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Erntedank (Kluftinger-Krimis 2)Erntedank (Kluftinger-Krimis 2)

Erntedank (Kluftinger-Krimis 2)

Volker Klüpfel
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Kluftingers zweiter Fall

Kommissar Kluftinger hat in seinen Kniebundhosen durchaus das Zeug zum Columbo von Altusried. Und schon deshalb wird dieser Krimi auch über die Grenzen des Allgäus hinaus bekannt werden. - Die Welt

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Erntedank (Kluftinger-Krimis 2) — Inhalt

Kommissar Kluftingers zweiter Fall

Kommissar Kluftinger kratzt den Lack von der Allgäu-Idylle: der zweite Fall für den grantigen Ermittler mit Kultfaktor  
Ein Ritualmord im beschaulichen Allgäuer Wald? Unerhört! Kommissar Kluftinger nimmt das fast persönlich – und taucht in seinem zweiten spannenden Fall tief in die Vergangenheit ein.  

Wenn es im Heimatkrimi-Genre jemals einen echten Sympathieträger gegeben hat, ist es sicher nicht Kommissar Kluftinger. Das Allgäuer Urgestein ist misstrauisch gegen jede Neuerung, meistens schlecht gelaunt und überdies auch noch unheimlich pedantisch. Doch wenn Klufti eines kann, dann knifflige Mordfälle lösen.  

Eine Leiche in einem Waldstück gibt der Polizei düstere Rätsel auf. Eine drapierte Krähe auf dem Toten sieht verdächtig nach Ritualmord aus. Kluftinger übernimmt die Ermittlungen und verstrickt sich zunehmend in einer Geschichte, die weit in die abgrundtief dunkle Vergangenheit des Allgäus hinabreicht.  

 „Mystisch, spannend, witzig. Wieder ein großer Krimi.“ – Augsburger Allgemeine  

Mit ihrer Regionalkrimireihe um Kommissar Kluftinger stürmen die beiden Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr seit Jahren die Bestsellerlisten. Wenn ihre kantige Hauptfigur ermittelt, folgen ihr Millionen Leser mit angehaltenem Atem und so manchem lauten Lacher.  

Machen Sie Krimi-Urlaub im Allgäu – und lernen Sie Kempten von seiner mörderischen Seite kennen!  

Beste Unterhaltung mit Humor und Spannung – dafür stehen bisher zwölf  Kommissar-Kluftinger-Bücher. Blicken Sie hinter die Kulissen der Idylle, die man von Postkarten und aus Reiseprospekten kennt, und entdecken Sie Ihren neuen Lieblingskommissar von der SPIEGEL-Bestsellerliste.  

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 01.07.2006
384 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-24511-1
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.10.2010
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95058-9
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Leseprobe zu „Erntedank (Kluftinger-Krimis 2)“

Prolog


Als er an diesem kühlen Herbstmorgen die Haustüre öffnete und nach draußen trat, blieb er für einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Wie ein ausgewaschenes Leintuch spannte sich der Nebel über die Felder, eine Decke, die die Erde noch nicht dem Tag preisgeben wollte. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in den dämmrigen, von grauen Wolkenfetzen übersäten Himmel. Durch die Nase sog er die frische Morgenluft in seine Lungen, streckte sich und entblößte seine verfaulten Zähne. Dann knöpfte er den obersten Knopf seiner groben Filzjacke zu, [...]

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Prolog


Als er an diesem kühlen Herbstmorgen die Haustüre öffnete und nach draußen trat, blieb er für einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Wie ein ausgewaschenes Leintuch spannte sich der Nebel über die Felder, eine Decke, die die Erde noch nicht dem Tag preisgeben wollte. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in den dämmrigen, von grauen Wolkenfetzen übersäten Himmel. Durch die Nase sog er die frische Morgenluft in seine Lungen, streckte sich und entblößte seine verfaulten Zähne. Dann knöpfte er den obersten Knopf seiner groben Filzjacke zu, zog sich seinen speckigen, zerschlissenen Hut tief ins Gesicht, griff sich die Axt, die in einem Baumstumpf gleich neben der Eingangstüre steckte, und stapfte los.
Es war kalt, aber er ging schnell, und schon bald hatten sich kleine Schweißtropfen auf der Stirn des stämmigen, breitschultrigen Mannes gebildet. Er hatte seinen Blick starr auf den Boden gerichtet, beobachtete, wie sich die Nebelschwaden teilten, wenn er sie mit seinen Stiefeln durchschritt, wie sie kleine Wirbel bildeten, die um seine Knöchel tanzten. Er mochte den Nebel.
Er hatte sich noch keine zweihundert Schritte vom Haus entfernt, da blieb er stehen. Er dachte, er hätte ein Geräusch gehört, aber jetzt, als er stand, war es absolut still um ihn herum. Die wenigen Geräusche, mit denen die Natur zu solch früher Stunde ihr Erwachen ankündigte, wurden vom Nebel beinahe gänzlich verschluckt. Er sah an seinem Haus vorbei auf den Hang. Dort war kein Nebel mehr. Als sein Blick auf den großen, gelblich-weißen Tuffstein fiel, verzogen sich seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen. „Nicht mit mir“, flüsterte er leise. Da könnten sie ihm noch so oft mit dem Tod drohen. Er hatte keine Angst. Dann setzte er sich wieder in Bewegung.
Nur das Schmatzen seiner Schuhe, die bei jedem Schritt ein wenig in den schlammigen, vom Dunst aufgeweichten Boden einsanken, begleitete ihn. Als er den Waldrand erreicht hatte, blickte er sich noch einmal um. Irgendetwas war heute anders. Er konnte es nicht erklären, denn alles schien wie immer. Wie gestern und vorgestern. Und den Tag davor. Alle Tage davor. Doch so plötzlich, wie das Gefühl gekommen war, verschwand es auch wieder. Er machte einen Schritt nach vorn und die Dunkelheit des Waldes verschluckte ihn.
Er hatte wie immer Mühe, sich den Weg durch das dämmrige Dickicht zu bahnen. Seine Augen waren nicht mehr die besten. Als ob es etwas nützen würde, rieb er mit seinen schmutzigen, rissigen Fingern über seine Lider. Dann sah er vor sich die Lichtung. Er beschleunigte seinen Schritt etwas. Schnell fand er den Baum, den er tags zuvor mit einem Kreuz markiert hatte. Er blieb stehen, zog die Jacke aus und breitete sie neben sich auf dem Boden aus. Dann löste er den Knoten seines Halstuchs und legte es auf die Jakke.
So machte er es immer.
Anschließend schnappte er sich die Axt mit beiden Händen, holte weit aus und schlug zu. Er war ein kräftiger Mann und schon beim ersten Hieb drang die Schneide tief ins Holz der Tanne. Die Rinde splitterte mit solcher Wucht, dass er kurzzeitig die Augen schließen musste. Er holte erneut aus. Die Axt pfiff durch die Luft, und noch bevor sie den Stamm traf, hörte er hinter sich ein Knacken. Als habe jemand im Gehen einen Zweig zertreten. Dann wurden die Geräusche vom Krachen der Axt übertönt, die nun, etwas schräger angesetzt, einen dicken Keil aus dem Baumstamm heraushieb.
Er ließ die Axt stecken und drehte sich um. Normalerweise hätte er dem Ganzen keine Aufmerksamkeit geschenkt, denn der Wald kannte viele Geräusche und nur Menschen, die nicht dauernd hier zu tun hatten, fanden sie unheimlich. Aber heute war es anders. Wieder meldete sich dieses merkwürdige Gefühl. Als er sich umdrehte, meinte er, einen Schatten hinter dem Stamm einer Fichte zu erkennen. Doch er hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn ihr Stamm kam mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zu. Er machte nicht einmal mehr einen Schritt zur Seite. Sein Mund öffnete sich, aber er kam nicht mehr dazu, zu schreien. Das letzte, was er in seinem Leben sah, war das Splittern der Rinde, als der Baum seinen Schädel spaltete.
Man schrieb das Jahr des Herrn 1657.


Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Er mäht das Korn, wenn’s Gott gebot; Schon wetzt er die Sense,
Daß schneidend sie glänze,
Bald wird er dich schneiden,
Du mußt es nur leiden;
Mußt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!


„Mei, schau, Erika, jetzt hab ich auch magische Kräfte“, sagte Kluftinger spöttisch zu seiner Frau, als er die Türe ihres Hauses in Altusried aufschloss. „Ich steck den Schlüssel ins Schloss und – Abrakadabra schwuppdiwupp – ist die Türe auf!“ Er drehte sich zu ihr, blickte sich in beide Richtungen um, neigte seinen Kopf und flüsterte verschwörerisch: „Das kommt von der Kraft des Illerwassers.“
Seine Frau seufzte. „Ja, ja. Mach du dich ruhig über mich lustig. Macht mir nix aus. Ob du das jetzt glaubst oder nicht, ist mir rechtschaffen egal.“
Erika Kluftinger ließ sich von den Spötteleien ihres Mannes nicht die Laune verderben: Immerhin hatte sich der Kemptener Kriminalkommissar einen Bonus erwirtschaftet, weil er – freilich nachdem sie einige Überzeugungsarbeit geleistet hatte – mitten unter der Woche einen Tag frei genommen hatte, um mit ihr zum Einkaufen nach Immenstadt zu fahren. Dort konnte man das nach Erikas Überzeugung viel gemütlicher als in Kempten, wo es – erst recht jetzt, nachdem das große neue Einkaufszentrum gebaut worden war – ziemlich hektisch zuging. Positiv schlug sich auf seinem Bonus-Konto außerdem die Tatsache nieder, dass er sich recht kooperativ gezeigt hatte, als es darum gegangen war, drei neue Hosen – darunter sogar zwei Jeans –, mehrere Hemden, zwei Pullover und eine wetterfeste Übergangsjacke zu kaufen.
Und was Erika nicht minder froh machte, war, dass auch sie einige Kleidungsstücke gefunden hatte, die, so versicherte sie glaubhaft, absolute Schnäppchen waren, was nun wiederum ihn sehr froh machte.
Anschließend hatte sie die Idee gehabt, noch beim so genannten „Ort der Kraft“ am Illerwehr bei Martinszell vorbeizufahren. Ihren Ehemann dazu zu überreden, war für sie ein Akt der Kraft gewesen, aber schließlich hatte er eingewilligt. Dass sie es tatsächlich geschafft hatte, erfüllte sie zu einem Drittel mit Freude, zum anderen Drittel mit dem sicheren Gefühl, ihren Gatten ganz gut dorthin lenken zu können, wo sie ihn haben wollte, und zum letzten Drittel mit blanker Verwunderung.
Denn er rühmte immer seine – beruflich bedingte – Rationalität und hielt ihr gerne lange Vorträge darüber, dass die Donnerstags-Horoskope in der Zeitung, die sie für besonders zutreffend hielt, auch nicht besser waren als der ganze andere „Astrologie-Schmarrn“.Vielleicht lag seine Nüchternheit daran, dass er als Kripo-Kommissar beruflich damit beschäftigt war, Rätsel zu entschlüsseln und nur an das zu glauben, was er sah.
Der „Ort der Kraft“ war für Kluftinger also ein rotes Tuch und das nicht erst, seit die Medien das Thema vor einigen Jahren entdeckt hatten. Laufend war damals über Menschen berichtet worden, die zu dem kleinen Wehr am Fluss pilgerten, weil dort am Wasser angeblich ein besonderes Kraftfeld bestehe, das Kranke heilen und auch sonst für Entspannung und mehr Lebenskraft sorgen würde. Er hatte als Kind oft an der Iller gespielt, weniger Schnupfen als andere Kinder hatte er deswegen aber nicht gehabt. Kluftinger tat solche „Spintisierereien“ in Diskussionen gerne mit der lapidaren Feststellung ab, dass er Heilung entweder in bewährten Hausmitteln oder gleich in Penicillin finde, Entspannung beim Bergsteigen oder gleich vor dem Fernseher suche und Lebenskraft ihm vor allem seine geliebten Kässpatzen mit Zwiebeln oder gleich der abendliche halbe Liter Bier aus seinem Steingutkrug verleihe.
Aber nun hatte er sich extra für seine Frau frei genommen, was kostete es ihn da schon, noch an diesem Kraftort vorbeizufahren? Außerdem boten sich dort zahlreiche Gelegenheiten, sie mit ihrem „Geistermist“ aufzuziehen.
Erika schob ihn durch die Haustür in den Flur und lehnte ihre beiden Einkaufstüten an das alte Nussbaumbüffet, das bei Kluftingers einfach „Gangschrank“ hieß und Platz für allerlei Zettel, das Telefon und sonstige „wichtige Dinge“ bot und somit das organisatorische Zentrum ihres Haushalts bildete. Mit dem Zwetschgendatschi, den sie auf dem Heimweg gekauft hatten, ging Erika in die Küche und stellte das Päckchen neben die Kaffeemaschine.
„Jetzt gibt’s dann einen Kaffee, ich zieh bloß noch schnell die Jacke aus“, rief sie ihrem Mann zu, der an der Garderobe stand und seine Hausschuhe anzog, hölzerne Clogs mit Kuhfellkappen.
„Soll ich Sahne schlagen?“, fragte Erika, obwohl sie die Antwort ihres Mannes bereits wusste, der sagen würde, ein Zwetschgendatschi ohne Sahne sei wie Kässpatzen ohne Zwiebeln.
„Ja freilich. Ein Zwetschgendatschi ohne Sahne ist ja wie ein Kraftort ohne Kraft.“
„Du wirst schon noch merken, dass da was dran ist“, sagte sie und hielt die Kaffeekanne in die Spüle. Doch als sie das Wasser aufdrehte, tat sich nichts. Der Hahn gab lediglich ein dumpfes Röcheln und Gurgeln von sich. „Du, da geht kein Wasser!“, rief Erika.
„Was? Gibt’s doch gar nicht. Schau doch mal im Bad.“
„Schau du doch mal, bitte.“
Kluftinger stand seufzend auf, schlurfte mit seinen Holzpantinen zum Badezimmer, öffnete die Tür und trat ein. Er war noch keine zwei Schritte gelaufen, da spürte er, wie es ihm die Beine wegzog. Er klammerte sich an die Klinke, um nicht hinzufallen. Als er wieder sicher stand, sah er den Grund für sein Manöver: Der ovale, eigentlich beige Baumwollteppich hatte eine bräunliche Farbe angenommen, eine leere Shampooflasche, die Kluftinger am Morgen neben den Abfalleimer gestellt hatte, trieb neben der ganz und gar mit Wasser bedeckten Waage.
„Kreuzkruzifix!“, schrie Kluftinger, als er sich des Ausmaßes der kleinen Katastrophe bewusst wurde. Ihm war ganz schlecht. Diese Sauerei! Unter dem Waschbecken hatten sich bereits einige Fliesen abgelöst, aus der Wand dahinter plätscherte noch immer Wasser auf den Boden. Das Bad, für das sie eigentlich eine Fußbodenheizung vorgesehen hatten, die aber wegen Kluftingers Furcht vor einem Bruch der Heizungsrohre nie eingebaut worden war, war gegenüber den anderen Räumen etwa fünf Zentimeter abgesenkt. Das dadurch entstandene Bassin war komplett mit Wasser voll gelaufen.
Wie gelähmt starrte Kluftinger auf den überschwemmten Boden. Dann drehte er sich hastig um und stürzte an der Küchentür vorbei in den Keller. Wieder rutschte er beinahe aus, diesmal auf den dunkelgrünen Fliesen der Treppe.
„Kruzifix, im Bad … “ war die einzige Information, die er seiner Frau im Vorbeieilen zukommen ließ.
Erika eilte zum Badezimmer. Nachdem ihr Mann den Haupthahn zugedreht hatte, gesellte er sich zu ihr. Wortlos standen sie an der Tür und blickten hinein. Wenigstens plätscherte kein Wasser mehr, vor ihnen lag ein stiller, beschaulicher See. Kluftinger hatte vorsichtshalber auch den Hauptschalter im Sicherungskasten umgelegt, schließlich standen Waschmaschine und Trockner bei ihnen im Bad, nicht im Keller, wo, wie Kluftinger fand, Hochwassergefahr immer gegeben war.
„Das darf doch nicht wahr sein“, sagte Erika schließlich mit jammervoller Stimme und lehnte sich an die Schulter ihres Mannes, der aus dem Keller bereits zwei Eimer und ein Kehrblech mitgebracht hatte. Er tätschelte Erika kurz den Kopf und bückte sich dann, um Schuhe und Socken auszuziehen und sich die Hose hochzukrempeln.
„Jetzt wird erst mal das Wasser aufgeputzt, dann schau ma weiter“, sagte er mit fester Stimme. Er ächzte leicht, als er in die Knie ging, die erste Schaufel durchs Wasser gleiten ließ und die Flüssigkeit, die sich in der Kehrschaufel gesammelt hatte, in den Eimer schüttete. Erika folgte ihm ein wenig zögerlich und trat mit den Hausschuhen in ihren hausgemachten Badesee.
Kluftinger schüttete gerade den ersten Eimer grau-bräunlichen Wassers in die Toilette, als er ein leises Klingeln hörte, das aus seiner Windjacke kam. Als er keine Anstalten machte, darauf zu reagieren, sagte seine Frau auffordernd: „Dein Handy … “
„Da werd ich jetzt grad rangehen, ja wahrscheinlich! Das wird schon wieder aufhören.“ Kluftinger bückte sich wieder und begann, den zweiten Eimer mit Wasser zu füllen. Aber das Telefon hörte nicht auf und trällerte weiterhin Toccata und Fuge in d-Moll von Bach. Kluftinger selbst hätte gar nicht gewusst, dass der eigentlich ganz ansprechende Klingelton vom berühmten Barockkomponisten stammte, aber Dr. Martin Langhammer, der Altusrieder Arzt, dessen Frau mit Erika befreundet war und den er wegen seiner Wichtigtuerei stets nur als „Zwangsbekanntschaft“ bezeichnete, hatte den Kommissar einmal darauf hingewiesen.
„Ja Herrschaftszeiten!“ Schimpfend schob sich Kluftinger an seiner Frau vorbei und ging, um mit seinen nassen Füßen möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, auf Zehenspitzen zur Garderobe, zog umständlich das Telefon heraus und blaffte ein missmutiges „Ja, was gibt’s denn?“ ins Handy.
Mehr hörte seine Frau nicht von ihm. Nur „Ja um Gottes Willen“ und dann einige gebrummte „mhm“ deuteten darauf hin, dass sich am anderen Ende der Leitung noch ein Gesprächspartner befand. Mit einem „Bin sofort da“ beendete er das Gespräch.
Sichtlich betroffen zog er sich seine Strümpfe wieder an und schlüpfte in die Schuhe. Seine Frau, die ihn die ganze Zeit aus dem Türrahmen des Badezimmers beobachtet hatte, fragte ihn nicht, wohin er wolle. Sie sagte nur: „Was Schlimmes?“
Kluftinger erhob sich, ging langsam zum Bad und antwortete angespannt: „Ich muss unbedingt weg.“ Dann drehte er sich um und ging. Nach ein paar Schritten wandte er sich noch einmal um: „Tut mir Leid, dass ich dich mit dem … “, er ließ seine Hand unbestimmt in der Luft kreisen, „ … allen allein lassen muss. Glaub mir, es geht nicht anders.“
Erika spürte, dass es ernst war.


***


Die Fahrt nach Rappenscheuchen dauerte nur etwa zehn Minuten, aber Kluftinger kam die Zeit länger vor. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Nicht nur, weil er seine Frau in dieser prekären Lage allein gelassen hatte, sondern vor allem, weil er regelrecht erleichtert war, dass er sich mit dieser Situation jetzt nicht mehr herumschlagen musste.
Sein schlechtes Gewissen sollte ihn jedoch nicht lange beschäftigen. Als er die letzten Kurven vor dem kleinen Weiler Zollhaus zwischen Krugzell und Kempten nahm, sah er schon von weitem die Polizeiwagen rechts oberhalb der Straße. Blaulichter zuckten hektisch, ein Krankenwagen stand mit geöffneten Türen in der Einfahrt des ersten Bauernhofes auf dem kleinen Hügel, mindestens ein Dutzend Polizisten lief geschäftig zwischen den Autos umher. Neben den uniformierten Beamten schien auch die Spurensicherung bereits vor Ort zu sein. Als Kluftinger seinen Blick wieder auf die Straße richtete, erschrak er. Mit aller Kraft stieg er aufs Bremspedal und stemmte seine Arme gegen das Lenkrad. Die Reifen quietschten, als das Auto schlagartig an Geschwindigkeit verlor. Die vor ihm fahrenden Autos bewegten sich nur noch im Schritttempo. Offenbar waren die Fahrer sehr interessiert an dem, was oberhalb der Straße vor sich ging.
Die Zornesröte stieg Kluftinger ins Gesicht. Wütend hämmerte er mit der Faust auf die Hupe. Wenn es etwas gab, was er hasste, waren es Gaffer. Sein Vordermann deutete ihm mit einigen Handbewegungen an, was er von seinem Gehupe hielt, beschleunigte dann aber seine Fahrt wieder. Wenn Kluftinger Zeit gehabt hätte, hätte er ihn gerne für die eben begangene Beleidigung zur Kasse gebeten.
Auf der Höhe der großen Gewächshäuser, bei denen er sich immer fragte, ob man für die dort kultivierten Pflanzen keinen besseren Platz hatte finden können als direkt neben einer viel befahrenen Straße, bog der Kommissar rechts ab.
Er zog die Brauen nach oben bei dem Gedanken, dass er Rappenscheuchen, an dem er ungezählte Male auf dem Weg nach Kempten vorbei gefahren war, nun auf diese Weise kennen lernen würde. Der etwas beleibte, grauhaarige Polizist, der an der Abzweigung dafür sorgte, dass sich keine Unbefugten mehr nach oben verirrten, winkte den Kommissar durch. Sie kannten sich von vielen gemeinsamen Dienstjahren und so nahm Kluftinger es ihm auch nicht übel, als er ihm ein „Das war aber ganz schön knapp grad!“ durchs offene Fenster zurief. Obwohl die Ortschaft, die eigentlich nur eine Ansammlung weniger Höfe war, erst etwa hundertfünfzig Meter oberhalb der Abzweigung begann, dort, wo die Straße nach links in die hügelige Landschaft bog, musste Kluftinger seinen Wagen schon nach wenigen Metern abstellen. Bis hier unten standen die Polizeiautos.
Wortlos, nur mit einem Kopfnicken als Gruß, schob sich der Kommissar zwischen den Fahrzeugen an den Beamten vorbei. Er versuchte, leise zu schnaufen, denn er wollte nicht, dass die Kollegen merkten, dass ihm schon dieser kleine Aufstieg zu schaffen machte. Obwohl er sich seit Jahren zu keiner Diät durchringen konnte, wollte er nicht als unsportlich oder gar dick gelten.
Eine vertraute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„So, haben wir dich bei der Kneippkur erwischt?“, fragte Maier, der ihn von oben hatte kommen sehen und ihm entgegengelaufen kam.
Kluftinger verstand nicht. Erst als er Maiers Blick an seinen Beinen entlang nach unten wandern sah, war ihm klar, was sein Kollege meinte. Er hatte seine Hose umgeschlagen, damit sie beim Abschöpfen des häuslichen Hochwassers, dem er gerade entkommen war, nicht nass wurde. Das Wasser hatte sich aber doch einige Zentimeter nach oben gesogen, wie er jetzt bemerkte. Kluftinger ging in die Hocke, um das Beinkleid wieder auf die gesellschaftlich erwünschte Länge zu bringen.
Von unten blickte er Maier an und fragte, dessen Scherz ignorierend: „Was gibt’s denn?“
Er horchte den Worten nach und fand auf einmal, dass sie irgendwie deplatziert klangen. So fragte er auch zu Hause, wenn er sich nach dem Essen erkundigte.
Maier blickte seinen Chef von oben herab an. Er blähte erst die Backen auf und stieß dann hörbar die Luft aus, bevor er ihm antwortete. Sein Grinsen war verschwunden; der hagere Mann mit dem gezimmerten Scheitel wirkte nun noch blasser als sonst. Kluftingers Magen krampfte sich zusammen. Er merkte, dass es ernst war. Schnell stand er auf. Zu schnell, denn es wurde ihm kurzzeitig schwarz vor Augen. Seine Knie drohten nachzugeben, und um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hielt er sich an Maier fest. Als er sich wieder im Griff hatte, ließ er seinen Kollegen schleunigst wieder los.
„Also … ?“, hakte er ungeduldig nach und ging weiter zwischen den Polizeiwagen in Richtung der Menschentraube, die sich auf dem Hof versammelt hatte.
„Ganz ehrlich, du kennst mich. Ich neige doch nicht zu Übertreibungen … “
Kluftinger fand, dass jetzt nicht der passende Zeitpunkt war, um Charakterfragen zu diskutieren. Deswegen antwortete er Maier mit einem gelogenen „Nein“.
„Genau. Aber das, also wirklich … da ist sogar mir schlecht geworden.“
Kluftinger prüfte misstrauisch das Gesicht seines Kollegen. Er war sich nicht sicher, was er mit dem „sogar mir“ hatte andeuten wollen. Vielleicht überinterpretierte er die Äußerung auch. Kluftinger bog jetzt in den Hof ein. Das Bauernhaus und die Ställe lagen links von ihm, nach rechts öffnete sich der Hof auf eine Wiese, an die sich ein kleines Waldstück anschloss.
Nur noch einen kleinen Hügel musste er erklimmen, dann war er bei der Menschenansammlung angelangt. In der Mitte erkannte er die blaue Baseballkappe von Georg Böhm, dem Pathologen. Und sah, wie sie wieder verschwand. Offenbar hatte sich der Arzt gebückt, zur Leiche, die der Kommissar dort vermutete.
„Liegt sie da?“, fragte er. Als er keine Antwort bekam, blickte er sich um. Maier war nicht mehr zu sehen. Kluftinger hatte gar nicht gemerkt, dass er am Zaun stehen geblieben war. Er sprach etwas in sein Diktiergerät.
Kluftinger ging noch ein paar Schritte, dann machte er mit einem Räuspern die Beamten auf sich aufmerksam. Als sie sich umwandten, erschrak er. Ihre Gesichter waren blass, einige atmeten schwer. Sie gingen auseinander, so dass in der Mitte eine Gasse frei wurde. Kluftinger sah jetzt, dass vor ihnen am Boden eine leblose Gestalt auf dem Rücken lag. Die Beine steckten in grauen Flanellhosen, die über und über mit Dreck besudelt waren. Der Blick auf den Oberkörper war ihm noch von Georg Böhm versperrt, der sich über den Toten gebeugt hatte. Als er merkte, dass die Umstehenden zurückwichen, wandte er den Kopf. Die blauen Augen unter der Baseballkappe wirkten trüb. Er stand auf und klopfte dem Kommissar im Vorbeigehen kraftlos auf die Schulter. Der Blick, der ihn traf, war voller Mitleid. Das verwirrte den Kommissar, doch er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Sein Blickfeld war nun frei. Und was er sah, raubte ihm für einen Moment den Atem.
Er presste die Zähne zusammen und blickte starr auf das Bild, das sich ihm bot. Vor ihm lag ein Mann, nur mit einer Hose, Strümpfen und einem ehemals weißen, jetzt ziemlich verdreckten Hemd bekleidet. Sein Kragen war von verkrustetem Blut dunkelrot, fast schwarz gefärbt. Eine tiefe, klaffende Wunde zog sich quer über den Hals des Mannes. Auf der Stirn klebte ebenfalls eingetrocknetes Blut. Doch das war es nicht, was den Kommissar und offenbar auch die anderen Kollegen so aus der Fassung brachte. Auf der Brust des Mannes lag, mit ausgebreiteten Flügeln, ein toter, pechschwarzer Vogel.
Kluftinger wollte schlucken, doch sein Mund war zu trocken. Er wartete darauf, dass ihm schlecht wurde, doch selbst dafür war er zu geschockt. Ihm war sofort klar, dass ihn diese Geschichte noch lange in Atem halten würde. Sie alle.
Er drehte sich um. Die anderen waren ein paar Schritte zurückgewichen. Er blickte in fragende Gesichter. Es schien ihm, als erwarteten sie, dass er irgendetwas sagte. Etwas, das die Situation weniger bedrückend erscheinen lassen würde. Aber ihm fiel nichts ein. Er drehte sich wieder zur Leiche. Schloss kurz die Augen. Zum einen, um die Fassung wieder zu gewinnen. Zum anderen, um endlich seinen Verstand arbeiten zu lassen. Das würde ihm auch helfen, das grausige Bild in den Hintergrund zu drängen. Aber er fand nichts, wo er hätte einhaken können. Die Todesursache schien offensichtlich: die aufgeschnittene Kehle, das viele Blut, das … Er stockte: Er hatte einen Punkt gefunden, an dem er ansetzen konnte. Er öffnete die Augen. „Das Blut … “, sagte er leise zu sich selbst.
„Respekt. Wir haben wesentlich länger gebraucht, um uns von dem Anblick zu erholen.“
Der Kommissar zuckte zusammen, als er die Worte dicht neben seinem Ohr vernahm. Georg Böhm, der Pathologe, war unbemerkt neben ihn getreten. Er nahm seine Baseballkappe ab, fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, dunkelbraunes Haar und zeigte mit der Kappe in Richtung der Leiche.
„Wir meinen doch beide dasselbe, oder?“, fragte er.
„Das Blut. Wo ist das Blut?“, antwortete Kluftinger mit Blick auf den Toten.
Böhm schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Abgesehen von dem, womit sich sein Kragen voll gesogen hat, haben wir nichts gefunden.“
Kluftinger sah ihn entgeistert an.
„Keinen Tropfen“, schob Böhm nach.
Der Kommissar musterte den jungen Arzt. In seinen verwaschenen Jeans, seinen weißen Turnschuhen und der abgewetzten Cordjacke wirkte er irgendwie deplatziert. Ein Grund mehr, ihn sympathisch zu finden, dachte er.
„Er ist also nicht hier ermordet worden“, folgerte er. Er überlegte kurz und fragte dann: „Gibt es irgendwelche Spuren? Von einem Wagen oder so? Irgendwie muss er ja hergekommen sein.“
„Ist jetzt zwar nicht mein Metier, aber so viel ich weiß, hat man nichts gefunden.“ Böhm hatte die Hände in den hinteren Hosentaschen vergraben und deutete mit dem Kopf auf die Leiche. „Willst du ihn dir nicht mal genauer anschauen? Ich würde ihn dann gern mitnehmen … “
Kluftinger nickte. Er würde sowieso nicht darum herum kommen, also konnte er es genauso gut schnell hinter sich bringen. Seine Knie knackten, als er rechts von dem Toten in die Hocke ging. Mordopfer waren nichts allzu Ungewöhnliches für ihn, aber auch nicht tägliches Brot für einen Kriminaler im in dieser Hinsicht wirklich recht ruhigen Allgäu. Der Anblick einer Leiche brachte ihn jedenfalls immer aufs Neue aus der Ruhe. Das hier war außerdem anders als alles, was er bislang gesehen hatte. Er kämpfte eine Weile mit sich, dann gestand er es sich ein: Es war unheimlich. Der tote Vogel verlieh der Szenerie eine gespenstische Stimmung. Dazu kam, dass es ein zwar trockener, aber dunstiger Herbsttag war. Die trübe Atmosphäre mit den zaghaften Nebelschlieren, die langsam aus dem Boden krochen, ließen alles noch düsterer erscheinen.
Kluftingers Blick wanderte das verschmutzte Hemd des Mannes weiter nach oben. Die rechte Hand ruhte auf einem viereckigen Blech, das offenbar einem großen Stein als Abdeckung diente. Sein Hemd sah aus, als hätte ihn jemand durch den Dreck gezogen. Die Spuren hätten allerdings auch von einem Kampf stammen können. Der Kommissar erhoffte sich von der Obduktion Aufschluss über diese Frage. Eine Antwort allerdings würde sie nicht geben können: Was sollte der Vogel, eine Krähe, auf der Brust des Opfers? Jemand hatte ihn dort sorgfaltig drapiert: mit gespreizten Flügeln, den Kopf zur Seite gedreht. Was hatte das zu bedeuten? Kluftinger schüttelte den Kopf. Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass das hier eine Nummer zu groß für ihn war.
Er betrachtete nun die Halswunde. Ein sauberer Schnitt war das. Und ziemlich tief. Jemand musste ein scharfes Messer zur Hand gehabt haben. Das Gesicht des Mannes wies einige Schürfwunden auf, auf der Stirn hatte er eine kleine Platzwunde und in den schütteren, dunklen Haaren klebte Dreck. Weitere Einzelheiten konnte er nicht erkennen, denn der Kopf der Leiche war von ihm abgewandt. Er näherte sich mit seiner Hand dem Gesicht, um den Kopf herumzudrehen, machte aber mitten in der Bewegung halt. Er wollte den Mann nicht anfassen. Er hätte das bei keiner Leiche machen wollen. Und bei dieser hier schon gar nicht.
Er blickte sich Hilfe suchend um. Böhm stand ein paar Schritte hinter ihm. Er verstand und nickte dem Kommissar zu. Als er sich auf der anderen Seite der Leiche ebenfalls hingehockt hatte, griff er ans Kinn des Toten. Mit einem „Nicht erschrecken“ drehte er das Gesicht des Mannes nach oben.
Es nützte nichts, der Kommissar erschrak trotzdem. Das heißt: Eigentlich krampfte sich sein Magen so stark zusammen, dass er Mühe hatte, seinen Inhalt nicht Preis zu geben. Das rechte Auge des Toten war nicht mehr vorhanden. Jedenfalls war das, was davon übrig war, als Auge kaum mehr zu identifizieren. Kluftinger wandte sich ab. Er stand auf und ging schnell ein paar Schritte in Richtung der Bäume. Er tat so, als würde er den Tatort inspizieren, aber er war sich sicher, dass er niemandem etwas vormachen konnte. Direkt hinter den Bäumen fiel das Gelände stark ab, genau wie er es vermutet hatte. Er lehnte sich an einen Baum und atmete tief durch. Nach wenigen Atemzügen glaubte er, sich wieder im Griff zu haben.
„Kannst ihn mitnehmen“, sagte er zu Böhm. Als er sah, wie die Beamten den Vogel von der Brust des Toten hoben und ihn in einen durchsichtigen Plastiksack steckten, stellten sich seine Nackenhaare auf. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hätte er jetzt gern wieder eine Zigarette geraucht.
Er sah sich um. Erst langsam machte der Anblick des Toten den weiteren Eindrücken des Fundorts Platz. Kluftinger suchte nach seinen Kollegen. Maier stand noch immer verloren in der Hofeinfahrt. Strobl hatte er noch nicht entdeckt. Aber auf den wollte er jetzt auf gar keinen Fall verzichten. Er ließ seinen Blick so lange über das Gelände wandern, bis er seinen strohblonden Haarschopf sah. Er stand an der Ecke des Bauernhauses und war in ein Gespräch mit einem bärtigen Mann in Arbeitshose und Gummistiefeln vertieft. Kluftinger winkte, um auf sich aufmerksam zu machen, doch Strobl bemerkte ihn nicht. Stattdessen fühlte sich Maier von seinem Winken angesprochen und ging zögernd auf den Kommissar zu. Dabei huschte sein Blick immer wieder in Richtung der Leiche, die gerade von vier Beamten auf eine Trage gehoben wurde. Kluftinger seufzte und setzte sich ebenfalls in Bewegung, allerdings in Richtung Strobl.
Als er an der Leiche vorbeikam, drehte sich sein Kopf wie ferngesteuert in Richtung des Toten. Der Kopf des Mannes lag nun so, dass seine Halswunde noch weiter auseinander klaffte. Kluftinger wandte sich mit Grausen wieder ab. Doch das Bild vor seinen Augen blieb. Der Kommissar stoppte. Er konnte es sich nicht erklären, aber die Einzelheiten fielen ihm oft erst auf, wenn er den Blick schon abgewandt hatte. Als würde sein inneres Auge viel schärfer sehen. Auch jetzt war es so: Etwas lag in der Wunde.
Er machte kehrt. „Halt, wartet, noch nicht“, rief er den Kollegen zu, die gerade den Reißverschluss des dunklen Plastiksacks zuziehen wollten, in den sie den Toten gelegt hatten. Er beugte sich über den Toten und neigte seinen Kopf hin und her. Er war so konzentriert, dass er gar nicht darüber nachdachte, was er da eigentlich tat. Ohne den Vogel hatte der Anblick des Toten außerdem etwas von seinem Schrecken verloren. Verdutzt sahen ihn die Beamten an. Böhm, der bereits auf dem Weg zum Wagen gewesen war, hatte die Szene mitbekommen und machte kehrt.
„Suchst du was Bestimmtes?“, fragte er.
„Ich weiß nicht. Irgendwas ist da, schau doch mal.“
„Wo? Ich seh nichts!“
Kluftinger zeigte mit dem Finger auf eine Stelle am Hals. Dabei drehte er den Kopf angewidert etwas zur Seite. Jetzt sah Böhm es auch.
Er pfiff anerkennend. „Du musst ja Adleraugen haben.“
Er streifte sich einen Gummihandschuh über und näherte sich der Wunde. Kluftinger ging zwei Schritte zurück und beobachtete, wie Böhm ein pfenniggroßes, weißes Stück Plastik hervorzog. Er stand auf, betrachtete es von allen Seiten und hielt es dann ratlos Kluftinger unter die Nase, was diesen veranlasste, noch weiter zurückzuweichen.
„Was meinst du … ?“
Kluftinger runzelte die Stirn. „Sieht aus wie ein Stück … Papier … vielleicht auch Folie oder so.“
Böhm zuckte mit den Achseln. „Ich schau mir das mal an.“
Mit diesen Worten steckte er seinen Fund in eine Plastiktüte und ließ einen skeptisch dreinblickenden Kommissar zurück.

Volker Klüpfel

Über Volker Klüpfel

Biografie

Volker Klüpfel, geboren 1971 in Kempten, aufgewachsen in Altusried, studierte Politikwissenschaft und Geschichte. Danach arbeitete er bei einer Zeitung in den USA und stellte beim Bayerischen Rundfunk fest, dass ihm doch eher das Schreiben liegt. Seine letzte Station vor dem Dasein als...

Michael Kobr

Über Michael Kobr

Biografie

Michael Kobr, geboren 1973 in Kempten, studierte in Erlangen Romanistik und Germanistik, und war danach als Lehrer tätig. Momentan hat er schweren Herzens dem Klassenzimmer den Rücken gekehrt, um sich dem Schreiben, den ausgedehnten Lesetouren und natürlich seiner Familie widmen zu können. Kobr...

Medien zu „Erntedank (Kluftinger-Krimis 2)“

Weitere Titel der Serie „Kluftinger-Krimis“

Kommissar Kluftinger, die Hauptfigur der Krimireihe von Michael Kobr und Volker Klüpfel, wohnt in Altusried im Allgäu, ist Kriminalhauptkommissar bei der Polizei in Kempten und glücklich verheiratet mit Erika, mit der er einen Sohn namens Markus hat. Kluftinger mag keine Leichen, er leidet unter Flugangst, tut sich mit Fremdsprachen schwer, hat weder für modische Accessoires noch für technische Neuerungen etwas übrig, fährt einen uralten VW Passat Diesel und liebt deftige Speisen wie Kässpatzen. Sein Intimfeind ist der Arzt Dr. Martin Langhammer, der unglücklicherweise ebenfalls in Altusried wohnt. Dessen Gattin Annegret ist mit Erika, Kluftingers Frau, eng befreundet. An Kluftingers Seite ermitteln seine Kollegen Strobl, Maier und Hefele.

Pressestimmen
Die Welt

Kommissar Kluftinger hat in seinen Kniebundhosen durchaus das Zeug zum Columbo von Altusried. Und schon deshalb wird dieser Krimi auch über die Grenzen des Allgäus hinaus bekannt werden.

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