Lieferung innerhalb 1-3 Werktage
Bezahlmöglichkeiten
Vorbestellung möglich
Kostenloser Versand*
Das große Weinmaleins

Das große Weinmaleins

Bianca Bosker
Folgen
Nicht mehr folgen

Wie ich von besessenen Sommeliers alles über Wein lernte

„Viele Fragen, die sich jeder Weintrinker schon gestellt hat, werden beantwortet. Weinliebhaber und auch solche, die es werden möchten, finden in diesem Buch vinophile Informationen in einer tollen Mischung, die einen das Buch nicht aus der Hand legen lassen. Höchstens – um sich ein Gläschen Wein zu holen.“ - gourmetreisen.twoday.net

Alle Pressestimmen (2)

E-Book (9,99 €)
€ 9,99 inkl. MwSt.
sofort per Download lieferbar
In den Warenkorb
Geschenk-Service
Für den Versand als Geschenk können eine gesonderte Lieferadresse eingeben sowie eine Geschenkverpackung und einen Grußtext wählen. Einem Geschenkpaket wird keine Rechnung beigelegt, diese wird gesondert per Post versendet.
Kostenlose Lieferung
Bestellungen ab 9,00 € liefern wir innerhalb von Deutschland versandkostenfrei

Das große Weinmaleins — Inhalt

Weintrinken will gelernt sein

Weintrinken will gelernt sein

Es gibt Menschen, die innerhalb von Sekunden aus einem Schluck Wein die Rebsorte, die Anbauregion, das Weingut und den exakten Jahrgang herausschmecken. Als Bianca Bosker eher zufällig von der Olympiade für Sommeliers hört, ist sie sofort fasziniert von deren geschmacklichem Können. Sie kündigt ihren Job und heftet sich ein Jahr an die Fersen der renommiertesten Weinkenner, um ihre Kunst zu erlernen. Als Leser erfahren wir im Zuge ihres Abenteuers, wie wir unseren Geschmackssinn mit Weinverkostung schulen können, was Orangensorten damit zu tun haben, wann Wein nach Sattelleder schmeckt und dass Flaschenpreise von über 50 Euro kein Indikator für Qualität sind. Ein großes Lesevergnügen für alle Weinkenner und solche, die es werden wollen!

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 05.08.2019
Übersetzt von: Viola Krauß
416 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99422-4
Download Cover

Leseprobe zu „Das große Weinmaleins“

Einleitung

Die Blindverkostung

Von Parfüm musste ich mich als Erstes verabschieden, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Dann folgten parfümierte Waschmittel und schließlich Trocknertücher. Die Finger von rohen Zwiebeln oder scharfen Soßen zu lassen machte mir nichts aus. Kein Salz ins Essen zu tun war zunächst hart, dann eine Zeit lang erträglich und danach zum Heulen. Wenn ich auswärts aß, schmeckte alles so, als ob es in Salzlauge getaucht worden war. Den Mund nicht mehr mit Listerine zu spülen war nicht so tragisch; stattdessen [...]

weiterlesen

Einleitung

Die Blindverkostung

Von Parfüm musste ich mich als Erstes verabschieden, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Dann folgten parfümierte Waschmittel und schließlich Trocknertücher. Die Finger von rohen Zwiebeln oder scharfen Soßen zu lassen machte mir nichts aus. Kein Salz ins Essen zu tun war zunächst hart, dann eine Zeit lang erträglich und danach zum Heulen. Wenn ich auswärts aß, schmeckte alles so, als ob es in Salzlauge getaucht worden war. Den Mund nicht mehr mit Listerine zu spülen war nicht so tragisch; stattdessen Zitronensäurelösung und mit Wasser verdünnten Whiskey zu verwenden hingegen schon. Schlimm wurde es, als ich Kaffee verbannte. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich es bereits gewohnt, morgens etwas schwerer in die Gänge zu kommen. Nüchternheit am helllichten Tag gehörte der grauen Vorzeit an, genau wie sämtliche Heißgetränke, Zahnschmelz auf meinen Zähnen und ein Vorrat an Kopfschmerztabletten.

Das alles war Teil meines Entzugsprogramms, das ich mir auf Anraten von über zwei Dutzend Sommeliers zusammengeschustert hatte, die im Verlauf von anderthalb Jahren zu meinen Mentoren, Peinigern, Ausbildungsoffizieren, Chefs und Freundinnen und Freunden wurden.

Sie fragen sich vielleicht, wieso ich mich achtzehn Monate lang von einem Haufen Flaschenschubsern in feinem Zwirn habe coachen lassen. Sommeliers sind schließlich nichts anderes als bessere Kellner mit schickem Namen (somm-el-jee), die speisende Gäste unter Druck setzen, ihr Geld für Wein zu verprassen, oder etwa nicht?

So ungefähr stellte ich mir das jedenfalls vor, bis ich mich in die Hände eines elitären Sommelier-Klans begab, für den das Servieren von Wein nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebensart darstellte, ein Leben für den Geschmack vor allen Dingen. Sie nehmen an hochkarätigen Wettbewerben und Meisterschaften teil (teilweise während sie im neunten Monat schwanger sind), hantieren mit millionenschwerem flüssigem Gold und möchten gerne die Welt davon überzeugen, dass die Schönheit des Geschmacks auf die gleiche Ebene wie die Schönheit der Kunst und der Musik gehört. Sie beobachten den Wetterbericht, um zu wissen, ob es nasebetäubenden Regen geben wird, und sie lecken an Steinen, um ihre Geschmacksknospen zu trainieren. Zahnpasta ist eine Bürde. Sie beschweren sich über diesen elenden Geschmack nach „neuem Glas“ und opfern für den Zungenzirkus sogar ihre Ehe. Mir sagte einmal ein Sommelier, dessen Frau sich wegen seines obsessiven Lernverhaltens von ihm scheiden ließ: „Wenn ich mich zwischen der bestandenen Prüfung und meiner letzten Beziehung entscheiden müsste, würde ich mich für die bestandene Prüfung entscheiden, ganz klar.“ Ihre Aufgabe besteht im Wahrnehmen, Analysieren, Beschreiben und Erklären der Geschmacksvariationen einer Flüssigkeit, die von Bestandteil zu Bestandteil das komplizierteste Getränk der Erde ist. „Aberhunderte flüchtige Stoffe gibt es darin. Polysaccharide. Proteine. Aminosäuren. Biogene Amine. Organische Säuren. Vitamine. Carotinoide“, erklärte mir ein Önologie-Professor. „Beim Wein handelt es sich um die komplexeste Matrix, die es gibt. Komplexer ist nur das Blut.“

Was bedeutet dieser Fokus auf solch minutiöse Geschmacksunterschiede? Das war mir selbst nicht wirklich klar. Zumindest nicht, als ich mit der ganzen Sache anfing. Ich bin zu diesen Sommeliers gestoßen, weil ich wissen wollte, was das für ein Leben in der Extremzone des Geschmacks war und wie sie dorthin gelangt waren. Das Ganze wandelte sich irgendwann zur Frage, ob ich selbst wohl auch dorthin gelangen könnte – ob jede x-beliebige Person das könnte – und was sich beim Erreichen meines Ziels wohl ändern würde.

Doch seien Sie gewarnt:

Ein Glas Wein mag für Sie einen Wohlfühlmoment darstellen. Den Moment, in dem Sie es sich nach einem langen Tag gut gehen lassen, in dem Sie einen Teil Ihres Gehirns abschalten. Wenn das so bleiben soll, dann machen Sie einen großen, großen Bogen um die Personen in diesem Buch.

Wenn Sie sich jedoch irgendwann einmal gefragt haben, was dieses ganze Brimborium beim Thema Wein eigentlich soll, ob es wirklich einen erkennbaren Unterschied zwischen einer 20-Euro- und einer 200-Euro-Flasche gibt, oder was wohl passieren würde, wenn Sie selbst es wären, die Ihren Sinnen alles abverlangten – nun, in diesem Fall würde ich Sie gerne mit ein paar Leuten bekannt machen.


Hat man genügend Zeit in der Welt des Weins verbracht, wird klar, dass alle Weinkenner eine Geschichte über die eine Flasche parat haben, die ihre Besessenheit ins Leben rief. Für gewöhnlich passiert dieser Saulus-zum-Paulus-Moment mittels eines, sagen wir, 1961er Giacomo Conterno Barolo in einem kleinen Restaurant im Piemont, mit Blick auf die Hügel von Langhe, wo sich die Buchen im vom Tal emporkringelnden zarten Nebel wiegen. Es ist eine Art Strickmuster: Südeuropa + herrliche Natur + seltener Wein = Moment der Erleuchtung.

Mit meiner persönlichen Wein-Offenbarung verhielt es sich ein wenig anders: Sie passierte am Computerbildschirm. Und ich war nicht einmal am Trinken – ich sah lediglich anderen dabei zu.

Damals arbeitete ich als IT-Journalistin und schrieb für eine netzbasierte Nachrichtenseite über die Googles und Snapchats dieser Welt, und das allermeiste verrichtete ich am Bildschirm. Ein halbes Jahrzehnt war ich auf IT-Streife gewesen, hatte virtuelle Artikel über virtuelle Dinge in virtuellen Universen geschrieben, die man nicht schmecken, fühlen, anfassen oder riechen konnte. „Eindringlich“ waren für mich nur Webseiten mit richtig großen digitalen Fotos, und „riechen“ konnte ich lediglich Ärger – Körpergeruch, Mittagessen mit einer Kollegin, ausgelaufene Milch im Bürokühlschrank. Einmal ließ ich jemanden einen Artikel schreiben mit dem Titel: „Wie man auf Google Street View Urlaub machen kann“, als ob das Scrollen durch unscharfe Fotos vom Waikoloa-Strand auf Hawaii ein ernst zu nehmender Ersatz für das Herumlümmeln in der späten Nachmittagssonne mit Mai Tai in der Hand wäre.

Eines Sonntagabends schleppte mich mein damaliger Freund und heutiger Ehemann in ein Restaurant am südlichen Rand des Central Park. Es war die Art Restaurant, die sich damit rühmte, mit Essen so zu verfahren, wie es J. P. Morgan angeblich mit Jachten tat: Wer nach dem Preis fragt, kann es sich nicht leisten. Normalerweise würde ich mich aus Angst vor dem – finanziellen und vielleicht auch seelischen – Bankrott von solch einem Ort fernhalten, aber wir sollten seinen Kunden Dave treffen. Und Dave war Weinliebhaber.

Ich persönlich mochte Wein ungefähr so, wie ich tibetische Puppenspiele oder die Theorie der Teilchenphysik mochte, was so viel heißen soll wie: Ich hatte keine Ahnung, was da eigentlich passierte, war aber bereit zu lächeln und zu nicken. Die Ergründung dieser Fachgebiete schien mir die Anstrengung kaum Wert zu sein. Dave sammelte Weine aus dem Bordelais. Meine Einschätzung ging damals so weit, dass ich Weine im Allgemeinen aus der Flasche bevorzugte, aber bei Wein im Karton hätte ich sicherlich auch nicht die Nase gerümpft.

Kaum hatten wir uns gesetzt, erschien auch schon der Sommelier. Ein alter Bekannter von Dave natürlich. Nachdem er ein paar Plattitüden von wegen „guter Jahrgang“ und „elegante Nase“ von sich gegeben hatte, verschwand er, um uns eine Flasche zu holen, und goss Dave bei seiner Rückkehr einen Schluck zum Probieren ein. „Absolut trinkig“, murmelte der Sommelier. Was für ein Unsinnswort. Soviel ich weiß, ist der Wein einfach nur „süffig“.

Während die beiden mit großem Ohhh und Ahhh die vortrefflichen Grafit- und Teeraromen bewunderten, schaltete ich innerlich ab. Doch dann erwähnte der Sommelier, dass er sich gerade auf den Wettbewerb zum World’s Best Sommelier vorbereitete.

Wie bitte?

Der Gedanke erschien mir zunächst komplett lächerlich. Das Servieren von Wein, ein Wettkampfsport? Öffnen, einschenken, fertig. Oder?

Der Sommelier ging kurz die wichtigsten Bestandteile des Wettbewerbs durch. Am schwierigsten und nervenaufreibendsten war wohl die Blindverkostung, wo es die vollständige Herkunft von zwei Dutzend Weinen zu erkennen galt: in welchem Jahr der jeweilige Wein gemacht wurde, mit welcher Rebsorte, in welchem Fleckchen dieser Erde (Anbaugebiet wohlgemerkt, nicht Land) und wie lange man ihn lagern kann, was man am besten dazu isst und warum.

Ehrlich gesagt, klang das alles nach dem geringstmöglichen Spaß, den man mit Alkohol nur haben kann. Wobei ich für Wettbewerbe ja ziemlich ich viel übrighabe, je weniger sportlich und je schlemmerhafter, desto besser. Als ich nach jenem Abend also nach Hause kam, schaute ich mich im Netz ein wenig um, was es mit diesem Sommelier-Gefecht wohl auf sich haben mochte.

Es entwickelte sich zu einer Obsession. Ganze Nachmittage vergeudete ich an den Laptop gefesselt mit Videos darüber, wie die Rivalen entkorken, dekantieren, schnüffeln und spucken bei ihrer Jagd nach dem Titel des World’s Best Sommelier. Es war wie bei der Hundeausstellung Westminster Dog Show in New York, nur eben mit Alk: Von einer Disziplin zur nächsten fochten wohlgepflegte Typen mit zurückgegeltem Haar und polierten Fingernägeln untereinander einen Wettstreit aus, bei dem es auf rätselhafte Details, eine finster dreinblickende Jury sowie die Grazie, mit der die Kandidaten im Kreis herumliefen, ankam. (Die Sommeliers haben im Uhrzeigersinn um einen Tisch herumzugehen.) Die Anwärter wählten ihre Worte so, als ob jede Silbe auf die Goldwaage gelegt würde, und versuchten, bei ihren Gästen (nicht Kunden – Gäste) wertvolle Hinweise auf Laune, Budget und Geschmack zu erkennen. Wie ich in dem schwachen Zittern einer seltsam schräg einschenkenden Hand das verzweifelte Bemühen nach Beherrschung so sah, spürte ich: Ihr Handwerk war strengen Regeln unterworfen, die ich kaum erahnen, geschweige denn honorieren konnte. Klar war nur, dass sie auf keinen Fall gebrochen werden durften: Véronique Rivest, die erste Frau, die es jemals in die letzte Wettbewerbsrunde geschafft hat, war außer sich, als sie vergaß, ihren Gästen Kaffee oder Zigarren anzubieten. „Merde, merde, MERDE!“, klagte sie lauthals. Nicht die geringste Spur von Ironie war dabei erkennbar. Absolut faszinierend.

Später fand ich heraus, dass einer der Anwärter Tanzunterricht genommen hatte, um seinen eleganten Gang auf dem Parkett zu perfektionieren. Ein anderer engagierte einen Stimmcoach, um seine Stimme in einen samtigen Bariton zu verwandeln, sowie einen Gedächtnistrainer, damit er sich die Namen der Weingüter besser merken konnte. Wieder andere zogen Sportpsychologen zurate, um unter dem Druck die Nerven zu bewahren.

Wenn das Bedienen schon eine Kunst sein soll, so handelt es sich bei der Blindverkostung augenscheinlich um pure Magie. In einem der Videos glitt Véronique ins Rampenlicht, während im Hintergrund die Kameras klickten, und näherte sich einem von vier Gläsern gesäumten Tisch, von dem jedes um die hundert Milliliter Wein enthielt. Sie griff nach einem weißen und steckte ihre Nase tief ins Glas. Ich hielt den Atem an und lehnte mich Richtung Bildschirm. Sie hatte gerade mal 180 Sekunden Zeit, um sich auf die korrekten Aromen und Bukette einzuschießen und daraus korrekt abzuleiten, was sie gerade trank. Es gibt über fünfzig Weinanbauländer; nahezu zweihundert trinkbare Jahrgänge; mehr als 340 unterschiedliche Appellationen allein in Frankreich sowie mehr als fünftausend Rebsorten, die in beinahe endloser Zahl verschnitten werden können. Wenn wir nachrechnen – die drei also multiplizieren, subtrahieren, übertragen –, erhalten wir zig verschiedene Kombinationsmöglichkeiten. Unerschrocken leierte sie das Aromaprofil eines Chenin Blanc aus dem indischen Maharashtra von 2011 mit einer Leichtigkeit herunter, als würde sie jemandem den Weg zu ihrer Wohnung erklären.

Ich war völlig gefesselt von diesen Leuten, die hier eine Art von Sinnesschärfe entwickelt hatten, wie ich sie bislang nur bei Bombenspürhunden vermutet hatte. Diese Sommeliers und ich, wir führten meiner Meinung nach diametral entgegengesetzte Leben: eines der sensorischen Kultiviertheit und eines der sensorischen Deprivation. Ich fragte mich, was ich wohl versäumte. Und während ich so vor meinem Computer saß und mir im Wiederholungsmodus Videos von weinschnüffelnden Menschen ansah, beschloss ich, genau das herauszufinden.


Ich bin gelernte Journalistin und von Haus aus Persönlichkeitstyp-A-Neurotikerin, also begann ich meine Recherchen auf die einzig für mich vorstellbare Weise: Ich las alles, was ich in die Finger bekam, bombardierte die Sommeliers mit E-Mails und tauchte an den unterschiedlichsten Orten uneingeladen auf, nur um zu sehen, ob ich wohl jemanden kennenlernen würde.

Mein erster Abend mit einer Horde Sommeliers aus New York City nahm kein gutes Ende. Den Anfang machte ich mit dem ungebetenen Erscheinen bei dem Blindverkostungs-Wettbewerb eines Weinhändlers, wo ich gemeinsam mit der Jury ein paar Gläser süffelte, etwa ein Dutzend Weine zu Ehren des Gewinners probierte, dann allen in eine Hotelbar für die nächste Runde folgte und das Abendessen gegen eine Flasche Champagner tauschte, die ein durstiger Sommelier unbedingt mit mir teilen wollte. Anschließend stolperte ich nach Hause, wo ich mich augenblicklich übergab.

Früh am nächsten Morgen, als ich gerade mit einem Auge „Kater Heilmittel“ googelte, bekam ich eine SMS von dem Typen, der vergangene Nacht den Schampus geordert hatte. Er schickte mir ein Foto von sechs vor ihm aufgereihten Weinen. Er war am Verkosten. Schon wieder.

Lektion Nummer eins: Diese Leute sind unerbittlich.

Ihr Vierundzwanzig-Stunden-Eifer war weit entfernt von dem, was ich in Büchern und Zeitschriften ausgegraben hatte, um in die Fußstapfen von jemandem wie Véronique treten zu können. Ein Leben im Dienste des Weins wird in der Literatur als etwas zutiefst Genusssüchtiges dargestellt: eine Menge schicker Männer (traditionell sind es die Männer gewesen), die schicke Flaschen an schicken Orten trinken. Ein harter Arbeitstag bedeutete in diesem Fall das Hinunterwürgen einer Flasche Bordeaux, die weniger als ein Jahrzehnt alt war. „Wenn ich zurückblicke auf meine erste Reise an die Loire, so sehe ich einen jüngeren Mann, der Unannehmlichkeiten aushielt, die einem heutzutage qualvoll erscheinen“, schreibt der Weinimporteur Kermit Lynch in seinen Erinnerungen Adventures on the Wine Route. Um was genau handelte es ich bei diesen qualvollen Unannehmlichkeiten, die er erdulden musste? Er „flog von San Francisco nach New York, stieg um, landete in Paris, mietete einen Wagen und fuhr an die Loire“. Quelle horreur!

Als ich mehr und mehr Zeit mit Sommeliers verbrachte – endlich, inklusive spätabendlichen Trinkens bei ihnen daheim und Unterweisungen in der Kunst des Spuckens –, zog mich diese Subkultur, die ich nirgends widergespiegelt fand, zunehmend in ihren Bann. Für ein Fachgebiet, in dem sich scheinbar alles ums Vergnügen dreht, nimmt die heutige Generation Sommeliers – oder „Somms“, wie sie sich im Englischen gerne nennen – beachtliche Mühen auf sich. Sie sind bis tief in die Nacht hinein auf den Beinen, stehen früh auf, um Wissen aus Weinenzyklopädien zu büffeln, üben am Nachmittag das Dekantieren, verbringen ihre freien Tage mit Wettkämpfen und widmen die paar übrig gebliebenen Minuten dem Schlaf oder, was wahrscheinlicher ist, träumen von einer Flasche seltenen Rieslings. Ein Sommelier umschrieb das Ganze einmal als „eine Art Blutsport mit Korkenzieher“. Ein anderer nannte das, was Sommeliers für Wein empfinden, eine „Krankheit“. Das waren die hedonistischsten Masochisten, die ich jemals kennengelernt hatte.

Nichts von dem, was ich sah oder las, fing die gesamten Eigenarten diesen Berufs ein. Viele Jahrzehnte zuvor handelte es sich bei Sommeliers oftmals um gescheiterte Köche. Sie waren aus den Küchen geworfen worden und hatten sich dann für einen Job verpflichtet, den sie mit dem ganzen Charme des Lasttiers, nach dem sie benannt sind, ausübten. (Das Wort „Sommelier“ kommt vom mittelfranzösischen „somme“, was „Packesel“ bedeutet.) Sie waren dafür bekannt, in spießigen französischen Restaurants mit steifer Miene und im dunklen Anzug herumzustolzieren und wie finstere Bestatter auszusehen. Die aufstrebenden Sommeliers von heute sind von noblen Hochschulen abgegangen, um dem nachzugehen, was sie für ihre Berufung halten. Genau wie ich befinden sie sich in ihren späten Zwanzigern, sind kinderlos, besorgt ums Geld und trotz allem darum bemüht, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihr Leben nicht ruiniert haben, nur weil sie nicht Jurist geworden sind.

Mit Masterabschlüssen in Philosophie und Ingenieurdiplomen von Stanford verfechten diese selbst ernannten „Büroflüchtlinge“ hochtrabende Theorien über den Service und ehrgeizige Vorstellungen vom Potenzial des Weins, die Herzen der Menschen zu berühren. Und einer Branche, die lange einer althergebrachten Burschenschaft geähnelt hat, haben sie sowohl Jugend als auch XX-Chromosomen beschert.

Anfangs war mein Interesse hauptsächlich journalistischer Natur gewesen. Mein ganzes Leben war ich besessen von der Besessenheit anderer Leute gewesen. Nie hatte ich stundenlang Schlange gestanden, um mir für einen Teenieschwarm die Seele aus dem Leib zu schreien, nie hatte ich eine Figur in einem Videospiel „daten“ wollen, allerdings hatte ich jahrelang über die Leute geschrieben und sinniert, die genau das tun. Die Leidenschaft der Somms hatte mich daher selbstverständlich sofort infiziert. Ich wollte unbedingt herausfinden, was sie antrieb. Wieso brannten sie so für den Wein? Und inwiefern hat diese „Krankheit“ ihr Leben auf den Kopf gestellt?

Doch als ich tiefer in ihre Welt vordrang, passierte etwas Unerwartetes: Ich begann, ein gewisses Unbehagen zu verspüren. Nicht wegen der Sommeliers – die abgesehen von der Neigung, mir zu viel einzuschenken, wunderbar charmant waren –, sondern wegen meiner eigenen Einstellung und Voreingenommenheit. Um ehrlich zu sein, war meine stärkste Emotion in puncto Wein so etwas wie schambehaftetes Schuldgefühl gewesen. Wein wird als integraler Bestandteil eines kultivierten Lebens angesehen, mehr als jedes andere Nahrungsmittel auf dieser Welt. Robert Louis Stevenson nannte Wein „Poesie in Flaschen“, und Benjamin Franklin bezeichnete ihn als den „Beweis, dass Gott uns liebt“ – nie hat irgendjemand derart über, sagen wir, Lammkotelett oder Lasagne gesprochen, so köstlich sie auch sein mögen. Die Somms redeten von Wein, der ihren Geist in luftige Höhen hob wie eine Symphonie von Rachmaninow. „Dagegen fühlt man sich klein und unbedeutend“, ergoss sich einer von ihnen. Ich hatte keine Ahnung, was sie da redeten, und offen gesagt klang das alles ziemlich weit hergeholt. Laberten die einfach nur Müll, oder mangelte es mir an der Fähigkeit, eine der ultimativen Freuden des Lebens anständig würdigen zu können? Ich wollte wissen, was diese Weinliebhaber meinten und wieso grundsätzlich vernünftige Menschen schwindelerregend viel Zeit und Geld für ein paar flüchtige Sekunden Wohlgeschmack aufbringen. Ganz direkt ausgedrückt, wollte ich wissen: Was war so besonders am Wein?

Wenn ich ein Glas Wein trank, war das so, als ob meine Geschmacksknospen verschlüsselte Nachrichten abfeuerten. Mein Hirn konnte lediglich ein paar wenige Worte entziffern: „Blablabla Wein! Du trinkst Wein!“

Für den Weinkenner jedoch kann diese verstümmelte Nachricht eine Geschichte vom Rebellen in der Toskana erzählen, der „Vaffanculo!“ zu Italiens Weinreglements sagte und einfach französische Cabernet-Sauvignon-Reben pflanzte, oder vom irren Winzer, der Granatfeuer und Panzern auswich und Weinlese um Weinlese machte, den ganzen fünfzehnjährigen Bürgerkrieg im Libanon hindurch. Derselbe Schluck kann von den wandelnden Gesetzen eines Landes erzählen oder vom faulen Kellergesellen, der seine Aufgabe, die Weinfässer zu reinigen, vermasselt hat. Mittels ihrer Sinne haben diese Trinker Zugang zu einer reichhaltigeren Welt, in der Geschmäcker und Gerüche Geschichten, Sehnsüchte und Ökosysteme entstehen lassen.

Meine Unwissenheit in Anbetracht solcher Nuancen trieb mich langsam in den Wahnsinn. Während ich nun meinen Freunden zuhörte, wie sie Starbucks zugunsten von vier Euro teurem Cold Brew Coffee abschworen oder von sortenreiner Schokolade schwärmten, fiel mir ein Paradox in unserer Feinschmeckerkultur auf: Wir sind ständig auf der Suche nach noch besser schmeckendem Essen und Trinken – planen die Reiseroute dementsprechend, verprassen unser Geld für Degustationsmenüs, kaufen exotische Zutaten, sind scharf auf die frischestmögliche Ware. Und doch tun wir nichts, um unseren eigenen Geschmackssinn zu verbessern. „Unsere Nation ist geschmacksblind“, schrieb M. F. K. Fisher einst, und diese Kritik gilt – soweit ich das beurteilen kann – heute noch genauso wie 1937.

Meine journalistische Neugier wurde schnell von einem persönlichen und tiefer gehenden Anliegen überschattet. Neuerdings befiel mich der Frust wegen meiner IT-zentrierten Existenz, in der die glatte Eintönigkeit des Bildschirms sämtliche Geschichten und das Leben selbst abflacht. Je mehr ich erfuhr, desto eingeschränkter und unvollständiger erschien mir meine eigene kleine Erfahrungswelt. Auf einmal kam es mir völlig unzureichend vor, über die Sommeliers lediglich zu schreiben. Was ich stattdessen wollte: so sein wie sie.

Ich begann mich zu fragen, was ich wohl tun müsste, um im Wein das erkennen zu können, was sie darin erkannten. Haben diese Profis das allein durch Üben hingekriegt? Oder waren das genetisch gesegnete Mutanten mit ultrascharfem Geruchssinn?

Ich bin stets davon ausgegangen, dass man als Supersensoriker geboren, so wie Novak Djokovic genetisch mit der nötigen Spannweite ausgestattet wurde, um alle Gegner zu zermalmen. Wie sich herausstellen sollte, war das keine Entschuldigung. Als ich begann, meine YouTube-Exzesse mit einer gesunden Kost aus wissenschaftlichen Studien zu ergänzen, wurde mir klar, dass die Schulung von Nase und Zunge in erster Linie eine Schulung des Gehirns darstellen muss.

Nur, dass die meisten von uns sich wenig darum scheren. Von Denkern wie Platon beeinflusst, die Schmecken und Riechen als „niedrige Sinne“ abgetan haben, kennen die meisten von uns nicht einmal die einfachsten Wahrheiten über diese beiden Sinne (und verwechseln sie noch dazu gerne mal). Wenn wir verschiedene Geschmäcker wahrnehmen (kleiner Tipp: nicht nur mit dem Mund), bringen wir sie durcheinander. Wir wissen nicht einmal, wie viele Geschmacksrichtungen es überhaupt gibt (mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als die fünf, von denen Sie bislang gehört haben). Und wir sind davon überzeugt, dass der Mensch sich zum schlechtesten Riecher des Tierreichs entwickelt hat (wohingegen die neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass dies ein Mythos ist). Im Wesentlichen ignorieren wir praktisch zwei der fünf Sinne, die uns gegeben sind, um die Welt zu erfassen und zu interpretieren.

Ich konnte es kaum erwarten, das zu ändern und herauszufinden, was ich die ganze Zeit vernachlässigt hatte, beim Thema Wein wie im Leben allgemein. Die Somms, die ich kennenlernte, erzählten, wie ihnen ihre Ausbildung bei allem Möglichen geholfen hat: Sie entdeckten neue Alltagsfreuden, vertrauten auf die eigenen Sinneswahrnehmungen und ließen sich nicht mehr von Etikett und Preis berauschen. Ein umfangreicheres Erleben genießen zu können schien für jeden von uns möglich, wenn wir uns auf die sensorische Information einstellten, die wir normalerweise übergehen. Und es dürstete mir danach, es auszuprobieren.


Dieses Buch handelt von dem Jahr, das ich unter Aromaanbetern, Sinnesforschern, Jägern DER EINEN Flasche, Geruchsgenies, beschwipsten Hedonisten, rebellischen Winzern und den ehrgeizigsten Sommeliers der Welt verbrachte. Dieses Buch ist kein Weinführer oder ein gutgläubiges Hochhalten sämtlicher Traditionen des Weintrinkens. Genau genommen, geht es dem Phänomen auf den Grund, dass die Weinindustrie – wie ein Weinökonom es beschrieben hat – „an sich anfällig für dummes Gelaber ist“. Wenn wir dieses Gelaber jedoch aus dem Weg räumen, bleiben Erkenntnisse übrig, die fernab von Speis und Trank noch Relevanz besitzen.

Dieses Buch ist weniger der Weg von Weintraube zu Weinglas (auch wenn es kurze Einblicke in die Weinherstellung geben wird), sondern ein Abenteuer von Weinglas zu Gurgel – in die wilde Welt der Weinbesessenheit und Weinwertschätzung in all ihren Farben und Fehlern. Es erforscht unsere Beziehung zu einem siebentausend Jahre alten Saft, der ägyptische Herrscher, mittellose Bauern, russische Zaren, Börsenmogule, Vorstadteltern und chinesische Studenten bezaubert hat. Stellen Sie sich ein auf einen Blick hinter die Kulissen von Sternerestaurants, auf orgienhafte Zechgelage für die oberen Zehntausend, auf eine Reise in die Vergangenheit zu den allerersten Restaurants, auf fMRT-Geräte und Forschungslabore. Nebenbei werden Sie den Irren, der mich schikanierte, kennenlernen, den Korkenknallkopf, der mich coachte, den Burgundersammler, der mich verführen wollte, und den Wissenschaftler, dessen Forschungsobjekt ich war.

Der Zusammenhang zwischen dem Geschmack und dem Genießen des Lebens findet sich in unserer Sprache wieder. Unserem Leben verleihen wir gern „Würze“. Das spanische Verb „gustar“ – etwas gern mögen, jemandem gefallen – stammt vom lateinischen „gustare“ ab, nämlich „schmecken“. So, wie wir im Deutschen im negativen Sinne sagen, dass uns ein bestimmter Umstand „nicht schmeckt“, verwendet man im Spanischen das „Schmecken“ auch im positiven Sinne in Bezug auf Kleidung, Demokratie, Kunst, Dosenöffner. Einer Person, der die richtigen Dinge gefallen, wird nachgesagt, sie habe „Geschmack“ – auch wenn diese Dinge, wie beispielsweise Musik, überhaupt nicht essbar sind.

„Geschmack“ und „schmecken“ sind nicht nur unsere Standardmetaphern, wenn es um das Auskosten des Lebens geht. Sie sind derart feste Bestandteile unseres Denkens, dass sie gar keine Metaphern mehr sind. Nach Meinung der Sommeliers, Sinnesgelehrten, Winzer, Weinexperten und -sammler, die ich kennengelernt habe, folgt aus dem besseren Geschmackssinn ein besseres Leben sowie ein tieferes Verständnis von uns selbst. Und ich habe erkannt, dass man für eine Verfeinerung des Geschmackssinns beim komplexesten Nahrungsmittel der Welt anfangen muss: dem Wein.

Bianca Bosker

Über Bianca Bosker

Biografie

Bianca Bosker ist Journalistin und Autorin. Sie schreibt über Essen, Wein, Architektur und Technologie, unter anderem für The New Yorker, The Guardian und The Wall Street Journal. Bevor sie ihren Job hinschmiss, um sich zur Sommelière ausbilden zu lassen, war sie leitende Redakteurin bei der Huffing...

Pressestimmen
gourmetreisen.twoday.net

„Viele Fragen, die sich jeder Weintrinker schon gestellt hat, werden beantwortet. Weinliebhaber und auch solche, die es werden möchten, finden in diesem Buch vinophile Informationen in einer tollen Mischung, die einen das Buch nicht aus der Hand legen lassen. Höchstens – um sich ein Gläschen Wein zu holen.“

sanitaetshaus-aktuell.info

„Ein exzellentes Expertenbuch für alle Weinliebhaber“

Kommentare zum Buch
Kommentieren Sie diesen Beitrag:
(* Pflichtfeld)

Bianca Bosker - NEWS

Erhalten Sie Updates zu Neuerscheinungen und individuelle Empfehlungen.

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

Bianca Bosker - NEWS

Sind Sie sicher, dass Sie Bianca Bosker nicht mehr folgen möchten?

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

Abbrechen