Von Pferden und Pferdemenschen
Worin besteht die geheimnisvolle, beglückende Beziehung zwischen Mensch und Pferd? Juli Zeh hat schon als Kind ihre freie Zeit am liebsten im Stall und auf der Koppel verbracht. Ein Interview über das große Glück auf vier Beinen.
Worum geht es in Ihrem Buch?
Die „Gebrauchsanweisung für Pferde“ ist eine sehr persönliche Geschichte über meine lebenslange Beziehung zu Pferden. Seit ich ein kleines Mädchen war, begleitet mich diese Leidenschaft über alle Höhen und Tiefen des Lebens hinweg. So geht es vielen Menschen, denn Reiten ist viel mehr als ein Sport. Es prägt einen bis in die Tiefen der Persönlichkeit. Eigentlich ist die „Gebrauchsanweisung“ deshalb auch ein Buch über die Frage, was menschliche Bindungen ausmacht. Wie sie entstehen und warum sie manchmal auch gefährlich sind.
Womit faszinieren uns Pferde?
Pferde sind große, starke Tiere, die trotz jahrtausendelanger Zuchtgeschichte immer noch in der Lage wären, ohne uns Menschen in der Wildnis zurechtzukommen. Sie brauchen uns eigentlich nicht. Sie sind Pflanzenfresser und Beutetiere, während wir Menschen eher auf der Seite der Jäger stehen. Trotz alledem bieten diese unglaublichen Tiere uns ihre Freundschaft und ihr Vertrauen an. Das ist ein Wunder, über das man täglich von Neuem staunen kann.
Was macht die Intensität der Beziehung aus?
Pferde leben in sehr stabilen Beziehungen innerhalb ihrer Herde. Sie zeigen uns etwas an, das wir aus dem zwischenmenschlichen Bereich leider nicht immer kennen: bedingungslose Zugehörigkeit und Loyalität.
Solange wir das Vertrauen eines Pferds nicht missbrauchen, wird es uns als Teil seines Lebens behandeln, ganz egal, ob wir klug oder dumm, schön oder hässlich, erfolgreich oder erfolglos sind. Allerdings müssen wir Menschen lernen, diese Bedingungslosigkeit auf gleicher Ebene zu erwidern. Das ist ein langer und langsamer, manchmal auch schmerzhafter Reifeprozess. Aber es lohnt sich, diesen Weg zu gehen. Pferde sind große Lehrmeister auf dem Weg zu Zufriedenheit und Ausgeglichenheit.
Wenn Sie zurückdenken: Wann hat das Pferdevirus Sie gepackt?
Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Meine ersten Erinnerungen an mich selbst setzen ein, als ich bereits eine hoffnungslose Pferdenärrin war, so im Alter von fünf oder sechs Jahren.
Wie sieht der typische Tagesablauf bei Ihnen aus?
Seit ich Kinder habe, stehe ich in aller Herrgottsfrühe auf und beginne zu schreiben, bevor der Rest der Familie aufgestanden ist. Wenn dann das morgendliche Familienchaos erledigt ist, die Kinder in Kita und Schule sind, gehe ich zu den Pferden, die bei mir direkt hinter dem Haus im Offenstall wohnen. Wenn ich genügend Zeit habe, reite ich ein bisschen, bevor dann noch die Stallarbeit ansteht. Mir macht das alles Freude, selbst das Ausmisten ist für mich keine Belastung, sondern eine Tätigkeit, die ich liebe. Das versteht man wahrscheinlich nur, wenn man selbst Pferde hat!
Wann beziehungsweise wie wurde Reiten zum Frauensport?
Über die längste Zeit der Geschichte war der Umgang mit Pferden Männersache. Das Pferd diente als Arbeitstier in der Landwirtschaft, als Garant für Mobilität vor Erfindung des Autos und vor allem als Kriegsgerät und damit auch als Statussymbol für männliche Machtentfaltung. Wenn man sagt, dass das Pferd eng mit der menschlichen Kulturgeschichte verwoben ist, meint man vor allem: mit der männlichen Kulturgeschichte. Erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat das Pferd in all diesen Funktionen weitgehend ausgedient und sich zu einem Sportpartner entwickelt. Seitdem „übernehmen“ die Frauen die Domäne des Reitens. Auf einmal sitzen vor allem weibliche Wesen auf diesen starken Tieren, auf denen sich vor Kurzem noch Kaiser und Könige in Bronze und Stein verewigen ließen! Dieser krasse Umschwung macht das Reiten zu einer versteckten Metapher für weibliche Emanzipation und löst deshalb immer noch latente Aggressionen im gesellschaftlichen Diskurs aus.
Was ist dran am Volksglauben, dass braune Pferde extrem zuverlässig, Schimmel faul und Rappen besonders feurig sind?
Das ist ein biologistischer Unsinn, der leider darauf verweist, wie tief verwurzelt unser Glaube daran ist, die Haar- und Hautfarbe habe etwas mit Charakter und Temperament eines Wesens zu tun.
Was können wir von Pferden lernen?
Vor allem lehren uns Pferde, im Augenblick zu leben und uns nicht in Vergangenheit oder Zukunft zu verlieren, die ja reine Fiktionen des menschlichen Verstandes sind. Sie bringen uns außerdem bei, dass das Wesen der wahren Liebe die Bedingungslosigkeit ist. Wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen.
Juli Zeh, 1974 geboren, promovierte Juristin, Verfassungsrichterin und preisgekrönte Schriftstellerin, ist seit Jahrzehnten passionierte Pferdenärrin. Ihre Romane erscheinen in 35 Sprachen. „Unterleuten“ stand über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste; „Neujahr“ erreichte auf Anhieb Platz 1. Sie lebt mit ihrer Familie und mehreren Tieren, darunter drei Pferden, im Havelland.
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