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Weltenbummler

Heike Praschel
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Eine Familie bereist dreißig Monate die Welt

„Mit viel Fingerspitzengefühl erzählt die Autorin von persönlichen Rückschlägen einer Reise mit offenem Ende und schafft damit die ideale Lektüre für alle mit Fernweh und noch größeren Träumen.“ - Condor Bordmagazin

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Weltenbummler — Inhalt

Mit Kleinkindern auf große Fahrt - einfach drauflos, mit offenem Ende. Unmöglich? Heike und Tom Praschel hatten den Mut. 2010 brechen sie mit Paula (1), Emma (3) und Sarah (16) und ihrem Husky auf - im leuchtend roten Mercedeslaster, Baujahr '65. Ihr Ziel: zunächst die Mongolei. Die Reise führt sie in die Türkei und den Iran über Usbekistan, Sibirien und das Altai-Gebirge und sogar weiter nach Kanada, in die USA bis nach Mexiko. Mit gesundem Humor erzählt Heike Praschel vom rollenden Zuhause, von Wildpferden, die ihren Kindern die Haustiere ersetzen, von Rückschlägen und dem großen Wagnis, das für die Familie zum Abenteuer ihres Lebens wurde.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 01.02.2016
272 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40581-2
Download Cover
€ 11,99 [D], € 11,99 [A]
Erschienen am 14.04.2014
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96687-0
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Leseprobe zu „Weltenbummler“

Prolog

Karatas, Provinz Adana, Türkei, Dezember 2010

Esme streicht ihre dunklen Haare zurück und drückt mir einen selbst gehäkelten Wollschal in die Hand.

Komsure“, sagt sie – Nachbarschaft –, und ich nicke gerührt. Dann steigt sie zu den fünf Männern, die während der letzten Wochen den Strand, unser Winterquartier, mit uns geteilt hatten, ins Auto und schlägt die Tür zu.

Der Motor springt an, rumpelnd zuckelt die verbeulte Karosserie über den unebenen Weg, und bevor das Gefährt hinter der letzten Kurve verschwindet, reiße ich noch einmal den Arm nach [...]

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Prolog

Karatas, Provinz Adana, Türkei, Dezember 2010

Esme streicht ihre dunklen Haare zurück und drückt mir einen selbst gehäkelten Wollschal in die Hand.

Komsure“, sagt sie – Nachbarschaft –, und ich nicke gerührt. Dann steigt sie zu den fünf Männern, die während der letzten Wochen den Strand, unser Winterquartier, mit uns geteilt hatten, ins Auto und schlägt die Tür zu.

Der Motor springt an, rumpelnd zuckelt die verbeulte Karosserie über den unebenen Weg, und bevor das Gefährt hinter der letzten Kurve verschwindet, reiße ich noch einmal den Arm nach oben.

„Bis in drei Wochen“, rufe ich halblaut. Dann wollen Esme und ihre Leute uns nämlich besuchen. Ich blicke zu den verlassenen Hütten hinüber.

Grau und leer stehen die kleinen Bretterverschläge vor der rauschenden Brandung, alte Fußabtreter verschwinden halb unter feuchtem Sand.

Der Kopf einer grau-weißen Hündin taucht auf. Zusammen mit ihren fünf Welpen schnüffelt sie zwischen den hölzernen Buden nach alten Fischresten, während das salzige Wasser um ihre Füße schwappt, und nach mehr als zwei Monaten haben wir den wenige Autostunden von der syrischen Grenze entfernten Strand ganz für uns alleine.

Der Wind rauscht durch die alten knorpeligen Bäume, die hinter unserem Lagerplatz aus dem Boden wuchern, vor uns leuchtet das Mittelmeer in einem geradezu unnatürlich strahlenden Grün.

Ich recke meinen Kopf in die warmen Strahlen der türkischen Sonne, und noch während ich die salzige Luft tief einatme, setze ich mich summend an den alten hölzernen Picknicktisch, den wir vom Strand ein kleines Stück bis zu unserem Laster getragen haben.

Es ist warm, zu warm für die Jahreszeit. Das T-Shirt klebt mir am Rücken, das Thermometer zeigt weit über zwanzig Grad, und Fred, unser vierjähriger Husky, liegt hechelnd im Schatten. Heute ist der 31. Dezember, Silvester. Seit zehn Monaten sind wir jetzt unterwegs und haben nach einer Asienreise und Tausenden von Kilometern quer durch Russland Anfang Dezember unser Winterlager in Karatas aufgeschlagen.

Nachdenklich streiche ich mir die dunkelblonden Locken hinter die Ohren und blicke auf das weiße Papier, das vor mir auf dem Tisch liegt. Dann zücke ich meinen alten Bleistift und beginne zu schreiben:


31. Dezember, Strandsäuberung

Die Fischer und Esme, knapp ein Dutzend Menschen, müssen den Strand verlassen, ein Bewohnen der alten Buden wird nicht länger geduldet, wenn Herbst und Winter zu Ende gehen. Wie jedes Jahr, so haben es uns die Fischer erzählt, will die Stadtverwaltung den Strand für die Touristen frei und sauber halten, sogar den riesigen Haufen Müll, der bis vor Kurzem Nase und Auge herausforderte, haben sie im Sand vergraben. Alles ist plötzlich so ruhig. Keine Boote mehr auf dem Wasser, kein Gehämmer an den baufälligen Hütten, keine allgegenwärtigen Stimmen … ein merkwürdiges Gefühl nach so langer Nachbarschaft. Die Einzigen, die bleiben, sind die Hunde, eine Mutter mit fünf Welpen und ein großer schwarzer Rüde, dem die Türken den Namen Barack Obama gegeben haben. Ich hoffe, wir können noch eine Zeit lang bleiben, denn hier fühle ich mich schon fast wie zu Hause …

Zu Hause … nachdenklich schweift mein Blick über den breiten Strand, der sich bis nach Karatas zieht, und leise schwingen die Gesänge der Muezzins über die sanften Hügel. Vor knapp einem Jahr hatte mein Zuhause noch ganz anders ausgesehen: hundert Quadratmeter Wohnfläche anstatt acht, fließend warmes Wasser und ein Badezimmer im Gegensatz zu einem baufälligen Klohäuschen ohne Dach, ein eingezäuntes Gemüsegärtchen statt eines kilometerlangen Strandes.

Von Weitem sehe ich meine drei Töchter über den Sand laufen, und die Welpen, die eben noch nach Futter gesucht haben, springen begeistert um ihre Füße … Einen besseren Tausch hätten wir wohl kaum machen können. Jetzt, fast ein ganzes Jahr später, bin ich mir dessen sicher.


Abschied von Deutschland, März 2O1O

Stein in der Oberpfalz oder: Wie alles begann

„Wir fahren in die Mongolei!“ Unser Entschluss stand fest, auch wenn die Leute immer wieder den Kopf schüttelten.

Ein alter Laster stand zur Abfahrt bereit in unserem Gemüsegarten, drückte seine Schnauze in den Rhabarber und das Heck in die Pfefferminze, der frisch ausgebaute Wohnkoffer duftete nach Holz und dem eingelassenen Öl, während die Kinder ihre letzten Kuscheltiere aus dem Haus trugen.

Feuerwehrrot leuchtete der Lack des Lasters, der an einigen Stellen abzuplatzen begann, darunter sah man Sanitäterweiß und Militärgrün. Das Gefährt hatte hundert PS, siebenundzwanzigtausend Kilometer und stolze siebenundvierzig Jahre auf dem Buckel, und hätte es ein vernarrter Schrottplatzbesitzer nicht gerettet, läge es jetzt wohl zu Einsatz-Übungszwecken zerflext in alle Einzelteile auf einem rostigen Haufen Altmetall.

Vor knapp einen Jahr hatten wir den Mercedes 710 tief im Osten Deutschlands entdeckt, verliebten uns auf Anhieb in seine runde Schnauze, und für sechstausend Euro nahmen wir ihn mit nach Hause und verwandelten den damals noch leeren Metallkasten in ein ausgebautes Wohnmobil.

Holz dominierte jetzt sein Inneres, das mit einer kleinen Sitzecke mit versenkbarem Tisch, einem Sofa, einer Küchenzeile samt Wasserkanister, Staukästen und abgerindeten Stämmen (an Regal und Schränkchen), verziert mit geschnitzten Sonnen, ausgestattet war. Auf dem selbst geschweißten Dachträger stapelten sich unsere acht Alukisten mit den nötigsten Kleidungsstücken, Spielzeug und Ersatzteilen, dazu ein Solarpaneel für den Strom im Wohnkoffer und die kleine Kinderbadewanne.

Am Heck hatten wir sogar eine ausklappbare, etwa zwei Meter lange Veranda angebracht, ein Metallgestell mit Holzbohlen, hinter dem sich während der Fahrt zusätzlicher Stauraum befand.

„Mit dem olden Koarn kumts dets grod amal die näxtn finf kilometa, obar niad waida!“ Ein alter Bauer stand kopfschüttelnd vor unserem Staketenzaun und beäugte misstrauisch den plattgewalzten Gemüsegarten.

„Was wollts dets denn ibahapt in da Mongolai? Is des daham net schena?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Und anu mit de Kinda, des is doch vül zu gfärlich, mai, was da alls passiern ko!“ Vorsichtig legte er seine raue Hand auf einen der Zaunpfosten und kratzte sich nachdenklich über den grauen Stoppelbart.

„Jo mai, als ich no jinga war, da war i scho mitgfarn, des hätt ma scho gfalln, aba etzad is a scho zspat … beim Russn, ja da wor ich a scho, damals im Kriag …“

Gedankenverloren schüttelte er den Kopf und griff dankbar nach der Flasche Bier, die ihm Tom über den Zaun reichte.

„Mai, des worn nu Zeitn!“

Langsam schritt ich am 1. März ein letztes Mal durch unser Haus. Merkwürdig hohl klangen meine Schritte in den leeren Räumen, und die gelbe Farbe leuchtete hell von den kahlen Wänden. Noch roch ich das Kümmelöl für Paulas Bauch in ihrem Zimmer, die Räucherstäbchen und das frisch geputzte Holz, doch schon bald würden, wie die Möbel, auch die altvertrauten Gerüche verschwunden sein und sich neue ausbreiten. Morgen schon würde jemand anderes hier wohnen!

Ich holte tief Luft und bückte mich nach einem kleinen Zettel, der auf der Fensterbank liegen geblieben war, eine Seite aus einem alten Urlaubsprospekt. „Ferien mit Pferd und Wa-“ war gerade noch zu entziffern, und ich erinnerte mich.

Ich sah den selbst gebauten Planwagen vor mir, das hohe Dach, das mir vorkam wie einer dieser holländischen Hüte aus der Käsewerbung, hörte die klappernden Hufe der trabenden Pferde. Vor allem aber waren mir die vor Begeisterung leuchtenden Augen in Erinnerung geblieben, die Augen des jungen belgischen Pärchens, das schon seit neun Monaten mit Pferd und Wagen durch Deutschland unterwegs war und von der Hilfsbereitschaft der Bauern schwärmte, von Nächten am Lagerfeuer und den Geschichten aus alten Zeiten. Etwas benommen, mit der neugeborenen Emma auf dem Arm, hatten wir am Straßenrand gestanden und dem begeisterten Klang der Stimmen gelauscht, bis ein kleines Fünkchen davon in unsere Köpfe übergesprungen war.

Damals hatte alles begonnen, damals schon hatten wir den Entschluss gefasst, in die Welt zu reisen, und uns ein feierliches Versprechen gegeben:

In drei Jahren brechen wir auf.

Noch am selben Tag hatte ich eine Karte an die Wand genagelt, auf der wir die weiteste Fahrstrecke suchten, und spontan pinnten wir eine rote Nadel unter den dick gedruckten Namen eines Landes – die Mongolei …

Unser Traum von damals war jedoch zunächst schnell in Vergessenheit geraten. Tom hatte eine Zusatzausbildung zum Naturlehrer begonnen, ich war wieder schwanger geworden, und als unsere dritte Tochter Paula zur Welt kam, hatten wir die Belgier schon völlig vergessen. Nur der Pin blieb, als kleiner roter Punkt unter dem breit geschriebenen Namen der Mongolei, wie ein getrocknetes Samenkorn, das sich in unsere Gedanken gepflanzt hatte und nur eines Tropfen Wassers bedurfte, um zu wachsen.

Zwei Jahre waren vergangen, als plötzlich ein kleiner Trieb aus der harten Schale brach.

Unser Leben lag vor uns wie ein aufgeschlagenes Buch. Wir wussten, was wir erreicht hatten, und wir wussten, was uns erwartete. Und uns war klar, dass wir uns nicht vorstellen konnten, genau so und an diesem Ort unser restliches Leben oder auch nur die nächsten Jahre zu verbringen. Eine erneute Unruhe ergriff von uns Besitz.

Unsere Augen verweilten auf dem kleinen roten Punkt, suchten Halt an dem darübergeschriebenen Namen, und eine neue Idee wuchs in unseren Gedanken. Unsere Kinder sollten etwas anderes kennenlernen als den normalen Schulalltag und das Oberpfälzer Dörfchen. Sie sollten durch Erfahrungen lernen, sollten ihre Sinne gebrauchen und die Umwelt, Geschichte, fremde Kulturen und Sprachen selbst erfahren und hautnah erleben.

Der rote Pin wurde wieder zum Ziel, und wir stürzten uns in die Vorbereitungen. Innerhalb weniger Monate kauften wir uns den Laster, legten die Route in die Mongolei fest, beantragten Visa, kündigten Sparverträge und vermieteten unser Haus. Tom, der als Heilerzieher gearbeitet hatte, beantragte Elternzeit und nahm danach unbezahlten Urlaub. Ich hatte, bevor die Kinder kamen, zuletzt als Kinderpflegerin gearbeitet. Mit knapp dreißigtausend Euro Erspartem im Gepäck, unseren zwei kleinen Töchtern Emma (zu dem Zeitpunkt dreieinhalb) und Paula (ein Jahr und acht Monate) und unserem Hund Fred wollten wir uns auf den Weg nach Südosten machen. Unseren einzigen festen Termin hatten wir am 1. August, 10.20 Uhr in Ölgii in der Mongolei. Dort, knappe vierzehntausend Kilometer entfernt und fünf Monate später, würden wir Sarah, unsere Große, nach ihrem Schulabschluss wieder in die Arme schließen.

Nachdenklich knüllte ich die alte Seite des Urlaubsprospekts in meiner Hand zu einem kleinen Ball, lief ein letztes Mal über die hölzerne Treppe, bevor ich hinter mir die Tür ins Schloss zog. Drei Jahre! Ich runzelte die Stirn und rechnete. Morgen wäre unser selbst gesetztes Ultimatum abgelaufen, wir waren genau in unserem Zeitplan.

Die ersten Meter

Mit in die Seiten gestemmten Fäusten stand Emma vor dem bepackten Laster und schüttelte unnachgiebig den Kopf.

„Das Laufrad muss aber mit!“ Sie verstand nicht, warum wir all die Sachen in den großen LKW packten, sie schaute auf das leer geräumte Haus und wirkte plötzlich traurig. Ihr neues Hochbett, ihre Rutsche und ihr Pferd auf Rädern, all das war verliehen und aus ihrem Zimmer getragen, und ich konnte zusehen, wie sie wütend wurde, stinkewütend. Jetzt auch noch das Laufrad! Stampfend lief sie in den Schuppen und griff nach dem roten Lenker.

„Wenn das Laufrad nicht mitdarf, dann fahr ich auch nicht.“ Und das war ihr letztes Wort. Wild schüttelte sie die gelockten Haare und brüllte wie ein siegreicher Löwe, als ich nach dem Laufrad griff und es auf den Dachträger hievte.

„Wir fahren in die Mongolei“, hatten wir ihr immer wieder erklärt, doch Emma schien die Worte kaum zu hören, kniff die Lippen zusammen und beobachtete ihre kleine Schwester, die in der Nähe auf dem Boden saß und an einem trockenem Zwieback lutschte.

Noch einmal lief sie durch den Garten, grub ihre kleine Hand in einen letzten Schneeberg und legte ihr Lieblingsschneckenhaus auf einen großen Stein. Ihrer Meinung nach konnte all das doch nicht allzu lange dauern.

„Du musst aufpassen, wir kommen bald wieder!“, ließ sie das Schneckenhaus wissen. Dann griff sie nach meiner Hand und kletterte über die hohen Stufen in den engen Laster. Der Motor dröhnte, fast taten einem die Ohren weh, und erschrocken krallte sie ihre kleinen Finger in den Kindersitz. Paula saß auf meinem Schoß und nuckelte an ihrem Schnuller, während Emma ihre Stirn in Falten legte und prompt die unumgängliche Frage stellte: „Wann sind wir denn da?“

Ich strich ihr über die widerspenstigen Locken und blickte durch die schmale Heckscheibe nach draußen, sah unser Häuschen kleiner und kleiner werden. Ein paar vermummte Walker, die in einiger Entfernung über den verschlammten Boden stapften, hielten kurz inne, um zu winken, inzwischen waren wir bekannt wie bunte Hunde. Wir waren die, die in die Mongolei fuhren, oder zumindest die, die da hinfahren wollten. Denn ob wir jemals ankommen würden, stand freilich in den Sternen.

Noch nie hatten wir die europäischen Grenzen überschritten, hatten keine Ahnung von Fernreisen, hatten den Laster gerade mal einige Hundert Kilometer gefahren. Was, wenn etwas schiefging? Was, wenn die Kinder krank wurden? Und was, wenn uns alles zu viel würde? Wie würden wir ohne Toilette, fließend warmes Wasser und Bad zurechtkommen, wie ohne eine uns verständliche Sprache?

Wir hatten eine Entscheidung getroffen. Und das Haus war vermietet, für zwei Jahre. Ich schloss die Augen und holte tief Luft.


(...)


Etappe 2: Iran,
März und April 2O1O

Grenzgängig … eine Nacht im Niemandsland

Ich saß im Laster und schwitzte. Die Sonne, auf die ich bisher so sehnsüchtig gewartete hatte, knallte unbarmherzig auf unser schlecht isoliertes Blechdach, und schon nach zwanzig Minuten Wartezeit zeigte das Thermometer achtundzwanzig Grad – immerhin dank der Isolierung nicht mehr.

Schweiß rann mir über die Stirn, das breite Tuch, das ich über dem Haarband um meinen Kopf gewickelt hatte, schien mein Hirn zum Kochen zu bringen, die langärmelige Tunika und die dunkle Hose waren durchgeschwitzt und nass.

Warum nur musste es gerade heute so heiß werden?

Seit eineinhalb Stunden standen wir nun an der iranischen Grenze, seit zwanzig Minuten in der prallen Sonne, und schon jetzt war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich die Bürde der Verschleierung ganze vier Wochen auf mich nehmen wollte. Kopftuch, Socken, lange Hosen und T-Shirts, die bis über den Hintern reichen, und das bei dreißig Grad im Schatten? Wie hielten das all die Frauen aus? Zweifelnd sah ich aus dem Fenster und betrachtete die vielen Menschen, die laut fuchtelnd und schreiend unseren Laster umringten. Aufdringliche Männer klopften an die Scheiben und boten ihre Schleuser- oder Geldwechslerdienste an, Tankkarten wechselten die Besitzer, und Tumanscheine verschwanden in ausgebeulten Taschen. Eine Gruppe verschleierter Frauen hatte sich in den Schatten gedrängt. Eines der dunklen Augenpaare verweilte auf meinem Gesicht, hielt meinen Blick gefangen, bis ich ihm all meine Aufmerksamkeit schenkte. Der Schleier rutschte beiseite, auf dem vollen Mund zeigte sich ein strahlendes Lächeln, und die kleinen Finger der zierlichen Frau winkten durch die staubige Luft. Dankbar grinste ich zurück, strich mir eine feuchte Strähne zurück unter das schwarze Tuch.

Tom kam auf den Laster zugestampft, die Pässe in den Händen drängte er sich durch die wogende Menge, zwei schwer bewaffnete iranische Grenzbeamten hatten sich an seine Fersen geheftet. Die Tür ging auf, und Fred, der unter dem Tisch geschlafen hatte, spitzte interessiert die Ohren.

Ich hörte die schweren Schritte auf der Leiter, das metallische Klirren der Waffen, dann schob sich der erste dunkle Stiefel durch den Eingang. Mit emotionslosem Gesicht klopfte der Zöllner mit der Faust suchend an die hölzerne Verkleidung unserer Decke.

Salam aleikum.“ Ich versuchte, freundlich zu grüßen, doch der Mann beachtete mich gar nicht, forsch öffnete er den Geschirrschrank, wühlte zwischen den Tassen der Kinder, als Fred sich von seiner Decke erhob. Langsam und geduckt schob sich sein schwarz-weißer Körper in den schmalen Gang, und ein leises Grollen drang aus seiner breiten Brust.

Erschrocken fuhr der Mann herum, während ich Fred am Halsband packte, und ohne uns aus den Augen zu lassen, stolperte er in Richtung Ausgang. Mit einem dumpfen Schlag knallte sein Kopf gegen die metallene Schiene der niedrigen Tür, die Dienstmütze rutschte zu Boden und mit einem gepressten „Allah“ auf den Lippen polterte er über die Stufen zurück auf den heißen Teer.

Ein grinsendes Gesicht erschien an der Tür.

„Na, der hat’s aber eilig gehabt!“ Lobend tätschelte Tom Freds Kopf, der sich schwanzwedelnd vor die Tür gestellt hatte.

„Jetzt fehlt nur noch die Tankkarte, dann sind wir fertig!“

Langsam rollten wir durch die Menschentrauben, bis wir zu unserer letzten Anlaufstelle kamen, vor der schon eine Traube drängelnder Männer darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Schubsend und schreiend quetschten sie sich über eine breite Treppe in das schmächtige Gebäude, das schon jetzt aus allen Nähten zu platzen drohte. Ein kleines hutzeliges Männchen hatte sich etwas abseits postiert, vor sich eine Thermoskanne und ein Glas voll Zucker, und verkaufte dampfend heißen Schwarztee.

Die Nachmittagssonne brannte, beständig wurde Staub von den scharrenden Füßen aufgewirbelt, es wurde geschimpft und diskutiert. Stöhnend kämpften wir uns durch die wogende Menge. Zwei Stunden dauerte unser Weg zum zuständigen Beamten, als wir uns endlich durch die dünne Glastür drängten, waren auch unsere Nerven kurz davor, zu glühen.

Die Pässe in den Händen musterte er uns abschätzig, und ich hätte ihn am liebsten angebrüllt, er solle sich endlich beeilen, doch ganz im Gegenteil zu all den wartenden Männern schien er in Zeit zu schwimmen. Immer wieder blätterte er durch die schmalen roten Heftchen, studierte ein Visum nach dem anderen und stellte dann in einem leicht näselnden Tonfall fest: „Ihr wollt nach Pakistan, tausend Dollar!“

Fassungslos blieb mir der Mund offen stehen, während die jammernden Kinder an meiner Hose nestelten.

„Tausend Dollar?“ Tom starrte den Beamten an und tippte auf die Pässe.

„Da müssen Sie etwas verwechselt haben. Hier …“ Er deutete auf das Visum für Turkmenistan:

„Wir wollen nach Turkmenistan!“

„Tausend Dollar!“

„Ich zahle keine tausend Dollar.“

„Dann gehen Sie zurück nach Deutschland!“ Die Genugtuung spiegelte sich in dem blasierten Gesicht. Tom griff wutschnaubend nach unseren Papieren, zornesrot stürmte er aus dem Büro. Irritiert folgte ich ihm, zog die Glastür, die wir uns in stundenlanger Arbeit so schwer erkämpft hatten, wieder hinter mir ins Schloss und drängelte mich durch einen Pulk Männer.

„Was ist denn los?“ Emma stolperte erschrocken hinter mir durch die vielen Menschen, Paula saß jammernd auf meiner Hüfte.

„Der Mann wollte zu viel Geld.“

„Müssen wir jetzt wieder nach Hause fahren?“ Sie starrte mich mit offenem Mund an

„Nein, ganz bestimmt nicht!“ Ich ließ mich neben Tom, der draußen auf uns wartete, auf ein kleines Mäuerchen fallen.

Eine rote Ader pulsierte an seiner Schläfe, die Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

„Und jetzt?“ Fragend sah ich ihn an, während die Mädchen auf einer Treppe herumturnten.

„Abwarten – irgendwann ist Schichtwechsel!“

Lange saßen wir auf den kühlen Stufen, schlürften Tee und beobachteten die Menschen, dann verließ uns der Beamte und auch die Sonne, alle Türen wurden verrammelt, nur wir blieben zurück. Zurück im aufflammenden Scheinwerferlicht, zurück in der Einsamkeit des schmalen Streifens ohne Zugehörigkeit, allein im Niemandsland zwischen der Türkei und dem Iran. Rot flatterte der Sichelmond neben dem Stern, und mit stechendem Blick beobachtete der bärtige Ayatollah Khomeini, wie ich den Inhalt des kleinen Töpfchens hinter einen Busch kippte. Spitzer Stacheldraht, an dem schwer bewaffnete Wachleute patrouillierten, Verbotsschilder und helle Scheinwerfer flankierten meinen Weg zurück zum Laster, müde und enttäuscht kletterte ich ins Innere und kroch unter die Decken. Noch einmal hörte ich die Muezzins mit knarzenden Stimmen durch die Lautsprecher singen, dann schloss ich die Augen.

Wir waren die Ersten am nächsten Morgen. Lang vor dem großen Ansturm standen wir erneut hinter der Glaswand und blickten in die Augen des dortigen Beamten, und wir hatten Glück. Der Neue wirkte ausgeschlafen und zufrieden. Innerhalb kürzester Zeit hielten wir Tankkarte, Streckennachweis und unsere Pässe wieder in den Händen, zahlten zweihundertfünfzig Dollar und durften gehen.

Quietschend schwangen die Metalltore auseinander, und der Blick auf eine schmale Straße wurde frei. Ein leichter Wind wehte, blies durch den Staub, wirbelte eine alte Plastiktüte in einem graziösen Ballett über den abgefahrenen Teer. Der Dieselmotor tuckerte, und langsam rollten wir auf unbekanntes Terrain. Es war der 23. März.


Ein fürstlicher Empfang

Wir hatten an einer roten Ampel gehalten, und eine dunkle Hand klopfte fordernd an unser Fenster.

Dann sah ich eine hoch aufgetürmte Platte mit Kringeln an der Scheibe vorüberschweben, rundes Hefegebäck mit einem Loch in der Mitte und mit Sesam bestreut, in der Türkei Simit genannt. Mehrere junge Männer liefen über die Straßen und boten unter den haltenden Autos ihr Gebäck feil.

Toms Hand tauchte aus der Fahrertür auf, einen Tumanschein zwischen den Fingern, der strahlende Verkäufer reichte ihm vier Kringel, dann wechselte das Rot zu Grün, und mit einem Ruck rollte der Mercedes an.

Sand wehte über den ausgebleichten Belag der kleinen Straße und knirschte unter dem schwarzen Gummi, als wir schaukelnd durch die vielen Schlaglöcher rollten. Schon bald hatten wir die kleine Siedlung hinter uns gelassen und fuhren wieder durch eine einsame Steppe. Gleißend hell schien die Sonne auf den staubigen Boden, das zarte Grün, das hin und wieder in Büscheln aus der Trockenheit spross, wirkte wie aufgemalt, grünliche Punkte in verschiedensten Schattierungen von Gelb und Braun.

Ich hatte mein verschwitztes Kopftuch von den Haaren gezogen und mich neben die Kinder auf das sandige Polster fallen lassen, Staub wirbelte durch die Luft und tanzte in den hereinfallenden Sonnenstrahlen.

Auf dem Tisch stand eine kleine Schale mit aufgeschnittenen Äpfeln und Bananen, die mit einem leise schabenden Geräusch den Bewegungen des Lasters folgte, während die Mädchen mit Zahnstochern nach den kleinen Obststückchen fischten.

Gemeinsam spähten wir aus den schmutzigen Scheiben und spielten „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

Paula hatte ihren hölzernen Zahnstocher, auf den mehrere kleine Äpfel gespießt waren, wie einen Speer erhoben und klopfte damit sacht gegen das Fenster.

Wir hatten gehalten, und ich sah nach draußen. Blökende Schafe überquerten die Straße, gefolgt von einem kleinen Jungen auf einem ausgemergelten Esel, um uns herum standen eine Handvoll Lehmhäuser, vor denen bedruckte Stoffe im Wind wehten. Leises Gelächter schwebte durch den lauen Wind. Unbekannte Verkehrsschilder staksten am Straßenrand wie kleine Gemälde auf metallenem Grund. Verschnörkelte arabische Zeichen hatten die lateinischen Buchstaben abgelöst, geschwungene Linien, von kleinen Punkten durchsetzt, bildeten eine künstlerische Schriftmelodie, fremdländisch und wunderschön.

Das letzte Schaf sprang vom Teer, langsam fuhren wir weiter, und schon bald tauchten die ersten Häuser einer großen Stadt vor uns auf. Menschen liefen durcheinander, Autofahrer hupten, langsame Pferdewagen fädelten sich zwischen klapprigen Lastwagen in den Verkehr ein.

Ein Schild bog sich am Straßenrand, und laut las ich den westlich geschriebenen Namen: Täbris. Wir hatten die erste große Stadt nach der Grenze erreicht.

Tom bog in eine kleine Seitengasse, und schaukelnd hielt der Laster am Straßenrand. Ich schlang mir ein Tuch um den Kopf, während die Kinder in ihre Schuhe schlüpften, Tom öffnete die Koffertür von außen und hob Paula auf seinen Arm.

„Ganz in der Nähe muss die Touristeninformation sein, ich hab im Vorbeifahren ein Schild gesehen!“

Ich raffte meinen Rock zusammen, sprang nach draußen, dann stellte ich Emma auf den warmen Boden, während Tom meinte: „Da bekommen wir sicher einen guten Stadtplan oder eine Wegbeschreibung zum Campingplatz.“

Nickend drückte ich die Tür vor Freds enttäuschter Nase in das Schloss. Zum Glück wurde es nie zu heiß im Laster, zumal im Schatten, außerdem war Fred ein wichtiger Bewacher.

„Na, dann mal los!“

Wir zwängten uns in einen schmalen Durchgang zwischen den Häusern, und plötzlich waren wir umringt von einer wogenden Traube von Menschen.

Aneinandergereihte Stände versperrten uns den Weg, ausgebreitete Waren lagen aufgetürmt auf den Wegen, und laut diskutierende Stimmen verhandelten Preise. Arme fuchtelten durch die Luft, immer wieder strich eine Hand wie zufällig über Emmas blonde Locken, die sich überwältigt an meine Hand klammerte, Handys wurden gezückt, Fotos gemacht, lachende Gesichter tauchten aus der Masse auf, hielten vor uns kurz inne wie Standbilder, bevor sie wieder vom pulsierenden Gewirr aus Farben und Geräuschen verschluckt wurden.

Langsam drängten wir uns durch die Menschenmenge, schoben uns vorbei an duftenden Säcken voller Gewürze, bunt ausgebreitetem Obst und Gemüse und knusprigen Broten, bis wir endlich das gesuchte Schild entdeckten: „Tourist information“.

Wir zogen eine gläserne Tür auf und erklommen die schmale Treppe, bis wir in einen Raum gelangten, in dem uns eine junge Frau lächelnd begrüßte. Sie hatte ein helles Tuch um den Kopf gewickelt, das am Hals eng anlag, saß auf einem kleinen Stuhl hinter einem schmalen Schreibtisch und hatte mehrere Papierstapel vor sich liegen. In reinstem Englisch sagte sie: „You are welcome! Come in and sit down!“ Mit einer ausholenden Geste zeigte sie auf einige Stühle und begann interessiert zu fragen:

„Wo kommen Sie her?“

„Aus Deutschland.“

„Ein langer Weg!“ Sie lächelte, zog zwei bunt verpackte Schokoriegel aus einer Schublade und drückte sie den Mädchen in die Hände.

„Ich hoffe, es gefällt Ihnen in Täbris?“

„Wir sind gerade erst angekommen.“

In dem Moment hörten wir Stimmen im Nebenzimmer laut werden, und noch bevor wir unsere Bitte nach einem Stadtplan loswerden konnten, erhob sich unsere Gesprächspartnerin, bedeutete uns zu warten und verschwand durch eine hell lackierte Tür.

Gemurmel drang zu uns, dann öffnete sich die Tür erneut. Ihr strahlendes Gesicht tauchte auf, und mit einer wippenden Bewegung der Fingerspitzen winkte sie uns zu sich.

Der Raum war hell und modern eingerichtet, die ganze gegenüberliegende Wand bestand aus großen Panoramafenstern, die das Zimmer weitläufiger wirken ließen, als es in Wirklichkeit war. An einem großen ovalen Tisch in der Mitte saßen zwei Männer und eine Frau. Stühle wurden gerückt, mit einem freundlichen Nicken wurden wir zum Sitzen aufgefordert, und die Dame, die uns begrüßt hatte, brachte jedem von uns ein Glas Tee.

How do you like Iran?“

Die Frage schwebte durch den Raum, während ich versuchte, die Kleiderberge, die inzwischen verschwitzt an mir klebten, in die richtige Form zu bringen.

„Sehr gut!“ Tom verzog den Mund zu einem breiten Lächeln, und die Männer nickten zufrieden.

Wir waren direkt in ein Meeting geplatzt, uns gegenüber saßen der Leiter der Tourismusbehörde und der Bürgermeister persönlich, strahlend saubere Hemden steckten in gebügelten Hosen, und ich fühlte mich mehr als fehl am Platz.

Direkt neben mir hockte die schick gekleidete Frau in dunkler Hose, aufwendig besticktem Oberteil, das exakt über den Hintern reichte, und schmuckem kleinem Kopftuch, und ich wurde das Gefühl nicht los, es mit meiner Maskerade etwas übertrieben zu haben. Ganz in Schwarz, mit diesem pompösen Tuch über dem Kopf, musste ich wie eine Karikatur wirken. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und drehte das zierliche Glas, das vor mir auf dem Tisch stand, in meinen Händen.

Emma und Paula schlürften gerade lautstark, als Tom wieder zu sprechen ansetzte.

„Die netten Menschen und die Natur haben uns bisher sehr beeindruckt … nur die Grenze war eine Katastrophe!“

„Katastrophe?“ Beide Männer beugten sich neugierig ein Stückchen nach vorne.

„Wir mussten über vierundzwanzig Stunden warten, und das mit den Kindern, eine ganze Nacht haben wir im Niemandsland verbracht und konnten erst am nächsten Morgen einreisen, dann noch der hohe Streckenzoll … Für große Firmen, die ihre Lastwägen aus kommerziellen Gründen durch den Iran schicken, mag das gerechtfertigt sein, aber für Touristen?“

Der Bürgermeister runzelte leicht die Stirn und strich sich über sein glatt rasiertes Kinn.

„Es tut uns leid, dass Sie so viele Unannehmlichkeiten bei der Einreise in unser schönes Land hatten!“ Er lächelte entschuldigend und streckte seine Handflächen nach oben.

„Bürokratie, Sie müssen verstehen …!“

Gemeinsam mit meiner Nachbarin erhob er sich aus seinem Stuhl, überlegte kurz, bevor er wieder zu sprechen begann: „Gehen Sie gerne ins Thermalbad? Das Bad von Täbris ist weit bekannt, wenn Sie es sich ansehen möchten, lasse ich Ihnen gerne einige Freikarten geben.“

„Das wäre sehr nett!“ Tom erhob sich ebenfalls, und mit einem letzten knappen Nicken verschwand der Bürgermeister durch die Tür, durch die auch wir gekommen waren, die Dame und der zweite Mann folgten ihm, und wir waren für einen Moment uns selbst überlassen.

Ich rührte abwesend in meinem Tee, als der Leiter der Tourismusbehörde mit einem feierlichen Blick zurück ins Zimmer trat. Er zupfte an seinem hellen Hemd und räusperte sich, dann begann er zu säuseln und unterbreitete seine Worte mit ausholenden Gesten, als hätte er einen Bühnenauftritt:

„Natürlich hoffen wir, dass gerade Sie, als Touristen, unser Land in guter Erinnerung behalten, deshalb möchten wir Ihnen den Aufenthalt in unserer Stadt so angenehm wie möglich gestalten.“ Er überreichte uns die Eintrittskarten für das Thermalbad „Außerdem …“, er legte eine kurze Pause ein, „hat der Herr Bürgermeister mich soeben ermächtigt, Ihnen zusätzlich eine Tankfüllung Diesel zu besorgen, dazu erhalten sie anschließend die entsprechende Tankkarte, als kleine Entschädigung für den hohen Streckenzoll.“

Jetzt strahlte er über das ganze Gesicht, wirkte wie jemand, der soeben einem Werbeprospekt für den Iran entstiegen war. Die weißen Zähne blitzten, seine Arme waren weit geöffnet, wir bekamen jeder noch einen Stadtplan in die Hand gedrückt und stolperten, mit der nagelneuen Tankkarte gut ausgestattet, zurück in das Gewirr aus Menschen und Straßen. Unser Laster war schnell wiedergefunden, der auf dem Plan verzeichnete Campingplatz ebenso, eine halbe Stunde später parkten wir auf einer asphaltierten Fläche, auf der sich schon einige Zelte zwischen die Autos geschmuggelt hatten, den dünnen Boden ausgebreitet auf dem harten Teer.

Der umgebende Park war gefüllt mit Menschen; lachende Studenten, Familien mit Kindern und Spaziergänger flanierten über die Grünflächen, und um den nicht weit entfernten See flitzten die Elektroautos des männlichen Nachwuchses. Das Neujahrsfest – Nouruz –, das länger als eine Woche gefeiert wird, war in vollem Gange, der iranische Kalender zeigte das Jahr 1389, und während der zweiwöchigen Ferien zog es die Menschen in die Natur. Wir drehten eine Runde mit Fred, der wegen der Menschenmassen gestresst die Ohren anlegte, dann machten wir uns auf den Weg in das hochgelobte Thermalbad.

Autos und Busse drängten sich auf den engen Straßen, verschleierte Frauen huschten an uns vorbei, lange Mäntel, Kopftücher und die schweren Stoffe der Röcke bauschten sich im kühlen Wind, und plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: Was trägt eine iranische Frau zum Schwimmen? Ich wackelte durch den fahrenden Laster und zog den Beutel mit den Schwimmsachen aus unserem Duschfach über dem Backofen, wankte zurück zum Sofa und begann zu wühlen. Bald hatte ich gefunden, was ich suchte: Skeptisch hielt ich meinen Bikini vor mir in die Luft und runzelte die Stirn … das ging ja gar nicht!

Ein Rucken ging durch die Karosserie, Autos hupten, ein Schwung Menschen drängte sich an der metallenen Wand des Lasters vorbei, die spitzen Türme einer Moschee streckten sich vor uns in den Himmel.

Wir schwenkten nach rechts, rollten auf eine große Parkfläche, die sich um ein kantiges Gebäude erstreckte, ein voluminöser Bau, dessen Dach kleine Kuppeln und Türmchen schmückten, und parkten in einer abgelegenen Ecke.

Vielleicht gab es ja Badeanzüge zu kaufen, dachte ich, und griff nach der Tasche mit den Schwimmsachen der Kinder. Zu dritt sprangen wir nach draußen und sahen uns um. Ein großer Haupteingang mit gläsernen Türen lag in der Mitte des Gebäudes, doch bevor ich mich auf den Weg machen konnte, hielt mich Tom, der gerade um den Laster kam, zurück: „Ich glaube, der Eingang ist nur für die Männer!“ Ich runzelte die Stirn und blickte mich um, dann zog mich Tom am Ärmel. „Da drüben, siehst du?“

Er zeigte zum anderen Ende des Gebäudes, an dem mehrere verschleierte Gestalten durch eine schmale Tür huschten, und gespannt machte ich mich mit den Kindern auf den Weg dorthin.

Der Boden war schlammig und aufgeweicht, schon nach den ersten Schritten klebte die feuchte Erde in schmierigen Brocken an unseren Schuhen, wir quetschten uns durch die schmale Tür und zogen die als Sichtschutz fungierenden Vorhänge auseinander.

Vor uns lag so etwas wie ein Warteraum. Mehrere Stuhlreihen waren in der Mitte aufgestellt, rechts und links an den Wänden befanden sich Tische und Getränkeautomaten, an der Wand gegenüber der Tür erstreckte sich eine lange Theke. Ich sah Frauen ohne Kopftücher, lachende unverschleierte Gesichter, ein paar Mädchen lümmelten auf den Stühlen und knabberten Gebäck, andere standen an den Tischen und föhnten sich die Haare.

Die Frau an der Theke lächelte uns aufmunternd zu, ich kramte ein kleines Büchlein aus meiner Tasche und stapfte mit den Kindern durch den großen Raum, dabei gaben unsere Schuhe ein leicht schmatzendes Geräusch von sich, und einige Erdkrümel verteilten sich auf dem Boden. Aufgeschlagen legte ich das Buch auf das polierte Holz, zückte einige Geldscheine und zeigte auf ein in einen Badeanzug gekleidetes Strichmännchen. Immer noch lächelnd drehte sich die Frau um, griff in ein vollgestopftes Regal, zog einen Karton zwischen mehreren Ordnern hervor und stellte ihn vor mich auf die Theke.

Gespannt beugte ich mich vor.

Schwarze knisternde Synthetikstoffe türmten sich übereinander, ich griff in den Berg und zog wahllos an einem Zipfel, bis ich den dazugehörigen Badeanzug in den Händen hielt. Er war monströs … breite Träger über einem kaum ausgeschnittenen Brustteil mit halblangen Beinen, ein iranischer Körperverhüller für die modebewusste deutsche Frau. Als i-Tüpfelchen gab es noch eine besondere Zugabe … quer über Brust und Bauch stand in auffallendem Weiß groß und deutlich ein Schriftzug zu lesen: ADIDAS. Markenbewusstsein musste schließlich sein.

Sie zog die Geldscheine aus meiner Hand und zeigte auf einen neben der Theke gelegenen Durchgang, dahinter konnte ich hohe Schließfächer und hölzerne Bänke erkennen, das musste der Umkleideraum sein. Schnell legte ich die Freikarte auf den Tisch, während Emma und Paula schon zwischen die Bänke sprangen, und folgte den Kindern in den kleinen, fensterlosen Raum.

Der Boden war nass und rutschig, und aus dem angrenzenden Duschraum drangen feuchtwarme Dampfwolken. Ich stellte die Tasche auf die Bank vor einem leeren Schließfach. Eine schlammige Spur zog sich durch den Raum, und erst jetzt sah ich die Pantoffeln, die gestapelt am Eingang lagen. Peinlich berührt zog ich die verschmierten Schuhe von unseren Füßen und schob sie weit unter die hölzernen Bretter.

Während Emma und Paula an ihren Klamotten zerrten, trat eine Handvoll Frauen aus dem Duschraum, in Schlappen schlurften sie über den Boden, kamen näher und näher und blieben direkt vor uns stehen. Ich blickte in dunkle Augenpaare, die mich neugierig beobachteten. Fünf Frauen mit tropfnassen Haaren standen im Halbkreis um uns herum, nur eine Armlänge entfernt, und starrten uns an.

„Was wollen die?“, fragte Emma.

„Ich weiß nicht.“ Ich versuchte zu lachen. „Vielleicht wollen die sehen, was wir für schöne Badeanzüge haben?“

Salam!“ Freundlich nickte ich den Frauen zu.

Salam.“ Sie blieben stehen und schauten weiter, langsam fühlte ich mich etwas unwohl.

American?“ Eine der Frauen trat noch einen Schritt näher, ihr tief ausgeschnittener Badeanzug war weiß und wirkte durchsichtig, dunkel traten ihre Nippel durch den dünnen Stoff. Anscheinend waren auch freizügigere Modelle zugelassen.

Ich schüttelte den Kopf.

Alman“, sagte ich und wickelte mich umständlich in ein großes Handtuch.

Unberührt starrten sie weiter, Emma und Paula hatten sich fertig umgezogen auf die Bank gesetzt und warteten.

Ich sah mich um, doch außer Schließfächern und der hölzernen Sitzfläche war der Umkleideraum leer, eine Kabine gab es nicht, und beklommen zog ich meine Hose nach unten. Die fremden Augen beobachteten interessiert jede meiner Bewegungen.

Ich fummelte an meinem Pulli, am T-Shirt, öffnete den BH und schlüpfte unter dem Handtuch in den iranischen Badeanzug, dann ließ ich es nach unten rutschen und stand unverhüllt in schwarzes Acryl gekleidet vor den gespannt Wartenden. ADIDAS hüpfte auf meiner Brust, darunter wölbte sich ein leichtes Bäuchlein, und endlich wendeten sich die Frauen ab.

Laute Stimmen hallten nun durch den Umkleideraum, die nassen Badeanzüge fielen mit einem Klatschen zu Boden, und Gelächter wurde laut. Nackte Haut umgab mich, wallendes Haar wurde geschüttelt, und kleine Tröpfchen flogen wie Regen umher, die freundschaftliche Intimität, die unter den Frauen herrschte, berührte mich. BHs wurden gegenseitig eingehakt, Haare gekämmt, die ganze Umkleide hatte plötzlich die Atmosphäre eines Mädchenzimmers angenommen … Freundinnen unter sich, Scham schienen sie nicht zu kennen, und ich musste an meine lächerlichen Verrenkungen unter dem Handtuch denken.

„Mama, komm jetzt endlich!“ Ungeduldig warteten Emma und Paula vor dem dampfenden Duschraum und rissen mich aus meiner Beobachtung.

„Ja, ja, bin ja schon da!“ Und gemeinsam drängten wir uns durch die schmale Tür in den Dampf.

Heißes Wasser prasselte, es roch nach Seife und Shampoo, winzige Tropfen rannen über die kühlen Fliesen und auf den Boden. Wir duschten, bis unsere Haut rot und schrumpelig wurde, die hohen gekachelten Wände sorgten für einen angenehmen Sichtschutz. Nach dreißig Minuten waren wir sauber. Sauber, schrumpelig und rot gekocht, und nach einem letzten Sprung in das große Becken mit vierzig Grad heißem Wasser hatten wir genug. Schnell schlüpften wir wieder in unsere Klamotten und die schlammverkrusteten Schuhe und verließen das Schwimmbad in Richtung Laster. Tom wartete bereits auf uns. Er hatte seine nassen Haare unter die Kapuze seines Pullovers gesteckt, und seine tropfende Badehose baumelte an der kurzen Wäscheleine über unserem Ofen.

„Na, wie war’s bei den Frauen?“ Ich kramte die Badesachen aus meiner Tasche und verzog nachdenklich das Gesicht.

„Interessant!“

Emma und Paula hatten sich auf das Sofa gelegt, die roten Gesichter sahen müde und geschafft aus.

„Soso, interessant!“ Er grinste.

Ich warf die nassen Sachen zum Trocknen über die Leine. Mit langen Fingern zog Tom an meinem modischen Badeanzug mit Bein, hielt das monströse Teil vor sich und grinste noch breiter.

Heike Praschel

Über Heike Praschel

Biografie

Heike Praschel, 1975 geboren, gelernte Kinderpflegerin, lebt mit ihrem Mann Tom, der als Heilerzieher arbeitet, und ihren drei Töchtern in der Oberpfalz. 2014 erschien ihr Buch „Weltenbummler“, in dem sie von der dreißig Monate langen Weltumrundung der Familie berichtete. Von April 2016 bis Mai 2017...

Pressestimmen
Condor Bordmagazin

„Mit viel Fingerspitzengefühl erzählt die Autorin von persönlichen Rückschlägen einer Reise mit offenem Ende und schafft damit die ideale Lektüre für alle mit Fernweh und noch größeren Träumen.“

Kommentare zum Buch
Iran
Ivo am 03.08.2014

Wir waren vor 4 Jahren mit nem 89er Bully im Iran. Auch meine Freundin war anfangs über"bedeckt". Schönes und sicheres Land. Nette Leute. Schneebedeckte Berge in heißen Wüsten. 7000 km im Iran. An der Grenze nur eine Schwierigkeit: Wir hatten kein Carnet, das absichert, dass wir den Wagen wieder ausführen. An einem großen Übergang hätte man danach auch nicht gefragt. Tankkarte? Unbekannt. Nach dem Tanken übergab ich einen Schein und bekam unglaublich viel Geld zurück. Als ich später die Währung begriffen hatte, war klar, eine Tankfüllung kostete weniger als einen Euro. Die Taxis stellen den Motor nicht ab; der Anlasser könnte ja nicht funktionieren. Soll sich etwas geändert haben. In Schiraz haben wir mit lieber Hilfe eines Taxi-Fahrer sogar eine gebrauchte neue Kupplungsscheibe gefunden. Nie im Iran gewesen. Selbst Schuld.

Weltenbummler
Koch Thorsten am 18.06.2014

Ein Interessanter Reisebericht der sehr kurzweilig und persönlich geschrieben ist. Hier wird nicht Seitenlang Routen beschrieben, sondern gut zusammenhängend eine Geschichte über die Erfahrungen und Erlebnisse in Ländern berichtet. So wie das Leben während der Zeit. Oftmals mit einem leichten Augenzwinkern. Super :-))

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