sorge dich nicht, lüge!
Wann immer ich bei meinen Shows als Lügenexperte auftrete, stelle ich fest, dass sich die Leute nach einer eindeutigen, klaren Lösungsformel für ihre Probleme sehnen – einer Glücksformel, nach der man sich in allen Lebenslagen richten kann.
Zu schön, um wahr zu sein?
Nicht ganz, denn für unser Glück nehmen wir es durchaus in Kauf, ein klein wenig belogen zu werden.
Davon handelt dieser Lügenratgeber und von dem Verhältnis zwischen Lüge und Wahrheit. Weil das nicht immer ganz eindeutig ist, lasse ich der Einfachheit halber die Wahrheit erst mal weg. Zumal ich überzeugt bin, dass allein die Lüge, die aufrichtige, kreative, ehrliche Lüge, die Lösung für all unsere Probleme ist.
Ich verrate Ihnen aus meinem reichen Erfahrungsschatz, wie Sie es schaffen, in allen Lebensbereichen und in allen Lebenslagen erfolgreich zu lügen.
Zunächst allerdings müssen Sie sich einiges an Basiswissen aneignen: Warum lügen wir? Und welche Folgen hat das? Warum sind Frauen die besseren Lügner und wieso lügen sie anders als Männer?
Erst wenn Sie das beherzigt haben, geht es an die praktische Umsetzung. Sie erfahren, wie man sich selbst und andere nutzbringend belügt.
Aber nicht nur das!
Sie erfahren, wie Sie ein guter Lügenbeobachter werden, wie Sie die Lügen der anderen durchschauen, welche Gestik und Mimik Sie in welcher Situation anwenden müssen und wie Sie Ihren Mitmenschen genau das sagen können, was sie hören wollen: Ehrliche Lügen.
Man soll aufrichtig sein, heißt es immer. Nur ist das wirklich erstrebenswert? Sind Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, stets die Wahrheit zu sagen und ehrlich zu sein, nicht oft langweilig, depressiv und unzufrieden? Lebt es sich da nicht besser mit kleinen, harmlosen Lügen, die der Wahrheit einen heiteren Anstrich geben und die Welt ein bisschen bunter und besser machen? Lügen aus Liebe?
»Lügen, aber ehrlich« ist ein Ratgeber in dreizehn Kapiteln, eins für jeden Monat, in dem Antworten gegeben werden auf Fragen, die Sie sich noch nie gestellt haben, wie zum Beispiel: »Wurde dem Menschen die Sprache nur gegeben, um seine Gedanken zu verbergen?«, »Ist die erfundene Realität wahrhaftiger als die Wirklichkeit?«, »Wie verlogen ist die Transparenz oder wie lüge ich eigentlich ehrlich?«, »Was hat der argentinische Lidblasenfrosch mit mir zu tun?« Aber es werden auch so wichtige und lebensentscheidende Fragen beantwortet wie: »Was haben Schmetterlinge im Bauch, wenn sie verliebt sind?«
Ich glaube ganz ehrlich, dass wir durch charmantes, phantasievolles und einfallsreiches Lügen vielleicht nicht bessere, jedoch auf jeden Fall erfolgreichere und glücklichere Menschen werden.
vorwort
Es war eine der ersten Shows meines ersten eigenen Kabarett-Soloprogramms. Darin stelle ich mein neues Buch vor: »Lügen, aber ehrlich«. Ein Buch, das es nicht gibt.
Fünfzehn Jahre hatte ich an diesem Programm gearbeitet. Bis ich alles geschrieben und auf die Bühne gebracht hatte, war also viel Zeit vergangen. Fünfzehn Jahre verändern, basteln, ausprobieren, verwerfen, mit Freunden diskutieren, wieder umschreiben und so weiter.
Nein, das stimmt natürlich nicht.
Wer mich kennt, weiß, dass das gelogen ist. Ich habe vierzehn Jahre und zehn Monate nur immer wieder davon gesprochen, habe gehadert, gezweifelt und aufgeschoben. Meine Freunde machten sich schon lustig über mich, doch mit viel Blut, Schweiß und Tränen habe ich es dann doch irgendwie geschafft. Die ersten Vorstellungen holperten noch ziemlich, dann wurde es langsam besser. Immer mehr Leute blieben bis zum Schluss der Vorstellung!
So auch an diesem Abend.
Ich war gerade auf dem Weg zur Garderobe und hatte mein »Buch«, das ich dem Publikum während der ganzen Show so aufdringlich empfohlen hatte, in der Hand, da geschah es.
»Entschuldigen Sie, wie Sie sagten, ist Ihr Buch ja derzeit vergriffen, und deshalb die Frage, ob Sie mir eventuell dieses letzte, wertvolle Exemplar Ihres wunderbaren Lügenratgebers verkaufen würden.«
Ich drehte mich erschrocken und ziemlich fassungslos um, weil ich zum einen nicht im Traum daran gedacht hätte, jemals so schwärmerische Worte über ein Buch zum Thema »Lügen« zu hören, und weil zum anderen das Exemplar in meiner Hand aus nichts als unbedrucktem Papier bestand. Das Buch gab es ja gar nicht. Es war ein Gag, eine Lüge, wie vieles andere an diesem Abend, darunter die Behauptung, mein Buch sei leider ausverkauft, könne aber im Internet bestellt werden.
Natürlich war es mir vorher schon mal passiert, dass mich nach der Show jemand ansprach und mich zweifelnd fragte, ob es das Buch denn wirklich gebe. Dann pflegte ich zu antworten: »Das Buch gibt es leider nicht, das war die letzte Lüge des Abends …«
Dieser distinguierte ältere Herr jedoch fragte nicht aus purer Neugier, sondern aus echtem Interesse, ehrlicher Begeisterung sogar. Ich konnte es nicht glauben, dass ein offenkundig hochintellektueller Mensch meine Lüge geglaubt hatte … Und ich brachte es einfach nicht übers Herz, gerade ihm die Wahrheit zu verraten. Erst recht nicht, als ich erfuhr, dass er sogar Rhetorikprofessor war.
»Wissen Sie, ich habe niemanden, der sich mit dem Internet auskennt, und so sehe ich mich nicht in der Lage, ohne größeren Aufwand an dieses hochinteressante Werk zu gelangen.«
Scheinbar höflich-zurückhaltend – in Wahrheit ungeschickt, verdruckst und wie auf frischer Tat ertappt – log ich ihn an: »Ja, wissen Sie, das ist schwierig, weil … Es ist ja so, ich spiele morgen wieder. Da brauche ich das Buch, weil es, wie ich schon sagte, leider das allerletzte Exemplar ist … Also, wenn Sie es vielleicht doch im Internet probieren könnten … Oder Sie warten, bis es nicht mehr vergriffen ist und Sie es überall kaufen können … Tut mir wirklich leid.«
So schnell gab sich mein Gegenüber aber nicht zufrieden. Er sei außerordentlich an dem Buch interessiert. Ob ich nicht irgendeine Möglichkeit sähe, ihm mein Präsentationsexemplar zu überlassen – er würde auch mehr als den vollen Preis dafür bezahlen.
Je freundlicher er mich um das Buch bat, desto schlimmer wurde die Situation für mich. Ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, dass er nämlich schlichtweg einer Lüge aufgesessen war und es dieses Buch gar nicht gab, brachte ich nicht übers Herz. Ich kratzte mich verlegen am Kinn, verdrehte die Augen, fasste mir an den Hals, hangelte mich von einer Übersprunghandlung zur nächsten und stotterte herum. Eigentlich alles billige Anfängerfehler – und das von mir, dem selbst ernannten Profilügner.
Widersprüchliche Gefühle durchfluteten mich: einerseits grenzenlose Freude über diese konkrete Bestätigung, dass ich richtiglag mit meiner Lügentheorie, andererseits Beschämung und Selbsthass, dass ich es nicht schaffte, ihm die Wahrheit zu gestehen. Genauso wenig war ich in der Lage, ihn souverän anzulügen.
Verwirrt erkannte ich, dass es offenbar nicht so einfach war mit der Lüge und der Wahrheit. Vielmehr musste ich mir eingestehen, dass selbst ein Lügenexperte manchmal in Versuchung geriet, aufrichtig zu sein.
In diesem Moment traf ich die Entscheidung: Irgendwann schreibe ich dieses Buch! Der Titel wird sein: »Lügen, aber ehrlich«! Und schon schlappe zehn Jahre später und vier Kleidergrößen mehr ist es so weit: Hier ist es!
Ach ja, kurz nach der Begegnung mit dem Rhetorikprofessor kam noch mal jemand nach der Show auf mich zu, eine ältere Dame, an die ich mich leider ebenfalls sehr gut erinnere. Es stellte sich heraus, dass sie ein großer Fan von mir war und mich bereits in dem Ein-Mann-Theaterstück »Caveman« gesehen hatte. Anscheinend war sie aber enttäuscht von »Lügen, aber ehrlich«.
»Herr Kaie, ich kenne Sie als Caveman. Ich weiß doch, dass Sie ein ganz sympathischer Mensch sind. Sie sind doch so ein lieber Kerl. Warum preisen Sie denn den ganzen Abend Ihr Buch an. Das haben Sie doch gar nicht nötig. Das ist doch total schmierig, Herr Kaie …«
Diesmal wollte ich ehrlich sein, also erklärte ich: »Was Sie gerade sagen, ist für einen Schauspieler das größte Kompliment. Das Buch gibt es nämlich gar nicht. Das ist die letzte Lüge des Abends. Ich spiele nur einen Lügenmotivator, der sein Buch anpreist. Das ist die Rolle. Das bin nicht ich.«
Sie sah mich an mit einer wohldosierten Mischung aus Verachtung und Mitleid, schüttelte den Kopf, drehte sich wortlos um und verschwand.
Ich hatte es wirklich versucht, aber manchmal kommt man mit der Wahrheit einfach nicht durch.
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