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Der Kuss des Jägers (Engel 2)

Der Kuss des Jägers (Engel 2)

Sarah Lukas
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Roman (Engel 2)

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Der Kuss des Jägers (Engel 2) — Inhalt

Für ihre Liebe haben Rafael und Sophie alles riskiert. Sie waren in der Hölle – und haben überlebt. Nun steht ihrer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Weg. Oder doch? Kann Sophie einen Engel lieben? Und Rafael einen Menschen? Was ist mit Jean, dem jungen Mann, der seine Freiheit aufs Spiel gesetzt hatte, um dem Paar bei seinem Kampf gegen den Dämon zu helfen? Er sitzt im Gefängnis, und einzig Rafael könnte ihn daraus befreien. Doch dann müsste Jean ein Leben auf der Flucht führen und Paris – und Sophie – verlassen. Denn Jean hat sich bereits bei der ersten Begegnung in die junge Frau verliebt. Bald muss Sophie eine folgenschwere Entscheidung treffen …

€ 2,99 [D], € 2,99 [A]
Erschienen am 17.02.2014
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-98048-7
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Leseprobe zu „Der Kuss des Jägers (Engel 2)“

Prolog

Da ist jemand! Wie ein Blitz durchzuckte der Gedanke Sophies schlaftrunkenes Schweben. Ihr Herz pochte. Alarmiert schlug sie die Augen auf. Das Krankenhauszimmer lag in nächtlicher Dunkelheit. Im fahlen Licht der Mondsichel vor dem Fenster schimmerte ihr weißes Laken wie Schnee. Neben ihr ragte der Infusionsständer auf, ein dünner, metallisch glänzender Galgen, an dem noch der Strick baumelte. Nur das leise, gleichmäßige Atmen ihrer Bettnachbarin war zu hören. Das Mädchen hatte ein Schlafmittel bekommen und würde nicht erwachen – ganz gleich, was [...]

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Prolog

Da ist jemand! Wie ein Blitz durchzuckte der Gedanke Sophies schlaftrunkenes Schweben. Ihr Herz pochte. Alarmiert schlug sie die Augen auf. Das Krankenhauszimmer lag in nächtlicher Dunkelheit. Im fahlen Licht der Mondsichel vor dem Fenster schimmerte ihr weißes Laken wie Schnee. Neben ihr ragte der Infusionsständer auf, ein dünner, metallisch glänzender Galgen, an dem noch der Strick baumelte. Nur das leise, gleichmäßige Atmen ihrer Bettnachbarin war zu hören. Das Mädchen hatte ein Schlafmittel bekommen und würde nicht erwachen – ganz gleich, was geschah.
Die Ahnung der Gefahr lähmte Sophie, als ob das Raubtier, dessen Nähe sie spürte, von ihr abließe, wenn sie sich tot stellte. Ängstlich ließ sie den Blick vom Bett wieder zurück zum Fenster schweifen und zuckte zusammen. Ein schwarzer Umriss schob sich zwischen sie und das kalte Licht. Ohne das Gesicht erkennen zu können, wusste sie, dass die Gestalt ein Mann, aber gewiss nicht Rafael war. Der Körper wirkte zu massiv, das Haar zu kurz. Aus geweiteten Augen starrte sie ihn an.
Er kam einen Schritt näher. Hektisch strampelnd wich sie so weit zurück, wie es das Bett gestattete. Ihre Hand tastete panisch nach dem Schalter, der die Nachtschwester herbeirief, und drückte zu.
Die allmählich sichtbar werdende Miene des Mannes verzog sich spöttisch. „Sie wird nicht kommen.“
Die Stimme jagte Sophie einen eisigen Schauer über den Rücken. Kafziel!
„Glaubst du, ich lasse mich von solchen Kleinigkeiten aufhalten?“
Nein. Aber ich kann immer noch fliehen.
Das Türschloss klickte leise. „Kannst du nicht.“
Sie begann, am ganzen Körper zu zittern. „Dann werde ich eben schreien.“ Laut und entschieden hatte sie es sagen wollen, doch es kam nur als brüchiges Flüstern über ihre Lippen.
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Eine ausgezeichnete Idee, wenn du Mérics kleiner Freundin in der Psychiatrie Gesellschaft leisten willst. Die haben dort eine Schwäche für labile junge Frauen, die sich die Pulsadern aufschneiden.“ Er nickte in Richtung ihres Handgelenks, an dem der Verband prangte.
„Das habe nicht ich getan“, erinnerte sie ihn, obwohl er nur zu gut wissen musste, dass sie seinetwegen beinahe verblutet wäre.
„Wem willst du das noch weismachen, wenn du die Station zusammenschreist, nur weil du Wahnvorstellungen hast?“
Verunsichert schwieg sie. Hatten alle sie nicht auch so schon zweifelnd und mitleidig angesehen – von der Ärztin über die Schwestern bis zu den anderen Patientinnen? Lediglich Madame Guimard hatte ihr vorbehaltlos geglaubt. Was ein Wunder war, denn schließlich wusste ihre Vermieterin als Einzige hier, dass sie einen Grund für Selbstmord haben könnte. Und beinahe hätte ich ihm nachgegeben …
Der Dämon trat direkt neben sie und beugte sich vor. Sie zuckte so hastig zurück, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Der Schmerz fegte die letzten Reste der Lähmung hinweg, doch wohin sollte sie fliehen? Hellwach und gebannt zugleich starrte sie in die dunklen Augen, die sie unter dichten schwarzen Brauen anfunkelten.
„Du und ich, wir sind noch nicht miteinander fertig.“ Sein Gesicht war so nah, dass sie selbst in der Dunkelheit die Stoppeln auf seinen Wangen sehen konnte. „Du hast dein Blut für mich vergossen, aus eigenem Wunsch. Das ist ein Opfer, Schätzchen. Ein Opfer, das man nicht einfach zurücknehmen kann.“
„Es war erschwindelt“, brachte sie heraus. „Du hast mich angelogen.“
Wieder trat Spott in seine Züge. „Ach, wirklich? Du wolltest sterben, um wieder mit deinem Verlobten vereint zu sein. Die Idee hattest du damals auf dieser Brücke ganz allein. Aber jetzt haben wir einen Handel: Du lässt dich von mir töten, um deinen Wunsch zu erfüllen, und gibst mir damit, was ich will. Du hast es mit Blut besiegelt. Es gibt kein Zurück.“

1
Stimmen und Geschirrklappern schreckten Sophie aus dem Schlaf. Verwirrt setzte sie sich auf und blinzelte ins Licht eines sonnigen Pariser Morgens. Sie war noch immer im Krankenhaus. Die Schwestern hatten den Wagen mit dem Frühstück ins Zimmer geschoben, schenkten Tee aus, und im Bett nebenan saß das blasse, schweigsame Mädchen, das irgendeine seltene Blutkrankheit hatte, deren komplizierter Name ihr sofort wieder entfallen war.
„Bonjour“, erwiderte Sophie wie von selbst. Gedankenverloren stand sie auf, um erst einmal in Pantoffeln ins Bad zu tappen. Bei der Erinnerung an Kafziels nächtlichen Besuch bekam sie eine Gänsehaut. Hatte der Dämon tatsächlich an ihrem Bett gestanden und mit ihr gesprochen? Die Angst steckte ihr immer noch in den Gliedern, doch im hellen Tageslicht kam ihr die Szene fern und unwirklich vor. War es nur ein Albtraum gewesen? Sie schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben.
Es muss ein böser Traum gewesen sein. Rafe würde nicht zulassen, dass der Dämon mir noch einmal nahe kommt. Er war jetzt ein guter, ein richtiger Engel – kein dunkles, gefallenes Wesen mehr, dem sie nicht trauen durfte. Für einen Augenblick wärmte ein Widerhall der überwältigenden Liebe, die bei seiner letzten Berührung in sie geflossen war, ihr Herz. Sie konnte seine neue wahre Gestalt vor sich sehen, die er ihr einen Moment lang gezeigt hatte, bevor eine der Schwestern hereingeplatzt war. Das Licht, das aus seinem Innern hervorgebrochen war, hatte sie geblendet und ihre Augen doch für die Schönheit geöffnet, die in dieser strahlenden Aura lag. Es war durch ihre Haut gedrungen, hatte sie durchflutet und für diese kurze Zeit alle Schatten der Vergangenheit aufgelöst.
Behutsam holte sie die weiße, flaumige Feder hervor, die sie in ihrem Kulturbeutel versteckt hatte, strich sich damit langsam über die Hand, dann über die Wange und genoss die feine, ein wenig kitzelnde Berührung. Mehr hatte er nicht zurückgelassen, aber sicher wachte er über sie. War er jetzt vielleicht ihr Schutzengel geworden? Sie wusste immer noch so wenig über Engel, ihre Fähigkeiten und Aufgaben.
Ein Klopfen an der Tür schreckte sie auf. „Geht es Ihnen gut?“, erkundigte sich eine besorgte Stimme.
„Ja, danke, ich bin fast fertig“, antwortete sie und beeilte sich, wieder aus dem Bad aufzutauchen. Es war nicht nur so dahingesagt. Sie fühlte sich wirklich nicht mehr geschwächt. Am liebsten hätte sie ihre Sachen gepackt und das Krankenhaus verlassen, doch ein Frühstück im Bett hatte auch etwas für sich. Sie musste ohnehin warten, bis die Ärztin sie ein letztes Mal untersucht hatte, sonst würde es sicher Ärger geben.
„Ich komme gleich wieder, um nach dem Verband zu sehen“, versprach die Schwester, eine junge Kreolin, deren Haut so weich und zart aussah, dass Sophie die eigene dagegen rau und derb vorkam.
Eigentlich will sie nicht nach dem Verband schauen, sondern nach der Wunde darunter. Der Schnitt, den Kafziel ihr zugefügt hatte, verheilte bislang sehr gut und – nach Aussage der Ärztin – erstaunlich schnell. Sophie gefiel die Vorstellung, dass es mit Rafes Berührung zu tun haben könnte.
„Du hast dein Blut für mich vergossen. Es gibt kein Zurück.“ Sie hörte die Stimme so deutlich, dass sie vor Schreck beinahe den Tee verschüttet hätte. Konnte sie wirklich sicher sein, dass Rafe sofort erfuhr, wenn der Dämon sie bedrohte? Kafziel hatte sie auf dem Rundgang um die Kuppel Sacré-Cœurs angesprochen, sie in die malerischen Gassen Montmartres und schließlich auf den Friedhof Père Lachaise gelockt, ohne dass Rafe eingegriffen hatte. Beinahe wäre er sogar zu spät gekommen, um ihr Leben zu retten. Hatte der Dämon nicht beiläufig erwähnt, dass er ihre Gedanken vor Rafe abschirmen konnte, damit jener das Ritual nicht störte, das vermeintlich nur zu ihrem und seinem Besten war?
Dann war es vielleicht doch kein Traum … Sie musste unbedingt mit Rafe sprechen. Er musste ihr sagen, ob Kafziel unbemerkt von ihm an ihrem Bett auftauchen konnte. Ob er die Macht hatte, seine Drohungen wahr zu machen.
„Wenn du deinen Teil der Abmachung nicht einhältst, werden andere dafür büßen – deine Freunde, Familie, alle, die dir etwas bedeuten.“ Sie schauderte. „Ich werde dir das Leben zur Hölle machen, bis du mich anflehst, dich umzubringen.“
„Geht es dir wirklich gut?“, wollte das Mädchen im Nachbarbett wissen. „Du bist plötzlich ganz bleich gewor…“ Ein lautes Pochen ließ sie beide zusammenfahren, dann wurde die schwere Tür auch schon so schwungvoll aufgestoßen, dass der Griff gegen die Wand prallte.
„Kind!“ Sophies Mutter rauschte herein, dicht gefolgt von ihrem Vater. „Wie geht es dir? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!“
Erleichterung und Gereiztheit stritten in ihr um die Vorherrschaft. Trotz allem, was sie ihrer Mutter vorwarf, tat es gut, vertraute Gesichter zu sehen. Vom Bett aus wirkte ihr Vater noch größer als sonst, der vorgewölbte Bauch, den er wohl dem nahrhaften schwäbischen Bier verdankte, an seinem schlaksigen Körper noch unpassender. Bildete sie es sich ein, oder war sein Haar in den wenigen Wochen noch lichter geworden?
„Hallo“, murmelte sie.
Ein Lächeln hellte sein oft streng blickendes Gesicht auf und verlieh den Augen einen herzlichen Ausdruck.
In der Miene ihrer Mutter stand dagegen deutlich Empörung zu lesen. „Diese Unmenschen wollten uns gestern Abend nicht mehr zu dir lassen, obwohl wir sofort ins Auto gesprungen sind, als deine Vermieterin anrief! Dein Zustand sei ja kein Grund zur Sorge mehr.“ Sie rang die Hände. „Eine Unverschämtheit war das! Eine Mutter will sich selbst davon überzeugen, wie es ihrem Kind geht. Heute Morgen haben wir uns nicht mehr abwimmeln lassen.“
Sophie fand sich in einer Umarmung wieder und tätschelte ihrer Mutter die rundliche Schulter. „Ist schon gut, Mama. Ich bin schon wieder fit.“
„Fit?“ Die großen, grauen Augen, deren Farbe und Form sie ebenso geerbt hatte wie das dunkelblonde Haar, sahen sie entgeistert an. „Sie sagen, du wärst fast verblutet!“
„Das stimmt schon, aber ich habe sofort jede Menge Blutkonserven bekommen“, versuchte Sophie abzuwiegeln. „Mir geht’s echt gut. Ist schon fast verheilt.“ Demonstrativ wedelte sie mit dem verletzten Arm.
„Du musst uns nichts vorspielen“, rügte ihre Mutter, und ihr Vater nickte. Sein Blick wurde ernster. Schmerz und Trauer blitzten darin auf, doch er schwieg. „Wenn es dir wirklich gut ginge, hättest du das nicht getan.“ Ein Zittern hatte sich in die Stimme geschlichen und dämpfte den vorwurfsvollen Ton. Auch die Hand, mit der sie auf den Verband zeigte, bebte.
Sophie verdrehte die Augen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Sie durfte nicht unfair sein. Ihre Eltern waren monatelang Zeugen gewesen, wie sehr sie unter Rafaels Tod gelitten hatte. Woher sollten sie wissen, was jetzt in ihr vorging? Zumal sie nicht ahnen können, dass ich Rafe wiedergefunden habe. Und sie durfte es ihnen auch nicht erzählen, sonst hielten sie sie für völlig durchgedreht.
„Mama“, sagte sie eindringlich, sah jedoch ihren Vater an. „Ihr müsst mir glauben. Ich war das nicht selbst. Ich weiß, dass es anders aussieht, aber es hat sich vieles verändert.“ Wie sollte sie ihnen nur plausibel machen, dass sie nicht mehr die in Trauer versunkene Sophie war, die nach Paris gefahren war, um Abstand zu gewinnen? „Rafe wird immer in meinem Herzen sein, aber ich gehe wieder aus. Ich habe neue Freunde gefunden, und Madame Guimard hat mir die Umgestaltung ihres Modegeschäfts übertragen, bis sich etwas Besseres ergibt.“
„Ist das wahr?“, hakte ihr Vater nach.
Sie hielt seinem prüfenden Blick stand. „Ihr könnt sie fragen. Sie kümmert sich wirklich gut um mich.“
Er blieb skeptisch. Sophies Lächeln wankte. Sie hatten vierundzwanzig Stunden Zeit gehabt, um sich in die Vorstellung hineinzusteigern, dass ihre einzige Tochter versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Es tat ihr leid, ihnen diesen Kummer bereitet zu haben, aber das war kein Grund, sich jetzt in eine falsche Rolle drängen zu lassen.
„Aber wie …“ Ihre Mutter brach ab und sah zweifelnd ihren Mann an, der die Stirn gerunzelt hatte.
„Ich möchte nicht glauben, dass du uns etwas vorschwindelst“, behauptete er. „Aber wie soll das bitte sonst passiert sein? Man schneidet sich nicht zufällig die Pulsadern auf.“
Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich …“ Wie sollte sie ihnen die Sache erklären, ohne sich in noch größere Schwierigkeiten zu bringen? Sie hatte vorgehabt, sich töten zu lassen. Andernfalls wäre sie dem Dämon niemals auf den Friedhof gefolgt. Aber wenn sie nur zugab, freiwillig mit einem wildfremden Mann in ein verlassenes Mausoleum gegangen zu sein, wo er versucht hatte, sie umzubringen, würden ihre Eltern sie für naiv und leichtsinnig halten. Was in einem Sodom und Gomorrha wie Paris, das die Stadt in ihren Augen ganz sicher war, einer Neigung zum Selbstmord beinahe gleichkam.
„Ich bin entführt worden. Von einer satanischen Sekte.“
Ihre Eltern rissen beide zugleich die Augen auf.
„Was?“, entfuhr es ihrem Vater.
„Eine sata…“ Ihre Mutter brach ab, um sich zu bekreuzigen. „Der Herr steh uns bei! Das …“
„Sophie, ich verlange auf der Stelle, die Wahrheit zu hören!“, polterte ihr Vater. „Für wie dumm hältst du uns eigentlich?“
„Aber das ist die Wahrheit!“ Jedenfalls fast. „Es waren fünf Leute. Drei Männer und zwei Frauen. Und sie haben ein Pentagramm auf den Boden gezeichnet und schwarze Kerzen aufgestellt.“
Wieder schlug ihre Mutter das Kreuzzeichen vor der Brust.
Seit ich um Rafe trauere, schickt sie fast so viele Stoßgebete zum Himmel wie früher Opa Joseph.
„Diese Leute wollten dich umbringen?“, hakte ihr Vater nach.
Sophie nickte. „Der Anführer hatte ein Messer dabei und hat mir …“
„Aber das wäre ja Mord!“, rief er aus. „Jedenfalls versuchter. Hast du schon mit der Polizei gesprochen?“
„Nein, ich …“
„Kind, das ist ja schrecklich!“, mischte sich ihre Mutter wieder ein. „Sie steht bestimmt noch unter Schock, Günther. Du musst doch entsetzliche Angst gehabt haben“, wandte sie sich wieder an Sophie. „Nicht auszudenken, wenn … Ja, wie bist du denn überhaupt gerettet worden?“
Ich hatte einen Schutzengel. Beinahe hätte sie gelächelt. „Zwei … zwei Freunde haben mich vermisst und nach mir gesucht. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um …“ Sie unterbrach sich, als die Krankenschwester mit einem beiläufigen Klopfen eintrat.
„Zeit, unter den Verband zu sehen.“




„Wenn sie zur Polizei geht, wird man sie vielleicht nicht ausreisen lassen, weil sie als Zeugin gebraucht wird“, hörte Sophie ihre Mutter flüstern. Da die Schwester kein Deutsch verstand, führten ihre Eltern das Gespräch offenbar leise, um es vor ihr zu verheimlichen. Sie sah den geübten Händen der Kreolin beim Wickeln der Mullbinden zu, ohne es richtig wahrzunehmen. Die Heilung schritt so gut voran, dass es der Schwester ein anerkennendes „Bon! – Gut!“ entlockt hatte. Die Reste des Frühstücks waren abgeräumt worden. Jetzt musste nur noch die Ärztin kommen, um sie zu entlassen. Aber was würde sie dann tun?
Ihr Vater schien darauf zu bestehen, dass sie Anzeige erstattete, damit der Mörderbande das Handwerk gelegt wurde. Aber hätte die Klinik nicht längst die Polizei alarmieren müssen, wenn ein Opfer eines Verbrechens eingeliefert wurde? Sie war ohnmächtig gewesen, als Rafe sie in die Notaufnahme gebracht hatte. Was für eine Geschichte hatte er dort erzählt? Oder war er verschwunden, ohne etwas zu erklären? Dann musste sie sich nicht wundern, dass alle dachten, sie hätte Selbstmord versucht. Vielleicht sollte sie mit der Ärztin darüber sprechen, bevor die besorgte Frau ihre Eltern womöglich wieder davon überzeugte, dass es kein Verbrechen gab.
„So, das wär’s.“ Die Schwester legte ihre Utensilien in die flache Blechschale zurück, die sie mitgebracht hatte, und lächelte. „Bis später!“
Noch bevor sie den Raum verlassen hatte, waren Sophies Eltern wieder ans Bett getreten.
„Kind …“
Wenn sie das noch mal sagt, schreie ich.
„… diese Stadt bekommt dir nicht. Du kennst dich hier nicht aus. Du bist unser beschauliches Hedelfingen gewöhnt. Komm wieder mit nach Hause! Hier ist es viel zu gefährlich für dich!“
„Mama, das ist doch Unsinn. Pech kann man überall haben. Es ist doch nicht so, dass hier täglich Leute von Satanisten gekidnappt werden.“
„Auf jeden Fall musst du die Polizei einschalten“, mischte sich ihr Vater wieder ein. „Diese Leute könnten es immer noch auf dich abgesehen haben. Wer weiß, was in solchen kranken Köpfen vorgeht!“
„Aber …“ Weiter kam ihre Mutter nicht, denn es klopfte erneut.
„Ist das jetzt endlich mal ein Arzt, den man fragen kann?“, murrte ihr Vater.
Doch der Mann, der die Tür öffnete, trug keinen weißen Kittel, sondern sandfarbene Stoffhosen und ein dezent gestreiftes Hemd. „Bonjour!“, grüßte er höflich, aber mit einem strengen Unterton. „Darf man eintreten?“
Sophie spürte die ratlosen Blicke ihrer Eltern auf sich, die kein Französisch verstanden, und selbst das Mädchen im Nebenbett sah nur verwirrt zu ihr. „Ja“, antwortete sie zögernd.
„Mademoiselle Bachmann?“, fragte der Fremde, während er auf sie zukam, doch ihre Augen richteten sich unwillkürlich auf seinen Begleiter, der ihm folgte und die Tür wieder schloss.
Wenn man vom Esel spricht … Der drahtige junge Mann steckte in einer dunkelblauen Polizeiuniform.
Mechanisch ergriff sie die Hand des anderen in Zivil, der einen festen Händedruck hatte. In sein blondes Haar mischte sich bereits Grau, aber sie schätzte ihn dennoch gute zehn Jahre jünger als ihren Vater.
„Capitaine Roger Lacour“, stellte er sich vor. „Und das ist Brigadier Gonod.“
Der Uniformierte nickte ihr vom Ende des Betts aus zu. In seiner Haltung lag etwas Agiles, beinahe Nervöses, das auch sie unruhig machte.
„Und Sie sind?“, wandte sich der Capitaine ihrer Mutter zu, die fragend zwischen ihm und Sophie hin- und hersah.
„Meine Eltern sprechen leider kein Französisch.“
„Ah, bedauerlich. Madame.“ Er deutete ihrer Mutter gegenüber eine Verneigung an und reichte dann ihrem Vater die Hand. „Monsieur Bachmann.“
„Die Herren sind von der Polizei“, erklärte sie rasch, während ihr Vater dem Capitaine besonders würdevoll die Hand schüttelte, als könne er sein gemurmeltes „Bonnschur“ dadurch wettmachen.
„Wir ermitteln in einem Mordfall und müssen Ihnen ein paar Fragen stellen“, richtete Lacour das Wort wieder an sie.
Jean! Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den ganzen Morgen noch nicht an ihn gedacht hatte, obwohl er doch ihretwegen im Gefängnis saß.
„Ihre Ärztin sagte uns, dass Sie gesundheitlich dazu in ausreichend guter Verfassung seien.“
Sie nickte. Wenn sie Jean irgendwie mit ihrer Aussage helfen konnte, musste sie es tun. Aber sie hatte keine Ahnung, was geschehen war, bevor er und Rafe sie gefunden und Kafziel aufgehalten hatten. Sollten sie tatsächlich einen Mann getötet haben, um sie zu finden?
„Kennen Sie einen Monsieur Julien Caradec?“
„Nnnein“, erwiderte sie zögernd.
Der Capitaine hob eine Augenbraue. „Aber der Name ist Ihnen nicht unbekannt.“ Es war eine Feststellung, keine Frage, doch sein Blick sagte etwas anderes.
„Es fiel kein Vorname, aber von einem Caradec war die Rede.“ Konnte sie Jean schaden, wenn sie etwas „Falsches“ erzählte? Wie nah an der Wahrheit musste sie bleiben, ohne sich als Spinnerin unglaubwürdig zu machen? Da die Polizisten ihre Aussagen mit Zeugenbefragungen, Überwachungsvideos der Métro und wer weiß was noch überprüfen konnten, durfte sie die Geschichte nicht so weit verbiegen wie bei ihren Eltern.
„Wer hat in welchem Zusammenhang von Monsieur Caradec gesprochen?“, hakte der Capitaine nach.
„Die … die Mitglieder des satanischen Zirkels, der mich vorgestern Abend opfern wollte …“ Sie hob den Arm, um die Ermittler auf den Verband aufmerksam zu machen. „… nannten ihn ihren Anführer. Sie wollten mit dem Ritual warten, bis er zu ihnen stoßen würde, aber dann kam ein anderer Mann und brüllte, dass Caradec tot sei.“
Lacour und der Brigadier wechselten einen undeutbaren Blick. Sophie versuchte vergeblich, in ihren Gesichtern zu lesen. Waren sie denn nicht überrascht oder wenigstens erstaunt? Ach, natürlich! Jean musste ihnen bereits von den Satanisten erzählt haben.
„Mademoiselle Bachmann, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie gerade mehrere Menschen des Mordversuchs an Ihnen bezichtigt haben. Das ist ein sehr ernster Vorwurf, den ich der Staatsanwaltschaft melden muss.“
Wollte er damit andeuten, dass sie lieber jetzt zugeben sollte, falls sie log? „Mir reicht es langsam!“, fuhr sie auf. „Jeder unterstellt mir, ich hätte mich selbst verletzt. Diese Leute wollten mich sterben sehen. Ich hatte Angst! Glauben Sie, das war ein Spaß?“
Das glitschige Gefühl des blutverschmierten Handgelenks unter ihren Fingern … Nie würde sie vergessen, wie ihr bewusst geworden war, dass ihr Leben gerade unwiederbringlich aus dieser Wunde rann. Die Furcht vor dem entfesselten Dämon, der Rafe mit seinen Klauen zu zerreißen drohte …
„Kind! Handel dir nicht noch Ärger mit der Polizei ein!“, mahnte ihre Mutter besorgt.
„Ich hab’s satt, dass alle glauben, ich hätte mir das ausgedacht!“
„Diese Geschichte ist nun einmal schwer zu glauben“, ließ sich ihr Vater vernehmen. „Die Beamten machen doch nur ihre Arbeit.“
„Du glaubst mir immer noch nicht.“
Er verzog nur gequält das Gesicht.
„Mademoiselle, würden Sie Ihre Eltern in meinem Namen bitten, draußen zu warten, bis wir unser Gespräch beendet haben? Da ich kein Deutsch verstehe, muss ich sonst annehmen, dass man Ihre Aussagen beeinflusst.“
Genau das tun sie, grollte Sophie und übersetzte.
Ihre Mutter zauderte. „Ich weiß nicht. Das scheint dich alles noch zu sehr aufzuregen.“
„Komm, Liebes, das ist doch nur eine harmlose Befragung. Sophie wird ja keines Verbrechens beschuldigt.“
Nur der Lüge. Und du möchtest am liebsten auch hören, dass in Wahrheit alles so war, wie ihr es euch zurechtgelegt habt. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so von ihm verraten gefühlt hatte.
„Danke, Mademoiselle Bachmann. Ich verstehe, dass Sie verärgert sein müssen“, nahm der Capitaine den Faden wieder auf, als ihre Eltern den Raum verlassen hatten. „Aber bitte haben Sie auch Verständnis für uns. Wir müssen jeden Vorwurf sorgfältig prüfen.“
„Wenn Sie Beweise suchen, sehen Sie sich das Mausoleum auf dem Père Lachaise an, wo das alles passiert ist. Sie können doch sicher die Blutspuren dort mit meinem Blut vergleichen. Außerdem werden Sie dort schwarze und rote Kerzen finden und Seidenbänder, mit denen ein Pentagramm auf den Boden gelegt worden war, bevor ich gerettet wurde.“ Ihr fiel auf, dass das alles gar nichts bewies – außer ihrer eigenen Anwesenheit. Oder nicht? Wir leben in Zeiten von CSI! Die Spurensicherung wird nachweisen können, dass nicht ich diese Gegenstände angefasst habe.
Lacour sah Gonod an.
„Woran können Sie sich am Tatort noch erinnern?“,
wollte der Brigadier wissen.
Waren sie bereits dort gewesen? Sie durfte nicht so naiv sein. Jean musste noch auf dem Friedhof verhaftet worden sein, und seitdem war ein voller Tag vergangen. Die Polizei hatte das Mausoleum längst untersucht, wahrscheinlich sogar Jeans Wohnung auf den Kopf gestellt. Er stand unter Mordverdacht und hatte sie als Entlastungszeugin genannt. Hielten die Ermittler sie etwa für eine mögliche Komplizin?
„Ich weiß nicht. Ich wurde irgendwann bewusstlos, aber ich glaube, sie haben ihre Taschen zurückgelassen, unauffällige Sporttaschen. Und da war eine silberne Schale, in der sie mein Blut auffingen. Jean hat die Scheibe eingeworfen, weil er die Tür nicht aufbekommen hat. Danach weiß ich nichts mehr.“
Gonod nickte.
„Sie kennen also Jean Méric?“, vergewisserte sich der
Capitaine.
„Ja. Wenn er nicht eingegriffen hätte, wäre ich jetzt tot.“
„Woher wusste Méric, wo er sie finden würde?“
„Das weiß ich nicht. Er … beobachtet die satanistische
Szene schon länger“, gab sie zu. Daran war doch nichts Verwerfliches, oder? „Vielleicht wusste er, wo sie sich treffen?“
„Nun, er behauptet, er habe es nicht gewusst und deshalb Monsieur Caradec ›befragt‹, der dabei ums Leben gekommen ist.“
„O Gott!“ Er kann ihn nicht umgebracht haben. Rafe war bei ihm. Sie müssen doch andere Mittel … Und wenn es Rafe war? Zu jenem Zeitpunkt war Rafe noch ein gefallener Engel, ein Dämon gewesen. Ein Wesen der Hölle, das keine Skrupel kannte …
„Das wussten Sie noch nicht?“
„Nein! Woher denn? Dieser Kerl, der mich … Der brüllte nur, dass Caradec ein Verräter sei und in diesem Augenblick zur Hölle fahre.“
„Hm.“
Wieder wechselten die Ermittler einen nachdenklichen Blick.
„Kommen wir auf diesen Mann zu sprechen“, schlug Lacour vor. „Können Sie ihn beschreiben? Kannten Sie ihn?“
Fahnden Sie nach einem Dämon namens Kafziel. „Ich … bin mir sehr sicher, dass es derselbe Mann ist, der mir hier in Paris schon einige Male auf der Straße gefolgt ist. Aber da trug er immer eine Sonnenbrille. Zum ersten Mal ist er mir an einem Abend im Les Étages in der Rue Vieille du Temple aufgefallen. Da hat er mich angestarrt. Oh, es gibt sogar Zeugen dafür! Nun ja, zumindest indirekt. Als er mich am Samstag vor zwei Wochen am Seineufer verfolgte, habe ich Polizeireiter darauf aufmerksam gemacht, aber er war schon verschwunden.“
Der Capitaine hob wieder eine Braue. „Wo genau war das?“
„Zwischen der Pont Neuf und der Pont Alexandre.“
„Wir werden dem nachgehen. Und vorgestern? Da haben Sie ihn ohne Sonnenbrille gesehen?“
„Ja. Er hat ein schmales Gesicht, aber nicht hager. Dunkle Haare, fast schwarz und etwas länger als Ihre. Und er hat dichte, ausgeprägte Augenbrauen. Die Augen liegen darunter so verborgen, dass sie schwarz wirken. Außerdem sah er immer unrasiert aus, aber er hat keinen Bart.“
Gonod hatte sich das alles auf einen rasch gezückten Block notiert. „Wie groß ist er etwa?“, erkundigte er sich.

Über Sarah Lukas

Biografie

Sarah Lukas, geboren 1972, lebt gemeinsam mit ihrer Schwester, ihrem Neffen und ihrem Hund in Wiesbaden. Am liebsten verbringt sie ihren Urlaub in Frankreich und genießt dort das Savoir-vivre. Ihre Ideen sammelt Sarah Lukas während langer Bergwanderungen. Die Fortsetzung ihres ersten Romans »Der...

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