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Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen MüheEine Kuh macht Muh - viele Kühe machen Mühe

Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe

Astrid Brandl
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Geschichten einer furchtlosen Landtierärztin

„Ein witziges und lesenswertes Buch, das nicht nur Tierfans und Bauern interessiert. Astrid Brandl schafft es, den Leser geistig mitzunehmen auf kleine und große Höfe im ganzen Chiemgau.“ - Chiemsee Nachrichten

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Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe — Inhalt

Die Doktorin und das fiese Vieh

Ihre Patienten sind ohne Ausnahme unbekleidet, treten nach ihr und bringen Astrid Brandl regelmäßig in „beschissene“ Situationen. Doch es muss schon mehr passieren, damit die Tierärztin aus den Gummistiefeln kippt. Zwischen Milchkuh und Miezekatze erlebt sie tierische Geschichten - da kann es schon mal passieren, dass man bei einer Grippe aus Verzweiflung die Schweinemedizin schluckt …

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 17.09.2013
272 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30221-0
Download Cover
€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 17.09.2013
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96054-0
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Leseprobe zu „Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe“

EINE VERABREDUNG

Die Luft in dem langen Flur war stickig, das Licht schwach, fast schummrig. Ein Fenster wäre schön gewesen.

Mein Gegenüber war nicht viel größer als ich, aber aus der knienden Perspektive kam er mir doch unheimlich groß vor. In Wirklichkeit hatten mich seine schmalen Schultern überrascht, seine Hände wirkten dafür umso gröber. Er blickte auf mich herab. Ich vermied es, ihn anzusehen, aber aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass sich sein schwarzer Schopf nicht bewegte. Sein Blick war starr auf mich gerichtet. Ich spürte den harten [...]

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EINE VERABREDUNG

Die Luft in dem langen Flur war stickig, das Licht schwach, fast schummrig. Ein Fenster wäre schön gewesen.

Mein Gegenüber war nicht viel größer als ich, aber aus der knienden Perspektive kam er mir doch unheimlich groß vor. In Wirklichkeit hatten mich seine schmalen Schultern überrascht, seine Hände wirkten dafür umso gröber. Er blickte auf mich herab. Ich vermied es, ihn anzusehen, aber aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass sich sein schwarzer Schopf nicht bewegte. Sein Blick war starr auf mich gerichtet. Ich spürte den harten Boden unter meinen Knien. Wie lange dauerte das jetzt schon? Mein Zeitgefühl hatte ich verloren, konnte die Dauer nur am zunehmenden Schmerz in meinen Beinen abschätzen. Eine Viertelstunde vielleicht? Mindestens ... Ich hatte vor ihm niederknien müssen, um besser hantieren zu können. Vor einer ganzen Weile schon. Langsam hatte ich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Wo war der verdammte Hoden?

Wir waren um zwei Uhr verabredet gewesen. Mein Vormittag war ruhig verlaufen, wenig Arbeit, die Mittagspause wie geplant. Genügend Ruhe, um mich auf den Termin um zwei einzustimmen. Genügend Zeit, um gegen die Nervosität anzukämpfen. Oder mich so richtig reinzusteigern. Ich hatte alle möglichen Eventualitäten durchgespielt, wieder und wieder. Bloß keine bösen Überraschungen riskieren.

Wir beide waren pünktlich erschienen. Er hatte draußen auf mich gewartet. Seine linke Hand ruhte auf dem Kopf eines großen Schäferhunds, der neben ihm saß. Die üblichen Begrüßungsfloskeln, höflich aber distanziert. Zusammen sind wir ohne weitere Worte durch eine kleine Tür ins Innere des Gebäudes gegangen. Sofort umfing mich unangenehm warme, schwül-stickige Luft, die es mir schwer machte, ruhig weiterzuatmen. Er ging mit dem Hund voraus. In einem langen Flur schienen wir angekommen zu sein. Mindestens acht oder zehn Türen gingen von dem schmalen Korridor ab – alle geschlossen. Hie und da drangen gedämpfte Geräusche hinter den Türen hervor. Mehr nicht. Es war unerträglich warm, und obwohl ich mich sorgfältig vorbereitet hatte, schlug mir das Herz plötzlich bis zum Hals. Vor einer der Türen in der Mitte blieb er stehen, bedeutete mir auf dem Flur zu warten und verschwand. Die Tür schloss sich hinter ihm. Der Hund hatte neben mir Position bezogen und lauschte mit gespitzten Ohren und leicht schief gelegtem Kopf dem Treiben hinter der Tür. Kurze Zeit später vernahm ich aufgeregtes, schrilles Quieken, ehe die Tür wieder aufging und er herauskam – mit einem kreischenden Ferkel auf dem Arm.

Das war er also – mein erster Binneneber. Ein männliches Schweinchen mit einem kleinen anatomischen Fehler: Einer, oder vielleicht auch beide Hoden waren lieber im Inneren des Bauches geblieben, anstatt schön luftig zwischen den Beinen zu baumeln. Deshalb konnte er, der Bauer, dieses Schweinchen nicht selbst kastrieren, wie sonst durchaus üblich. Und genau deshalb war jetzt mein Einsatz gefragt. Ich sollte den abtrünnigen Hoden im Bauch aufspüren und entfernen. Meine absolute Schweine-Premiere.

Seit ich in der Praxis arbeitete, hatte ich noch nie ein Schwein behandelt und schon gar nicht in einer derart delikaten Angelegenheit. Deshalb war ich jetzt doch etwas nervös. Aber nachdem ich mir schon Stunden zuvor den Ablauf des Eingriffes gebetsmühlenartig vorgesagt hatte, war ich in meinen Handgriffen einigermaßen sicher. Das Narkosemittel hatte ich schon griffbereit, und stellte damit als Erstes den ohrenbetäubenden Lärm ab, den das Ferkel verbreitete. Nicht lang, dann schwieg das Schweinchen. Welche Wohltat! Für die Operation sollte ich das Ferkel nach Anweisung meines Chefs mit dem Kopf nach unten aufhängen. Meist hatten die Bauern eine Vorrichtung für diesen Zweck in petto. Nachdem das Schweinderl also friedlich schlummerte, erkundigte ich mich, wo wir das Tier jetzt aufhängen könnten.

„Ach, des halt ich immer so fest!“, meinte der Bauer. Aha. Ja, er wird’s wohl wissen. Ich hab auch gar nicht lange widersprochen. Hätt ich aber vielleicht besser tun sollen.

Der Bauer hatte die Hinterbeine des Ferkels ergriffen und ließ es zwischen seinen Beinen mit dem Kopf nach unten hängen, die Bauchunterseite mir zugewandt. Das Schweinchen lag mit dem Rücken an den Oberschenkeln des Bauern. Und wenn man das mal anatomisch durchkalkuliert, kann man sich schnell ausrechnen, dass so ganz automatisch das Becken des Ferkels vor dem Becken des Bauern zu liegen kommt. Eine delikate Sache. Zumindest sollte man da mit dem Skalpell nicht unglücklich abrutschen. Noch dazu ist die Arbeitshöhe für den Operateur nicht sonderlich rückenfreundlich, da man, um sich an den Lenden des Schweinchens zu schaffen zu machen, eine gebückte Haltung einnehmen muss. Oder eben auf die Knie geht ...

Schon nach dem Hautschnitt ging ich also vor dem Schweinchen, respektive dem Bauern, zu Boden. Der Schäferhund setzte sich neben mich und begann mir seinen fad-süßlichen Atem von rechts ins Gesicht zu blasen. Besten Dank auch, ich hab eh schon kaum Luft gekriegt. Wieso muss es in Schweineställen auch immer so grausig warm sein?

Ich hatte mir den Zugang zum Leistenkanal mit dem Skalpell freigelegt und suchte jetzt mit dem Finger im Leistenspalt nach dem Hodenstrang. Ich musste mich ganz schön konzentrieren, schließlich hatte ich die Prozedur live noch nie gemacht. Neben der Operation kreisten meine Gedanken aber unablässig um ein ganz anderes Problem: Ich betete inständig, dass bitte niemand, absolut niemand, unverhofft in den Stall kommen würde. Nicht bevor ich dieser zweideutigen Stellung entronnen war. Am allerwenigsten die Frau des vor mir stehenden Bauern. Also musste ich zusehen, dass ich das hier schnell hinter mich brachte! Zu meinem großen Glück war der vermisste Hoden sehr kooperativ und ließ sich ohne große Umschweife an die Oberfläche holen. Dann band ich ihn ab und schnitt ihn schließlich ab. In dem Moment, als ich den warmen, glitschigen Hoden in den Fingern hielt, stoppte ganz unvermutet auch das feuchte Hecheln neben mir. Stattdessen tropften lange Speichelfäden aus den Lefzen des Hundes.

„Darfst’s ihm schon geben. Er wartet ja schon die ganze Zeit aufs Leckerli!“, ließ mich der Bauer wissen. Na bravo! An Guad’n dann! Mit einer ausholenden Bewegung warf ich den Hoden über den Kopf des Hundes hinweg in den trüben Flur, und sofort schoss der hinterher. Mit umständlichen Bewegungen rappelte ich mich schließlich in eine aufrecht stehende Position hoch.

„Guad is ganga!“, atmete ich in Gedanken auf.

„Dann hol i schon den nächsten“, sagte der Bauer in diesem Moment und wandte sich zum Gehen.

Wie bitte? Noch einer? Von einem Binneneber hatte mein Chef gesprochen. Das glaub ich jetzt nicht!

Also folgte wenige Minuten später der nächste Kniefall, und danach noch drei weitere.

Im Rückblick grenzt es für mich an ein Wunder, dass mich niemand in der übelsten Arbeitshaltung meiner bisherigen Karriere ertappt hatte: dicht vor dem Bauern kniend, auf Höhe seiner Lendengegend herumstochernd.

Und erzählt hab ich’s auch niemandem. Bis heute. Obwohl es mich schon interessiert hätte, ob mein Chef die Binneneberauf diesem Hof in derselben Position operiert hat.



GSCHAFTLEREI

Ich bin also glatt Tierärztin geworden, und das, obwohl es ursprünglich gar nicht mein Plan gewesen war. Ich wollte immer nur Bäuerin sein, genau wie die Mama. Der Kuhstall – das war meine Welt. Der Grundstein für diese Affinität wurde bei mir vermutlich schon pränatal gelegt, weil ich von meiner hochschwangeren Mutter zweimal täglich zum Melken mitgeschleppt wurde. Zwangsläufig. Und als Fetus im Mutterbauch kann man ja nicht ständig weghören, wenn um einen herum die Kühe muhen. Ich war auf Stallarbeit und Kühe geprägt, und das wollte ich auch nach meiner Geburt so haben. Da war ich stur. Morgens melken, abends melken: Ich musste dabei sein. Die Mama wird mich wohl des Öfteren verflucht haben. Wenn sie morgens versuchte, mich meiner Oma unterzuschieben, damit sie in Ruhe in den Stall kann, scheiterte sie regelmäßig an meinem hartnäckigen Gebrüll.

Mein Durchsetzungsvermögen in Sachen Kuh war schon damals voll entwickelt. Ich gab erst Ruhe, wenn ich in mein Sportwagerl gesetzt und in den Stall geschoben wurde. Das Sportwagerl war ein geländegängiger, gummibereifter Kinderwagen mit Kunstlederbezug, also auch noch Kuhscheiße-tauglich. Im Kuhstall „wagerlte“ mich die Mama stoisch hinter den Kühen auf und ab in der vagen Hoffnung, dass ich doch wieder einschlafen würde. Diese Freude machte ich ihr aber meistens nicht. Wenn die Mama wieder zum Melken musste, wurde mein Sportwagerl schnell zwischen zwei Kälberboxen in Parkposition gebracht, von denen eine ganze Reihe hinter den Kühen aufgestellt war. So hatte sie freie Hand zum Arbeiten und mich gleichzeitig immer im Blick. Umgekehrt konnte ich aus meiner Parkperspektive die Hinterteile der Kühe in ihrer vollen Breite und Anmut studieren. So was brennt sich ein. Keine Regung des hinteren Endes einer Kuh kann einen da noch überraschen. Seit jeher gehe ich automatisch einen Schritt zurück, wenn neben mir eine Kuh den Schwanz hebt, weil mir völlig klar ist, dass Kuhscheiße mitunter weit spritzt, wenn sie pappig-weich unter dem angehobenen Schwanz der Kuh hervorquillt und mit einem Klatschen auf den Boden schlägt.

Selbst Jahre später fand ich es befremdlich, wenn sich Schulfreunde bei uns im Stall halb totgelacht haben, nur weil eine Kuh sich plötzlich aufbuckelt und mit der Wucht einer überlaufenden Dachrinne Urin absetzt. Da ist doch nichts Lustiges dran. Ganz im Gegenteil, richtig gefreut hat mich das als Kind! Geifernd saß ich in meinem Sportmobil, links und rechts an meinem Gefährt festgekrallt, und schaukelte mit aller Wucht hin und her. Nicht selten so lange, bis mein Wagerl gefährlich kippte. Um mich vor einem Absturz in die Tiefen der Kälberboxen zu bewahren, wurde mir ein Brustgeschirr angelegt, mit dem ich am Kinderwagen festgebunden wurde. Da hatten es die Kälber neben mir in ihren Strohboxen besser – die konnten sich wenigstens frei bewegen!

Als ich dem Kinderwagen entwachsen war und frei über meine Wege entscheiden konnte, wurde Melken noch viel spannender. Nach wie vor musste ich dabei sein, morgens und abends. Ich beobachtete, wie die Mama sich zwischen die Kühe zwängte, die Euter mit einem Lappen abputzte und mit der Hand ein, zwei Milchstrahlen aus jeder Zitze molk, bevor sie das Melkzeug ansetzte. Die Euterlappen lagen in einem Eimer mit warmem Wasser, der hinter den Kühen auf dem Gang stand. Mit fortschreitendem Melken wurde das Wasser im Eimer immer schmutziger und brauner. Einmal muss ich in meinem geschäftigen Treiben wohl den Eimer übersehen haben. Ich stakste ein paar Schritte rückwärts und saß plötzlich mit meinem Hintern im Eimer. Sofort saugte sich die Windel bis oben hin mit dem dreckigen Wasser voll. Eine wahrlich angemessene Taufe für eine Starmelkerin! Die Mama musste mich aus der unappetitlichen Lage befreien, weil ich es aus eigener Kraft nicht konnte. So sehr hatte sich meine Windel im Eimer vollgesaugt. Mein Ego ließ allerdings schon in diesem zarten Alter von zwei Jahren keine offene Blamage zu. Ich hatte während des Vorfalls keinen Laut von mir gegeben.

„Jetzt bist aber nass geworden!“, war Mamas trockener Kommentar.

„Naa, bin ich ned!!“, hielt ich felsenfest dagegen und schritt erhobenen Hauptes und mit tropfendem Hintern von dannen.

Je älter ich wurde, desto mehr Aufgaben im Melkablauf konnte und wollte ich übernehmen. Den Eimer mit den Euterlappen weitertragen und aufpassen, dass keine Kuh blind gemolken wird. Das heißt, dass das Melkzeug noch am Euter saugt, obwohl das Euter schon leer ist und keine Milch mehr kommt. Das ist schlecht für die Euter, und ich musste aufpassen wie ein Luchs.

Ich liebte das Melken, und ich hielt mich recht schnell für unentbehrlich. Eine rechte Gschaftlhuberin bin ich gewesen. Und deshalb war mir mit der Zeit das Delegieren und Überwachen nicht mehr Herausforderung genug. Ich wollte ran an die Kuh! Meine Eltern reagierten in dieser Hinsicht recht verhalten, schließlich kann eine 12 Zentner schwere Kuh eine Vierjährige mit gar nicht viel bösem Willen recht übel zurichten. Aber diese Bedenken scherten mich nicht. Ich beschwatzte die Mama so lange, bis ich zumindest an den zwei allerbravsten Kühen selbst Hand anlegen durfte: die Ursl und die Renke. Die beiden wurden dann natürlich schnell meine Lieblingskühe im Stall. Vor dem Melken durfte ich ihre Zitzen mit dem Euterlappen sauber reiben. Yeah, I’m a Melker!

Ich musste allerdings den Euterlappen mit beiden Händen festhalten. So elegant wie die Mama, mit nur einer Hand, konnte ich es nicht. Aber man braucht ja noch Ziele im Leben!

Wie ich schnell feststellte, war das Abwischen der Euter recht einfach, verglichen mit Schritt zwei: Die Kuh mit der Hand vormelken. Mindestens zwei Milchstrahlen aus jeder Zitze. Puh, das war zäh. So sehr ich die Zitzen auch drückte, es kam und kam keine Milch heraus. Die Mama erklärte mir die Technik des Handmelkens genau, was aber nicht viel weiterhalf. Meine Finger waren einfach zu kurz, ich konnte die Zitzen nicht komplett umfassen. So sehr ich mich damit abmühte, vorerst musste ich es beim Euterabwischen belassen. Aber weitergeübt habe ich das Handmelken doch.

Und eines Tages hat es dann endlich funktioniert, ich war mordsstolz! Zufällig kam genau an diesem meinem Glückstag mein Onkel Sepp auf den Hof. Gleich am Hoftor fing ich ihn ab und zerrte ihn in den Kuhstall. Überschwänglich berichtete ich von meinem Fortschritt. Mit stolzgeschwellter Brust demonstrierte ich ihm das Ganze an einer Kuh. Und an der nächsten auch noch. Nachdem ich vier oder fünf Kühe bearbeitet hatte, kam mein Vater dazu. Ich erwartete anerkennende Worte. Stattdessen wies er mich scharf zurecht. „Du kannst doch nicht mitten am Tag die Kühe melken!“

Ich konnte mit dem Vorwurf zunächst gar nichts anfangen. Wenn man eine Kuh abends melken kann, dann kann man das doch auch am Nachmittag? Und außerdem war von Melken gar nicht die Rede, sondern nur von VORmelken.

Aber genau da lag das Problem. Meine vorgemolkenen Kühe ließen mittlerweile allesamt die Milch in vollem Strahl laufen. Ich hatte die Euter so stimuliert, dass den Kühen die Milch eingeschossen war. Wurden sie jetzt nicht gemolken, würde die Milch erst mal weiter aus dem Euter laufen und unter der Kuh einen schönen Milchsee bilden. Legte sie sich dann später mit dem Euter in diese delikate Mischung aus Milch und Schmutzbakterien, bekam sie vielleicht sogar noch eine Entzündung im Euter. Woher sollte ich das denn wissen?

Ich vielleicht nicht, aber mein Onkel hätte genug Kuhwissen haben müssen, um mich zu bremsen. Also hat er erst mal einen ordentlichen Anpfiff von meinem Vater kassiert, was mich summa summarum schon wieder etwas weniger schlecht hat dastehen lassen. Mein Vater musste die Melkanlage anstellen und meine super-stimulierten Kühe mit der Melkmaschine ausmelken. Hängen geblieben ist mir jedenfalls das eine: Berühre niemals eine Kuh außerhalb der regulären Melkzeiten am Euter! Hab ich dann auch nicht mehr gemacht.


Über meine Gschaftlhuberei stolperte ich immer wieder. Wenn ich ehrlich bin, hat sich daran bis heute nichts geändert. Mitunter bringe ich aber auch andere Leute zum Stolpern, einmal sogar im wahrsten Sinne des Wortes.

Unsere Kühe wurden im Sommer nach dem morgendlichen Melken aus dem Stall getrieben und durften tagsüber auf einer der Weiden grasen und rasten. Zur zweiten Melkzeit holten wir sie wieder in den Stall. Gar keine Frage, dass ich jedes Mal mit von der Partie sein musste, wenn die Kühe nach Hause getrieben wurden. Bewaffnet mit einem Holzstecken zog ich dann mit dem Opa oder meinem Vater los bis ans Ende der Weide, wo wir kehrtmachten und die Kühe vor uns in Richtung Stall trieben. Gemächlich trotteten die Damen zum Hof zurück, den Weg kannten sie ja. Eigentlich hätte auch einer allein die Kühe holen können, aber in der lauen Sommersonne gemütlich über die grüne Wiese stiefeln und den Duft aus Kuhfladen und Gras einsaugen – das war schon was! Und wenn doch eine Kuh unerwartet eine andere Richtung einschlug und einer von uns ihr den Weg abschneiden musste, war meine Anwesenheit sogar richtig nützlich. Geärgert hat’s mich ein bisschen, dass ich nur selten morgens beim Austreiben dabei sein konnte, denn bevor die Kühe nach draußen durften, musste ich schon im Kindergarten antreten. Aber abends freute ich mich dann umso mehr auf das Heimtreiben der Kühe.

Alle unsere Kuhweiden grenzten direkt an den Hof, bis auf eine. Die lag auf der anderen Seite der Gemeindestraße, direkt hinter unserem Stall. Viel befahren war die Straße nicht, aber auf Höhe unseres Hofes schnurgerade, so dass die Autos hier immer recht flott unterwegs waren. Sollten die Kühe auf eben diese Weide jenseits der Straße getrieben werden, spannten wir einen Draht quer zur Fahrtrichtung, so dass die Tiere auf kürzestem Weg kreuzen mussten und nicht abhauen konnten. Das Ganze musste schnell gehen, denn es gilt ja schließlich freie Fahrt für freie Bürger – zumindest auf dem Land.

Seit mehreren Tagen schon grasten die Kühe auf dieser Weide, und nachmittags war ich natürlich immer dabei, um sie in den Stall zurückzuholen. Ich wusste also genau, wie der Abtrieb vor sich ging. Zuerst zog man den Netzstecker vom Weidezaungerät, damit der Weidedraht nicht noch unter Strom stand, wenn man ihn anfasste. Das bitzelte nämlich ganz schön in der Handfläche! Und es bitzelte auch an den Nasenspitzen der Kühe, die in ihrer kurzsichtigen Neugier mit ihrer feuchten Nase allesamt schon am Draht geschnuppert hatten. Der Lerneffekt trat bei mir wie bei ihnen sofort ein: Berührungen mit dem Draht waren zu vermeiden.

War also der Strom abgeschaltet, öffneten wir die Tür zum Stall, damit die Kühe gleich flugs an ihren Platz konnten. Erst dann wurde der Draht über die Straße gespannt.

Mein Highlight waren die Wochenenden, denn da konnte ich auch morgens beim Austrieb mit dabei sein. Schon früh war ich dann im Stall und drehte ungeduldig mit meinem orangefarbenen Plastik-Tretbulldog meine Runden. Im Slalom peste ich zwischen den Silageblöcken auf dem Futtertisch hindurch, irgendwie musste ich meine Ungeduld bis zum Weideaustrieb bekämpfen. Die Mama melkte gerade die letzten Kühe, es konnte also nicht mehr lange dauern. In meiner kurzbeinigen Selbstüberschätzung beschloss ich am Samstagmorgen, schon mal alles für den Austrieb vorzubereiten. Zugegeben, ich hatte im Austreiben der Kühe nicht dieselbe Routine wie beim abendlichen Weideabtrieb, aber den Ablauf konnte man sich ja leicht denken. Zuerst musste das Weidezaungerät abgesteckt werden, das außer zum Kühetreiben immer an war, weil es auch den Zaun der Jungrinderweide mit Strom versorgte. Schwungvoll parkte ich meinen Bulldog unter dem Gerät, das an der Stallwand montiert war. Wenn ich auf die Motorhaube meines Gefährts kletterte, konnte ich den Netzstecker gerade eben mit den Fingern erreichen. Das wäre schon mal geschafft. Ich linste zu meiner Mutter, sie war noch immer mit Melken beschäftigt. Es konnte ja nicht schaden, wenn ich schon mal den Draht über die Straße spannte. Das hatte ich zwar noch nie allein gemacht, wusste aber genau, wo man die Drahtschlaufe am Straßenpfosten gegenüber einhaken musste. Noch während ich den dünnen Metalldraht quer über die Straße hinter mir herzog, freute ich mich über meine Gewieftheit. Ich war schon eine echte Hilfe für meine Eltern! Jetzt konnten die Kühe kommen. Aber noch war keine Kuh in Sicht. Im Stall trug mein Vater die letzten Melkgeschirre von den Kühen weg in die Milchkammer, und die Mama mühte sich mit zwei vollen Milchkannen ab. Dass das alles so lang dauern musste!? Ich wartete an der offenen Stalltür und trat erwartungsvoll von einem Bein aufs andere. Da endlich kam der Papa!

Er freute sich bestimmt, dass ich schon alles vorbereitet hatte! Als er auf mich zukam, merkte ich, wie er kurz innehielt. Schon im nächsten Moment hechtete er mit Riesensprüngen durch die Stalltür nach draußen. Perplex blieb ich stehen. Mein Vater war auf die Straße gerannt und kniete eben neben einer dunklen Gestalt, die bäuchlings auf dem Asphalt lag. Mit Sturzhelm. Ein paar Meter weiter lag ein Mofa auf der Straße, das Hinterrad drehte sich leise surrend. Daneben ein abgebrochener Spiegel. Was ich aber fast am schlimmsten fand: Mein sorgfältig gespannter Draht war abgerissen! Mittendurch! Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Intuitiv blieb ich im Schatten der Wand stehen, bewegte mich nicht.

Mit Hilfe meines Vaters rappelte sich der Mofafahrer langsam auf, gemeinsam wankten sie an den Straßenrand. Der Unbekannte plumpste wie ein nasser Sack ins Gras und nahm schließlich mit zittrigen Fingern den Helm ab. Ich erkannte ihn sofort: der Günther, ein junger Kerl aus dem Nachbarsdorf. Ich atmete erleichtert auf. Der Günther hält das schon aus. Und Gott sei Dank behielt ich damit recht.

Der Günther fuhr mit seiner Puch oft bei uns vorbei. Er duckte sich immer ganz weit nach unten beim Fahren und holte aus seinem Mofa raus, was ging, Gas auf Anschlag aufgedreht, zumindest rein akustisch. Dabei machte er immer einen richtigen Katzenbuckel.

Meinen Draht hatte er natürlich nicht sehen können, sondern ist mit Vollgas reingefahren und über den Lenker gesegelt. Der Papa hatte draußen vor der Stalltür etwas Langes durch die Luft fliegen sehen. Das war der Günther. Seinen Katzenbuckel hat’s ihm da jedenfalls ausgebogen.

Freilich bin ich als Übeltäter schnell entlarvt gewesen, und geschimpft worden bin ich auch für mein voreiliges Handeln, obwohl ich doch nur hatte helfen wollen! Ein bisschen ungerecht fand ich das schon. Dem Günther ist nichts Schlimmes passiert. Die Puch fuhr sogar noch, nur den Spiegel haben wir ersetzen müssen. Und den Draht haben wir auch weiterhin für die Kühe über die Straße gespannt, allerdings hat die Mama eine rote Plastikfahne hingehängt. Als Warnsignal für Mofafahrer und übermotivierte Kuhhirtinnen.

Über Astrid Brandl

Biografie

Astrid Brandl, geboren 1976 in Trostberg, lebt im Chiemgau und ist promovierte Tierärztin und Landwirtin aus Leidenschaft. Zur Entspannung schert sie Kühe und schreibt als Kolumnistin für das Magazin MUH.

Pressestimmen
Lahn-Dill-Anzeiger

„Humorvoll, flüssig geschrieben und bestens unterhaltend. (...) Ein Muss für alle Tierfreunde.“

BR - Capriccio

„Brandl ist in ihren Geschichten ziemlich realistisch, aber auch voll Komik.“

Chiemsee Nachrichten

„Ein witziges und lesenswertes Buch, das nicht nur Tierfans und Bauern interessiert. Astrid Brandl schafft es, den Leser geistig mitzunehmen auf kleine und große Höfe im ganzen Chiemgau.“

Bild der Frau

„Astrid Brandl, Power Frau!“

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