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„Sie sind wohl übers Ufer getreten, Sie Rinnsal!“

Sven Michaelsen
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Wenn berühmte Künstler hassen, lieben und lästern

„Das Buch ist ein unterhaltsames Kompendium, das den Kulturbetrieb auf links zieht.“ - Allgemeine Zeitung

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„Sie sind wohl übers Ufer getreten, Sie Rinnsal!“ — Inhalt

Lästern und lieben wie die Meister

Wie man mit Stil kränkt und mit Poesie ein Herz verzaubert

Vornrum schöntun und hintenrum meucheln: Wenn die Stars unserer Kultur sich in den Haaren liegen, wird mit einer natterzüngigen Finesse verletzt, die ihresgleichen sucht. Der Journalist Sven Michaelsen hat aus hunderten seiner Interviews die Gipfelpunkte von Häme und Heuchelei, von Rachsucht und Mordlust zusammengetragen. Er zeigt, dass Ranküne unter Geistesgrößen verhüllte Wahrheiten und uneingestandene Erkenntnisse ans Licht hebt. Steht dann aber das Herz eines Kränkungskünstlers in Flammen, spürt der Leser erleichtert, dass es sie doch gibt: die grandiose Liebe, larger than life.

Zu Wort kommen neben vielen weiteren: David Hockney, Peter Sloterdijk, Vivienne Westwood, Jeff Koons, Woody Allen, Alexander Kluge, John Updike, Friedrich Dürrenmatt, Robbie Williams, Jonathan Meese, Roman Polanski, Helmut Newton, Frank Gehry, Ruth Klüger, Peter Handke, Daniel Kehlmann, George Tabori, Martin Mosebach, Margarete Mitscherlich, Steven Spielberg, Karl Lagerfeld, Robert Wilson, Werner Herzog, Marcel Reich-Ranicki, Julian Schnabel, Martin Walser, Plácido Domingo, Christian Thielemann, Armin Mueller-Stahl, Luc Bondy, Alexander McQueen, Hannelore Hoger, Ken Follett, Anjelica Huston, Walter Kempowski, Fritz J. Raddatz, Inge Feltrinelli, Peter Ustinov, Siegfried Unseld, Peter Zadek, Kirk Douglas, Robert Gernhardt, Wolf Wondratschek, Gert Voss, Tomi Ungerer und Donatella Versace

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 01.09.2021
224 Seiten, Hardcover
EAN 978-3-492-07070-6
Download Cover
€ 17,99 [D], € 17,99 [A]
Erschienen am 01.09.2021
224 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60022-4
Download Cover
„Das Buch ist ein unterhaltsames Kompendium, das den Kulturbetrieb auf links zieht.“
Allgemeine Zeitung
„Was das Buch auszeichnet, ist die Kunstfertigkeit mit der hier beleidigt wird. Wie genau Künstler den wunden Punkt eines anderen treffen, das macht dieses Buch vergnüglich und lesenswert.“
WDR 3 “Mosaik”
„Ein Buch, das dunkle Wolken vertreibt“
Kurier (A)

Leseprobe zu »„Sie sind wohl übers Ufer getreten, Sie Rinnsal!“«

Erstes Kapitel

in dem John Lennon nackt im Hotel Sacher in Wien auftritt, Bernd Eichinger mittags zwischen Pornokassetten aufwacht, Theodor W. Adorno eine akademische Dame ins Bett kriegen will, Charlotte Rampling im 500er-Mercedes gegen einen Laternenpfahl fährt, Peter Handke die Journalisten von Spiegel und Zeit als „Schattenficker mit Außenalsterblick“ verhöhnt und Siegfried Unseld von einem morphiumsüchtigen Schriftsteller gewürgt wird, bis sein Kopf blaurot anläuft.

 

Ulli Lommel, Schauspieler und Regisseur: Andy Warhol war unfähig, allein zu sein. [...]

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Erstes Kapitel

in dem John Lennon nackt im Hotel Sacher in Wien auftritt, Bernd Eichinger mittags zwischen Pornokassetten aufwacht, Theodor W. Adorno eine akademische Dame ins Bett kriegen will, Charlotte Rampling im 500er-Mercedes gegen einen Laternenpfahl fährt, Peter Handke die Journalisten von Spiegel und Zeit als „Schattenficker mit Außenalsterblick“ verhöhnt und Siegfried Unseld von einem morphiumsüchtigen Schriftsteller gewürgt wird, bis sein Kopf blaurot anläuft.

 

Ulli Lommel, Schauspieler und Regisseur: Andy Warhol war unfähig, allein zu sein. Wenn ich mit ihm essen ging, saßen meist Bianca Jagger, Peter Beard, Jackie Kennedy Onassis und Truman Capote mit am Tisch. Jackie trug stets Chanel und hatte eine piepsige Babystimme wie Marilyn Monroe, Truman war meist blau und trug fleckige Jeans zu gammligen Turnschuhen Größe neununddreißig. Ich liebte seinen gefeierten Roman Frühstück bei Tiffany, wusste aber, dass er wegen seines pompösen Lebensstils seit Jahren pleite war und sich bei Gönnern durchschnorrte. Als er in meiner New Yorker Wohnung auf der Couch übernachtet hatte, bat er statt eines Frühstücks um einen großen Cognac mit einem kleinen Schuss Kaffee. Ich fragte ihn, ob er eigentlich je bei Tiffany & Co. gewesen sei. Als er Nein sagte, ließen wir uns fünf Minuten später in einem Taxi zu Tiffany in die Fifth Avenue fahren. Im Laden war es still wie in einem Mausoleum. Keiner der Verkäufer erkannte ihn – und bei so was wurde Truman ungemütlich. Er legte sich wie ein Penner der Länge nach vor den Eingang und schloss demonstrativ die Augen. Als der Wachmann „What the fuck!“ schrie und ihn abtransportieren wollte, kreischte er mit seiner Eunuchenstimme wie am Spieß. Ich sagte zum Wachmann: „Sir, das ist der Schriftsteller Truman Capote, der Ihren Laden weltberühmt gemacht hat.“ Ich bekam zur Antwort: „Und wer sind Sie? Jack Nicholson?“ Eine halbe Stunde später saßen wir auf einem Polizeirevier und wurden wegen Unruhestiftung vernommen.

 

John Updike, Schriftsteller: Ein Celebrity zu sein ist ein schrecklicher Energieaufwand, denn man muss sich dauernd Mühe geben, für andere glücklich auszusehen. Sehen Sie sich an, was aus Truman Capote geworden ist. Er ist als Schriftsteller zerstört worden durch sein Interesse an der Seifenblase Ruhm. Es verdirbt das Schreiben, wenn man eine Person von öffentlicher Bedeutung sein will. Man kann sehen oder gesehen werden, und Ruhm kann die Augen fett machen. Ich wohne seit Jahren mit dem Rücken zur Welt in einem Haus mit Blick über die Massachussetts Bay vierzig Autominuten von Boston entfernt. Mein Land ist verrückt nach Celebritys, ohne dass gefragt wird, warum jemand ein Celebrity ist. Wenn man wie ich die Sehnsucht hat zu gefallen und durch Schmeicheleien verführbar ist, sollte man zum Prominentenzirkus Abstand wahren. Ich habe New York 1957 verlassen, weil es für meine Wesensart besser ist, unter Menschen zu leben, die keine Romane lesen. Es ist für mich eine Gnade, hier nicht der Schriftsteller zu sein, den alle kennen, denn Berühmtheit ist eine Maske, die sich ins Gesicht frisst. Irgendwann stellen Sie fest, die Maske ist zu Ihrem Gesicht geworden.

 

Plácido Domingo, Tenor: Als Montserrat Caballé in der Metropolitan Opera in New York sang, stand die Sopranistin Birgit Nilsson hinter der Bühne und lauschte. Ein Aufpasser wollte wissen, was sie da mache. Nilsson antwortete: „Ich bin hier, um Madame Aballé singen zu hören.“ „Madame Aballé? Sie meinen Madame Caballé?“ „Nein. Madame Aballé. Hören Sie doch hin: Sie hat ihr C verloren!“

 

Armin Mueller-Stahl, Schauspieler: Kurz vor seinem Tod traf ich Heiner Müller in Kalifornien. Dass er Speiseröhrenkrebs hatte, wusste ich nicht. Ich kannte ihn aus DDR-Zeiten sehr gut und hatte Hemmungen, zum Treffen hinzugehen, weil ich weiß, wie das ist mit Leuten, die berühmt geworden sind. Sie glauben, sie müssen ihre Muskeln spielen lassen: Ich bin besser, ich bin erfolgreicher, ich bin berühmter als du! Ich begegnete dann einem völlig anderen Heiner Müller. Jede Eitelkeit war weg. Das brachte mich auf den Gedanken, er sei möglicherweise sehr krank, und die Weisheit des am eigenen Grab Stehenden lasse ihn so konkurrenzlos aussehen, so freundlich, so liebenswert, so zart. Er hielt sich wirklich wie ein Kind an mich, und ich fragte: „Heiner, warum hast du dich mit der Stasi eingelassen?“ Er antwortete: „Armin, du weißt doch, die Revolution der Deutschen ist die Denunziation. Es gibt auch ein Menschenrecht auf Feigheit.“

 

Denis Scheck, Kritiker: Ich war mal bei der Harry-Potter-Erfinderin J. K. Rowling zu Hause. Sie war sehr freundlich und professionell. Mein Kameramann fragte sie, ob er ein signiertes Buch haben dürfe. Sie erwiderte: „Aber selbstverständlich!“ Beim Verlassen des Hauses tippte ihm eine von Rowling losgeschickte Hausangestellte auf die Schulter und sagte: „Das macht dann 24,95 Pfund!“ Da wurde mir klar, warum Rowling reicher ist als die Queen.

 

Hans Neuenfels, Theater- und Opernregisseur: Ich wurde drei Mal geohrfeigt. Der Mutter von Maria Schell sagte ich, sie schleppe ihren Text zu sehr und lege den Mantel der Begütigung darüber. Beim zehnten Mal rastete sie aus und knallte mir ein paar. Ich fand das ganz verständlich – ich fiel nur halt fünf Meter tief in den Orchestergraben und brach mir das Handgelenk. Die zweite Ohrfeige war so heftig, dass es nur so knallte. Sie kam von Götz Friedrich, dem wunderbaren Leiter der Deutschen Oper in Berlin. Als ich seine Disposition runtermachte, konnte er den arroganten Tonfall meiner Ausführungen nicht ertragen und schlug ganz schnell zu – er war Choleriker. Die dritte Ohrfeige war die von Bernhard Minetti. Die war ganz natürlich. Ich wollte ihm, ausgerechnet ihm!, einige Zeilen seines Textes streichen, und das fand er unverschämt von mir, wie einen Überfall. Er war da schon Ende achtzig. Er schaute mich kurz sprachlos an und schmierte mir dann eine. Die saß auch. Das war eine richtig gute Theaterohrfeige erster Klasse. Ich muss sagen, ich habe alle drei Ohrfeigen total verstanden.

 

Peter Ustinov, Schauspieler: Als ich bei Lady L Regie führte, sollten Paul Newman und Sophia Loren ein feuriges Liebespaar spielen. Man merkte jedoch in jeder Sekunde, Miss Loren hielt ihren Partner für einen vulgären Proll. Ich flehte sie an, sie möge sich äußerste Mühe geben, ihn anziehend zu finden. Am nächsten Morgen flötete sie: „Paul, womit klebst du dir jeden Morgen deinen Schnurrbart an?“ Er antwortete: „Mit meinem Sperma, Darling.“

Charles Laughton war fast immer beleidigt. War er gerade mal nicht beleidigt, bereitete er sich darauf vor, gleich wieder beleidigt zu sein. Als wir bei mir zu Hause eine Szene aus Spartacus probten, fragte mein vierjähriger Sohn: „Dad, wer ist diese Dame?“ Als ich ihn über seinen Irrtum aufklärte, entgegnete er: „Aber Dad, warum hat dieser Mann dann Brüste?“ Laughton war wieder mal sehr beleidigt.

Ich sollte mich ohrfeigen. Hätte ich den geringsten Verdacht gehabt, Humphrey Bogart würde eine Jahrhundert-Ikone werden, hätte ich ihn natürlich genauer beobachtet. Als wir 1954 Wir sind keine Engel drehten, war er für mich bloß jemand, mit dem man halt jeden Tag arbeitet. Mir fiel nur auf, er war beseelt vom Kult des Antihelden. Nichts an ihm war auch nur annähernd perfekt. Er war sehr klein, verachtete ganz offensichtlich Körperpflege und lispelte sehr stark. Nach jedem Wort fiel seine Zunge in einen See aus Spucke. Später trug er ein Toupet. Seine Make-up-Frau schrieb ein Buch über ihn mit dem Titel The Proud Toupet. Es wurde nie gedruckt.

Vor Bette Davis hatte ich schreckliche Angst. Jeder Schauspieler wusste, sie lernt nicht nur die Kommata in ihrem Text auswendig, sondern auch die ihrer Mitspieler. Als wir in Ägypten Tod auf dem Nil drehten, erlebte ich sie tödlich beleidigt. Bei der Besichtigung der Pyramiden von Gizeh sah sie einen Fotografen und machte eine Pose für ihn. Statt ein Foto von ihr zu machen, sagte der Mann: „Sorry, Lady, but I’m here to photograph some real antiques.“

 

André Heller, Künstler: 1967 bekam ich eine tägliche Radiosendung auf Ö3 namens Musicbox. Zwei Jahre später hatte ich im Hotel Sacher in Wien Yoko Ono und John Lennon vor dem Mikrofon – beide nackt. Im Roten Salon hatte man zuvor die wertvollen Defregger-Gemälde abgehängt. Jetzt hingen da Papptafeln mit handgeschriebenen Parolen wie „Peace now!“ oder „Grow your hair!“. Lennon und Yoko Ono hatten sich ausgezogen und ein riesiges Sacher-Leintuch übergeworfen. „Bag-in“ nannten sie das. Ich stand im Ledermantel daneben und stellte Fragen, dazu rauchte ich blasiert Zigarillo. Hinterher sagte Lennons Manager, die beiden würden mich am folgenden Vormittag zu einem ausführlichen Interview empfangen. Um 9:30 Uhr klopften der Tonmann und ich an die Tür von Suite 101. Man hatte wundersamerweise nicht zugesperrt, und wir traten „Good morning!“ rufend ein. Die beiden lagen schlafend in einem goldgrünen Rokokobett. Lennon trug einen blau-weiß gestreiften Pyjama, auf dem Nachtkästchen lagen ein Gedichtband von Allen Ginsberg und die runde Nickelbrille. Um die beiden zu wecken, intonierten wir die österreichische Bundeshymne Land der Berge, Land am Strome. Sie schrie erschrocken etwas Japanisches, er sagte mit belegter Morgenstimme nichts als „Oh my God!“. Beim Frühstück wollte Yoko wissen, wie es um die Avantgardekunst in Österreich stehe. John Lennon fragte, ob es in Wien eine ähnliche Rotlichtmeile gebe wie die Reeperbahn in Hamburg. Beim anschließenden Interview ereiferte er sich über den Krieg in Vietnam und die Ausbeutung der Dritten Welt. Yoko schrie im Abstand von zwei Minuten „Peeeeeaaaace!“ dazwischen. Am Nachmittag begleitete ich Lennon zum Flughafen Wien-Schwechat. Als wir uns dem Zentralfriedhof näherten, sagte ich, sein Kollege Franz Schubert liege hier. Er ließ die Limousine stoppen, und wir liefen zu den Ehrengräbern. An Schuberts Grab stehend, fiel ihm auf, wer da im Umkreis von zwanzig Metern noch seine endgültige Unruhe gefunden hatte: Mozart, Beethoven, Brahms, Johann Strauss. Er sagte: „Was für eine aberwitzige Versammlung!“ Dann zog er den Schnürsenkel aus seinem rechten Schuh und legte ihn mit den Worten „statt Blumen“ auf Schuberts Grab.

 

Wolf Wondratschek, Schriftsteller: Geld ist Dreck. Es ist etwas Primitives, etwas durch und durch Obszönes, etwas ganz und gar Heilloses. Aber ganz ohne Geld dazustehen, das gebe ich zu, ist bedrückend. Es hat etwas ungemein Unpraktisches. Trotzdem gefällt mir die Idee von Geld nicht. Die Talente, die man braucht, um große Geldsummen anzuhäufen, gehören stets zu den niedersten menschlichen Eigenschaften. Andererseits, wenn ich mich so zurücklehne, mir eine Zigarette anzünde und an einen Schriftsteller denke wie Graham Greene, der sich vom Honorar für einen seiner Romane eine Villa auf Capri leisten konnte, dann sehe ich das Meer und die Palmen, höre den Wind und die Zikaden – und bin, nein, nicht gerade neidisch, aber einverstanden.

Ich war fast zehn Jahre lang Autor des Diogenes Verlags in Zürich. Als ich mit dem Verleger Daniel Keel über das Honorar für mein Langgedicht Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre verhandelte, verlangte ich eine Kiste Gold. Das ist, finde ich, die angemessene Währung für Poesie. Gold, nicht Geld. Etwas Glänzendes, nichts Dreckiges. Keel wollte das Gold nicht rausrücken, partout nicht. Dabei gibt es in der Schweiz doch so viel davon. Irgendwann hatte ich genug von dem Gefeilsche und nannte ihn „Arschloch“ – woraufhin er mich sehr ruhig bat, sein Büro zu verlassen.

Carmen ist ein Gedicht über die Cutterin Jane Seitz, die gleichzeitig mit dem Filmproduzenten Bernd Eichinger und mir liiert war. Mit fünfundvierzig Jahren beging sie Selbstmord. Nach der Katastrophe mit Keel habe ich im Marstall-Theater in München aus Carmen gelesen. Im Publikum mein Freund Bernd mit unserer gemeinsamen Geliebten. Bei dem Essen, das er hinterher schmiss, sagte Bernd: „Ich will dieses Gedicht haben. Ich kauf es. Wie viel?“ Ich dachte: Nicht schlecht, Respekt, was für eine schöne Reaktion! Der Boss der Bosse sagt: „Wenn ich schon die Frau nicht besitzen kann, soll mir wenigstens ihre Geschichte gehören. Her damit!“ Er hat dann spätnachts seinen Fahrer losgeschickt, und der erschien eine halbe Stunde später mit einem Briefumschlag voller Scheine. Carmen gegen Cash!

In meinem Erzählband Saint Tropez porträtiere ich Bernd als einen Menschen mit rohen, jedes Anstandsgefühl außer Kraft setzenden Rücksichtslosigkeiten, der gegen Mittag zwischen Pornokassetten aufwacht und die Vorhänge aufreißt, als erwarte er Applaus. Es heißt aber auch: „Ich überließ ihm das Geld, er mir die Faulheit.“ Wir waren bei allen Unterschieden Seelenbrüder, die nicht aufhören konnten, sich treu zu sein. Wenn wir irgendwo saßen und tranken, bis wir betrunken waren, war mir nur unangenehm, dass draußen immer sein Chauffeur im schwarzen Mercedes wartete. Ich sagte: „Bernd, schick den doch weg.“ Dabei verstand ich ihn. Er war ein Mensch, der von ganz unten kam und nicht in dieses Milieu hineingeboren wurde. Er hatte dieses Rührende von Dagobert Duck: Geld freute ihn einfach. Ich habe ihm immer geraten, Gleichgültigkeit gegenüber Erfolg zu entwickeln. Easy Rider wurde nicht gedreht, um Millionen abzuräumen – und wurde erfolgreicher und berühmter als jeder Film, den der Bernd gedreht hat. Ich habe mir sehr gewünscht, dass er mal einen Film macht, der ganz ihm gehört und den er bilanzmäßig abschreibt. Einen Film, bei dem er nicht zockt, sondern bei dem die Energie ganz bei ihm selber bleibt. Er hätte das in der Position, in der er war, durchsetzen können.

 

Paul Nizon, Schriftsteller: Als ich dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld aus einem Entwurf zu meinem Roman Canto vorlas, bot er mir sofort einen Vertrag mit Monatsgehalt an. Damit war mein Schreiben gesichert. Es war, als hätte ich einen Hollywood-Vertrag unterzeichnet. Ich stürzte mich in das Buch und schrieb es in nicht einmal einem Jahr. Unseld war hingerissen und prophezeite einen Welterfolg, und ich war Narr genug, meinen Weltruhm in naiver Freude zu erwarten. Canto war das zweite Buch, das Unseld als Verleger verantwortete. So frisch, so an einem Anfang waren wir beide. Im Tiefsten blieb ich seine ganz persönliche Entdeckung. Darauf kam er immer wieder stolz zu sprechen. Umso größer war die Enttäuschung für ihn, als Canto mit einigen Ausnahmen Unverständnis provozierte oder mit vernichtenden Worten abgeurteilt wurde. Es wurden damals nur eintausendfünfhundert Exemplare verkauft. Es war wirklich ein Reinfall, und wir fühlten uns beide fürchterlich enttäuscht voneinander.

Canto hat mich zum Morphinisten gemacht. Ich hatte fast einen Verfolgungswahn, weil ich mir meuchelmörderisch behandelt vorkam. Der ausbleibende Applaus legte mich buchstäblich aufs Kreuz. Ich fiel auf den Rücken und hatte mehrere Monate lang eine Bandscheibenlähmung. Gegen die Schmerzen bekam ich drei Spritzen Morphium am Tag.

Unseld und ich hatten ein sehr nahes Verhältnis, wenn wir auch des Öftern im Krieg lagen. Er dachte natürlich schon, ich sei eine Art Genie, aber da ich kein Geschäft war, war ich für ihn kein Geschäftspartner, bloß eine offene Wette. Das war schrecklich für ihn, denn er scharte mit Vorliebe Autoren mit hohen Auflagen um sich. Für ihn war ein großer Schriftsteller dann doch ein erfolgreicher Schriftsteller. Ruhm ohne Erfolg, mein Geschick, gab es für ihn nicht. Er meinte, er habe mich stets mit äußerster Zuvorkommenheit behandelt. Als Beleg führte er an, dass er mir zu meinem fünfzigsten Geburtstag ein Dupont-Schreibset zum Geschenk gemacht hatte.

Wie sollte Unseld mich verkaufen, wenn er sich keinen Reim auf meine Kunst machen konnte? Wie soll man eine Ware verkaufen, wenn man nicht einen schnittigen Vers bereit hat, um ihn in den Rachen des Publikums zu werfen? Die Vermarktung ist der Part des Verlegers. Weil er nicht wusste, wie er mich vermarkten sollte, ließ er es ganz sein. Der Trostspruch, mit dem er mich in die Apsis seiner Kathedrale sperrte, lautete: „Ich kann jetzt nicht viel für deine Bücher tun. Dein Werk ist für später.“

Zur Feier seines sechsundfünfzigsten Geburtstags ließ Unseld die Creme seiner Autoren nach Venedig einfliegen. Im Flugzeug nach Venedig hatten Unseld und Martin Walser ausgeheckt, dass ich den Torcello-Preis der Suhrkamp-Stiftung bekommen sollte, eine tolle Summe. Meine Aktien bei Unseld standen also sehr gut. Nachts fiel er des Alkohols wegen eine lange Treppe herunter und lag in seinem Blut. Peter Handke hielt ihm die Hand. Als ich mich dem Verletzten näherte, rief er: „Du nicht!“ Dass er mich in seiner Hinfälligkeit plötzlich für seinen potenziellen Mörder hielt, verblüfft mich bis heute. Einmal hatte ich ihm die Hände um den Hals gelegt und zugedrückt. Vielleicht war das der Grund. In meinen sieben mageren Jahren nach Canto fühlte ich mich sehr zerworfen mit ihm. Und dann kommt der Kerl nach Zürich und hält von einem gemästeten Ich-Gefühl aus einen Vortrag über den Verleger als Seelsorger, Liebhaber und materiellen Vater des Autors. Als man hinterher zusammensaß, sagte ich: „Ich bringe dich um, du Schwein!“ Dann würgte ich ihn, bis sein Kopf blaurot anlief. Natürlich war ich besoffen. Damals war man eigentlich immer besoffen. Das können Sie sich gar nicht vorstellen, was man damals in sich hineingeschüttet hat.

Bevor Unseld sterbenskrank wurde, sind wir noch mal ausgegangen. Er ließ seine Jaguar-Limousine mit dem Kennzeichen F-SU 1 von einem Chauffeur fahren, und wir gingen fürstlich essen. Er trank wie immer wahnsinnig schnell, und dann habe ich alle möglichen Forderungen vorgebracht. Alles wurde sofort akzeptiert. Am Ende sagte ich: „Nur schade, dass ich ein derartiger materieller Versager bin in deinem Verlag.“ Er nahm mich am Arm und erwiderte: „Sag das nicht. Du bist kein Versager. Ich bin dein Versager.“ Das war das letzte Statement.

 

Peter Handke, Literaturnobelpreisträger: Ich war zweiundzwanzig, als ich Unseld kennenlernte. Ich bin ein Mensch, der furchtbar auf Einzelheiten abfährt. Ich weiß ganz genau, er hatte einen Furunkel auf der Nase und trank Weißwein aus silbernen Bechern. Entsetzlich! Das schmeckt überhaupt nicht. Er war ein innerlich sehr scheuer Mensch, der eine eiserne Energie zeigen musste. Angesprungen auf ihn bin ich, als ich mit meiner kleinen Tochter in Kronberg lebte. Er kam am Abend oft vorbei und schaute mich nur schweigend an. Da sah ich, was er für warme, leuchtend schöne Augen hat. 1981 kam es zum ersten großen Krach. Ich schrieb ihm, dass ich einen neuen Verlag suchen werde. Das war ein völlig sinnloser Amoklauf, aber er hat mich, so blöd dialektisch das klingt, auch befreit. Was Reich-Ranicki zu meinem Buch Langsame Heimkehr geschrieben hat, war nackter Vernichtungswille. Er wollte mich weghaben. Und am nächsten Tag hat Unseld ihn empfangen, ihn bewirtet. Ich fühlte mich verraten und musste einen Auslauf suchen aus mir. Da habe ich eben losgelegt. Ich bedaure das nicht. Ich begriff damals nicht, auch er ist ein Händler und Kaufmann, eine Art Drehmännchen. Wie eine Karussellfigur musste er zu allem, was im Umkreis passierte, ein gutes Gesicht machen oder zumindest ein kommunikatives. Er konnte auch unendlich verletzend sein. Das Manuskript von Mein Jahr in der Niemandsbucht schrieb ich mit äußerster Sorgfalt mit Bleistift. Er sagte aber, ein von Hand geschriebenes Manuskript sei nicht ablieferungsfähig. Da bin ich durchgedreht. Gehen Sie nach Kronberg ins Schlosshotel. Vielleicht ist das noch in der Luft, wie ich da gebrüllt habe. Viele meiner Wutausbrüche im Leben bedaure ich, aber dass ich da losraketisiert habe, bedaure ich nicht.

Er schrieb mir mal, ich sei der wichtigste Autor seines Verlags. Mir selber hätte ich das schon geglaubt, aber ihm nicht. Ich wusste, das ist Programmmusik. Ich bin schon eitel, aber meine Eitelkeit ist so verborgen, dass die nur zu unheiligen Zeiten herauskommt. Das ist die schlimmste Eitelkeit. Die wirklich eitlen Menschen wissen nicht, dass sie eitel sind. Deswegen sind sie so angenehm, so harmlos.

Als Siegfried sterbenskrank wurde, kam ich in die Klettenbergstraße zu Besuch. Er sprach sehr langsam, aber die Wörter wurden schon noch Worte. Er machte sich auf eine sanfte Weise über sich und alles lustig. Ich fand das vorbildlich. Es gab Pflegerinnen, die ihn betreuten. Eine war aus Bosnien. Er stellte mich ihr vor: „Das ist der Peter Handke. Sie müssen wissen, der hat viel Erfolg bei Frauen.“ Dabei hat er mir zugezwinkert. Das war das Letzte, was ich in Erinnerung habe.

Siegfried, meine Mutter und Nicolas Born sind die drei Menschen, die mir nach ihrem Tod erschienen sind. Das ist etwas mystisch, aber das waren keine Träume. Ich dachte, die sind jetzt da und schauen mich an, ein Durch- und Durchgehen, wie wenn einer mit einem Schneidbrenner einem durch die Seele fährt. Alle drei hatten was Ermahnendes an sich, als ob man sich in einer gewaltigen Kathedrale befände, und ich würde von ihnen stumm mit den Augen zurechtgewiesen.

 

Raimund Fellinger, Cheflektor bei Suhrkamp: Siegfried Unseld litt vor allem darunter, dass er in seinen ersten Suhrkamp-Jahren geringgeschätzt bis verachtet wurde. Der damalige Cheflektor Walter Boehlich hielt ihn für einen Vollidioten, um es überspitzt zu sagen. Ein Journalist schrieb noch 1974, da war Unseld auf dem Zenit angekommen, er sei ein Rugby-Spieler, der unter die Literaten gefallen sei. Natürlich wollte Unseld demonstrieren, er habe es nach oben geschafft. Als sein Autor Max Frisch sich einen Jaguar kaufte, wollte er auch einen. Es gibt ein tolles Foto, das die beiden in Zürich vor ihren Jaguars zeigt. Frisch hatte natürlich den noch mächtigeren. Unseld war aber nicht eitler als im Literaturbetrieb üblich, zumindest nicht physisch, im äußeren Auftreten. Etwas anderes ist, dass er die Beobachtungen seiner Autoren gern als Eigenbeobachtungen ausgab, um Damen zu charmieren oder in der Öffentlichkeit aufzufallen.

Peter Handke rächte sich öfters an Unseld, indem er ihn in Paris in ein Straßenrestaurant bestellte und neben das öffentliche Pissoir platzierte. Ich erlebe von Autoren alle möglichen Demütigungen: ein halbstündiges Donnerwetter am Telefon, ich sei unfähig zu lesen und zu denken, Stehenlassen auf der Straße, stundenlanges Schweigen im Restaurant, Erpressungsversuche durch Winken mit einem anderen Verlag.

Handke schreibt seine Manuskripte bis heute mit Bleistift. Wenn wir sein Manuskript in den Computer eingeben, ist allerhöchste Sorgfalt geboten. Ein falsch übertragenes Komma empfindet er als Anschlag auf seine gesamte Existenz. Deshalb reise ich mit der druckfertigen Version zu ihm nach Paris. Dann bereinigt er letzte Fehler. Er stellt mich heute als seinen Lektor und Freund vor, aber das kann sich jederzeit ins Gegenteil verkehren. Dann bin ich wieder der Verbrecher.

 

Denis Scheck, Kritiker: Wie Frank Schirrmacher ist Unseld ein Scheinriese, der aus der Ferne riesengroß wirkt, aber umso kleiner wird, je näher man ihm kommt und je genauer man ihn betrachtet. Der alte Unseld hat die überragende Bedeutung der US-amerikanischen Literatur komplett übersehen. Seine Wahrnehmung der Moderne endete bei ein bisschen James Joyce. Warum sollte man jemanden rühmen, der das Wichtigste verschlafen hat?

Sven Michaelsen

Über Sven Michaelsen

Biografie

Sven Michaelsen studierte Literatur und Geschichte, war Reporter und Autor beim „Stern“, interviewt für das „SZ-Magazin“ seit 2007 die Leitfiguren und Idole unserer Zeit, wurde zwei Mal mit dem „Deutschen Reporterpreis“ ausgezeichnet und schrieb sieben Bücher.
Über Michaelsens Buch „Starschnitte“...

Pressestimmen
Allgemeine Zeitung

„Das Buch ist ein unterhaltsames Kompendium, das den Kulturbetrieb auf links zieht.“

WDR 3 “Mosaik”

„Was das Buch auszeichnet, ist die Kunstfertigkeit mit der hier beleidigt wird. Wie genau Künstler den wunden Punkt eines anderen treffen, das macht dieses Buch vergnüglich und lesenswert.“

Kurier (A)

„Ein Buch, das dunkle Wolken vertreibt“

MDR „Ungers Bücher“

„Das ist mal eine richtige Ladung Gift, die da zwischen zwei Buchdeckeln liegt.“

Radio Weser TV „WortART“

„Sehr launig, humorvoll und wertschätzend ge- und beschrieben und auch ein großer Spaß zu lesen wie wortgewandt namhafte Persönlichkeiten eben liebe, aber auch verdammt böse Worte über andere finden.“

Musenblätter

„Man muss eben – und das fällt nicht schwer – das ganze Buch von vorne bis hinten lesen. Das ist zwar auch ein bisschen Voyeurismus, macht aber einen Heidenspaß.“

BZ Das Magazin

„Eine Sammlung kunstfertiger Beleidigungen.“

Benjamin von Stuckrad Barre

„Ein erneut sehr lustiger Interview-Remix-Band des großen Gesprächsvirtuosen Michaelsen.“

Micky Beisenherz

„Man wird beim Lesen dieses großartigen Buchs ein wenig schwermütig bei dem Gedanken daran, mit welchen Pfeifen in Kunst und Kultur wir zurückgelassen wurden. Ob meine Tochter jemals ein Buch lesen wird mit solchen Sätzen von Igor Levit, Danger Dan oder Kai Pflaume?“

Micky Beisenherz

„Wenn schon eine toxische Beziehung, dann zu diesem Buch.“

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