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Landpartie (Allgäu-Krimis 3)Landpartie (Allgäu-Krimis 3)

Landpartie (Allgäu-Krimis 3)

Jürgen Seibold
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Ein Allgäu-Krimi

„Seibold erzählt schnörkellos mit viel Lokalkolorit. (...) ›Landpartie‹ ist leichte, unterhaltsame und regional eingefärbte Krimi-Kost. Futter für Sofa-Tage.“ - Allgäuer Zeitung

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Landpartie (Allgäu-Krimis 3) — Inhalt

Das idyllische Bad Hindelang bereitet sich auf das alljährliche „Jochpass Memorial“ vor – ein spektakuläres Bergrennen für Oldtimer. Der Titelverteidiger Rudi Groß geht als Favorit ins Rennen, doch in einer der letzten Kurven verliert er die Kontrolle über seinen Wagen und stürzt in die Tiefe. Schnell steht fest: Der Oldtimer war manipuliert. Als Kommissar Hansen mit seinen Ermittlungen beginnt, stößt er auf wahre Besessenheit und Oldtimer-Fans, die um jede Schraube ihrer auf Hochglanz polierten Schätze kämpfen.

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 08.12.2014
336 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30542-6
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 08.12.2014
336 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96790-7
Download Cover

Leseprobe zu „Landpartie (Allgäu-Krimis 3)“

Der Wagen schoss wie ein Pfeil dahin. Dichte Wolken hingen über dem Tal, aber die Straße war entgegen der Vorhersagen bisher trocken geblieben. Schon die ersten Wertungsläufe hatten ihm ein gutes Gefühl vermittelt, und diesmal lief es noch besser. Wie auf Schienen zog er seine Bahn hinauf zum Jochpass, und wenn der Motor am Ende der Haarnadelkurven dröhnend beschleunigte, machte sein Herz jedes Mal einen Hüpfer.

Das Publikum unten am Start hatte er ebenso wenig wahrgenommen wie jetzt die klatschende Menge auf der Wiese oberhalb der Straße. Seine ganze [...]

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Der Wagen schoss wie ein Pfeil dahin. Dichte Wolken hingen über dem Tal, aber die Straße war entgegen der Vorhersagen bisher trocken geblieben. Schon die ersten Wertungsläufe hatten ihm ein gutes Gefühl vermittelt, und diesmal lief es noch besser. Wie auf Schienen zog er seine Bahn hinauf zum Jochpass, und wenn der Motor am Ende der Haarnadelkurven dröhnend beschleunigte, machte sein Herz jedes Mal einen Hüpfer.

Das Publikum unten am Start hatte er ebenso wenig wahrgenommen wie jetzt die klatschende Menge auf der Wiese oberhalb der Straße. Seine ganze Konzentration galt dem nächsten Handgriff, dem nächsten Streckenmeter, der nächsten Ideallinie, die einzuhalten war. Prüfend sah er auf den Tacho und die Drehzahlanzeige. Er kannte den Weg hinauf nach Oberjoch und das Streckenprofil inzwischen so genau, dass er recht gut im Gefühl hatte, wie er in der Zeit lag.

Die nächste Kurve flog auf ihn zu, er verstärkte seinen Griff um das Lenkrad und bereitete sich darauf vor, im letzten möglichen Moment die Bremse zu treten und den Wagen auf die Ideallinie zu steuern. Da lenkte ihn eine kleine Bewegung vorne links ab. Er verpasste den richtigen Bremspunkt, aber das hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Verblüfft sah er dem linken Vorderrad nach, das sich vom Wagen gelöst hatte und nun in mehreren kühnen Sätzen erst über die Fahrbahn hüpfte und dann hinter der Leitplanke aus seinem Blickfeld verschwand.

Der Wagen saß inzwischen vorne links auf dem Asphalt auf, Funken stoben, und er konnte am Lenkrad zerren, wie er wollte: Das Fahrzeug ließ sich nicht mehr kontrollieren und raste mit leichter Schlagseite auf die Linkskehre zu. Er schaffte es nur noch, mit dem verbliebenen rechten Vorderrad die Richtung des Wagens ein wenig zu korrigieren.

Dem Waldstück, das im Scheitelpunkt der Kurve endete, wich er so gerade noch aus, und nun standen ihm nur noch einige Laubbäume mit dünnen Stämmchen im Weg, aber darüber konnte er sich nicht lange freuen. Wie ein Geschoss knallte der Wagen im nächsten Moment im spitzen Winkel gegen die Leitplanke, das rechte Vorderrad rumpelte die niedrige Stahlabschrankung hinauf, und der Wagen begann, sich vom Boden zu lösen. Leicht wie ein Vogel wirkte das Fahrzeug jetzt, und er saß hinter dem Lenkrad, das sich nun viel einfacher hin und her bewegen ließ, und beobachtete staunend, wie sich der Wagen elegant nach links um seine Längsachse drehte.

Für einen Moment ging sein Blick weiter den Hang hinauf. Der wuchtige Felsen oberhalb des nächsten Streckenabschnitts füllte sein Sichtfeld aus. Dann drehte sich der Wagen weiter, einige Äste peitschten gegen das Wagendach. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Fuß noch immer die Bremse trat. Er hob das Bein an und wechselte auf das Gaspedal. Ein-, zweimal drückte er kräftig zu, genoss das aggressive Aufheulen und Dröhnen und Röhren des Motors und lächelte ein letztes Mal nach vorn, wo zwei große Felsbrocken direkt in seiner Flugbahn lagen.

Dann war nichts mehr zu hören als knirschendes Metall und splitterndes Glas.


Donnerstag, 2. Oktober

Es war so kalt, dass Karl Schlitter den Kragen seines Wintermantels hochschlug, um seinen Nacken besser gegen den eisigen Wind zu schützen. Er mochte solches Wetter nicht, vor allem nicht so kurz vor dem Jochpass Memorial. Auch für die Veranstaltung selbst klang die Wettervorhersage wenig verheißungsvoll. Dabei hatten schon im vorigen Jahr Schnee und Graupel die Fahrt hinauf nach Oberjoch ziemlich ungemütlich gemacht.

Er schloss die Faust fester um den Griff des zerschlissenen braunen Lederkoffers und stapfte voran. Noch ein paar Schritte, dann hatte er den verabredeten Platz erreicht. Er blieb stehen und sah auf die Uhr. Es war zehn nach sieben. Im Internet wurde der Sonnenaufgang für Bad Hindelang mit 7.19 Uhr angegeben. Also würde er noch ziemlich genau eine Viertelstunde hier oben warten, dann würde er den alten Lederkoffer abstellen und zu seinem Pick-up zurückgehen, ohne sich noch einmal nach dem Koffer umzudrehen.

„300000 – 2.10. – Sonnenaufgang“, stand auf dem Blatt Papier, das Schlitter in der Nacht auf Montag im Briefkasten gefunden hatte. Es war wie in einem schlechten Krimi: Die Buchstaben und Zahlen waren aus der Lokalzeitung und dem Boulevardblatt ausgeschnitten und auf ein DIN A4-Blatt geklebt worden. Daneben pappte ein kleiner Ausschnitt aus einem farbigen Computerausdruck, der in Vogelperspektive ein Stück vom Kanzel-Ringweg zeigte, ganz in der Nähe der letzten scharfen Linkskurve der Jochstraße. Und genau dort, wo er jetzt stand, war der Ausdruck mit einem roten Kreuz markiert. Das Ganze hätte eher wie ein schlechter Scherz gewirkt – wäre es nur dieser Zettel gewesen.

Am sehr späten Sonntagabend hatte bei ihm daheim das Telefon geklingelt. Er hatte abgehoben und sich gemeldet. Eine raue Stimme hatte ihm ins Ohr geknurrt, was er zu tun hatte: keine Polizei verständigen, dreihunderttausend Euro besorgen, das Geld in einem Koffer auf dem Platz abstellen, der auf einem Zettel beschrieben sei, der im Briefkasten stecke.

Die Stimme klang ein wenig, als würde sich der Sprecher ein Taschentuch vor den Mund halten, aber es schien auf jeden Fall ein Mann zu sein. Der Unbekannte gab noch die Anweisung, Schlitter solle das Geld in einem alten, unauffälligen Koffer verstauen und etwa zehn Minuten vor dem beschriebenen Zeitpunkt am genannten Platz auftauchen. Dort solle er bis etwa zehn Minuten nach dem Zeitpunkt warten.

Schlitter begriff erst nicht gleich, was da vor sich ging. Er war müde, hatte auch schon etwas getrunken, aber der Fremde redete einfach ohne Pause auf ihn ein. Danach wiederholte er alles noch einmal wortwörtlich, als lese er von einem Zettel ab. Ab und zu wechselte das Knurren des Anrufers in ein Raunen, manchmal musste er sich kurz räuspern, aber auch das ließ keine Rückschlüsse darüber zu, wie die Stimme unverstellt klingen mochte. Schließlich, als Schlitter längst verstanden hatte, dass das kein Klingelstreich war, kam die Drohung für den Fall, dass er nicht spuren würde: Genau dort, in der letzten Linkskurve, werde es während des diesjährigen Jochpass Memorial ein Attentat geben.

Dann hatte der Unbekannte aufgelegt, und Schlitter hatte totenbleich und am ganzen Körper zitternd im Flur gestanden, den Hörer noch am Ohr. Erst nach einer kleinen Ewigkeit hatte er sich aus der Starre gelöst und den Hörer aufgelegt, um zum Briefkasten zu gehen, wo er tatsächlich den Zettel mit der aufgeklebten Nachricht fand.

Und nun wartete er hier in der Kälte und sah sich um. Ein Stück entfernt stand sein Wagen. Ansonsten: Bäume ringsum, der Waldweg, die grasbewachsene Parkbucht und direkt neben ihm ein kleiner Haufen Pflastersteine. Sonst nur Stille, Kälte, Einsamkeit. Es war schon leidlich hell, aber mehr als diffuses Licht drang nicht durch die dicke Wolkendecke.

Er war natürlich schon oft hier oben gewesen, auch zu dieser Tageszeit, wenn er von der Jagd nach Hause fuhr. Manchmal stellte er seinen Pick-up dann auf diesem kleinen Weg ab, wenn auch nicht so weit von der B308 entfernt. Aber häufiger war er in den Wäldern nördlich der Bundesstraße unterwegs oder weiter südlich im Gebiet zwischen Oberstdorf, Hinterstein und der österreichischen Grenze.

Wieder und wieder sah Schlitter auf die Uhr, dann war es endlich halb acht. Er stellte den Koffer am Wegesrand ab, steckte die Hände in die Manteltasche und zog die Schultern hoch. Trotzdem drang der Wind eiskalt durch seine Kleider.

Alles war still. Auf der Straße zum Jochpass hinauf war kein Fahrzeug unterwegs, und auch hier auf dem Waldweg war nichts zu sehen oder zu hören. Plötzlich knackte im Unterholz hinter Schlitter ein Ast, und er musste sich sehr beherrschen, um sich nicht zu dem Geräusch umzudrehen. Ganz langsam setzte er sich in Bewegung. Die Nackenhaare sträubten sich, er hatte Gänsehaut und wäre am liebsten losgerannt, aber das würde den Erpresser womöglich nervös machen, und mit einer Kugel im Rücken wollte Schlitter nun wirklich nicht enden. Also zwang er sich, einen Schritt nach dem anderen zu machen, sich dabei nicht zu schnell zu bewegen und die ganze Zeit über stur geradeaus zu sehen. Die Sekunden dehnten sich wie in einem schlechten Traum. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und als er die halbe Strecke zwischen dem Koffer und seinem Pick-up hinter sich gebracht hatte, rann es ihm warm über die Innenseite seiner Schenkel.

Auch schon egal, dachte Schlitter und ging stur weiter.

Schließlich erreichte er seinen Wagen. Als er den Türgriff mit der rechten Hand packte, stellte er fest, dass sie zitterte, und musste einen Moment lang stehen bleiben, bevor er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte, dass er die Tür aufziehen und sich auf den Fahrersitz schieben konnte.

Die ganze Zeit hatte er sorgfältig darauf geachtet, sich nur ja nicht umzudrehen, denn was würde der Erpresser wohl mit ihm machen, wenn er erst dessen womöglich unmaskiertes Gesicht gesehen hätte? Nun riskierte er doch einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Das würde der andere auf diese Entfernung vermutlich gar nicht mitbekommen.

Aber es war niemand zu sehen.

Nur der zerschlissene braune Lederkoffer stand unverändert an seinem Platz.


Resi verabschiedete sich von Hansen mit einem langen, innigen Kuss, dann stupste sie mit dem Zeigefinger gegen seine Nasenspitze, und weg war sie. Er sah ihr durchs Fenster nach, wie sie mit ihrem neuen Kleinwagen vom Hof und auf die Ehrwanger Straße fuhr. Als sie auf der B16 in Richtung Norden davonbrauste, war ihr Auto für wenige Momente zwischen den Bäumen zu sehen, aber Hansen winkte ihr trotzdem. Und es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass auch sie ihm winkte, ob er sie nun wirklich sehen konnte oder nicht.

Sie wollte bei ihren Eltern in Roßhaupten vorbeischauen, mit ihnen zu Mittag essen und Kaffee trinken. Am Nachmittag würde sie mit gepacktem Koffer zurückkommen und gemeinsam mit Hansen in einen Kurzurlaub starten. Er würde im Kommissariat in Kempten nur das Nötigste erledigen und gegen drei, halb vier wieder nach Hause fahren. Ein dringender Fall lag jedenfalls nicht auf seinem Schreibtisch.

Nach seinem etwas rumpeligen Start im Allgäu vor eineinhalb Jahren lief es mit den Kollegen inzwischen wirklich gut. Mit Willy Haffmeyer und Hanna Fischer sowieso, aber mittlerweile schienen auch die anderen ihren Frieden mit ihm als „neig’schmecktem“ Niedersachsen gemacht zu haben. Ab und zu bekam er sogar einen Tipp, wo es einen Fischladen gab, in dem man frische oder frisch geräucherte Ware erhalten könne. Das eine oder andere Geschäft taugte tatsächlich etwas – auch wenn es natürlich kein Vergleich mit dem Steinhuder Räucheraal aus seiner alten Heimat oder mit den fangfrischen Tieren war, die er in seiner Zeit bei der Kripo Oldenburg in den Küstenorten der Nordsee überall bekommen konnte.

Vor allem sein Stellvertreter Hardy Koller tat sich mit Ratschlägen und hilfreichen Infos hervor. Womöglich plagte ihn das schlechte Gewissen, weil er nach Hansens Einschätzung die treibende Kraft hinter den Aktionen gewesen war, die ihm seinerzeit den Einstieg erschwert hatten. Für Hansen war das längst erledigt, zumal sich Koller und Kollegen ohnehin nur selbst ein Bein gestellt hatten. Auf Abstand hielt Hansen ihn trotzdem – das allzu nette und servile Auftreten war und blieb ihm suspekt. Da hatte er lieber den knurrigen Haffmeyer um sich oder die ehrlich besorgte Hanna. Mit ihnen arbeitete er nach wie vor gern zusammen.

In Kempten war es so ruhig, wie man es sich vor einem Kurzurlaub nur wünschen konnte. Koller und die anderen bereiteten die Unterlagen zu einem bereits abgeschlossenen Fall für die Gerichtsverhandlung auf, Willy Haffmeyer und Hanna Fischer wollten im persönlichen Gespräch zwei Aussagen in einem Totschlagfall überprüfen, danach stand auch für sie bis auf Weiteres nur Büroarbeit an.

Nach der morgendlichen Besprechung bat Kripochef Benedikt Huthmacher ihn zu sich ins Büro. Er bot ihm Kaffee und Gebäck an und fragte ihn ein wenig über die Kollegen aus, aber natürlich kam Hansen kein schlechtes Wort über die Lippen. Das Kommissariat 1 funktionierte, alle machten einen guten Job, und wenn jemand mal aus der Reihe tanzte, klärte Hansen das direkt mit der oder dem Betroffenen. Erst nach einer Weile, nachdem sie die anderen Themen durch hatten und der Kaffee ausgetrunken war, kam Huthmacher auf den wahren Grund für die vertrauliche Unterhaltung zu sprechen.

„Ja, mein lieber Hansen, wie Sie ja vielleicht wissen, geht bald unser Polizeipräsident in den verdienten Ruhestand. Ich bin gefragt worden, ob ich nicht ...“

Er räusperte sich.

„Wissen S’, als Allgäuer ist es mir natürlich nachgrad eine Herzensangelegenheit ... und eine Ehre wär’s ja obendrein, und ich hab mir gedacht ...“

Hansen bemühte sich um eine ernste Miene. Huthmachers Angewohnheit, Sätze unvollendet zu lassen, wenn er eine Situation als unangenehm empfand, hätte diesmal wirklich nicht erahnen lassen, worauf er hinauswollte. Aber Hansen hatte längst über den Flurfunk erfahren, dass Huthmacher als einer der Kandidaten für die Nachfolge von Polizeipräsident Franz Stiller galt. Obgleich Stiller ihn wärmstens als seinen Nachfolger empfahl, gab es doch so manchen, der Huthmacher das vermeintliche Desaster um die Pärchenmordserie nachtrug – noch immer.

Anfang des vorigen Jahres war ein junges Paar am Waldrand bei Nesselwang auf sehr brutale Weise getötet worden, und bis die Polizei durch den Selbstmord des Täters endlich auf dessen Identität kam, waren ihm schon zwei weitere Pärchen zum Opfer gefallen. Die Mordserie hatte für viel Aufsehen gesorgt, und unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde schließlich Rolf Hamann, der Leiter des Kommissariats 1 in Kempten, in den vorzeitigen Ruhstand versetzt – ein Bauernopfer, denn keiner der Ermittler hatte einen Fehler begangen, und auch Hamann war nichts anzulasten. Sein Nachfolger wurde Hansen.

„Mir gefällt’s, wie Sie nichts auf die Kollegen kommen lassen“, fuhr Huthmacher fort. „Und ich seh ja, wie Sie auch unter ... schwierigen Bedingungen gleich Ihren ersten Fall prächtig gelöst haben. Dann noch die drei Toten im Bauernhofmuseum, und auch sonst ist Ihre Arbeit ...“

Er verstummte, nickte zur Bekräftigung seines halb ausgesprochenen Lobes und strahlte Hansen an. Huthmachers feistes Gesicht glühte nun beinahe, und auf der hohen Stirn bildeten sich einige Schweißtropfen.

„Ich wollt Sie fragen, ob Sie nicht ... womöglich ...?“

Huthmacher hob beide Hände, die Handflächen nach oben, und dazu zuckte er mit den Schultern. Es sah drollig aus, aber so ganz wusste Hansen diesmal wirklich nicht, was sein Vorgesetzter ihn eigentlich fragen wollte.

„Na, wenn mein Posten frei werden sollte, dann brauchen wir ...“, setzte er noch einmal an und verstummte wieder.

Endlich hatte Hansen ihn verstanden. Er sah seinen Chef ungläubig an. Sein zweiter Blick ging zur Verbindungstür, die Huthmachers Büro von dem seiner Sekretärin Rosemarie Schwegelin trennte. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und dahinter war kein Mucks zu hören. Dass Frau Schwegelin horchte stand außer Zweifel, aber wenn es Huthmacher nicht störte, dass sie alles mitbekam, konnte es ihm auch egal sein.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe“, begann Hansen, „aber wenn Sie mich fragen möchten, ob ich Ambitionen habe, Ihr Nachfolger zu werden, kann ich Ihnen versichern: Nein.“

Huthmacher machte ein enttäuschtes Gesicht.

„Natürlich will ich Karriere machen“, fügte Hansen schnell hinzu, „aber das hat noch etwas Zeit. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren Leiter des K1, da scheint mir ein solcher Schritt dann doch noch etwas verfrüht. Außerdem mussten die Kollegen ja erst mal die ungewohnte Situation verkraften, dass ein Niedersachse das Kommissariat leitet.“

Er lachte, und Huthmacher fiel mit ein. Allerdings klang es ein wenig aufgesetzt. Erst begriff Hansen nicht, warum seine Ablehnung dem Chef so viel ausmachte, doch dann kam ihm in den Sinn, dass er vielleicht auf Pluspunkte für seine eigene Beförderung hoffte, wenn er etwa im Innenministerium einen willkommenen Nachfolger für seinen jetzigen Posten präsentieren konnte.

„Sie haben höheren Orts schon einen sehr guten Eindruck ... Ich habe aus München bisher nur Lob über Sie ... Auch die Kollegen des Präsidiums Oberbayern Süd, mit denen Sie bei Ihrem ersten Fall in Lechbruck zusammengearbeitet haben, waren voll des ...“

Huthmacher schwitzte stärker. Fahrig zerrte er die Schublade seines Bürocontainers auf, nahm ein Papiertaschentuch heraus und tupfte sich damit die Stirn trocken.

„Das ist alles schön für mich, vielen Dank, das Lob gebe ich an die Kollegen in Rosenheim gern zurück. Aber trotzdem ...“

Aus dem Nebenraum war ein leises Knarzen zu hören. Entweder war das Rosemarie Schwegelins Bürostuhl, oder sie hatte sich näher herangeschlichen und war dabei versehentlich an die Tür gekommen. Tatsächlich schien sie nun ein winziges Stück weiter geschlossen zu sein als vorhin.

„... trotzdem käme mir ein Wechsel so kurz nach meinem Start hier in Kempten zu früh, tut mir leid.“

„Aber in München ...“

„Sind das nicht dieselben Leute, die meinen Vorgänger über die Klinge haben springen lassen?“

Huthmacher zuckte mit den Schultern.

„Wissen Sie, Herr Huthmacher, ich bin sehr gern Leiter des K1, und ich hätte diese Stelle nicht bekommen, wenn Herr Hamann nicht seinen Posten hätte räumen müssen. Aber deshalb muss ich die Entscheidung des Ministeriums nicht gut finden.“

Huthmacher nickte und machte eine betrübte Miene.

„Sie haben ja recht, aber ...“

Er hob seine Kaffeetasse, bemerkte dann, dass er sie schon leer getrunken hatte, und setzte sie wieder ab.

„Haben Sie den Rolf eigentlich mal persönlich kennengelernt?“, fragte er dann.

„Nein, bisher nicht. Aber dass weder ihn noch sonst jemanden in der damaligen Ermittlungsgruppe irgendeine Schuld daran trifft, dass dem ersten Pärchenmord noch zwei weitere folgten, kann man gut auch aus den Akten herauslesen.“

„Kann man, wenn man will“, brummte Huthmacher. „Rolf Hamann wohnt übrigens nicht weit von Ihnen entfernt. Hopfen am See, ein richtig schönes Häuschen, nicht weit vom Wasser entfernt. Wenn Sie mögen, kann ich Sie beide mal zusammenbringen. Rolf verfolgt Ihre Arbeit sehr aufmerksam, wissen Sie?“

Das überraschte Hansen nicht. Auch er hatte ab und zu noch ein Auge auf das, was sich in Hannover tat, wo er bis vor eineinhalb Jahren für die Kripo ermittelt hatte. Und Hamann lebte sogar inmitten seines alten Zuständigkeitsbereichs.

„Eigentlich steht es mir nicht zu“, fuhr Hansen nach einer kurzen Pause fort. „Aber darf ich Ihnen jemand anderen vorschlagen?“

Huthmacher sah überrascht auf, dann nickte er erneut.

„Im Grunde genommen kommen ja alle Kommissariatsleiter für die Position infrage“, sagte Hansen aus Höflichkeit, obwohl er wusste, dass das nicht stimmte. Zwar beherrschten alle ihren derzeitigen Aufgabenbereich, ob sie jedoch die Rolle eines Kripochefs würden ausfüllen können, stand auf einem anderen Blatt. „Aber soweit ich es bisher mitbekommen habe, hat vor allem Vroni Schliers einen blendenden Stand bei den Kollegen.“

Das Gesicht des Kripochefs wirkte kurz verblüfft, dann hellte sich seine Miene merklich auf. Hatte er die Leiterin der Kriminaltechnik wirklich nicht als seine Nachfolgerin in Betracht gezogen?

„Sie hätte sicher auch das Zeug dazu, die Kripo zu leiten, wenn Sie dafür nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie kann mit allen, ist im Allgäu zu Hause, hat eine direkte Art, kann aber auch diplomatisch sein – und ...“

Hansen beugte sich etwas vor und grinste.

„... und unseren Münchner Freunden gegenüber könnte das Polizeipräsidium nicht nur eine Frau präsentieren, was in der Hauptstadt sicher als sehr modern empfunden würde, sondern Vroni könnte den Herrschaften notfalls zeigen, dass sie im Zweifelsfall auch Haare auf den Zähnen hat.“

Jetzt strahlte Huthmacher über das ganze Gesicht, seine runden Wangen glänzten, und er klatschte seine dicken Hände gegeneinander.

„Sehr gut, Hansen, dass ich darauf nicht selbst ... ärgert mich zwar, aber Sie haben recht, so wird’s ...“

Er stand auf und schüttelte Hansen die Hand.

„Rosi?“, rief er in Richtung Verbindungstür.

Rosemarie Schwegelin war wohl selbst ganz verdattert über den Verlauf des Gesprächs. Offenbar hatte sie nicht bedacht, dass sie sich verraten würde, wenn sie dem Ruf des Chefs zu schnell folgte, denn schon im nächsten Augenblick trat sie in Huthmachers Büro und warf Hansen einen ungewohnt respektvollen Blick zu.

„Ja, Herr Huthmacher?“, fragte sie, und ihr Chef trug ihr auf, doch bitte mal die Kollegin Schliers zu einem Gespräch in sein Büro zu bitten.

Jürgen Seibold

Über Jürgen Seibold

Biografie

Jürgen Seibold, geboren 1960 in Stuttgart, arbeitete als Redakteur und freier Journalist. 1989 veröffentlichte der SPIEGEL-Bestsellerautor seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher, Theaterstücke, Thriller, Komödien und Kriminalromane. Mit seiner Familie lebt Jürgen Seibold im...

Pressestimmen
Südwest Presse

„Neben der eigentlichen Krimi-Handlung leben die Hansen-Krimis von der Schilderung der Personen und ihrem Umfeld. Mit Humor, Charme und Spannung schafft es der Autor, den Zuhörer abzuholen und zu fesseln.“

Lahn-Dill-Anzeiger

„336 Seiten versprechen beste und vor allem spannende Unterhaltung.“

Allgäuer Zeitung

„Seibold erzählt schnörkellos mit viel Lokalkolorit. (...) ›Landpartie‹ ist leichte, unterhaltsame und regional eingefärbte Krimi-Kost. Futter für Sofa-Tage.“

Bayern im Buch

„Ein Regionalkrimi, der durch die Beschreibungen der Örtlichkeiten den Namen verdient und mit dem Oldtimerrennen ein neues Thema in die Sparte bringt. Dazu kommt ein liebenswerter und witziger Protagonist - deshalb allen Krimifans sehr empfohlen!“

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