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Der Tod ist ein Tänzer (Die schwarze Venus 1)

Der Tod ist ein Tänzer (Die schwarze Venus 1)

Veronika Rusch
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Die Josephine-Baker-Verschwörung

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Der Tod ist ein Tänzer (Die schwarze Venus 1) — Inhalt

„Die Schwarze Venus“-Trilogie: Historische Spannung um eine legendäre Figur – Josephine Baker, Tänzerin, Vordenkerin, Kämpferin!
Band 1 „Der Tod ist ein Tänzer“ führt den Leser ins Berlin des Jahres 1926: An einem kalten Januartag treffen sie erstmals aufeinander: Tristan Nowak und Josephine Baker, die schillernde Tänzerin, die er vor einem Anschlag schützen soll. Zunächst glaubt Tristan nicht so recht an die Bedrohung. Er begleitet Josephine durch die Vergnügungswelt Berlins und verliebt sich gegen seinen Willen in die außergewöhnliche Frau. Doch die Gefahr ist real, und die Attentäter kommen immer näher …  

In ihren historischen Kriminalromanen (Bd. 1: „Der Tod ist ein Tänzer“, Bd. 2: „Die Spur der Grausamkeit“, Bd. 3: „Die Dunkelheit der Welt“) macht Veronika Rusch die faszinierende Tänzerin und Sängerin Josephine Baker, die man auch „Die schwarze Venus“ nannte, zur zentralen Figur einer groß angelegten Verschwörung. Die drei Bände führen die Leser in drei glamouröse Hauptstädte – Berlin, Wien und Paris – und von den goldenen Zwanzigern bis ins Paris des Jahres 1942: Drei Schicksale treffen wieder und wieder aufeinander, ein Mann, gezeichnet durch den Krieg, eine Frau, entschlossen, die Welt zu erobern, ein Gegner, gefährlich und unberechenbar …

„›Der Tod ist ein Tänzer‹ ist ein großartiger historischer Roman, eine gelungene Mischung aus Fakten und Fiktion, unheimlich atmosphärisch und spannend bis zum Schluss. Dieser Roman macht unbedingt Lust auf Teil zwei und drei.“ WDR 4

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 01.04.2021
496 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99672-3
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Leseprobe zu „Der Tod ist ein Tänzer (Die schwarze Venus 1)“

1
Paris, Dezember 1925


Der Mann, der in der Galerie des Théâtre des Champs-Elysées in der vordersten Reihe saß, war zutiefst angewidert von dem, was er sah. Seine rechte Hand, an der der kleine Finger und der Ringfinger fehlten, verkrampfte sich ruckartig zu einer Faust, und die sorgfältig manikürten Nägel der übrigen Finger gruben sich tief in die Handballen. Der Schmerz lenkte ihn kurzfristig ab, reichte jedoch nicht aus, um ihn zu beruhigen. Seit Beginn der Vorstellung unterdrückte er nur mit Mühe den Impuls, einfach aufzustehen und zu gehen. Doch er [...]

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1
Paris, Dezember 1925


Der Mann, der in der Galerie des Théâtre des Champs-Elysées in der vordersten Reihe saß, war zutiefst angewidert von dem, was er sah. Seine rechte Hand, an der der kleine Finger und der Ringfinger fehlten, verkrampfte sich ruckartig zu einer Faust, und die sorgfältig manikürten Nägel der übrigen Finger gruben sich tief in die Handballen. Der Schmerz lenkte ihn kurzfristig ab, reichte jedoch nicht aus, um ihn zu beruhigen. Seit Beginn der Vorstellung unterdrückte er nur mit Mühe den Impuls, einfach aufzustehen und zu gehen. Doch er wollte seine Gastgeber nicht unnötig brüskieren. Das Ehepaar Amsinck, bei dem er logierte, hatte mehrmals betont, dass es nur aufgrund von guten Beziehungen überhaupt möglich gewesen sei, noch Karten für die Vorführung zu bekommen, und die beiden waren außerordentlich stolz darauf gewesen, ihn einladen zu dürfen.

Er hatte sich keine Vorstellung gemacht, was ihn erwarten würde, inzwischen jedoch war er entsetzt. Die Dekadenz dieser Stadt war weiter fortgeschritten als vermutet, und die Amsincks hatten sich, obwohl Deutsche, ganz offenbar von dem Virus der sittenlosen Vergnügungssucht anstecken lassen. Jetzt flüsterte ihm Fritz Amsinck zu, dass die nächste Szene den Höhepunkt der gesamten Vorstellung darstellte. Seine Frau Mathilda, gepudert und geschminkt wie ein halbseidenes Mädchen, obwohl sie bereits über vierzig war, nickte, und ihre Augen leuchteten, als sie sich nun ebenfalls zu ihm herüberbeugte und leise hinzufügte: „La Danse Sauvage.“ Eine Wolke ihres schweren Parfüms nebelte ihn ein, und er wich unauffällig zurück. Dann rang er sich ein höfliches Lächeln ab und fragte sich gleichzeitig bestürzt, was als Steigerung zum Bisherigen wohl noch Unsägliches aufgeboten werden konnte.

Es wurde dunkel auf der großen, von goldenen Reliefs eingefassten Bühne, und die unmelodische, quäkende Negermusik, die ihn die ganze Zeit in den Ohren geschmerzt hatte, veränderte sich, Trommeln gewannen die Oberhand. Dann flammte ein einzelner Scheinwerfer auf, und ein kräftiger, tiefschwarzer Wilder erschien. Nackt bis auf einen Lendenschurz und mit zahlreichen Perlenketten um Bizeps, Knöchel und Brust geschmückt, ging er vornübergebückt und trug eine Frau mit sich. Sie lag quer auf seinem Rücken, rücklings ausgestreckt wie auf einer Sänfte, und trug nichts am Leib außer ein paar zitternden Federn an Fuß- und Armgelenken und ein winziges, von Federn bedecktes Höschen. Ihre braune Haut glänzte im goldenen Licht des Scheinwerfers. Der Wilde setzte sie behutsam ab, und sie begann zum Rhythmus der Trommeln zu tanzen.

Der Mund des Mannes auf der Galerie wurde staubtrocken. Noch nie hatte er Derartiges gesehen. Mit jedem dunklen Trommelschlag, mit jeder obszönen Bewegung der Frau sank er tiefer in seinen Sessel. Mit einem Mal fiel ihm das Atmen schwer, und fast panisch lockerte er mit den verbliebenen Fingern seiner Rechten die Krawatte. Es war viel zu warm in dem Saal mit der prächtigen Glasrosette an der Decke. Die Luft war erfüllt vom süßlichen Duft der parfümierten Damen und dem Schweißgeruch der angeblich so kultivierten Pariser Männer, die das abstoßende Treiben auf der Bühne in einen Zustand atemloser Verzückung versetzte. Obwohl er glaubte, vor Abscheu ohnmächtig werden zu müssen, hier, in diesem Sessel aus rotem Samt, vor den Augen all dieser dekadenten Froschfresser, konnte er den Blick nicht von der Bühne abwenden. Fast gegen seinen Willen saugten sich seine Augen an der biegsamen Gestalt der Tänzerin fest, und er spürte mit Entsetzen, wie ihn eine nie gekannte Erregung erfasste und ihm seine Hose zu eng wurde.

Hastig richtete er sich auf und versuchte, sich innerlich abzukühlen. Das durfte nicht sein. Diese Darbietung überstieg die Grenzen allen Anstandes. Und plötzlich wusste er mit absoluter Klarheit: Das war er. Der endgültige Verfall all dessen, was einmal seine Welt, was einmal gut und richtig gewesen war. Hier, in diesem Theater, in der Stadt des Erbfeindes wurde er eingeläutet, und es würde nicht lange dauern, und der endgültige Niedergang würde auch Berlin erreichen. Es war ohnehin nicht mehr viel vonnöten, um seiner Stadt den Todesstoß zu versetzen. Sie taumelte bereits. All das Gesindel – die Republikaner, die Kommunisten und die Juden – hatte das seinige dazu beigetragen. Die Stadt wankte ihrem Untergang entgegen. Und wenn es so weit war, würde sie das ganze Land mit in den Abgrund reißen. Es brauchte nur noch einen Stoß …

 

Die Darbietung war zu Ende, und er blinzelte, wie aus einem Albtraum erwacht. Langsam beruhigten sich seine Nerven, und sein Körper gehorchte ihm wieder. Die Tänzerin verbeugte sich vor dem frenetisch klatschenden Publikum und verteilte lachend Handküsschen, bevor sie hinter der Bühne verschwand, um gleich darauf in einen glitzernden Umhang gehüllt zurückzukommen und mit ihr der ganze Rest der Truppe von Wilden. Um ihn herum, auf den Galerien und im Parkett sprangen die Zuschauer auf und jubelten, warfen Rosen auf die Bühne und benahmen sich wie toll. Auch seine Gastgeber waren aufgestanden und klatschten wie entfesselt. Pikiert schürzte er die Lippen und wandte sich ab. Als Einziger im Saal blieb er sitzen, wie versteinert, die Hände im Schoß, die rechte Faust noch immer zuckend vor unterdrückter Wut. Mit keiner Bewegung, und sei sie noch so zufällig, würde er sich erniedrigen und dieser Darbietung so etwas wie Beifall zollen.

Während ihn der Jubel des Publikums umtoste, wuchs sein Hass ins Unermessliche. Er fixierte die schwarze Tänzerin aus zusammengekniffenen Augen. Sie erschien ihm wie die Ausgeburt der Hölle, wie sie in ihrem Glitzerfummel vorne auf der Bühne stand und lachte, mit diesem großen, breiten Negermund, und sich unverfroren feiern ließ. Im nächsten Monat würde sie nach Berlin kommen. Die Revue war bereits angekündigt, und die Vorstellung, dass sich die Berliner für diese schamlose Person ebenso zum Affen machen würden wie die Pariser, war ihm unerträglich. Diese Revue war eine Beleidigung der Welt, in der er groß geworden war, in der Recht und Ordnung, Sitte und Anstand etwas gegolten hatten.

Dieses grinsende schwarze Miststück trat mit jeder schamlosen Zurschaustellung ihres nackten Körpers diese Welt mit Füßen, bespuckte ihr Andenken und würde sie letztendlich in den Abgrund stürzen. Wenn niemand es verhinderte.

Bei diesem letzten Gedanken richtete er sich auf, bemüht, ihn festzuhalten. Er beugte sich nach vorne, den Kopf leicht schräg, wie in Lauerstellung, darauf konzentriert, den Gedanken weiterzuspinnen, während um ihn herum der Applaus noch einmal anschwoll und nach einer Zugabe verlangt wurde. Als die Kapelle ein letztes Lied zu spielen begann, achtete er nicht mehr darauf. In ihm reifte ein Plan, und während sich nahezu mühelos ein Detail zum anderen fügte, erfasste ihn eine dunkle Woge gehässiger, boshafter Genugtuung. Er lachte laut auf, so berauscht war er von seiner Idee, doch sein Lachen ging in dem Lärm unter.

Niemand hörte es, denn niemand beachtete den dunkelhaarigen Mann im Stresemann, der leicht vorgebeugt und so steif und bleich wie eine Wachsfigur in seinem Sessel saß. Hätte jemand den Blick von der Bühne abgewandt und sich die Mühe gemacht, ihn näher zu betrachten, wären ihm wohl als Erstes die fehlenden Finger an der rechten Hand aufgefallen und die Angewohnheit, die verstümmelte Hand neben seinem Körper immer wieder ruckartig zur Faust zu ballen, als versuche er, etwas für alle anderen Unsichtbares zu greifen, um es zwischen seinen drei verbliebenen Fingern unbarmherzig zu zermalmen. Hätte sich der Beobachter noch ein wenig mehr Zeit gelassen, wäre sein Blick über das hagere Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der eigentümlich faltenlosen Stirn geschweift, hätte vermutlich die zu großen, abstehenden Ohren und den militärischen Haarschnitt registriert und wäre dann bei den Augen des Mannes hängen geblieben. Irritiert. Vielleicht ein wenig verunsichert.

Es waren sehr dunkle Augen, und sie lagen leblos wie schwarze Glasmurmeln tief in den Höhlen. Diese Augen sprachen keine Sprache, nichts war darin zu lesen. Alles, was jener Mann auf der Galerie zu fühlen imstande war, alles, wozu er fähig war, blieb hinter dieser lichtlosen Dunkelheit verborgen. Kein Hass, keine Wut und kein Schmerz schimmerten daraus hervor. Er hatte früh schon gelernt, diese Gefühle im Zaum zu halten, sie tief in sich zu verbergen und keine Schwäche zu zeigen. Niemals.

Doch niemand beachtete den reglos inmitten der applaudierenden Zuschauer sitzenden Mann, niemand sah ihm in die leblosen Augen, niemand bemerkte seine zuckende Faust, die scharfen Fingernägel, die jetzt, endlich, die Haut an seinem Handballen aufgerissen hatten. Niemand sah das Blut, das auf den Boden tropfte.





2
Paris, Januar 1926


Die junge Frau stand allein am Bahngleis. Es war früher Morgen, der Dampf der Lokomotiven stieg weiß und dicht wie Nebel in den klaren Winterhimmel, und die Morgensonne warf ihre Strahlen auf die Gleise. Wie verheißungsvolle Pfade in eine andere Welt verliefen sie zunächst nebeneinander, kreuzten sich dann scheinbar ohne erkennbare Ordnung und verloren sich schließlich in der Ferne, wo sich der Rauch der unzähligen Kamine der Stadt mit dem Dampf der Lokomotiven vereinte. Die Luft roch nach Kohle und Kälte, auf den Dächern glitzerte der Frost. Die junge Frau trug einen hellgrauen Wollmantel mit Pelzkragen sowie einen weichen Hut in der gleichen Farbe, der sich eng an ihren Kopf schmiegte und ihre Augen beschattete. Ihre Schuhe glänzten silbern, ebenso die Kette, die sie um den Hals trug. Ein Dienstmann mit einem Gepäckwagen voller Koffer und Hutschachteln stand ein wenig abseits und zündete sich eine Zigarette an. Dabei ließ er die junge Frau im hellgrauen Mantel nicht aus den Augen.

Sie jedoch beachtete ihn nicht. Ihr Blick war auf die Gleise gerichtet, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Noch war der Zug nicht da, der sie nach Berlin bringen sollte, aber er würde jeden Moment kommen.

„Berlin …“ Sie flüsterte den so fremd und doch irgendwie vertraut klingenden Namen und wiederholte ihn zur Sicherheit noch ein paarmal, um ihn flüssig und so korrekt wie möglich aussprechen zu können.

Ihr Ruf eilte der Stadt weit voraus. Seit einigen Jahren schon war Berlin in aller Munde. Während sich Paris auf ihrer Eleganz und ihrer Schönheit auszuruhen begann wie eine in die Jahre gekommene Diva, die sich ihrer Sache zu sicher war, war aus dem zu Boden gedrückten, besiegten Nachkriegsberlin nach allem, was man hörte, eine ernst zu nehmende Konkurrentin geworden. Hungrig griff sie nach der Krone der alternden Diva, hielt sie vermutlich schon in den Händen.

Berlin hatte den Ruf einer wilden, leidenschaftlichen Stadt, die das Leben feierte wie keine andere in Europa. Dort gebe es keine Schranken des guten Geschmacks, des comme il faut, hieß es in Paris mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu, und genau das war es, was die junge Frau so in Vorfreude versetzte, während sie wartete, bis der Zug einfuhr, der sie dorthin bringen würde. Mitten ins Herz jenes verheißungsvollen Ortes. Sie hatte keine Furcht vor Leidenschaft, und mit der Sprengung althergebrachter Vorstellungen kannte sie sich bestens aus. Eine vibrierende, elektrisierende Vorfreude erfasste sie beim Gedanken daran, diese Stadt zu erobern.

Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, was sie erwartete. Wie würden die Gebäude und Straßen dort aussehen, die Lichter, die Cafés und Geschäfte und natürlich die Bühne, auf der sie stehen würde? Versonnen strich sie über das silbrig schimmernde Band um ihren Hals und flüsterte: „Wir werden Spaß haben, Kiki, nicht wahr?“

Es war ihre Entscheidung gewesen, einen Tag früher zu fahren als der Rest der Truppe. Morgen würden sie nachkommen, Sidney und Louis, Maud, ihre Freundin May, die Garderobieren und alle anderen, und es würde wieder laut und fröhlich werden. Sie waren alle überrascht gewesen, als sie verkündet hatte, allein vorzufahren, doch sie war standhaft geblieben. Aus irgendeinem Grund, der ihr selbst nicht ganz klar war, wollte sie die ersten Schritte in dieser neuen, fremden Stadt allein machen. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als warte dort etwas auf sie. Und sie würde jede einzelne Meile der Fahrt dorthin genießen.

Nein. Kilometer, verbesserte sie sich schnell. Sie war in Europa. Weit, weit weg von dem Ort, den sie vor sechs Jahren mit nichts als einem Paar Schuhen und dem Kleid, das sie am Leib trug, verlassen hatte. Doch noch immer packte sie an manchen Tagen unversehens die Furcht, wieder dorthin zurückkehren zu müssen. Eine plötzliche Angst, dass alles, was sie seither erlebt hatte, nichts als ein Traum gewesen sein könnte und sie in Wirklichkeit noch immer „Tumpie“ war, ein mageres Mädchen von elf Jahren, das mitansehen musste, wie der Rauch über den Hütten am Fluss aufstieg, und das hörte, wie die Menschen um sie herum in Panik und Todesangst schrien.

Sie vertrieb die Beklemmung mit einem geübten Lächeln, streifte ihre Furcht ab wie ein paar unerwartete Schneeflocken am Ärmel ihres Mantels und straffte die Schultern. Es war vorbei. Sie war in Paris, und jetzt würde sie Berlin erobern. Weiter, immer weiter. So weit weg wie möglich von dem Ort ihrer Kindheit. Es konnte nie weit genug sein.

* * *

Der Zug fuhr schnaufend ein, und der Dienstmann warf seine Zigarette weg. Jetzt. Jetzt war seine Chance gekommen. Er trat auf die Dame in dem silbergrauen Mantel zu und räusperte sich. „Mademoiselle“, sagte er, und seine Stimme war so heiser, dass er sich ein zweites Mal räuspern musste. „Mademoiselle Baker …“

Sie drehte sich um und musterte ihn mit einem Lächeln. „Ja, bitte?“

Der Dienstmann schluckte. Sie war es tatsächlich. Stand direkt vor ihm. Mit diesem schönen Gesicht, den großen Augen, den fein geschwungenen Brauen und … diesem unglaublichen Lächeln, das er bisher nur von Fotos kannte.

„Ich … ich wollte nur sagen …“, stotterte er und knetete seine Finger. „Ich … bewundere Sie, Mademoiselle Baker. Ja, das wollte ich sagen … Ich wünschte, Sie würden nicht weggehen.“

Ihr Lächeln wurde breiter. „Danke. Wie lieb von Ihnen“, sagte sie. „Aber keine Sorge, ich komme wieder.“

Der Mann nickte ernst. „Hoffentlich, Mademoiselle. Paris ist nicht mehr dasselbe ohne Sie.“ Dann fiel sein Blick auf die breite silberne Kette, die sie um den Hals trug, und er erkannte, dass es keine Kette, sondern eine lebende Schlange war, die jetzt, von den kreischenden Bremsen des einfahrenden Zuges geweckt, den Kopf hob.

Er zuckte vor Schreck zurück, und Mademoiselle Baker lachte vergnügt. „Das ist Kiki, sie freut sich auch schon auf Berlin. Genau wie ich.“ Sie strich der Schlange mit einem Finger zärtlich über den Kopf. Schon am Einsteigen, drehte sie sich noch einmal um und warf ihm übermütig eine Kusshand zu. „Au revoir, Monsieur! Vergessen Sie Kiki und mich nicht!“

Nachdem die Koffer verstaut, die Passagiere eingestiegen und der Zug abgefahren war, stand der Dienstmann noch immer am Bahnsteig und sah auf die leeren Gleise hinaus.

„Wie könnte ich das vergessen“, murmelte er kopfschüttelnd. „Eine Schlange. Und eine Kusshand. Das glaubt mir kein Mensch.“

* * *

Josephine Bakers Abreise nach Berlin war noch von jemand anderem bemerkt worden, der etwas entfernt im Schatten einer Säule stand und die Begegnung zwischen der jungen Frau und dem Dienstmann genau beobachtet hatte. Jetzt, nachdem der Zug abgefahren war, zog er sich zurück und verließ eilig den Bahnhof. Auf der nahe gelegenen Post gab er ein Telegramm auf, dessen Text aus drei deutschen Wörtern bestand: SIE IST UNTERWEGS.

Veronika  Rusch

Über Veronika Rusch

Biografie

Veronika Rusch ist Jahrgang 1968. Sie studierte Rechtswissenschaften und Italienisch in Passau und Rom und arbeitete als Anwältin in Verona, sowie in einer internationalen Anwaltskanzlei in München, bevor sie sich selbständig machte. Heute lebt sie als Schriftstellerin mit ihrer Familie in ihrem...

Weitere Titel der Serie „Die schwarze Venus“

Drei glamouröse Städte: Berlin, Wien, Paris, in denen drei Schicksale wieder und wieder aufeinandertreffen – drei historische Kriminalromane um die faszinierende Tänzerin und Sängerin Josephine Baker.

Kommentare zum Buch
Gefahr für Josephine
leseratte1310 am 21.05.2021

Ich liebe es, mit Büchern in vergangene Zeiten einzutauchen. „Der Tod ist ein Tänzer“ aus der Reihe „Die schwarze Venus“ führt uns in das schillernde Berlin der Zwanziger. Josephine Baker hat Paris begeistert und kommt mit ihrer Truppe nun nach Berlin. Doch es droht ihr Gefahr und Tristan Nowak soll sie vor einem Anschlag schützen. Obwohl er diesen Auftrag gar nicht annehmen wollte, ist er fasziniert von dieser außergewöhnlichen jungen Frau. Zunächst glaubt er nicht an die Bedrohung, doch schon bald erkennt er, dass die Gefahr größer ist als vermutet, denn es gibt dunkle Mächte, die rücksichtslos ihre Interessen verfolgen. Mich hat diese Geschichte gleich gepackt. Die Atmosphäre in Berlin ist gut dargestellt und obwohl sich in Berlin vieles verändert hat, habe ich einige Örtlichkeiten wiedererkannt. Josephine Baker ist eine interessante Persönlichkeit. Als sie nach Berlin kommt, ist sie erst neunzehn Jahre, aber sie hat schon viel Schlimmes erlebt. Sie ist lebensfroh, mutig und weiß genau, was sie will. Ihre Darbietungen sind anders und frivol, sie polarisiert. Es wundert mich nicht, dass ihr Tristan Nowak näherkommt, als er es gewollt hat. Aber Gefühle lassen sich nun einmal nicht steuern. Er ist vom Krieg traumatisiert und hat den Tod der Mutter nicht verwunden. Mit Boxen versucht er seine Dämonen in Schach zu halten. War er anfangs nur ein beauftragter Beschützer von Josephine, so wird die Sache für ihn immer persönlicher. Auch die anderen Personen sind lebendig und vielschichtig dargestellt. Es gibt einige, die mir ans Herz gewachsen sind, wie beispielsweise Ahl, Helene, Fanny, Freddy, Ruben und der rote Graf, und solche, die mir leidtun obwohl sie mit nicht sympathisch sind. Aber es gibt auch solche, die schreckliche Überzeugungen haben oder einfach nur Böse sind. Es gibt auch fiktive Charaktere, die reale Vorbilder haben; man erkennt sie sofort, wenn man ein wenig über die damalige Zeit weiß. Die politischen Verhältnisse sind instabil in jenen Zeiten. Die Politiker haben vollmundige Versprechungen gemacht und dann die Menschen im Stich gelassen. Viele Männer sind nach dem Krieg invalide und traumatisiert. Berlin hat zwar schillernde Seiten, aber es gibt auch die tiefdunklen. Die Not ist groß und jeder versucht zu sehen, wo er bleibt. Illegale Geschäfte sind an der Tagesordnung. Zunehmend machen sich die Nationalsozialisten breit, und die Enttäuschten und Gefrusteten werden zu Sympathisanten. Es hat mich wieder einmal erschreckt, wie die Rattenfänger ihre willigen Handlanger einfangen. Was der geplante Anschlag bezwecken soll, habe ich früh geahnt, aber es ist ungeheuer spannend herauszufinden, was denn eigentlich geschehen soll und wer dahintersteckt. Nowaks Gegner sind skrupellos und nehmen Kollateralschäden billigend in Kauf. Außerdem scheinen sie immer einen Schritt voraus zu sein. Es ist eine wirklich interessante und spannende Geschichte, die mich von Anfang an sehr gefesselt hat und daher bin ich schon auf die Fortsetzung „Die Spur der Grausamkeit“ gespannt. Absolutes Lesehighlight!

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