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Darling Venom – Ihre Liebe ist sein Lieblingsgift Darling Venom – Ihre Liebe ist sein Lieblingsgift - eBook-Ausgabe

Parker S. Huntington
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Roman

— Dieses Buch bringt ganz #BookTok zum Weinen!

„Darling Venom ist so viel mehr als Age Gap, Slow Burn oder Forbidden Romance. Es ist der Kampf ums Happy End, in einem Leben voller Zweifel und Selbsthass.“ - throne.of.ebooks

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Darling Venom – Ihre Liebe ist sein Lieblingsgift — Inhalt

Dieses Buch wird dein Herz brechen und wieder zusammensetzen

Am Valentinstag steigt Charlotte nachts auf das Dach ihrer High School, bereit, alles zu beenden. Doch es ist schon jemand dort: Kellan, der Außenseiter der Schule. Unter anderen Umständen hätten sie nie miteinander gesprochen. Aber in dieser Nacht ist alles anders, und sie schließen einen Pakt: Jedes Jahr am selben Tag, zur selben Zeit, am selben Ort werden sie sich treffen. Kellan verlangt von Charlotte allerdings, dass sie ihn außerhalb dieser Treffen nicht anspricht. In den darauffolgenden Jahren werden ihre Gespräche immer intimer und die Verbindung zwischen ihnen stärker. Bis Charlotte gegen das Versprechen verstößt und fortan mit den Konsequenzen leben muss. Manchmal raubt ihr das die Luft zum Atmen. Vier Jahre später trifft sie auf Kellans Bruder Tate. Können sie gemeinsam einen Weg aus dem Dunkel finden? 

Eine emotionale Achterbahnfahrt für LeserInnen von Colleen Hoover und Penelope Douglas!

Ugly Cry, Forbidden Romance, Age Gap, Slow Burn: Die besten Tropes vereint in einem Roman! 

€ 17,00 [D], € 17,50 [A]
Erschienen am 27.06.2024
Übersetzt von: Michaela Link
624 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06579-5
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 27.06.2024
Übersetzt von: Michaela Link
624 Seiten
EAN 978-3-492-60676-9
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Leseprobe zu „Darling Venom – Ihre Liebe ist sein Lieblingsgift“

Prolog Charlotte, 13


„Bitte, geh heute Abend nicht aus. Bitteeeee.“ Ich presste die Handflächen zusammen und schenkte Leah meinen schönsten Hundeblick. „Bitte, bitte, bitteeeeee.“ Ich kroch über ihr Bett, über die bunte Patchworkdecke. Mein breites, leicht übertriebenes Lächeln verbarg den Kloß, der mir vor Panik die Kehle zuschnürte. Ich hatte das Gefühl, als würde die Welt untergehen, falls meine Schwester jetzt gehen würde.

Leah hatte gerade vor dem Spiegel eine Strähne ihres ebenholzschwarzen Haars mit einem Lockenstab eingedreht. Jetzt federte die [...]

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Prolog Charlotte, 13


„Bitte, geh heute Abend nicht aus. Bitteeeee.“ Ich presste die Handflächen zusammen und schenkte Leah meinen schönsten Hundeblick. „Bitte, bitte, bitteeeeee.“ Ich kroch über ihr Bett, über die bunte Patchworkdecke. Mein breites, leicht übertriebenes Lächeln verbarg den Kloß, der mir vor Panik die Kehle zuschnürte. Ich hatte das Gefühl, als würde die Welt untergehen, falls meine Schwester jetzt gehen würde.

Leah hatte gerade vor dem Spiegel eine Strähne ihres ebenholzschwarzen Haars mit einem Lockenstab eingedreht. Jetzt federte die Locke ihr über der Schulter wie eine Papierschlange. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, wischte einen einsamen Lippenstiftfleck weg und klebte förmlich an ihrem makellosen Spiegelbild. „Sorry, Süße, ich kann nicht. Es ist meine erste Collegeparty, und Phil ist superaufgeregt. Können wir das aufs nächste Wochenende schieben?“

Phil war Leahs Freund, und es gab drei Dinge, die Phil mochte: Erstens, Leah völlig in Beschlag zu nehmen. Zweitens, mich völlig ernst Plan B zu nennen. Und drittens, mich anzufunkeln, wann immer Leah nicht hinsah, bis ich das Gefühl hatte, dass er in mein Innerstes spähte.

Leah schnappte sich ihre Clutch und ging mit wiegenden Hüften zur Tür. Sie trug einen Minirock, der unserem Dad einen Herzinfarkt beschert und ihr von Mom Geschirrspüldienst bis in alle Ewigkeit eingehandelt hätte. Zu Leahs Glück schliefen beide bereits.

„Penny!“, platzte ich heraus, sprang auf die Füße und klang genauso verzweifelt, wie ich mich fühlte. Wieso hatte ich nicht eher daran gedacht? „Penny, Penny, Penny. Geh nicht.“

Penny war unser Codewort, eine todernste Sache. Penny übertrumpfte Jungs. Und Partys. Und den Verlust von Leahs Jungfräulichkeit an einen miesen Soziopathen. Ich wollte unbedingt verhindern, dass Leah heute Nacht ihre Jungfräulichkeit an Phil verlor. Ich hatte die beiden neulich am Telefon darüber reden hören und seither nicht mehr geschlafen.

Leah hielt nicht mal kurz inne. Mein Herz zerbrach in tausend Scherben. Welchen Sinn hatte ein Codewort, wenn es überhaupt nichts wert war?

„Tut mir leid, Lottie, nächstes Mal, Süße.“

Mir fiel auf, dass sie ihr Päckchen Mentholzigaretten auf ihrer Ankleidekommode vergessen hatte – unübersehbar für jeden, der ihr Zimmer betreten würde. Wut kochte in mir hoch. Scheiß drauf! Ich hoffe, Mom wird wach und sieht dich.

Leah blieb auf der Türschwelle stehen und sah sich noch mal nach mir um. „Ach, verdammt, okay.“ Sie schob eine Hand in ihre Clutch, stöberte darin herum und drückte mir dann, um mich zu besänftigen, einen Penny in die Hand. „Hey, Lottie, einen Penny für deine Gedanken.“

Seufzend akzeptierte ich, dass sie gewonnen hatte, und drehte die Münze zwischen den Fingern. Hoffentlich wurde sie nicht schwanger. Ich hätte ihr am liebsten gesagt, dass sie aufpassen müsse, aber als ich das letzte Mal das Thema Phil angeschnitten hatte, hätte sie mich fast enthauptet. Sie wusste, dass ich ihn verabscheute. Es hieß ja immer, dass Liebe blind macht. Was viele aber vergaßen, war, dass Liebe zudem auch blöd machte.

„Hoffentlich verliebe ich mich nie. Wenn man verliebt ist, ist man einfach richtig dumm.“

Leah verdrehte die Augen, kam zurück ins Zimmer geschlendert und drückte mir einen Kuss auf den Kopf. „Ich hoffe, es passiert dir trotzdem. Wenn man sich verliebt, fühlt man sich unsterblich. Willst du das nicht auch?“ Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern stürmte auf den Flur. Ihre Schritte wurden zu einem dumpfen Dröhnen, als sie die Treppe hinunterschoss, bevor Mom sie noch erwischte. Sie preschte durch die Haustür und Phil direkt in die Arme.

Ich streckte den Kopf aus dem Fenster ihres Zimmers, obwohl ich wusste, dass es wehtun würde, die beiden zu sehen, aber ich schaute trotzdem hin. Er lehnte an dem vor sich hinschnurrenden Hummer, als er sie umfing, grapschte dann nach ihrem Hintern, drängte ihr seine Zunge in den Hals, hob den Blick und starrte direkt zu mir herauf. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie vor meinen Augen vernaschte. Ich schnappte nach Luft, schaltete die Lampe aus und schlüpfte unter Leahs bunte Patchworkdecke. Das Grauen, das ich den ganzen Abend schon verspürt hatte, schoss nun in mir hoch und aus jeder einzelnen Pore meiner Haut hinaus.

Wenn man sich verliebt, fühlt man sich unsterblich. Willst du das nicht auch?

Nein, dachte ich verbittert. Der Tod macht mir keine Angst.



TEIL 1

DER STURZ


Kapitel 1 Charlotte, 14


Ich werde ohne jegliche Narben sterben. Ohne Erfahrungen, ohne Kriegswunden, ohne irgendwelche Spuren, dass ich je gelebt hab. Ohne jemals Bungee-Jumping versucht oder eine Fremdsprache gelernt zu haben. Und ohne jemals geküsst worden zu sein.

Diese Vorstellung setzte sich in meinen Gedanken fest, während ich in der U-Bahn superschlecht gelaunt das Paar mir gegenüber beobachtete. Sie machten schon rum, seit ich in der Bronx in den Waggon gesprungen war, und sicherlich würden sie so weitermachen, bis ich in Manhattan ausstieg. Er griff ihr unter das Minikleid, packte ihren Oberschenkel und hinterließ scharlachrote Male auf ihrer Haut. Ich tat so, als würde ich lesen, und beobachtete die beiden über den Rand des Taschenbuchs, das ich in der Hand hielt. Unterwegs von Jack Kerouac. Ihre Küsse waren einfach nur eklig. Ein gieriges Schlabbern, durchmischt mit dem unerträglichen Quietschen des pinkfarbenen, herzförmigen Luftballons, den er über ihr Bein rieb.

Mein Blick wanderte zu den anderen Fahrgästen. Berufstätige, junge Leute. Ein paar Angestellte, die Blumen und Wein dabeihatten, Frauen, die ihr Make-up auffrischten. Ein Pärchen, das in der Ecke saß und aufeinander abgestimmte kirschrote I’m with Stupid-T-Shirts trug.

Einige waren klein, einige groß. Manche dick, manche dünn. Die einen alt, die anderen jung. Doch sie alle hatten eins gemeinsam – es war ihnen scheißegal, ob ich heute Nacht starb. Zwar hatte ich mir nicht „Ich bin suizidgefährdet“ auf die Stirn tätowiert. Trotzdem … ich war ein Teenie, allein unterwegs, und ich sah echt scheiße aus mit meinem zerzausten Haar, das ich seit Wochen nicht mehr gekämmt hatte, dem gehetzten Ausdruck in den Augen und der Zahnlücke, von der Mom steif und fest behauptet hatte, dass sie absolut liebenswert wäre – einfach nur, weil sie keinen Bock gehabt hatte, viel Geld für eine Spange auszugeben.

Die Mascaraspuren unter meinen Augen verdankte ich meinem fünfstündigen Nervenzusammenbruch, bevor ich in diese Bahn gehetzt war. Ich trug geringelte Kniestrümpfe, einen kurzen, schwarzen Rock, Secondhand-Doc-Martens und eine Jeansjacke, auf die ich mit einem Edding Zitate aus meinen Lieblingsbüchern gekritzelt hatte.

„Her future needed her, so she turned her back on her past.“

„Perfection is profanity. Icy, hostile, and unattainable.“

„She believed she could, so she did.“

Absoluter Schwachsinn.

Ich stieg mehrmals um. Andere Bahnsteige. Andere Bahnhöfe. Der U-Bahn-Geruch haftete meinen Kleidern an – ein erdiger Hauch, die Aromen von billigem Fast Food und Schweiß. Heißer Wind schoss mir von dem Zug entgegen, als er näher kam, und wehte mir das Haar ins Gesicht.

Kurz kam mir der Gedanke, mich auf die Gleise zu werfen und das Ganze einfach hinter mich zu bringen. Nein, definitiv nicht, Charlotte. Das wäre höllisch banal. Erstens war das der schmerzhafteste Tod aller Zeiten. Zweitens verabscheute ich Menschen, die das taten. Vor allem während der Rushhour. Was war nur mit diesen Arschlöchern los, die darauf bestanden, sich auf die Gleise zu werfen, wenn alle anderen entweder auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule waren oder gerade von dort zurückkamen? Wann immer ich in einer vollen U-Bahn war, eingeklemmt zwischen menschlichen Sardinen, ihr Schweiß so greifbar, dass ich ihn auf der Zunge schmecken konnte, und durchgesagt wurde, wir würden feststecken wegen eines „Personenschadens“, hätte ich am liebsten die Stirn gegen die Scheibe geschlagen.

Und drittens hatte ich die Idee, mich von einem Dach in mein Verhängnis zu stürzen, aus einem Buch von Nick Hornby, und der literarische Touch gefiel mir.

Ja, zurück zum ursprünglichen Plan.

Ich stieg in die Bahn, steckte mir meine billigen AirPods in die Ohren und wischte mich durch mein Smartphone. Watermelon Sugar übertönte den Lärm von draußen. Ob Harry Styles je daran gedacht hatte, Selbstmord zu begehen? Bestimmt nicht. Ich rollte Unterwegs zusammen und stopfte es in die Gesäßtasche meines Rocks.

Ich hatte Leah erzählt, ich würde zu einer Party gehen, aber sie war von ihrer Doppelschicht in dem Weinlokal bei uns in der Nachbarschaft zu erledigt gewesen, um zu registrieren, dass vierzehnjährige Mädchen am Valentinstag um zehn Uhr abends nicht auf irgendwelche Partys gehen sollten. Außerdem hatte sie meinen Geburtstag heute vergessen. Oder vielleicht hatte sie so getan, als wäre er ihr entfallen, weil sie sauer war. Nicht, dass ich ihr einen Vorwurf gemacht hätte. Keine Ahnung, wie sie mir überhaupt in die Augen schauen konnte.

Keine Sorge, das würde sie gar nicht.

Das war nicht der einzige Grund, warum ich mich heute Nacht umbringen würde. Aber einer davon. So war es mit der Verzweiflung. Sie baute sich ganz langsam auf wie der Jenga-Turm. Immer höher und höher, immer wackliger. Ein einziger nicht genau gesetzter Stein, und man hatte verloren.

Meine Schwester hasste mich. Sie hasste mich jedes Mal, wenn sie in den Spiegel sah. Jedes Mal, wenn sie zu einem Job ging, den sie verabscheute. Sie hasste jeden meiner Atemzüge. Zufällig war sie aber auch die einzige Person auf dieser Welt, die mir noch geblieben war. Mein Tod würde eine Erleichterung sein. Sicher, zu Anfang würde sie schockiert sein. Verstört. Sogar traurig. Aber sobald diese Gefühle vergingen …

Mein Selbstmord entsprang einer engmaschigen Konstellation aus Tragödien, zusammengenäht von Pech, Umständen und Verzweiflung. Aber dass sie meinen Geburtstag in diesem Jahr einfach vergessen hatte? Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Was tatsächlich irgendwie witzig war, wenn man darüber nachdachte.

Ich ging die Treppe hinauf zum Cathedral Parkway. Eiskalter Wind schlug mir ins Gesicht und kühlte meine heißen Wangen. Der Soundtrack des Verkehrs in Manhattan, Autohupen und das Geschrei betrunkener rücksichtsloser Typen, drang an meine Ohren. Ich schritt vorbei an Firmengebäuden, schicken Apartmentblocks und historischen Denkmälern. Dad hatte immer gesagt, dass ich in der besten Stadt der Welt geboren worden bin. Irgendwie erschien es mir nur fair, dass ich auch hier starb.

Ich bog in eine Nebenstraße ein und erreichte meine Schule. Es war mein erstes Jahr an der St. Paul, einer Schule im besseren Teil der Stadt, in die man vom Kindergarten bis zum Highschool-Abschluss gehen konnte. Ich hatte ein volles Stipendium, etwas, das Rektorin Brooks mir mit Genuss unter die Nase gerieben hatte, bis es zu der einen Nacht gekommen war. Danach hatte sie wohl das Gefühl gehabt, dass es unmoralisch wäre, sich gegenüber einem Kind, das gerade seine Eltern verloren hatte, wie eine Bitch aufzuführen.

Das Stipendium hatte ich eigentlich nur bekommen, weil ich in der mittelmäßigen Grund- und Mittelschule eines anderen Stadtteils die beste Schülerin gewesen war. Irgendeine kulturliebende Dame aus der Upper East Side hatte beschlossen, meine Gebühren für die Privatschule zu zahlen, bis ich meinen Abschluss machte, im Rahmen irgendeiner Wohltätigkeitssache. Letztes Jahr hatte Mom mich gezwungen, ihr einen Dankesbrief zu schreiben. Sie hatte nie geantwortet.

Ich war noch gar nicht so lange auf der St. Paul, um die Schule wirklich so richtig zu hassen. Das war also nicht der Grund, warum ich beschlossen hatte, mich vom Schuldach zu stürzen. Aber es war praktisch unmöglich, die vergitterte Treppe an der Seite des sechsstöckigen, edwardischen Monstrums nicht zu bemerken, die zum Dach hinaufführte. Eine so bequeme Location für einen Selbstmord, dass es geradezu kriminell gewesen wäre, einen anderen Ort vorzuziehen.

Anscheinend wusste das Kollegium von St. Paul, dass es keine gute Idee war, übermäßig gestressten Schülern Zugang zum Dach zu gewähren, aber die Treppe hatte bleiben müssen. Irgendein Bullshit von wegen Gesundheit und Sicherheit. Das Gitter war mit einer Kette gesichert, aber man konnte leicht hinüberklettern. Was ich tat, bevor ich ohne Hast die Treppe hinaufstieg. Der Tod konnte schließlich ruhig noch ein paar Minuten warten. Ich hatte mir das Ganze schon so oft in Gedanken ausgemalt, und zwar so intensiv, dass ich es schon fast fühlen konnte: statische Stille, ausgehende Lichter, allgemeine Taubheit, totale Glückseligkeit.

Als ich oben ankam, die letzte Stufe erreichte, entschied ich mich spontan, die Innenseite meines Handgelenks über das rostige Geländer streichen zu lassen. Wie aufs Stichwort erschien Blut. Jetzt würde ich mit einer Narbe sterben.

Meine Hände waren klebrig, und ich war außer Atem, als ich das dunkle Scharlachrot auf meinem Rock verteilte. Ich blieb wie angewurzelt stehen, als meine Füße auf den tintenfarbenen Dachziegeln landeten. Das Dach war geneigt. Drei Schornsteine ragten in den Himmel, ihre Mündungen waren rußgeschwärzt. Vor mir erstreckte sich New York in seiner ganzen morbiden Pracht. Der Hudson. Die Parks. Kirchtürme und Hochhäuser steckten teilweise in den Wolken. Die Lichter der Stadt tanzten über den dunklen Horizont. Diese Stadt hatte Kriege und Seuchen erlebt, Brände und Schlachten. Mein Tod würde es wahrscheinlich nicht mal in die Nachrichten schaffen.

Dann bemerkte ich etwas. Etwas, das ich nicht erwartet hatte. Genau genommen nicht etwas, sondern jemanden. Und dieser Jemand saß eingemummt in einen schwarzen Hoodie und Jogginghosen mit dem Rücken zu mir am Rand des Daches und ließ die Füße hinunterbaumeln. Die Schultern hatte er mutlos nach vorn gezogen und spähte nach unten, bereit zu springen. Er beugte sich vor, Zentimeter für Zentimeter. Langsam. Entschlossen. Gelassen.

Die Entscheidung, ihn aufzuhalten, war wie ein Urinstinkt. So wie man zusammenzuckte, wenn jemand einem etwas ins Gesicht warf.

„Tu es nicht!“, brüllte ich.

Er erstarrte. Ich wagte es nicht, zu blinzeln, aus Angst, dass er fort sein könnte, wenn ich die Augen wieder öffnete.

Und zum ersten Mal seit der einen Nacht fühlte ich mich nicht wie ein totales Stück Scheiße.



Kapitel 2 Kellan


Ich wette, alle werden fragen: Warum? Warum hat er das getan? Warum hat er sich wie ein Spinner angezogen? Warum sollte er seinem Bruder so übel mitspielen?

Na ja, ich werde jetzt mal Licht in die verfickte Angelegenheit bringen. Ich hab es getan, weil Tate Marchetti ein Hurensohn war. Glaub mir, ich hab mit dem Kerl gelebt. Er hat mich von meinem Vater weggerissen und es dabei nicht mal für nötig gehalten, mich zu fragen, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Wenn ich zweimal sterben könnte, nur um es meinem großen Bruder unter seine selbstgefällige Nase zu reiben, würde ich das mit Freuden tun.

Egal, jetzt zu meinem Selbstmord: Es war keine überstürzte Entscheidung. Das Urteil darüber hat sich im Lauf der Jahre von selbst gebildet. Dann, letzte Woche, hab ich eine Pro-und-Contra-Liste gemacht (ein Klischee, ich weiß). Und mir ist nicht verborgen geblieben, dass ein Teil der Liste ziemlich kurz ausfiel.

 

Pro:

●           Tate wird einen Herzinfarkt bekommen.

●           Keine Schule mehr.

●           Keine Hausaufgaben mehr.

●           Keine irren Muskelprotze mehr, die mich vermöbeln, weil sie zu viel Euphoria gucken.

●           Keine Harvard-oder-Yale-Diskussionen mehr beim Abendessen (werde mit meinen Zensuren von keiner der beiden Unis angenommen werden, selbst wenn Dad ihnen drei Gebäudeflügel, ein medizinisches Forschungszentrum und eine Niere spendet).

 

Contra:

●           Werde Dad vermissen.

●           Werde meine Bücher vermissen.

●           Werde Charlotte Richards vermissen – Anmerkung: Ich kenne sie nicht mal. Was macht es also, dass sie hübsch ist? WTF?

 

Ich zog eine Dose Bud Light aus meinem Rucksack und trank sie in einem Zug leer. Das Bier war schaumig vom Weg hierher, und meine Fingerspitzen waren halb erfroren. Ich sollte es einfach hinter mich bringen. Doch bevor ich genau das tun konnte, erregte etwas meine Aufmerksamkeit: Das Tapp-Tapp-Tapp von Schritten, die die Treppe hinaufkamen.

Was zum …?

Tate wusste nicht, dass ich hier war, und selbst wenn er es durch irgendeine wundersame Fügung erfahren haben sollte … er steckte gerade mitten in seiner Nachtschicht im Morgan-Dunn-Hospital. Es konnte also nur jemand anders aus St. Kotz sein, der dieselbe versteckte Stahltreppe entdeckt hatte. Wahrscheinlich ein betrunkenes Pärchen, das sich für eine schnelle Nummer hier heraufschlich.

Ich beugte mich vor, um zu springen, bevor sie mich entdeckten, als ich es hörte: „Tu es nicht!“

Ich erstarrte und drehte mich nicht um. Die Stimme klang vertraut, aber ich gestattete mir nicht, zu hoffen, denn wenn sie es war, hatte ich definitiv Halluzinationen.

Dann folgte Stille.

Ich wollte springen. Ich war nicht so weit gekommen, um … nun ja, nur so weit zu kommen, sozusagen. Ich machte keinen Rückzieher, aber ich war neugierig, was sie als Nächstes tun würde, denn … tja, denn sie war gerade mitten in eine Shitshow hereinspaziert.

Die Person hinter mir ergriff erneut das Wort. „Von Crass gibt es keine Hoodies. Das ist eine alte Anarcho-Band. Da hattest du wohl einen Fadenriss, Alter.“

Was soll’en der Scheiß?

Ich riss den Kopf herum. Sie war es. Holy shit, Charlotte Richards, echt und unverkennbar. Mit ihrem dichten kastanienbraunen Pony, den großen grünen Augen und ihren Emo-Anime-Klamotten. Die im Grunde American-Porn-Standard waren, Rock, AC/DC-Shirt und Kniestrümpfe in Doc Martens. Sie gehörte weder zu den angesagten Kids, noch war sie eine Eigenbrötlerin. Aber sie hatte so was an sich. Ich kann es nicht beschreiben – aber ich hätte sie gern besser kennengelernt.

Während sie über die holprigen Dachpfannen auf mich zukam, schob sie sich die Fäuste in die Jacke. „Hast du den Hoodie selbst gemacht? Das ist echt peinlich.“

Ich tat so, als würde ich sie ignorieren, warf die leere Bierdose in das dunkle Maul des Schulhofs, grapschte mir eine frische aus meinem Rucksack und riss sie sofort auf. Dass sie meinen Schwachsinn durchschaute, ärgerte mich, obwohl ich auf sie stand. Wer in unserem Alter wusste schon, dass britische Anarcho-Punkbands aus den Siebzigern kein Merch verkauften? Aber für mich musste es natürlich genau das Mädchen sein, das tatsächlich Ahnung hatte.

„Kann ich auch eine haben?“ Sie ließ sich neben mir auf dem Dach nieder, wobei sie sich mit einem Arm am Schornstein festhielt.

Blinzelnd sah ich sie an. Nichts an dieser Situation kam mir real vor. Dass sie hier war. Mit mir redete. Bei mir saß. Sie musste wissen, dass ich ein totaler Außenseiter war. In der Schule sprach niemand mit mir – außerhalb der Schule, nebenbei bemerkt, auch nicht. Und zwar buchstäblich – nicht nur im übertragenen Sinn.

Ich überlegte, wie viel sie wohl über meine Lebensumstände wusste. Aber eigentlich spielte das keine Rolle. Ich hatte ja weder ein Date mit ihr, noch würde ich morgen früh mit ihr zu tun haben. Das war das Schöne, wenn man sein Leben beendete – keine förmliche Kündigung nötig.

Zögerlich hielt ich ihr das Bud Light hin. Charlotte löste ihren Todesgriff um den Schornstein und nahm einen kleinen Schluck.

„Gott!“ Sie streckte die Zunge heraus und gab mir naserümpfend die Dose zurück. „Schmeckt wie eingeschlafene Füße.“

Ich kippte den Rest runter und kam mir absurd überlegen vor. „Du solltest das Füßelecken lassen.“

„Und das Biertrinken, wie es aussieht.“

„Man gewöhnt sich dran. Niemand mag den Geschmack von Alkohol. Nur wie man sich dadurch fühlt.“

Sie zog eine Braue hoch. „Betrinkst du dich oft?“

Das einzige Licht hier oben stammte von einigen Nachbargebäuden. Und es hüllte sie ein – Charlotte Richards, meine Damen und Herren, in Nahaufnahme und lebensgroß. So schön, dass ich sie anlächeln würde, wenn ich noch zu irgendeiner Empfindung jenseits von Taubheit fähig wäre.

„Oft genug.“

Im Klartext: Viel häufiger, als ich es in meinem Alter verdammt noch mal sollte.

„Wissen deine Eltern davon?“

Ich bedachte sie mit einem Scheiß-drauf-Blick. Normalerweise war ich im Umgang mit anderen nicht so unbefangen – erst recht nicht, wenn diese anderen Brüste hatten. Aber das Bier lockerte mich auf. Und in Gedanken hatte ich schon viele Gespräche mit Charlotte geführt.

Ich zog eine Braue hoch. „Wissen deine Eltern, dass du dir heute Nacht die Kante gibst?“

„Meine Eltern sind tot.“

Es kam tonlos heraus. Ohne jeden Ausdruck. Als habe sie es so viele Male gesagt, dass es keine Bedeutung mehr hatte. Aber mich machte sie damit für einen Moment sprachlos. Ein einfaches Sorry kam mir irgendwie unpassend vor. Ich kannte niemanden in unserem Alter, dessen Eltern beide tot waren. Ein Elternteil tot – klar. Kommt vor. Meine Mom lag auch zwei Meter unter der Erde. Beide Elternteile – das war echte Oliver-Twist-Scheiße. Charlotte Richards stellte die Tragödie meines Lebens locker in den Schatten.

„Oh.“ Echt jetzt, Kellan? Mehr gibt dein Wortschatz nicht her? Oh? „Wie?“, fügte ich hinzu. Nicht, dass das tatsächlich wortgewandter gewesen wäre.

Sie wippte mit einem Bein, und ihr Blick wurde unstet. „Feuer. Unser ganzes Haus ist abgebrannt.“

„Wann?“

Wann? Warum hab ich das gefragt? Ich klinge wie ein Versicherungsinspektor.

„Kurz vor Weihnachten.“

Stimmt, mir war aufgefallen, dass sie vor und nach Weihnachten nicht in der Schule war. Bestimmt hatten die anderen darüber geredet, aber da ich kaum beliebter war als ein benutzter Tampon auf der Mädchentoilette, lief ich nicht Gefahr, dass andere mich in ihren Klatsch einweihten. Tatsächlich war ich so unsichtbar, dass ich sogar versehentlich angerempelt wurde.

„Tut mir leid“, murmelte ich und kam mir dabei ziemlich armselig vor. Dieses Gefühl weckte Groll in mir, der sich gegen Charlotte richtete. Ich wollte mich heute Abend nicht armselig fühlen. „Ich weiß echt nicht, was ich sonst sagen soll.“

„›Tut mir leid‹ ist in Ordnung. Was mich sauer macht, ist, wenn Leute davon hören und sagen, ich hätte Glück gehabt, dass ich überlebt hab. Yay, ich Glückspilz, verwaist mit dreizehn. Lasst den Champagnerkorken knallen.“

Ich machte einen Laut, der wie ein Ploppen klang, trank danach aus einer imaginären Flasche, hielt mir dann den Hals und tat so, als würde ich an dem Champagner ersticken.

Sie schenkte mir ein müdes Lächeln. „Ich hätte zu meinem Onkel in den Norden ziehen können, aber St. Paul ist eine zu gute Chance, um sie sich entgehen zu lassen.“ Sie nahm mir die Bierdose aus der Hand, und unsere Finger berührten sich. Sie trank noch einen Schluck und gab mir die Dose zurück. „Und du? Warum bist du hier?“

„Warum bist du hier?“

Sie zwinkerte mir zu. „Ladys first.“

Charlotte Richards machte Witze. Verdammt, sie war auch bei genauerem Hinsehen cool.

„Ich musste nachdenken.“

„Hashtag Lüge.“ Sie stieß ein freudloses Schnauben aus. „Ich hab gesehen, wie du dich über den Rand gebeugt hast. Du bist aus dem gleichen Grund hier wie ich.“

„Und der wäre?“

„Dem allen ein Ende zu machen“, erklärte sie dramatisch und schlug sich mit der Hand auf die Stirn.

Dabei verlor sie das Gleichgewicht und taumelte nach vorn. Ich ließ einen Arm vorschnellen, um zu verhindern, dass sie fiel. Mit einem spitzen Schrei klammerte sie sich an ihn, ganz anders als jemand, der die Absicht hatte, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Und jetzt hielt ich irgendwie, aus Versehen eine ihrer Brüste umfasst.

ICH WIEDERHOLE: ICH HIELT JETZT IRGENDWIE, AUS VERSEHEN EINE VON CHARLOTTE RICHARDS’ BRÜSTEN UMFASST.

Ich wollte den Arm hektisch zurückziehen, aber sie schnappte sich meine Hand, und ihre Finger krallten sich in meine Haut. Das Ganze war total seltsam, und es bestand eine neunundneunzigprozentige Chance, dass ich gerade einen leichten Ständer kriegte. Scheiße, warum war ich nicht schon vor einigen Minuten gesprungen, als mein Stolz noch ungebrochen war?

Ich spürte ihren Herzschlag unter meiner Hand. Sie ließ mich los, und ich zog meinen Arm zurück, wandte mich von ihr ab und schaute wieder zum Hudson. Mein Kiefer war so starr, dass es wehtat.

„Du willst sterben, klar“, murmelte ich. Sie hatte sich eben fast in die Hose gemacht. „Schon cool. Nichts für ungut. Statistisch gesehen ist es jetzt weniger wahrscheinlich, dass du dich jemals umbringen wirst.“

Das war mein Fachgebiet. Zum Thema Selbstmord hatte ich mir ein geradezu lachhaft fundiertes Wissen angeeignet. Meine Hausaufgaben gemacht, sozusagen. Witzig, wenn man bedachte, dass ich meine echten Hausaufgaben nie machte. So wusste ich zum Beispiel, dass Menschen sich vorzugsweise im Alter zwischen fünfundvierzig und vierundfünfzig das Leben nahmen. Ich wusste, dass die gewöhnlichste Methode der Gebrauch einer Schusswaffe war (fünfzig Prozent) und Männer damit mehr Erfolg hatten als Frauen.

Aber das Wichtigste war, dass ich jetzt wusste, dass die schöne, kluge Charlotte sich nicht wirklich umbringen wollte. Sie hatte es nicht lange geplant, es war eine Entscheidung aus dem Moment heraus.

Ich dachte über mein Dahinscheiden nach und schaute dann wieder auf. Ich war zum Sterben hierhergekommen, weil ich wollte, dass alle aus der Schule es sahen. Damit sie Narben davontrugen, so wie sie mir Narben zugefügt hatten, damit eine hässliche Kerbe in ihnen zurückblieb, die nicht mit Make-up verdeckt werden konnte.

Verrückt, aber das galt ausgerechnet nicht für Charlotte. Sie war jetzt nicht unbedingt nett zu mir gewesen, aber sie hatte gelächelt, wenn wir aneinander vorbeigegangen waren, und einmal hatte sie mir einen fallen gelassenen Stift aufgehoben. Ihre Freundlichkeit war grausam. Sie schenkte mir falsche Hoffnung, und das war gefährlich.

Sie starrte über den Rand des Daches und schob sich die Hände unter die Schenkel. „Es ist mir ernst damit. Ich weiß bloß … ich weiß nicht … ich will, glaube ich, zu meinen eigenen Bedingungen sterben. Ich kann das Leben ohne meine Eltern nicht ertragen. Dann ist da noch meine Schwester. Leah. Sie arbeitet Vollzeit in einem Weinlokal, damit wir ein Dach überm Kopf haben, und sie ist vom College abgegangen, um mich großzuziehen. Sie hat nicht mal daran gedacht, dass heute mein Geburtstag ist.“

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, murmelte ich.

„Danke.“ Sie beugte sich auf den schrägen Dachziegeln vor, als wolle sie die Lage peilen. Dann lehnte sie sich wieder zurück. „Ich wünschte, ich hätte Krebs. Oder müsste mit etwas anderem Großen kämpfen. Demenz, Schlaganfall, Organversagen. Wer einen solchen Kampf verliert, gilt als mutig. Aber die Sache, mit der ich kämpfe, ist mein Geist. Und wenn ich verliere, wird es mir als Schwäche angerechnet.“

„Bloß gut, dass es keine Rolle spielt, was alle anderen denken, wenn wir erst mal tot sind.“

„Wann hast du herausgefunden, dass du …“ Sie deutete ruckartig mit dem Daumen auf ihren Hals, dann ließ sie den Kopf zur Seite fallen, als wäre sie tot.

„Nachdem mir klar geworden ist, dass ich die Augen lieber geschlossen als geöffnet hab.“

„Was meinst du damit?“

„Wenn ich schlafe, träume ich. Wenn ich aufwache, beginnt der Albtraum.“

„Was für ein Albtraum?“

Als ich nicht sofort antwortete, verdrehte sie die Augen und holte etwas aus ihrer Tasche. Sie schnippte es in meine Richtung. Ich fing es auf. Es war ein Penny.

„Ein Penny für deine Gedanken.“

„Fünfzig Mäuse wären lukrativer.“

„Im Leben geht es nicht um Geld.“

„Das sieht das Finanzamt nicht so. Willkommen in Amerika, Baby.“

Sie lachte. „Ich bin pleite.“

„Hab ich auch schon gehört“, bestätigte ich. Ich wollte einfach, dass sie mich genauso hasste wie den Rest der Schule, damit sie aufhörte, mich so anzusehen, als könnte man mir helfen.

„Ist doch egal. Wechsle nicht das Thema. Warum willst du springen?“

Ich beschloss, auf den gesellschaftlichen Aspekt meiner Motivation und meiner Ortswahl nicht einzugehen – die Beschimpfungen, die Einsamkeit, die Schlägereien – und mich auf das zu konzentrieren, was mich an diesem Abend bewogen hatte, Schluss zu machen. „Du wirfst deinen Status als Vollwaise in die Waagschale. Ich gehe mit und erhöhe um ein zerstörerisches Familienleben mit dem Bruch eines Vermächtnisses als Zugabe. Mein Dad ist der Schriftsteller Terrence Marchetti. Du weißt schon, Die Unvollkommenheiten.“

Davon musste sie doch gehört haben. Das Buch war letzten Monat erschienen und wurde inzwischen schon in dritter Auflage vertrieben. Stell dir vor, Angst und Schrecken in Las Vegas und Trainspotting träfen sich in einer sehr dunklen Gasse. Die New York Times hatte Die Unvollkommenheiten schon das größte Buch des Jahrzehnts genannt, bevor es überhaupt erschienen war. Drei verschiedene Adaptationen davon waren in Vorbereitung – ein Kinofilm, eine TV-Fassung und ein Bühnenstück. Es war oder wurde in zweiundfünfzig Sprachen übersetzt. Es hielt den Rekord für das am schnellsten verkaufte Taschenbuch in den USA. Und überall hieß es, es würde dieses Jahr den National Book Award gewinnen.

Ich sprach weiter und versuchte, meine Stimme monoton zu halten: „Meine Mom war das Model Christie Bowman. Du erinnerst dich vielleicht daran, dass sie an einer Überdosis gestorben ist, mit dem Gesicht in dem zerbrochenen Spiegel, von dem sie zu Hause Kokain geschnupft hat.“ Ich erwähnte nicht, dass ich sie so tot aufgefunden hatte. Ich sagte auch nichts von all dem Blut. Ich erwähnte es einfach nicht. Jetzt war es an Charlotte, mich anzusehen, als wäre ich vom Himmel gefallen. Ich kämpfte mich weiter. „Ich hab einen älteren Halbbruder. Tate. Aus einer Affäre von Dad in den Achtzigern. Er hat mich unter irgendeinem beschissenen Vorwand von meinem Vater weggerissen, und Dad ist zu schwach, um sich das Sorgerecht zu erkämpfen.“

„Echt?“ Ihre Augen waren sehr groß und sehr grün, und ich wollte in sie hineinspringen und rennen, als wären sie ein Feld mitten auf dem Land.

Ich schaute hinab, nickte, stützte mich ab und zog mich ein Stück das Dach hinauf. „Bei dir hat deine Schwester wenigstens die Verantwortung für dich übernommen, weil du keine Eltern mehr hast.“ Wir waren hier nicht zu einer Opferolympiade angetreten, aber in gewissem Sinn doch, denn wenn einer von uns das Recht hatte, heute Nacht zu sterben, musste ich es sein. „Ich hab noch einen Vater, aber mein Bruder hält mich von ihm fern. Vermutlich, weil Dad nicht für Tate da war, als er aufgewachsen ist. Er hat es in sich reingefressen, und jetzt bestraft er ihn über mich.“

„Klingt nach einer fiesen Ratte.“

Ich setzte mich wieder hin, wischte mir den Schmutz des Daches vom Hoodie und nickte, denn mir war klar, dass ich wahrscheinlich zu überempfindlich wirkte, aber niemand, außer meinem Dad, hatte jemals etwas Negatives über ihn gesagt, und hier saß Charlotte Richards, und sie hatte meinen Bruder gerade als eine fiese Ratte bezeichnet.

„Tate ist ein Dämon. Ich hätte bei Dad leben können, ich hätte einen Privatlehrer haben und an Lesereisen rund um die Welt teilnehmen können. Ich will Schriftsteller werden wie er. Aber nein, ich muss diesen Albtraum von einer Schule besuchen und danach in ein leeres, ödes Haus zurückkehren, weil Tate achtzig Stunden die Woche arbeitet.“

„Du hast gesagt, du willst Schriftsteller werden.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Nicht wollte. Präsens.“

„Na und?“

„Ich wette, dein Dad wird total am Boden zerstört sein, wenn er mitbekommt, dass du dir das Leben genommen hast.“

„Versuch nicht, es mir auszureden“, warnte ich sie.

„Warum nicht?“

„Weil ich es tun werde.“

Eine Pause trat ein, dann sagte sie: „Ich wette, wenn du mitten in der Luft bist, wirst du es bereuen.“

Ich ruckte mit dem Kopf in ihre Richtung. „Was?“

Charlotte Richards, mein Schwarm aus der achten Klasse, sagte mir, ich solle mich nicht umbringen. Darüber wollte ich gar nicht so genau nachdenken.

„Wenn du nicht mehr auf diesem Dach bist, wirst du schnallen, was für einen saublöden Fehler du gemacht hast. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass wir die Sache ganz durchdacht haben. So hoch ist das Dach gar nicht. Du brichst dir vielleicht nur die Wirbelsäule und sitzt den Rest deines Lebens im Rollstuhl und sabberst dir auf die Brust. Du hast zu viel zu verlieren.“

„Bist du high?“

Aber auf eine erschreckende und überraschende Weise reizte mich die Versuchung, es zu lassen. Mehr als irgendwas sonst wollte ich nicht, dass sie mir dabei zusah. Keine Ahnung. Was, wenn ich mir in die Hose machte? Was, wenn mein Kopf zerbarst? Ich wollte ihr nicht so im Gedächtnis bleiben.

Total. Es wird deine Chancen, mit ihr auszugehen, todsicher ruinieren.

„Du hast eine Familie, die dich liebt. Einen reichen, berühmten Vater und ein Ziel, das du verfolgen kannst. Unsere Umstände sind unterschiedlich. Du hast so viel, wofür es sich zu leben lohnt.“

„Aber Tate …“

„Er kann dich nicht ewig von deinem Dad fernhalten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin übrigens Charlotte.“ Sie hielt mir die Hand hin. Doch ich schüttelte sie nicht. Ihre Anwesenheit war einfach zu besonders, und sie verwirrte mich. Dann sagte sie etwas, das mich noch mehr überrumpelte. „Ich glaube, wir sind im gleichen Jahrgang.“

„Ich bin dir aufgefallen?“

Und der Preis für den jämmerlichsten Mistkerl geht an … mich.

„Ja, ich hab dich beim Mittagessen mit deinem Kindle gesehen, du hast gelesen, als gäbe es kein Morgen.“ Sie nahm ein Taschenbuch aus der Gesäßtasche ihres Rocks. Ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, was es war, aber sie schlug mir damit auf den Oberschenkel. „Ich glaube, dieses Buch wird dir gefallen. Es geht um Traurigkeit, Wahnsinn und Unzufriedenheit. Es geht um uns.“

Über Parker S. Huntington

Biografie

Parker S. Huntington hat Kreatives Schreiben an der University of California studiert und lebt in Orange County, Kalifornien. Wenn sie nicht gerade schreibt, dann macht sie es sich vor dem Fernseher mit ihren Hunden gemütlich.  

Pressestimmen
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„Darling Venom ist so viel mehr als Age Gap, Slow Burn oder Forbidden Romance. Es ist der Kampf ums Happy End, in einem Leben voller Zweifel und Selbsthass.“

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„Wer emotionale Bücher mag, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.“

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„Dieses Buch ist eine herzzerreißende Geschichte. Es ist einzigartig und nachdenklich. Ich habe es von ganzem Herzen geliebt.“

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„Eine absolut Herzzerreißende Geschichte, die zum Nachdenken anregt, ich werde bestimmt noch lange an "Darling Venom" denken.“

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