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Die verschwundene Braut (Die Brontë-Schwestern 1)Die verschwundene Braut (Die Brontë-Schwestern 1)

Die verschwundene Braut (Die Brontë-Schwestern 1)

Bella Ellis
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Kriminalroman

»Toll, mit vielen Fakten über die berühmten Brontë-Schwestern.« - Für Sie

Alle Pressestimmen (6)

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Die verschwundene Braut (Die Brontë-Schwestern 1) — Inhalt

Ein Mord ohne Leiche? Die Brontë-Schwestern ermitteln ...

Yorkshire, 1845: Ein mysteriöser Vorfall erschüttert das Anwesen Chester Grange. Die junge Gemahlin des Besitzers ist über Nacht spurlos verschwunden. Ihr Hausmädchen findet das Schlafzimmer verwüstet und voller Blut vor. Alles weist auf ein schreckliches Verbrechen hin. Als Charlotte, Emily und Anne Brontë von dem furchtbaren Ereignis hören, sind sie entsetzt – aber auch fasziniert. Die drei Töchter eines Landpfarrers sind sofort fest entschlossen, das Rätsel zu lösen. Unbeirrt und allen gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz setzen sie ihre Nachforschungen fort, auch als sie selbst in Gefahr geraten.

Sturmumtoste Anhöhen, wildes Moor und ein einsames Anwesen – tauchen Sie ab in die Welt von Anne, Charlotte und Emily Brontë!

»Toll, mit vielen Fakten über die berühmten Brontë-Schwestern.« Für Sie 

»Elegant, witzig und absolut lesenswert – die Brontë-Schwestern wären bestimmt begeistert!« Rosie Walsh

»›Die verschwundene Braut‹ von Bella Ellis liest sich so spannend-amüsant, als hätten die Brontë-Schwestern zusammen mit Agatha Christie den Krimi geschrieben.« literaturmarkt.info

„Bella Ellis vereint biografische Fakten mit einer packenden Geschichte. ›Die verschwundene Braut‹ ist ein Vergnügen!“ Wall Street Journal

„Unterhaltsam und einfallsreich“ Daily Mail

„Großer Lesespaß mit Gothic-Touch! Durch die meisterhafte Erzählung fällt es nicht schwer, sich die Schwestern als Amateurdetektivinnen vorzustellen.“ Red Magazine

»Man muss kein Brontë-Experte sein, um dieses großartige Abenteuer zu genießen.« Guardian

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 02.03.2020
Übersetzt von: Kathi Linden
384 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-86612-481-3
Download Cover
€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 02.03.2020
Übersetzt von: Kathi Linden
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99553-5
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»Toll, mit vielen Fakten über die berühmten Brontë-Schwestern.«
Für Sie

Leseprobe zu »Die verschwundene Braut (Die Brontë-Schwestern 1)«

Pfarrhaus zu Haworth,

im Dezember 1851

Charlotte zog das Umschlagtuch etwas enger, tauchte abermals die Spitze ihrer Feder in die Tinte und beugte sich erneut so tief über den Tisch, dass ihre Nase fast das Papier berührte. Und wieder, wie schon unzählige Male zuvor, schwebte ihre Hand über der weißen Seite, und es erschien ihr gänzlich unmöglich, in einem Haus, in dem es kaum mehr gab als die Geister aller ihrer Liebsten, die Feder auf das Papier zu setzen.

Es war sehr still: Selbst das Feuer im Kamin knisterte nur gedämpft, und Charlotte konnte die Wärme [...]

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Pfarrhaus zu Haworth,

im Dezember 1851

Charlotte zog das Umschlagtuch etwas enger, tauchte abermals die Spitze ihrer Feder in die Tinte und beugte sich erneut so tief über den Tisch, dass ihre Nase fast das Papier berührte. Und wieder, wie schon unzählige Male zuvor, schwebte ihre Hand über der weißen Seite, und es erschien ihr gänzlich unmöglich, in einem Haus, in dem es kaum mehr gab als die Geister aller ihrer Liebsten, die Feder auf das Papier zu setzen.

Es war sehr still: Selbst das Feuer im Kamin knisterte nur gedämpft, und Charlotte konnte die Wärme der hell tanzenden Flammen kaum spüren – es war, als sei sie selbst bereits ein Geist.

Ihr Vater hielt sich – wie fast immer dieser Tage – in seinem Arbeitszimmer auf. Tabby und Martha räumten die Küche auf, die Standuhr im Treppenhaus hatte vor wenigen Minuten sieben geschlagen. Die Nacht legte sich auf das kleine Haus, ihr Gewicht ließ die Fensterscheiben knarren. Doch selbst als der Wind im Schornstein heulte, hörte Charlotte nichts als Stille. Empfand sie nichts als Abwesenheit. Kannte sie nichts als Verlust.

Nicht einmal Emilys geliebter Hund Keeper war noch da, um ihr mit seinem Schnüffeln und Bellen Gesellschaft zu leisten oder verspielt an ihren Rocksäumen zu zerren. Wenigstens musste Charlotte jetzt, da auch der Hund weg war, nicht mehr ständig seine traurigen Augen sehen, mit denen er jedes Mal, wenn die Hintertür sich öffnete, nach seinem Frauchen Ausschau hielt, und Charlotte machte sich auch nicht mehr selbst jedes Mal Hoffnung, wenn die kalte Luft hereinwehte und verhieß, Emily könnte von einem ihrer Märsche über das Moor zurückkehren. Ach, wie ihr die Gesellschaft fehlte, die einst so selbstverständlich gewesen war wie der eigene Atem.

Es war gar nicht lange her und gleichzeitig tausend Jahre, seit Charlotte mit ihren Geschwistern an diesem Tisch gesessen, in diesem Haus gelebt, dieses Leben geteilt hatte. Hier, dem Rest der Welt abgewandt, hatten die drei geredet, geschrieben, den Verstand verloren, einander gekannt und mit einer solchen Unerschütterlichkeit geliebt, dass sie nichts und niemand anderen zum Leben gebraucht hatten.

Hier hatten sie gelacht und gestritten, während Charlotte Jane Eyre schrieb und ihre Schwestern ihre eigenen großartigen Werke und während gleichzeitig niemand von ihnen ahnte, welchen Turbulenzen sie damit die Tür zu ihrem bescheidenen Leben öffnen würden. Jetzt waren Emily, Anne und Branwell alle an einem besseren Ort, und die einzige in der sterblichen Welt hinterbliebene Schwester war unerträglich einsam.

Und doch …

Charlottes Lippen formten sich zu der Andeutung eines Lächelns, als sie daran dachte, welche Abenteuer sie gemeinsam bestanden, welchen Gefahren sie getrotzt, welche erschütternden Enthüllungen sie gemacht und welche Geheimnisse sie bewahrt hatten.

Von den vornehmen Londoner Salons bis zu den New Yorker Soireen hatte die Welt über »diese Brontë-Frauen« gesprochen, die eine solche Leidenschaft, einen solchen Stolz zu Papier gebracht hatten. Erst wurde bezweifelt, dass sie Männer waren, dann weigerte man sich zu glauben, dass Frauen hinter diesen Werken stecken konnten.

Charlotte musste lächeln, als sie daran dachte, wie wenig von der Wahrheit diese Menschen wussten. Wie wenig sie über sie und ihre Schwestern wussten.

Jetzt waren sie und ihr Bruder Branwell alle tot. Keine einzige lebende Seele wusste alles. Nicht eine Erinnerung an die Wunder und Schrecken, die sie gemeinsam erlebt hatten, war je zu Papier gebracht worden, und jegliche Korrespondenz, die etwas über sie verraten hätte, war von Charlotte höchstpersönlich verbrannt worden.

Eines Tages, wenn Charlotte sich zu ihren Geschwistern in Gottes Gnade gesellte, würde alles, was in jenen wenigen aufregenden, gloriosen Jahren passiert war – ihren letzten gemeinsamen Jahren –, mit ihr sterben. Niemand würde je von ihren Abenteuern erfahren. Während Charlotte so allein am Tisch saß, tobte jenseits der in ihrem Rahmen zitternden Fensterscheiben ein ganzes Universum von Menschen wie ein Sturm in einem unaufhörlichen Wirbel aus Leben und Tod. Und alles, was man brauchte, um seine dunkelsten Geheimnisse aufzudecken, war das Wissen darum, wo genau man danach suchen musste.

Vielleicht würde man sich sogar erzählen, dachte Charlotte und lächelte in sich hinein, als ihre Feder endlich das Papier berührte und sie begann, aus Tinte Welten zu erschaffen, vielleicht würde man sich sogar erzählen, dass niemand je so abenteuerliche, gefährliche und aufregende Leben gelebt hatte wie diese drei Frauen, die in einem Dorf groß geworden waren, von dem niemand je gehört hatte, am Rande des sturmgepeitschten, öden Moores.

Das waren die Geheimnisse, die man sich nie erzählen würde, aber ach!, wie wunderbar diese Geheimnisse doch waren.


Prolog

Zuerst sah Matilda French das Blut. Und zwar in solchen Mengen, dass sie sich zunächst gar keinen Reim darauf machen konnte, worum es sich bei der dunklen Lache handelte, die langsam unter der geschlossenen Tür hindurchkroch. Erst, als ihr der Geruch von Eisen in die Nase stieg, erinnerte dieser sie an den Tag, an dem ihre Mutter gestorben war und an dem sich der Geruch ihres Blutes mit dem der frisch geschnittenen Veilchen vermischt hatte.

Erst da wurde Matilda klar, dass sie mit einer brachialen Gewalt konfrontiert wurde, dass etwas ganz Schreckliches passiert sein musste – und diese Erkenntnis schoss durch ihre Blutbahnen wie ein viraler Infekt.

Und doch war es so unerwartet, so sonderbar gewesen, in der friedlichen Stille vor Sonnenaufgang eine solche Entdeckung zu machen, dass sie zunächst weder schrie noch ohnmächtig wurde. Der Schock lähmte sie, und als befände sie sich in einem tranceähnlichen Zustand, in dem Körper und Geist voneinander getrennt waren, und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, tat sie, was sie immer tat: Sie klopfte zweimal an.

„Madam?“

Vorsichtig öffnete sie die Tür. Die Fußbodenbretter klebten, das hereinfallende Licht warf Schatten in den ansonsten lichtlosen Raum. Die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, ihre Worte ergaben angesichts des Horrors keinerlei Sinn: „Mrs Chester? Geht es Ihnen gut?“

Sie ging weiter hinein. Im Zimmer war es still, und überall befand sich so viel Blut, dass Mattie glaubte, ertrinken zu müssen, wenn sie zu tief einatmete.

Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass das Bett ihrer Herrin leer war, dass sich darauf aber vom Kopf- bis zum Fußende ein riesiger, tintenklecksähnlicher Fleck befand, der sich von der Mitte her nach außen ausbreitete wie ein monströser Schmetterling.

Zitternd und mit angehaltenem Atem ging Mattie zum Fenster, zog die schweren Vorhänge auf und entriegelte das Fenster, um etwas feuchte, kalte Luft hereinzulassen. Gierig nahm sie einen tiefen Atemzug. Das erste Licht des Morgens warf seinen Schleier auf das Zimmer, und als sie sich schließlich wieder dem Bett zuwandte, begriff Mattie die unbarmherzige Wahrheit dessen, was sie da sah.

Mord.

Kapitel 1

Haworth, 1845

Charlotte

„Du kannst nicht einfach stehen bleiben, Emily“, schalt Charlotte ihre sie überragende Schwester lachend, nachdem sie von hinten in sie hineingelaufen war. „Hier ist kein Platz, stehen zu bleiben. Und keine Zeit.“

Die Schwestern hatten in den letzten Wochen ein Ritual entwickelt, immer wieder um den Esstisch herumzulaufen und dabei über ihre Ideen zu sprechen, sie in die Luft zu werfen, bis sie sehen konnten, wie sich über ihren Köpfen Wörter bildeten, angeleuchtet vom Feuer und geformt vom Rauch.

Das Esszimmer war nicht sonderlich groß, eigentlich sogar eher beengt, der schöne Tisch und ein abgenutzter schwarzer Diwan nahmen fast allen Raum ein. Charlotte hatte die Tapete ausgesucht, dunkle Rosa- und Grautöne, bescheiden und gedämpft wie das Gefieder einer Taube. An der Wand hing ein Porträt von Lord Horatio Nelson, dem Nationalhelden und militärischen Genie, der im Pfarrhaus auch vierzig Jahre nach seinem ruhmreichen Tod in der Schlacht noch verehrt wurde. Charlotte stellte sich immer gerne vor, dass er den Blick an seiner imposanten Nase vorbei auf sie richtete und all ihr Tun und Lassen beobachtete. Sie fand das beruhigend.

„Ich habe eine Idee, Charlotte.“ Emily drehte sich halb um und sah ihre Schwester aus ihren beneidenswert graublauen Augen über die Schulter hinweg an. „Und zwar eine gute, so gut, dass ich sie sofort aufschreiben muss, bevor sie mir wieder entwischt. Platz da.“

Entsetzt sah Charlotte dabei zu, wie Emily wild mit der Feder über ein Blatt Fließpapier kratzte, das direkt auf dem polierten Tisch lag.

„Also wirklich, Emily“, sagte sie. „Hast du den Tisch nicht schon genug malträtiert? Die arme Tante Branwell würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen könnte, wie wenig Respekt du ihrem lebenslangen Einsatz von Bienenwachs und Muskelkraft zollst.“

„Die Sache mit dem ›E‹ ist schon so viele Jahre her, Charlotte – ich war damals noch ein Kind“, entgegnete Emily, schob aber dennoch pflichtschuldig das Papier auf ihre Schreibunterlage. Charlotte sah dabei zu, wie der Daumen ihrer Schwester das Initial nachzeichnete, das sie vor vielen Jahren mit einem Obstmesser in die Tischplatte geritzt hatte. Emily strich darüber, als sollte es ihr Glück bringen. „Man könnte auch sagen, dass ich den Tisch damit verziert habe …“

„Tante Branwell würde das ganz sicher nicht sagen“, warf Anne freundlich ein, ohne von der Zeitung aufzusehen, in die sie vertieft war. „Weißt du noch, Charlotte? Emily hat alles getan, ihre Missetat zu verbergen, indem sie sich den ganzen Vormittag weigerte, die Hand von der Stelle zu nehmen. Und wie Tante Branwell aufschrie, als sie sah, was Emily getan hatte!“

„Soweit ich mich erinnere, war Papa ganz schön beeindruckt von mir“, brummte Emily, die bereits halb in ihr Schreiben versunken war.

„Wir können uns äußerst glücklich schätzen, einen Vater zu haben, dem unsere Bildung so wichtig ist, dass ein zerkratzter Tisch vollkommen zurücktritt hinter der Tatsache, dass seine fortschrittliche Tochter das Alphabet lernt“, merkte Charlotte an. „Jeder andere Vater hätte dich windelweich geprügelt, und unsere Tante hätte das ganz sicher begrüßt. Oder was meinst du, Anne?“

Charlotte brauchte dringend Ablenkung und versuchte, Annes Blick auf sich zu lenken, doch ihre jüngste Schwester ließ die Augen nicht von ihrer Lektüre. Nur Annes kleiner Hund Flossy marschierte nun mit, ansonsten drehte Charlotte allein mit einem tiefen Seufzer weiter ihre Runden um den Tisch und beobachtete dabei neidisch, wie Emily mit demselben ungeduldigen Feuereifer Buchstaben und Wörter zu Papier brachte, mit dem sie auch dem Leben begegnete. Wenn Charlotte doch nur ähnliche Inspiration finden könnte, um sich von dem großen Kummer abzulenken, der ihr Gemüt verdunkelte. Wenn sie ihre Schwestern doch nur dazu bringen könnte, mit ihr zu reden.

Sie könnte zufrieden sein. Glücklich sogar. Es war nämlich viele Jahre her gewesen, seit sie zuletzt alle unter demselben Dach gewohnt hatten. Das Feuer im Kamin loderte fröhlich und warf warmes, tanzendes Licht an die Wände, die einzige andere Lichtquelle in dem gemütlichen und leicht verräucherten Zimmer war eine Öllampe. Draußen regnete es in Strömen, die Tropfen prasselten gegen die Fenster wie Kieselsteine. Unterhalb des Pfarrhauses duckte sich das Örtchen Haworth gegen den unerbittlichen Wind.

Ein typischer Sommer in Yorkshire.

„Mir fällt heute überhaupt nichts ein.“ Charlotte seufzte enttäuscht und betrachtete die vielen Grabsteine, die sich den Hügel hinab auf die Kirche und den Ort dahinter zu neigten, als wollten die Toten nach Hause zurückkehren. „In meinem Kopf ist es so leer wie auf meinem Papier. Es hat keinen Zweck. Mir kommt einfach viel zu viel … Gefühl dazwischen. Das macht mir das Denken ganz unmöglich. Ich bekomme keine zwei vernünftigen Zeilen zusammen.“

„Vielleicht solltest du versuchen, in Gefühlen zu denken“, schlug Emily wenig hilfreich vor, während die Worte nur so aus ihrer Feder zu fließen schienen, und zwar in der chaotischen und verschmierten Klaue, die die sehr auf Ordnung bedachte Charlotte zur Verzweiflung bringen konnte. Seite um Seite füllte Emily ihr Notizbuch mühelos mit eifersüchtig beäugten Versen.

„Mag sein, dass du immer noch Inspiration in kindlichen Fantasien findest, Emily“, gab Charlotte unversehens spitz zurück. „Ich dagegen bin aus unseren Fantasiewelten Gondal und Angria herausgewachsen. Ich trage die Last ganz anderer, reiferer Sorgen.“

»›Reifere Sorgen‹ ist doch bloß eine neue Bezeichnung für ›Liebeskummer‹, murmelte Emily, ohne aufzusehen. „Und mir ist es gleich, was du von mir denkst, Charlotte, aber die Gondals stecken mitten in ihrem Ersten Krieg, und ich muss sie zum Sieg führen, da sonst zu viele umkommen.“

„Du bist unmöglich, Emily“, sagte Charlotte, meinte es aber nicht böse. In Wirklichkeit wünschte sie sich nämlich, mehr wie ihre Schwester zu sein, denn ganz gleich, wo Emily sich bewegte, wo sie hinsah, überall war für sie Gondal, und Gondals Volk bedeutete ihr genauso viel wie die Menschen aus Fleisch und Blut und mit pochenden Herzen – wenn nicht sogar mehr. Ihre Fantasie war ihre Freiheit, dachte Charlotte neidisch und wünschte sich, sie wäre selbst in der Lage, den nicht enden wollenden Schmerz dieser profanen irdischen Existenz zu verlassen und sich stattdessen in eine Welt zu begeben, in der alle auf ihr Kommando hörten. Dort würde ihr gewiss niemand je das Herz brechen.

„Würdest du bitte stehen bleiben und zur Ruhe kommen, liebe Charlotte“, sagte Anne, legte endlich die Zeitung beiseite und betrachtete Charlotte so mitfühlend, dass diese das Mitleid kaum ertragen konnte. Charlotte wusste, dass Anne den Namen niemals aussprechen würde, und auch Charlotte war sehr darauf bedacht, ihn niemals laut zu sagen. Und doch hallte er ständig in ihr wider.

„Komm, setz dich zu mir, und lies die Times aus London, sie ist erst ein paar Tage alt, und es steht viel Interessantes drin. Das Dampfschiff SS Great Britain von Brunel hat seine Reise über den Atlantik nach New York angetreten, in zwei Wochen soll es schon da sein! Stell dir das mal vor, in weniger als zwei Wochen bis ans andere Ende der Welt.“ Anne hielt inne, ihre hübschen Augen glänzten bei der Vorstellung von Abenteuer, dann blickten sie wieder in die Zeitung. „Und hier, wie es aussieht, gibt es in London schon seit drei Jahren acht speziell ausgebildete Polizisten, die ausschließlich damit beschäftigt sind, Verbrechen aufzuklären, indem sie klug kombinieren und ihren Verstand einsetzen. Das Ganze ist offenbar so erfolgreich, dass die Times jetzt nach Heerscharen solcher Personen im ganzen Land sucht, während andere sagen, dass es in einem freien Land keine derartige Tyrannei durch die Polizei geben sollte. Da fragt man sich doch, ob diese Leute etwas zu verbergen haben. Guck, da steht es.“

„Sieht sehr interessant aus, Anne.“ Charlotte nickte, setzte sich Emily gegenüber an den Tisch und zog die Zeitung zu sich heran – allein, sie konnte sich nicht auf die Lektüre konzentrieren.

Das Einzige, woran Charlotte denken konnte, war ihr letzter Brief an ihren früheren Lehrer, Monsieur Héger, in den sie ihr ganzes Wesen und Herzblut hatte fließen lassen. Und doch hatte er ihr nicht geantwortet. Mit größter Sorgfalt hatte sie ihm ihr gebrochenes Herz geschildert und ihn um wenigstens einen Krümel Gnade angefleht – doch er hatte nicht geantwortet. Wie konnte er nur? Gewiss, er war ein verheirateter Mann, aber … Charlotte schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, den Ausbruch quälender Gefühle in Schach zu halten, der jeden Moment drohte, und mit einiger Anstrengung gelang es ihr, die Gefühle zu reduzieren, sie zu verkleinern bis auf die winzige Größe der Bücher, die sie als Kinder immer gebastelt hatten, und sie hinter einer dicken Schicht aus selbst auferlegter Gelassenheit zu isolieren. Denn wenn sie das nicht tat, würde ihr Elend sie ersticken. Sie hatte keine Wahl, sie musste stillschweigend den Schmerz ertragen, jemanden zu lieben, der ihre Liebe nicht erwiderte.

„Haltet euch fest, Schwestern!“ Branwell platzte herein, ziemlich nass vom Abendregen, der ihm von der Nasenspitze tropfte und das feuerrote Haar gegen die blasse Haut kleisterte, umwölkt von Bierdunst und Rauch. Seine Augen leuchteten vor Freude über das, was er zu berichten hatte. „Lasst ab von euren Mädchenthemen, denn ich habe eine gar grausame Geschichte zu erzählen!“

„Sag bloß, in der Schenke war wieder der Gin alle?“, sagte Emily, ohne aufzusehen, als er sich wie ein Hund schüttelte und dann neben sie setzte.

„Macht euch gefasst, denn für so junge Damen wie euch könnte das, was ich zu erzählen habe, sehr erschreckend und verabscheuungswürdig sein, vielleicht ist es sogar mehr, als eure zarten Seelen ertragen können.“

„Erzähl schon, Branwell.“ Charlotte ergriff die Aussicht auf Ablenkung, als sei sie durstig gewesen und habe einen Brunnen gefunden. „Was ist passiert?“

„In Haworth erzählt man sich, es habe einen ganz besonders blutigen und grausamen Mord gegeben.“ Branwells schwarze Augen glitzerten teuflisch-entzückt, kleine Flammen schienen seine Worte zu umzüngeln. „Und die schreckliche Tat hat sich nur wenige Meilen von hier entfernt zugetragen.“

„Ein Mord?“ Anne runzelte die Stirn.

„Ein äußerst gewaltsamer Mord, liebe Schwester.“ Branwell neigte sich Anne zu, die ob seines Gestanks zurückwich. Charlotte ließ sich nicht so leicht abschrecken.

„Erzähl“, forderte sie ihn auf. „Erzähl uns alle Einzelheiten, sofort.“

„Ich hab’s vom Fassjungen, und der hatte es vom Kutscher, und der hatte es vom Wirt in Arunton, nicht weit entfernt vom Ort des Geschehens.“

„Arunton“, sagte Charlotte nachdenklich. „Ich bin mir sicher, dass wir jemanden in Arunton kennen. Wann ist es passiert, Branwell?“

„Gestern. Eine so grauenhafte und blutige Angelegenheit, nach allem, was man so hört, und das nur einen Steinwurf von unserem eigenen Haus entfernt. Habt ihr jetzt Angst?“

„Angst habe ich nur davor, dass du nicht bald zum Punkt kommst“, sagte Emily und legte endlich ihre Feder ab. „Wer ist umgebracht worden, und von wem?“

„Und“ – Branwell ignorierte Emilys Frage – „der Täter ist geflohen, und zwar mit der Leiche. Es ist durchaus möglich, dass der Mörder in diesen Minuten im Schatten unseres eigenen Hauses herumschleicht.“

„Und eine Leiche mit sich herumschleppt?“ Emily runzelte die Stirn. „Das würde das Schleichen ganz schön erschweren. Beantworte bitte meine Frage: Wer wurde umgebracht?“

„Eine Lady und Mutter.“ Branwell lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Mutmaßlich umgebracht.“

„Wie furchtbar.“ Anne schlug sich die Hände vor die Brust. „Wir müssen Vater bitten, diese arme Frau und ihre Familie in seine Gebete einzuschließen.“

„Mutmaßlich umgebracht?“ Charlotte klang etwas verärgert. „Also, entweder wurde die arme Frau getötet oder nicht – da gibt es nichts zu deuteln.“

„Und genau da irrst du dich, liebe Charlotte.“ Branwell hob mahnend den Finger. „Denn in den frühen Morgenstunden fand man die Schlafkammer der zweiten Mrs Chester leer vor – leer bis auf große Mengen von Blut, die überall verschmiert worden waren. Keine Spur von der jungen Frau oder ihren Überresten. Selbstverständlich befürchtet man, dass sie tot ist, aber mit absoluter Sicherheit kann das niemand sagen, weil sie spurlos verschwunden ist.“

„Man hat sie verschleppt? Aus ihrem eigenen Haus? Wie schrecklich. Mir wird ganz kalt.“ Anne schauderte.

„Das ist ja interessant!“ Emilys Augen glänzten lebendig vor Neugier. Charlotte steckte zwischen Faszination und Entsetzen fest, als ihr ein weiterer Gedanke kam.

„Meinst du etwa Mrs Elizabeth Chester? Von Chester Grange?“ Sie nahm Emilys Hand. „Matilda French hat dort eine Stelle als Gouvernante angetreten! Das ist es! Sie ist es, die wir in Arunton kennen. Kannst du dich noch an Mattie erinnern, Emily? Sie war unsere Leidensgenossin in diesem schrecklichen Internat, Cowan Bridge, bis Vater uns dort weggeholt hat, und seither haben wir uns mit ihr geschrieben. Allerdings etwas weniger, seit sie die Stelle auf Chester Grange antrat und ich in Brüssel war.“

„Wenn ich so drüber nachdenke – ich glaube, es war die Gouvernante, die das Blutbad entdeckte“, fügte Branwell hinzu.

„Du liebe Güte.“ Charlotte war entsetzt. „Mattie war die Erste am Tatort? Die arme, liebe Mattie! Weißt du noch, was für eine zarte Person sie immer war, Emily?“

„Matilda – hübsch, scheu, praktisch zu nichts zu gebrauchen – ja, ich erinnere mich an sie“, sagte Emily. „Stellt euch doch mal vor, ihr liegt in eurem Bett, und ein Messer schwingender Mörder pirscht an eurer Zimmertür vorbei! Furchterregend!“

Emily klang allerdings alles andere als bange.

„Noch wissen wir nichts von einem Messer.“ Charlotte verdrehte die Augen. „Ach, die liebe, arme Mattie. Das wird ihr gar nicht gut bekommen, überhaupt nicht. Ich werde ihr sofort schreiben.“

Charlotte griff nach einer Feder, verharrte dann aber, als ihr eine andere Idee kam.

„Nein, ich weiß was Besseres als Schreiben. Ich werde sie besuchen, gleich morgen früh.“

„Ich werde dich begleiten“, sagte Emily. „Martha French hat mir immer sehr am Herzen gelegen.“

„Matilda, Liebes, Matilda“, korrigierte Charlotte. „Über das Moor von Penistone sind es etwa zwei Stunden Fußmarsch nach Chester Grange. Jede Begleitung ist mir willkommen, solange sie nicht nur Sensationslust geschuldet ist.“

Sehnsüchtig blickte Emily zum Fenster, an dem der Regen in solchen Strömen hinablief, dass Haworth gleichsam hinter einem Schleier aus Tränen verschwand. Kaum zu glauben, dass weit oben über den dicken Wolken Sommer herrschte. „Ich bin es satt, vom Regen eingesperrt zu sein, und ich bin es satt, immer nur hier drinnen herumzuhocken. Lasst mich frei, ich will nasse, eiskalte Füße haben!“

Charlotte wandte sich an Anne, die die Hände säuberlich im Schoß gefaltet hatte und so fromm und mild aussah wie eine Jungfrau – und genau so fassten alle, die sie nicht kannten, sie auch auf. Charlotte dachte oft, dass ihre Schwester sich lediglich hinter dieser milden Maske versteckte und dass sie in Wirklichkeit eine Kriegerin war.

„Nun, ich kann euch beide wohl kaum alleine gehen lassen“, sagte Anne. „Ich fühle mich verpflichtet, euch aus Gründen des Anstands zu begleiten.“

„Und auch ich werde euch begleiten“, erklärte Branwell großzügig. „Schließlich muss euch jemand vor dem verrückten Messermann beschützen.“

„Mein lieber Bruder“, erwiderte Anne mit leichtem Groll. „Ich bin mir nicht sicher, wer da wen beschützen würde, solltest du uns begleiten. Wir drei sind durchaus in der Lage, den Weg alleine zu bewältigen.“

„Bist du immer noch wütend auf mich, Anne?“ Branwell schlug einen Ton an, als sei es tausend Jahre her, seit er Annes Anstellung als Gouvernante auf Thorp Green, wo auch er arbeitete, ein jähes Ende bereitet hatte. Die Demütigung, die der gesamten Familie Brontë durch die Angelegenheit mit Mrs Robinson widerfahren war, war kaum zu ertragen gewesen, am wenigsten für Vater Patrick. Beim Gedanken daran, dass Branwell sich mit der Frau seines Arbeitgebers eingelassen hatte auf Dinge, die keine Beschreibung gestatteten, drehte sich Anne der Magen um. Und als Branwell unter solch skandalösen Umständen gekündigt wurde, war natürlich auch die unschuldige Anne gezwungen, ihre Stelle aufzugeben. Die Schmach schien ihr noch immer frisch in Erinnerung zu sein.

Selbstverständlich stand es Anne zu, angesichts ihres Einkommensverlusts ein wenig mehr Sorge zu haben als ihr Bruder, und auch angesichts des Verrufs, in den er die gesamte Familie gebracht hatte. Und doch: Als Charlotte Branwells zerknirschte Miene sah, wusste sie, dass Anne ihre Worte bereute.

„Wirst du es mir auf ewig nachtragen, dass ich mich verliebt hatte?“, rief er. „Bitte, ich flehe euch an, helft mir dabei, das, was mir das Herz gebrochen hat, so weit wie möglich hinter mir zu lassen, und lasst mich euch wieder wie früher auf euren Wanderungen begleiten.“ Er sah eine Schwester nach der anderen an. „Darf ich?“

„Ja!“, sagte Emily sofort.

„Ich glaube nicht“, schob Charlotte schnell hinterher.

Emily sah sie finster an, und Charlotte verstand ihre Missbilligung gut. Branwells Schwäche für das Black Bull und so gesehen auch alle anderen Schenken in Haworth hatte in der letzten Zeit zugenommen, und Emily fand, alles, was Branwell für ein paar Stunden von Hochprozentigem fernhielt, konnte nur gut für ihn sein. Da hatte sie nicht unrecht, aber Charlotte zögerte dennoch.

„Warum nicht?“, protestierte Emily und nahm Branwells Hand. „Ganz gleich, was Anne sagt – wir sind drei schutzlose Frauen, die sich ohne jegliche männliche Begleitung auf eine nicht ganz kurze Wanderung begeben wollen.“

„Als hätte dich das in deinem ganzen Leben je interessiert, Emily.“ Charlotte lachte und wandte sich mit sanfterer Stimme Branwell zu. „Dieses Mal nicht, lieber Bruder. Dieses Mal würde deine Gegenwart, ganz gleich, wie willkommen, unseren Besuch zu etwas sehr Ungewöhnlichem machen, dabei möchten wir gar nicht weiter auffallen. So ist der Lauf der Welt schon immer gewesen, dass einem guten Mann wie dir Beachtung geschenkt wird. Uns drei Frauen vom Land dagegen wird niemand weiter bemerken … Und dieses Mal wird uns genau das zum Vorteil gereichen. Vielleicht können wir drei sogar herausfinden, was tatsächlich mit Elizabeth Chester passiert ist.“

Charlotte mied Annes Blick, sie wusste, dass ihre kleine Schwester sie in dem Moment beäugte, um herauszufinden, wie sehr ihr Wunsch, Matilda French zu besuchen, echter Sorge entsprang und wie sehr dem Drang nach Ablenkung. So oder so, befand Charlotte, konnte man eine Freundin in einer solch unglücklichen Situation nicht einfach nur besuchen, weil man ihre unglückliche Situation spannend fand.

„Na dann.“ Branwell seufzte, ließ sich auf den Diwan sinken und hängte ein Bein über die Armlehne. „Muss ich mir wohl was anderes überlegen, um mich zu zerstreuen, solange ihr weg seid. Vielleicht gehe ich zum Black Bull.“

„Oder vielleicht in die Kirche?“

„Vielleicht ist das Black Bull meine Kirche?“ Branwell gluckste, als Charlotte entsetzt die Augen weitete.

„Ist es sehr unschicklich“, fragte Anne mit Grabesstimme, um ihre Schwester abzulenken, „dass ich es ein klein wenig aufregend finde, mir uns drei als unsichtbare Ermittlerinnen auf der Suche nach der Wahrheit vorzustellen? Ich glaube, wir wären weit und breit die einzigen.“

„Ermittlerinnen?“, fragte Charlotte. „Was für ein seltsames Wort.“

„Habe ich aus der Times, aus dem Artikel, von dem ich euch erzählt habe. Also, Ermittler. Und da wir Frauen sind, sind wir natürlich Ermittlerinnen.“

Sie redeten noch viel an jenem Abend, erzählten sich Geschichten und lachten bis weit nach Mitternacht. Und keins der plaudernden, schreibenden, lachenden Geschwister bemerkte, wie sich die Dunkelheit auf ihr kleines, hell erleuchtetes Haus legte und drohte, es auszulöschen.

Kapitel 2
Charlotte

Chester Grange erhob sich aus der wilden Moorlandschaft wie ein Ungeheuer aus Urzeiten: mit Hörnern und Stacheln, frisch erwacht aus einem jahrhundertelangen Schlaf.

Emily verliebte sich auf der Stelle in das Anwesen. Zwar lag es auf einer Anhöhe inmitten majestätischer, terrassenförmig angelegter Gärten, die einmal schwer in Mode gewesen waren, aber die Natur hatte in den letzten Jahren kräftig daran gearbeitet, sich diese von Menschen geschaffene Torheit zurückzuerobern.

Lange Gräser, schwer von Samen, wo früher Rasen gewesen war. Der einzige noch erkennbare Weg zum Haus war die von Unkraut und Wildblumen übersäte Einfahrt, über die sich die drei Schwestern näherten. Die einst eleganten Terrassen verschwanden unter Winden und Efeu, hartnäckiges Immergrün und Vergissmeinnicht wuchsen aus jeder Spalte im Mauerwerk und polsterten die scharfen Kanten der roh behauenen Steine und bröckelnden Mauern, wanden sich an dem alten Haus immer enger immer höher und drohten so einige Fenster zu überwuchern.

Hier gab es nichts, das eine Frau enttäuscht hätte, die hinter jeder Ecke eine Geschichte witterte, denn hier lauerten überall Geheimnisse: von den Türmen über die Zinnen bis zu den unheilvollen Wasserspeiern – bereit, sich auf jedwede Seele zu stürzen, die dumm genug war, hier einzudringen – und den riesigen herumliegenden Findlingen, die sie durch das hohe Gras beäugten und aussahen, als hätten sie einst zu einem viel herrschaftlicheren und noch älteren Anwesen gehört. Das alles glich einem Schauplatz aus einer von Tabbys zahlreichen Geschichten über Folklore, Mythen und althergebrachte Traditionen – Geschichten, die Emily schon ihr ganzes Leben zu hören bekommen hatte.

Hier konnte sie tausend Stimmen hören: Sie flüsterten ihr zu. Und je näher sie dem Haus kamen, desto breiter lächelte Emily in Erwartung neuer Abenteuer.

„Würdest du bitte aufhören, wie eine Geisteskranke zu grinsen?“, sagte Charlotte unvermittelt und legte Emily die behandschuhte Hand auf den Arm. Charlottes spröde und sehr ernsthafte, von der Haube umrahmte Miene ließ Emilys Grinsen weiterwachsen. „Das ist mein Ernst, Emily. Es irritiert, und ich glaube kaum, dass dein so zur Schau getragenes Vergnügen an diesem Ort und in dieser Situation Mattie Trost spenden wird. Vergiss nicht, Emily, wir sind die Töchter eines angesehenen Pfarrers. Versuche wenigstens, das zu glauben.“

Emily zuckte die Schultern und rannte ihrer Schwester mit etwas mehr Begeisterung hinterher, als sich gehörte.

*

Die Hinterseite des Hauses war nicht weniger verwahrlost als die Vorderseite. Mattie saß auf einer Bank vor der Küche, den Kopf geneigt, die Hände gefaltet, als sei sie tief ins Gebet oder in Gedanken versunken.

„Mattie!“, rief Emily und sah, wie Charlotte Röte in die Wangen stieg.

Matilda French hob ihren blonden Schopf und sprang auf, um ihren Freundinnen entgegenzueilen.

„Liebste Charlotte“, japste sie ein wenig außer Atem, als sie die Hände ihrer Freundin nahm. „Ach, wie bin ich froh, freundliche Gesichter zu sehen! Liebe Emily, liebe Anne, welch eine Erleichterung, dass ihr hier seid, ich weiß gar nicht recht, an wen ich mich in dieser schrecklichen Zeit wenden soll!“

„Wir haben gestern Abend in Haworth davon gehört“, sagte Charlotte. „Und umgehend beschlossen, dir einen Besuch abzustatten.“

Emily ließ eine Umarmung über sich ergehen. Ihr fiel auf, dass Matties goldene Ringellocken ein klein wenig zottelig waren und dass lila Schatten dunkel unter ihren blauen Augen lagen.

Es sah ganz so aus, als hätte Charlotte recht gehabt, indem sie sagte, Mattie würde die Situation kaum ertragen können. Während ihrer Wanderung nach Chester Grange hatte Charlotte ihnen noch einmal die Lebensgeschichte ihrer Internatsfreundin erzählt. Die arme junge Frau war die einzige und innig geliebte Tochter ihrer Eltern gewesen, bis ihre Mutter im Kindbett starb und ihr als Hilfspfarrer tätiger Vater von der Cholera dahingerafft wurde. Matties als Vormund fungierender Onkel tat schon bald alles dafür, die Bürde des Mündels ein für alle Mal loszuwerden, und schickte das Mädchen auf eine Schule, in der es auf ein Leben als Gouvernante vorbereitet werden sollte – ein Leben, das Mattie sich nie gewünscht hatte. Und jetzt war ausgerechnet unter dem Dach, das ihre Zuflucht gewesen war, etwas so Schreckliches passiert. Denn trotz der Härten, die Matilda in ihrem Leben bereits durchgestanden hatte, war die arme Gouvernante schlecht ausgerüstet für Tragödien dieser Art, wie Charlotte auf ihrem Marsch durch Matsch und Heide besorgt festgestellt hatte.

Die Brontë-Schwestern hatten fast ihr ganzes Leben ohne Mutter verbracht sowie in dem Wissen, mittellos und ohne ein Dach über dem Kopf dazustehen, falls ihr Vater starb. Er hatte sie von klein auf gelehrt, alleine zurechtzukommen, und in der Tat hatten alle bereits unterschiedliche Anstellungen als Lehrerinnen und Gouvernanten bekleidet, bis das Schicksal sie diesen Sommer alle wiedervereinte. Emily liebte ihren Vater von ganzem Herzen für seinen Weitblick, auch wenn sie nicht gerne über den Tag nachdachte, an dem sie gezwungen sein könnte, ihr geliebtes Zuhause zu verlassen, und insgeheim hoffte sie, dieser Tag möge niemals kommen.

„Kommt mit in die Küche.“ Mattie nahm Charlotte bei der Hand. „Ich freue mich so, euch zu sehen, auch wenn es unter solch entsetzlichen Umständen ist. Ihr seid meine ersten Gäste, und unter glücklicheren Umständen hätte ich euch gerne das ganze Haus gezeigt, aber das darf ich jetzt natürlich nicht. Ihr versteht, warum …“

„Warum?“, fragte Emily und tat, als spürte sie Charlottes durchdringenden Blick nicht.

„Mr Chester ist vollkommen außer sich über das Verschwinden seiner Frau und versteht überhaupt nicht, was ihr passiert ist. Ihr sagt, ihr habt gestern Abend davon gehört? Was habt ihr gehört? Mein Herr macht sich große Sorgen, dass irgendwelche Klatschbasen die Dinge verzerren und die Ermittlungen behindern.“

Ihre Stimme klang so hell wie eine nackte Flamme, aber auch angespannt, während sie sie in die Landhausküche führte, in der sich – was für ein so großes Haus überraschend war – keine Menschenseele befand. Vielleicht war das Gesinde für die Dauer der Untersuchungen nach Hause geschickt worden, spekulierte Emily und fragte sich, was wohl hinter der ins Haupthaus führenden Tür zu sehen war.

„Wir haben gehört, dass Mrs Chester spurlos verschwunden ist“, erklärte Charlotte und fügte behutsam hinzu: „Und dass viel Blut geflossen ist.“

„Das … entspricht den Tatsachen.“ Matties Stimme bebte. Sie straffte die Schultern. „Ich mache etwas Tee. Vielen Dank für euren Besuch – ich habe ja sonst niemanden, mit dem ich reden könnte, niemanden, der mich trösten könnte. Meine einzige Freundin hier … nun ja, das war Mrs Chester, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch so viel Blut verlieren und immer noch am Leben sein kann.“

„Sie sind nicht ganz allein, Miss French.“ Eine tiefe, heisere Stimme überraschte sie, und Emily wandte sich der Gestalt zu, die sie im Dunkeln schemenhaft erblicken konnte. Eine ältere Frau zwischen fünfzig und sechzig bewegte sich schwerfällig auf sie zu, die kleinen, tief liegenden, schwarzen Augen so aufmerksam auf die Frauen gerichtet wie die einer Krähe. „Ich bin immer in Ihrer Nähe, vergessen Sie das nicht.“

„Natürlich nicht, Mrs Crawley.“ Matties Stimme bebte, und die ältere Frau nahm neben dem kalten Kamin Platz, um sie alle besser beobachten zu können. »Bitte entschuldigen Sie meine Manieren. Darf ich Ihnen meine Freundinnen Charlotte, Emily und Anne Brontë aus dem Pfarrhaus in Haworth vorstellen? Als die drei die schreckliche Nachricht hörten, beschlossen sie, mich zu besuchen und mir in diesen schweren Zeiten zur Seite zu stehen.«

„Klatschmäuler also.“ Mrs Crawley richtete sich auf dem Stuhl ein wie eine Kröte auf einem Stein. Sie trug Trauer, hatte sich einen Witwenschleier in ihr graues Haar gesteckt und weiße Baumwollhandschuhe übergezogen. Über ihre rechte Gesichtshälfte erstreckte sich eine hässliche, schlecht verheilte Narbe. Die entstellte Frau beäugte die vor ihr knicksenden Schwestern mit kaum verhohlener Geringschätzung, taxierte sie und schien für sich zu beschließen, dass sie von keinerlei Wichtigkeit waren. Obwohl sie damit recht haben konnte, wurmte Emily diese Einschätzung.

„Ich versichere Ihnen, Mrs Crawley“, sagte Charlotte mit hochroten Wangen, „dass meine Schwestern und ich keinerlei Interesse daran haben, uns an Spekulationen zu beteiligen. Wir sind einzig hier, um unserer Freundin in schweren Zeiten Beistand zu leisten.“

„Halten Sie sich an die Küche und die Außenbereiche“, ermahnte Mrs Crawley Mattie, kaum dass sie es sich zunächst bequem gemacht und dann ihre nicht unbeträchtliche Körperfülle wieder vom Stuhl gehievt hatte, wobei das gestärkte Leinen ihrer Röcke wie Baumkronen im Sturm raschelte. Emily wunderte sich darüber, dass Mrs Crawley im Haus Baumwollhandschuhe trug, denn das war gelinde gesagt ungewöhnlich. „Und an das Dienstboten-Geschirr! Ab vier Uhr kümmern Sie sich wieder um die Kinder. Ihnen wird hoffentlich nicht einfallen, sich in diesen Tagen vor Ihren Verpflichtungen zu drücken.“

Mrs Crawley bewegte sich schwerfällig auf ein kleines angrenzendes Zimmer zu, in dem sich – wie Emily durch die offene Tür erkennen konnte – Bücherregale befanden, in denen allerdings keine Bücher standen, sondern Ziergegenstände und andere Objekte, die so gar nicht zu einer solch durch und durch grimmigen Frau zu passen schienen: eine Schäferin mit ihrer Herde aus Porzellan, glänzende Fingerhüte aus Silber und ein kleiner Strauß Wildblumen in einer Kristallvase. Noch merkwürdiger war eine Fotografie – Emily hatte in ihrem Leben noch nicht viele dieser seltsamen, fast magischen Objekte gesehen –, eine Aufnahme von einem schlafenden oder vielleicht sogar toten Baby. Emily wollte es unbedingt genau wissen, aber nicht so dringend, dass sie sich deshalb auf ein Gespräch mit der Krötenfrau hätte einlassen wollen.

„Ich bin in meinem Zimmer, falls Sie mich brauchen“, verkündete Mrs Crawley eher drohend denn wohlmeinend, und Emily knickste wiederum leicht, allerdings keinesfalls aus Respekt.

„Was für eine extrem angenehme Zeitgenossin“, murmelte Emily vor sich hin, setzte sich und nahm sich eins der Butterbrote, die Mattie wie zur Entschuldigung auf einem schlichten weißen Teller für sie ausgebreitet hatte.

„Nun sag schon.“ Charlotte setzte sich. „Wie geht es dir, liebe Freundin?“

Mattie warf einen Blick in Richtung der Tür, hinter der Mrs Crawley verschwunden war, und lächelte. „Es ist eine harte Prüfung für Mr Chester und die armen Kinder.“

Sie zitterte, als sie den frisch gebrühten Tee einschenkte, ein bernsteinfarbener Tropfen landete auf ihrem Handrücken.

„Kannst du dich noch an Cowan Bridge erinnern, Charlotte?“

„Natürlich“, antwortete Charlotte ernst. Emily war sich sicher, dass ihre Schwester sich genauso gut erinnerte wie sie selbst. Das Internat, auf das ihr Vater sie und ihre Schwestern kurz nach dem Tod ihrer Mutter geschickt hatte, hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt.

Charlotte nahm Emilys Hand. „Cowan Bridge war ein verabscheuungswürdiger Ort, dunkel und grausam, an dem eigenständiges Denken unerwünscht war und jeder Ausdruck von Freude erstickt wurde wie die Flamme einer Kerze. Dort haben Emily und ich dich kennengelernt, liebste Matilda, dort wurden unsere geliebten älteren Schwestern Elizabeth und Maria an den Rand des Todes getrieben, bevor sie in eine Kutsche verladen und wieder nach Hause gebracht wurden, wo sie kurz darauf verstarben.“

Charlotte musste nicht mehr sagen, die drei erinnerten sich schweigend an die Gräuel, die ihnen in Cowan Bridge begegnet waren, jenem Ort, der von sich behauptete, ein Ort Gottes zu sein – ein Ort, an dem man die unschuldigen Bewohner regelmäßig hungern ließ, züchtigte und bestrafte. Selbst heute noch wachte Charlotte hin und wieder mitten in der Nacht auf und rief ängstlich nach Emily, völlig aufgelöst bei der Erinnerung an den eiskalten Körper ihrer sterbenden Schwester neben sich im Bett.

Selbstverständlich würde keine Einzige von ihnen Cowan Bridge je vergessen. Es war Matties Art, ihnen zu sagen, dass sie genauso große Angst hatte und genauso verzweifelt war wie einst in der entsetzlichen Schule. Emily hatte nie eine so große Verzweiflung und Einsamkeit empfunden wie damals, und wenn es das war, was jetzt in Mattie vor sich ging, dann musste sie wirklich sehr große Angst haben.

„Jetzt sind wir ja hier, Mattie.“ Emily legte eine beruhigende Hand auf Matties Schulter. „Wir wollen dir helfen, dich wieder sicher zu fühlen.“

Für Emily hatte der Tag als kleines Abenteuer begonnen, als Ausrede dafür, sich frei zu bewegen, das musste sie einräumen. Als Mattie sich jetzt von ihr umarmen ließ, ging Emily wieder durch den Kopf, dass Frauen wie sie sich kaum zur Wehr setzen konnten gegen die Widrigkeiten der Welt, und sie sah den entschlossenen Mienen ihrer Schwestern an, dass sie genau dasselbe dachten. Die Krieger von Gondal würden die Waffen ruhen lassen müssen, und zwar so lange, wie Mattie Anne, Charlotte und Emily brauchte. Sie würde die Brontë-Schwestern an ihrer Seite haben, bis sie selbst in Sicherheit war.

Wehe dem, der sich ihnen in den Weg stellte.

Bella Ellis

Über Bella Ellis

Biografie

Bella Ellis ist der von den Brontë-Schwestern inspirierte Künstlername der preisgekrönten Autorin Rowan Coleman. Sie war schon immer eine begeisterte Brontë-Anhängerin – und ist selbst Bestsellerautorin von vierzehn Romanen, darunter „Einfach unvergesslich“, „Zwanzig Zeilen Liebe“ und »Beim Leben...

Weitere Titel der Serie »Die Brontë-Schwestern«

Sturmumtoste Anhöhen, wildes Moor und die drei Schwestern Brontë, die ermitteln – atmosphärischer kann Cosy Crime nicht sein!

Pressestimmen
Für Sie

»Toll, mit vielen Fakten über die berühmten Brontë-Schwestern.«

medienprofile – Medienempfehlungen für die Büchereiarbeit

»Dies ist ein besonderer Spaß für Kenner der Brontës, aber auch ohne Vorkenntnisse über die drei Schriftstellerinnen macht die Geschichte einfach Spaß und wird auch gewieften Krimileserinnen etwas zu bieten haben.«

Nautilus Fantasymagazin

„Wer leichte, historische Krimis mag und in Berührung mit den toughen Bronte-Schwester kommen will, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen!“

literaturmarkt.info

»›Die verschwundene Braut‹ von Bella Ellis liest sich so spannend-amüsant, als hätten die Brontë-Schwestern zusammen mit Agatha Christie den Krimi geschrieben.«

Podcast „Krimikiste“

„Ich kann ›Die verschwundene Braut‹ wirklich jedem empfehlen, der sich zum Beispiel für die Bronte-Schwestern interessiert, der historische Kriminalromane mag oder der einfach nur ein hochspannendes Buch lesen will, das mal in einer ganz anderen Umgebung spielt. Mir hat es wirklich sehr, sehr gut gefallen.“

Isar aktuell

„Unterhaltsame Krimi-Lektüre“

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