgemeinen
die Tendenz hat, weniger komplex und ordentlich zu werden.
Schließlich wird diese Neigung zu wachsender Unordnung, zu Entropie,
die Oberhand gewinnen. Das Universum wird in zufälligem Durcheinander
ohne Muster oder Struktur versinken. Doch bis dahin ist es
noch ein sehr, sehr weiter Weg.
Derzeit scheinen wir in einem kraftstrotzenden, jungen Universum
voller Kreativität zu leben. Die Geburt des Universums – unsere erste
Schwelle – ist so wundervoll wie alle anderen Schwellen unserer modernen
Ursprungsgeschichte.

David Christian

Über David Christian

Biografie

David Christian, geboren 1946, ist Gründer und wichtigster Vertreter der Big History, die zeigen will, dass Geschichte und Naturgeschichte zusammengehören. Christian betreibt das von Bill Gates finanzierte Big History Project, das in den USA und Australien College-Studenten gesamtgesellschaftliches...

Pressestimmen
dieniederoesterreichin.at (A):

„Eine faszinierende kosmologische Detektivgeschichte, die uns verstehen lässt, wie alles zusammenhängt. Und eine atemberaubende moderne Ursprungsgeschichte, die mit einem Ausblick auf die Zukunft endet, in der wir endlich die Verantwortung für den Planeten übernehmen müssen.“

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