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Witness X – Deine Seele ist der Tatort

Witness X – Deine Seele ist der Tatort

S. E. Moorhead
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Thriller

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Witness X – Deine Seele ist der Tatort — Inhalt

Deine Seele ist der Tatort

Sein Opferprofil: Heilige & Hure
Sein Tatort: London, jeden Februar
Sein Aufenthaltsort: ein Hochsicherheitsgefängnis ... Oder?

Wieder ist es Februar. Wieder wird eine brutal entstellte Leiche gefunden. Neuropsychologin Kyra Sullivan erkennt Parallelen zu den Taten des Februar-Killers, dem vor 14 Jahren ihre Schwester zum Opfer fiel. Sie fürchtet, dass es bald ein zweites Opfer geben wird und der Falsche hinter Gittern sitzt. Eine neue, höchst umstrittene Technologie könnte Kyra helfen, den wahren Killer zu stellen – doch die Folgen für ihre Seele wären schrecklich.

Die Serienkiller-Sensation aus England!

Die Bilder in ihrem Kopf verschwammen zu einer schwarzen Masse. Kyra sprang aus dem Liegesessel und riss sich das Headset vom Kopf. In dem abgedunkelten Raum war sie praktisch blind. Plötzlich wurde es hell. „Alles in Ordnung, Kyra! Du bist im Labor.“ Sie blickte sich um, sah die vertrauten Apparate. Es war nicht ihr erster Erinnerungstransfer. „O mein Gott. Ich war gerade in seinen Gedanken, ich war jemand anders!“ Ihre Hände, ihre zitternden Hände. Waren das wirklich ihre Hände?

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 30.09.2021
Übersetzt von: Daniel Müller
448 Seiten
EAN 978-3-492-99938-0
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Leseprobe zu „Witness X – Deine Seele ist der Tatort“

1
Donnerstag, 1. Februar 2035, 17:45 Uhr

Das dröhnende Donnern explodierender Granaten hallte in Kyras Schädel wider, gefolgt von knatternden Maschinengewehrsalven. Noch konnte sie nichts sehen, aber sie konnte hören – die gebrüllten Befehle in ihrer unmittelbaren Umgebung, ebenso die Schmerzensschreie. Über allem lag eine Decke drückender Hitze.
Als mit einem Mal die Bilder kamen, war es wie eine visuelle Explosion, und sie zuckte zusammen. Sie sah mehrere Personen, in Wüstentarnung gekleidet und mit Gewehren bewaffnet, die um ihr Leben rannten und nach [...]

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1
Donnerstag, 1. Februar 2035, 17:45 Uhr

Das dröhnende Donnern explodierender Granaten hallte in Kyras Schädel wider, gefolgt von knatternden Maschinengewehrsalven. Noch konnte sie nichts sehen, aber sie konnte hören – die gebrüllten Befehle in ihrer unmittelbaren Umgebung, ebenso die Schmerzensschreie. Über allem lag eine Decke drückender Hitze.
Als mit einem Mal die Bilder kamen, war es wie eine visuelle Explosion, und sie zuckte zusammen. Sie sah mehrere Personen, in Wüstentarnung gekleidet und mit Gewehren bewaffnet, die um ihr Leben rannten und nach Deckung suchten. Es war wie in einem Kriegsfilm. Direkt vor ihren Augen – nein, sie musste sich ermahnen, dass es nicht ihre, sondern seine Augen waren – schlug eine Granate in eine Mauer ein und verwandelte sie in einen Schutthaufen. Das gleißende Licht der Sonne schmerzte in den Augen und ließ alles zu einem Brei aus Gelb-, Braun- und Khakitönen verlaufen.
War das vielleicht Afghanistan? Die Provinz Helmand? Oder gar das irakische Basra? Die Bilder erinnerten sie an ihre Kindheit, an die Zeiten, als sie zusammen mit Emma auf dem Teppich im Wohnzimmer gespielt hatte, während ihr Vater die Nachrichten auf dem Fernsehbildschirm verfolgte.
Mit einem Mal veränderte sich die Szene: Die Wüstensonne ging unter wie ein golden glühender Ball, der in den Horizont eintaucht, und schillernde Farbstreifen in Orange und Lila durchzogen den Abendhimmel. Kyra schaute an sich hinunter und sah Tarnkleidung, abgewetzte Armeestiefel und ein Gewehr in ihren Händen. Sie hatte noch nie in ihrem Leben eine Schusswaffe benutzt, aber irgendwoher wusste sie in diesem Moment, dass es ein 59er Minimi war. Sie betrachtete die im Sonnenlicht glänzenden blonden Härchen, die angespannten Muskeln unter der von Sommersprossen überzogenen Haut. Es waren allerdings nicht ihre Arme, nicht ihre Hände.
Es waren die von Brownrigg.
Dann wurde es Nacht – heiß, staubig, schwarz. Es war jedoch nicht das Schwarz, das sie gewohnt war, das Schwarz der Stadtnacht, ein durch Lichtsmog bedingtes Halbdunkel. Diese Dunkelheit wirkte eher wie eine Wolke aus tintenschwarzer Farbe, die sie komplett einhüllte, die ihr in Augen, Ohren und Mund drang und das Atmen schwer machte. Sie fragte sich, ob die Übertragung abgebrochen war. Aber dann gewöhnten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse, und sie schaute sich um.
In einiger Entfernung sah sie die flackernden Lichter von Öllampen, deren Schein durch die kleinen, quadratischen Fenster von Lehmhäusern mit Flachdächern drang. Hinter den Gebäuden konnte sie Sträucher und hohes Gras ausmachen, dahinter dann Sand und Felsenformationen, die sehr wahrscheinlich bis zum Horizont reichten. Sie nahm noch eine Reihe weiterer Details durch seine Augen wahr, denn Brownrigg drehte den Kopf und ließ den Blick über seine Umgebung schweifen, bis schließlich die zwei Soldaten hinter ihm, ein Mann und eine Frau, in sein Sichtfeld kamen. Er hob die Faust, und die beiden blieben stehen.
Der Ton war ausgefallen. Kyra klopfte gegen das VR-Headset. Nach einem Knistern hörte sie eine Stimme über den Funk.
„Zugriff!“
Brownrigg zeigte mit einem wippenden Finger die Richtung an und führte die beiden Soldaten zu den Häusern. Während sie sich anschlichen, konnte Kyra die kleinen Steine unter den Sohlen seiner Stiefel spüren. Der Gebäudekomplex hatte drei Eingänge, alles Holztüren. Kyra sah, wie er die beiden Soldaten zu den außen gelegenen Türen schickte, während er sich vor dem Eingang in der Mitte positionierte. Nach einem Countdown, den er mit drei Fingern runterzählte, drangen sie in die Gebäude ein. Mit seinem Gewehr im Anschlag ging Brownrigg voran. In der Dunkelheit konnte er nichts sehen, und sie spürte, wie sein Puls schneller wurde. Ohne Nachtsichtgerät musste der dünne Lichtstrahl einer Lampe am Lauf seines Gewehrs ausreichen, um die Räume zu durchsuchen.
„Sauber!“, rief der andere Soldat.
„Sauber!“, antwortete seine Kollegin.
Als sich plötzlich etwas vor Brownrigg bewegte, hielt Kyra den Atem an. Langsam und in gebückter Haltung ging er vorwärts und untersuchte einen Wäschehaufen auf dem Fußboden. Er presste das Gewehr noch enger gegen seine Brust, und sie konnte die Anspannung in seinen Schultern spüren. Die Wäschestücke vor seinen Füßen schienen sich zu bewegen. Er richtete sich auf, den Abzug weiterhin fest mit dem Finger umschlossen, und trat einen Schritt zurück.
Eine kleine Hand schob sich langsam aus dem Haufen nach oben, kurz darauf kam das fiebrige Gesicht eines Jungen zum Vorschein. Sofort entspannte sich Brownriggs Körper, und er atmete erleichtert auf. Er schob sich das Gewehr nach hinten auf den Rücken und kniete sich hin.
„Na, alles okay, Kleiner? Bist ein bisschen schlapp, was?“ Der Junge blickte ihn mit ausdrucksloser Miene an. Brownrigg streckte die Hand aus, um die Stirn des Jungen zu fühlen. Das Kind jammerte und zog den Kopf zurück.
„Keine Bange, kleiner Mann, ich rufe jemanden, der dir helfen wird.“ Brownrigg ging in die Hocke und griff nach seinem Funkgerät. Einen Augenblick später schoss die andere Hand des Jungen unter dem Wäschehaufen hervor, in seinen Fingern hielt er eine rostige Klinge. Die Bewegung war ungelenk, aber der Hieb doch energisch genug, um gewaltigen Schaden anzurichten.
Ein Brennen, als hätte ihr jemand einen glühenden Schürhaken über den Kehlkopf gezogen, raste quer über Kyras Hals hinweg. Dann durchzuckte eine Welle aus Adrenalin und Panik ihren Körper – oder besser gesagt, Brownriggs Körper –, und er taumelte nach hinten. Mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht sprang der kleine Junge auf und warf die zerschlissenen Wäschestücke beiseite.
Draußen vor dem Haus rief eine männliche Stimme etwas in einer fremden Sprache. Das Kind verharrte und lauschte. Ein Gewehrschuss ließ den Mann vor der Tür verstummen.
Die Klinge noch in der Hand, zögerte der Junge einen Augenblick. Dann spuckte er Brownrigg, der auf dem Rücken lag und die Hände gegen seinen Hals presste, während das Blut ihm feucht und heiß durch die Finger quoll, mitten ins Gesicht und rannte zur Tür hinaus.
In blinder Panik wand und krümmte sich Brownrigg auf dem Boden. Er ruderte mit den Armen, trat um sich. Ein kleiner Tisch fiel um, Geschirr krachte zu Boden.
Erfasst von seiner Todesangst, schnappte Kyra nach Luft.
Sie hörte Brownriggs Kameraden, die sich etwas zuriefen.
Dann knallte ein einzelner Schuss durch die Luft.
Und es war still.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die beiden Soldaten zu ihm und redeten auf ihn ein.
„Wir haben sie beide erwischt, Sir“, sagte der Mann. „Jetzt heißt es durchhalten, hören Sie? Wir sind bei Ihnen.“ Die Soldatin brüllte Koordinaten ins Funkgerät und forderte medizinische Hilfe an.
Dann verschmolzen die Bilder zu einer schwarzen Masse.
Kyra sprang aus dem Liegesessel auf und riss sich das Headset vom Kopf. In dem abgedunkelten Labor war sie praktisch blind. Hektisch tastete sie ihre Umgebung ab, bis jemand ihre Arme packte und festhielt.
„Loslassen!“, brüllte sie und trat zu.
Eine männliche Stimme stieß einen Schmerzensschrei aus.
„Cosmo, Licht auf fünfzig Prozent“, befahl dieselbe Stimme kurz darauf aus der Dunkelheit heraus.
Sofort wurde es hell.
Kyra war einen Moment lang desorientiert und verharrte regungslos in ihrer Haltung. Ihr Laborpartner stützte sie. „Alles in Ordnung, Kyra! Du bist im Labor. Ich bin’s nur, Jimmy.“
Sie blickte sich um, sah die vertrauten Apparate, die Arbeitsflächen aus schwarzem Granit, ihre Tasse in Griffweite, und begann sich zu entspannen. Es war nicht der erste Erinnerungstransfer für die beiden, aber normalerweise reagierte sie gelassener.
„O mein Gott, Jim, tut mir leid. Das war ein ziemlich heftiger Tritt, oder?“
„Hab schon Schlimmeres abbekommen.“ Er lächelte und ließ sie los. Einen Augenblick lang hielt er die Arme noch in Abwehrhaltung ausgestreckt, dann beugte er sich vornüber, um sein Schienbein abzutasten.
„Ich hatte verdammt große Angst.“
„Ich weiß.“ Er legte eine Hand auf ihre Schulter und führte sie zurück zum Liegesessel, während sie versuchte, wieder ruhig und gleichmäßig zu atmen.
„Ganz ruhig“, redete er ihr zu. „Alles okay, Kyra, es ist alles okay.“
Sie setzte sich und tastete ihren Hals ab. Als sie den Schweißfilm an ihren Fingern spürte, hielt sie ihn für Blut und riss ruckartig die Hände hoch. Ihre Hände, ihre zitternden Hände. Langsam drehte sie sie um.
Sie waren sauber.
Ihr Puls normalisierte sich schrittweise, aber ihre Atmung war immer noch keuchend.
Sie tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger auf die Brust. Jimmy begriff sofort und zog ein Asthmaspray aus der Tasche seines weißen Laborkittels. Kyra griff nach dem kleinen Inhalator, drückte den Kanister in das Gehäuse und saugte hastig das Aerosol ein.
Kurz darauf spürte sie bereits, wie sich ihre Luftwege öffneten, ihre Atemzüge gleichmäßiger und tiefer wurden und der Schweiß auf ihrer Haut abkühlte. Dann betastete sie noch einmal ihren Hals. Jimmy beobachtete sie mit einer Mischung aus Sorge und Verwirrung.
„Dieses Mal kein Erbrechen?“, sagte er und klopfte ihr kurz auf den Rücken.
Sie schüttelte den Kopf. „Habe extra nichts gegessen“, antwortete sie mit finsterer Miene.
„Du wirst langsam ein richtiger Profi.“ Er lächelte. „Hier, trink ein bisschen Wasser.“
Er nahm ein Glas von der Arbeitsfläche und reichte es ihr.
Sie trank gierig und war dankbar, ihn bei sich zu haben.
Jimmy prüfte mit einem Vitalmonitor ihren Puls und untersuchte dann mit einem Transilluminator ihre Augen. Kyra starrte wütend zu Carter hinüber. Er war der Eigentümer des CarterTech-Labors und ihr Geschäftspartner.
„Schau geradeaus“, forderte Jimmy sie auf. „Pupillenreaktion normal.“ Er nahm ihr das leere Glas ab, um es wieder auf die Arbeitsfläche zu stellen.
„Die Army, Carter? Echt jetzt?“ Sie war sauer. „Das gottverdammte Verteidigungsministerium? Nach allem, was wir besprochen hatten?“
Carter legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit der anderen Hand auf CASNDRA, die große Apparatur im hinteren Teil des Labors, die wie ein Donut geformt war. Das strahlend weiß lackierte Metall des Gehäuses hob sich stark von den dunkelgrauen Wänden und den schwarzen Arbeitsflächen des Raums ab. Auf der weißen Liege, deren Kopfende im Inneren des Geräts steckte, lag Lieutenant General Brownrigg vom MOD, dem Verteidigungsministerium.
Carter zuckte mit den Schultern. „Geschäft ist Geschäft.“
„Ich hole ihn jetzt raus, okay?“, sagte Jimmy.
Kyra lehnte sich zurück und schaute nach oben. Sogar die Decke des Labors war dunkel, schwarz angestrichen, um die Kabel und Entlüftungsöffnungen zu kaschieren. Sie nahm an, dass Carter das für modern hielt. Erschöpft zeigte sie Jimmy ihren nach oben gestreckten Daumen.
„CASNDRA, bitte Liege ausfahren“, sagte Jimmy, während er mit einem Glas Wasser zu der Apparatur ging. Ein mechanisches Summen war zu hören, als die Liege mit dem Lieutenant General aus dem Gerät glitt. Langsam setzte Brownrigg sich auf und nahm das Wasserglas.
Für einen aktiven Soldaten sah er zu alt aus, also schlussfolgerte Kyra, dass die Erinnerungen, die sie gerade gesehen hatte, aus einer frühen Phase seiner Militärlaufbahn stammen mussten. Anfangs sprach er kein Wort, sondern starrte sie einfach nur an und trank.
„Wie fühlen Sie sich?“, fragte Jimmy.
Brownrigg nickte, leerte sein Glas und reichte es ihm.
„Die Pico-Stimulatoren werden Ihren Blutkreislauf schon in wenigen Stunden verlassen haben, die Nano-Rezeptoren ebenfalls. Sie werden es nicht mal merken. Trotzdem sollten Sie reichlich Flüssigkeit zu sich nehmen.“
„Sind das die kleinen unsichtbaren Dinger, die Sie mir in die Vene gejagt haben?“, fragte Brownrigg. Dann, wahrscheinlich weil er Jimmys verzagtes Gesicht gesehen hatte, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu: „Keine Sorge, mein Junge. Ich habe schon alle möglichen Spritzen bei der Army bekommen. Von den meisten wusste ich nicht mal, was es war.“
Seine Stimme war tief und geschmeidig. Für einen Mann seines Alters war er gut in Form. Bauchfett war keins unter seinem hellblauen Hemd zu sehen, dafür aber starke Schulter- und Brustmuskeln. Schwungvoll drehte er die Beine auf die Seite der Liege, worauf Jimmy die Hand hob. „Moment. Geben Sie mir noch zwei Minuten, damit ich Sie durchchecken kann.“
Carter hatte sich gegen die graue Laborwand gelehnt und war dadurch zur Hälfte in Schatten getaucht. Er trug einen mitternachtsblauen Nadelstreifenanzug mit einem Einstecktuch in der Brusttasche, das zu seinem blasslilafarbenen Binder passte. Alles maßgeschneidert natürlich und nicht im Laden erhältlich. Viele der chinesischen Geschäftsleute trugen diese Anzüge als Symbol für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg ihres Landes innerhalb des vergangenen Jahrzehnts. Auch in London feierten Anzüge ein Comeback. In Kyras Augen war es eine weitere von Carters Überheblichkeiten, ganz ähnlich wie die weißen Kittel, die sie und Jimmy tragen mussten, damit sie wie „professionelle Mediziner“ aussahen. Obwohl sie auf dem Papier gleichberechtigte Partner waren, diente Carters Aufzug als unmissverständliches Signal dafür, dass er der Boss war. Mal ganz abgesehen davon, dass sein Name über der Eingangstür stand.
Interessanterweise hatte Carter sie nie in seine Erinnerungen eintauchen lassen.
Zu privat, meinte er.
Was zu verbergen?, dachte sie.
Vor dem Transfer war Carter reichlich nervös gewesen, und um ehrlich zu sein, Kyra auch. Zu dem Kunden hatte er sich nicht groß geäußert, war regelrecht zugeknöpft gewesen, hatte ihr aber versprochen, die Sache nach dem Testlauf mit ihr zu besprechen und gemeinsam eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu fällen. Es gab Momente, da war sie ihm dankbar für die Möglichkeit, ihre Technologie weiterzuentwickeln. In Augenblicken wie diesen jedoch wünschte sie sich, die Finanzierungsoptionen für ihr Projekt sorgsamer ausgelotet zu haben. All diese Versprechen, dass ihre Erfindung den richtigen Leuten zugutekommen würde … Er hatte kein Wort davon ernst gemeint.
Er war starrköpfig, sicher, aber sie war es auch.
„Also?“, sagte Carter erwartungsvoll und nickte Kyra zu.
Als Brownrigg ihr darauf direkt in die Augen schaute, spürte sie eine Verbindung zu ihm. Wie sollte es auch anders sein, nachdem sie in seine Erinnerungen eingetaucht war?
„Es gab ein Gefecht, mit Soldaten, in der Wüste. Vielleicht Afghanistan“, sagte sie. „Dann standen da drei kleine Häuser. Ich dachte erst, dass sie verlassen seien, aber plötzlich war da … ein Junge … noch ein Kind.“
Brownrigg sah sie weiter mit unbeeindruckter Miene an.
Ließen ihn die Erinnerungen an diesen Einsatz denn wirklich absolut kalt?
„Es war ein …“ Sie suchte nach dem passenden Wort. „Ein Hinterhalt. Der Junge … Er hat Sie mit einem Messer angegriffen.“ Sie fasste sich wieder an den Hals. „Er hat Ihnen die Kehle durchgeschnitten.“
Keine Reaktion.
Was dann folgte, sagte sie sehr leise. „Ihre Kameraden haben ihn erschossen.“
Wie konnte es sein, dass eine derart schreckliche Erfahrung, die Tötung eines kleinen Jungen, keine Regung in seinem Gesicht verursachte, weder Trauer noch Bedauern?
Carter schaute abwechselnd zwischen den beiden hin und her.
Brownrigg öffnete den Kragen seines Hemds und zeigte ihr eine zerklüftete Narbe quer über seiner Kehle.
„Eine präzise Zusammenfassung, Doktor Sullivan“, sagte er sachlich.
Carters Gesicht begann zu leuchten.
Vor Erleichterung, wie sie annahm.
Kyra, die immer noch reichlich desorientiert war, rieb sich die Stirn. Ihr Blick wanderte zu der schwarzen Granitarbeitsfläche. Auf der Suche nach etwas Vertrautem, etwas Greifbarem konzentrierte sie sich auf die silbern glitzernden Sprengsel in der dunklen Platte. Dann erfassten ihre Augen die Tasse. Kaffee her, sonst gibt es Tote, war darauf gedruckt – ein Geschenk von Jimmy. Sie blickte auf und schaute zu einer der Glaswände des Labors, in der sie vor dem dunklen Grund des Flurs, der dahinter lag, ihr eigenes Spiegelbild sah: ihren dunklen Choppy Bob, ihre langen Beine mit den hochgezogenen Knien, ihre etwas zu breiten Schultern. Dann schaute sie wieder zu Brownrigg, und als sich ihre Blicke trafen, wurde sie von einem Gefühl der Schuld erfüllt. Eine Schuld, die nicht ihre war.
„Haben sie … Ist er gestorben? Ich meine, der Junge, ist er gestorben?“ Sie fürchtete sich vor der Antwort.
Brownrigg sagte nichts, sondern wandte einfach den Blick ab und stand auf.
„Wie Sie sehen können, Lieutenant General“, schaltete sich Carter ein, „hat Doktor Sullivan mit CASNDRA eine wirklich außergewöhnliche Technologie entwickelt.“ Sein Gesichtsausdruck war ernst, er legte sich mächtig ins Zeug. Mein Gott, wie sehr sie ihn für dieses Theater verabscheute.
Brownrigg zupfte seine Kleidung zurecht. Er wirkte nun fast schon schüchtern. Sie fragte sich, ob er sich durch den Transfer bloßgestellt fühlte. Ob diese Erfahrung für ihn vielleicht einer Art Bußgang gleichkam.
„Das haben Sie, fürwahr“, sagte er zu Kyra, schaute sie aber immer noch nicht an. „CASNDRA, wie das Orakel aus der griechischen Mythologie, nicht wahr?“ Er lächelte, aber sie wusste nicht genau, ob in seinen Worten Spott mitklang. „Helfen Sie mir doch bitte auf die Sprünge. Wofür steht CASNDRA noch mal?“, fragte er.
„Computer Assisted Scientific Neurological Detail Recall Aid. Eine computergestützte Erinnerungshilfe auf neurowissenschaftlicher Basis.“
„Da Sie die Ware ja nun gewissermaßen auf Herz und Nieren geprüft haben“, unterbrach Carter den Austausch und schob Brownrigg dabei Richtung Tür, „sollten wir jetzt vielleicht über die Vertragskonditionen sprechen.“
„Ach ja, mir geht’s übrigens blendend, danke der Nachfrage“, sagte Kyra. Carter verzog das Gesicht und drängte weiter zum Ausgang.
Wie es aussah, hatte er nicht vor, sie an diesem Teil des Prozesses teilhaben zu lassen. Ärger keimte in ihrer Brust auf, ihre Beine fühlten sich wie Gummi an. Sie trat an die beiden Männer heran und griff den Ärmel von Brownriggs Hemd.
„Ich habe da noch eine Frage“, sagte Kyra. Brownrigg und Carter hielten inne und drehten sich um. „Wie wollen Sie meine Technologie einsetzen?“
Die Muskeln unter Brownriggs Hemdsärmel fühlten sich hart wie Stein an. Als er nach unten auf ihre Hand blickte, anstatt zu antworten, ließ Kyra seinen Arm los.
Carter starrte sie finster an. Der Lieutenant General hingegen wirkte gelassen und schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Terrorismusbekämpfung.“
„Und wie soll das funktionieren?“ So einfach wollte sie sich nicht abspeisen lassen.
Er zögerte erst, fuhr dann aber mit fester Stimme fort. „Bei Verhören. Wir glauben, dass diese Technologie … nützlich sein könnte, wenn es darum geht, Informationen über die Mitglieder terroristischer Gruppierungen zu beschaffen. Auch noch nach einem Anschlag.“ Er fuhr mit der Hand durch die Luft. „Kontakte, Adressen, Treffpunkte der Terrorzellen, Einzelheiten zur Beschaffung von Waffen und Material und so weiter und so fort. Wenn wir nur einen dieser Typen lebend zu fassen kriegen, müssen wir in der Lage sein, so viele Informationen wie möglich aus ihm herauszuholen, um weitere Gräueltaten zu verhindern.“
„Interessant.“ Sie kippte den Kopf leicht zur Seite und tat so, als würde sie über die Antwort nachdenken. „Ich glaube allerdings, dass die Menschenrechtler dieses Landes etwas dagegen hätten, wenn Sie gegen den Willen der Betroffenen die Erinnerungen von Verdächtigen durchforsten.“
Carters Gesicht verdunkelte sich abermals.
Brownrigg lächelte und war offensichtlich belustigt über die plötzliche Spannung im Labor. Er trat an Kyra heran.
„Doktor Sullivan, die Kluft zwischen Arm und Reich wird weiter wachsen, und damit wird sich in Zukunft auch das Terrorismusproblem weiter verschärfen. Ich bin mir sicher, dass die britische Öffentlichkeit Ihnen sehr dankbar für Ihre Technologie und die dadurch geretteten Leben sein wird.“
Einen Moment lang standen sie sich gegenüber, die Blicke ineinandergebohrt. Eine Art Trotz stieg in Kyra auf.
„Ich muss sagen, ich bin schon ein bisschen enttäuscht“, erwiderte sie, während Carter sie anstarrte und ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Na ja, wenigstens werden die Justizbehörden stets die Einwilligung der Betroffenen einholen, wenn sie mit CASNDRA einen Erinnerungstransfer durchführen.“
Brownrigg, nun offensichtlich irritiert, schaute zu Carter. „Wir hatten etwas anderes ausgemacht.“
Kyra spürte die plötzliche Spannung zwischen den beiden Männern.
„Nein, nein, nein, das ist einfach nur ein kleines Missverständnis. Ein Kommunikationsfehler, nichts weiter“, stammelte Carter.
„Das alles hier muss streng geheim bleiben“, sagte Brownrigg bestimmt und mit ernster Miene. Er zeigte auf Kyra und Jimmy. „Sie wissen, welche Auswirkungen es haben kann, wenn diese Technologie in die falschen Hände gerät, nicht wahr? Sie verstehen, wie brisant Ihre Erfindung ist?“
Kyra wusste nicht recht, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder empört sein sollte. Wer war dieser Mann, dass er glaubte ihr sagen zu können, was sie mit ihrer Erfindung tun konnte und was nicht?
„Stellen Sie sich nur mal vor, was passiert, wenn CASNDRA gegen uns eingesetzt wird …“, begann Brownrigg.
„Gegen uns?“, schnaubte Kyra.
Wieder warf ihr Carter einen verärgerten Blick zu.
„Doktor Sullivan“, sagte Brownrigg mit tiefer und nun auch bedrohlich klingender Stimme. „Ihre Technologie wird Leben retten, aber um das tun zu können, muss sie streng geheim bleiben.“
„Streng geheim?“ Kyra musste lachen. Sie schaute zu Jimmy hinüber, dessen Gesicht leichenblass war. Dann bemerkte sie, dass Brownrigg sie todernst ansah.
„Was ich Ihnen hier zu erklären versuche, Doktor Sullivan, ist die Tatsache, dass dieses System in den Händen der falschen Leute sehr gefährlich sein kann. Deshalb muss strengste Geheimhaltung gelten. Wir können kein Risiko eingehen.“
„Ich habe diese Technologie entwickelt.“ Sie versteckte ihren Ärger nicht mehr. „Und deshalb können Sie nicht einfach so darüber bestimmen.“
„Keine Angst, Sie werden angemessen entlohnt“, sagte er trocken.
„Ich will nicht entlohnt werden. Ich will, dass CASNDRA den Menschen zur Verfügung gestellt wird, die diese Technologie brauchen! Und damit meine ich die Justiz …“
„Klären Sie das“, sagte Brownrigg zu Carter und machte dabei eine abwinkende Handbewegung.
„Natürlich. Das wird geklärt“, antwortete Carter unterwürfig. „Gehen wir doch derweil in mein Büro, wo wir uns ungestört unterhalten können.“
Während Brownrigg auf den Flur trat, streckte Carter den Arm aus und hielt Kyra einen drohenden Zeigefinger unter die Nase.
Eine Welle der Übelkeit spülte über sie hinweg. Erschöpft und enttäuscht ging sie zum Liegesessel zurück und legte sich hin.
So hatte sie sich das alles nicht vorgestellt.
Ganz und gar nicht.



2
Donnerstag, 1. Februar 2035, 18:02 Uhr

„Mir geht’s gut, wirklich“, beharrte Kyra, während Jimmys Finger über die virtuelle Tastatur huschten und seine Augen auf die Werte starrten, die von Kyras Vitalmonitoren geliefert wurden. Das blau-weiße Licht des Bildschirms vor ihm hob seine Adlernase hervor und spiegelte sich in Form winziger Rechtecke in seinen dunkelblauen Augen. Kyra trank das zweite Glas Wasser, das sie von ihrem Laborkollegen bekommen hatte. Es kühlte sie ab und half ihr, die Verbitterung über ihren Austausch mit Brownrigg herunterzuspülen.
„Wir machen’s trotzdem nach Vorschrift, Doktor Sullivan“, sagte Jimmy. Dann lächelte er und schob sich die dunklen Locken aus der Stirn. Kyra fand, dass Jimmy ein nettes Gesicht hatte und definitiv auch eine ganze Menge Charme besaß. Er arbeitete hauptsächlich mit Bio-Chips – Computerchips, die man in menschliches Gewebe einsetzte – und Tracking-Geräten. Einen dieser Peilsender hatte er einmal zu Testzwecken an ihrem Auto befestigt, worauf er sich von ihr anhören musste, ein verkappter Stalker zu sein. Sie hatte ihn nie gefragt, warum er seinen früheren Job als Arzt aufgegeben hatte. Das wäre ihr dann doch etwas zu neugierig vorgekommen.
Nachdem Carter und Brownrigg gegangen waren, hatte sie zehn Minuten lang in CASNDRAs Scannerröhre gelegen, mit einer Mordswut im Bauch. Nun stand sie neben Jimmy und schaute sich die Aufnahmen ihres Gehirns an.
„Sieht für mich alles gut aus“, sagte er, die Augen fest auf den Bildschirm gerichtet. „Deine Amygdala strahlt allerdings gerade wie ein Weihnachtsbaum.“ Neugierig sah er sie an. „Wie war es denn so in seinen Erinnerungen?“
„Anstrengend“, schnaubte sie. „Wirklich bescheuert, dass man keinerlei Warnung bekommt, was bei einem Transfer passieren wird.“ Noch einmal tastete sie ihren Hals ab. „Schließlich wird einem nicht jeden Tag die Kehle durchgeschnitten.“
„Der Transfer hat bewiesen, dass unsere Technologie funktioniert. Er wirkte ziemlich beeindruckt.“
„Ich wünschte, ich hätte gelogen und behauptet, nichts gesehen zu haben“, sagte sie geknickt.
„Tut mir leid. Ich weiß, dieser Deal ist nicht eben das, was du dir vorgestellt hattest.“
„Dieser Mistkerl Carter interessiert sich doch nur für das Geld“, zischte sie.
„Sei vorsichtig“, sagte Jimmy und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. „Nach diesem Streit dürfte das Eis unter deinen Füßen noch mal eine ganze Ecke dünner geworden sein. Du weißt doch, wie er manchmal ist.“
Sie wischte Jimmys Warnung beiseite und setzte sich wieder in den Liegesessel. „Cosmo, Informationen zu Lieutenant General Brownrigg.“ Einen Augenblick später füllte eine Flut von Fotos und Artikeln die Bildschirme an der Wand vor ihr: Brownrigg als junger Soldat mit stattlicher Figur, blondem Haar, grünen Augen; dann als älterer Offizier mit Abzeichen und Orden, wie er seine Männer ins Feld führt. Das alles wirkte so nobel, so ehrenwert. Der Tod eines kleinen Jungen wollte einfach nicht zu diesen Berichten passen. Ihr war klar, dass die Army kein Interesse an der Verbreitung dieses Details hatte. Wie es aussah, zeigte auch das Hypernet nur einen Ausschnitt der Wahrheit.
„Dein Puls kommt langsam runter. Eigentlich sollte er zwar schon um einiges niedriger sein, aber gut … Wenn du mein Oberstübchen durchwühlst, sind deine Werte jedenfalls nie so hoch. Cosmo, Licht auf hundert Prozent.“
Kyra hielt sich die Hand vor die Augen, als das System den Befehl ausführte. „Warum hast du den Laborcomputer eigentlich Cosmo genannt?“
„War der Name meines ersten Hundes“, antwortete er, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. „Ich habe dieses Tier geliebt.“
Sie nickte verständnisvoll.
Die Transfers mit Jimmy waren immer ganz anders gewesen. Sicher, CASNDRA war ihr Baby, sie hatte die Nano- und Pico-Technologien entwickelt, die dem System zugrunde lagen. Doch es war Jimmy gewesen, der den Großteil der Apparaturen nach ihren Vorgaben aufgebaut und eingerichtet hatte. Neben ihrem Assistenten Phil Brightman war Jimmy auch eine der ersten Personen gewesen, mit denen sie es gewagt hatte, ihre Erfindung zu testen. Jimmy vertraute ihr und hatte kein Problem damit, dass sie in seinen Gedanken wühlte. Es war eine intime Angelegenheit, bei der sie allerdings stets großes Fingerspitzengefühl bewies. Um die Apparatur zu testen, hatte sie in seinen Erinnerungen nach bestimmten Details gesucht. Streckenweise war es wie Versteckspielen gewesen. Dazu stellte Jimmy ihr vor dem Transfer eine seine Vergangenheit betreffende Frage, die sie unmöglich beantworten konnte. Ihre Aufgabe war es dann, auf ihren Streifzügen durch sein Gehirn die Lösung zu finden.
Sie konnte sich immer noch gut an den allerersten Transfer mit ihm erinnern, den spannendsten von allen, als klar war, dass die Technologie funktionierte. Den Tag damals hatten sie größtenteils mit kleinen Spielen verbracht, bei denen Kyra versuchte, Informationshäppchen in Jimmys Erinnerungen aufzuspüren. Was löste mein Asthma aus, als ich mit dreizehn Jahren Urlaub in Spanien machte?
Im Transfer hatte sie die Antwort klar und deutlich gesehen: ein wunderschönes spanisches Mädchen, mit langen Wimpern über den braunen Augen. Jimmy hatte mit seinem gebrochenen Spanisch versucht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Doch dann war die Schöne plötzlich näher gekommen, hatte die Arme um seinen Hals gelegt und ihn auf den Mund geküsst, nur um anschließend lachend davonzulaufen. Die Aufregung, vielleicht auch die Panik, die Jimmy daraufhin erfasste, war so überwältigend, dass sie einen leichten Asthmaanfall auslöste. Nach dem Transfer lachten beide über die Angelegenheit, und Jimmy verriet ihr, dass er vor Scham noch nie jemandem davon erzählt hatte.
Als Kyra einige Wochen darauf von einem gelegentlichen Gefühl der Enge in der Brust berichtete, das unmittelbar nach ihren Transfers auftrat, war den beiden nicht mehr zum Lachen zumute. In diesem Moment hatte sie begonnen, intensiver über die versteckten Nebenwirkungen von CASNDRA nachzudenken. War es wirklich möglich, dass sich durch die Erinnerungstransfers auch körperliche Eigenheiten und Gebrechen übertrugen?
In Jimmys Erinnerungen einzutauchen war in etwa so, als ginge man in die Wohnung eines Freundes, um einen wichtigen Gegenstand zu holen. Sie kannte sich dort aus und fühlte kein Unbehagen dabei, in die Schubladen zu schauen oder einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, solange es nur rasch und respektvoll geschah.
Der Ausflug in Brownriggs Gedanken hatte sich im Gegensatz dazu wie Hausfriedensbruch angefühlt. Sie hatte den Mann nicht gekannt und auch keine Informationen über ihn gehabt, bevor sie in seine Erinnerungen abtauchte. Wie hätte sie wissen können, was sie in seinem Gehirn erwartete oder was sie sich dort möglicherweise einfangen würde?
Jimmy nahm einen Scanner und rollte auf seinem Bürostuhl zum Liegesessel hinüber, wo er mit dem kleinen Gerät über Kyras Hals und Gesicht fuhr.
„Er hat ein paar wirklich schreckliche Dinge erlebt. Es war die Hölle.“
Jimmy sah sich die Messwerte des Scanners an. „Alles normal.“
Als er sich wieder dem großen Bildschirm zuwandte, stand Kyra auf und streckte sich.
„Wie spät ist es?“, fragte sie.
„Es ist achtzehn null vier“, antwortete eine elektronisch klingende Männerstimme.
„Danke, Cosmo“, sagte Kyra. „CASNDRA, bitte Reset durchführen!“ Begleitet von einem mechanisch klingenden Summen wurde die Liege zurück in die Apparatur gezogen. Dann piepste es zweimal, und eine der Kontrolllampen am röhrenförmigen Gehäuse sprang von Rot auf Grün.
„Sicher, dass es dir gut geht?“, fragte Jimmy. „Du hattest doch vorhin wieder dieses Engegefühl in der Brust. Müssen wir uns deswegen Sorgen machen?“
„Nein“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ich bin einfach nur genervt.“
Doch die Frage blieb: Wenn sie von Jimmy bereits Asthma bekommen hatte – was zur Hölle hatte sie sich dann möglicherweise von Brownrigg eingefangen?
„Rein psychosomatisch.“ Sie machte eine Pause und fügte dann zögerlich hinzu: „Du glaubst doch nicht, dass der Herzinfarkt von Phil etwas mit CASNDRA zu tun hatte, oder?“
In der ersten Entwicklungsphase hatte eine der Hauptaufgaben ihres Assistenten Phil Brightman darin bestanden, gemeinsam mit Kyra das System zu testen. Phil war jedoch bald darauf gestorben, im Schlaf, nicht lange nach einem Transferversuch. Nach der Tragödie war Jimmy auf den Plan getreten und hatte seine eigenen Forschungen im Nachbarlabor zurückgestellt, um Kyra bei den Versuchen mit dem System zu helfen, das er nach ihren Anweisungen aufgebaut hatte.
„Nein“, sagte Jimmy und konzentrierte sich auf den Bildschirm vor ihm. „Ich glaube nicht, dass man einen psychosomatischen Herzinfarkt bekommen kann.“
„Ja, hast wahrscheinlich recht.“ Kyra zog ihren weißen Kittel aus und hängte ihn an der Tür auf.
„Nicht diagnostizierte Herzschwäche. Es hätte ihn jederzeit erwischen können“, fügte Jimmy hinzu.
„Stimmt. Das hat nichts mit CASNDRA zu tun“, versicherte sie sich selbst.
Er löste den Blick vom Bildschirm, um sie anzuschauen. „Hattest du in letzter Zeit wieder Probleme mit diesen Träumen?“
Fast wünschte sie sich, sie hätte ihm nie davon erzählt.
Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass die lebhaften Träume, die sie manchmal nach den Transfers hatte, nichts weiter waren als Erinnerungsrückstände. Dinge, die sich irgendwie in ihrem Gehirn festgesetzt hatten. Doch nachts, wenn sie ganz allein in der Dunkelheit lag, fühlten sich diese Erinnerungsrückstände verdammt real an.
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten. Ihr Kiefer war angespannt, und sie blickte ihm nicht in die Augen.
„Okay, hier ist mein Rezept für dich“, sagte er. Dann kritzelte er etwas auf ein Stück Papier und reichte es ihr.
Kaffee.
„Geht auf mich“, sagte sie erleichtert.
Kyra drückte die schwere Glastür des Labors auf, Jimmy folgte ihr. Draußen quietschten die Gummisohlen seiner Schuhe leise auf den mattgrauen Fliesen. Der Flur wurde von Deckenstrahlern beleuchtet, die in regelmäßigen Abständen helle Lichtkreise auf den dunklen Boden warfen. In Fußhöhe verliefen in die Wand eingelassene Lichterketten, die ein Muster, nicht unähnlich einem Backgammonbrett, auf den Bodenbelag abstrahlten.
Carter hatte ganze Arbeit bei der Einrichtung der Laborräume geleistet. Er war gut in seinem Job: Geld in die Hand nehmen, um mehr Geld zu machen. Qualität zieht Qualität an, sagte er wieder und wieder.
Bei CarterTech waren viele Wände aus Glas. Oft hatte Kyra zu Jimmy hinübergeschaut, wie er im Labor nebenan seiner Arbeit nachging. Die Produkte, die er entwickelte, waren sehr begehrt. Er implantierte sie unter die Haut seiner Kunden: Bio-Chips für bargeldlose Zahlungsvorgänge oder sogenannte Bio-Tracker für die Kinder paranoider Eltern – und für fehlgeleitete Ehemänner, wie er gelegentlich scherzte. Kürzlich hatte er eine Technologie zur Marktreife geführt, mit der sich mobile Kommunikationsgeräte in Nanogröße unter die Haut implantieren ließen. Er hatte sie Bio-Phones getauft, aber Kyra wusste nicht so recht, ob ihr die Vorstellung unbegrenzter Erreichbarkeit wirklich gefiel.
Der Kaffeeautomat stand im Wartebereich, dem Foyer, wie Carter ihn nannte. Er hatte die Wände dort mit großen Bildern behängt, die er offenbar für besonders kunstvoll hielt. Es waren Bilder von menschlichen Körperteilen, gemalt mit breiten Pinselstrichen und knallbunten Farben: eine blaue Hand hier, ein orangefarbener Rücken dort, ein grünes Gesicht daneben. Auf dem Empfangstresen stand ein Modell des menschlichen Gehirns aus Keramik auf einem Sockel. Mit schwarzen Linien umrandet und glänzenden Lettern beschriftet, waren darauf die phrenologischen Zonen dargestellt. Kyra hasste diese Plastik besonders leidenschaftlich.
„Zweimal schwarz“, sagte sie und hielt zum Bezahlen ihre Karte in Richtung des Kaffeeautomaten. Jimmy hatte angeboten, ihr einen seiner Banking-Chips zu implantieren, aber dafür war sie noch nicht bereit. Immerhin hatte sie ihm erlaubt, einen Tracker an ihrem Auto zu testen. Der Peilsender klebte immer noch am Unterboden des Wagens.
Während der Kaffeeautomat die Bestellung bearbeitete, machte es sich Jimmy auf einem der grauen Ecksofas bequem. Als die erste Tasse fertig war, nahm Kyra sie aus dem Automaten und brachte sie ihm.
Plötzlich stürmte Carter durch den Haupteingang herein. Kyra erschrak so sehr, dass sie sich heißen Kaffee auf die Hand schüttete. Jimmy saß mit einem Mal kerzengerade.
„Schönen Dank noch mal, dass du diesen Deal um ein Haar versaut hättest!“ Er baute sich vor ihr auf, die Schultern hochgezogen, der Kopf puterrot. „Ich habe Brownrigg gerade rausgebracht, aber eins kannst du mir glauben: In der letzten halben Stunde musste ich Schwerstarbeit leisten, damit er unser Geschäft nicht abbläst.“
Jimmy stand auf, nahm Kyra den Kaffee aus der Hand und verzog sich still und leise in sein Labor.
„Was in drei Teufels Namen hast du dir dabei gedacht? Hast du irgendeine Vorstellung davon, wie lange ich gebraucht habe, um dieses Treffen zu organisieren? Oder was für eine bedeutende Persönlichkeit der Lieutenant General ist?“
Kyra wandte sich wieder dem Kaffeeautomaten zu. Das Blut in ihren Adern fühlte sich jetzt mindestens so heiß an wie der dampfende Wasserstrahl, den die Maschine auf das synthetische Kaffeegranulat spie.
„Die Army, Carter? Meinst du nicht, ich hätte das wissen sollen, bevor ich in das Kriegsgebiet in Brownriggs Kopf eintauche? Die Dinge, die ich da gesehen habe … Verdammt, du hättest mich wirklich warnen können!“
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, wie es bei unserer Partnerschaft läuft: Du bringst den Sachverstand, ich kümmere mich um das Business.“ Er kniff einmal die Augen fest zusammen und öffnete sie dann wieder. „Du kommst mit den Ideen, ich verkaufe sie. Ich lasse dir im Labor freie Hand und bezahle das alles hier“, knurrte er. „Du musst mich aber auch meinen Job machen lassen. Du musst mir vertrauen, dass es mir nur um das Wohl der Firma geht. Ich habe nicht umsonst zuerst beim Verteidigungsministerium angeklopft. Wir haben die Technologie, sie haben das Geld. Es ist ein perfektes Geschäft.“
Sie drehte sich zu ihm um. „Toll. Und nun schau dir mal an, wie sie CASNDRA einsetzen werden. Sie wollen ohne Einwilligung der Betroffenen in die Erinnerungen verdächtiger Menschen eindringen. Wir leben in keinem Polizeistaat! Die Sicherheitsbehörden können auch nicht einfach ohne Durchsuchungsbefehl in die Wohnung von irgendwelchen Leuten einreiten. Hätte ich gewusst, dass meine Erfindung benutzt wird, um sich unrechtmäßig in die Gehirne anderer Personen zu hacken, hätte ich meinen Job als Profilerin nie an den Nagel gehängt.“
„Es ist ein notwendiges Übel, um den Terrorismus zu besiegen. Denk doch nur mal daran, was neuerdings los ist. Die Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit, die Säureangriffe, die Brandstiftungen, die Trinkwasservergiftungen. Das alles wird nicht einfach so von allein verschwinden, Kyra! Die Bevölkerung hat Angst. Und wo Angst herrscht, gibt es Geld zu verdienen! Denk nur mal drüber nach, was du alles für deine Familie tun könntest – die Hypothek deiner Mum, die Studiengebühren für deine Nichte.“
„Lass Molly da raus!“, fauchte sie. Wie konnte er es wagen, ihre Nichte für diese Art der emotionalen Erpressung zu benutzen? „Brownrigg denkt ganz offensichtlich, der Deal wäre schon in trockenen Tüchern. Er hat ja sogar gesagt, ich dürfe meine eigene Technologie nicht mehr benutzen, weil alles höchster Geheimhaltung unterliegt.“ Die Hand, mit der sie den Kaffee hielt, zitterte merklich. Sie stellte die Tasse auf dem Empfangstresen ab.
„Meine Güte, Kyra, du bist eine intelligente Frau, aber momentan verhältst du dich wirklich verdammt dämlich!“ Er presste ein Seufzen hervor. „Kapierst du denn nicht? Die vom Verteidigungsministerium haben Angst davor, dass CASNDRA in den falschen Händen landet …“
„In den falschen Händen!“, schnaubte sie.
„Brownrigg sagt: Fantastisch, wenn wir CASNDRA auf unserer Seite haben – eine Katastrophe, wenn die anderen sie bekommen.“
„Auf unserer Seite“, höhnte Kyra. „Du interessierst dich doch gar nicht für Politik und Terrorismusbekämpfung.“
Er trat näher an sie heran, worauf sie einen Schritt zurückwich. „Doch, wenn man uns die Summen anbietet, von denen Brownrigg gesprochen hat, dann schon. Wir brauchen die Technologie nur dem MOD zu verkaufen und haben ausgesorgt!“ Seine Augen leuchteten auf, wie immer, wenn er über Geld sprach.
„Carter, wie oft müssen wir eigentlich noch über dieses Thema diskutieren, bevor du es endlich kapierst? Du wusstest von Anfang an, zu welchem Zweck ich CASNDRA entwickelt habe. Du wusstest, dass ich die Technologie dem Justizsystem zur Verfügung stellen will. Denk doch nur mal dran, wie genau damit die Aussagen von Zeugen sein könnten. Und wie vielen Menschen, die unschuldig in Haft sitzen, damit geholfen werden würde, wie viele Familien damit Gewissheit über das Schicksal ihrer Liebsten bekämen.“
Für einen kurzen Moment änderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht und wurde weicher. Ließ er sich am Ende doch überzeugen? Dann wurden seine Augen wieder schmal.
„Das sind doch alles Luftschlösser, Kyra! Du weißt ganz genau, dass mittels Technologie gewonnene Zeugenaussagen nicht vor Gericht zugelassen sind und es noch Jahre dauern kann, bis es so weit ist. Von dieser Phase sind wir noch sehr weit entfernt. Erst müssen empirische Beweise für die Zuverlässigkeit von CASNDRA erbracht werden. Das bedeutet unzählige Testreihen. Es besteht nicht die geringste Chance, dass wir Geld vom Justizsystem …“
„Jetzt hör endlich auf, Carter! Es geht doch nicht nur ums Geld!“
„Pass auf, ich verstehe ja, dass du verstimmt bist …“, begann Carter.
„Ich bin nicht verstimmt, ich bin stinksauer!“ Sie stieß mit dem Zeigefinger in seine Richtung. „Und zwar auf dich! Aber dir ist das egal. Du willst CASNDRA einfach an den Höchstbietenden verkaufen, und zwar exklusiv.“ Sie drehte sich um, griff die Kaffeetasse und wandte sich dann wieder Carter zu. „Nicht genug damit, dass Verhörspezialisten sich widerrechtlich in die Gehirne anderer Menschen hacken werden, nein, ich verliere auch noch das Recht, die Technologie anderen Institutionen zur Verfügung zu stellen.“
„Jetzt beruhig dich mal wieder!“
„Wir sind Partner, verdammt! Du hättest nichts abmachen dürfen, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen. Aber dann hast du von dem vielen Geld gehört und dir gedacht: Scheiß auf Kyras Meinung!“
„Wie ich das sehe, haben wir beide einen Vertrag über die Konditionen unserer Partnerschaft unterschrieben. Wenn du jetzt dagegen verstößt, kannst du auch gleich gehen. Wir müssen nicht zusammenarbeiten, Kyra. Wenn du jemand anders findest, der deine Arbeit finanziert und dich vollkommen frei forschen lässt, dann bitte schön, ich halte dich nicht auf.“
„Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“
„Wenn du dich mir noch einmal derart in den Weg stellst, wirst du es herausfinden.“
Sie sah zu dem Modell des Gehirns hinüber. Was für ein hässliches Ding.
„Es liegt nicht mehr in meiner Hand, Kyra. Das Verteidigungsministerium wird uns deine Erfindung sowieso wegnehmen, selbst wenn wir sie ihnen nicht verkaufen. Das Potenzial von CASNDRA ist einfach zu groß. Deshalb nehmen wir besser das Geld, das sie uns bieten, und lassen uns etwas Neues einfallen. Wie sieht’s denn mit deinem Projekt zum Gedächtnisverlust aus? Das hörte sich doch ganz vielversprechend an.“
Kyra konnte nicht antworten; sie war zu beschäftigt damit, die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah, also wandte sie sich von ihm ab, griff die Kaffeetasse und nahm einen Schluck. Sie verzog das Gesicht und dachte kurz an ihre Kindheit zurück, als ihr Vater jeden Morgen richtigen Kaffee aufgesetzt hatte und der aromatische Duft durch das ganze Haus geweht war. Kein Vergleich zu dem synthetischen Aufguss in ihrer Tasse.
„Ich weiß, du willst unbedingt Gutes tun. Vielleicht solltest du mal über die positiven Seiten des Deals nachdenken …“ Er machte eine Pause und ließ die Hände zu den Hüften absinken. „Der Verkauf der Technologie an das Verteidigungsministerium wird viel Positives bewirken. Gegen Terrorismusprävention lässt sich schließlich nichts sagen. Die bösen Buben haben in letzter Zeit mächtig aufgedreht. Man kann ja nicht mal mehr Shoppen gehen, ohne dass irgendwo in der Nähe eine Bombe explodiert. Und warum? Weil sie sauer sind, dass andere Leute mehr Geld haben, oder weil irgendwelche Ökokrieger durchdrehen.“ Er seufzte. Offensichtlich hatte er genug. „Weißt du, es gibt einige Leute da draußen, die liebend gern hier arbeiten würden.“
Sie drehte sich wieder zu ihm, unfähig, ihre Wut zu verbergen. „Was soll das denn heißen, Carter? Willst du mich rausschmeißen, oder was?“, rief sie.
„Mach es uns bitte nicht unnötig schwer. Ich habe mich für dich entschieden, weil du die Beste warst.“ Er starrte sie mit düsterer Miene an. „Aber jetzt solltest du das Theater lieber sein lassen und dich auf die Zukunft konzentrieren, auf deine Zukunft.“
„Unfassbar! Wollte ich denn CASNDRA wirklich so sehr, dass ich dafür sogar mit jemandem wie dir zusammenarbeite?“ Sie beugte sich ein Stück nach vorn, presste die Zähne aufeinander und raunte: „Hätte ich gewusst, was für ein Arschloch du bist, ich hätte dein Geld nie angerührt.“
Das war zu viel für sein Ego. Genauso gut hätte sie ihm eine Ohrfeige verpassen können. Ein Teil ihrer Wut schlug in Besorgnis um, und sie fragte sich, ob sie dieses Mal vielleicht zu weit gegangen war. Einen Rückzieher würde sie jetzt aber ganz gewiss nicht mehr machen.
„Du bist ja völlig übergeschnappt. Ich habe dich schon einmal gewarnt, dass es dich den Job kosten kann, wenn du dich mir entgegenstellst …“
„Wie bitte? Wir sind Partner, du arroganter …“
Doch er ignorierte sie. „Du warst die beste Wissenschaftlerin, die hier jemals gearbeitet hat, aber deine Besessenheit und deine Starrköpfigkeit machen eine weitere Zusammenarbeit unmöglich.“ Er wirkte gekränkt, so, als hätte ihn jemand verraten. „Wenn du dich nur an die Regeln halten und ein bisschen unterordnen könntest, aber nein …“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist traurig, aber es geht nicht anders. Pack deine Sachen. Los, verschwinde.“
Wenig später stand Kyra vor der Tür, eine Tasche in der Hand, den Mantel über dem Arm.
Was um alles in der Welt hatte sie gerade getan?

S. E. Moorhead

Über S. E. Moorhead

Biografie

S. E. Moorhead, geboren in Liverpool, schreibt Romane, weil die Geschichten nur so aus ihr heraussprudeln. In den letzten 20 Jahren hat sie als Lehrerin gearbeitet, den schwarzen Gürtel in Kickboxing errungen und Theologie studiert. Moorhead lebt immer noch zusammen mit ihrer Familie in ihrer...

Kommentare zum Buch
Christoph Herwartz am 30.09.2017

Matthias Freier und ich haben unsere Jugend im Deutschland der 90er Jahre verbracht. Wir interessierten uns früh für Politik, fanden Nazis schon immer scheiße und liefen einmal zufällig Dolly Buster über den Weg. Damit enden die Gemeinsamkeiten. In meinem Deutschland gab es einen vorgezeichneten Weg für mich – mit Ferienfreizeit, Auslandssemester und Festanstellung. Freiers Deutschland entwickelte sich gerade erst zwischen den Hinterlassenschaften eines untergegangenen Gesellschaftsmodells.   Neubauten hatten bei uns roten Klinker, bei ihm sind sie aus Betonplatten. Unsere Eltern waren Lehrer und Ingenieure, bei ihm ernten sie Gurken. Nazis waren bei uns ein theoretischer Gegner, bei ihm sind sie eine Gefahr. Dafür gibt es aber auch die Werbeagentur der Punks, in der man es mit Windows95-Kenntnissen weit bringen kann, den SPD-Ortsverein zum Aufmischen und den Kaufhausmogul, der einem eine große Karriere im Westen verspricht. Freiers Deutschland ist ein Land, in dem wahnsinnig viel möglich scheint, auch wenn vieles davon nicht klappt.   Die Geschichte von Freier im Roman "Oder Florida" zu lesen, macht viel Spaß, weil Christian Bangel sie so liebevoll aufgeschrieben hat. Schon nach wenigen Seiten hat man die Figuren lieb gewonnen, und je länger man liest, desto mehr ist man darauf gespannt, wohin die vielen Wendungen Freier führen. Und wenn man wie ich eine Letscho-freie Jugend verbracht hat, versteht man nach der Lektüre von "Oder Florida" besser, was in diesem Deutschland heute eigentlich los ist.

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