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Underground Love

Underground Love

K.A. McKeagney
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Roman

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Underground Love — Inhalt

In London spricht man hinter vorgehaltener Hand nur noch über „Tubing“: In überfüllten U-Bahnen finden unbemerkt heiße Blind Dates statt, die nach klaren Regeln ablaufen. Nur erwischen lassen darf man sich nicht. Als Polly versehentlich von einem attraktiven Fremden für sein Date gehalten und verführt wird, ist es um sie geschehen. Doch schon an der nächsten Haltestelle steigt er aus – ohne ihr seinen Namen zu nennen. In der Hoffnung, ihn wiederzusehen, wird sie Teil des geheimen Dating-Netzwerks – und gerät dabei in einen Strudel dunkler Geheimnisse, die sie in Lebensgefahr bringen ...

Sie werden nie wieder mit der U-Bahn fahren können, ohne an diesen Roman zu denken!

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 02.07.2019
Übersetzt von: Lene Kubis
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99297-8
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Leseprobe zu „Underground Love“

1. KAPITEL 

Sie stand da, den Rücken an die Toilettentür gedrückt. In den verspiegelten Fliesen über dem Spülkasten konnte sie ihr Spiegelbild erkennen, ihre mit Mascara und Eyeliner verschmierten Wangen. Ihr Haar sah auch nicht viel besser aus: Um ihren Scheitel stand ein Heiligenschein aus krausem Haar, während ihr die restlichen Strähnen schlaff wie Seetang über die Schultern hingen. In ihrer Kehle begann es zu drücken, und schon strömten ihr wieder Tränen über die Wangen.

„Polly?“

Sie hielt den Atem an.

„Bist du da drin?“

Jemand stieß ihr die Tür in den [...]

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1. KAPITEL 

Sie stand da, den Rücken an die Toilettentür gedrückt. In den verspiegelten Fliesen über dem Spülkasten konnte sie ihr Spiegelbild erkennen, ihre mit Mascara und Eyeliner verschmierten Wangen. Ihr Haar sah auch nicht viel besser aus: Um ihren Scheitel stand ein Heiligenschein aus krausem Haar, während ihr die restlichen Strähnen schlaff wie Seetang über die Schultern hingen. In ihrer Kehle begann es zu drücken, und schon strömten ihr wieder Tränen über die Wangen.

„Polly?“

Sie hielt den Atem an.

„Bist du da drin?“

Jemand stieß ihr die Tür in den Rücken. Mist. Sie hatte sich eine Kabine ausgesucht, die kein Schloss hatte.

„Polly!“

Es war Alicia. Polly verbarrikadierte sich nun schon eine halbe Stunde lang auf der Toilette, während ihre Freundin vorn in der Bar auf sie gewartet hatte.

Wieder rammte sie ihr die Tür in den Rücken, aber Polly rührte sich nicht vom Fleck.

„Bitte lass mich in Ruhe“, stieß sie kaum hörbar durch ihre zusammengebissenen Zähne hervor.

 

Sie waren in einer Bar in der Chancery Lane. Es war ein ziemlich nobler Schuppen – an der mit dicken Glasfliesen verkleideten Wand hing abstrakte Kunst, und das Licht war blau getönt. Sie hatten sich einen Tisch im hinteren Teil des Raums gesucht und sich einen Pitcher Mojito bestellt, den sie sich teilten. Leider hatte Polly an diesem Abend nicht sonderlich viel Spaß gehabt, was aber nicht an Alicia, ihrer Saufkumpanin, lag. Nein, sie war einfach zu abgelenkt gewesen von ihren eigenen Sorgen.

Polly kannte Alicia erst seit ein paar Wochen. Sie war die neue Empfangsdame in ihrem Büro. Die Rolle passte perfekt zu ihr: Immer wieder schaffte sie es, die normalerweise eher träge Redaktion aufzumuntern und in Schwung zu bringen.

Wie oft hatte Polly schon kichernd hinter ihrem Laptop gesessen, während Alicia die Avancen ihrer meist mittelalten Verehrer abwehrte – und das immer auf äußerst charmante Weise, was nicht zuletzt an ihrem Südlondoner Akzent lag. Die Männer klebten an ihr wie die Fliegen, denn Alicia konnte man einfach nicht übersehen. Heute trug sie einen schmalen Bleistiftrock und ein neonpinkes Bustiertop, das so eng war, dass ihre Brüste beinahe herausplumpsten, wenn sie sich nach vorn lehnte.

„Also, Süße“, sagte Alicia, nachdem der dritte Pitcher serviert worden war. „Ich habe dich jetzt stundenlang vollgequatscht. Wie geht es dir denn so?“

Sie hatte zwar tatsächlich eine halbe Ewigkeit ohne Punkt und Komma geredet, aber Polly machte das nichts aus. Heute war sie ohnehin nicht sonderlich gesprächig. Gerade brach bei ihr die Phase an, in der man von zu viel Alkohol auf leeren Magen einfach nur hundemüde wurde.

„Ganz okay“, meinte sie. Klar, es hätte schon mehr zu sagen gegeben, aber sie hoffte einfach, dass sie drum herumkommen würde.

„Nur okay? Da steckt doch sicher mehr dahinter, oder?“ Polly blickte zu Alicia, die sie erwartungsvoll anstrahlte.

„Ach, weißt du, es ist nur das Übliche … Nur das Übliche.“ Sie versuchte mit den Schultern zu zucken, aber ihr ganzer Körper war plötzlich schwer wie Blei.

„Wie geht es denn deinem Typ? Oliver – so heißt er doch, oder?“

Polly nickte knapp.

„Was macht er noch mal?“

„Er ist orthopädischer Chirurg.“

„Nicht schlecht“, meinte Alicia, und ihre Augen leuchteten auf. „Da hast du dir also tatsächlich einen Arzt geangelt. Hat er vielleicht ein paar attraktive Freunde?“

Polly lächelte, antwortete aber nicht.

„Seid ihr denn schon lange zusammen?“

„Heute auf den Tag genau drei Jahre“, erwiderte Polly schnaubend.

„Ihr habt Jahrestag? Heute?!“

Polly nickte.

„Und warum zum Teufel sitzt du dann mit mir hier herum und betrinkst dich?“

Polly rutschte noch tiefer in ihren Sitz und begann an ihrem Strohhalm herumzuspielen.

„Oh“, sagte Alicia.

„Wir haben nie eine große Sache draus gemacht“, meinte Polly, die plötzlich das Gefühl hatte, sich rechtfertigen zu müssen. Natürlich hatte sie sich trotzdem Hoffnungen gemacht – leider umsonst. Sie und Oliver hatten sich heute Morgen nur kurz gesehen. Er hatte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gedrückt und war dann zur Tür geflitzt. Im Gehen hatte er ihr noch schnell zugerufen, dass er den ganzen Tag operieren müsse und sie nicht auf ihn warten solle.

„Willst du drüber reden, Süße?“, fragte Alicia sie jetzt.

Polly merkte, wie ihr die Tränen in die Augen traten.

Als sie vorhin angekommen waren, war die Bar noch ganz leer gewesen, aber jetzt, ein paar Stunden später, war es hier rappelvoll. Von der Mischung aus Geplapper, Lachen und Technomusik bekam sie Kopfschmerzen. Sie sah zum Nebentisch, an dem eine Menge junger Männer saßen, die nur auf ein Zeichen von Alicia und ihr zu warten schienen. Diese Bar war wirklich der letzte Ort, an dem sie gerade sein wollte. Sie musste hier raus.

„Ich muss mal auf die Toilette“, sagte sie mit zittriger Stimme, schnappte sich ihre Handtasche und sprang auf.

„Ach, Süße, nun wein doch nicht“, meinte Alicia und wollte nach ihrer Hand greifen, aber Polly stand bereits.

„Es geht schon“, sagte sie und schluckte. Sie hatte einen riesigen Kloß im Hals. „Ich brauch nur mal eine Minute für mich.“

Polly musste sich ihren Weg zur Toilette durch die Menge bahnen. Sie hatte es beinahe geschafft, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um.

„Polly? O Gott, das bist ja wirklich du. Was machst du denn hier?“

Es war Charlotte, Olivers große Schwester. Die glitt jetzt so mühelos durch das Meer von Bargästen, als teile es sich auf ein geheimes Zeichen hin für sie. So war das immer bei Charlotte: Sie strahlte eine solche Selbstsicherheit aus, dass es stets wirkte, als würde sie einfach über den Dingen schweben. Obendrein sah sie heute mal wieder fantastisch aus. Das dunkelgrüne Wickelkleid betonte ihre tolle Figur, ihr Make-up war perfekt, und ihr weiches, blondes Haar hatte sie sich lässig aus dem Gesicht gekämmt. Polly warf einen Blick auf ihr eigenes Outfit und krümmte sich, als sie merkte, dass sie Turnschuhe trug. Ihre High Heels hatte sie im Büro unter ihrem Schreibtisch stehen lassen.

Charlotte bedachte Polly mit zwei Luftküsschen, und Polly konnte ihr schweres, süßes Parfüm riechen. „Ich wusste gar nicht, dass du den Laden kennst“, meinte sie und musterte Polly einmal von Kopf bis Fuß. „Hätte nicht gedacht, dass die Bar dein Ding ist.“

„Normalerweise komme ich auch nicht hierher. Ich habe nur auf einen Feierabenddrink vorbeigeschaut.“

„Ist Oliver denn auch dabei?“, fragte Charlotte und sah sich eifrig nach ihrem Bruder um.

„Nein, nur ich und eine Freundin aus dem Büro“, erklärte Polly verlegen.

„Oh“, meinte Charlotte etwas verdutzt. „Ich dachte, ihr zwei …“

„Charlotte!“, rief plötzlich jemand. Beide Frauen drehten sich zu einem Mann mit dick gerahmter Brille um, der sein Glas in die Höhe hob und sich mit einer Geste danach erkundigte, ob Charlotte noch etwas trinken wollte.

„Bin gleich da“, rief diese zuckersüß zurück, ehe sie sich wieder an Polly wandte. „Himmel, ich kann es überhaupt nicht erwarten, von hier abzuhauen. Ich Trottel bin wieder einmal dazu verdonnert worden, den Chirurgen, die zu Besuch sind, die Sehenswürdigkeiten und Geheimtipps Londons zu zeigen. Ich müsste schon richtig fett werden und aufhören, mich zu waschen, damit mir das in Zukunft erspart bleibt“, meinte sie sarkastisch. „Es ist zu schade, dass Oliver nicht hier ist“, fuhr sie dann fort. „Er hätte sie völlig verwirrt, wenn er mit ihnen lang und breit über die neuen Diagnostikrichtlinien für Gelenkspiegelungen zur Behandlung von Meniskusrissen diskutiert hätte.“ Sie gluckste. Als sie merkte, dass Polly den Witz nicht verstanden hatte, hörte sie abrupt auf zu lachen.

Bei der Erwähnung von Olivers Namen waren Polly sofort wieder Tränen in die Augen geschossen.

„Er hat doch nicht …?“ Sie griff nach Pollys Hand und drückte ihre Finger fest zusammen. „Nein. Gut.“

„Was?“, fragte Polly und entriss Charlotte ihre Hand. Warum hatte sie so fest zugedrückt? Es hatte richtig wehgetan.

„Nichts. Ich muss auch dringend los.“ Und wieder schien die Menge bereitwillig Platz zu machen, als Charlotte sich zum Gehen wandte. Polly dagegen musste sich das letzte Stück Weg bis zur Toilette wie gewohnt erkämpfen, während ihr die Tränen nur so über die Wangen strömten.

 

Sie lauschte aufmerksam. Erst als sie sicher war, dass Alicia weg war, begann sie langsam ihren Hinterkopf gegen die Tür der Toilette zu schlagen. Den leisen Knall, der dabei zu hören war, empfand sie als höchst befriedigend. Polly wusste genau, was sie brauchte, um sich wieder besser zu fühlen. Sie machte einen Schritt nach vorn, klappte die Toilettenbrille nach oben und übergab sich. Sie musste sich gar keinen Finger mehr in den Hals stecken – sie konnte sich auf Kommando erbrechen, seit sie vierzehn war.

Zwanzig Minuten später verließ sie die Damentoilette. Der Tisch, an dem sie vorher mit Alicia gesessen hatte, war mittlerweile von den jungen Männern vom Nebentisch in Beschlag genommen worden. Von Alicia fehlte jede Spur. Polly machte sich direkt auf den Weg nach draußen.

Sobald sie vor der Bar stand, warf sie einen Blick auf die Uhr. 00:23 Uhr. In drei Minuten fuhr die letzte U-Bahn. Das Telefon zeigte fünf Anrufe in Abwesenheit an, und das Symbol für die Mailbox blinkte zornig in der Ecke des Displays. Polly entschied sich dafür, es nicht weiter zu beachten, und überquerte die verkehrsreiche Hauptstraße, um dann die Station Holborn zu betreten. Sie rannte gerade zum Bahnsteig, als sie auch schon das Türsignal hörte, das die Abfahrt der Bahn ankündigte. Die letzten Stufen flog sie regelrecht die Treppe hinab und bog um die Ecke. Sie war sich fast sicher, dass sie die Bahn verpassen würde. Aber dann raste wie aus dem Nichts jemand an ihr vorbei und schaffte es irgendwie, einen Arm und ein Bein durch die Tür zu strecken, sodass diese sich wieder vollständig öffnete. Polly nutzte die Chance und sprang in den Waggon.

Die U-Bahn war brechend voll. So war das immer mit der letzten Bahn. Es gab keine freien Plätze, weshalb Polly sich in die kleinere, weniger volle Nische am Ende des Abteils stellte. Die Luft war zum Ersticken. Für Juni war das Wetter in London ungewöhnlich warm, und die Hitze staute sich im Untergrund, sodass es hier auch nachts noch feucht und drückend war. Polly lehnte sich an den kühlen Türrahmen und schloss die Augen. Der Alkohol hatte sie furchtbar müde gemacht.

Um sich abzulenken, dachte sie an Essen. Gerade brauchte sie dringend ein wenig Trost – und den verschaffte ihr zum Bespiel der Gedanke an eine Scheibe Brot, dick mit Butter und Nuss-Nugat-Creme bestrichen. Sie konnte den süß-salzigen Aufstrich förmlich auf der Zunge schmecken. Polly beschloss, auf dem Heimweg in einem Spätverkauf noch ein Baguette, wenn nicht sogar in Scheiben geschnittenes Weißbrot zu kaufen. Dazu noch eine Packung Vollmilch, um alles hinunterzuspülen. Und vielleicht noch ein Abführmittel, wenn es dort welches gab.

Die Bahn war inzwischen in der nächsten Station angekommen und hielt abrupt. Weitere Nachtschwärmer drückten sich in den Waggon und drängten Polly noch weiter nach hinten. Widerwillig öffnete sie die Augen und verteidigte das bisschen Platz, das ihr in der Ecke noch blieb.

In diesem Moment entdeckte sie ihn. Er spiegelte sich in der getönten Scheibe des Fensters, und sie konnte sehen, dass er sie anstarrte. Im ersten Moment dachte sie, das Licht spiele ihr einen Streich – dass eine Spiegelung so reflektiert wurde, dass es nur so wirkte, als würde er sie ansehen. Als sie aber langsam den Kopf zur Seite drehte, tat er es ihr nach. Und dann schauten sie sich direkt in die Augen.

Sie konnte nicht sagen, wie lange er sie schon beobachtet hatte. Er machte auch keinerlei Anstalten wegzusehen oder zu verbergen, dass er sie anstarrte. Er stand einfach vollkommen ernst und reglos da und verschlang sie regelrecht mit seinen Blicken. Polly starrte verblüfft zurück und sah sich dann um, um herauszufinden, ob vielleicht irgendetwas hinter ihr sein Interesse geweckt haben könnte. Aber da war nichts, und als sie wieder zu ihm sah, hatte er seinen Blick noch immer nicht von ihr gelöst.

Polly konnte kaum fassen, wie schön er war. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, atemberaubend und perfekt symmetrisch. Seine hohen Wangenknochen und seine Augenbrauen leuchteten förmlich, wodurch seine dunkelbraunen Augen beinahe schwarz wirkten. Seine Haut war gebräunt, und sein dichtes, von der Sonne leicht ausgeblichenes, ein wenig gewelltes Haar hatte er sich aus dem Gesicht gekämmt.

Er war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Nicht eine Falte, eine Linie oder auch nur der kleinste Fleck entstellte sein Gesicht – er war tatsächlich vollkommen makellos. Keiner von beiden rührte sich. Aber sie starrten sich immer noch an, und irgendetwas Seltsames ging ganz eindeutig vor. Polly war sich nicht sicher, was es war, aber in jedem Fall nahm es all ihre Sinne in Beschlag. Sie hörte zwar immer noch das Rattern der Bahn und das Geplauder um sich herum, aber alles erschien ihr plötzlich leicht verschwommen, wie unter Wasser. Sie konnte sich nur noch auf ihn konzentrieren.

So verharrten sie noch ein paar Sekunden lang, dann riss Polly sich los und blickte zur Seite. Trotzdem konnte sie es sich nicht verkneifen, auch noch seinen perfekten Körper von oben bis unten zu mustern.

Als die Bahn die Station verließ, näherte er sich ihr ganz langsam. Polly sah zu den anderen Fahrgästen, die nichts zu bemerken schienen. Die meisten konzentrierten sich eher auf eine Gruppe italienischer Mädchen, die sich laut unterhielten und grell kicherten, während zwei junge Männer um sie herumschlichen wie Pfaue.

Kurz bevor ihre Körper sich berührten, blieb der schöne Fremde stehen. Nur wenige Millimeter trennten sie noch, als sie sich erneut in die Augen sahen. Polly hielt den Atem an, bis sie spürte, wie er seine Handflächen sanft auf ihre legte. Seine Berührung war federleicht. Zart wie Puder. Beinahe dachte Polly, sie hätte sie sich nur eingebildet. Er presste die Lippen aufeinander, so, als stellte er sich vor, wie es wohl wäre, sie zu küssen. Sie sah, wie sein Adamsapfel hervortrat und er schluckte. Ohne darüber nachzudenken, lehnte sie sich nach vorn. Als ihre Lippen sich trafen, löste diese sachte Berührung in ihren Nervenenden ein regelrechtes Feuerwerk aus. Sie schloss die Augen, dann küssten sie sich. Erst noch ganz zögerlich. Dann bahnte seine Zunge sich ihren Weg in ihren Mund. Er ließ ihre Hände los und legte seine um ihre Taille. Ihr ganzer Körper bebte. Er zog sie an sich, bis sie sich überall berührten und Polly etwas Hartes, Drängendes an ihrer Hüfte spürte. Vorsichtig presste er Polly gegen die harte, kalte Metalltür. Der Druck auf ihren Lippen ließ nach. Der Kuss endete. Polly öffnete die Augen und sah, dass seine Gesichtszüge weicher geworden waren. Ein verschmitztes Lächeln trat auf seine Lippen.

Er beobachtete sie aufmerksam, während er seine Hände nach unten wandern ließ. Kurz vor ihrem Po machte er halt, aber sie wollte gar nicht, dass er aufhörte. Anscheinend interpretierte er ihren Blick richtig, denn seine Hände glitten jetzt weiter hinab, bis sie an ihren Oberschenkeln angekommen waren. Wieder hielt er inne, sah sie an. Und sie nickte langsam. Plötzlich wurden seine Bewegungen dringlicher. Hastig schob er seine Hände unter ihren Rock, sodass sie auf ihren nackten Oberschenkeln lagen. Sofort begann ihre Haut, heftig zu kribbeln, und jedes Härchen an ihrem Körper stellte sich auf. Er drückte seine Fingerspitzen in ihr Fleisch und ließ sie langsam an ihren Schenkeln hinaufwandern. Als er schließlich eine Hand in ihr Höschen schob, stockte ihr der Atem. Er drückte zu, kniff sie sanft, neckte sie, ehe er seinen Finger tief in sie hineinschob. Als er fester zustieß und den Finger noch weiter in sie versenkte, stöhnte Polly auf. Ihr Magen verknotete sich lustvoll, als er immer wieder zustieß, schneller und schneller, heftiger und heftiger.

Die Dunkelheit des Tunnels wich wieder dem grellen Licht der Station Oxford Circus, und Polly konnte einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken. Ihr ganzer Körper wurde von Empfindungen überflutet und vollkommen überwältigt, sie fühlte sich quicklebendig. Während ihre Erregung langsam verebbte, klammerte sie sich an ihn und öffnete dann langsam die Augen. Er lächelte sie an, aber ihr fiel plötzlich wieder ein, wo sie sich gerade befand. Um Himmels willen! Polly sah sich beschämt um, doch niemand schien etwas bemerkt zu haben. Rasch strich sie ihre Klamotten glatt.

Er lehnte sich zu ihr, sodass seine perfekte Wange ihre streifte. „Wir sollten uns wiedersehen“, wisperte er ihr zu. Ihr Herz begann zu flattern.

„W-wie meinst du das?“, stotterte sie bebend.

Aber sie bekam keine Antwort. Der Fremde war schon auf dem Weg zur offenen Waggontür. Sie konnte nur zusehen, wie er ausstieg und den Bahnsteig entlangschlenderte.

Sie betete darum, dass er sich noch einmal umdrehte. Aber diesen Gefallen tat er ihr nicht.


2. KAPITEL 

Ganz langsam wurde Polly wach. Sie lag im Bett. Durch die dünnen Jalousien strömte Tageslicht. Ihre Augenlider waren schwer und klebrig, ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie vergessen hatte, sich abzuschminken, ehe sie schlafen gegangen war. Sie verfluchte sich selbst dafür. Bestimmt hatte sie das gesamte Kopfkissen mit Mascara besudelt!

Polly hätte liebend gern weitergeschlafen, aber ihre Kehle brannte, und sie hatte schreckliche Kopfschmerzen. Sie lag zusammengekrümmt auf der linken Seite, und ihr zusammengequetschter Arm und ihre Schulter taten höllisch weh. Vorsichtig wälzte sie sich auf die andere Seite und versuchte gleichzeitig, ihre Wirbelsäule zu strecken und ihren Arm zu befreien. Die Augen immer noch halb geschlossen, drehte sie sich nach rechts und tastete den Nachttisch nach einem Glas Wasser ab. Ihre Hand identifizierte den Sockel der Nachttischlampe, ihr Handy, die aufgeklappte Rückseite des Taschenbuchs Die Frau in Weiß, Lippenbalsam, ein Haargummi, an dem noch ein paar rote Strähnen hingen, eine Tube mit Feuchtigkeitscreme – aber kein Wasser. Sie zog ihren Arm wieder unter die Decke. Als dabei ihr Oberarm ihre nackte Brust berührte, hielt sie inne. Sie ließ ihre Hände weiter an ihrem Körper hinabgleiten, bis sie an einem Handtuch ankamen, das um ihre Hüften geschlungen war. Warum trug sie keinen Schlafanzug?

Sie lag da, bemitleidete sich selbst und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, weshalb sie nackt, durstig und mit einem Gesicht voller Make-up im Bett lag. Und wieso fühlte ihr Kopf sich an, als wäre ein Traktor darübergefahren?

Sie hörte Oliver in der Küche herumwerkeln. Als sie ihm zurufen wollte, dass er ihr ein Glas Wasser bringen solle, merkte sie, dass sie keinen Ton herausbekam. Ihre Kehle war so trocken, dass sie nur ein leises Krächzen zustande brachte. Und dann traf die Erinnerung sie wie ein Fausthieb. Die Bahn. Er. Sein Gesicht, das sich langsam ihrem näherte. Sofort riss sie die Augen auf, und ihr Körper wurde stocksteif.

„Guten Morgen, Pol“, trällerte Oliver und drückte die Tür mit dem Fuß auf. Er trug Boxershorts mit einem weit aufklaffenden Hosenstall und hielt zwei Teetassen in der Hand.

Sie lag vollkommen reglos da und hielt die Ecken ihrer Decke fest umklammert.

„Alles klar bei dir?“, fragte er und legte den Kopf schief.

Sie ließ die Bettdecke los. „Ja, alles tipptopp“, antwortete sie und merkte, dass ihr linkes Auge zuckte.

„So siehst du aber gar nicht aus.“ Er stellte die Tassen auf dem Nachttisch ab und ließ sich neben sie plumpsen.

„Na ja“, meinte sie vorsichtig. „Ich glaube, ich hab gestern ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.“

Sobald sie nach Hause gekommen war, war sie direkt in die Küche gegangen und hatte sich ein ordentliches Glas Whiskey eingegossen. Sie hasste Whiskey eigentlich, aber etwas anderes hatte sie nicht gefunden. Oliver hatte mehrere Sorten zu Hause. Er hielt sich für eine Art Connaisseur, was Whiskey betraf. Sie hatte ein Glas hinuntergekippt und sich dann rasch ein zweites eingeschenkt. Die tröstliche Wärme hatte sie schnell eingelullt.

Vorsichtig zog sie das Handtuch unter der Decke zurecht, sodass es auch ihre Brust bedeckte, steckte es fest, so gut sie konnte, und setzte sich dann auf. Oliver reichte ihr eine Tasse. Es war die, die sie ihm damals geschenkt hatte, als sie zusammengezogen waren. Darauf war ein Bild von Kenneth Williams im OP-Kittel zu sehen, und darunter stand „Ooh Matron!“. Er wiederum hatte ihr ein Paar antike, mit Rubinen und Smaragden besetzte Ohrringe geschenkt.

Sie nippte zögerlich an dem Tee und sah neidisch zu, wie Oliver das brühheiße Getränk einfach in sich hineinschüttete. Sie war fest davon überzeugt, dass seine Mundhöhle mit Asbest verkleidet war.

„Hach, das tut gut.“ Er seufzte genüsslich. „Na, wo hast du dich gestern Abend herumgetrieben?“

„Ach, ich bin etwas trinken gegangen. Mit Alicia, meiner Kollegin“, erwiderte Polly und versuchte immer noch die Ereignisse des gestrigen Abends für sich einigermaßen zu sortieren.

Oliver zog eine Grimasse. „Und wo genau bist du mit unserem Vamp abgestürzt?“

Sie funkelte ihn an.

„War nur ein Witz. Aber du musst schon zugeben, dass sie eine ziemlich wilde Nudel ist.“ Er hatte die Empfangsdame nur einmal kurz getroffen, als er Polly im Büro abgeholt hatte. Die beiden hatten maximal fünf Worte miteinander gewechselt. „War’s denn nett?“, erkundigte er sich.

Polly konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie konnte gerade nur daran denken, wie sich die Finger des Fremden in ihrem Schritt angefühlt hatten.

„Erde an Polly!“, sagte Oliver und wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum, als sie nicht antwortete.

„Sorry, was hast du gesagt?“, murmelte sie und versuchte sich wieder aufs Gespräch zu konzentrieren.

„Gestern Abend – war es nett? Wo wart ihr?“

„Oh, in irgendeiner neuen Bar in der Chancery Lane“, meinte sie. An den Namen konnte sie sich nicht erinnern. Sie gab sich wirklich alle Mühe, sich vollkommen normal zu verhalten, aber sie schaffte es einfach nicht, ihm in die Augen zu sehen.

„Muss ziemlich hoch hergegangen sein. Du warst völlig neben der Spur, als du in die Wohnung getorkelt kamst.“

Nervös sah sie ihn an. Sie konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, dass sie sich gestern Abend begegnet waren.

„Puh, das weiß ich gar nicht mehr. Hab ich dich aufgeweckt?“

„Nein, aber ich habe dich gehört.“

Sie konnte einen leisen, erleichterten Seufzer nicht unterdrücken.

„Du hast eine halbe Ewigkeit im Bad herumrumort“, fuhr er fort. „Als ich heute Morgen reinkam, herrschte das reinste Chaos. Deine Klamotten lagen überall verstreut, und mitten auf dem Fußboden war eine riesige Pfütze.“

Sie erinnerte sich vage daran, dass sie versucht hatte zu duschen, ehe sie ins Bett gegangen war. Es hätte sich zu komisch angefühlt, sich einfach neben ihren Freund zu legen, nachdem sie etwas mit einem anderen Mann gehabt hatte. Also hatte sie sich hastig ausgezogen, ohne sich weiter um ihren Rock und ihr Top zu kümmern, das man nur mit der Hand waschen durfte. In der Dusche hatte sie sich dann bemüht, so schnell wie möglich blitzsauber zu werden. Sobald aber das Wasser ihre Schenkel und ihren Schritt berührt hatte, hatte sie wieder am ganzen Körper dieses Kribbeln gespürt. Unmöglich, dem Drang zu widerstehen, ihre Finger in sich hineinzuschieben. Sie hatte die Augen geschlossen, an sein Gesicht gedacht und prompt den Duschkopf fallen gelassen, sodass er unkontrolliert herumgespritzt und das ganze Bad unter Wasser gesetzt hatte.

„Oh“, meinte sie gedankenverloren.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr auffiel, dass Oliver verstummt war. Er sah sie ernst an.

„Was ist?“, fragte sie und hatte plötzlich Angst, dass er vielleicht doch Gedanken lesen konnte.

„Ich habe gestern versucht, dich anzurufen. Hast du meine Nachrichten denn nicht bekommen?“

„Nein … doch, aber erst sehr spät“, meinte sie und erinnerte sich an die fünf verpassten Anrufe.

„Eigentlich hatte ich ein Dinner für uns organisiert.“

„Was?“, sagte Polly. „Aber du hast doch gesagt, du hättest Notdienst.“

„Ja, das habe ich.“ Er blickte verlegen auf die Bettdecke und begann an einem kleinen Fussel herumzuspielen. „Ich habe eben versucht, romantisch zu sein. Ich wollte dich überraschen.“

Polly sah ihn verwundert an. „Aber du hast doch gesagt, dass ich nicht auf dich warten soll.“

„Ich weiß“, meinte er verärgert. „Aber ich wollte … Ach, vergiss es einfach.“

„Was wolltest du?“, fragte Polly.

„Spielt keine Rolle. Ist nicht wichtig.“

„Doch, sag es mir.“

„Ich habe ein Überraschungsdinner organisiert, aber du hast ja nicht abgehoben, also konnte ich dich nicht erreichen. Schätze mal, das geschieht mir recht.“

Bilder des vergangenen Abends schossen durch Pollys Kopf. Sie schloss die Augen und begann ihren Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger zu massieren.

„Reg dich nicht auf“, meinte Oliver, rückte näher und legte einen Arm um sie. „Ist doch meine Schuld. Ich hätte es dir sagen sollen. Zumindest, dass ich eine Überraschung plane.“

Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Er schenkte ihr ein verhaltenes Lächeln. Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen; sie wollte es wiedergutmachen. Also küsste sie ihn. Erst erwiderte er den Kuss, sobald sie aber ihre Zunge in seinen Mund schieben wollte, presste er die Lippen aufeinander. So schnell würde sie nicht aufgeben! Polly ließ ihr Handtuch aufklaffen und drückte sich an ihn. Er wich zurück.

„Mach mal halblang, Pollylein“, sagte er.

„Warum denn?“, fragte sie und bedeckte seine Wangen und seinen Hals mit kleinen Küssen.

„Wir müssen uns für die Arbeit fertig machen, und außerdem … bist du ja noch ganz ungewaschen.“

„Macht doch nichts.“ Sanft knabberte sie an seinem Ohrläppchen.

„Nein. Los jetzt!“ Er schubste sie weg, und Polly sah ihn enttäuscht an.

„Gutes Mädchen“, sagte er. Dann stand er auf und verschwand im Bad.

Polly ließ sich wieder aufs Bett sinken und hörte kurz darauf, wie er die Dusche anstellte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal miteinander geschlafen hatten. Zu Beginn ihrer Beziehung war ihr Sexleben noch ganz okay gewesen. Aber seit sie zusammenwohnten, war Oliver ziemlich träge und gemütlich geworden, was diese Sache anging. Vielleicht war er zu sehr damit beschäftigt, ihr gemeinsames Kuschelnest zu bauen? Dieser Gedanke jagte Polly einen Schauder über den Rücken. Sie hatten sich auf einem Blind Date kennengelernt – allerdings war Polly ursprünglich nicht mit Oliver verabredet gewesen, sondern mit einem gewissen Ben, dem Bruder einer Kommilitonin. Das Date war von Anfang an ein echtes Desaster gewesen. Ben war zu spät gekommen. Eine Dreiviertelstunde hatte sie allein im Restaurant gesessen und sich dabei sehr unwohl gefühlt. Als er schließlich auftauchte, trug er Jeans und T-Shirt. Sie hatte sich mit ihrem Outfit – ein kurzes, schwarzes Kleid und Schuhe mit hohen Absätzen – richtig Mühe gegeben. Sie fühlte sich entsetzlich overdressed – schon seit dem Moment, in dem sie das Restaurant betreten hatte. Irgendwie hatte sie gedacht, dass ein Laden, der The Royal hieß, ziemlich schick sein musste, aber die meisten Gäste waren eher leger gekleidet und lungerten an bunt zusammengewürfelten Tischen herum. Als Ben vor ihr stand, musterte er sie von Kopf bis Fuß und sagte dann sarkastisch: „Oha!“ Er wollte ihr einen Kuss auf die Wange geben, aber Polly riss den Kopf so hektisch nach vorn, dass er stattdessen ihr Ohr traf.

Die Konversation schleppte sich steif und unbeholfen dahin. Entweder unterbrachen sie sich gegenseitig, oder sie verfielen in unangenehmes Schweigen, weil beiden der Gesprächsstoff ausging. Polly trank viel zu viel Wein und war schon bald ziemlich angeschickert, weil sie ihr Essen kaum angerührt hatte. Leider war es kein schöner Rausch, den sie da hatte. Die bedrückende Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte, ließ sie nervös und zynisch werden. Immer wieder machte sie Kommentare, die sie eigentlich gar nicht so meinte. Ben schien seinen Spaß daran zu haben und verbrachte den Rest des Abends damit, alles, was sie sagte, zu hinterfragen. Und das ging Polly so richtig auf den Geist.

Als schließlich die Rechnung kam, entschuldigte er sich und meinte, er müsse auf die Toilette. In einem Anfall von Verfolgungswahn befürchtete Polly plötzlich, dass er sich aus dem Staub machen und sie auf der Rechnung sitzen lassen würde. Nach ein paar Minuten stand sie auf, um ihm zu folgen, und fand ihn schließlich in dem Gang, der zu den Toiletten führte. Ben telefonierte, und Polly verbarg sich hinter einer Ecke, ehe er sie bemerkte. Sie konnte es sich nicht verkneifen, ein wenig zu lauschen.

„Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht? Die Frau ist ein richtiger Albtraum!“ Pause. „Nein, ich bin nicht gemein! Sie hat sich einfach komplett zugesoffen. Jetzt kam eine horrende Rechnung, und sie hat ihr Essen kaum angerührt. Bestimmt denkt sie, dass ich jetzt für alles bleche. Ich hasse diese verdammten Magersüchtigen!“ Pause. „Sis, natürlich ist sie anorektisch. Oder sie hat Bulimie. Moment mal, du wolltest mich doch hoffentlich nicht mit einer unheilbar kranken Frau verkuppeln, oder?!“ Er lachte dröhnend.

Polly hörte nicht weiter zu. Sie eilte zurück zum Tisch und griff nach ihrem Mantel, während ihr die Tränen nur so über die Wangen strömten.

Als sie schon am Ausgang stand und gerade die Hand nach dem Türgriff ausstrecken wollte, fasste jemand um sie herum und öffnete die Tür für sie. „Bitte sehr.“

Polly sah auf. Es war Oliver.

„Oh“, sagte er, als er ihr verheultes Gesicht sah. „Ist denn alles okay bei dir?“

„Geht schon“, murmelte sie und schob sich an ihm vorbei.

„Bist du dir sicher?“

Irgendetwas in seiner Stimme ließ sie innehalten. Er klang so … aufrichtig besorgt. Wieder sah sie ihn an, und ihre Unterlippe begann zu beben.

„Hey, Polly, was machst du da? Wo willst du hin?“, dröhnte plötzlich Bens Stimme hinter ihnen.

„Ich muss dringend hier raus“, murmelte Polly. Oliver warf einen prüfenden Blick auf Ben und führte sie dann sanft aus dem Restaurant und auf den Bürgersteig.

„Hättest du vielleicht noch Lust auf einen Kaffee mit mir?“, fragte er.

Sie nickte. Brachte kein Wort heraus, weil sie Angst hatte, dass sie dann sofort wieder zu weinen anfangen würde.

Eigentlich war Oliver nicht Pollys Typ. Zum einen war er blond und ziemlich groß. Er war Prop in einem Rugby-Team gewesen, bis seine Knie nicht mehr mitgespielt hatten. Deswegen hatte er zwar immer noch eine recht bullige Statur, aber seit er aufgehört hatte zu spielen, hatten seine Muskeln sich in Fett verwandelt. Dennoch sah er gut aus. Man merkte ihm an, dass er sich wohlfühlte in seiner Haut, und seine Figur passte zu ihm. Und er war beinahe neun Jahre älter als sie.

Als er erwähnte, dass er Chirurg war, machte sie sich sofort darauf gefasst, dass er ihr einen endlosen Vortrag über seinen Job halten würde, aber das tat er nicht. Er war charmant, lustig und nett. Sie erzählte ihm, was auf dem Blind Date passiert war, erwähnte aber nicht, dass Ben sie als magersüchtig bezeichnet hatte. Oliver sagte, dass er liebend gern mit ihr ausgehen würde. Und sie nahm die Einladung an.

 

Sie hörte, wie Oliver die Dusche abstellte und den Duschvorhang mit den klackernden Plastikringen beiseiteschob. Langsam setzte sie sich auf und steckte das Handtuch wieder fest. Erst jetzt fielen ihr die vier Fingerabdrücke oben an ihrem rechten Schenkel auf. Es hatten sich bereits violett-gelbe Ringe darum gebildet. Sie legte ihre Finger darauf und drückte zu. Die Haut fühlte sich ganz zart an und war sehr empfindlich. Polly schloss die Augen. Wer dieser Fremde wohl gewesen sein mochte? Wieder kribbelte es überall.

„Das Bad ist jetzt frei.“

Sie öffnete die Augen und sah Oliver am Türrahmen lehnen. Hastig zog sie das Handtuch über die Abdrücke.

„Es ist gleich acht“, sagte er.

Sie erwiderte nichts. Eigentlich musste sie in einer Viertelstunde los, wenn sie nicht zu spät zur Arbeit kommen wollte. Widerwillig machte sie Anstalten aufzustehen, musste aber innehalten: Ihr war schrecklich schwindlig, und die Kopfschmerzen waren noch heftiger geworden. Schließlich kam sie in einen wackligen Stand und tappte auf Oliver zu, der immer noch in der Tür lehnte. Als sie an ihm vorbeiging, gab er ihr einen Klaps auf den Po, und sie warf ihm einen wütenden Blick zu.

Schließlich stand sie im Bad, in dem pures Chaos herrschte. Überall waren ihre triefend nassen Klamotten verstreut. Oliver hatte das Bad einfach in dem Zustand belassen, in dem er es vorgefunden hatte. Und so, wie es aussah, hatte er ihren Rock als Badvorleger benutzt.

K.A. McKeagney

Über K.A. McKeagney

Biografie

K.A. McKeagney studierte in Bristol und Brunel Psychologie und Kreatives Schreiben. Für ihre Abschlussarbeit, die die Grundlage für ihren ersten Roman Underground Love bildete, erhielt sie den Curtis Brown Prize. Sie hat als Redakteurin für Gesundheits- und Verbraucherthemen und für medizinische...

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