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Bücher mit Farbschnitt

Bücher mit farbigem Buchschnitt

Limitierte und exklusive Schmuckausgaben

Ein wahrer Blickfang fürs Bücherregal - das sind unsere Bücher mit farbigem Buchschnitt. Unser Grafik-Team steckt viel Herzblut und Kreativität in die Gestaltung jedes Romans - so wird jedes Piper- und everlove-Buch zu einem ganz besonderen Sammlerstück.

Die Sonderausgabe sind üblicherweise auf die 1. Auflage limitiert. Falls die Farbschnitt-Ausgabe bei uns bereits ausverkauft ist, lassen sich einzelne Exemplare noch im stationären Buchhandel finden. Schnell sein lohnt sich also!

Die neue sommerlich prickelnden RomCom von Christina Lauren

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt eine lebendige grüne Farbpalette mit tropischen Pflanzenmotiven und bunten Blumen in Pink und Weiß. Der Titel „The Paradise Problem“ ist prominent in einer eleganten, weißen Schriftart gesetzt, während der Name der Autorin, Christina Lauren, in größerer, serifenloser Schrift darüber steht. Unter dem Titel befindet sich der Untertitel „Wenn das Herz den perfekten Plan durchkreuzt“ in kleinerer Schrift. Die Gestaltung vermittelt eine fröhliche, sommerliche Atmosphäre.Das Buchcover zeigt einen lebendigen, grünen Hintergrund mit üppigem Blattwerk und farbenfrohen Blumen in Rosa, Lila und Weiß. Der Titel „The Paradise Problem“ ist in großer, weißer Schrift zentral platziert, während der Autorname „Christina Lauren“ oben in auffälliger, eleganter Schrift steht. Unter dem Titel befindet sich der Untertitel „Wenn das Herz den perfekten Plan durchkreuzt“ in kleinerer, weißer Schrift. Die Atmosphäre des Covers vermittelt eine tropische, fröhliche Stimmung.

Roman

Verheiratet im Paradies: Fake it till you make it!

Anna hat nicht damit gerechnet, West jemals wiederzusehen. Die selbstbewusste Künstlerin und der zurückhaltende junge Standford-Professor haben sich seit dem College nicht mehr gesehen. Aber jetzt braucht er Annas Hilfe: Um an sein beachtliches Erbe zu kommen, muss er seiner verhassten Familie vorspielen, dass Anna und er glücklich verheiratet sind – auf der luxuriösen Traumhochzeit seiner Schwester. Wenn alles klappt, bekommt sie auch einen Teil des Erbes. Da Anna ihm helfen möchte und das Geld momentan mehr als nötig hat, lässt sie sich darauf ein. Doch als sie auf der paradiesischen Insel ankommen, entwickelt sich ihre rein platonische Freundschaft schnell in eine emotional komplizierte Richtung. Als Wests Familie dann auch noch Verdacht schöpft und die beiden auf die ein oder andere Probe stellt, ist das Gefühlschaos perfekt … 

Nach dem SPIEGEL-Bestseller „The Unhoneymooners“ ist das internationale Erfolgsautorenduo Christina Lauren endlich mit einer neuen sommerlich prickelnden RomCom zurück!

„Christina Lauren in absoluter Höchstform! Das Knistern, das Setting, der Humor! Man verliebt sich Hals über Kopf! Ein weiteres Meisterwerk der unangefochtenen Königinnen der Romance.“ – Ali Hazelwood, New-York-Times-Bestsellerautorin

Prolog

Anna

Der Tag, an dem mein Mann aus unserer Wohnung auszieht, ist gleichzeitig der Tag, an dem Resident Evil Village für die PlayStation rauskommt. Es überrascht euch vielleicht, welches dieser Ereignisse einen größeren emotionalen Einfluss auf mich hat.

Aber da ich ja auch kein Monster bin und wir in dieser Wohnung tatsächlich zwei schöne Jahre miteinander verbracht haben, tue ich das, was jede Frau, der bei einer Scheidung die Couch und der Fernseher überlassen wurden, tun würde: Ich beobachte mit einem ermutigenden Lächeln, wie West und seine zwei muskelbepackten und frisch gebackenen Doktoranden-Freunde Karton um Karton, Stuhl um Stuhl, Koffer um Koffer und die restlichen neunzig Prozent der Möbel und der Deko zu dem Umzugslaster tragen, der draußen auf dem Gehsteig parkt. Kaum noch irgendwelche Gegenstände sind mir geblieben, die ich mein Eigen nennen darf – die letzten Jahre habe ich Wests Sachen benutzt –, was ein bisschen traurig ist, aber dieser Moment war unausweichlich.

Etwas Trost finde ich allerdings in dem Wissen, dass es in zwei Wochen, wenn ich meine Sachen zusammenpacke, wesentlich leichter wird.

Draußen kommt West gerade hinten aus dem Laster, springt graziös auf die Straße und betrachtet sein mit Sicherheit ausgezeichnet organisiertes Pack-Meisterwerk. Ihr hättet unsere Vorratskammer sehen sollen: wahrhaftig das Werk eines Ordnungsgenies.

Mein penibler Ex ist achtundzwanzig, redet nicht viel und ist einer dieser unglaublich fähigen Männer, die es schaffen, so etwas wie die Steuererklärung zu machen oder Löcher in Gipswänden zu stopfen, einfach aussehen zu lassen. Ich gebe zu, abgesehen von dieser überaus sexy fähigen Ausstrahlung, ist West auch ein Fuchs. Er verkörpert die perfekte Kombination aus Größe und Muskeln, obwohl ich keine Ahnung habe, wie groß er ist.

Ist es nicht seltsam, dass ich ihn das nie gefragt habe? Mir ist bewusst, dass die meisten großen Frauen ganz besessen davon sind, wie groß andere Menschen sind, aber mir war das immer egal. Ich habe viele Männer kennengelernt – Männer, die größer als ich waren, Männer, die kleiner waren, Männer, die genau gleich groß waren wie ich. Ich weiß nur, dass meine Augen auf Höhe von Wests Kinn sind. Bei unserer Hochzeit musste er sich bücken, um mich zu küssen.

Ich habe schon ewig nicht mehr an diesen Tag gedacht, aber wahrscheinlich macht es Sinn, dass ich jetzt daran denke. Es kommt mir vor, als wäre dieser Kuss schon ein ganzes Leben her. Nach zwei Jahren dieses Abenteuers bin ich mit der Couch, die er mir hinterlässt, vertrauter als mit ihm.

Als ich jetzt so auf dem Gehweg stehe, dreht er sich um und schaut mich an. Unsere Blicke treffen sich, und ein seltsames, schwankendes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, geradezu benommen. Es kann kein Unterzucker sein – ich habe eine halbe Tüte Jalapeño-Chips gegessen, während ich ihm beim Packen zugeschaut habe. Und es ist auch nicht die Hitze. Im März trifft das Wetter in L. A. perfekt auf die Definition von gemäßigt zu.

Seltsamerweise denke ich, es liegt an ihm.

Wests Augen haben die Farbe von Sonnenlicht, das durch ein Whiskeyglas strahlt. Seine Haare haben genau die gleiche Farbe, nur mit mehr Sonnenlicht, und sind so dicht, dass sie mich wahrscheinlich für alle anderen Männer ruiniert haben. Ich habe einmal versucht, sie zu malen, und die Farben Transparent Red-Oxide mit Old Holland Yellow-Brown gemischt, aber es war nicht ganz richtig. Und sobald mir klar geworden ist, wie sehr es mich geärgert hat, dass ich seine korrekte Haarfarbe nicht auf die Leinwand bringen konnte, habe ich mich gefragt, warum ich davon überhaupt so besessen geworden war.

Mit diesem immer noch intensiven Augenkontakt geht West auf mich zu und bleibt nur wenige Zentimeter vor mir stehen. Für einen seltsamen, aufgeheizten Moment frage ich mich, ob er mich tatsächlich küssen wird.

„Ich glaube, ich bin hier fertig“, sagt er, und – ich muss mir ein Lachen verkneifen – natürlich wird er mich nicht küssen. „Aber wenn ich was vergessen habe, dann kann Jake es abholen.“

Jake: jüngerer Bruder von West (fast genauso gut aussehend) und der Typ Collegefreund, der alles über mein Leben an der UCLA weiß, aber noch nie meinen Vater kennengelernt hat, der nur eine Stunde von hier entfernt wohnt. Jake hat mich West vorgestellt, und jetzt wird er die einzig verbleibende Verbindung zu West sein. Der Gedanke macht mich ein bisschen traurig, aber dann rufe ich mir wieder in Erinnerung, dass ich die Couch habe und ein paar T-Virus-Zombies in der Wohnung auf mich warten.

„Okay“, sage ich.

„Du hast Kopien von den Papieren?“, fragt er. „Mein Anwalt hat sich alles angeschaut, und es sollte alles in Ordnung sein. Aber falls doch was ist – seine Telefonnummer steht auch drauf.“ Er hält inne und sucht meinen Blick auf eine Art und Weise, von der ich nicht denke, dass er es je zuvor getan hat – als würde er versuchen, mich zum ersten Mal zu sehen. „Meine Nummer bleibt natürlich dieselbe. Lies dir alles durch und ruf mich an, wenn du Fragen hast.“

„Klar. Danke, dass du dich um alles gekümmert hast.“

Er lächelt, wobei sich sein Gesicht so richtig aufhellt.

Ich frage mich, warum er das nicht öfter tut. Aber vielleicht tut er es ja. Ich sehe ihn schließlich kaum. Er steht vor Sonnenaufgang auf, um laufen zu gehen, und dann verbringt er jede wache Stunde an der Uni oder in der Bibliothek, bevor er gegen Mitternacht ins Fitnessstudio geht.

Ich hingegen lebe im Atelier oder auf seiner – jetzt meiner – Couch.

Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll, also versuche ich, das Ganze abzukürzen. „Gratuliere zu deinem Abschluss, West. Du musst richtig glücklich sein.“

Ein Auto fährt vorbei, und ich erhasche ein paar Zeilen eines Popsongs, der letzten Sommer überall gelaufen ist. Jetzt frage ich mich, ob ich dieses Lied je wieder hören kann, ohne an diesen Moment zu denken. Wird es mich nostalgisch machen? Werde ich den Kopf schütteln und über diese impulsive Sache lachen, die ich getan habe?

„Und wie“, sagt er und steckt die Hände in die Taschen seiner Jeans.

Ich habe ihn eigentlich meistens in Basketball-Shorts und Marathon-T-Shirts gesehen, also überrascht mich diese Kombi aus der abgewetzten Levi’s und dem gemütlichen grauen T-Shirt ein bisschen. Ich komme mir fast verraten vor, weil ich das erst jetzt zu Gesicht kriege. Ein winziger Streifen seiner Boxershorts ist zu sehen, und es fällt mir schwer, meine Aufmerksamkeit auf sein Gesicht zu lenken.

„Dir gratuliere ich auch“, fügt er hinzu. „Auf zu neuen, großen Abenteuern.“

„Genau“, sage ich lachend. „Die Welt erwartet atemlos meinen nächsten Schritt.“

Er lacht auch, und der Klang jagt mir einen Schauer über den Rücken.

Dann legt sich unbehagliches Schweigen über uns, aber er schaut mir direkt in die Augen, und ich habe das Gefühl, nicht wegsehen zu können. Dieser Blickkontakt erinnert mich an einen Wettbewerb oder an einen Spionagefilm, in dem jemand auf eine Ziffernfolge starrt, um sich die Zahlen zu merken.

Ich zwinge mich dazu, nicht zuerst wegzusehen.

„Also“, sagt er schließlich. „Das war’s dann wohl.“

„Ich wünsche dir ein schönes Leben.“ Das klingt abgedroschen, aber ich meine es ernst.

„Ich dir auch.“ West schenkt mir wieder dieses Lächeln, und ich wünschte wirklich, ich hätte es öfter gesehen. „Mach’s gut, Anna.“

„Mach’s gut, West.“

Wir schütteln uns die Hände. Er dreht sich um und geht zu seinen Freunden, die sich mit ihm in die Fahrerkabine des Lasters zwängen. Einer von ihnen kurbelt das Fenster runter und winkt mir zu. Ich winke fröhlich zurück, obwohl ich nicht einmal seinen Namen kenne.

Ich spüre, wie sich jemand neben mich stellt, und als ich mich umdrehe, sehe ich unsere Nachbarin Candi in ihrem Bademantel. Sie trägt immer einen Bademantel, und ich habe mich lange gefragt, was sie den ganzen Tag macht. Aber sie backt einen höllisch guten Zitronenkuchen und hat jede Nacht um Mitternacht lauten Sex mit ihrem Ehemann Rob, also steht sie ganz offensichtlich auf der Gewinnerseite des Lebens.

„Zieht ihr aus?“, fragt sie und blickt hinter mich in die fast leere Wohnung.

„Ich ziehe erst in zwei Wochen aus“, erkläre ich ihr. „West ist gerade ausgezogen.“

Ich spüre, wie sie ihre Aufmerksamkeit von der leeren Wohnung auf mein Gesicht richtet, und als ich sie anlächle, schauen mich ihre blauen Augen besorgt an. „Holy Shit, Anna, ich hatte ja keine Ahnung. Geht’s dir gut?“

„Ja“, sage ich und blicke die Straßen hinunter, wo der Umzugslaster um die Kurve fährt und vollends aus meinem Blickfeld verschwindet.

„Okay“, sagt sie mit skeptischer Stimme. „Da bin ich ja froh.“ Sie legt eine Hand auf meinen Arm. „Aber wenn du reden willst – du weißt ja, wo du mich findest.“

Mit einem Anflug von Freude wird mir klar, dass die Geschichte nicht mehr länger von Bedeutung ist. Ich habe meinen Bachelor gemacht, und vor mir liegt ein Leben voller unbekannter Abenteuer. West hat seinen Doktortitel gemacht und ist auf dem Weg in eine brillante Zukunft in einem beeindruckenden und seriösen Job. Wir haben beide, was wir wollten.

„Nein, nein, alles okay!“, versichere ich ihr. „Ich kenne ihn ja kaum.“

Candi starrt mich an. „Was?“

Ich deute auf die Wohnung hinter mir. „Zweckgemeinschaft. Er war nur irgendein Kerl, den ich geheiratet habe, damit ich hier wohnen konnte. Aber danke dir trotzdem.“

Mit einem letzten Lächeln drücke ich ihre Hand, die auf meinem Arm liegt, drehe mich um und gehe rein.

Ich muss noch ein paar Zombies erledigen.


Kapitel 1

Anna
Drei Jahre später

Wenn man mir auf dem College erzählt hätte, dass meine Haupteinnahmequelle mit fünfundzwanzig meine Arbeit als Nachtkassiererin in dem Supermarkt an der Ecke sein würde, dann … na ja, dann hätte ich es wahrscheinlich geglaubt. Als ich in meinem ersten Jahr am College eine Hundertachtziggradwende gemacht habe, weil ich erkannt habe, dass mein Gehirn mit Naturwissenschaften einfach nichts anfangen kann, und von Medizin zu Kunst gewechselt habe, bin ich realistisch geblieben, wie das Leben einer Künstlerin aussehen könnte. Jeder, der an der UCLA seinen Bachelor in Kunst macht, träumt davon, der nächste große Bühnenbildner, Kostümdesigner oder ein „It-Kid“ der Kunstszene zu werden. Aber diejenigen von uns, die es sich einfach zum Ziel gesetzt haben, die Miete und die Krankenversicherung zahlen zu können, wissen sehr wohl, dass wir tagsüber kellnern und nachts als Hobbymalerin arbeiten werden. Die Tatsache, dass es 0:44 Uhr ist und ich die Kasse bei Pico Pick-It-Up mache, anstatt mich auf irgendeiner schicken Party mit der Elite der kreativen Szene zu unterhalten, sollte also niemanden überraschen. Am wenigsten mich selbst.

Aber da die Arztrechnungen meines Dads langsam immer höher werden, sollten wahrscheinlich auch meine Ziele ambitionierter werden.

Vorsichtig blättere ich die US Weekly durch, die ich mir aus dem Regal geschnappt habe und in der einige lukrative Jobs aufgelistet sind.

Habe ich das Zeug dazu, die nächste große Kunst-Influencerin zu werden, die eines Tages auf der Seite Celebrities – sie sind wie wir! erscheinen wird? Ich bin jung und kann es mir leisten, ein T-Shirt ohne BH zu tragen. Das ist doch schon mal die Hälfte von dem, was man braucht, oder?

Ich kann es mir geradezu bildlich vorstellen:


Instagram-Sensation Anna Green wurde mit einem perfekt zerzausten Dutt außerhalb von Sprouts gesichtet!

TikTok-Star Anna Green und ihr sexy Schauspieler-Freund wurden knutschend vor dem Soho House erwischt!@


Ich frage mich, wie viel ein Influencer heutzutage verdient. Und ob es die Erniedrigung wert ist, vor Picassos Kopf einer lesenden Frau im Norton Simon Museum einen Monolog in einen Selfie-Stick zu sprechen. Oder die Geduld, die ich aufbringen müsste, ein Ringlicht so positioniert zu kriegen, dass ich mir winzige Tiger auf die Augenlider malen kann, und dabei nur vegane Hautpflegeprodukte zu benutzen.

Diese Gedankengänge haben mir eins klargemacht: Ich bin zu faul für ein Influencer-Leben.

Aber das ist in Ordnung. Dadurch, dass ich fünf Nächte hier arbeite, drei Mittagsschichten in Amirs Café übernehme, gelegentlich mit fremden Hunden Gassi gehe und Blut spende, wenn es mal wieder ganz knapp wird, kann ich meine Miete zahlen. Außerdem schaffe ich es, für Dads Krankenversicherung und Medikamente aufzukommen. Und das ist schließlich, was zählt.

Tief einatmen.

Ich blättere die Seite um und lande bei der Rubrik, in der es um die schlimmsten Ex-Partner geht.

„Anna.“

Ich lehne mich über den Verkaufstresen und blicke in beide Richtungen. Mein Boss Ricky steht im Türrahmen seines kleinen, vollgestopften Büros, sein dünnes, blondes Haar fällt ihm über die jungenhaften Augen, und die Fäuste hat er fest in die schmalen Hüften gestemmt. Er trägt ein Naruto-T-Shirt und eine Jogginghose mit dem Logo der letzten Schule, die er besucht hat, die Hamilton Highschool.

„Ja?“

„Kann ich dich einen Moment sprechen?“

„Klar.“ Ich deute mit dem Daumen über die Schulter zum Ladeneingang. „Soll ich kurz zusperren?“

Er schüttelt den Kopf. „Es ist ein Uhr morgens. Zwischen eins und zwei kommt durchschnittlich ein halber Kunde in den Laden.“

„Das stimmt.“ Ich hüpfe von meinem Stuhl und lege das Magazin zurück ins Regal, bevor ich den Gang entlanggehe.

So gut Ricky in Mathe zu sein scheint, er hatte kein Interesse daran, aufs College zu gehen, und hat seine Eltern gebeten, ihm die Verantwortung zu übertragen, ihren Pick-It-Up-Laden in einem Einkaufszentrum zu managen, der eingequetscht zwischen einem Subway und einem Jimmy John’s liegt. Barb und Paul sind zwei meiner Lieblingsmenschen auf der Welt, aber Ricky spricht seit drei Wochen in seiner Strenger-Boss-Stimme mit mir, weil er mich an seinem achtzehnten Geburtstag um ein Date gebeten hat und ich Nein gesagt habe. Echt jetzt.

Ich lehne mich an den Türrahmen und streiche mir die zu langen, kaum noch rosa gefärbten Strähnen aus dem Gesicht. Ich muss unbedingt mal wieder zum Friseur und mir die Haare färben lassen. Aber solche Dinge stehen in letzter Zeit auf meiner Prioritätenliste ziemlich weit unten. „Was ist los?“

Er streckt einen seiner dünnen Bohnenarme aus und versucht, autoritär auszusehen, als er auf den Stuhl gegenüber von sich deutet. Er sieht aus wie einer dieser alten Grundschulstühle mit dem Plastiksitz und dem röhrenartigen Stahlgestell, wobei die nächste Schule über einen knappen Kilometer von hier entfernt liegt. Eines Tages stand er plötzlich in der Gasse, und seitdem befindet er sich in diesem Büro. „Könntest du dich bitte setzen?“

Ich tue wie geheißen, werfe aber einen Blick über die Schulter in den Vorderbereich des Ladens. Auch wenn Ricky mich hierhergerufen hat, ist es immer noch meine Geldkassette in der Kasse. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist jemand, der schnell hier reinspringt und das Geld klaut. Erst letzte Woche wurde der Verizon-Laden drei Türen weiter ausgeraubt. „Bist du sicher, dass wir nicht da draußen reden können? Ich habe kein gutes Gefühl dabei, den Laden unbeaufsichtigt zu lassen.“

„Also, das ist schon irgendwie ironisch.“

Ich drehe mich zu ihm um. Sitzend hat er einen ziemlichen Größenvorteil, was vielleicht beabsichtigt war, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. „Wie bitte?“

Er spielt mit einem Kugelschreiber zwischen den Fingern. Seine Nägel sind alle abgekaut, auf dem Rücken seiner rechten Hand ist ein verwaschener blauer Stempel von der Adventure Park Arcade, und er trägt den Absolventenring, den er vor ein paar Wochen bekommen hat. Ricky streckt sich und versucht, größer auszusehen. Er ist nur ein Meter siebzig groß, und manchmal, wenn er wieder besonders herablassend ist, zeichne ich kleine Karikaturen von ihm als Zwerg, wie er in dem breitschultrigen Anzug seines Dads fast untergeht und seine Füße in dessen riesigen Schuhen stecken. „Es ist ironisch, wenn du so tust, als würdest du dir Sorgen machen, dass der Laden ausgeraubt wird.“

„Ironisch?“, frage ich. „Wieso?“

„Ich habe auf dem Überwachungsvideo gesehen, wie du gestern eine Packung Kaugummis genommen hast. Du hast sie nicht bezahlt.“

Ich verziehe das Gesicht und versuche, mich zu erinnern. Es stimmt, ich habe mir tatsächlich ein Päckchen Kaugummis genommen. Ungefähr eine halbe Stunde nachdem meine Acht-Stunden-Schicht begonnen hat. „Woher willst du wissen, dass ich sie nicht bezahlt habe?“

Er deutet auf die Überwachungskamera in der Ecke des Büros – wahrscheinlich, um mich daran zu erinnern, dass hier überall Kameras sind. Aber wenn er weiß, dass ich nicht dafür bezahlt habe …

„Du hast dir acht Stunden lang die Videos der Überwachungskamera angeschaut?“, frage ich.

Ricky rutscht auf dem Stuhl umher, und das Leder quietscht unter ihm, als würde er einen fahren lassen. Er versucht, es noch einmal zu tun, versagt aber. Mit rotem Gesicht erklärt er mir: „Im Schnelldurchlauf.“

Ich weiß, wie alt diese Überwachungskameras sind. Schnelldurchlauf bedeutet da höchstens doppelte Geschwindigkeit. „Du willst mir also erzählen, dass du dir vier Stunden lang Videos von mir bei der Arbeit angeschaut hast?“

Augenblicklich läuft er hochrot an und winkt ab. „Es spielt absolut keine Rolle, wie viel Zeit ich damit verbracht habe, mir diese Videos anzuschauen.“

Ich schlucke meine Erwiderung runter, weil ich weiß, dass sie mich nicht weiterbringen wird: Vier Stunden deiner vergeudeten Zeit scheint mir eine größere Verschwendung von Ressourcen zu sein als ein einziges Päckchen Kaugummis im Wert von zwei Dollar in drei Jahren Arbeitszeit. Genau wie deine Anwesenheit hier in der Nachtschicht mit mir zusammen, wenn wir jede Stunde durchschnittlich 0,5 Kunden haben.

Stattdessen sage ich: „Ich habe es nur vergessen. Ich hatte kein Bargeld bei mir und wollte keine fünf Dollar Gebühren für einen Einkauf mit der Karte unter zehn Dollar zahlen.“

„Du hättest einen Schuldschein in die Kasse legen müssen.“

„Einen Schuldschein? Du meinst … auf Papier?“

Er nickt. „Du hättest Papier von der Kassenrolle nehmen können.“

„Wie hätte Katy das dann verrechnen sollen, wenn sie um sieben kommt?“

„Sie hätte mir sagen können, dass du dir ein Päckchen Kaugummi genommen hast und es später bezahlen wirst.“

„Aber du hast gewusst, dass ich ein Päckchen Kaugummi genommen habe. Du hast dir das ganze Video angeschaut.“

Seine Nasenflügel beben. „Der Punkt ist der, dass wir dir nicht mehr vertrauen können.“

„Ricky, ich werde die Kaugummis jetzt bezahlen. Mein Gott, ich arbeite hier seit drei Jahren, und das ist das erste Mal, dass du ein Problem mit mir hattest.“

Das Gesicht, das er macht, verrät mir, dass ich nicht ganz richtigliege.

Ich lehne mich in meinem kleinen Stuhl zurück. „Oh, ich verstehe. Hier geht’s um das Date.“

Ricky stützt sich auf seine Unterarme und klatscht seine Hände zusammen, wie es sein Dad macht, wenn er im Mentor-Paul-Modus ist. Aber Paul könnte mir einen zweistündigen Vortrag darüber halten, wie man geschäftlich erfolgreich wird, und ich würde an seinen Lippen hängen. Weil er charismatisch und fürsorglich ist und sich seinen Arsch abgearbeitet hat, um eine Ladenkette mit vier Filialen in Los Angeles zu eröffnen. Ricky hat einen Audi zu seinem sechzehnten Geburtstag bekommen, einen Laden zu seinem achtzehnten, und anscheinend verbringt er seine Arbeitszeit damit, Überwachungsvideos von mir anzuschauen – an Tagen, an denen ich einen Rock trage.

Ich glaube ihm also kein Wort, als er sagt: „Es geht hier nicht um das Date.“

„Wirklich?“

„Nein, tut es nicht“, erwidert er nachdrücklich.

„Das ist so bescheuert, Ricky.“

„Ich heiße Derrick.“

„Das ist so bescheuert, Derrick.“

Er wird noch röter. „Ich bin ein Manager, der sich um ein Problem mit einer Angestellten kümmert. Es tut mir leid, Anna, wir müssen dich feuern.“

Meine Ohren klingen. Panik steigt in mir auf. „Du feuerst mich wegen einem Päckchen Kaugummi?“

„Ja.“

„Wissen Barb und Paul davon?“

„Meine Eltern wissen Bescheid, ja.“

Das ist wie ein Schlag in die Magengrube. Barb und Paul wissen, dass Ricky mich wegen eines Päckchens Trident Wassermelone feuert? Und sie sind damit einverstanden?

Autsch.

Ricky beugt sich nach vorne, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Anna? Hast du gehört, was ich gesagt habe? Du kannst deine Schlüssel zurückgeben, und ich schicke dir deinen letzten Gehaltsscheck.“

Ich blinzle, um mich wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen, und stehe auf. „Vergiss nicht, die Kosten für die Kaugummis abzuziehen.“

„Das habe ich schon.“

 

In dem Moment, in dem ich auf die Manning Street trete und meinen verbeulten Jetta nicht dort sehe, wo ich ihn normalerweise parke, beginne ich zu realisieren, dass ich mich am Anfang einer Dominokette allerlei schrecklicher Ereignisse befinde. Ich muss daran denken, wie die Straße vor sechs Stunden vorübergehend gesperrt wurde, um eine Unfallstelle aufzuräumen. Ich musste in der Pico Street parken und hatte mir im Geiste eine Notiz gemacht, dass ich entweder auf die Manning Street umparken muss, sobald sie wieder offen ist, oder die Parkscheibe um acht Uhr weiterzustellen … und nichts davon habe ich getan.

Dieses blöde Zwei-Dollar-Kaugummi-Päckchen hat sich gerade in einen Fünfundvierzig-Dollar-Strafzettel verwandelt.

Aber mich erwartet nicht nur der weiße Zettel unter meinem Scheibenwischer, sondern auch noch eine riesige schwarze Beule an der Fahrertür, die anscheinend jemand meinem Auto im Vorbeifahren verpasst hat und danach einfach weitergefahren ist. Die Beule hat den Rahmen verzogen, und als ich jetzt einsteige und die Tür zumachen will, lässt sie sich nicht ganz schließen.

Fuck.

In L. A. regnet es im April nie, aber in der Sekunde, in der ich auf den Freeway fahre, setzt er ein. Dicke, fette Regentropfen fallen in einem reißenden, sintflutartigen Schwall auf meine Windschutzscheibe und verwandeln die Straße in eine rutschige Fahrbahn und meine linke Körperhälfte in ein triefend nasses Etwas. Als ich bei meinem Apartmentkomplex ankomme, steht der Wagen des Freundes meiner Mitbewohnerin auf meinem Platz, und ich kann ihm nicht einmal böse sein, weil sie mich erst in drei Stunden wieder zu Hause erwartet haben. Ich parke hinter ihm, mache den Motor aus und lege meinen Kopf aufs Lenkrad, um ein paar tiefe Atemzüge Luft zu holen.

Eins nach dem anderen, sagt Dads Stimme tief und ruhig in meinem Kopf. Kümmere dich um das Auto, und rede dann morgen mit Vivi, ob sie dir im Café mehr Schichten geben kann.

„Alles wird gut“, sage ich und blicke in den Himmel, wo auf wundersame Weise nichts mehr auf Regen hinweist.

Ich wiederhole die Worte, als ich aus dem Auto steige, starre auf die Tür, die sich nicht schließen lässt, und beuge mich dann ins Innere, um alles Wertvolle herauszuholen. Da bemerke ich, dass die AirPods, die mir Dad zu Weihnachten geschenkt hat und die ich in der Mittelkonsole gelassen habe, bereits geklaut wurden. Genau wie der Zehn-Dollar-Schein für Notfälle, den ich dort immer liegen habe, falls ich mitten in der Nacht noch etwas zu essen kaufen muss.

Warum habe ich das Geld nicht genommen, um für die Kaugummis zu bezahlen, verdammt noch mal?

Nein, die viel wichtigere Frage ist doch, warum Derrick mich verdammt noch mal wegen so was Bedeutungslosem feuert. Das ist so erbärmlich!

Eins nach dem anderen, erinnert mich Dads Stimme in meinem Kopf.

Ich laufe die Stufen zu meiner Wohnung rauf, stecke den Schlüssel ins Schloss und verstehe das „O Scheiße!“ auf der anderen Seite der Tür erst richtig, als ich die Tür aufreiße und meine Mitbewohnerin Lindy und ihren Freund Jack in einer zutiefst kompromittierenden Position auf meiner geliebten Scheidungs-Couch vorfinde. Er ist splitterfasernackt, unglaublich verschwitzt und – o Gott – immer noch hart. Ich drehe mich in der Sekunde auf dem Absatz um, in der ich verarbeite, was ich da sehe. Ihre Hände sind an ihre Knöchel gefesselt, sodass sie nicht einmal schnell verschwinden kann, und er arbeitet panisch daran, sie zu befreien, während mir beide beschämte Entschuldigungen entgegenschreien. Meine eigene Entschuldigung dafür, dass ich zu früh nach Hause gekommen bin, geht in ihrem Chaos unter, und ich drücke meine Stirn gegen die Wand und wünschte, ich könnte mit ihr verschmelzen und den Rest meines Lebens in den Grundmauern des Gebäudes verbringen.

Ich würde so einen guten Geist abgeben.

Beim Klang ihrer Schlafzimmertür, die mit einem lauten Knall geschlossen wird, drehe ich mich um, lehne mich gegen die Wand und versuche zu entscheiden, ob der Grund für das Stechen hinter meinen Augen aufsteigendes hysterisches Schluchzen oder doch eher Lachen ist.

Als ich die Kühlschranktür öffne, sehe ich, dass Bondage-Lindy und Sweaty-Jack die restliche Lamm-Tajine gegessen haben, die ich mir aufheben wollte, bis ich von meiner Schicht im Laden nach Hause komme. Alles, was ich im Kühlschrank finde, sind ein halbes Stück Cheddar-Käse, eine alte Flasche Sahne und ein paar vergammelte Karotten.

In meinem Zimmer lasse ich mich aufs Bett fallen und starre an die Decke. Ich bin sogar zu erschöpft, um noch eine Rache-Karikatur von Ricky zu zeichnen. Die Wände um mich herum sind voll mit meinen Gemälden, fast alle davon riesige Leinwände mit Blumen: die wahren Meisterwerke der Natur. Kein Pinselstrich könnte die Feinheiten der Schatten tief im Innern einer Blumenblüte perfekt wiedergeben, die sanften Farbvariationen der zarten Fasern oder die komplexen Lichtmuster, die einen nackten Stängel emporklettern, aber ich muss es versuchen. Ich kann tatsächlich nicht aufhören, es zu versuchen. Mein neuestes Lieblingswerk habe ich gestern Morgen beendet – eine riesige rote Mohnblume mit einer versteckten Galaxie an Pollen in der tiefschwarzen Mitte. Momentan lehnt das Bild an der Wand und verbirgt teilweise das dahinter – ein eng gebundener Strauß hauchdünner Butterblumen, auf denen schwere Regentropfen liegen.

Leider bezahlen diese Gemälde keine Rechnungen. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll, aber ich weiß, dass ich mir keinen anderen Job wie den im Pick-It-Up-Laden suchen will. Ich will nicht in einem 7-Eleven oder Starbucks arbeiten. Ich will nicht die überarbeitete Assistentin von jemandem sein – oder eine Influencerin, eine Uber-Fahrerin oder Berufskellnerin.

Ich will malen.

Aber ich ertrinke in fertigen Gemälden und kann keines davon verkaufen. Den Traum, meinen Lebensunterhalt mit meiner Kunst zu bestreiten, kicke ich in einer Dose eine lange Gasse entlang, aber alles, was dabei herauskommt, ist ein entferntes Echo. Nach meinem Collegeabschluss habe ich ein paar Werke verkauft und sogar einen Vertrag bei der Agentin einer lebhaften Kunstausstellung in Venice unterschrieben. Aber ich habe seit achtzehn Monaten kein einziges Gemälde mehr verkauft, und mein Manager hat mich schon fast ein Jahr lang nicht mehr angerufen. Ob ich will oder nicht, ich muss mich morgen in jedem Café oder Supermarkt, den ich finden kann, bewerben.

Auf dem Nachttisch neben mir klingelt mein Handy, und sofort greife ich danach, weil ich hoffe, dass es eine E-Mail von Barb und Paul ist, die sich um 2:14 Uhr für ihren beschissenen Sohn entschuldigen.

Aber es sind nicht Barb und Paul.

Es ist nur eine Rechnung aus dem Krankenhaus für Dads letzte Chemo-Behandlungen.

Ich kralle meine Hände in die Decke und ziehe sie mit mir, als ich mich umdrehe und mein Gesicht im Kissen vergrabe.

„Bad Summer People“ meets „Donnerstagsmordclub“

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt einen hellen Hintergrund in Türkisblau mit einem schwungvollen, modernen Schriftzug in großen, gelben Buchstaben, der den Titel „VERY BAD WIDOWS“ hervorhebt. Darunter steht in kleinerer Schrift „Drei Frauen, die ein neues Leben wollen. Drei Ehemänner, die ihnen im Weg stehen.“ Am unteren Rand befindet sich der Name der Autorin, Sue Hincenbergs, in einer schlichten Schriftart. Im Vordergrund sind drei Frauen in bunten Bikinis am Pool zu sehen, was eine entspannte und fröhliche Atmosphäre vermittelt.Das Buchcover zeigt eine sommerliche Szene mit drei Frauen, die entspannt auf Liegen am Pool sitzen. Der Hintergrund ist in leuchtenden Blautönen gehalten, symbolisierend das Wasser, während der Himmel in sanften, hellen Farben strahlt. Der Titel „VERY BAD WIDOWS“ ist prominent in großen, orangefarbenen Buchstaben platziert, darüber befindet sich der Untertitel „Drei Frauen, die ein neues Leben wollen“ in weißer Schrift. Der Autorinnenname „SUE HINCENBERGS“ steht am unteren Rand in klarer, lesbarer Typografie.

Roman

Um glückliche Witwen zu werden, schmieden drei Frauen einen genialen Plan ...

»Es steckt so viel in dieser Story von Sue Hincenbergs: Humor, Tiefgang ein kluger Blick aufs Älter werden. [...] Ein Krimi, der von vorn bis hinten Spaß macht.« Brigitte

Nie hätten Pam und ihre Freundinnen Nancy und Shalisa gedacht, in ihrem Alter noch Dinge zu lernen wie zum Beispiel, wie viel Platz fünfzigtausend Dollar in einer Handtasche einnehmen, wie hoch das übliche Honorar eines Profikillers ist oder auch, welche Umstände gegeben sein müssen, damit man auch ohne Leiche eine Lebensversicherung ausbezahlt bekommt.

Doch ihre Ehemänner haben es nicht anders gewollt! Sie verzockten nicht nur die Rentenkasse der seit Jahrzehnten befreundeten Paare, ihr Verhalten den Frauen gegenüber ist höchst uncharmant. Kein Wunder also, dass Pam und ihre Freundinnen, als sie erfahren, dass ihre Männer heimlich hohe Lebensversicherungen abgeschlossen haben, einen genialen neuen Rentenplan schmieden: Mord.

Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, das ebenso witzig wie klug einen großherzigen Blick auf Ehe, Freundschaft und Glück im Alter wirft.

Unterschätze niemals deine Ehefrau!

„Bad Summer People“ meets „Donnerstagsmordclub“ - Sue Hinvenbergs mörderisch lustige Krimikomödie über Freundschaft und Rache

„Der Unterhaltungswert des Romans ist enorm. Das hat mit dem ebenso präzisen und zielbewussten wie verschwenderischen Umgang mit den Einzelbeobachtungen zu tun, aus denen die in ihm agierenden Menschen zusammengesetzt werden. Und mit einer Autorin, die diese ihr offenbar zur Verfügung stehende Fülle artistisch nutzt, um dem Ganzen eine so schräge Richtung zu geben, dass die Banalität der Bestager-Idylle überhaupt nicht mehr stört – im Gegenteil.“ Stephan Opitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Welch diebische Freude für den Leser, wenn die Interessen verzweifelter Ehemänner und entschlossener Ehefrauen mit Gangstern aus Mumbai und einem Hunde liebenden Auftragskiller kollidieren. Hincenbergs trifft voll ins Schwarze.“ Publishers Weekly

„Ein messerscharfer, kluger, witziger Roman, der auch überraschend zärtlich ist ... Man muss einfach mit diesen Figuren mitfiebern. Ein Triumph.“ Jennie Godfrey

„›Very Bad Widows‹ ist umwerfend komisch. Aber das ist erst der Anfang: Diese wilde Geschichte steckt voller Überraschungen, verzaubert mit wunderbar lebendigen Figuren und ist von der ersten bis zur letzten Seite ein Kracher.“ Janice Hallett

„Dieses lustige, wendungsreiche Buch über drei Freundinnen, die zum Mord greifen, ließ mich bis spät in der Nacht die Seiten umblättern. Rasiermesserscharf und teuflisch unterhaltsam.“ Sarah Pearse, Autorin von „Das Sanatorium“

„Der perfekte Cocktail aus klugem, warmherzigem und mörderischem Spaß.“ Nina Simon, Autorin vonDer Mutter-Tochter-Mörder-Club“

»Dieser Roman ist die pure Freude. Eine bitterböse, köstlich hinterhältige, unglaublich süchtigmachende Krimikomödie von einer neuen Autorin, die Sie unbedingt lesen sollten! Marissa Stapley, Autorin von „Lucky“

Kapitel 1
Das muss doch nicht sein

Pam leckte sich das Salz ihrer Margarita von den Lippen, sah sich an ihrem Terrassentisch um und überlegte, welcher ihrer Freunde wohl als Erster abtreten würde. Nicht dass sie eine Vorahnung hätte, in dieser Hinsicht war sie einfach etwas morbide. Außerdem war sie bereits auf den Abschlussfeiern der Kinder dieser drei Paare gewesen und hatte mit allen deren Eltern begraben; in dieser Lebensphase war es also nur logisch, dass die eigenen Beerdigungen als Nächstes anstehen würden. Soweit sie das beurteilen konnte, standen die Chancen, ins Gras zu beißen, bei allen acht ungefähr gleich gut. Wenn sie sich allerdings aussuchen könnte, wen es zuerst traf, würde sie sich wohl für Andre entscheiden.

Mit einem gezielten Schlag zerquetschte sie eine Mücke an ihrem Hals. Um die Citronella-Kerzen auf dem Tisch und die am Geländer aufgehängte Lichterkette schwirrten Scharen herum; ihr Summen kämpfte mit den Grillen und Van Morrison darum, die Begleitmusik zum Essen anzuführen. An schwülen Abenden wie diesen hätten Pam und ihre Freundinnen eigentlich in ihrem Salzwasserpool planschen und Cocktails schlürfen sollen, während ihre Männer sich im Whirlpool ein Bier gönnten. Aber dieses Haus hatten sie ja verkaufen müssen.

Pam warf Hank über die restlichen Burger und Maiskolben hinweg einen prüfenden Blick zu. Im Dunkeln wirkte er beinahe wieder attraktiv. Die Tischplatte verbarg seinen Bierbauch, die Schatten seine Hängebacken. Sie suchte in seinen Zügen nach dem Mann, den sie einst geheiratet hatte, aber den gab es schon lange nicht mehr. Manchmal vermisste sie ihn.

„Gibst du uns noch eine Runde, Babe?“

So durfte er sie nicht mehr nennen, weshalb sie ihm einen finsteren Blick zuwarf, der ihm allerdings vollkommen entging. Schweigend stemmte sie sich von dem abgewetzten Polster hoch und holte vier tropfende, kalte Flaschen aus der Kühlbox. Hank nahm sein Bier entgegen, drehte den Verschluss ab und warf ihn in ihre Hortensienbüsche. Als Larry, Andre und Dave es ihm nachmachten, wusste Pam, dass sie diejenige war, die am Morgen diesen Müll wieder einsammeln musste.

Nun wandte sie sich erst mal dem Krug mit den Margaritas zu. Das musste man Hank lassen – er machte die besten Margaritas der Welt. Pam gab Eiswürfel in die Gläser ihrer Freundinnen, leerte den Krug und stieg über ihren schlafenden Hund hinweg. Selbst in der halbdunklen Küche war die feuchte Julihitze noch so stark, dass alles an ihr klebte. Nachdem sie den Kühlschrank geöffnet hatte, genoss sie einen Moment lang die austretende Kälte, bevor sie Shalisas Schokoladenmousse-Käsetorte herausholte und damit wieder nach draußen ging.

„Nance! Nance!“ Larry fiel seiner Frau gerade ungehemmt ins Wort. „Wie hieß der noch gleich …?“

Das tat Larry beständig: Nancy dazu nötigen, dass sie ihr Gehirn nach Details durchforstete, die zu merken er sich selbst nicht die Mühe machte. Als wäre es ihr Lebensinhalt, für ihn das wandelnde Gedächtnis zu spielen. Nancy nannte ihm routiniert den Namen des Highschool-Mathelehrers und wandte sich dann wieder ihrem Gespräch mit Marlene zu. Schweigend verschob Pam einige Sachen auf dem Tisch, um Platz für das Dessert zu schaffen.

Inzwischen deutete Dave mit dem Kopf auf die Gläser, deren Spielkarten- und Würfelaufdruck mit Kondenswasser überzogen war. „Nette Casinogläser, Hank. Hast dich wohl wieder im Merchandising-Lager bedient, was?“

Grinsend schüttelte Hank den Kopf. „Neuer Eigentümer, neues Logo. Die sollten weggeworfen werden, also habe ich sie als Andenken mit nach Hause genommen.“ Mit einem schelmischen Zwinkern fügte er hinzu: „Ich würde doch niemals die Hand beißen, die uns füttert!“

Die vier Freunde stießen mit ihren Bierflaschen an und tranken.

Leicht gereizt runzelte Pam die Stirn. Diese Kerle … Denen war jeder Anlass recht, um anzustoßen – nun also auf das Casino, obwohl zwei von ihnen nicht einmal dort arbeiteten. Was kam als Nächstes? Ein Schlückchen auf Larrys Bank oder Andres Kurierdienst?

Dave wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf die Torte. „Wow, die sieht aber toll aus, Pammy.“ Im Licht der Kerzen schien sein Lächeln noch mehr zu strahlen, und für einen Moment stockte Pam der Atem. Sie hatte ganz vergessen, wie gut er aussah; diese Lachfältchen um seine Augen. Genau, das war heute anders an ihm. Nicht das feine Grau an seinen Schläfen, das Pam gerade erst aufgefallen war. Nein, er schien heute beinahe glücklich zu sein. Ihr Blick huschte zu Marlene hinüber. Lief bei den beiden etwa wieder etwas? Marlene hatte den Mädels zwar gesagt, dieser Zug sei abgefahren wie bei ihnen allen. Aber vielleicht war sie ja eingeknickt und verschaffte ihrem Mann nun doch wieder ein wenig Spaß. Dave riss sie aus ihren Gedanken, indem er fragte: „Ist das etwa Schokolade?“

Andre antwortete: „Na klar. Die haben wir mitgebracht.“

Typisch Andre, die Lorbeeren für sich einzuheimsen. Pam betonte: „Shalisa hat sie gemacht.“

Sie legte Dave sanft die Hand auf die Schulter, als sie ihm ein Stück anbot. Dass ihr alter Freund zurück war, freute sie, verwirrte sie zugleich aber auch. Wenn es denn wirklich eine solche Veränderung gab. Wieder sah sie zu Marlene hinüber, die gerade kichernd mit Nancy zusammensaß. Vielleicht hatten Dave und sie tatsächlich wieder Sex. Sie würde später bei Marlene nachfragen.

Andre wollte keinen Kuchen und warf Shalisa, als diese ein Stück nahm, über seine Gleitsichtbrille hinweg einen mahnenden Blick zu. „Schatz, das muss doch nicht sein.“

Pam hörte, wie Marlene nach Luft schnappte; sah, wie Nancy betroffen zusammenzuckte. Die drei Freundinnen beobachteten stumm, wie Shalisa den aufsteigenden Ärger unterdrückte. Scheinbar ruhig bedachte sie ihren Mann mit dem Blick, der früher für die Tratschtanten reserviert gewesen war, die sie mit der Frage traktiert hatten, warum sie keine Kinder bekam. Daran erkannte Pam, dass Andre mit diesem Kommentar etwas ausgelöst hatte, das er nun nicht mehr aufhalten konnte, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst war. Stumm wickelte sich Shalisa einen ihrer feinen Zöpfe um den Finger. Sie starrte ihren Ehemann unverwandt an, während sie ihr Stück Schokomousse-Käsetorte bis auf den letzten Krümel verputzte.

Pam beobachtete das, und plötzlich glaubte sie, eine Veränderung wahrzunehmen; irgendetwas lag in der Luft. Später räumte sie die Teller zusammen und musterte noch einmal ihren Mann und die Menschen, mit denen sie seit drei Jahrzehnten befreundet waren. Wieder ging ihr die Frage durch den Kopf, wer von ihnen als Erster sterben würde.

Zwei Tage später sollte sie es erfahren.


Kapitel 2
Marlene hatte recht

Es war Hank, der Daves Leiche fand.

Am Montagmorgen stand Pam bei Dutton Realty am Kopierer und verfolgte wie hypnotisiert den schmalen Lichtstreifen, der von links nach rechts wanderte. Sie war gerade bei der zehnten der neunzig Kopien, die ihr Boss brauchte, als ihr Telefon summte.

HANK: Halt Marlene und die Kinder vom Haus fern.

Was hatte Pam denn bitte schön damit zu tun, wo sich Marlene aufhielt? Vermutlich war die sowieso gerade dabei, drüben in der Stone Bridge Road Beläge von Zähnen zu kratzen. Ein prüfender Blick auf den Kopierer bestätigte Pam, dass die Zeit ausreichte, um der Sache auf den Grund zu gehen. Beim fünften Klingeln ging Hank dann endlich dran. „Hey. Warum schreibst du mir irgendwas über Marlenes längst erwachsene Kinder? Dir ist schon klar, dass die alle bereits ausgezogen …“

„Kann jetzt nicht reden. Dave ist tot. Marlene darf auf keinen Fall nach Hause kommen.“

„Unser Dave?“ Pam suchte am Kopierer Halt. „Bist du sicher?“

„Und ob ich mir sicher bin! Fahr zu Marlene. Sag ihr, dass Dave einen Unfall hatte. Ich bin mir aber nicht sicher, ob du ihr schon sagen solltest, dass er tot ist. Entscheide das besser selbst. Aber lass sie auf keinen Fall in die Nähe ihres Hauses.“

Der Lichtstreifen im Kopierer glitt von links nach rechts.

„Was ist passiert?“ Keine Antwort. „Hank! Was ist passiert?“

Hank räusperte sich. „Dave hatte einen Unfall in seiner Garage. Na ja, oder wohl eher in der Einfahrt. Ich muss jetzt Schluss machen, die Polizei ist da. Aber lass Marlene auf keinen Fall nach Hause, Pam!“

„Okay“, gab Pam leise ihre Zustimmung.

Das Licht sprang zurück und begann von vorne.

„Warte mal, Hank!“ Mühsam riss sich Pam vom Anblick des wandernden Lichtstreifens los. „Hank! Was machst du überhaupt bei Dave zu Hause?“

Doch er hatte bereits aufgelegt.


Hanks Anruf hatte Pam so mitgenommen, dass sie ihrem Mann blind versprach, Marlene fernzuhalten, ohne zu bedenken, mit wem sie es dabei zu tun bekommen würde. Nancy, Shalisa und sie trafen sich in Marlenes Zahnarztpraxis, um ihr die Nachricht gemeinsam zu überbringen. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Marlene ihre Tasche holte und sich umgehend auf den Weg machte.

Die Freundinnen fingen sie auf dem Parkplatz vor der Praxis ein und versuchten, sie mit der Aussicht auf Kaffee und Trost in Shalisas Küche in Pams Van zu locken. Doch Marlene schob sich wortlos an ihnen vorbei und entriegelte ihren ramponierten alten Honda. Diese Frau hatte innerhalb von nicht einmal drei Jahren drei Töchter geboren – die jüngste in der eigenen Einfahrt, weil sie nicht ins Krankenhaus fahren wollte, bevor Dave von seinem Angelausflug zurückkam – und die drei Mädchen, ohne mit der Wimper zu zucken, durch die Stürme der Pubertät bis ins Erwachsenenalter begleitet. Dieses Schätzchen ließ sich nicht in eine Ecke stellen – oder an einen Küchentisch setzen –, wenn sein Ehemann gerade tot in der gemeinsamen Einfahrt lag.

Marlene fuhr so heftig zu ihnen herum, dass ihr blonder Pferdeschwanz durch die Luft peitschte. „Ich weiß zu schätzen, was ihr hier versucht, ehrlich. Aber ich will jetzt verdammt noch mal zu meinem Mann, und ihr werdet mich nicht davon abhalten. Verstanden?“

Ja, das hatten sie verstanden. Mit dem Versprechen, sie umgehend nach Hause zu bringen, stieg Marlene in Pams Van ein.

Auf der Fahrt herrschte drückende Stille. Zu ihrer Linken tauchte immer wieder die Bucht mit ihren vielen, sanft schaukelnden Booten auf, während sie an den weitläufigen historischen Villen vorbei landeinwärts fuhren, in Richtung der bescheideneren Viertel ihres Städtchens. Normalerweise konnte sich Pam kaum auf die Straße konzentrieren, wenn sie zu viert im Auto saßen. Aber diesmal wurde keine Chipstüte herumgereicht, niemand redete über eine neu entdeckte Köstlichkeit, die Lieblings-Playlist wurde nicht aufgedreht, bis die Bässe unter dem Hintern vibrierten. Verstohlen spähte Pam zu Marlene hinüber. Die frischgebackene Witwe hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah aus dem Beifahrerfenster.

„Ich bin im Arsch“, erklärte Marlene der Scheibe.

Shalisa streckte den Arm nach vorne und tätschelte ihre Schulter. „Nein, bist du nicht. Wir helfen dir da durch.“

„Mein Mann ist tot, und in meinem Kopf kreist nur ein Gedanke: Ohne ihn werde ich das Haus nicht halten können.“ Mit einem Ruck wandte sich Marlene nach vorne. „Vielen Dank, Arschloch Dave.“

Nancy, die ebenfalls hinten saß, kommentierte: „Arschloch Dave? Sie sind alle Arschlöcher, Marlene.“

Reglos starrte Marlene durch die Windschutzscheibe. „Na ja. Aber eure Arschlöcher können wenigstens noch die Hypotheken abzahlen.“ Frustriert stieß sie den Atem aus. „Jawohl, ich bin voll und ganz im Arsch.“

Leicht irritiert runzelte Pam die Stirn. Okay, alles in allem war nicht damit zu rechnen gewesen, dass Marlene dem typischen Bild einer Witwe entsprach. Trotzdem hatte Pam doch mit ein wenig Trauer gerechnet.

Marlene stützte sich auf die Armlehne und wandte sich den Freundinnen zu. „Ich versuche gerade, mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe. Als er gestern Abend vom Angeln kam, haben wir gemeinsam Jeopardy geguckt, aber ich wüsste nicht, dass wir dabei auch nur ein Wort gewechselt hätten. Nach dem Essen bei euch am Samstag“, sie warf Pam einen kurzen Seitenblick zu, „kam er zu Hause in der Küche plötzlich an, hat mir von hinten die Arme um die Taille geschlungen und wollte meinen Hals küssen. Als wäre alles vollkommen normal. Das habe ich abgewürgt.“

Womit auch die Frage beantwortet war, die Pam noch nicht hatte stellen können. Dave und Marlene schliefen also nicht wieder miteinander. Warum hatte er dann an dem Abend so glücklich gewirkt? Sie tätschelte Marlene tröstend das Knie und bog in ihre Straße ein. Wo sonst ruhige Beschaulichkeit waltete, herrschte nun Hochbetrieb: Zwei Feuerwehrfahrzeuge parkten am Straßenrand, im Schatten der Ahornbäume drängten sich die Gaffer zusammen. Während Pam langsam an den Terrassenhäusern und Bungalows im Ranchstil mit ihren ordentlichen Vorgärten vorbeifuhr, entdeckte sie zwischen den Einsatzfahrzeugen auch Hanks Auto. Marlene schien aus dem Wagen springen zu wollen, sobald er stand, aber Nancy sagte leise zu ihr: „Gewisse Dinge wird man nicht mehr los, wenn man sie einmal gesehen hat, Marlene.“ Ergeben sank Marlene in sich zusammen, ließ den Türgriff los und nickte Pam zu, damit sie vorging und sich einen Eindruck verschaffte.

Noch bevor Pam das Haus erreicht hatte, beendete Hank sein Gespräch mit einem Polizisten und stürmte die Einfahrt hinunter, um sie abzufangen. Seinem Leitspruch „Angriff ist die beste Verteidigung“ folgend, beschleunigte sie ihre Schritte ebenfalls, sodass sie schließlich am Wagen des Leichenbeschauers aufeinandertrafen.

Hank war knallrot im Gesicht, seine Haut glänzte vor Schweiß. Seine Augen waren gerötet. Noch vor fünf Jahren hätte er nun die Arme ausgebreitet und sie an sich gezogen, sodass sie den Kopf an seine Brust hätte legen können wie ein Puzzleteil, das sich mit seinem Gegenstück vereint. Nun aber reckte er anklagend den Zeigefinger. „Was war so schwer zu verstehen an der Anweisung …“

„Wann hast du das letzte Mal versucht, Marlene Anweisungen zu erteilen?“, schnauzte Pam sofort zurück.

Hank verstummte abrupt, blinzelte und gab dann zu: „Dave hat immer gesagt, sie sei schwer zu bändigen.“

„Allerdings.“

Hank packte Pam an den Schultern und drehte sie so, dass sie Richtung Straße schaute. Als sie auf das Haus zugelaufen war, hatte sie bewusst den Blick abgewandt, da ihr noch immer Nancys warnende Worte im Kopf herumgingen. Sie wollte lieber den Dave in Erinnerung behalten, der lächelnd sein Tortenstück von ihr entgegennahm.

„Es ist kein schöner Anblick. Bist du sicher, dass du Details hören möchtest?“

Pam nickte.

„Okay. Dave wurde vom Garagentor zerquetscht.“

„Nein!“ Pam konnte nicht anders; sie riskierte einen kurzen Blick und sah, dass zwischen Garagentor und Boden gut ein halber Meter Platz war. Mehrere Sanitäter in dunkelblauen Uniformen versperrten ihr die Sicht, trotzdem glaubte Pam unter einem schützenden Tuch Daves sandblondes, langsam ergrauendes Haar zu erkennen, das in einer dunklen Lache klebte.

„Das willst du nicht sehen“, versicherte ihr Hank und drückte ihren Arm, damit sie sich wieder ihm zuwandte. „Sie gehen davon aus, dass er das Tor schließen wollte, sich dabei den Kopf gestoßen hat und bewusstlos wurde. Er ist gestürzt, das Tor ist ungebremst auf seinem Schädel gelandet und hat ihn zerquetscht.“

Entsetzt schlug Pam die Hände vor das Gesicht. Sie konnte es nicht fassen.

Jahrelang hatte Marlene Dave damit in den Ohren gelegen, dass sie sich ein automatisches Garagentor anschaffen sollten. Ihr schweres, manuell zu bedienendes Modell war unaufhaltsam wie eine Dampflok, wenn es einmal in Bewegung geriet. Immer wieder hatte Marlene Dave vorgehalten: „Dann wäre es viel leichter, den Müll rauszubringen. Und wir könnten total über die Stränge schlagen und unser Auto in der Garage parken wie normale Menschen. Hast du daran schon mal gedacht, Dave?“ Da Dave aber uneinsichtig blieb, beendete Marlene diesen Vortrag gerne mit den Worten: „Eines Tages wird dieses Garagentor einen von uns umbringen.“

Was nun geschehen war.

Pam musterte ihren Mann. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die sämtliche Details hin und her schob wie Scrabble-Steine, bis sich ein ordentliches Bild ergab. Und hier passten einige Steine noch nicht ganz. „Hast du ihn heute im Casino gesehen?“

„Wie du weißt, arbeiten wir in unterschiedlichen Abteilungen. Wir begegnen uns dort nie.“

„Warum war er an einem Montagmorgen überhaupt zu Hause?“

Hank fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Das weiß ich nun wirklich nicht.“

„Und warum warst du hier?“

Mit einem schweren Seufzer schüttelte Hank den Kopf. „Ich kann das jetzt nicht, Pam. Ich kann einfach nicht.“ Er ließ die Schultern hängen, schob die Hände in die Hosentaschen und ging zu den Polizisten zurück.

„Ich habe dich etwas gefragt, Hank!“ Frustriert riss Pam die Hände hoch und sah ihm hinterher, während er die Einfahrt hinaufging. In diesem Moment gelang es den Polizisten, das Garagentor vollständig zu öffnen. Das Innere von Daves Garage sah noch genauso aus wie bei Pams letztem Besuch – so vollgestopft mit unnötigem Zeug, dass Marlene niemals die Chance gehabt hätte, dort drin ihren Wagen zu parken.

Nach einem letzten Blick auf das Haus kehrte Pam zu ihrem Van zurück, um ihre Freundinnen auf den neuesten Stand zu bringen. Erleichtert ließ sie sich in den Sitz sinken: Zum einen, weil die kühle Luft wohltuend über ihre Haut glitt, zum anderen, weil sie nun Tränenspuren auf Marlenes Wangen entdeckte. Dreißig Jahre Ehe waren nun einmal dreißig Jahre Ehe, außerdem war Dave der Vater ihrer Kinder. Da war ein wenig Trauer ja wohl angebracht.

Marlene putzte sich lautstark die Nase. „Kann ich ihn sehen?“

Pam schob sich über den Sitz und schloss ihre Freundin in die Arme. „Ach, Marlene, ich denke nicht, dass du das willst. Lass uns besser zu Shalisa fahren und überlegen, was jetzt zu tun ist.“

Das Kinn fest auf Marlenes Schulter gedrückt, beobachtete Pam durch die Scheibe, wie die Sanitäter Daves Leichnam auf eine Trage hoben. Auch Nancy und Shalisa quetschten sich nach vorne und versuchten, ihre Freundin zu drücken. Marlene flüsterte dicht an Pams Ohr: „Sag mir, was passiert ist.“

Sie weiterhin fest an sich drückend, erzählte Pam, dass Hank den toten Dave eingeklemmt unter dem Garagentor gefunden habe. Marlene erstarrte, ihr Schluchzen verstummte augenblicklich. Sie löste sich aus Pams Umarmung und richtete sich auf. Mit schmalen Augen fragte sie: „Willst du mich verscheißern?“

Stumm schüttelte Pam den Kopf.

Marlene musterte Pam prüfend. Ihr Blick wanderte zu ihrem Haus hinüber, dann wieder zu Pam. Ein kurzes, raues Lachen löste sich aus ihrer Kehle. Besorgt sahen die Freundinnen sich an, während Marlene die Hände vor das Gesicht schlug. Pam befürchtete einen Moment, sie würde nun unhaltbar anfangen zu weinen, doch als Marlene schließlich die Hände sinken ließ und den Kopf gegen die Lehne drückte, erkannten die Frauen schockiert, dass sie lachte. Lauthals und ungehemmt, als würde sie sich einen Comedyauftritt von Robin Williams ansehen. Da sie nicht wussten, wie sie helfen sollten, wechselten die Freundinnen nur ratlose Blicke und warteten ab, bis sich Marlenes Gelächter auf ein sanftes Kichern reduzierte. Schließlich holte sie einmal tief Luft, tupfte sich die Wangen ab und stellte die Lüftungsschlitze so ein, dass die Klimaanlage ihr direkt ins Gesicht pustete. Dann verstaute sie ihr Taschentuch in ihrem Ausschnitt, schüttelte den Kopf und verkündete: „Gut, fahren wir. Aber vergesst den Kaffee, ich brauche jetzt einen Scotch.“

Zwar war Pam sich nicht sicher, ob sie Marlenes plötzlichen Stimmungsumschwung beruhigend oder besorgniserregend finden sollte, aber sie wollte unbedingt hier weg, also lenkte sie den Van wieder auf die Straße hinaus. Als direkt vor ihnen der Leichenwagen losfuhr, bremste sie peinlich berührt ab. Was für ein mieses Timing! Schnell drückte sie Marlenes Hand.

Wie gebannt starrte Marlene auf den Wagen, der ihren Ehemann endgültig von dem Haus fortbrachte, in dem sie ihre drei Mädchen großgezogen hatten. Von dem Vorgarten, in dem er mit jeder seiner Töchter an deren Hochzeitstag posiert hatte.

Sie hielt sich an Pams Hand fest, als ihr Blick die Einfahrt hinaufwanderte zu dem Garagentor, das den Mann getötet hatte, mit dem sie dreißig Jahre verheiratet gewesen war. „Hoffentlich war sein letzter Gedanke: ›Marlene hatte recht.‹“

Spicy Formel 1-Romance

Das Buchcover zeigt ein romantisches Szenario vor einem Rennsport-Hintergrund. Die Hauptfiguren, ein junger Mann in einem türkisfarbenen Rennoverall und eine Frau in einem weißen Kleid, tanzen leidenschaftlich miteinander. Der Titel „RIDE WITH ME“ ist in großen, weißen Buchstaben deutlich abgebildet, darunter steht in kleinerer Schrift „ROMAN“. Der Hintergrund ist in lila und pink gehalten, mit stilisierten Gebäuden und einem Racing-Flaggenmotiv, was eine dynamische und aufregende Atmosphäre vermittelt. Der Autorename, Simone Soltani, ist oben auf dem Cover platziert.Das Buchcover zeigt ein romantisches Paar, das in sportlicher Kleidung, optimal in Szene gesetzt, in einer dynamischen Pose vor einer urbanen Kulisse steht. Die Farben sind kräftig und lebhaft, dominierend sind Blau- und Pinktöne. Der Titel „RIDE WITH ME“ wird in markanter, moderner Schriftart präsentiert, während der Autorennamen „Simone Soltani“ darüber steht. Im Hintergrund sind Elemente des Rennsports sichtbar, wie eine Zielflagge und ein Rennwagen, was eine aufregende Atmosphäre hervorruft.

Roman

Stellas Leben kann nicht schlimmer werden. Nachdem sie am Altar versetzt wurde und sich auf Social Media blamiert hat, will sie den Junggesellinnenabschied ihrer Cousine in Las Vegas einfach nur überstehen. Thomas hingegen will sich in Vegas ablenken. Seine Formel 1-Karriere wird von neuen Talenten bedroht, und er ist der meistgehasste Fahrer auf der Strecke. Stella ist nicht, womit Thomas in dieser Nacht rechnet. Und Thomas ist nicht der Mann, neben dem Stella erwartet, mit Ring am Finger aufzuwachen. Doch verheiratet zu bleiben, könnte die Lösung all ihrer Probleme sein. Was in Vegas passiert, muss vielleicht doch nicht dort bleiben.

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Das Buchcover zeigt einen dunklen Hintergrund, geschmückt mit blühenden, großflächigen floralen Motiven in Blau, Gold und Weiß. Im oberen Drittel ist der Schriftzug „RuNyx“ in einer eleganten, verschnörkelten Schrift platziert. In der Mitte dominieren die Worten „THE REAPER“ in großer, goldener Schrift, darunter steht in kleinerer, schwarzer Schrift „Roman“. Der Untertitel „Du bist sein Untergang“ ist ebenfalls sichtbar, was eine düstere Stimmung vermittelt. Ein runder Hinweis weist auf eine Leseempfehlung ab 18 Jahren hin.Das Buchcover zeigt einen dunklen Hintergrund, der mit großen, blauen Blumen und goldenen Akzenten geschmückt ist. In der Mitte prangt der Titel „THE REAPER“ in großen, goldenen Buchstaben. Darunter steht in kleinerer Schreibung „Roman“ und der Untertitel „Du bist sein Untergang“ in einer eleganten, verspielten Schrift. Oben links befindet sich der Name der Autorin „RuNyx“. Ein runder Button auf der rechten Seite enthält den Text „UNSERE LESEEMPFEHLUNG: AB 18 JAHRE CONTENTWARNUNG BEACHTEN“. Die Atmosphäre des Covers vermittelt eine geheimnisvolle und düstere Stimmung.

Roman

Düster, mitreißend und verboten heiß! 

Morana weiß nun, was Tristan und sie verbindet. Nun, da er sie nicht mehr töten will, ist sie entschlossen, die Mauern um Tristans Herz zu durchbrechen. Doch dann muss Tristan nach Tenebrae zurückkehren und Morana beschließt, ihn zu begleiten und begibt sich in ein gefährliches Umfeld. Denn nicht nur der Anführer des Tenebrae-Outfits wünscht ihren Tod, auch andere Mächte haben es auf sie abgesehen. Und dann ist da noch die Suche nach den verschwundenen Mädchen und einem mysteriösen Fremden, der Morana anonyme Hinweise zukommen lässt ... 

Während immer mehr dunkle Geheimnisse ans Licht kommen, müssen Morana und Tristan zusammenhalten, um zu überleben. Doch kann Morana dem Mann, der sie zwanzig Jahre lang töten wollte, wirklich sowohl ihr Leben als auch ihr Herz anvertrauen?

Die Dark Verse-Reihe bei everlove: 

Band 1: The Predator – Du bist sein Geheimnis

Band 2: The Reaper – Du bist sein Untergang

Band 3: The Emperor – Du bist sein Schicksal

Band 4: The Finisher – Du bist sein Verhängnis


Achtung! Die Romane der Dark Verse-Reihe bauen aufeinander auf. Bitte achte darauf, die Bücher in ihrer vorgegebenen Reihenfolge zu lesen.  

PROLOG

Das Orange der glühenden Zigarette war das einzige Lebenszeichen in der dunklen, stürmischen Nacht.

Der Mann hinterm Steuer schaute auf den Friedhof links von ihm, beobachtete mit seinen grünbraunen Augen das Liebespaar, das sich zwischen all den Toten küsste. Er konnte das Mädchen nicht sehen, weil der große Körper ihres Liebhabers sie verdeckte, aber er wusste, wo sie war, so wie er es all die Jahre über gewusst hatte.

Aus der Dunkelheit seines Wagens beobachtete er sie, sein Fenster war nur ein paar Zentimeter geöffnet, um den Rauch entweichen zu lassen, bevor dieser ihn erstickte. Nicht, dass er den Tod fürchtete, überhaupt nicht. Er hatte bloß noch ein Ziel, das ihn schon sehr lange antrieb. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr hatte er gewartet, war seinem Ziel einen metaphorischen Schritt nähergekommen.

Er nahm einen langen Lungenzug, spürte, wie der Rauch in seine Zellen eindrang und sich mit der Asche seines alten Lebens vermischte. Gedankenverloren rieb er sein Knie, strich über den geisterhaften Schmerz, der ihn verfolgte.

Ein Blitz beleuchtete alles für einen Sekundenbruchteil. Hätte sich der Predator umgedreht, hätte der ihn gesehen. Aber einer der besten Jäger der Mafia war von der Frau abgelenkt. Er war unvernünftig, nachlässig. Emotional involviert.

Der Beobachter sah zu, wie sie sich trennten, wie der junge Mann sich hinabbeugte, um die Waffe aufzuheben, die zu Boden gefallen war, und wie er sie ihr gab. Wie Schatten beobachtete er stumm die Frau, die ihm zu seinem Wagen folgte.

Der Mann öffnete das Fenster ganz und warf seine halb gerauchte Zigarette hinaus. Tropfen benetzten sein Gesicht mit dem Elan einer Geliebten, die seine Haut küsste. Sein Blick wanderte zum Silberring an seinem rechten Ringfinger, der Totenkopf war bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Er war vor langer Zeit als Geschenk für ihn angefertigt worden. Der Totenkopf war einmal sein Kronjuwel gewesen.

Über die Jahre hatte er über die dünne Grenze zwischen Gerechtigkeit und Rache nachgedacht. Auf welcher Seite er landen würde, hing vor allem von dem Mädchen ab. Er trug den Ring nicht als Erinnerung an Lachen und Freundschaft, sondern an alles, was er verloren hatte.

Es war an der Zeit, es zurückzuholen.


1
Belauschen

Es regnete in Strömen.

Die Tropfen prasselten auf die Windschutzscheibe und starben sofort, liefen über das Glas, während Donner grollte.

Morana stand immer noch am Fenster, sah immer noch hinaus in den Regen, war immer noch geschützt vor den Tropfen, die versuchten, durch die durchsichtige Wand zu dringen, um sie zu berühren.

Dieses Mal jedoch war sie nicht unberührt. Sie war bereits von ihnen geküsst, getroffen und geliebt worden. Dieses Mal war sie klatschnass und zitterte wegen der heftigen Erinnerung in ihrem Herzen an diesen Moment, in dem die Regentropfen ihre Haut streichelten.

Dieses Mal war sie wie in jener Nacht im Penthouse nicht allein.

Er war auch nicht unberührt. Sie hatte vorhin andächtig und fasziniert zugesehen, wie er von ihr wegging und stumm in den Wagen stieg.

Wolken zogen vorbei. Blitze leuchteten auf. Winde wehten.

Und sie stand draußen, war ungeschützt, während er hinter seiner Mauer verschwand.

Aber nicht komplett.

Obwohl er den Zündschlüssel drehte, machte er keinerlei Anstalten, den Wagen vom Parkplatz zu fahren. Er wartete schweigend auf sie, die danebenstand und auf die Stelle schaute, an der sie ihre Entscheidung getroffen und ihn zu seiner gezwungen hatte. Der Regen spülte ihre Fußspuren weg, Matsch und Gras bedeckten den Punkt, der für sie ein innerer Wendepunkt war. Der strömende Regen wischte auch an ihr die meisten Flecken weg, die von der Explosion herrührten, und öffnete die Streifwunde an ihrem Arm. Das machte ihr Sorgen, weil sie gestern noch darauf geachtet hatte, dass sie nicht nass wurde – und nun war sie völlig durchnässt.

Selbst als sie nur dastand und spürte, dass ihr Arm spannte, hatte er nicht gehupt, die Tür geöffnet oder den Motor aufheulen lassen. Es gab kein Anzeichen dafür, dass er auf sie wartete. Und doch wusste sie es, einfach, weil er noch da war. Eine schweigende, aber magnetische und starke Präsenz in dem leeren Gebiet – ein fühlendes Lebewesen inmitten von Tod und Zerstörung.

Stumm bot er ihr einen Platz hinter den Mauern an, die ihn schützten. Genauso stumm hatte sie akzeptiert. Sie ging um den Riesenwagen und stieg auf der Beifahrerseite ein. Er fuhr vom Friedhofsgelände.

Die warme Luft fühlte sich auf ihrer feuchten, kalten Haut gut an. Sie hielt ihre Hände vor die Lüftung, damit die Wärme langsam bis in ihre Knochen drang. Sie sah sich zum ersten Mal im Wagen um und war kein bisschen von den schwarzen Ledersitzen überrascht, die wegen ihrer Kleidung feucht waren. Sie war zum ersten Mal in seinem Auto, einem tollen, schwarzen BMW, auf den sie, wenn sie ehrlich war, etwas neidisch war.

Mit leichtem Kopfschütteln blickte sie zur Konsole, wo „Play Music“ auf dem Display leuchtete. Sie fragte sich, welche Art Musik er mochte, wenn überhaupt. Hörte er eher Rock oder R & B? Oder war sein Musikgeschmack so wild gemischt wie ihrer? Während sie die Gegenstände um sich herum betrachtete, gingen ihr einfache Fragen über ihn durch den Kopf, die sie sich bisher nicht erlaubt hatte.

Ihr neugierig wandernder Blick stoppte an einem Anhänger. Er war klein und feminin. Eine winzige, runde Scheibe hing an einer Silberkette am Rückspiegel.

Die Neugier war stärker und Morana versuchte unauffällig nachzusehen, ob sie graviert war. Sie kniff die Augen zusammen.

Es gab eine Gravur:

Baby Sister

O Gott … es hatte ihr gehört.

Luna.

Moranas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Wegen all ihres neu erworbenen Wissens lehnte sie den Kopf an die Kopfstütze und sah zum schweigenden Mann neben ihr.

Er wirkte entspannt, seine Hände umklammerten weder das Lenkrad noch den Schaltknüppel, sein Atem war regelmäßig und ruhig. Alles schien in Ordnung. Abgesehen von einer kleinen Sache: Er schaute mit enormer Konzentration geradeaus, sicherlich mehr, als zum Fahren nötig war, und wich ihrem Blick aus, seit er ihr die Waffe zurückgegeben hatte.

Danach hatte er sie wie wahnsinnig geküsst.

Morana sah erneut auf diesen schlichten, kleinen Anhänger, der durch die Bewegung des Autos im Kreis schwang, und ihr Herz schmerzte. Dieses winzige Schmuckstück, das frei zwischen ihnen tanzte – das Silber, das diese Gravur trug und einmal seiner geliebten kleinen Schwester gehört hatte –, sagte mehr über ihn aus, als irgendetwas sonst es je könnte. So viel Schmerz, so viel Wut, so viele Narben …

Zusammen mit der Last auf ihrer Brust kam eine weitere Erkenntnis: Auch das Auto war sein Revier. Sonst würde die Kette nicht hier hängen, so offen, so hübsch, so verletzlich. Ihre schiere Anwesenheit machte ihr bewusst, dass der Raum im Auto sehr intim war.

Und ihr wurde klar: Er hatte sie in sein Revier gelassen. So wie damals in dieser ersten Nacht in seinem Penthouse, als er bestimmt hatte, dass sie in seiner Wohnung blieb, anstatt mit Dante zu verschwinden. Noch einmal. Sogar nachdem er eine Entscheidung getroffen hatte, die sie nicht mal ansatzweise ergründen konnte.

Die Nachwirkungen steckten ihr immer noch in den Knochen, rauschten immer noch in ihrem Blut, pulsierten immer noch in jeder Zelle ihres Körpers. Sie spürte immer noch das kalte Metall der Pistole an ihrem pochenden Herzen. Spürte immer noch diese Lippen an ihren beben. Sie spürte immer noch, wie die Zunge ihren Mund erforschte.

Es schüttelte sie – wegen der Kälte oder der Erinnerungen, sie wusste es nicht.

Fragen wirbelten ihr durch den Kopf. Worte formten sich in ihrem Hals und kamen bis zur Zungenspitze, dann schluckte sie sie hinunter, denn sie wollte das Schweigen nicht brechen. Sie hatte ihn gerade zu etwas gezwungen, und sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er nicht gut darauf reagieren würde, sollte sie ihn zum Reden bringen wollen, jetzt, da er noch keine Zeit gehabt hatte, alles zu verarbeiten.

Jedenfalls hätte sie an seiner Stelle diese Zeit gewollt. Sie war sich immer noch unsicher, was in seinem Hirn vorging, aber sie lebte und zitterte neben ihm, nachdem sie ihm die Chance gegeben hatte, sie umzubringen. Und das war genug. Für den Augenblick.

In der angespannten Stille summte sein Handy auf dem Armaturenbrett.

Morana schaute reflexhaft hin.

„Chiara ruft an“

Unwillkürlich runzelte sie die Stirn.

Chiara? Wer zum Teufel war Chiara? Und warum rief sie um diese Zeit, mitten in der Nacht, an?

Morana drehte den Kopf zum Fenster und konzentrierte sich auf die Regentropfen, die am Glas hinunterglitten, und auf die anderen Autos auf der fast leeren Straße. Ihr fiel auf, dass er den Anruf nicht annahm. Ob das daran lag, dass er fuhr oder an ihrer Gegenwart oder einfach nur daran, dass er nicht in Stimmung dafür war, wusste sie nicht.

In ihrem Bauch löste sich ein kleiner Knoten, der ihr wegen seiner puren Existenz Sorgen machte. Es hätte kein Knoten da sein dürfen. Sie hätte keinerlei Reaktion auf den Anruf einer Frau mit wunderschönem Namen mitten in der Nacht haben dürfen. Dafür hatte sie keine Energie. Das war nicht gut.

Sie schüttelte das Gedankenchaos ab und beschloss stattdessen, seine große Hand beim Schalten zu beobachten, wofür sie bisher weder Zeit noch Lust gehabt hatte. Die riesige Metalluhr mit einem marinen Ziffernblatt an seinem kräftigen Handgelenk sah teuer aus. Da waren die Venen auf seinem Handrücken, die paar Haare, die sich unter seinem Ärmel lockten, die langen, starken Finger, die sie schon in sich gespürt hatte. Sie zuckte leicht zusammen und ließ ihren Blick nach unten wandern, sah noch mal auf die verletzte Haut an seinen Fingerknöcheln, immer noch geschwollen. Obwohl diese Verletzung von der Duschwand gestern Abend stammen konnte, wirkte sie zu frisch.

Sie öffnete den Mund, um ihn danach zu fragen, sah wie sich seine Mundwinkel ein bisschen senkten, und schwieg.

Dies war nicht der passende Moment. Überhaupt nicht der passende Moment.

Die Zeit verging wie im Flug, während er den Wagen gekonnt durch den geringen Verkehr lenkte, und nach langen, angespannten Minuten sah sie das bekannte Tor seines Apartmentkomplexes. Das Gebäude ragte hoch in den stürmischen Himmel, das Meer lag weit links davon.

Die beiden Wachen am Tor, mit Waffen an der Hüfte, nickten ihm respektvoll zu, und er fuhr über die kleine Auffahrt in die Tiefgarage. Weißes Licht erleuchtete den gesamten Raum, ließ den Lack all der schwarzen Autos glänzen. Morana betrachtete die vielen Wagen und fragte sich für einen Moment, wer außer ihm und Dante noch hier wohnte.

Bevor sie diesem Gedanken nachgehen konnte, parkte er neben seinem wunderschönen Motorrad. Morana musterte den dunklen Motor und sehnte sich danach, noch einmal damit zu fahren. Diese Motorradfahrt war eine berührende Erinnerung an den ersten Moment, in dem sie sich wirklich frei gefühlt hatte.

Ihr Sehnen verschwand, als sie hörte, wie sich die Tür öffnete, dann sprang er aus dem Wagen, knallte die Tür zu – noch bevor sie sich auch nur abgeschnallt hatte. Sie hatte das Gefühl, dass er weg von ihr wollte, und obwohl es sie wütend machte, verstand sie es auch. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie ihn wahrscheinlich auf dem Friedhof stehen gelassen und wäre weggelaufen, um allein zu sein. Ehrlich gesagt, hatte sie das sogar halbwegs von ihm erwartet.

Wie am Friedhof wartete er schweigend auf sie, obwohl er den Aufzug zuerst erreichte. Morana öffnete leise die Autotür, dann strich sie über den Motorradsitz. In der kühlen Garagenluft zitterte sie, während sie rasch zum Aufzug ging, in dem er stand und einen Fuß herausstreckte, damit sich die Tür nicht schloss.

Die Geste überraschte sie. Als sie eintrat, schritt er zurück und gab den Code fürs Penthouse ein. Sie beobachtete, wie sich die Türen schlossen. Die Spiegel zeigten ihre nassen Körper. Morana sah sich das Bild an, das sie abgaben. Während er gefasst wirkte – sein großer, muskulöser Körper in diesem nassen Anzug samt tropfender Krawatte, das Sixpack unter dem klebenden weißen Hemd deutlich zu sehen –, sah sie aus wie der aufgewärmte Tod. Durch die Explosion waren ihre Kleider teilweise zerrissen, ihr helles Top war komisch braun. Dreck und Matsch befleckten den Stoff und an ein paar Stellen sogar ihre Haut. Ihre Haare waren zerzaust und hingen zur Hälfte aus ihrem schlappen Pferdeschwanz, ihre Wangen boten als einziger Fleck im Gesicht Farbe, ihre Augen waren groß und rötlich.

Der Kontrast zwischen ihnen in diesem Moment ließ sie erschauern. Seine gebräunte Haut gegenüber ihrer blassen, seine sauberen, dunklen Kleider gegenüber ihren hellen, schmutzigen, sein großer, breiter Körper gegenüber ihrem kleinen, kurvigen. Die Kraft, die er ausstrahlte – sogar in einem derangierten Zustand, in einem Moment, in dem er sie keines Blickes würdigte –, brannte auf ihrer Haut.

Bis vor ein paar Tagen hatte der Gedanke, den Körper dieses Mannes an ihrem zu spüren, sie nur erregt, wenn auch auf einem Level, das sie nicht begriff. Doch nun herrschte in ihr ein chaotischer Rausch. Faszination und Lust, Mitgefühl und Lust, Wut und Lust vermischten sich in einem brennenden Gebräu, das sie in ihrem Bauch spürte. Obwohl gerade nicht die Zeit dafür war, wusste sie, dass sie ihn eines Tages wieder haben würde. Nackt, seine Haut an ihrer, mit seinem Schweiß, seinem Geruch, seinen Narben, die auf ihr rieben, während sie ihn markierte.

Er wäre ihr Ruin. Und sie seiner.

Aber nun war nicht die Zeit dafür.

Sie holte tief Luft, um sich zu sammeln und ihnen beiden Zeit zu geben, die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden zu verarbeiten, und spähte zu ihm, erinnerte sich daran, als sie diesen Aufzug das erste Mal mit ihm betreten hatte. Er lehnte an der Rückwand, nur einen halben Meter von ihr entfernt, scrollte durch sein Handy, ohne aufzusehen oder Augenkontakt zu ihr aufzunehmen. Dieser fehlende Blickkontakt zwischen ihnen war merkwürdig. Und jetzt, da er ihr seine wunderschönen Augen verweigerte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich darauf verlassen hatte, in ihnen zu lesen.

Sie wusste, dass er wusste, dass sie ihn ansah. Und doch blickte er demonstrativ auf sein Handy.

Beim Ausatmen rieb sie sich die Arme, um sich zu wärmen – ihre Wunde tat etwas weh. Schon öffneten sich die Türen, und die majestätischen Panoramafenster mit Blick auf den Regen und die Stadt tauchten auf. Sie liebte die Fenster so sehr, sie raubten ihr jedes Mal den Atem.

Da hörte sie wütende Stimmen.

Eine laute, männliche. Eine leise, weibliche.

Morana unterdrückte ihre Überraschung – sowohl darüber, dass Amara hier war, als auch, dass Dante nicht wie er selbst klang. Wie angewurzelt blieb sie stehen und schaute den schweigenden Mann neben sich an, der endlich sein Handy einsteckte und sich auf die beiden in der Wohnung konzentrierte.

„Du hattest kein Recht dazu“, sagte Dante lauter, als Morana ihn je gehört hatte, jedes Wort voller Wut. „Du durftest diese Geschichte nicht erzählen.“

„Ich konnte doch nicht einfach danebenstehen, während er sich oder sie tötet“, erwiderte Amara. Ihre Stimme war weiterhin leise und rau, aber fest genug, sodass Morana hörte, dass sie es ernst meinte. „Ich habe ihm jahrelang dabei zugesehen und ertrage es nicht mehr.“

„Es geht hier nicht um dich, verdammt noch mal“, brüllte Dante und Morana zuckte zusammen. „Du willst jemandem erzählen, woher du diese Narbe hast? Na los, erzähl es allen. Aber du hast nicht das Recht, jemandem zu erzählen, wie er seine bekommen hat, Amara! Ich habe dir all das im Vertrauen gesagt und du hast es verraten. Du hast ihn verraten. Scheiße, wie konntest du nur?“

„Du wirfst mir Verrat vor? Mein Gott, manchmal erkenne ich dich nicht wieder.“ Amara kochte vor Wut, ihr Tonfall war anders als noch vor einer Stunde, als sie über diesen Mann gesprochen hatte. „Ja, ich habe einer unschuldigen Frau, die keinerlei Verantwortung für das trägt, was ihm passiert ist, erzählt, warum ihr Leben auf dem Spiel steht. Ich habe einer Frau, durch die er so lebendig wird, die Wahrheit über ihn erzählt. So habe ich ihn bisher noch nie erlebt. Wenn er durch meinen Verrat an dir und ihm eine Chance auf ein besseres Leben bekommt als das, was er hatte, dann würde ich euch noch hundert Mal verraten. Sie verdiente, es zu wissen, und er verdient eine Chance!“

„Fang nicht wieder damit an. Es ist verdammt einfach. Wir haben dir vertraut und du hast das Vertrauen gebrochen. Es ist seine Geschichte, und er hätte sie ihr erzählt, wenn er gewollt hätte. Das hat er nicht.“

„Weil er Angst hatte, dass sie etwas verändert!“, rief Amara, ihre Stimme angespannt. „Und es muss sich etwas verändern, begreifst du das nicht?!“

„Nicht auf diese Weise.“

Eine Sekunde herrschte Schweigen, dann fragte Amara ruhig: „Bist du wütend, weil ich ihn verraten habe oder weil ich dich verraten habe?“

Schlagfertig.

Morana jubelte der Frau, die ihre Freundin geworden war, stumm zu. Sie hatte einen schreienden Mann mit ihrer leisen, verletzten Stimme auf seinen Platz verwiesen. Eine Art Stolz erfüllte sie.

Bevor in der Wohnung noch ein Wort gesagt werden konnte, trat der große Mann neben ihr, der mit jedem Wort distanzierter geworden war, aus dem Aufzug und ging nach rechts zum Essbereich, woher die Stimmen kamen. Morana folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand. Sie biss sich auf die Lippen, um nichts zu sagen.

Am Rand des Wohnzimmers blieb sie stehen, als sie Dante und Amara nur Zentimeter voneinander entfernt erstarrt dastehen sah. Beide blickten mit großen Augen auf Tristan. Dante schaute zu ihr, musterte sie von Kopf bis Fuß, seine aufmerksamen Augen sahen eine Sekunde lang auf ihre Lippen, und ihr wurde klar, wie geschwollen diese waren. Morana betrachtete die dunklen Augen in seinem hübschen, aufgewühlten Gesicht. Er schüttelte einmal den Kopf, dann wandte er sich abrupt zum Fenster und sah düster hinaus.

Amara blickte nicht zu ihr, nicht mal für einen Moment, sondern starrte mit geradem Rücken und erhobenem Kinn zu dem Mann neben ihr. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Reue für ihre Tat. Moranas Respekt für diese Frau wurde noch größer, denn es war verdammt einschüchternd, von Tristans Blick durchbohrt zu werden.

Sie sah zu ihm auf. Er starrte Amara weiterhin mit zusammengebissenen Zähnen an.

Niemand sagte ein Wort.

Die Spannung zwischen den beiden schien anzusteigen, so sehr, dass Morana einen Augenblick überlegte, einzugreifen. Doch dann sah sie, dass sich seine Lippen bewegten.

„Geh nach Hause, Amara.“

Seine Stimme, diese rauchige Whiskeystimme, erklang zum ersten Mal seit Stunden, war sanft gegenüber dieser schönen Frau. Eine Bitte und eine Aufforderung gleichzeitig.

Amara nickte, ohne zu argumentieren oder sich zu erklären. Sie nahm ihre Tasche von der Arbeitsfläche und schritt an ihnen vorbei zum Aufzug. Dort blieb sie stehen und drehte sich zu Dante um, der aus dem Fenster sah, ihre dunkelgrünen Augen waren voller Wut.

„Sei kein Feigling, Dante“, zischte sie in seine Richtung. „Es ist verdammt noch mal Zeit.“

Oh, oh.

Damit betrat sie den Aufzug, und die Türen schlossen sich.

Okay.

Doch anscheinend war es noch nicht vorbei. Erstaunt bemerkte Morana, wie Dante seine Hände zu Fäusten ballte, dann nahm er eine Vase aus dem nächsten Schrank und donnerte sie auf den Boden, sodass sie in glitzernde Scherben zerschellte. Morana schnappte nach Luft, der plötzliche Krach des eleganten Kristalls ließ sie zusammenzucken, dessen Scherben sich über den ganzen Boden verteilten.

Sie war zu müde, zu überwältigt, um noch irgendetwas Emotionales zu erleben. Auf gewisse Weise war sie Tristan sogar dankbar, weil er schwieg und nicht der kräftige Wirbelwind war wie sonst. Sie musste erst mal runterkommen, um nicht wie die Vase auf dem Boden zu enden – zerbrochen von einer Kraft, der sie nichts entgegenhalten konnte.

Ihr war klar, dass es besser war, sich zurückzuziehen, um den Männern Privatsphäre zu gewähren. Außerdem wollte sie sich um ihre Wunde kümmern.

Leise ging sie ins Gästezimmer, dabei war sie sich der absoluten Stille in der Wohnung bewusst. Das einzige Geräusch war der heftige Regen, der an die Fenster schlug. Im Zimmer atmete sie endlich aus. Seit sie den Aufzug verlassen hatte, hatte sie nicht mehr durchgeatmet. Morana hängte ihr Handy ans Ladekabel, ging ins Bad und ließ Wasser in die Wanne laufen.

Sie setzte sich auf die Kante und säuberte ihre Wunde. Dabei schnappte sie nach Luft und Tränen traten ihr in die Augen, weil es brannte. Anschließend klebte sie Spezialpflaster darauf. Sie zog ihre Kleider aus und warf sie in die Ecke, wohl wissend, dass sie sie nie wieder tragen würde. Dann prüfte sie das Wasser und dass die Tür geschlossen war, hielt einen Zeh in die Wanne und ließ sich hineingleiten.

Es war wie eine Ganzkörperumarmung des besten warmen Wassers jemals. Die beste Umarmung.

Als das Wasser ihre wunden Muskeln streichelte und ihre kleinen Verletzungen küsste, stöhnte sie genießerisch. Sie tauchte einmal unter, lehnte dann den Kopf wieder an die Kacheln hinter sich, die Arme auf den Wannenrand und schloss die Augen.

Sie erlaubte sich nicht, an etwas zu denken – nicht an ihr Auto, nicht an ihre kaltblütigen Morde, nicht an ihren Vater, nicht an seinen Mordversuch an ihr, nicht an den Mann, der zu ihr gekommen war, nicht an die Entscheidungen, die sie beide getroffen hatten und erst recht nicht an den Kuss, der immer noch auf ihren Lippen brannte. Sie erlaubte sich nicht, alles noch einmal zu durchleben – den Regen, die Pistole, den Mann. Sie erlaubte sich nicht, sich daran zu erinnern – die Zärtlichkeiten, den großen Hunger, die stumme Entscheidung.

Sie lag nur da, ließ das Wasser einen zärtlichen Liebhaber sein, der ihre Verletzungen heilte, sie säuberte und vollkommen entspannte.

Das Denken konnte bis morgen warten. Sie ignorierte, was sie zusammenhielt, ignorierte den Schmerz bei jedem Gedanken, ignorierte alles. Morana lag nur da.

Nach einer langen Weile, als das Wasser kalt wurde, ihre Haut schrumpelte und sie durch ein einfaches, gutes Bad nach einem harten Tag schläfrig geworden war, hievte sie sich aus der Wanne und zog den Stöpsel. Ihre Augen brannten und der Schlafmangel der letzten Tage machte sich bemerkbar. Alles, was sie wollte, war, sich in das bequeme Bett zu legen, die dünne Decke über den Kopf zu ziehen und die nächsten zehn Jahre ungestört zu schlafen. Mindestens.

Seufzend schaltete sie das Licht im Bad aus und ging ins immer noch dunkle Schlafzimmer. Dass sie nackt war, war ihr egal, weil sie erschöpft und sich sicher war, dass er ihr Zimmer heute Abend nicht mehr betreten würde, da er ihr seit dem Friedhof ausgewichen war.

Ohne einen weiteren Gedanken legte sie sich ins Bett, kuschelte sich in die vielen Kissen und stöhnte genießerisch.

Das Summen ihres Handys ließ sie die Augen aufschlagen. Es war wieder aufgeladen.

Sie nahm es vom Nachttisch, zog das Kabel heraus und schaltete es an. Sofort sah sie vier verpasste Anrufe und drei Textnachrichten von Tristan.

Blinzelnd verjagte sie den Schlaf aus ihren Augen. Sie schluckte und klickte auf die Texte, las ihre letzte Nachricht an ihn.


Morana Vitalio: Das sollten sie auch. Schließlich habe ich gerade ein Auto in die Luft gejagt und kaltblütig zwei Männer ermordet.
(Gesendet 16:33)

Tristan Caine: Wo bist du?
(Erhalten 16:34)

Tristan Caine: Das ist nicht lustig, Ms Vitalio. Wo bist du?
(Erhalten 17:00)

Tristan Caine: Ich schwöre bei Gott … SCHEISSE, WO BIST DU?
(Erhalten 17:28)


Dann nichts.

Ihr Hals zog sich zu, in ihrem Bauch breiteten sich ausgerechnet die Gefühle aus, die sie vermeiden wollte. Morana schloss die Augen, legte ihr Handy ab und rollte auf die Seite.

Es war fast halb elf. Was bedeutete, dass sie sich ungefähr um neun auf dem Friedhof getroffen hatten. Was hatte er seit der letzten Nachricht gemacht?

Nein. Sie schüttelte die Gedanken ab, holte tief Luft – der leichte Zitrusgeruch der Bettwäsche stieg ihr in die Nase – und sagte sich, sie solle nun schlafen. Morgen sei Zeit genug, um nachzudenken, zu verarbeiten, zu planen. Trotz des Tages war sie am Leben und müde, da konnte ihr Gehirn ein paar Stunden warten.

Sie nickte, ihre Lider senkten sich, da drangen Stimmen von außen in ihr Bewusstsein. Frustriert hielt sie sich ihre Ohren mit dem Kissen zu.

Dann legte sie es wieder weg.

Die Männer sprachen miteinander.

Sie knabberte an ihrer Unterlippe. Durch die Stille im Penthouse drangen ihre Stimmen zwar nicht laut zu ihr, aber so, dass sie sie hören konnte.

„Vater hat angerufen, während du weg warst“, sagte Dante.

Also keine Frage zur emotionalen Gesundheit von einem der beiden. Männer.

Das Geräusch von Kristall auf Plastik sagte ihr, dass einer die Scherben auffegte.

„Zu Hause eskaliert alles, Tristan“, stellte Dante in dem ruhigen, gefassten Tonfall fest, den sie mit ihm assoziierte. „Es wird schlimmer. Wir müssen zurück.“

Tristan sagte lange nichts. Dann rollte seine Stimme über ihre nackte Haut.

„Ja, das müssen wir.“

Morana genoss kurz seine raue Stimme, bevor die Worte einsanken. Er fuhr fort?

Dieser Knoten in ihrem Bauch wurde wieder fester, aus irgendeinem Grund erfüllte eine merkwürdige Panik sie. Nach den letzten Stunden, den letzten Wochen, nachdem er sichergestellt hatte, dass sie nicht weglaufen würde, als sie es gewollt hatte, würde er die Stadt verlassen? Und sie? Direkt, nachdem sie die Wette ihres Lebens eingegangen war?

Ihr wurde schwer ums Herz.

Sie packte die Bettdecke, bemühte sich, ruhig zu bleiben und sich auf das zu konzentrieren, was gesagt wurde.

„Werden wir den Elefanten im Raum ansprechen?“ Dante.

„Ich sehe keinen.“ Gleichgültig. Desinteressiert. Er.

Sie hörte Dante seufzen. Sie war sich sicher, dass er schon lange so seufzte.

„Was hast du im Haus dieses Arschlochs gemacht, noch dazu allein?“

Das war nicht der Elefant, an den sie gedacht hatte. Aber über wen sprachen sie?

„Ihn besuchen“, antwortete Tristan.

Sie war über seinen herausfordernden Tonfall erstaunt.

Dante reagierte.

„Im Moment läuft es für dich sowieso schon scheiße, Tristan. Jemand will deinen Kopf, falls du das vergessen haben solltest …“

„Den will immer irgendwer.“

„… und du kippst noch Öl ins Feuer. Solange wir hier sind, können wir es uns nicht leisten, dass Gabriel Vitalio uns Probleme macht.“

Eins.

Zwei.

Sprachlos.

Morana blickte zur Decke, war fassungslos. Er hatte ihren Vater besucht? In seinem Anwesen? Allein? War er wahnsinnig?!

Sofort sah sie seine Hände vor sich – die verletzten Knöchel, die ihr, während er sie geküsst hatte, gezeigt hatten, dass er irgendwem den Abend zur Hölle gemacht hatte. Sie war verschwunden und er allein zum Herrenhaus ihres Vaters gefahren und hatte es lebend hinausgeschafft? Und hatte verletzte Fingerknöchel?

Was. Hat. Er. Getan?

Morana atmete schwer, ihr Herz raste wie ein außer Kontrolle geratenes Wildpferd. Sie begriff nicht mal ansatzweise, was das alles bedeutete. Unmöglich.

Doch da war noch etwas. Etwas Neues. Weil sie die Treppe hinuntergefallen war und er ihren Vater bestraft hatte. Weil sie verschwunden war und er in die Höhle des Löwen gegangen war und es unversehrt hinausgeschafft hatte. Es war so neu für sie, sich zum ersten Mal in ihrem Leben so zu fühlen, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Ihr Leben lang war sie allein gewesen, und hatte gewusst, dass es niemanden interessieren würde, wenn sie verschwände. Die Tatsache, dass dieser Mann sich verletzt hatte – der Mann, der sie zwanzig Jahre seines Lebens gehasst hatte –, zog ihr Herz auf eine Weise zusammen, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte und das sie nicht verstand. Sie fühlte nur.

Stockend atmete sie ein und lauschte weiter, ihre Fingerknöchel weiß, weil sie die Decke umklammerte.

„Da ist es doch gut, dass wir nicht mehr lange hier sein werden, nicht wahr?“

Eine lange Pause.

„Schließt das auch Morana mit ein?“, fragte Dante ruhig.

Moranas Herz hämmerte mit einer Kraft, die sich mit den unerklärlichen Gefühlen mischte, während sie auf eine Antwort von ihm wartete, um zu erfahren, was er tun würde. Denn obwohl er sie angeschwiegen hatte, hatte er für sie gehandelt. Nun brauchte sie seine Taten.

Als er eine Weile nichts sagte, seufzte Dante erneut, und ihr Herz stolperte.

„Tristan, sie ist seine Tochter. Und so sehr ich verstehe, warum sie hier ist, können wir das nicht so weiterlaufen lassen. Vitalio könnte Rache üben. Und es könnte böse enden. Das weißt du.“

Noch mehr Schweigen.

„Du warst auf die Bedrohung und deren Beseitigung nicht so konzentriert, wie du es sonst bist. Wir können uns einen Krieg nicht leisten, Tristan. Du warst abgelenkt …“

„Es ist nicht ihre Schuld.“

„Nicht?“

Pause.

Dante fuhr fort. „Hör mal, ich will sie genauso wenig unter dem Dach dieses Arschlochs sehen wie du. Wir haben ein Safe House, in das wir sie bringen könnten. Vielleicht besorgen wir ihr einen falschen Pass und bringen sie außer Landes, wie wir es mit Catarina und den Mädchen gemacht haben. Ich bleibe hier, um sicherzustellen, dass alles glatt läuft und sie nicht verletzt wird und …“

„Sie kommt mit mir.“

Vier Worte.

Sanft. Kehlig. Unumstößlich.

Sie atmete die angehaltene Luft aus, ihr Herz pochte so sehr, dass ihr schwindlig wurde. Eine Hand legte sie auf ihre nackte Brust und spürte das heftige Schlagen. Ein paarmal atmete sie zur Beruhigung ein, dann empfand sie Erleichterung – und etwas anderes.

Sie kommt mit mir.

Wollte sie mitgehen? Das einzige Zuhause hinter sich lassen, das sie je gekannt hatte, die einzige Stadt, die sie kannte, das einzige Leben, das sie kannte? Sie wusste, dass sie mit ihm darüber streiten könnte, aber wollte sie das? Nein.

Dante schwieg lange, und Morana fragte sich, wie sie gerade aussahen, wie nah sie einander standen, wie sehr sie einander mit Blicken herausforderten.

„Vater wird zurückschlagen“, warnte Dante in ruhigem Tonfall.

Tristan schnaubte. „Als gäbe ich darauf etwas.“

„Ich mache mir keine Sorgen, dass er sich an dir rächt, sondern an ihr. Weil sie das getan hat, was er nie geschafft hat.“

Was genau war das?, wollte sie wissen.

„Lass es gut sein, Dante“, erwiderte Tristan, seine Stimme wie eine scharfe Klinge. „Sobald wir gelandet sind, wird er Bescheid wissen. Lass einfach das Flugzeug für morgen früh fertig machen.“

„Sei um acht bereit“, sagte Dante.

„Abgemacht.“

Okay.

Sie atmete tief ein und hörte das leise Pling des Aufzugs. Dante hat ihn wohl gerufen.

„Übrigens, Chiara hat angerufen!“, rief Tristan.

Chiara. Der Anruf. Wer war sie?

„Warum?“

„Ich bin nicht rangegangen. Und das werde ich auch nicht“, entgegnete Tristan, „aber wenn er sie nach …“

„Ich kümmere mich noch vor unserem Flug darum“, antwortete Dante. Der Aufzug machte erneut Pling. Er war also weg.

Wer zum Teufel war diese Frau?

Morana drehte sich auf die Seite, schaute aus dem kleineren Fenster in ihrem Zimmer, beobachtete den Regen und dachte darüber nach, wie drastisch sich ihr Leben verändert hatte, seit sie das letzte Mal bei Regen in diesem Bett gelegen hatte. Damals hatte sie daran gedacht, sich aus diesen Fenstern zu stürzen, jedenfalls hypothetisch. Nun erschien es ihr undenkbar, sich von etwas so Wertvollem zu trennen – etwas, durch das sie alles so intensiv fühlte, etwas, für das sie zu kämpfen begonnen hatte. Das Leben.

Sie war lebendig, das hatte sie noch nie so intensiv gefühlt wie heute. Die neuen Informationen, die sie nach dem Friedhof über ihn erfahren hatte, hatte sie aufgesaugt: dass in seinem Auto nach zwanzig Jahren immer noch ein Anhänger seiner Schwester hing, dass er aus irgendeinem Grund allein zum Haus ihres Vaters gefahren war, jemanden geschlagen hatte und es trotzdem wieder hinausgeschafft hatte, was ihr zeigte, wie sehr er gefürchtet wurde. Sie kannte nicht viele Männer, nein sie kannte überhaupt keinen, der allein in das Haus des Feindes spazieren, sich dort prügeln und lebendig hinauskommen konnte.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie schloss angesichts der neuesten Information die Augen. Dass er sie mitnehmen wollte – weg von diesem Ort, an dem sie nichts mehr hielt, weg von dieser Hölle –, und damit den Zorn nicht nur von ihrem Vater, sondern auch von Lorenzo Maroni heraufbeschwor. Und dass er sich sicher war, dass sie unversehrt blieb. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie unverletzt bleiben würde. Denn obwohl er ständig darüber geredet hatte, sie umzubringen, so fiel ihr rückblickend auf, dass er sehr aufgebracht reagiert hatte, als sie verletzt worden war. Sowohl als sie zu ihm gekommen war, nachdem ihr Vater sie die Treppe hatte hinunterfallen lassen, als auch, als er ihr in den Arm geschossen hatte, um sie zu retten. Oder wie er ihr geliebtes Auto gestreichelt hatte, als er dachte, sie wäre tot. Bei der Erinnerung zog sich ihr Herz zusammen.

Bevor sie darin versank, hörte sie ein leises Rauschen, als sich die Luft im Raum veränderte.

Die Tür schwang auf.

Sie war überrascht und ihr Instinkt, eine tief sitzende Stimme, sagte ihr, sie solle keinen Muskel rühren oder die Augen öffnen, damit er nicht ging, ohne das getan zu haben, weswegen er gekommen war. Weshalb war er gekommen? Um sie beim Schlafen zu betrachten, wie er es schon einmal getan hatte? Oder um zu reden, was sie aber für unwahrscheinlich hielt?

Plötzlich wurde sie sich ihrer entblößten Arme bewusst, ihrer von der dünnen Decke kaum verhüllten Brust, ihres Beins, das bis zur Hüfte unbedeckt war. Sie spürte Strom durch ihren Körper fließen, bekam Gänsehaut auf den Armen. Ihre Zehen zuckten, Hitze stieg an dem entblößten Bein hoch. Ihre Brustwarzen wurden hart, eine lugte beinahe unter der Decke hervor.

Trotzdem rührte sie sich nicht, tat nichts, um sich komplett zuzudecken, machte keine Bewegung, die andeutete, dass sie nicht friedlich schlief. Ihre Atmung blieb durch schieren Willen regelmäßig, sie entspannte ihren Körper absichtlich.

Sie wusste nicht, ob er immer noch an der Tür stand oder das Zimmer betreten hatte und näher ans Bett gekommen war. Sie wusste nicht, ob er ihr Bein oder ihre Brust besser sah. Sie wusste nicht mal, ob der schwere Blick, den sie auf sich spürte, real war oder ob sie ihn sich einbildete. Was sie aber wusste, war, dass er sie schon einmal beim Schlafen beobachtet hatte, allerdings nicht, wie lange oder aus welcher Distanz. Damals hatte sie geschlafen, dieses Mal aber nicht. Sie wollte sehen, was er tun würde und ob er noch etwas über sich verraten würde, wenn er dachte, dass niemand zusah.

Morana atmete sanft, ihr Herz donnerte in ihrer Brust, während es draußen donnerte. Sie achtete darauf, ihre Fingernägel nicht in ihre Handinnenfläche zu bohren, nicht auf ihre Unterlippe zu beißen und nicht zu zittern. Ihr Mund brannte, das Gewicht seines Blicks lag darauf, streichelte ihn, öffnete ihn in seiner Vorstellung. Vielleicht war das nur ihre Fantasie, aber irgendwie forderte sie die tief sitzende Stimme auf, ihren Rücken lasziv durchzubiegen und die Decke beiseite rutschen zu lassen.

Sie tat es nicht.

Ihre Lippen ließ sie unter dem Blick dieser Augen brennen, spürte tief in ihrem Bauch den Hunger, spürte die Erinnerung seines Mundes auf ihrem.

Etwas Wildes, Leidenschaftliches breitete sich in ihrem Bauch aus.

Ihr Herz hämmerte, ihr Puls dröhnte in ihren Ohren. Und zwischen ihren Beinen ein Schmerz, der ihre Haut kribbeln ließ, sodass ihr unter der Decke, die sie wegschlagen wollte, zu warm wurde. Ihr Blut kochte vor Lust, ohne dass er sie auch nur berührt hätte.

Doch sie blieb still. Trotz des Feuers in ihrem Körper. Trotz der Last auf ihrer Brust. Trotz der Emotionen in ihrem Herzen. Äußerlich blieb sie entspannt. Über die Jahre hatte sie gelernt, eine Maske aufzusetzen.

Momente vergingen.

Lange, angespannte Momente.

Kurze, sündige Momente.

So leicht, wie Sand durch Finger rinnt.

So schwer wie bei einer kaputten Uhr.

Momente vergingen.

Mit Herzschlägen.

Mit Atemzügen.

Und die Luft veränderte sich erneut.

Er war hier.

Mit plötzlicher Klarheit wusste sie es: Er stand direkt vor ihr.

Ihr Gefühl sagte ihr, dass er zwischen ihr und dem Fenster stand. Ihr Körper wandte sich ihm zu, ihr Gesicht nur einen Hauch von seinen Oberschenkeln entfernt. Sie spürte die Nähe seines Blicks, seiner Hitze. Roch den Moschusgeruch seines Körpers, seinen ganz eigenen Geruch, verstärkt durch die nasse Kleidung.

Unter der Decke verborgen zitterte ihr Bauch. Ihr Herz pochte vor Erwartung, die zwischen ihnen stand. Ihre Hände wurden schwitzig, während sie all ihre Kraft dazu aufwandte, entspannt zu bleiben, um zu erfahren, was er tun würde.

Ein Teil von ihr war verstört, wie stark seine Wirkung auf sie war, wie viel Macht er über ihren Körper hatte. Der andere Teil jedoch kostete das Gefühl aus. Sie fühlte sich so lebendig, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.

Sie verstand es nicht. Im Moment wollte sie es auch nicht verstehen. Sie lag einfach da und atmete sanft.

Ein.

Aus.

Ein.

Aus.

Ein

Aus –

Ein Finger.

Sein Finger über ihrer Wunde.

Es war keine leichte Berührung. Es war gar keine Berührung. Er war einfach nur da, schwebte über ihrer Haut, am Rand einer Klippe, ohne zu fallen. Eine Geisterberührung. Beinahe zögerlich fuhr er das Pflaster nach. Sie hätte es niemals gemerkt, hätte sie sich nicht so intensiv auf jede seiner Bewegungen konzentriert.

Ihr Herz blieb fast stehen, die Haut an ihrem ganzen Arm kribbelte, schwitzte, spannte.

Die Geisterberührung verschwand, und Morana wollte gerade die Augen aufschlagen, um sie zurückzurufen, als sie über ihrem Kinn wieder auftauchte, so leicht wie die Luft. Dieser Geisterfinger, der sie nie wirklich berührte, schob eine Haarsträhne beiseite und legte ihren Hals und ihre nackte Schulter frei. Sie spürte ihren Puls am Halsansatz flattern. Ein Schweißtropfen perlte auf ihrer Oberlippe, während dieser Finger über ihren Kiefer schwebte wie vor ein paar Stunden die Waffe.

Die Erinnerung an dieses feste, solide, kalte Metall und den aktuellen, kaum vorhandenen, weichen Finger schickte einen Stromschlag zwischen ihre Beine. Ihr gesamtes Wesen sehnte sich nach dieser Fast-Berührung. Ihr ganzer Körper hungerte danach, ihn auf der Haut zu spüren. Ihr Hirn klinkte sich fast aus, ihre Selbstkontrolle verschwamm, ihre Lunge sehnte sich nach Luft, die sie sich einzuatmen weigerte.

Nur ihr Instinkt, dieses lästige Ding, sagte ihr, dass er verschwinden würde, sollte sie verraten, dass sie wach war. Und das wollte sie nicht. Noch nicht.

Das … das war … belebend.

Der Geisterfinger fuhr über ihr Ohr.

Ihre Zehen krümmten sich fast.

Er strich über ihre erhitzte Haut, fuhr noch einmal ihr Kinn entlang. Die Tatsache, dass er sie nicht berührte, verfluchte und feierte sie zugleich, denn ihre Haut hätte ihre Scharade verraten. Es war, als würde man dem intimsten Gespräch lauschen. Ihr Herz pochte, schlug fast zu schnell für sie, um mitzuhalten. Sie presste die Oberschenkel zusammen, um etwas Halt zu finden.

Und dann hielt die Geisterberührung an ihren Lippen an.

Fort war der zerbrechliche Halt.

Diese empfindlichen Lippen zitterten, die immer noch die Spur seines Munds trugen.

Nur ein winziges bisschen, aber sie zitterten.

Ihr Herz stockte

Spürte er es?

Still.

Alles in ihr war still, wie bei einem Beutetier, das einen Jäger wittert.

Alles an ihm war still, wie bei einem Jäger, der ein Beutetier wittert.

Aber wer war in den letzten Minuten wer gewesen?

Hatte er es gespürt?

Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte sie die Antwort.

Der Finger zog sich zurück.

Er ging so leise, wie er gekommen war.

Sie hörte das Öffnen der Tür und wie sie wieder geschlossen wurde.

Morana ließ los.

Ein Schauer rauschte durch ihren Körper. Ihre Brust hob sich heftig, als sie keuchte, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Ihre Hände zitterten, als sie die Decke zurückschlug. Ihr ganzer Körper brannte innerlich – ein Feuer, das sie nicht kontrollieren konnte.

Sie fühlte sich verwüstet. Innerlich. Äußerlich.

Dabei hatte er sie nicht mal berührt.

Morana legte den Kopf zurück aufs Kissen. Ihre Brustwarzen schmerzten an der kühlen Luft. Sie umfasste ihre Brüste mit ihren kleinen Händen und drückte sie, keuchte, als ihre Brustwarzen unter ihrer Hand härter wurden. Funken schossen in ihre Fingerspitzen.

Dort hatte er sie noch nie berührt. Aber in diesem geheimen Moment stellte sie sich seine großen, rauen Hände fest an ihrer weichen Haut vor, geschickt an ihren Nippeln. Sie stellte sich vor, wie diese Finger an ihren Brustwarzen rieben, daran zogen. Wie seine Hände ihre Brüste umfingen und zusammendrückten, während sie das mit ihren Händen tat. Ihre Lippen öffneten sich beim Ausatmen.

Sie fühlte sich flüssig, geschmeidig, ihre angespannten Muskeln kurz vor einem Inferno, bereit, sie zu verbrennen. Ihre zitternden Finger bewegten sich nach unten, zwischen ihre Oberschenkel.

Sie war feucht.

So wie noch nie.

Komplett nass.

Ein Stöhnen kam ihr über die Lippen, und sie drehte ihren Kopf in das Kissen neben sich. Es brauchte nicht viel, um sie in den Abgrund der Ekstase zu schicken, so erregt war sie. Sie ließ einen Finger hineingleiten. Dann noch einen.

Die Begierde nagte an ihr, wurde unkontrolliert stärker. Sie erinnerte sich, wie er sich in ihr anfühlte – groß, schwer, mächtig. Sie erinnerte sich, wie er sie dehnte – konzentriert, wild und mit einem Feuer, das sie entzündete. Sie erinnerte sich, wie jeder Stoß diesen Punkt in ihr traf, wie sie jedes Mal ihren Rücken bog, wie jedes Aufeinanderklatschen von Haut auf Haut sie nur noch feuchter machte.

Stöhnend rieb sie mit dem Daumen über ihre Klit, nur einmal.

Und explodierte.

Überwältigend.

Ihr Rücken bog sich, als sie ins Kissen biss, um ihre Schreie zu dämpfen. Ihr gesamter Körper löste sich für einen Sekundenbruchteil vom Bett, während Feuer durch ihre Venen raste und zwischen ihren Beinen landete, um in einer umwerfenden Explosion zu enden, die sie für eine Sekunde blendete.

Es war ein Rausch.

Es war eine Ekstase.

Es war ein Delirium.

Sie sank auf die Matratze, sogar noch erschöpfter, schlaff, ohne die Kraft, auch nur einen einzigen Muskel in ihrem Körper zu rühren. Leichte Schauer liefen über ihre Haut.

Gott, wie konnte das nur passieren? Er hatte sie nicht einmal berührt, hatte nichts gesagt und doch war sie so feucht gewesen.

Es machte ihr Angst. Erregte sie. Belebte sie.

Er belebte sie.

Sie beruhigte sich langsam, ihr Körper war schlapp, bereit für den Schlaf, jetzt, da die Spannung aus ihm gewichen war. Morana drehte sich um und deckte sich zu. Dann blickte sie ein letztes Mal zum Fenster, um den Regen zu sehen.

Und ihr Herz stockte.

Er war hier.

In der Dunkelheit.

Lehnte an der Wand neben dem Fenster.

Die Hände in den Hosentaschen.

Die gelockerte Krawatte hing über seinem Kragen.

Und diese wundervollen Augen strahlten sie an.

Er war hier.

War es die ganze Zeit gewesen.

Ihr Herz pochte ihr im Hals. Sie sah diesen lodernden Blick zum ersten Mal seit dem Friedhof und fühlte sich verbrannt, als ihr klar wurde, was er gesehen hatte.

Er wusste, dass sie ihm vorhin etwas vorgespielt hatte, und zahlte es ihr heim.

Sie errötete bis zu den Haarwurzeln, hielt seinem Blick allerdings stand. Kurz sah sie zu der großen Beule vorn in seiner Hose, dann aber wieder in seine Augen. Zu wissen, dass sie ihn erregt hatte, als sie sich selbst befriedigt hatte, elektrisierte sie und kitzelte etwas Rücksichtsloses in ihr.

Sie wusste, er würde dieses Schweigen nicht brechen, nicht heute Nacht. Aber er beobachtete sie wieder, gegen seinen Willen.

Darüber musste sie lächeln.

Sie sah, wie sein Blick diesem Lächeln folgte, dann legte sie sich auf den Rücken und kuschelte sich unter die Decke, schloss bewusst die Augen.

Lange Minuten spürte sie sein Beobachten, aber dieses Mal schlug ihr Herz nicht schneller. Dieses Mal ruhte es in ihrer Brust mit einer merkwürdigen Geborgenheit, die sie nicht verstehen, nur fühlen konnte. Sie hatte den Tag überstanden und ihn durchschaut. Und er hatte seine Vergangenheit überstanden und hatte sie durchschaut. Aus einem sonderbaren Grund gab ihr das Geborgenheit.

Sie spürte, dass er davonschlich, wie er eingetreten war, und sie allein ließ. Morana wusste um sein Interesse, sein Verlangen.

Fast eingeschlafen versuchte sie, ihren Geist zu beruhigen, um so viel Schlaf wie möglich zu bekommen. Denn Angst und Vorfreude trafen sich in ihrem Bauch.

Morgen früh begann etwas Neues.

Morgen früh würde sich ihr Leben ändern.

Morgen früh würden sie nach Tenebrae fliegen.

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt einen silbernen Trailer, der auf einem dunklen Hintergrund platziert ist. Die Fenster des Trailers strahlen in warmen Orangetönen, was eine geheimnisvolle Atmosphäre erzeugt. Oben steht in großen, fetten Buchstaben der Name des Autors „Linus Geschke“. Darunter befindet sich der Titel „DER TRAILER“ in klarer, auffälliger Schrift, gefolgt von dem Zusatz „Thriller“. Ein rotes Kästchen mit dem Text „SPIEGEL Bestseller-Autor“ hebt sich prominent ab.Das Buchcover zeigt einen silbernen Wohnanhänger, der im Vordergrund positioniert ist. Der Hintergrund ist in dunklen Farben gehalten, wodurch eine spannungsgeladene Atmosphäre entsteht. Der Titel „DER TRAILER“ ist in großen, weißen Buchstaben mittig platziert, während der Untertitel „THRILLER“ in kleineren Buchstaben darunter steht. Der Autor „LINUS GESCHKE“ ist oben am Rand in grauen, markanten Buchstaben abgebildet. Ein orangefarbener Hinweis „SPIEGEL Bestseller-Autor“ hebt sich unten links ab.

Thriller

Dunkel, spannend und meisterhaft konstruiert – der packende Auftakt der neuen Thriller-Trilogie von SPIEGEL-Bestsellerautor Linus Geschke!

Ein abgelegener Campingplatz in den Ardennen. Eine Studentin, die dort unter mysteriösen Umständen verschwindet. Als der Fall auch 15 Jahre später noch ungelöst ist, nimmt die Hamburger Kommissarin Frieda Stahnke an einem True-Crime-Podcast teil, um den Fokus der Öffentlichkeit erneut auf die Geschehnisse zu richten. Sie ahnt nicht, dass sie damit nur weitere Morde auslösen wird.

Wout Meertens, ein schmieriger Barbesitzer aus Köln, hört diesen Podcast. Er war zur selben Zeit wie die verschwundene Lisa Martin in Camp Donkerbloem, aber er redet nicht mit der Polizei. Verurteilte Stalker tun das nie. Nicht, wenn sie sich nicht selber verdächtig machen wollen.

Als sich die Wege von Frieda und Wout kreuzen, wird klar, dass sie nur gemeinsam herausfinden können, was mit Lisa Martin geschah. Dafür müssten sie sich jedoch vertrauen – ohne es später zu bereuen …

„Linus Geschke ist die deutsche Antwort auf amerikanische Autoren wie Don Winslow.“ Redaktion österreichisches Pressebüro

In Kürze wieder lieferbar

Die Ardennen

Es ist eine wilde, zerklüftete, ja fast schon archaische Landschaft, die sich hinter der deutsch-belgischen Grenze bis nach Luxemburg erstreckt: die Ardennen. Ein Schiefergebirge, geprägt durch dunkle Waldgebiete, Hochmoore und steile Plateaus, die von schluchtenartigen Einschnitten durchbrochen sind. Senken ziehen sich durch schmale Flusstäler, deren Enge eine menschliche Besiedlung lange kaum möglich machte.

Obwohl die Gegend nur dünn besiedelt ist, ist sie zu allen Zeiten Schauplatz zahlreicher Auseinandersetzungen gewesen. Cäsars Legionen zogen hier durch, marodierende Wikinger und mehrere Armeen. Am schlimmsten jedoch war die Zeit, als zwei Weltkriege die Region in ein einziges Schlachtfeld verwandelten. Der torfige Boden wurde mit Blut getränkt, und noch heute behaupten manche Einheimische, dass sie in stillen Nächten die Schreie der Verwundeten hören können.

Wenn eine Gegend über Jahrhunderte hinweg so viele Grausamkeiten erlebt, vergisst sie einige auch wieder.

Nur diese Nacht nicht.

Diese eine Nacht vergaßen die Ardennen nie.

Wenn die Wälder reden könnten, würden sie von einer jungen Frau erzählen, die zwischen ihren Stämmen umherhetzte. Von dem maskierten Mann, der ihr folgte, und vom Blut, das im Mondlicht fast schwarz aussah. Sie würden flüstern, wenn es darum geht, was mit dieser Frau geschehen ist, und nur die mutigsten unter ihnen würden sich trauen, den Namen des Ortes auszusprechen, an dem das Grauen begonnen hatte.

Camp Donkerbloem.

Die Bäume wussten, dass die Frau ihrem Schicksal nicht entfliehen konnte. Nicht in jener Nacht, in der es weder Mond noch Sterne gab, nur Wolken, die ein unbarmherziger Wind vor sich hertrieb. So wie die Frau von dem Mann vor sich hergetrieben wurde, das Schicksal von der Schuld, die Gegenwart von der Vergangenheit.

Vierzehn Jahre sind seit dieser Nacht vergangen, aber die Folgen sind bis heute nicht verklungen. Sie schlummern nur. In den zerklüfteten Tälern, den schroffen Felswänden, dem torfigen Boden.

Am liebsten würden die Bäume die Geschichte selbst niederschreiben, um sie der Nachwelt als mahnendes Beispiel zu erhalten, aber das können sie nicht. Irgendjemand muss es jedoch tun, das ist gewiss.

Dieser Jemand bin dann wohl ich.


In der Nähe von Malmedy

Juni 2011

Lisa kauerte unter dem Fenster ihres Wohnwagens und wagte kaum zu atmen. Eine gespenstische Stille, die nur gelegentlich durch menschliche Schreie unterbrochen wurde, hatte sich über den Campingplatz gelegt. Sie konnte die Stimmen von Männern und Frauen unterscheiden, wobei Letztere in der Unterzahl waren, natürlich waren sie das. Nur nicht, was die Schreie anging.

Camp Donkerbloem war kein guter Ort. Es war ein böser Ort; ein Ort für Männer, die Grausames im Schilde führten. So viel hatte Lisa schon begriffen, auch wenn sie immer noch nicht verstand, was genau vor ihrem Fenster passierte.

In den anderen Wohnwagen.

Die Schreie verklangen wieder, und Lisa erhob sich, um die Gardine einen Spaltbreit zur Seite zu schieben. Vor ihrem Trailer verlief ein kiesbedeckter Weg, der so schwach beleuchtet war, dass der Lichtschein kaum die umliegenden Wohnwagen erreichte. Sie spähte nach links, dann nach rechts, anschließend in die Ferne. Kein Mensch war auf dem Gelände zu sehen, was einerseits gut war, ihre Angst andererseits aber noch verstärkte.

Sie musste weg hier. Nur wie? Handyempfang gab es nicht, und bis zum Ausgang des umzäunten Geländes waren es gut dreihundert Meter. Zu weit, um die Strecke unbemerkt zurücklegen zu können. Wenn die Männer, die dort draußen in der Dunkelheit lauerten, sie entdeckten, würden sie sich auf sie stürzen. Vielleicht, weil sie sie für einen reizvollen Teil des Spiels hielten, eine besondere Attraktion, aber das war sie nicht.

Lisa wollte sich gerade vom Fenster zurückziehen, als der Schatten einer menschlichen Kontur auf den Weg fiel. Scharf zog sie die Luft ein und konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Sie ging auf die Knie und hoffte, dass der Unbekannte – warum nur war sie so sicher, dass es ein Mann war? – die Bewegung der Gardine nicht wahrgenommen hatte. Wenn doch, würde er sicherlich die anderen rufen und mit ihnen gegen die Tür ihres Wohnwagens hämmern, sich womöglich sogar gewaltsam Zutritt verschaffen.

Alles, nur das nicht.

Nicht an diesem Ort, der tagsüber einem Ferienparadies glich und nachts zum Vorhof der Hölle mutierte. Noch immer verstand sie nicht, wie sie so dumm hatte sein können. Hatte sie die Anzeichen nicht gesehen oder einfach nur falsch gedeutet? Anfangs war ihr alles eher amüsant als bedrohlich vorgekommen, bis sie die ersten Schreie gehört hatte und die Frau sah, die von zwei Männern in einen der Trailer gezogen wurde.

Das hier war kein Spiel. Das war lebensbedrohlich, obwohl ihr der Tod momentan nicht mal als das Schlimmste erschien.

In den folgenden Minuten blieb vor dem Fenster alles ruhig. Lisa lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und zwang sich, durch die Nase einzuatmen und die Luft dann durch den Mund wieder entweichen zu lassen. So, wie sie es in einem Video gesehen hatte, das einem zeigte, wie man sich in kritischen Situationen beruhigen konnte. Das Dumme war nur, dass keine dieser Situationen mit jener vergleichbar war, in der sie sich jetzt befand.

Nicht mal ansatzweise.

Sie war auf wenigen Quadratmetern gefangen und nur durch eine millimeterdünne Wand von den Monstern getrennt. Sie durfte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn die Monster diese Wand durchbrachen. Wie ihre letzten Minuten dann aussehen würden.

Schmerzhaft, dachte sie.

Voller Qualen und ohne Würde.

Leise kroch sie in die Küche des Wohnwagens, wo sie die Besteckschublade öffnete und das größte Messer herausnahm, das sie finden konnte. Ein Fleischermesser mit geschliffener Klinge und hölzernem Griff. Sie wusste nicht, ob sie es tatsächlich schaffen würde, damit auf einen Menschen einzustechen, aber zumindest verlieh ihr die Waffe ein dubioses Gefühl von Sicherheit. Diese Sicherheit brauchte sie auch, wenn sie ihren Plan umsetzen wollte, wobei Plan für das, was sie vorhatte, ein ziemlich hochtrabender Begriff war.

Sie kroch zur Tür zurück, stand auf und legte das Ohr dagegen. Lauschte. Eine Minute verging, eine zweite, doch das einzige Geräusch, das sie vernnahm, war der eigene Herzschlag, der dumpf in ihren Ohren pochte.

Ruhig jetzt, ermahnte sie sich. Konzentriere dich. Wenn du überhaupt eine Chance haben willst, musst du die Tür aufreißen und sofort losrennen. Sollte sich dir dann jemand in den Weg stellen, hebst du das Messer und hoffst darauf, dass die lange Klinge ihn einschüchtert. Anschließend rennst du weiter, bis zum Ausgang und dem dahinterliegenden Parkplatz, wo dein Auto steht. Du schließt es auf und betest, dass der Motor beim ersten Schlüsseldreh sofort anspringt.

Vor jedem dieser Schritte hatte sie Angst, aber sie musste sie hinter sich bringen, wenn sie in der Enge des silbernen Wohnwagens nicht durchdrehen wollte. Es war sowieso nur eine Frage der Zeit, bis die Männer sie entdecken würden; bis sich jemand an sie erinnerte. An die junge Frau, die in einem der hintersten Trailer untergebracht war und die gesagt hatte, dass sie sich auf den Abend und die Party freuen würde. Allerdings hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen können, um welche Art von Party es ging.

Um eine des Grauens.

Der schmerzvollen Leiden.

Lisa öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Vor ihr lag der schummrig beleuchtete Weg, den sie nehmen musste und von dem aus später ein weiterer Weg zum einzigen Zugang des Geländes führte. Der Moment schien günstig. Links war niemand zu sehen, und rechts war niemand zu sehen.

Sie atmete ein letztes Mal durch, dann rannte sie los.

Mitten in die Nacht hinein.


Hamburg

Gegenwart

Als Frieda Stahnke das Polizeipräsidium verließ, hatte sie drei Dinge verloren: ihre Waffe, ihren Dienstausweis und ihre Würde.

Man hatte sie suspendiert. Einfach so. Als Kriminalrat Lüpke ihr die Entscheidung der obersten Dienstbehörde mitteilte, hatte er seine Freude darüber nur schwer verbergen können. Aus Gründen, die Frieda nicht verstand, hatte er sie noch nie leiden können. Vielleicht, weil er in ihr auch eine Bedrohung der eigenen Position sah.

Frieda Stahnke war Hauptkommissarin, eine verdammt gute sogar. Sie war siebenunddreißig Jahre alt und hatte eine beeindruckende Aufklärungsquote vorzuweisen. Im Kollegenkreis galt sie als kühl und effizient, und nicht wenige sahen in ihr schon die zukünftige Leiterin der Hamburger Mordkommission. Bis Gernot Weber in ihr Leben trat und ihrer Karriere ein vorläufiges Ende bereitete.

Weber war einer von Hamburgs führenden Immobilienmoguln. Ein skrupelloser Mann, der bei der Gentrifizierung ganzer Stadtteile über Leichen ging, und das war durchaus wörtlich gemeint. Um seine Ziele zu erreichen, bediente er sich manchmal auch der Hilfe krimineller Clans, und mindestens einmal waren diese Leute schon zu weit gegangen.

Vor drei Wochen hatten sie unweit des Schanzenviertels den siebenundsechzigjährigen Georg Miesbach zu Tode geprügelt. Miesbach war Mieter in einem Wohnhaus gewesen, dessen Einheiten Gernot Weber kaufen, modernisieren und zu teuren Eigentumswohnungen umgestalten wollte. Außerdem war Miesbach ein erbitterter Gegner der Gentrifizierung, der bei Protestkundgebungen häufig in der vordersten Reihe stand und lokalen Medien gerne als meinungsstarker Interviewpartner diente.

Zeugen hatten die Tat beobachtet und dabei zwei Männer gesehen, die schnell dem Clanmilieu zuzuordnen waren. Kurz darauf hatte man beide Täter identifiziert und verhaftet. Obwohl die Schläger bei den Vernehmungen die Aussage verweigerten, ahnte Frieda, dass sie auf Webers Befehl gehandelt hatten. Gemeinsam mit ihrem Team war es ihr in der Folge sogar gelungen, bei einer Hausdurchsuchung Beweise zu sichern, die der Staatsanwaltschaft helfen konnten, eine Verurteilung zu ermöglichen.

Weber wurde daraufhin aufs Polizeipräsidium geladen, wo dann alles aus dem Ruder lief. Gemeinsam mit einem Kollegen hatte Frieda gerade erst im Vernehmungsraum Platz genommen, als Webers Anwalt schon behauptete, dass Frieda die Beweise seinem Mandanten nur untergeschoben habe. Außerdem brachte er fingierte Gegenbeweise vor, die Webers Unschuld belegen sollten. Ein solcher Schachzug war zu erwarten gewesen, nicht aber, dass Kriminalrat Lüpke diesen Behauptungen Glauben schenken würde. Am Tag darauf hatte er ein internes Ermittlungsverfahren eingeleitet, das letztlich zu Friedas Suspendierung führte.

Das war der Stand der Dinge, und er sah nicht gut aus.

Frieda hatte bei der Bekanntgabe vor Wut gekocht, sich aber nichts anmerken lassen. Als Frau, die in einer von Männern dominierten Welt arbeitete, war es besser, anderen gegenüber keine Schwäche zu zeigen. Das war eine der wichtigsten Verhaltensweisen, die sie in ihrem bisherigen Berufsleben hatte lernen müssen.

Nachdem Frieda das Präsidium verlassen hatte, ging sie zu ihrem silberfarbenen Passat, der auf dem Parkplatz für Dienstwagen abgestellt war. Sie öffnete die Tür, zog den Rock des dunkelgrauen Businesskostüms höher und ließ sich in den Sitz fallen. Dabei spielte sie unbewusst mit dem kleinen Nasenpiercing, das sie sich vor wenigen Wochen zugelegt hatte – die einzige Extravaganz in einer ansonsten durch und durch dezenten Optik.

Die Suspendierung hatte sie hart getroffen, obwohl sie schon seit Tagen abzusehen gewesen war. Aber Frieda hatte vorgesorgt, um jetzt nicht in ein noch tieferes Loch zu fallen. Zuerst wollte sie nach Südheide fahren – dem Ort, aus dem sie stammte und wo ihre Mutter immer noch lebte – und dann weiter nach Braunschweig, um an einem Podcast teilzunehmen. Das hatte sie sich vor ihrer Suspendierung von der Pressestelle der Hamburger Polizei noch genehmigen lassen.

In dem Podcast sollte es um Lisa Martin gehen, die aus demselben Ort wie sie stammte und seit 2011 spurlos verschwunden war. Die damals Dreiundzwanzigjährige hatte in Belgien Urlaub gemacht und war nie aus dem Beneluxland zurückgekehrt. Sämtliche Suchen waren erfolglos verlaufen, und auch ein Beitrag bei Aktenzeichen XY hatte keine neuen Hinweise gebracht. Lisa war weg, einfach so, als hätte sie sich damals in Luft aufgelöst.

Als Lisa verschwand, war Frieda noch eine junge Polizeischülerin gewesen, die kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung stand. Sie hatte in dem Fall nie aktiv ermittelt, war nicht einmal auf der dafür zuständigen Dienststelle beschäftigt gewesen. Frieda hatte Lisa lediglich gekannt, wie man sich eben kannte, wenn man im selben Ort groß wurde und im gleichen Alter war, aber einen unterschiedlichen Freundeskreis besaß. Besser als nur vom Sehen, aber nicht so gut, dass sie Lisa zu irgendeinem Zeitpunkt als Freundin bezeichnet hätte.

Dennoch hatte das Verschwinden der jungen Frau ihr fortan keine Ruhe gelassen. Sie hatte die Ermittlungen aus der Ferne verfolgt, die zunehmende Ratlosigkeit der Kolleginnen und Kollegen nachempfinden können und die stärker werdende Verzweiflung von Lisas alleinerziehender Mutter gespürt. Dafür hatte schon Friedas eigene Mutter gesorgt, die mit Lisas Familie seit Jahren in Kontakt stand. Ständig wollte ihre Mutter wissen, ob sie denn nichts tun könne, wenigstens die Kollegen fragen, ob es Fortschritte gebe, irgendetwas, das Hoffnung mache.

Dann war die Anfrage für den Podcast gekommen und mit ihr die Gelegenheit, wenigstens auf diese Art aktiv zu werden. Im Vorfeld hatte Frieda dem Podcaster klargemacht, dass sie zu den laufenden Ermittlungen weder etwas sagen konnte noch durfte und dass es ihr ausschließlich darum ging, den in Vergessenheit geratenen Fall wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Er hatte sich damit einverstanden erklärt, natürlich hatte er das. Wenn sie richtiglag, ging es dem jungen Mann eh nur um die Quote, und die Teilnahme einer Hauptkommissarin würde seiner banalen, aber trotzdem beliebten True-Crime-Reihe wenigstens einen Hauch von Seriosität verleihen.

Auf der Fahrt nach Südheide mied Frieda die Autobahn und wählte den Weg über Landstraßen, die sie einmal quer durch die Lüneburger Heide führten. Vorbei an Wiesen und Feldern und durch traumhafte Landschaften. In diesem Umfeld war sie als Kind zweier Angestellten aufgewachsen, die keine großen Träume hatten und mit dem Leben zufrieden waren, das sie führten.

Ein einfaches Leben, das sich in einem geografisch klar umrissenen Rahmen abspielte, war jedoch nicht das Leben gewesen, das Frieda vorschwebte. Sie wollte aus dieser Enge ausbrechen, Karriere machen und in einer weltoffenen Großstadt leben, wo eine unverheiratete Frau nicht permanent gefragt wurde, ob denn der Richtige noch nicht gekommen sei. Ob man kein Kind wolle.

Frieda hatte nie nach der einen großen Liebe gesucht, warum auch? Auch mit mehreren kleinen konnte man seinen Spaß haben.

Für sie war der ideale Mann nicht jemand, der ihr einen Ring an den Finger stecken wollte, sondern einer, der amüsant war und im Bett wusste, was er zu tun hatte. Jemand, der keine Forderungen stellte. Frieda hatte nichts gegen Beziehungen, wohl aber gegen Verpflichtungen. Vor allem, wenn sie bedeuteten, dass man seinem Partner über jeden Schritt Rechenschaft ablegen musste.

Als sie an einer roten Ampel hielt, verband sie ihr Handy via Bluetooth mit dem Autoradio und startete eine Playlist, auf der sich vor allem Songs von David Bowie, Vanessa Paradis und Nick Cave befanden. Schöne und melancholische Lieder, die perfekt zu ihrer momentanen Stimmung passten.

Frieda ließ sich von der Musik berieseln, während die saftig grüne Landschaft weiter an den Fenstern vorbeizog und sie ihrem Heimatort immer näher kam. Dabei schweiften ihre Gedanken ab, hin zu Lisa, dem Mädchen, das sie gekannt hatte, bevor es zu einer Frau geworden war. Sie war nie wirklich schlau aus ihr geworden. Stets hatte Lisa den Eindruck vermittelt, als würde sie die Welt aus einer gewissen Distanz betrachten, amüsiert, aber auch irritiert. Als wäre sie sich nicht im Klaren darüber, welche Rolle sie in dieser Welt spielen wollte.

Als Teenagerin hatte Lisa oft verträumt mit einem Buch auf einer Parkbank gesessen, ohne ihre Umgebung richtig wahrzunehmen. Wenn Frieda sie grüßte, hob sie nur kurz den Blick, winkte oder lächelte, um anschließend wieder in ihrer Gedankenwelt zu versinken. Ein Verhalten, das Frieda anfangs als Arroganz interpretiert hatte; vielleicht auch, weil Lisa ausgesprochen gut aussah. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit ausdrucksstarken Augen und eine fantastische Figur. Bei den Jungs im Ort stand sie hoch im Kurs, auch wenn Frieda nie gesehen hatte, dass Lisa diesen Umstand ausgenutzt hätte. Sie ließ sich in der örtlichen Disco nur selten ein Getränk ausgeben und nie von den älteren Jungs nach Hause fahren.

Für Frieda war Lisa schon damals ein Mysterium gewesen, und das war sie bis heute geblieben. Inklusive ihres Verschwindens, über das es jede Menge Theorien, aber kaum Fakten gab.

Wenn Menschen verschwanden, neigte man dazu, im Nachgang auch den nebensächlichsten Dingen eine Bedeutung beizumessen, die ihnen nicht zustand. Jedem noch so belanglosen Verhalten, jeder noch so lapidaren Aussage.

Frieda wusste aus Erfahrung, dass solche Gedankengänge meistens nichts brachten. Man verkomplizierte die Dinge nur und verlor die entscheidenden Aspekte aus den Augen. Die Wahrheit verschwamm in Nebelschwaden, die mit jeder neuen Theorie nur noch dichter wurden. Dabei war die Lösung in den meisten Fällen ganz einfach, weil das Böse meist banal war.

Auch Friedas Überzeugung war ebenso banal wie einfach: Lisa war nicht nur verschwunden, sie war tot. Und irgendwo da draußen lief immer noch ihr Mörder herum.

„Messerscharf, raffiniert und voller köstlichem Galgenhumor.“ BOOKSELLER

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt eine stilisierte, grün-schwarz gehaltene Illustration einer Frau in einer schwarzen Jacke mit langen Haaren, die eine Machete in der Hand hält. Der Titel „MY LIFE AS A SERIAL KILLER“ ist in großen, fetten Buchstaben in schwarzer Schrift mittig platziert. Darunter steht das Wort „Roman“ in kleinerer Schrift. Unten ist der Name der Autorin „Joanna Wallace“ in weißer Schrift abgedruckt, während das Verlagslogo „PIPER“ an der rechten Seite in schmaler Schrift erscheint. Die Gesamtatmosphäre wirkt provokant und humorvoll.Das Buchcover zeigt einen lebhaften, neon-grünen Hintergrund. In der Mitte steht der Titel „MY LIFE AS A SERIAL KILLER“ in großen, schwarzen Buchstaben. Darunter ist das Wort „Roman“ in einer kleineren, weißen Schriftgröße platziert. Eine stilisierte Figur in einem langen, schwarzen Mantel und mit langen, dunklen Haaren hält einen Hammer in der Hand und blickt nachdenklich. Der Name der Autorin, Joanna Wallace, ist am unteren Rand in schwarz angegeben, während das Logo des Verlags „PIPER“ rechts in weiß zu sehen ist.

Roman

Unsere neue Lieblings-Serienmörderin! | „Erfrischend originell und zum Totlachen komisch.“ Clare Mackintosh

Claire ist eine ganz normale junge Frau – zumindest, wenn man einmal davon absieht, dass sie ab und an lästige Mitmenschen über die Klinge springen lässt. Gerade hat sie es auf Lucas abgesehen, der noch nichts von seinem Glück ahnt. Eine unbedachte, falsch getippte E-Mail hat ihn ins Fadenkreuz dieser extrem reizbaren Serienkillerin gebracht. Doch noch bevor sie Blickkontakt aufnimmt, bevor sie sich von ihm einen Drink spendieren lässt, ja sogar bevor Claire ihn mit nach Hause nimmt und in kleine Stücke zerlegt, läuft an diesem Abend etwas ganz und gar schief: Irgendjemand beobachtet Claire. Jemand, der im Begriff ist, ihr mörderisches kleines Hobby zu entdecken. Ist ja klar, dass sie alles unternimmt, um dieses geheim zu halten …

„Erstklassige Unterhaltung – nie werden Sie mehr Spaß mit einer hammerschwingenden Wahnsinnigen haben.“ DAILY EXPRESS

Haben wir nicht alle schon einmal daran gedacht, dem Vordrängler an der Supermarktkasse den Hals umzudrehen? Wenn Sie „How to Kill Your Family“ unterhaltsam fanden oder mit der mörderischen Villanelle in „Killing Eve“ mitgefiebert haben, dann wird Sie „My Life as a Serial Killer“ absolut begeistern! Joanna Wallace liefert in ihrem Debüt einen ungewöhnlich unverblümten und wahnsinnig unterhaltsamen Einblick in den Kopf einer psychopathischen Serienkillerin, die auf einer persönlichen Rachemission ist. Stellen Sie sich schon einmal darauf ein, dass Sie dieses Buch nicht mehr weglegen können!

„Messerscharf, raffiniert und voller köstlichem Galgenhumor.“ BOOKSELLER

„Eine willkommene Neuheit im aufkeimenden Subgenre der düster-humorvollen weiblichen Serienkiller-Romane. Ein rasanter Pageturner mit herrlich trockenem Humor.“ THE GUARDIAN

„Dieser düstere, bitterkomische Thriller krempelt die gängigen Genrekonventionen für Serienmörder um, denn man kann nicht anders, als mit der Protagonistin Claire mitzufiebern.“ DAILY MAIL

„Joanna Wallace‘ Sprache ist messerscharf – dieses Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Totlachen. Claire ist eine Serienmörderin, die man einfach lieben muss!“ JACK JORDAN

Damals

In der vollen Turnhalle legen die einen ihren Regenschirm hinten neben die Tür, die anderen klappen ihn zusammen und nehmen ihn mit an ihren Platz. Diejenigen, die ihn an der Tür deponiert haben, setzen sich zögerlich. Wie sollen sie sicherstellen, dass ihr Regenschirm später noch da ist? Nicht dass sie nachher vergessen, ihn mitzunehmen … Vielleicht hätten sie ihn doch nicht an der Tür liegen lassen sollen.

Die Frau in der Mitte der ersten Reihe hat ihren Regenschirm auf den freien Platz rechts neben sich gelegt. Jedes Mal, wenn jemand kommt und fragt, ob dort noch frei sei, lächelt sie entschuldigend und verneint. Diejenigen, die sich von ihrer betörenden Schönheit verunsichern lassen, reagieren irritiert. Alle anderen starren sie wie gebannt an. Dann geht hinten die Eingangstür zu, und Musik erklingt. Die Letzten stolpern über Regenschirme, als sie noch einen freien Platz ergattern. Gleich geht die Aufführung los.

Die Kinder sind als Mäuse verkleidet. Mit Pappohren am Haarreif, aufgemalten Schnurrhaaren und einem Schwanz, der an den Turnanzug genäht wurde, tippeln sie über die Bühne, und das Publikum applaudiert. Als eine der kleinen Schauspielerinnen versehentlich auf den Schwanz des Kindes vor ihr tritt, ertönt Gelächter. Die kleine Missetäterin bückt sich, hebt den Schwanz auf, und alle johlen. Als sie dem vorderen Kind auf die Schulter tippt, um ihm seinen Schwanz zurückzugeben, bricht in der Aula tosender Beifall aus und übertönt sogar die lautesten Donnerschläge von draußen. Bis die Kinder die Bühne wieder verlassen, sind die Regenschirme zu Füßen der Zuschauer den Standing Ovations zum Opfer gefallen und zerdrückt worden.

Nach der Vorstellung greift die Frau in der Mitte der ersten Reihe nach ihrem Regenschirm auf dem Sitz neben sich und nimmt die Tochter von der Bühne in Empfang. Die Kleine hüpft auf dem Rückweg zum Auto über Pfützen, während die Mutter allen im Vorbeigehen zulächelt. „War das nicht großartig?“, sagt sie zu den anderen Eltern, die im Regen zurück zu ihren Autos laufen. „Das haben die Kinder ganz toll gemacht!“ Die Frauen lächeln betreten, sobald sie sie anspricht, die Männer glotzen nur.

Sie verlassen den Parkplatz, und das Mädchen sieht auf dem Heimweg den Scheibenwischern zu, die über die Windschutzscheibe fegen. Hin und her, hin und her, hin und her – bis es mit einem Mal aufhört. Nicht das Unwetter, sondern das Hin und Her. Es ist nicht ganz leicht, draußen etwas zu erkennen, trotzdem weiß das Mädchen, dass sie noch nicht zu Hause sind. Die Frau zieht den Zündschlüssel ab und dreht sich zu ihrer Tochter um.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“

Das Mädchen wendet sich ab und starrt jeden einzelnen Regentropfen an, der auf die Scheibe fällt. Jeder von ihnen ist so frei. Frei, irgendwo zu landen. Frei, so zu sein, wie er ist.

Die Mutter packt sie am Kinn. „Wag es nicht, dich wegzudrehen! Ich rede mit dir!“ Sie hat kräftige Finger und scharfe Fingernägel. Das Mädchen hat Mühe zu atmen. „Du hättest einfach nur anmutig sein müssen!“ Die Frau verstärkt ihren Griff. „Nichts anderes war verlangt – ein anmutiges, zartes Mädchen! Wie konnte jemand wie ich so etwas wie dich zur Welt bringen? Wie kannst du es wagen, mich so zu blamieren? Dass du auf diesen Scheißschwanz treten musstest – so was Tollpatschiges! Jetzt reden sie alle über dich. Darüber, wie ungeschickt und nichtsnutzig du bist. Und weißt du, was mit ungeschickten, nichtsnutzigen Kindern passiert?“

„Nein“, flüstert das Mädchen.

„Jetzt weißt du es“, sagt die Frau und schlägt dem Kind ins Gesicht.

Dann lässt sie den Motor wieder an, und die Scheibenwischer wischen weiter. Hin und her, im Takt ihrer Wut, hin und her, aufgemalte Schnurrhaare und Tränen, hin und her, und der Gewittersturm – der wartet geduldig ab.


1

Sie dürfte in etwa so alt sein wie ich, also Anfang dreißig, und sie baut einen instabilen Tellerturm. Ich frage mich, ob sie es eilig hat oder ob es sie einfach nur reizt zu sehen, wie viele sie schafft, bevor alles zusammenkracht. Auf dem Tablett stehen jetzt neun Teller, und obendrauf liegt Besteck. Sie dreht sich zur Küche um und zögert. Offensichtlich hat sie einen weiteren Teller entdeckt. Sie wird doch wohl nicht … Doch. Sie greift tatsächlich zum zehnten Teller und stellt ihn oben aufs Besteck. Ich nehme einen Schluck Rotwein und sehe weg. Die ernst dreinblickenden Männer in ernsten schwarzen Anzügen stehen eindeutig zu nah bei mir und starren mich an. Muss ich jetzt etwas sagen?

„Claire“, spricht einer von ihnen mich an, „das mit deinem Vater tut mir, wie gesagt, sehr leid. Er war ein guter Mann. Einer der Besten.“

Einer der Besten? Merkwürdiges Lob. Einer der Besten von wie vielen denn? Der ganzen Welt? Der hier Anwesenden?

„Er war ein wunderbarer Mensch“, sagt jemand anders, eine weitere Solostimme, die sich aus dem sanft beifälligen Chor erhebt. Sie sehen aus wie ein depressiver Gesangsverein, all diese Männer, die mit meinem Vater zusammengearbeitet haben. Ein Chor, der kein Charisma abbekommen hat.

„Und die Ruhe in Person“, fährt der Solist fort. „Weißt du was, Claire? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich deinen Vater je fuchsig erlebt hätte. Kein einziges Mal. In all den Jahren, die wir uns kannten, ist er kein einziges Mal fuchsig geworden. Ganz gleich, was passiert ist: Er hatte immer die Ruhe weg.“

„Da hast du recht“, sagt ein anderer. „Er ist wirklich kein einziges Mal fuchsig geworden. Bemerkenswert, jetzt, da ich darüber nachdenke. Ich hab ihn nie fuchsig erlebt, kein einziges Mal.“

Ich sehe zu, wie ihre Münder sich bewegen, und denke über all die Beerdigungen der Weltgeschichte nach. All die Beerdigungen, die seit Menschengedenken stattgefunden haben. Wie viele Milliarden das wohl waren? Hunderte? Tausende? Billionen? Wie viele Milliarden gehen in eine Billion? Und war seit Beginn der Aufzeichnungen auch nur eine einzige Beerdigung dabei, bei der das Wort „fuchsig“ derartig überstrapaziert wurde?

„Ich weiß noch – das muss jetzt an die dreißig Jahre her sein“, meldet sich die nächste Stimme, „da haben dein Vater und ich bei diesem Riesenprojekt zusammengearbeitet, und ich sage dir, die Deadline war eine Zumutung. Jeder – also, fast jeder – hat sich aufgeregt. Der Chef hat sich aufgeregt, der Kunde war aufgeregt, und ich gebe gern zu, ich hab mich am meisten aufgeregt. Aber dein Vater, Claire, der hatte die Ruhe weg. Der ist nie auch nur ansatzweise fuchsig geworden.“

Wenn das hier die Trauerfeier für eine fuchsige junge Mutter wäre, die bei dem Versuch gestorben wäre, ihr Neugeborenes vor einem tollwütigen Fuchs zu beschützen, hätte ich vielleicht verstanden, dass das Wort „fuchsig“ so oft gefallen wäre. Vielleicht.

„Er war ein außergewöhnlicher Mensch“, sagt eine weitere Stimme. „Immer so ausgeglichen. So ruhig.“

Im Gegensatz zu dem Geschirr, das soeben scheppernd zu Boden fällt. Alle wirbeln zu der Bedienung herum, die die Küchentür fast, aber nur fast erreicht hat. Der zehnte Teller, den sie wacklig bis waghalsig obendrauf gepackt hatte, liegt zerschellt auf dem Boden, zusammen mit den anderen neun. Die Bedienung ist in die Hocke gegangen und klaubt schon die ersten Scherben auf, als sich eine zweite mit Schaufel und Besen dazugesellt – und beide kichern, dass die Schultern beben. Dann rufen sie sich den Anlass ins Gedächtnis und sind wieder still und respektvoll. Aber es ist gespielt. Ich weiß, es ist nur gespielt. Sobald sie in der Küche verschwinden, werden sie loslachen.

„Wie geht es dir überhaupt, Claire?“, fragt einer der Männer. „Es muss schwierig sein, so ganz ohne Verwandte, die dir in dieser schweren Zeit beistehen könnten.“

Ich will schon antworten, als mein Handy summt. „Entschuldigung“, sage ich und nehme es aus meiner Handtasche, „da muss ich kurz draufgucken.“

Als ich aufs Display blicke, ist eine neue E-Mail eingegangen. Sie ist da. Endlich. Die Nachricht, auf die ich gewartet habe. Ich hole tief Luft und klicke die E-Mail an.

Guten Tag, wir bedanken uns für Ihre Bewerbung um den Keiver-Preis für neue Talente. Ihre Einsendung hat meine Kollegin Hannah und mich sehr beeindruckt, daher freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie in die engere Auswahl …

„Ist alles in Ordnung, Claire?“

Ich reiße den Blick vom Handy los. Die Männer starren mich immer noch an.

„Ja, alles in Ordnung.“ Ich lasse das Handy zurück in die Tasche fallen. „Das war eine gute Nachricht. Eine sehr gute sogar.“

„Ach?“ Der Männerchor bemüht sich sofort um den passenden Gesichtsausdruck.

„Ich hab mich vor einiger Zeit mit einem meiner Bilder für einen Kunstpreis beworben. Gerade erfahre ich, dass ich auf der Shortlist stehe.“

„Das ist ja fabelhaft!“, singt der Chor. „Herzlichen Glückwunsch!“

„Darf ich etwas fragen, Claire?“, wagt sich die jüngste Solostimme hervor. „Was heißt das genau? Shortlist?“

„Das heißt, ich bin in der Auswahl der besten zehn“, erkläre ich. „Nur die besten zehn Bilder gehen in die Endrunde.“

„Von wie vielen denn?“

„Von Hunderten.“

„Wow! Das ist ja total großartig“, sagt ein fein gekleideter Herr, der nicht so aussieht und klingt, als würde er allzu häufig Wow! Das ist ja total großartig sagen. „Dein Vater hat immer wieder erzählt, wie talentiert du bist. Er hat immer gesagt, er habe dir dein künstlerisches Talent von klein auf ansehen können.“

Ich lächle ihn an, was sich sofort verkehrt anfühlt. Mein Gesicht ist an Lächeln schon länger nicht mehr gewöhnt. Und ich muss schleunigst etwas sagen, weil es allmählich anfängt, wehzutun und sich anzufühlt, als würde Beton beim Trocknen Risse kriegen.

„Ich weiß noch gut, wie er mir mein erstes Skizzenbuch geschenkt hat.“ Ich hebe mein Weinglas an die Lippen. „An dem Tag war ich als Maus verkleidet.“

Sämtliche Blicke sind auf mich gerichtet. Urplötzlich bin ich die Chorleiterin.

„Es war ein Geschenk zu meinem vierten Geburtstag. Ich hatte erst einen Auftritt bei einer Kindergartenaufführung, und als ich nach Hause kam, stand er da, mit einem Geburtstagskuchen. An dem Tag hat es schrecklich gewittert, das weiß ich noch.“

Das und noch einiges mehr. Mein Vater, der aus seiner sagenumwobenen Ruhe geriet, als ihm dämmerte, dass er die Aufführung verpasst hatte. „Aber die steht für morgen in meinem Kalender! Du hast gesagt, sie wäre morgen!“ Es kam nicht allzu oft vor, dass er sie hinterfragte, und prompt bekam meine Mutter einen Migräneanfall. Sie ging nach oben ins Bett, und ich machte zusammen mit Dad meine Geschenke auf. Und da lag es – mein allererstes Skizzenbuch.

„So ist also deine Liebe zur Kunst entstanden?“, fragt einer, als ich erneut an meinem Wein nippe.

„Ich glaube schon.“

Sie wollen mehr. Kriegen sie aber nicht.

„Wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr an allzu viel erinnern, wenn du da gerade erst vier warst.“

Was stimmt nicht mit diesen Männern? Was ist verkehrt daran, einfach schweigend beisammenzustehen?

„Ich kann mich an alles erinnern.“

An alles. Daran, dass ich das Skizzenbuch ausgepackt und sofort zu einem Stift gegriffen habe. Und daran, dass Dad die Zeichnung, kaum dass sie fertig war, zum Meisterwerk erklärt hat. Typisch für ihn. Er meinte noch, wir sollten sie sofort in eine dieser schicken Kunstgalerien in der Innenstadt bringen. Wir haben beide darüber gelacht …

„Claire, ist alles okay?“

„Mir ist nur gerade etwas eingefallen. Die Anwärterinnen und Anwärter auf den Kunstpreis werden ausgestellt. Mein Bild wird in einer Galerie ausgestellt!“

„Wow! Das ist ja total großartig“, sagt der feine Herr erneut, und wieder klingt es aus seinem Mund zum Davonlaufen. Aber beharrlich ist er. Total vom Feinsten.

„Danke.“ Ich nippe abermals an meinem Wein, dann noch mal und noch mal, bis ich mir nicht mehr sicher bin, ob es noch als Nippen durchgeht. „Ich wünschte mir nur, dass Dad das noch erlebt hätte.“

Kurz herrscht Stille, als allen wieder einfällt, warum wir hier sind – und warum der ruhige, friedfertige Mann, mit dem sie zusammengearbeitet haben, nicht mit von der Partie ist.

Jemand räuspert sich. „Ich wette, er ist sehr stolz auf dich, Claire. Und die Erinnerungen bleiben dir ja.“

„Danke.“ Ich nehme noch einen Schluck. Schließlich stimmt es: Die Erinnerungen bleiben mir ja. Besonders meine Lieblingserinnerung an jenen Tag, von der ich nie jemandem erzählt habe. Die Erinnerung an einen Moment nach dem Skizzenbuch und dem Lachen. Wir hatten gerade das zweite Stück Kuchen gegessen, Dad spülte die Teller per Hand und forderte mich auf, allmählich nach oben zu gehen und mich fertig zu machen.

„Weck deine Mutter nicht auf“, sagte er noch, während ich von meinem Stuhl hüpfte. „Sei am besten leise wie ein Mäuschen.“

Auf halbem Weg die Treppe hinauf klirrte Glas.

Mein Vater kam aus der Küche gerannt. „Was ist passiert? Was war das gerade?“

„Das war ein Versehen …“

Ein gerahmtes Foto meiner Mutter lag vor mir auf der Treppenstufe. Das Glas war gesprungen.

„Kein Problem“, flüsterte er und spähte nervös die Treppe hinauf. „Ich räume das weg. Sei bloß vorsichtig wegen der Scherben, und geh leise ins Bett.“

„Entschuldigung!“, brüllte ich so laut, wie ich mit meiner vierjährigen Stimme konnte. „War ein Versehen!“

„Psst!“, machte er alarmiert. „Wie ein Mäuschen, hab ich gesagt!“

„Nicht alle Mäuschen sind anmutig und zart.“ Dann drehte ich mich zu meiner Mutter um, die am oberen Treppenabsatz aufgetaucht war. „Ein paar sind ungeschickt und nichtsnutzig.“ Dann hob ich den Fuß, donnerte ihn auf ihr Fotogesicht und zertrümmerte das Glas über ihrem adretten Lächeln.

Im selben Moment passierte es – in der Sekunde bevor ich die Treppe hinauf in mein Zimmer huschte. In diesem Moment sah ich das Flackern. Im Bruchteil der Sekunde zwischen Gleichgültigkeit und dem Einsetzen der Wut – lediglich einen Wimpernschlag lang. Aber sie war da, und sie war echt. Die Angst. Dieser kurze Moment genügte mir.

„Mein Beileid.“

Vor dem Tisch an der Wand, an dem ich soeben mein Weinglas auffülle, blicke ich auf. Die Teller werfende Bedienung steht vor mir und weicht meinem Blick aus. Sie hält ein Tablett mit leeren Gläsern in der Hand.

„Und das mit dem Lärm und den Tellern tut mir ebenfalls leid … Und das Kichern. Wir wollten nicht pietätlos sein. Das war bloß die Nervosität.“

„Ich weiß“, sage ich, „ist schon in Ordnung, ich kann das verstehen.“

Das stimmt sogar, ich verstehe es. Was ich nicht verstehen kann, ist, dass sie immer noch vor mir steht. Hoffentlich sagt sie nicht noch mal, dass es ihr leidtut. All diese Beteuerungen werden langsam unangenehm. Es war weniger peinlich, als sie die Teller zerschlagen hat.

Mit ihren ausgewaschen blauen Augen sieht sie mir ins Gesicht. „Ich ahne, was Sie gerade durchmachen.“ Sie verändert den Griff um ihr Tablett. „Als meine Mutter gestorben ist, haben alle gesagt, es würde mich immer mal wieder aus heiterem Himmel überrollen. Sie wissen schon … die Trauer. Und sie hatten recht. Urplötzlich hat mich diese Riesenwelle überrollt, und ich konnte nur noch denken: Jetzt ist sie für immer weg und kommt nie wieder. Und das hat mich richtig runtergezogen, dieses Gefühl … als würde ich ertrinken …“

Ihre Stimme rückt in den Hintergrund. Meine Gedanken gefrieren, und in meinem Kopf formen sich zerklüftete Eiszapfen. Ich suche Trost im Keiver-Nachwuchspreis. Solange ich an die Ausstellung denke, muss ich nicht an Dad denken. Der für immer weg ist. Der allein in dieser engen, kalten Kiste in der Erde liegt. Dad hat Kälte immer verabscheut. Er hasste es, allein zu sein, und beengte Orte hat er gemieden.

Sie zittert inzwischen, die Tellerwerferin, als könnte sie meine Gedanken lesen, und die leeren Gläser auf ihrem Tablett fangen an, zu kippeln und zu klirren. Sie schließt die Augen. Ich frage mich, ob das funktioniert – als Strategie, um mit dem Leben klarzukommen, sobald alles den Bach runtergeht. Wenn ich die Augen schließe, wird das alles hier vielleicht verschwinden. Und wenn ich die Augen aufschlage, bin ich wieder zu Hause und arbeite an meinem Bild. Dad sitzt im Sessel und nippt an einem Whisky, und ich fühle mich geborgen. Ich ruhe in mir.

Ich schlage die Augen auf. Die Bedienung steht immer noch da, genau wie die leeren Gläser. Sie haben es überlebt. Die Bedienung sieht erleichtert aus. Zumindest für eine von uns hat die Strategie mit den geschlossenen Augen funktioniert.

Schlagartig bin ich erschöpft und kriege Kopfschmerzen. Die Bedienung versucht, nicht zu gähnen. Sie hat von diesem Empfang genug, genau wie ich. Es war ein langer Tag, und allmählich werde ich ein bisschen … fuchsig. Ich mache mich auf den Weg zum Ausgang.

Am Morgen nach der Beerdigung sitze ich in Dads Sessel, trinke Tee, esse Buttertoast und entwerfe Skizzen für ein neues Bild, als eine weitere E-Mail eintrifft.

Guten Tag, es tut mir wahnsinnig leid, aber gestern habe ich Ihnen fälschlicherweise mitgeteilt, dass Sie in die engere Auswahl für den Keiver-Preis kämen. Es ist mir sehr peinlich, aber die Nachricht war für eine andere Bewerberin mit dem Vornamen Claire bestimmt, und ich habe aus Versehen Ihre E-Mail-Adresse angeklickt. Es tut mir wirklich leid …

Behutsam setze ich Tee und Toast auf dem Couchtisch ab und lese den Rest der Nachricht. Ich solle nicht aufgeben, steht da, und mich auch auf andere Ausschreibungen bewerben – und exakt in diesem Moment fällt mir meine Hand auf, die sich in die Sessellehne krallt. Ich halte die Luft an, während ich die E-Mail anstarre und jedes Wort zur Waffe wird, vom Display aufsteigt und vor meinem Gesicht schwebt, mich bedroht und verhöhnt, ehe es sich an irgendeiner Stelle in einer schicken Galerie, die nie existiert hat, in Luft auflöst. An einem Ort, wo mein Bild nie hängen wird. Und jetzt entstehen andere Bilder. Von Dad, der in einer Kiste im Erdreich liegt. Hat er schon angefangen zu verrotten? Wann machen die Würmer sich über ihn her? Ich kann die Luft nicht mehr anhalten, habe aber viel zu viel Angst vor dem Ausatmen. Meine Hand krallt sich fester in den Sessel. In denselben Sessel, auf dem er immer saß. Wo ist er? Wohin ist er verschwunden? Er muss doch irgendwo sein? Ich konzentriere mich auf die Finsternis, die auf mich zurollt. Hat sie das gemeint? Die instabile Tellerstaplerin? Fühlt es sich so an, wenn man ertrinkt?

Für alle Fans von Carina Schnell und Sarah J. Maas

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt einen dunklen Hintergrund, der von blauen Blumen und blättrigen Elementen umrahmt wird. Im Zentrum liegt ein kunstvoll gestaltetes, silbernes Schwert mit einer eleganten Klinge. Der Titel „CRIMSON SKY“ ist in großen, schimmernden Buchstaben in der oberen Hälfte platziert, während der Untertitel „DER SCHATTENPRINZ“ in kleinerer Schrift darunter erscheint. Der Autorname „Kira Licht“ ist ebenfalls prominent in der oberen Ecke angegeben. Die Gesamtatmosphäre vermittelt eine geheimnisvolle und spannende Stimmung.Das Buchcover zeigt einen stilisierten Schwertscheitel, der dominant in der Mitte platziert ist, umgeben von leuchtenden blauen Blumen und grünen Blättern. Der Hintergrund ist in dunklen, schattigen Farben gehalten, was eine geheimnisvolle Atmosphäre vermittelt. Der Titel „CRIMSON SKY“ ist in großen, silbernen Buchstaben gestaltet, während der Untertitel „DER SCHATTENPRINZ“ in kleinerer Schrift darunter steht. Der Name der Autorin, Kira Licht, erscheint am oberen Rand des Covers.

Roman

Eine Seelenjägerin. Ein Prinz des Totenreichs. Und ein altes Geheimnis, das zwischen ihnen steht.

*** Mit limitiertem Farbschnitt in der 1. Auflage! ***

Keon hat Remy das Herz gebrochen. Und ausgerechnet jetzt befiehlt der König, dass sie sich mit ihm verloben soll. Remy bleibt nichts anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten. Sie versucht, sich auf das Bändigen ihrer neuen Kräfte als Mitglied der Wilden Jagd zu konzentrieren, denn die Anderswelt schwebt in großer Gefahr. Doch es fällt ihr schwer, dem Prinzen des Totenreichs zu widerstehen, der jeden Tag um sie kämpft. Unter keinen Umständen darf er von dem Geheimnis erfahren, das Remy hütet. Denn dann würde er sie für immer hassen … 

Band 1: Crimson Sky − Die Seelenjägerin
Band 2: Crimson Sky − Der Schattenprinz

Kapitel 1

„Entschuldigung?“ Ich hatte mich verhört, ganz sicher. König Reval von den Schwarzen Inseln, seines Zeichens Herrscher über das Totenreich und im Übrigen mein zukünftiger Schwiegerpapa, hatte gerade nicht gesagt, was er gesagt hatte.

Oder hatte er es doch?

König Reval wiederholte sich nur ungern, denn seine Miene wurde noch finsterer. Er starrte von dem Podest, auf dem die beiden juwelengeschmückten Throne des Herrscherpaars standen, auf mich herunter, als wollte er mich wie eine Fliege zerquetschen. „Die Beischlaf-Zeremonie findet um Mitternacht statt.“

„Die …“ Ich konnte das unsägliche Wort nicht mal aussprechen. Ja, ich wusste, dass sich die Anderswelt der Sidhé, die ich seit Kurzem mein Zuhause nannte, zeitlich im finsteren Mittelalter einpendelte. Ich wusch mich mit eiskaltem Wasser im Wald. Ich frühstückte schleimigen Haferbrei. Und von dem Donnerbalken, den man hier als Toilette benutzte, wollte ich gar nicht erst anfangen. Aber was zu weit ging, ging zu weit.

Ich drehte den Kopf, um meinen zukünftigen Ehemann anzusehen. Keon von den Schwarzen Inseln, Kronprinz des Totenreichs, Anführer der Wilden Jagd, gefürchteter Gegner, gnadenloser Kämpfer … und in diesem Moment schwer damit beschäftigt, die Spitzen seiner Stiefel zu betrachten.

Kann mich mal jemand kneifen?

„Weitere Details besprechen wir, wenn die Hochzeit näher rückt.“

Damit schien das Thema für den König beendet. „Keon, möchtest du deine Verlobte ein wenig herumführen? Du könntest ihr das Schloss oder die Gärten zeigen.“

Ich hob die Hand, als säße ich im Unterricht.

König und Königin wechselten einen Blick. Jedes Mal, wenn ich Königin Ylara traf, tat sie mir leid. Die schweigsame blonde Frau wirkte immer traurig. Und obwohl sie keinerlei Interesse an mir zeigte, war ich neugierig, woher diese getrübte Stimmung kam.

Der König gab mir mit der Hand zu verstehen, dass ich sprechen sollte. Dann strich er sich ungeduldig über den langen, schwarzen Bart.

„Das sind mir eindeutig zu wenig Informationen.“ Ich rang mir ein Lächeln ab, aber es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. Das konnten sie doch nicht ernst meinen. Und überhaupt, was stellten sie sich vor? Dass wir unter den Augen des gesamten Hofstaats übereinander herfielen und sie applaudierten, wenn wir zum Höhepunkt kamen?

Hilfe. Schon der Gedanke daran war mehr als grenzwertig, um es mal ganz harmlos auszudrücken.

Der König sandte mir einen wütenden Blick zu. Richtig, ich hatte vergessen, eine höfliche Anrede anzuhängen. Aber das konnte ich mir einfach nicht merken.

„Eure Majestät“, fügte ich hastig hinzu.

Er seufzte, und plötzlich wusste ich, von wem Keon die Gabe geerbt hatte, seinem Gegenüber bodenlose Enttäuschung zu suggerieren.

Zugegeben, ich konnte den König verstehen. Ich war nicht die Wunschkandidatin für seinen Sohn. Eigentlich hatte Keon die liebreizende Monya heiraten sollen. Doch dann hatte sich ihr Onkel, König Kymrin von Sommerland, plötzlich dagegen entschieden und stattdessen mich erwählt.

Glücklich war damit niemand. Monya wollte Keon unbedingt heiraten. Auch ich hätte vor ein paar Wochen noch vor lauter Vorfreude heiße Wangen bekommen. Doch seit ich herausgefunden hatte, dass Keon wusste, dass die beiden Könige eine Verlobung zwischen ihm und Monya vereinbart hatten, war ich sauer auf ihn.

Ich hatte mich in ihn verliebt, mit Haut und Haaren, mit allem, was ich zu geben hatte. Das zwischen uns war roh und wild und echt gewesen. Das hatte ich mir zumindest eingebildet.

Stattdessen hatte er da schon die ganze Zeit gewusst, was die beiden Könige verabredet hatten. Und anstatt mir die Wahrheit zu sagen, hatte er immer mehr Zeit mit mir verbracht. Ich wurde immer noch rot, wenn ich daran dachte, was wir getan hatten. Ich erinnerte mich an das Stöhnen, die Hitze, dieses unbändige Verlangen zwischen uns. Dort, wo einst das Feuer gelodert hatte, war nun nichts mehr als Eis. Und ausgerechnet jetzt sollte ich Keon heiraten. Schlimmer konnte es zwischen uns nicht stehen, doch das schien allen egal zu sein.

„Ich möchte damit vorschlagen, dass dir dein baldiger Ehemann dein zukünftiges Heim zeigt.“ Revals Eckzähne, die deutlich kürzer waren als Keons, blitzten zwischen seinen Lippen hervor. Keine Ahnung, warum der König das Wort „zukünftig“ so sehr betonte. Ob er mir klarmachen wollte, dass ich zurzeit nur ein Gast war?

Egal, denn das hatte ich nicht gemeint mit meiner Frage. Was interessierte mich ein Rundgang? Ich wollte wissen, ob ich vor dem gesamten Hofstaat mit Keon schlafen musste, damit die Hochzeit anerkannt wurde.

Dieses Mal dachte ich an seine geliebte höfliche Anrede. Ich räusperte mich, denn meine Frage war mir ziemlich unangenehm. „Eure Majestät, ich würde gern mehr über die … ähm …“ Ich konnte es immer noch nicht aussprechen. „… mehr über besagte Zeremonie erfahren. Ich bin übrigens keine Jungfrau mehr“, warf ich noch hinterher, was es vermutlich nicht besser machte. Ich hatte in der Schule zwar nicht oft aufgepasst, aber ich wusste noch aus dem Geschichtsunterricht, dass wohl früher von Frauen erwartet wurde, jungfräulich in die Ehe zu gehen. Nun, damit konnte ich nicht mehr dienen.

„Die Beischlaf-Zeremonie“, wiederholte König Reval das unsägliche Wort.

Ich nickte mit einem einbetonierten Lächeln. Viel lieber hätte ich die Hände vors Gesicht geschlagen und wäre im nächsten Loch im Boden versunken. Ich war nicht prüde, aber alles, was dieses Wort suggerierte, gefiel mir nicht.

Der König machte es wie die meisten guten Ehemänner. Stellten die Kinder peinliche Fragen, überließ man die Beantwortung der Ehefrau. „Meine Liebe, möchtest du das übernehmen?“

Er tarnte es wie eine Frage, doch es war ein Befehl. Wäre ich seine Angetraute gewesen, ich hätte ihm was gehustet. Doch Königin Ylara neigte schicksalsergeben das Haupt, bevor sie sich an mich wandte.

„Niemand erwartet, dass du eine Jungfrau bist, Remy. Diese zutiefst menschlichen Traditionen lehnen wir ab.“ Sie musterte mich, und fast so etwas wie ein Lächeln huschte über ihre Züge. „Ich weiß nicht, wie viel dir mein Sohn schon über unsere Hohen Feiertage erzählt hat. Aber einmal pro Jahr feiern wir die Fruchtbarkeit der Erde, ihre reichen Gaben, die sie uns schenkt, das Wunder des Lebens. Beltane ist eine Nacht voller Sinnlichkeit, Zügellosigkeit und Lust. Junge Männer und Frauen dürfen daran teilnehmen, sobald sie in unserem Reich als erwachsen gelten. Hier sind den Spielarten der körperlichen Liebe keine Grenzen gesetzt, solange es einvernehmliche Spiele sind.“

Ich spürte, wie Hitze in meinen Wangen aufflammte, und fragte mich unwillkürlich, wie oft Keon schon daran teilgenommen hatte. Und mit wem.

Ich sah zurück in das Gesicht der Königin, das zum ersten Mal nicht resigniert und teilnahmslos wirkte. Ob vor ihrem inneren Auge Erinnerungen lebendig wurden, während sie sprach? Mit wem hatte sie diese magische Nacht verbracht, bevor sie Königin wurde? Ich wusste bereits, dass gerade an den Königshöfen Ehen häufig arrangiert wurden. Ob sie den düsteren Reval sonst erwählt hätte?

„Die Beischlaf-Zeremonie ist eine jahrhundertealte Tradition in unserem Reich. Wir zelebrieren damit die Liebe zwischen einem jungen Paar.“

„Bei einer arrangierten Ehe von Liebe zu sprechen, finde ich ziemlich vermessen“, rutschte es mir heraus.

Die dünnen Augenbrauen der Königin wanderten nach oben. König Reval wollte schon den Mund aufmachen, doch seine Ehefrau war schneller. „Findest du meinen Sohn abstoßend?“

„Nein, aber …“

„Ihr habt gewiss beieinandergelegen.“

Ich war verwirrt. „Beieinander?“

„Miteinander geschlafen“, erklang Keons tonlose Stimme neben mir. „Nicht, dass es dich etwas angeht, Mutter, aber nein, das haben wir nicht.“

Himmel und … Ich war bereit zu sterben. Wer bitte besprach so etwas mit seinen Eltern? Ich warf Keon einen kurzen Blick zu. Zum Glück schien er sich genauso unbehaglich zu fühlen wie ich.

„Aber ihr habt andere Dinge getan?“, beharrte die Königin.

Konnte sie bitte damit aufhören? Schon wieder dachte ich an das, was zwischen Keon und mir passiert war. So etwas besprach man definitiv nicht mit seinen Eltern. Dass sie für mich Fremde waren, machte es nicht besser.

Trotzdem nickte ich.

„Dann sehe ich nicht, was dieser Zeremonie im Weg stehen könnte.“ Die Königin lächelte zuckersüß und sehr zufrieden. „Ihr findet euch ansprechend, ihr seid bereits vertraut miteinander. Ihr werdet das Publikum gar nicht wahrnehmen.“

Publikum? Das Wort hallte in mir nach. Das konnten sie unmöglich ernst meinen.

„Hinzu kommt, und das ist ebenfalls eine Tradition unseres Reiches, dass wir die Hochzeit in deine fruchtbaren Tage legen. Dein Verlangen wird größer sein und …“

Halt.

Stopp.

An diesem Punkt war ich offiziell raus. Nicht nur, dass wir Publikum haben würden, sie würden meine Hochzeit in jene Tage legen, in denen ich rollig wie eine Katze war? Und alle würden es wissen? Niemals!

Ich würde genau morgen um eine Audienz bei König Kymrin von Sommerland bitten und ihn auf Knien anflehen, dass er mich aus seinem Plan entließ. Monya war ganz wild darauf, Keons Frau zu werden. Sie war mit diesen seltsamen Traditionen aufgewachsen, hatte vermutlich bereits anderen Hochzeiten beigewohnt und fand es deshalb nicht so abgrundtief peinlich und absolut unvorstellbar wie ich.

„Tut mir leid, ich …“ Ich brach abrupt ab. „Nein.“ Ich lachte heiser auf. „Nein, eigentlich tut es mir gar nicht leid. Nur so viel sei gesagt.“ Ich sah erst Keon und dann seine Eltern an. „Das alles wird niemals passieren. Ich werde mit König Kymrin sprechen. Monya ist ganz verrückt nach Keon, und sie ist mit den Traditionen des Landes vertraut. Soll sie sich wie eine paarungsbereite Trophäe begaffen und besteigen lassen.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und marschierte durch den düsteren Thronsaal Richtung Ausgang.

Wäre die Situation nicht so unangenehm, hätte ich mir Zeit genommen, den hohen Raum ausgiebig zu betrachten. Eigentlich gefielen mir das dunkle Holz, die ovalen Schilde an den Wänden und die matt glänzende Bronze der riesigen Kerzenständer. Alles wirkte wie das Innere jener mittelalterlichen Burgen, die ich aus Filmen kannte. Der Kamin war groß genug, dass man einen Ochsen darin braten konnte. Das Feuer prasselte gemütlich, und trotz der Kälte, die der Januar mit sich brachte, wirkte alles anheimelnd. Die Wandteppiche erzählten von Schlachten, von Siegen und Niederlagen. Den Waffen sah man an, dass sie so manche Auseinandersetzung überstanden hatten. Und die grünen Ranken, die sich zwischen den Fugen der schweren Steinplatten an den Wänden emporschlängelten, ließen den Raum fast wie einen lebendigen Organismus wirken. Es war ein Respekt einflößender Ort, der von Blut und Tod erzählte und dennoch so viel Leben in sich barg.

Wie auf einen geheimen Befehl lösten sich plötzlich zwei der Wachen rechts und links von der Wand. Sie stellten sich mir in den Weg und kreuzten ihre langen Speere, um mich aufzuhalten.

Ich lachte. „Jungs, ernsthaft?“ Ich war eine Jägerin. Das Kämpfen lag mir buchstäblich im Blut.

Die beiden Wachen warfen sich unsichere Blicke zu.

„Lasst sie gehen“, dröhnte König Revals Stimme durch den hohen Raum.

Den Wachen war ihre Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als sie zur Seite wichen. Ich salutierte sarkastisch und hielt meinen Blick fest auf das große Tor gerichtet, das mich in die Freiheit führte.

Im Burghof wartete meine Füchsin Hazel auf mich, mit der ich über den Himmel jagen und Burg Raunacht weit hinter mir lassen würde.

Kaum hatte ich den Thronsaal verlassen, bog ich nach links ab, um einen schmalen Korridor zu nehmen, der zu einem der Türme führte, in denen sich eine Treppe dem Innern eines Schneckenhauses gleich nach unten wand. Im Burghof würde ich mir nur noch schnell meine Waffen wiedergeben lassen und dann wortwörtlich einen Abflug machen. Obwohl ich keine Angst hatte, war ich nervös. Innerlich zählte ich die Schritte mit.

Nicht mehr lange und du hast es geschafft.

Geh einfach weiter.

Du schnappst dir deine Füchsin und dann …

„Remy …“

Ich hatte gerade den Turm betreten, um die eine Etage nach unten zu laufen, da erklang eine dunkle Stimme hinter mir.

Ich drehte mich weder um, noch dachte ich daran, stehen zu bleiben.

Im nächsten Moment hatte er mich auf der Treppe überholt und bremste mich mit seinem Körper aus. Er stand eine Stufe unter mir, trotzdem war er noch ein gutes Stückchen größer als ich. Ich war mittlerweile gut genug trainiert, um nicht mehr blindlings in diese Wand aus Muskeln zu rennen, dennoch bremste ich scharf ab.

„Und auch mit dir will ich nicht reden, Keon.“ Ich sah ihm nicht ins Gesicht, blickte über seine linke Schulter und schob das Kinn vor.

„Was hatten wir zum Thema Loyalität vereinbart?“

Ich schnaubte. „Ja, du bist mein Anführer. Aber bald wirst du mein Ehemann sein, und dann kannst du dich mal so was von darauf einstellen, dass …“

„Ich dachte, du willst mich nicht mehr heiraten.“

Ich klappte den Mund zu, öffnete ihn erneut, hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte, und schloss ihn wieder.

Ich spürte Keons Blick auf mir, seine Nähe, die Art, wie mein Körper auf ihn reagierte. Wir standen immer noch so nah voreinander. Ich könnte meine Hand auf seine Brust legen und ihm meinen Mund zum Kuss entgegenrecken. Und er würde mich küssen. Er würde seine großen Hände an meinen Hintern legen und mich an sich ziehen. Gerade zart, gerade bestimmt genug, um mich aufseufzen zu lassen. Ich erinnerte mich an die Worte, die er mir zugeflüstert hatte, als ich gerade mal einen Tag in der Anderswelt verbracht hatte: Ich bin das größte Raubtier in diesem Wald.

Nein. Schluss damit. Hormone, zurück in die Reihe.

Es kostete mich Mühe, die Worte zu formulieren. „Geh mir aus dem Weg.“

Er rührte sich nicht.

„Mach den Weg frei, Keon.“ Ich wollte ruhig klingen, aber ich hörte mich an, als wäre ich auf der Flucht. Und genau das war ich auch. Vor ihm, vor diesen irrationalen Gefühlen für ihn, vor diesem dummen Verlangen, ihm alles zu verzeihen. Wieso hatte er immer noch so eine Wirkung auf mich?

Ich sah hoch in diese schwarzen Abgründe, die seine Augen waren. Der Schmerz darin überschwemmte mich wie eine Woge. Aber ich wollte ihm nicht verzeihen. Ich konnte es nicht.

Ohne wegzusehen, hob ich die Hand und drückte mit dem Zeigefinger gegen seine Brust.

Er wich zurück.

Ich hörte nicht auf, bis er seitlich von mir stand und die Treppe freigab.

Ich atmete auf, und gleichzeitig hasste ich mich dafür. Es war erniedrigend und beschämend, dass Tränen in meinen Augen brannten, als ich den Fuß der Treppe erreichte. Wieso zerriss es mich so? Wieso konnte ich ihn nicht einfach aus meinem Kopf radieren? Es war erbärmlich, denn ich lauschte, ob ich das Geräusch schwerer Stiefel hörte. Aber er folgte mir nicht.

Unten im Hof konnte ich nicht widerstehen. Der Turm hatte Fenster. Hoch und schmal, aber breit genug für eine Person.

Ich sah nach oben. Und da war er. Die Beine locker überkreuzt, lehnte er mit der Schulter in einem der Rahmen.

Er war mir einen Schritt voraus. Er wusste, welche Wirkung er immer noch auf mich hatte. Und als sich unsere Blicke trafen, lächelte er zum Beweis.

Mistkerl.


Kapitel 2

Ich flog einen kleinen Umweg. Eigentlich hätte ich von Burg Raunacht aus nach Westen fliegen können, um die Grenze des Totenreichs und die Silbernen Wälder zu überwinden und direkt auf die Mag Mor, die große Ebene, zu fliegen, um den Palast auf der Glasinsel zu erreichen.

Ich beugte mich nahe zum linken Ohr meiner Füchsin. „Fliegen wir ein wenig tiefer. Mal sehen, ob wir jemanden entdecken.“

Hazel gehorchte sofort. Schon kam eine der Schwarzen Inseln in Sicht. Die Heimat der Wilden Jagd. Hier lebten die stärksten Kämpfer des Totenreichs. Woche für Woche führte sie ihre Jagd nach Seelen auf die Erde. Woche für Woche sorgten sie dafür, dass Cromm Cruach, der schlafende Totengott, besänftigt wurde und nie wieder erwachte. Die Frauen und Männer waren mein Zuhause geworden, auch wenn ich nach meiner Verwandlung ein wenig Zeit gebraucht hatte, um damit klarzukommen. Und dann hatte sich mein Leben erneut um hundertachtzig Grad gedreht.

Wir überflogen die sich ordentlich in einer Reihe gegenüberstehenden kleinen Hütten. Es war Mittag. Die Tagschicht war auf der Jagd, während die Nachtschicht ihren verdienten Schlaf nachholte. Zwischen den Hütten entdeckte ich nur ein paar Nachtmahre, die für Ordnung sorgten. Ich hob grüßend die Hand, und sie winkten zurück.

Ich war etwas deprimiert, dass ich keinen von meinen Leuten entdeckt hatte, aber die Zeit war auch einfach ungünstig.

„Zurück zur Glasinsel, Mausi.“ Das war seit Kurzem mein Spitzname für Hazel. Ich benutzte ihn nur, wenn wir unter uns waren. Es war sozusagen ein Privatname, und irgendwie war ich kindisch stolz darauf. Sie schien ihn zu mögen, denn wie jedes Mal schnaubte sie. Hazel drehte ab, und wir flogen nach Westen.

Eigentlich hätte ich es vorher wissen müssen. Unsere Flugroute führte uns genau an der Stelle entlang, an der ich nach meiner vermeintlichen Flucht in die Silbernen Wälder gestrandet war. Sie waren das Wirkungsgebiet der Druiden. Auf der Lichtung entdeckte ich den Steinkreis und erinnerte mich an den Moment, in dem ich zum ersten Mal meine Kräfte gespürt hatte. Im nächsten Augenblick tauchte ein blonder Schopf aus dem Eingang des angrenzenden Tempels auf.

„Warte.“

Hazel konnte in der Luft stehen wie ein Kolibri. Eine Superkraft, die mich immer noch beeindruckte.

Ich reckte den Hals. Das ist doch nicht etwa? Habe ich so viel Glück?

Ich konnte nicht widerstehen.

„Sagen wir kurz Hallo“, raunte ich Hazel zu. In einer eleganten Schleife ließ sie sich nach unten sinken. Bei den ersten Malen war mir noch der Magen wild umhergehüpft, und ich hatte mich gefühlt wie ein Kind, das zum ersten Mal auf einer Schaukel saß. Doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt.

Hazel landete mitten im Steinkreis. Und da war er.

„Jonus!“ Ich winkte ihm zu.

Er kontrollierte gerade irgendwelche Kräuter, die am Eingang des Tempels zum Trocknen aufgehängt worden waren. Jetzt schwang er herum. Sein Lächeln erhellte sein ganzes Gesicht. „Remy, was für eine schöne Überraschung!“ Obwohl er ein großer schlanker Mann war, besaß er einen eleganten Gang, der ihn kein bisschen linkisch wirken ließ. Wie immer trug er das helle Gewand des Obersten Druiden und seinen bronzenen Gürtel um die Hüften. Sein langes, blondes Haar fiel ihm offen über die Schultern.

Ich sprang von Hazels Rücken und lief auf ihn zu. Wie immer, wenn ich ihn in der traditionellen Kleidung sah, war ich beeindruckt. Er galt als der mächtigste Druide von Sommerland. Ich fand die Bezeichnung irreführend, denn eigentlich bezog sie sich auf das gesamte Reich, denn in der Anwn gab es keine Druiden.

Wir waren nur noch wenige Schrittlängen voneinander entfernt, da jagte ein rot-brauner Fellball an mir vorbei. Meine Füchsin war zurück auf ihre normale Größe geschrumpft. Jonus und Hazel hatten sich in meiner Zeit am Hof von Sommerland besser kennengelernt. Sie war oft dabei, wenn er mich unterrichtete. Ganz offensichtlich war sie ihm ein klein wenig verfallen, genau wie ich. Und vermutlich auch jede andere Frau, die den Obersten Druiden von Sommerland jemals kennengelernt hatte.

Jonus lachte laut, als Hazel sich mit einem Satz in seine Arme katapultierte. „Mein hübsches Mädchen.“

Eine überraschte Sekunde lang glaubte ich, dass er mit mir sprach. Stattdessen drückte er Hazel an sich und strich ihr über die spitzen Ohren. Sie hechelte und jaulte vor Begeisterung.

„Was für eine Freude“, sagte ich, als ich ihm endlich gegenüberstand. Mit dem Kinn deutete ich auf meine Füchsin, die sich gar nicht mehr einkriegte. „Man könnte meinen, ihr hättet euch wochenlang nicht gesehen.“

„Also einen Arm hätte ich noch frei.“ Jonus hielt Hazel in seiner Rechten, und den linken Arm streckte er mir entgegen.

Ich war etwas verunsichert. Eigentlich umarmten wir uns nicht. Ich hatte ihn als einen hilfsbereiten Gelehrten kennengelernt und später als meinen Lehrer. Außerdem war ich einfach nicht der überschwängliche Typ. Ich wollte ihn jedoch nicht beleidigen und außerdem, warum nicht? Wir kannten uns gut genug für eine Umarmung, und sie war mir auch nicht unangenehm. Jonus war ein gutaussehender, beeindruckend gebildeter Mann, der mir bisher mit nichts als Freundlichkeit und Respekt begegnet war.

Ich war überrascht, als ich sehnige Muskelstränge unter dem dünnen Stoff seines Gewandes ertastete. Er wirkte schlank, aber wenn er selbst am Rücken so durchtrainiert war, hatte ich ihn wohl die ganze Zeit unterschätzt.

Wir lösten uns voneinander, und Jonus ließ Hazel runter. Sie schnüffelte in die Luft und richtete ihre Schnauze wie von einem Peilsender gelotst in Richtung des Tempels.

„Schau mal im Innern nach, Hazel“, sagte Jonus. „Wir haben heute Morgen frischen Honig geholt.“

Hazel war verrückt nach Süßem. Zum Glück verstand mein Reittier jedes Wort.

Dennoch hatte ich Bedenken. „Sie wird wahllos alle Schalen ausschlecken. Das ist dir aber schon klar, oder?“

„Es befinden sich noch zwei Novizen im Tempel. Sie werden Hazel weiterhelfen.“ Er lächelte mich schief an. „Aber sag, wie war das Treffen mit deiner Schwiegerfamilie?“ Jonus hatte diese unbekümmerte Art, den Finger in die Wunde zu legen, die mich immer wieder kalt erwischte. Er hatte wohl meinen Gesichtsausdruck bemerkt, denn er lachte leise. „Ich verstehe. So schlimm also.“

„Ich will nicht darüber reden.“ Ich bohrte eine Spitze meines Stiefels in die dünne Schneedecke auf dem Gras.

„Was kann ich dann für dich tun?“ Wie immer war Jonus darauf bedacht, für alles eine Lösung zu finden. Bei unserem ersten Treffen hatte er mir eine Salbe gegen meine Verletzungen und einen Tee gegeben, der mich ruhiger schlafen ließ. Und auch jetzt schien er nur daran interessiert, zu helfen. Er war wirklich der geborene Druide.

„Ich brauche nichts, vielen Dank.“ Etwas unschlüssig sah ich von meinen Stiefelspitzen wieder hinauf in sein Gesicht. „Ich habe dich gesehen und dachte, es wäre schön, kurz Hallo zu sagen. Im Palast ist es manchmal einsam.“ Ich zuckte die Schultern. „Du hast die Silbernen Wälder, den Heiligen Nemeton.“ Ich deutete auf den Tempel hinter seinem Rücken. „Du hast eine Aufgabe, einen Platz in dieser Welt. Auch ich hatte gedacht, ich hätte ihn bei der Wilden Jagd gefunden, aber jetzt ist plötzlich wieder alles anders. Und manchmal fühle ich mich freischwebend und …“ Ich zögerte. „… auch ein wenig einsam.“ Jonus wollte etwas erwidern, doch ich sprach hastig weiter. „Ich weiß, ich trainiere jetzt alle zwei Tage wieder mit der Wilden Jagd. Ich soll wieder mit ihnen reiten. Und ich bin dankbar, dass König Reval sich dahingehend für mich eingesetzt hat. Das hätte er nicht tun müssen. Eigentlich wollte ich dankbar sein und ihn …“ Wieder brach ich ab. „Aber heute haben wir über die Hochzeit gesprochen, und es kamen Details ans Licht, die …“ Ich plapperte, und ganz gewiss wollte ich nicht mit Jonus über das Thema „Beischlaf-Zeremonie“ reden. Ich seufzte. „Ich habe mich einfach gefreut, dich zu sehen, und dachte, wir unterhalten uns ein paar Minuten, bevor ich wieder in meine großen, leeren Räume zurückkehre und über den Sinn meines Daseins nachdenke.“

Erneut öffnete Jonus den Mund, um etwas zu erwidern. Wieder kam er nicht dazu, zu sprechen. Zwei Novizen, gut erkennbar an ihren dunkelgrünen Gewändern, waren im Eingang des Tempels erschienen. Hazel drängte sich zwischen sie. Jonus drehte sich zu ihnen um, als habe er ihre Anwesenheit gespürt.

Die zwei Novizen, ein Junge und ein Mädchen, vermutlich beide um die vierzehn Jahre alt, deuteten eine Verbeugung an. „Oberster Druide“, sagte das Mädchen leise. „Eure Anwesenheit im Tempel wird benötigt.“

Ich wusste, dass die Druiden auch Medizin herstellten. Vielleicht hatten die beiden ein Problem mit irgendwelchen Pflanzen. Da wollte ich Jonus lieber nicht aufhalten.

Er drehte sich zu mir, da rief ich bereits nach Hazel. „Du musst nicht gehen.“

Ich lächelte ihn an. „Du bist beschäftigt, das hätte ich wissen müssen. Ich wollte dich nicht stören.“ Ich streichelte Hazel kurz über den Kopf. „Wir machen einen Abflug, und wir beide …“ Ich deutete zwischen ihm und mir hin und her. „… sehen uns zur nächsten Lehrstunde.“

Hinter uns räusperten sich die Novizen.

Jonus zog vielsagend die Brauen hoch. „Das ist vermutlich die beste Idee. Aber schön, dass wir uns gesehen haben.“

Ich hob kurz die Hand zum Gruß, als ich mich umdrehte, während Hazel bereits wieder größer wurde. Einen Moment später schwang ich mich auf ihren Rücken.

Ich konnte nicht verhindern, dass mich ein Gefühl von Enttäuschung durchflutete. Zwar hatte ich nicht genau gewusst, was ich hier wollte, aber allein die Gegenwart des Druiden beruhigte mich. Nach diesem aufwühlenden Treffen auf Burg Raunacht und meinem kurzen Zusammentreffen mit Keon hätte ich das gut gebrauchen können.

Ich war noch ein gutes Stück von dem Palast auf der Glasinsel entfernt, da hörte ich schon die Fanfaren. Alarmiert streckte ich den Rücken durch, denn das bedeutete nie etwas Gutes. Ich kniff die Augen ein wenig zusammen, um sie vor dem Wind zu schützen und besser sehen zu können. Intuitiv rechnete ich mit einem weiteren Überfall der Clann. Jener Wesen, zu denen eine Seele wurde, wenn der Körper nicht bemerkte, dass er gestorben war. Die Clann waren furchterregende Monster, und für die meisten Sidhé endete eine Begegnung tödlich. Für Menschen selbst stellten sie keine direkte Gefahr dar, aber auf der Erde konnten sie Chaos stiften und Umweltkatastrophen auslösen.

Ich lehnte mich einmal gefährlich nach rechts und links, doch ich erkannte keine Schneise der Verwüstung, so wie die Clann sie nach ihrem letzten Überfall auf den Palast hinterlassen hatten.

Bis heute war nicht geklärt, wer diese gefährlichen Wesen in die Anderswelt gelassen hatte. Normalerweise hatten sie keine Möglichkeit, die Tore zu überwinden, die beide Welten verbanden, da diese auf der Erde hoch oben in der Luft lagen. Wie erwartet hatte dieser Überfall für Zwietracht zwischen den beiden Königreichen gesorgt. Ich war nach wie vor der Meinung, dass dies die heimliche Absicht gewesen war. Viele Sommerländer vermuteten, dass es nur darum gegangen war, möglichst viele ihrer Leute zu töten. Doch ich glaubte daran, dass die Absichten viel raffinierter waren. Die Reiche versuchten, sich einander anzunähern. Jetzt sollte es sogar eine Hochzeit geben. Die erste überhaupt, mit mir als einer Adligen aus Sommerland und Keon als Kronprinz des Totenreichs. Aber nach diesem Zwischenfall, der Dutzende Tote gefordert hatte, stand der wacklige Frieden auf noch dünneren Beinen als zuvor.

Schon wieder schallten die Fanfaren laut in den Himmel.

„Schnell, Hazel“, rief ich. „Wir müssen nachsehen, was dort los ist.“

Ich konnte keine Bedrohung ausmachen. Was war passiert? Ich näherte mich dem Palast, der auf einem riesigen Felsen, durchsichtig wie Bergkristall, aus dem großen See aufragte. Das ganze Gemäuer war aus einem Stück erbaut. Druiden mit der seltenen Gabe der Windsinger, so wie ich sie besaß, hatten den Palast aus dem Stein geformt. Auch dadurch war er uneinnehmbarer als jede Festung.

In schmalen Booten entdeckte ich auffallend viele Personen in beigefarbenen und dunkelgrünen Gewändern. Sie kennzeichneten die Druiden-Gesellen und die Novizen.

Ich runzelte die Stirn. Was ging hier vor? Waren die Fanfaren ein Hinweis auf ein Treffen der Druiden? Ich kam nicht mehr mit, und neugierig beugte ich mich vor, als Hazel bereits tiefer flog.

Im Burghof rannten die Wachen durcheinander. Aus der Luft wirken sie wie aufgeschreckte Ameisen. Ein paar von ihnen sahen wohl unseren Schatten, denn sie richteten ihre Bögen in die Luft, ließen sie aber schnell wieder sinken, als sie uns erkannten.

Hazel landete weich im Innenhof. Ich sprang von ihrem Rücken und hielt eine Wache an. „Was ist passiert? Droht eine Gefahr?“

Ich war viel zu sehr Jägerin, um nicht sofort darüber nachzudenken, wie ich diese Burg verteidigen konnte.

„Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen.“ Die Wache hastete mit gesenktem Kopf davon.

Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Wären es die Clann, hätte ich schon jetzt die Schreie der Sterbenden Sidhé gehört. Doch trotz der Unruhe auf dem Innenhof war es ohne die Fanfaren geradezu gespenstisch still.

Hazel blieb an meiner Seite, als wir durch die große Doppelflügeltür in das Innere des Palastes gingen. Ich wollte zu den privaten Räumen der Königsfamilie, denn hier würde ich gewiss jemanden antreffen, der mir mehr erzählte.

Es waren Elvys Räume, aus denen ich lautes Weinen hörte. Sofort krampfte sich mein Herz vor Mitgefühl zusammen. Elvy war hier am Königshof zu meiner Freundin geworden. Wir waren ungefähr im selben Alter und hatten uns sofort gut verstanden. Außerdem war sie die Verlobte von Kronprinz Tylenn, dem älteren Bruder von Jonus. Irgendwann würde Elvy an dessen Seite über Sommerland herrschen. Und ich war mir sicher, sie würde eine wunderbare Königin sein.

Ihre Tür war nur angelehnt, trotzdem klopfte ich und schob sie vorsichtig auf. Elvy lag auf dem Bett, ihr hüftlanges, weißblondes Haar um sie ausgebreitet. Ihre Adoptivschwester Monya war bei ihr und tröstete sie.

„Was ist geschehen?“, fragte ich und bemühte mich trotz meiner Sorge um einen leisen Tonfall. Da Elvy mich nicht wahrzunehmen schien, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Monya. Wie immer, wenn sie mich sah, verdunkelte sich ihre Miene.

„Was kümmert es …“

Elvy drückte sich von der Matratze hoch und drehte sich zu mir um. Nicht mal Tränen konnten ihr wunderschönes Gesicht entstellen.

„Remy!“ Die Art, wie sie erstickt meinen Namen hervorstieß, ließ mein Herz verkrampfen.

Ich eilte zu ihrem Bett und ließ mich an ihrer freien Seite nieder. Sehr zu Monyas Missfallen schlang sie ihre Arme um mich.

„Was ist denn los?“ Ich streichelte beruhigend ihren Rücken. „Sag es mir. So schlimm wird es nicht sein.“

Elvy wich in dem Moment zurück, als der laute Klang der Fanfaren durch den Stein zu dringen schien. Ihre Augen waren rot geädert und riesengroß. Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. „Der Kronprinz liegt im Sterben.“

Blick ins Buch
Das Buchcover zeigt einen dunklen Hintergrund, der mit grünen und roten Pflanzenmotiven akzentuiert ist. In der Mitte befindet sich ein aufrechter, golden gestalteter Schwert mit einer detaillierten Klinge, das von leuchtend roten und orangefarbenen Blumen umgeben ist. Der Titel „CRIMSON SKY“ ist in großen, goldenen Lettern am oberen Rand platziert, während der Untertitel „Die Seelenjägerin“ in kleinerer, weißer Schrift darunter steht. Oben links ist der Name der Autorin „Kira Licht“ abgebildet. Die Gesamtatmosphäre vermittelt eine mystische und spannende Stimmung.Das Buchcover zeigt ein zentrales, goldfarbenes Schwert, das zwischen stilisierten, grünen Pflanzen und roten Blumen platziert ist. Der Titel „CRIMSON SKY“ ist groß und in auffälliger, goldener Schrift gestaltet, wobei der Schriftzug durch Schatten verstärkt wird. Darunter steht der Untertitel „DIE SEELENJÄGERIN“ in kleinerer, eleganter Schrift. Der Hintergrund ist dunkel und vermittelt eine mystische Atmosphäre, während der Verlag „PIPER“ in roter Schrift am rechten unteren Rand abgebildet ist.
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Roman

Der Wilden Jagd gehört der Nachthimmel

*** Mit limitiertem Farbschnitt in der 1. Auflage! ***

Triathletin Remy droht an ihrem abrupten Karriereende zu zerbrechen. Als sie in der Halloweennacht von zwei Reitern der Wilden Jagd in die Anderswelt entführt wird, ändert sich aber plötzlich alles. Sie soll Teil der Wilden Jagd werden und muss sich in einer gefährlichen Prüfung beweisen. Ihre Aufgabe: zu Ungeheuern gewordene menschliche Seelen auf der Erde jagen. Dabei lernt sie den attraktiven Kronprinzen Keon kennen. Remy ist die Einzige, die sich traut, ihm zu widersprechen. Dabei riskiert sie allerdings nicht nur ihren Kopf, sondern auch ihr Herz ...

Eine spicy Enemies to Lovers-Geschichte zwischen unserer Welt und der geheimnisvollen Welt der Fae von Bestseller-Autorin Kira Licht! Für alle Fans von Sarah J. Maas und Carina Schnell.

Band 1: Crimson Sky − Die Seelenjägerin
Band 2: Crimson Sky − Der Schattenprinz

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Die wichtigsten Fragen rund um Bücher mit Farbschnitt

Was ist ein Farbschnitt?

Ein Farbschnitt bezeichnet die farblich gestalteten Kanten der Buchseiten. Dies kann einfarbig oder mit Mustern und Verzierungen gestaltet sein, auf einer Seite oder umlaufend.

Wie wird ein Farbschnitt hergestellt?

Der Farbschnitt wird in der Regel durch eine digitale Druck- oder Spritztechnik auf die Seitenkanten aufgebracht, oft bevor das Buch gebunden wird.

Sind Bücher mit Farbschnitt teurer?

Nein, bei Piper und everlove ist die Ausstattung mit Farbschnitt in der Regel auf die erste Auflage eines Buches begrenzt und kostet genauso viel wie die „reguläre“ Ausgabe.

Sind alle Bücher mit Farbschnitt limitiert?

Nicht alle, aber viele Bücher mit Farbschnitt werden in limitierten Auflagen produziert, was sie zu Sammlerstücken macht.

Warum gibt es die Bücher mit Farbschnitt nur in der ersten Auflage?

Das Einfärben der Buchschnitte ist ein zusätzlicher Produktionsschritt und nur ab einer gewissen Menge möglich. Auch sind die Ressourcen oder die Zeit für die Produktion einer speziellen Ausgabe begrenzt. Der Farbschnitt ist daher oft nur für die erste Auflage machbar.

Wenn ich das Buch im Piper-Webshop bestelle, erhalte ich dann auf jeden Fall die Sonderausgabe mit Farbschnitt?

Bei Bestellungen vor dem Erscheinungstermin erhältst du in der Regel die exklusive Sonderausgabe mit Farbschnitt. Sollte es in seltenen Fällen vorkommen, dass diese Ausgabe noch angezeigt wird, aber bereits vergriffen ist, bitten wir um euer Verständnis. Wir bemühen uns stets, solche Situationen zu vermeiden und euch den bestmöglichen Service zu bieten.

Wie pflege ich Bücher mit Farbschnitt richtig?

Bewahre  die Bücher an einem trockenen, kühlen Ort auf und vermeide direkte Sonneneinstrahlung, um die Farben vor dem Ausbleichen zu schützen. Benutze Buchstützen, um Verformungen zu vermeiden. Damit du besonders lange Freude an den Buchschnitten hast, wasche deine Hände, bevor du das Buch berührst, um Öle und Schmutz zu entfernen. Diese können die Farben und das Papier beschädigen. Am besten das Buch vorsichtig an den Rändern anfassen und vermeide es, die farbigen Kanten direkt zu berühren.

Wo kann ich Bücher mit Farbschnitt kaufen?

Die Bücher gibt es in gut sortierten Buchhandlungen, bei Online-Buchhändlern oder direkt beim Verlag. Achte auf spezielle Editionen und limitierte Auflagen.

Sind Bücher mit Farbschnitt wertvoll?

In der Regel behalten Bücher mit Farbschnitt ihren Wert oder gewinnen sogar an Wert, besonders wenn sie gut gepflegt werden und limitiert sind.

Kann ich Farbschnitte selbst gestalten?

Es ist möglich, erfordert aber Fachwissen und spezielle Materialien. Gemeinsam mit unseren Buchhandels-Partnern bieten wir immer wieder Events an, bei denen unsere Bücher unter fachlicher Anleitung individuell gestaltet werden können. Abonniere am besten unseren Romance-Newsletter, um über anstehende Events informiert zu werden.

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Kommentare

1. Kill Switch mit Farbschnitt
Anja am 12.04.2025

Liebes Piper-Team
Ich habe alle Bücher der Devil‘s Night Reihe und liebe sie ❤️
Leider habe ich Kill Switch nicht mit Farbschnitt und das macht mich wirklich traurig. Diese Reihe hat mich nach Jahren wieder zum Lesen gebracht und daher hätte ich so gerne alle mit Farbschnitt, damit es ein einheitliches Bild ist und ich mich immer wieder daran erfreuen kann.
Ich suche überall, aber selbst gebraucht finde ich es nicht mehr.
Könnt ihr mir helfen? Gibt es bei euch die Möglichkeit noch eins mit Farbschnitt zu kaufen? Ich würde mich sooooo sehr freuen!
Liebe Grüße
Anja

2. Antwort an Anja
Piper Verlag am 24.04.2025

Leider haben auch wir keine Exemplare mehr von 'Kill Switch' mit Farbschnitt und können hier leider nicht weiterhelfen. Wir hoffen, dass Du doch noch irgendwo fündig wirst.
Herzliche Grüße, Dein Piper-Team

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