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Adventsgeschichte 9. Dezember

Sofies wundersamer Geschenkservice

von Marisa Liehner

Während ich die Steckbriefe meiner letzten Kunden durch den Schredder jage, beobachte ich einen Vogel, der draußen auf einem vereisten Ast herumhüpft. Seine zarte Gestalt erinnert mich an meine neueste Kundin. Helena Wagner. Heute Morgen erst war ich bei ihr, um alles abzuklären, die Steckbriefe auszufüllen…
Sowie bereits viele andere benötigt sie meine Hilfe im Angesicht der sich nähernden Weihnachtsfeiertage. An sich tue ich das auch gerne, diesen Job habe ich mir schließlich ausgesucht, doch dieses Mal wird das Ganze von einer unschönen Tatsache überschattet. Anders als meine meisten anderen Kunden will Helena Wagner die Beschaffung der Geschenke nicht wegen Stress, Ahnungslosigkeit oder schlichtem Desinteresse auf mich abwälzen. Nein, sie will mich beauftragen, weil es ihr physisch nicht möglich ist, in dieser Vorweihnachtszeit durch die Läden zu streifen. Aufgrund einer Erkrankung ihres Nervensystems sitzt Helena Wagner auf unbestimmte Zeit im Krankenhaus fest.
Und da komme ich ins Spiel, oder um es ganz genau zu nehmen: mein Geschäft. Vor zwei Jahren habe ich meinen Geschenkservice ins Leben gerufen – aus mehreren Gründen. Zum einen, weil die Eisdiele, in der ich in den wärmeren Monaten arbeite, im Winter nicht wirklich das ideale Geschäftsmodell ist. Zum anderen, weil ich finde, dass jeder Mensch an Weihnachten ein Geschenk verdient. Ein Geschenk, hinter dem auch etwas steckt. Ein Geschenk, das der jeweiligen Person auch gefällt.
Zugegeben, es ist nicht ganz einfach, all das alleine zu managen. Mit der Zeit hat sich „Sofies wundersamer Geschenkservice“ herumgesprochen, und nun ist es schon so weit gekommen, dass ich manche Anfragen ablehnen muss. Meist solche, aus denen klar hervorgeht, dass dem Absender Weihnachten völlig egal ist und er nur das obligatorische Paket unter dem Baum liegen haben will. Aber Helena Wagner konnte ich nicht abweisen – ihre Mail war unglaublich herzerwärmend und ehrlich. Ihre Bitte schlicht: Ich solle ihr helfen, trotz der Umstände für ihre Familie ein schönes Weihnachten zu zaubern.
Auf meinem Schreibtisch liegen die Steckbriefe zu ihrer Familie. Ich soll Geschenke finden für ihren Mann, ihre Tochter und ihren Sohn. Vor letzterem hat sie mich jedoch gewarnt. Denn eigentlich sei es unmöglich, für den ein passendes Geschenk zu finden. Das liegt nicht unbedingt an fehlenden Interessen, denn Helena hat mir mitgeteilt, dass ihr Sohn Theo gerne backt und seit frühester Kindheit Fußball spielt – trotz Job als Radiosprecher. Normalerweise also keine Herausforderung. Vielmehr habe ich es anscheinend mit einem ausgemachten Grinch zu tun.
Er will keine Geschenke, und zum alljährlichen Heiligen Abend geht er auch nur aus Zwang.
Vor allem das bereitet mir Kopfzerbrechen. In der Zeit, in der ich mein Geschäft nun schon betreibe, ist mir schon der ein oder andere Weihnachtsmuffel begegnet, doch zu Geschenken hat von denen noch niemand Nein gesagt. Aber versuchen will ich es trotzdem. Vor allem, weil ich gesehen habe, wie betrübt Helena über seine Negativität ist. Wenn sie schon im Krankenhaus bleiben muss, dann soll sie sich wenigstens über die Freude ihres Sohnes freuen können. Von ihr habe ich alle Infos, die ich brauche: Interessen, Kleidergröße, Alter und auch, wie viel Geld ich etwa ausgeben soll. Damit ausgerüstet, mache ich mich auf den Weg in die Stadt.

Während ich an einer roten Ampel stehe, reibe ich meine Hände aneinander. Das Lenkrad ist eisig und auch meine Heizung lässt noch auf ihre Wirkung warten. Als es wieder grün wird, muss ich mich der Kälte des Lenkrades dann doch stellen. Aber zum Glück nicht lange – bald schon habe ich die Innenstadt erreicht und einen Parkplatz gefunden.
Von meiner Rückbank nehme ich meine Wollmütze und einen dazu passenden Schal. Wenn ich beides anhabe, sehe ich ein wenig wie eine lebendig gewordene Zuckerstange aus. Die roten und weißen Streifen sind nicht für jeden was, doch ich liebe diesen Look. Nachdem ich mich zur Genüge eingemummelt habe, verlasse ich das Auto. In meiner Tasche habe ich die Steckbriefe verstaut, sie sind das wichtigste für diesen kleinen Ausflug. Und dann kommt der Teil, den außer mir jeder zu hassen scheint: Ich stürze mich in das Einkaufsgeschehen. Über der Fußgängerzone sind Lichtergirlanden gespannt, die zudem mit grünen Tannenzweigen verflochten sind. Obwohl ich in der Vorweihnachtszeit fast jeden Tag hier bin, überrumpelt mich die Atmosphäre auf den Straßen immer aufs Neue. Ich bleibe lächelnd stehen. Zwischen all den Menschen mit gestressten Gesichtern, die die Arme voller Einkaufstüten haben, blitzen ab und an auch die erwartungsvollen Mienen von Kindern auf. Oft wünsche ich mir, dass sich jeder noch so auf das Fest der Liebe freuen könnte wie die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Die meisten versinken jedoch im Stress. Mit meinem Geschenkservice will ich wenigstens einigen Leuten einen Teil davon von den Schultern nehmen. In meine Nase steigt der Geruch von gebrannten Mandeln und Glühwein. Ich atme das Aroma tief ein und steuere mein erstes Ziel an. Es ist ein Kleidungsladen. Helena will ihre Tochter gerne mit einem neuen Schal überraschen und hat mir auch recht präzise beschrieben, wie er aussehen soll.
Zwar muss ich einige Läden durchkämmen, doch am Schluss habe ich einen dick gewobenen Schal gefunden, der sehr nahe an Helenas Beschreibung heranreicht. Auch mit dem Geschenk für ihren Mann habe ich wenig Probleme. Im Buchladen finde ich zwei Bücher, die nach Helenas Beschreibung gut zu ihm passen.
Schließlich bleibt nur noch Theo übrig. Ich stehe an einem Waffelstand und gönne mir einen Snack, während ich auf den letzten Steckbrief starre. Fußball, Backen…normalerweise würde ich dazu schnell etwas finden. Doch Helenas Warnung habe ich nicht vergessen. Gleichzeitig haben ihre Worte auch meinen Ehrgeiz geweckt. Ich würde es schaffen, etwas zu finden, das ihrem Sohn gefällt. So kann sie sich wenigstens darüber freuen, auch wenn sie mit ihrer Krankheit zu kämpfen hat.
Um das zu bewerkstelligen, muss ich wohl – wie mir dabei klar wird – schwerere Geschütze auffahren. Ich muss Kontakt herstellen. Ich muss herausfinden, weshalb Theo so vehement gegen Weihnachten und Geschenke ist, oder ihn zumindest dazu bringen, diese Meinung zu ändern. Seiner Mutter zuliebe. Und genau diese Frau rufe ich nun an. Denn ganz ohne Hilfe kann ich meinen Plan nicht umsetzen. Am Handy erkläre ich, dass ich ihren Sohn gerne persönlich kennenlernen möchte, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was ich ihm schenken könnte. Auf ihre zögerliche Nachfrage versichere ich auch, dass er nicht erfahren wird, wer ich bin und was meine Absichten sind. Wer sich meinen Geschenkservice zunutze macht, kann sich auf meine Diskretion verlassen.
Zusammen haben wir uns eine kleine Finte ausgedacht, um mein Auftauchen so unverdächtig wie möglich zu halten. Helena wird ihm sagen, dass ich die Tochter einer Bekannten bin, die sich für die Arbeit beim Radio interessiert. Sie wird ihn bitten, sich mit mir zu treffen und mir etwas über seinen Beruf zu erzählen. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Geschichte.
Während ich also darauf warte, dass Helena mich über die Einzelheiten des Treffens informiert, schlendere ich noch ein wenig durch die Stadt. Meine Waffel habe ich inzwischen aufgegessen und reibe meine Hände aneinander, um den Puderzucker loszuwerden.
Mit den bereits gekauften Geschenken unter dem Arm betrete ich einen Dekoladen. Die glitzernde Beleuchtung und Aufmachung in den Schaufenstern lockt mich an wie Honig. Und ich werde belohnt. Innen ist die Weihnachtsstimmung beinahe greifbar. Im Hintergrund läuft leise „Driving Home for Christmas“ und die warme Luft trägt den Geruch verschiedener Duftkerzen heran. Natürlich ist der Laden auch sehr voll, doch das stört mich nicht – im Gegenteil. Ein Gefühl der Gemeinschaft macht sich in mir breit. Wir alle bereiten uns auf das Fest des Jahres vor.

Wie mit Helena ausgemacht, mache ich mich am nächsten Tag um kurz vor drei auf den Weg zum Café Kraftaverk. Sie hat ihren Sohn tatsächlich überreden können, sich dort mit mir zu treffen. Wie immer bin ich einige Minuten zu früh und überlege, draußen auf Theo zu warten. Doch der dick herabfallende Schnee treibt mich schließlich in die warme Stube des Cafés. Ich wähle einen Platz am Fenster. Denn auch wenn es mir draußen zu kalt ist, liebe ich es, den Schneeflocken auf ihrem Weg nach unten mit den Blicken zu folgen. Aber auch das Innere des Cafés fasziniert mich – die Einrichtung ist wunderschön gemütlich gehalten. Alte Bilder in goldenen Bilderrahmen und gepolsterte Sitze, die um verschnörkelte Holztische stehen, zeigen, dass mit viel Liebe gearbeitet wird. Ich entledige mich meiner winterlichen Verpackung aus Mütze, Schal und Jacke, um besser die Getränkekarte einsehen zu können.
Lange brauche ich aber nicht, um mich für eine heiße Schokolade mit Sahne zu entscheiden. Nun muss ich nur noch auf Theo warten. Den Kopf auf meinen Ellbogen gestützt, beobachte ich den Gehsteig draußen. Helena war so nett, mir ein Foto von ihrem Sohn zu schicken, und so weiß ich wenigstens, nach was ich Ausschau halten muss. Dunkelblonde Haare, dicke Augenbrauen, kantiges Gesicht und leicht abstehende Ohren. Auf dem Bild, wo er neben Helena steht, sieht er eigentlich ganz nett und freundlich aus – ganz und gar nicht, wie ich mir jemanden vorstellen würde, der Weihnachten verabscheut.
Eines steht aber fest: Theo ist pünktlich. Um Punkt drei Uhr schlendert er die Straße entlang und öffnet die Tür zum Café. Ich bemühe mich sofort, Blickkontakt aufzunehmen. Und es wirkt. Theo kommt auf mich zu. Er wirkt ernster als auf dem Bild, das ich von ihm habe, und ich werde nervös. Hoffentlich funktioniert mein Plan.
„Hallo. Du bist also Sofie?“ Seine Stimme ist angenehm und ich erinnere mich daran, sie im Radio gehört zu haben.
„Genau.“ Ich strecke ihm meine Hand entgegen. „Danke, dass du das hier mitmachst.“
Er lächelt und setzt sich mir gegenüber auf den Stuhl. „Ist doch kein Problem. Hast du schon bestellt?“ Noch während er das fragt, zieht er die Speisekarte zu sich.
„Noch nicht, nein. Aber ich weiß schon, was ich nehme.“
Theo seufzt. Seine Stirn ist gerunzelt und seine volle Konzentration liegt auf der Auswahl an Getränken. Ich ertappe mich dabei, ihn ein wenig zu lange zu mustern. In echt sieht er wesentlich besser aus als auf dem Foto. Aber das ist nun nebensächlich, ich habe einen Job zu erledigen.
„Seid ihr zwei soweit?“ Von der Stimme der Bedienung werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich schaue auf.
„Ähm, ja, für mich eine heiße Schokolade mit Sahne und Zimt, bitte.“
„Und für mich einen Pfefferminztee, danke.“
Die Bedienung nimmt unsere Bestellung auf und verschwindet dann wieder.
Nun sieht Theo wieder mich an. „Also, was würdest du denn gerne wissen? Meine Mutter hat mir erzählt, dass du dir überlegst, auch Richtung Radio zu gehen?“
Ich nicke und hoffe, mich nicht durch komplette Ahnungslosigkeit zu verraten. „Ja, genau. Mich interessiert das eigentlich schon lange, aber bisher hat mich die Branche immer abgeschreckt. Es ist sicher nicht leicht, da reinzukommen, oder?“
Theo wiegt den Kopf hin und her. „Kommt natürlich darauf an, was genau man machen will. An sich ist es aber wie überall auch, man – “ Plötzlich unterbricht er seinen Satz und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, die wohl Abscheu ausdrückt. „Nicht schon wieder!“
Perplex sehe ich ihn an. Als er meine Verwirrung bemerkt, fügt er an: „Sorry, aber ich kann das einfach nicht mehr hören.“
Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was er meint. Die Musik. Im Hintergrund läuft die altbekannte Melodie von „Last Christmas“ – das muss die Erklärung für Theos Ausbruch sein. Ich weiß ja, dass er kein Fan von Weihnachten ist, und das Lied läuft wirklich überall in Dauerschleife, aber ist das ein Grund sich so aufzuregen?
Unsere Getränke werden herangetragen und ich löffle erst mal eine große Portion Sahne aus der Tasse. „Du magst das Lied nicht?“
Theo rührt in seinem Tee herum und brummt: „Das ist wohl eine Untertreibung.“ Mir scheint, seine Laune hat sich schlagartig verschlechtert. Eben noch war er gut drauf und hilfsbereit, und jetzt sieht er aus, als wäre er überall lieber als hier.
„Es ist nicht nur dieses verdammte Stück. Jedes Jahr ist es das gleiche! Bei uns im Sender werden diese sogenannten Hits rauf und runter gespielt. Bei uns und überall anders. Ich kann es nicht mehr hören! Weihnachtszeit… das ist wirklich die Vorstufe zur Hölle.“
Das hat er gerade nicht gesagt! Ich halte inne, die Tasse auf halbem Weg zu meinem Mund. „Das ist jetzt aber sehr dramatisch ausgedrückt. Und überhaupt, sonst laufen im Radio doch auch immer dieselben Lieder rauf und runter. Die volle Ladung Weihnachtslieder gibt es aber nur einmal im Jahr! Das scheint mir wirklich noch gut erträglich zu sein.“
Darauf schüttelt Theo übertrieben entsetzt den Kopf. „Du hast ja keine Ahnung. Außerdem ist es ja nicht nur dieses immer gleiche Geträller, was mich aufregt. Es ist das ganze Konzept, was dahintersteht.“
Es ist schlimmer, als ich dachte. „Das Konzept? Du meinst das Konzept von einem fröhlichen und friedlichen Zusammenkommen? Das Konzept, seinen Liebsten eine Freude zu machen? Das Konzept vom Fest der Liebe?!“
„Wohl eher Fest der Diebe.“
Entgeistert sehe ich Theo an. „Was?“
„Weil sie mir allesamt den letzten Nerv rauben!“
Kurz steht diese Schande von einem Wortspiel im Raum, dann müssen wir beide lachen.
Langsam beruhigen wir uns wieder. „Okay, verstanden. Du hast was gegen Weihnachten. Und gibt es auch irgendwas, was du gern magst?“
„Tatsächlich ja. Nur weil man kein Fan von Weihnachten ist, heißt es ja nicht, dass man für gar nichts zu begeistern ist.“
Mit meiner Miene mache ich deutlich, dass ich diese Aussage anzweifele, doch ich sage nichts.
Theo fühlt sich aber anscheinend dazu aufgefordert, sich weiter zu rechtfertigen.
„Ich backe gerne. Da hast du es. Und ich spiele sehr gerne Fußball. Also definitiv nicht total gefühlskalt.“
Mein Stichwort. „Backen?!“ Erschrocken schlage ich mir die Hand vor den Mund.
„Ja ja, schon klar. Das ist nicht unbedingt das männl-“
Ich unterbreche ihn: „Nein, nein. Darum geht es nicht. Mir ist gerade eingefallen, dass ich einer Freundin versprochen habe, für ihr Fest heute Abend Plätzchen zu backen. Viele Plätzchen.“ Um noch einen draufzulegen, werfe ich einen panischen Blick auf meine Armbanduhr.
„Äh, oh… das ist… lass dich nicht aufhalten. Wir können das Gespräch auch ein anderes Mal nachholen.“
Mental schlage ich mir gegen die Stirn. Da muss ich anscheinend noch weiter nachhelfen.
„Gott, die Menge schaffe ich nie bis heute Abend!“ Ich schweige und dann, ganz plötzlich, setze ich mich auf. So, als wäre mir gerade die beste Idee überhaupt gekommen. „Du hast doch gesagt, dass du gerne backst…“
Als Theo begreift, worauf ich hinauswill, wehrt er ab: „Auf gar keinen Fall! Tut mir ja leid, dass du in diesem Dilemma steckst, aber bei Weihnachtsgebäck hört es bei mir auf.“
„Bitte! Ich bin echt am Verzweifeln.“
Er geht darauf nicht ein, also spiele ich meinen letzten Trumpf: „Du kriegst auch etwas dafür!“
Darauf zieht er eine Augenbraue hoch. „Und was soll das sein, das dieses mentale Trauma wiedergutmachen soll?“
Ich ziehe meine Visitenkarte hervor und reiche sie ihm. „Ich bin unter anderem professionelle Geschenkeeinkäuferin. Da du dieses ganze Konzept ja nicht leiden kannst, kann ich mich dieses Jahr um all deine Geschenke kümmern. Völlig umsonst. Du müsstest dich also nicht durch überfüllte Läden kämpfen, um deinen Liebsten eine Freude zu machen.“
Theo ist sichtlich überrascht von meinem Vorschlag. Verwundert begutachtet er meine Karte. „Sofies wundersamer Geschenkservice… ist das dein Ernst?“
Ich bin mir nicht sicher, ob er den Namen meines Geschäftes oder das Angebot meint, so oder so bejahe ich.
„Eigentlich habe ich bisher einfach gar keine Geschenke gekauft…“
Ich schnappe nach Luft. „Hast du überhaupt ein Herz?“
„Jetzt übertreib mal nicht. Nur weil ich diesen heuchlerischen Konsumscheiß nicht mitmache.“ Er starrt auf meine Visitenkarte. „Andererseits müsste ich mir dann dieses Jahr nicht die ewigen Nörgeleien deswegen anhören…“

Wir stehen in meiner Küche, vor uns ein Berg an Zutaten. Theo sieht mich zweifelnd an. So ganz ist er von dieser Sache immer noch nicht überzeugt. „Was für Plätzchen wolltest du denn backen?“
Ich reiche ihm zwei Rezepte. „Marmorplätzchen und Zimtsterne“
Ein schweres Seufzen entweicht ihm. „Das grenzt wirklich an Folter.“
„Nicht Jammern. Denk daran, dafür musst du dir keine Gedanken um Geschenke machen. Oder um nervige Anmerkungen.“
„In Ordnung.“ Er überfliegt die Rezepte. „Dann teilen wir die Arbeit am besten auf. Du kümmerst dich um die Zimtsterne und ich mache die Marmorplätzchen. Die sind nicht ganz so aggressiv weihnachtlich.“
Lachend stimme ich ihm zu und zücke mein Handy. Bevor es losgeht, muss noch für die richtige Stimmung gesorgt werden. Ich stelle meine Weihnachtsplaylist an. Kaum ertönen die ersten Glockentöne, fängt Theo sich an zu beschweren: „Man kann das Ganze aber auch überreizen, das weißt du? Ich helfe dir zwar beim Backen, aber das heißt nicht, dass ich mich zusätzlich von Weihnachtsliedern beschallen lasse!“
„Ach, komm, das gehört einfach dazu! Und ich verspreche dir, dass ich nur Lieder spiele, die man selten im Radio hört. Die sind alle handverlesen. Bitte, es ist doch Weihnachten!“
Zu meinem Erstaunen lässt Theo sich tatsächlich breitschlagen. »Aber sobald so was wie „Last Christmas“ läuft, bin ich weg.«
„Abgemacht.“
Und damit beginnen wir zu backen. Am Anfang arbeiten wir schweigend, doch irgendwann fang ich an, die Melodien, die aus meiner Bluetoothbox kommen, mitzusummen. Eine ganze Weile lässt Theo das still über sich ergehen, dann fragt er: „Wie genau kam es eigentlich dazu, dass du deinen Geschenkservice eröffnet hast?“
„Kurz gesagt: Ich finde, jeder hat zu Weihnachten ein Geschenk verdient, zu dem sich jemand Gedanken gemacht hat. Jeder sollte sich ehrlich freuen können über das, was er bekommt.“
„Aber ist das nicht irgendwie widersprüchlich? Es heißt doch, allein der Gedanke zählt, aber bei dir klingt es so, als müsste man solange suchen, bis man das perfekte Geschenk hat. Und wenn man das nicht schafft, dann sollte man es gar nicht erst versuchen, sondern lieber dich dafür bezahlen. Das scheint mir ziemlich materialistisch.“
„Nein, auf gar keinen Fall! Es geht mir nicht um Perfektion oder Geld. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt: Ich will, dass jeder ein schönes Weihnachten haben kann. Es gibt ja viele, die es hassen, Geschenke zu kaufen. Oder Leute, die dafür einfach kein Talent haben und es wissen. Oder wiederum Leute, die keine Zeit haben. Denen will ich es erleichtern, ihren Liebsten trotz allem eine Freude zu machen. Zugleich habe ich aber natürlich den Anspruch, dann Geschenke zu finden, die ihnen auch gefallen.“ Bevor Theo mich unterbrechen kann, führe ich noch ein weiteres Beispiel an: „Ich fände es zum Beispiel sehr schade, wenn ein Kind gar kein Geschenk bekäme, nur weil seine oder ihre Eltern keine Zeit zum Einkaufen hatten. Aber wenn sich jemand tatsächlich um seine Geschenke kümmern will, dann bin ich auch froh, wenn er oder sie meinen Service nicht beansprucht.“
„Du willst also alle glücklich machen.“
Ich zucke mit den Schultern. „Zumindest an Weihnachten. Darum geht es doch.“
Die feingeriebenen Mandeln rieseln aus der Verpackung in meinen fast fertigen Teig. Ich merke, dass Theo mich dabei beobachtet, versuche mir aber nichts anmerken zu lassen. Und vor allem versuche ich, nicht rot zu werden.
„Ich finde ja, dass es bei Weihnachten nur um eines geht: Kunden anlocken, damit sie dir alles Mögliche abkaufen. Ich meine, Glück kann man sich doch nicht kaufen! Aber anscheinend funktioniert es an Weihnachten dann plötzlich doch.“
Damit habe ich wohl herausgefunden, was genau Theo an Weihnachten stört. Nun gilt es nur noch, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
„Nur, wenn man sich darauf einlässt. Geschenke müssen ja auch nicht teuer sein, und manchmal sind sie auch selbst gemacht. Aber am Schluss geht es ja hauptsächlich darum, sich gegenseitige Wertschätzung zu zeigen. Gemeinsam verbrachte Zeit ist auch ein Geschenk.“
Daraufhin schweigt Theo. Möglicherweise habe ich endlich einen Nerv getroffen.
„So, fertig.“ Ich wickle meinen Teig in Frischhaltefolie ein und stecke ihn in den Kühlschrank. Bevor ich ihn ausrolle, lasse ich ihn lieber noch eine halbe Stunde ruhen. Das macht es später einfacher.
„Wie weit bist du?“ Ich stelle mich neben Theo und blicke über seinen Arm. Beide Hände stecken in der Schüssel und kneten den Teig.
„Fast fertig. Fehlt nur noch das Kakaopulver. Kannst du grade den Teig teilen? Ich muss mir mal die Hände waschen.“
„Klaro.“ Ich übernehme seine Stellung an der Schüssel, als mir etwas einfällt: „Und wenn du gerade dabei bist: Ich habe vergessen, das Kakaopulver aus meiner Handtasche zu nehmen. Kannst du das mitbringen? Die Tasche steht vorne an der Garderobe.“
„Aber sicher, kein Problem.“ Theo verschwindet aus dem Zimmer… und bleibt erstaunlich lange weg. „Findest du sie nicht?“, rufe ich deswegen in meine Wohnung.
Schließlich höre ich, wie sich Schritte aus dem Flur nähern. Anscheinend ist er doch noch fündig geworden.
„Theo Wagner. 31 Jahre. Interessen: Backen, Fußball. Beruf: Radiosprecher.“
Erschrocken sehe ich auf. Theo steht im Türrahmen. In der Hand drei Blätter. Die Steckbriefe von ihm und seiner Familie… ich hatte vergessen, dass ich sie in der Handtasche aufbewahrt habe.
„Theo, ich –“
„Du kannst das erklären? Ja, ich weiß. Du tust einfach alles für das perfekte Geschenk. Und wenn gar nichts mehr geht, verkaufst du dich eben selbst.“
Nun bricht bei mir echt Panik aus. Ich will nicht, dass er sauer ist. Nur weil ich ihn aus beruflichen Gründen aufgesucht habe, heißt das doch nicht, dass wir uns nicht tatsächlich gut verstanden haben. Der Gedanke, dass er mich nun hassen könnte, setzt mir mehr zu als gedacht.
„Ich wollte dir und deiner Mutter doch nur eine Freude machen! Weißt du, wie sie sich freuen würde, wenn… wenn…“
„Wenn ich was?“
„Wenn du mal nicht den Grinch spielen würdest!“
Theo stöhnt auf und geht zu meinem Sofa, wo er sich fallen lässt. Die Steckbriefe pfeffert er auf den Tisch vor sich. „Du machst das wirklich nicht fürs Geld?“
Ich folge ihm und setze mich ans andere Ende der Couch. „Wenn dem so wäre, hätte ich dir auch einfach sonst was kaufen können. Mein Geld bekomme ich so oder so.“
Vielleicht habe ich ihn noch nicht ganz verloren. „Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich war. Aber falls es dich tröstet: Ich finde dich tatsächlich nett. Das Backen mit dir hat Spaß gemacht.“
Meine Entschuldigung wird mit einem gequälten Lächeln belohnt. „Ich fand es auch nicht ganz so schlimm, ehrlich gesagt.“
Nun kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Erleichtert lehne ich mich zurück.
„Apropos… das Fest deiner Freundin. Gibt es das überhaupt? Oder gehört das zu deinem Plan?“
Kleinlaut drehe ich mich wieder zu ihm um. „Ich wollte dir eben Weihnachten schmackhaft machen.“
„Wortwörtlich!“ Kopfschüttelnd lacht Theo auf. „Und was machen wir jetzt mit dem ganzen Teig?“
Nach einiger Überlegung sage ich: „Ich denke, ich habe da eine Idee.“

Ich bin nervös, als wir am nächsten Tag zum Krankenhaus fahren. Auf meinem Schoß stapeln sich drei Plätzchendosen, allesamt bis zum Rand gefüllt. Theo ist auf die Straße konzentriert. Gestern Nacht hat es wieder heftig geschneit und die Gefahr von Glätte ist nicht zu unterschätzen. Dafür freue ich mich aber über das winterliche Wunderland, das sich uns draußen präsentiert. Schnee gehört für mich zu einem richtigen Weihnachten dazu.
Wir haben Helena nicht gesagt, dass wir vorbeikommen. Keiner von uns.
Ich hoffe, sie nimmt es mir nicht übel, dass Theo von dem Geschenkservice erfahren hat. Immerhin war diese Enthüllung ja keine Absicht. Aber nicht nur das wird sie überraschen, wir haben noch einiges mehr in petto. Theo hat seinen Vater und seine Schwester angewiesen, heute Nachmittag ebenfalls ins Krankenhaus zu kommen. Natürlich wissen sie nicht, wer ich bin und was ich mit der ganzen Sache zu tun habe. Theo hat nur erwähnt, dass eine Freundin ihm bei den Vorbereitungen für unsere Überraschung helfen würde.
Wir reden wenig, während wir vom Parkplatz zum Gebäude und schließlich die Treppen hinauflaufen. Während ich immer noch für die Keksdosen verantwortlich bin, trägt Theo einen Karton voller Dekoartikel. Unser Ziel ist der Aufenthaltsraum, wo ich von Helena die Anweisungen für die Geschenke bekommen habe. Dort bereiten wir alles vor.
„Was denkst du, wie sie reagieren wird?“, frage ich Theo, als wir gerade eine goldene Girlande aufhängen.
„Ungläubig. Von mir würde sie niemals so etwas erwarten.“
Ich stimme ihm zu. „Auf jeden Fall. Aber sie wird sich auch unglaublich freuen. Ich hoffe, ihr geht es bald besser…“
Die Girlande hängt und Theo kommt auf mich zu. „Das hoffen wir alle.“ Er sieht mich grübelnd an. „Eigentlich sollte ich mich bei dir bedanken, dass du mir hilfst, ihr mal wieder eine Freude zu machen. Vielleicht hat Weihnachten manchmal auch seine guten Seiten.“
Ich klapse ihm mit dem Handrücken gegen die Brust. „Sag ich doch.“
„Papa, Karo! Da seid ihr ja schon.“ Über meine Schultern hinweg hat Theo seine Familie entdeckt. Er begrüßt beide mit einer Umarmung. Ich stelle mich ebenfalls vor und schüttele beiden die Hände. „Hallo, ich bin Sofie.“
„Wie gesagt, wir wollen für Mama eine kleine verfrühte Weihnachtsfeier veranstalten. Ihr könnt beim Dekorieren helfen. Sofie und ich haben das meiste aber schon verteilt.“
„Sieht gar nicht so schlecht aus“, lässt Theos Vater verlauten.
Karo flüstert mir indes zu: „Keine Ahnung, was du mit meinem Bruder angestellt hast, aber das hier ist echt ein Weihnachtswunder. Finde ich gut.“
Während wir die letzten Vorbereitungen treffen, werden wir immer wieder von anderen Patienten gefragt, was wir anstellen. Und jeden Einzelnen laden wir zu unserer kleinen Feier ein. Plätzchen haben wir jedenfalls genug. Theos Vater hat sogar eine Thermoskanne voller Fruchtpunsch mitgebracht.
„So, ist alles bereit?“ Theo blickt in die Runde. Ich nicke. Daraufhin schickt er seinen Vater los, um seine Mutter dazuzuholen. Die Spannung steigt.
Karo, Theo und ich stehen hinter dem Tisch, auf dem die Plätzchendosen drapiert sind, und warten.
Es dauert nicht allzu lange, da kommen Herr und Frau Wagner auf den Raum zu. Noch bevor sie jedoch hereinkommen, bleibt Helena stehen. Sie hat die Deko und uns erblickt. Überrascht schlägt sie die Hände vor dem Mund zusammen. „Was ist denn hier los?“
Ich weiß nicht, ob es meine Anwesenheit, Theos weihnachtliches Engagement oder die Gesamtsituation überhaupt ist, doch Helena ist durch und durch platt. Ihr Mann führt sie schließlich komplett in das Zimmer.
„Überraschung!“ Theo tritt vor und gibt seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. „Da du die ganze Weihnachtszeit über ja hier feststeckst, wollten wir dir mit einem kleinen Fest eine Freude machen.“ Dann beugt er sich zu ihrem Ohr und flüstert etwas. Vermutlich die ganze Geschichte mit meiner verpatzten Geheimhaltung.
Karo tut es ihrem Bruder gleich und umarmt ihre Mutter herzlich. Dabei fällt mir auf, wie ähnlich die beiden Frauen sich sehen. Lange, dunkelblonde Haare und ein Lächeln, das breiter als ihr Gesicht wirkt.
Schlussendlich reiche auch ihr die Hände. Sie beugt sich zu mir. „Alles, was ich wollte, waren ein paar Geschenke für meine Familie – das hier habe ich definitiv nicht erwartet. Dank dir, Liebes. Dein Geschenkservice hat seinen Namen voll und ganz verdient.“
Und als ich das Leuchten in ihren Augen sehe, das Lächeln, da weiß ich, dass es sich gelohnt hat. Helena Wagner geht auf in unserer provisorischen Weihnachtslandschaft.
„Plätzchen? Und wie viele! Hast du die gebacken, Theo?“
Theo tritt nun neben mich. „Wir beide.“
„Sofie, du vollbringst wahrhaftige Wunder. Mein Sohn backt Weihnachtsplätzchen… dass ich das noch erlebe!“
Er backt sie nicht nur, sie schmecken auch. Zusammen mit einigen anderen Patienten lassen wir den Alltag zurück und genießen Weihnachtskitsch. Sogar Theo singt bei dem ein oder anderen Weihnachtslied mit. Es ist ein voller Erfolg.
Und trotz allem gibt es eine Sache, die ich nicht vollbringen konnte. Über all den Trubel hatte ich komplett den Grund vergessen, weswegen ich mich überhaupt mit Theo treffen wollte…

„Jetzt habe ich aber immer noch kein Geschenk für dich“, seufze ich, als wir abends auf dem Rückweg sind.
Theo blickt mich von der Seite an. „Doch. Doch, ich denke, das hast du.“ Er lächelt vielsagend und legt den Arm um mich. Noch nie hat sich Weihnachten so wundersam angefühlt wie in diesem Moment.

Über die Autorin

Marisa Liehner, geboren 1996, wuchs mit deutsch-thailändischen Eltern in einem beschaulichen Dorf im Süden Baden-Württembergs auf. Bereits in der Grundschule fing sie an, kurze Geschichten aufzuschreiben, die über die Jahre immer länger wurden. Ihren ersten Roman „Green – Im Rausch“ veröffentlichte sie schließlich 2016. Im selben Jahr begann sie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Englische Literatur und Kultur sowie Kunstgeschichte zu studieren.

Bücher von Marisa Liehner