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Bittersweet Summer Days Bittersweet Summer Days - eBook-Ausgabe

Marie Kärsting
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Roman

— Strangers-to-Lovers-Romance mit sommerlichem Festival-Setting
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Bittersweet Summer Days — Inhalt

Kann ein magischer Sommer ihre gebrochenen Herzen heilen? Berührende New Adult-Romance mit Festivalsetting für Fans von Ivy Leigh und Tonia Krüger 

Als Kayla von ihrem Verlobten sitzen gelassen wird, tritt sie kurzentschlossen die geplante Reise nach Texas allein an. Doch von Ruhe und Erholung keine Spur, denn in Dell City findet das farbenfrohe Chihuella-Festival statt und der Ort platzt aus allen Nähten. Auch das Hotel ist überbucht, und so muss Kayla notgedrungen mit einem Fremden das Zimmer teilen. Zach ist der Organisator des Festivals, und trotz seiner abweisenden Art entsteht zwischen ihnen sofort eine Anziehung – erst recht, als Kayla spontan als Friseurin im Backstage-Bereich aushilft. Hinter der perfektionistischen Maske des unterkühlten Geschäftsmannes verbirgt sich mehr, als sie zuerst dachte. Und bald schon beginnt sie während der Sommernächte die gemeinsame Zeit zu genießen – doch ist sie bereit, wieder ihr Herz zu verlieren?

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 30.05.2025
344 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-50849-0
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€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erschienen am 30.05.2025
340 Seiten
EAN 978-3-377-90212-2
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Leseprobe zu „Bittersweet Summer Days“

1 – Since U Been Gone

„I even fell for that stupid love song“ – Kelly Clarkson

Die Fotos wanderten in den Karton. Alle. Nicht ein einziges wollte ich behalten, weil es zu sehr schmerzte. Zu sehen, wie glücklich wir mal gewesen waren, versetzte mir einen Schlag gegen die Brust, in der die winzigen Reste meines bereits gebrochenen Herzens brannten. Auch das von letztem Jahr im New River Gorge Nationalpark hielt ich in meinen Händen. Da hatte Julian keine Zweifel gehabt. Auf dem Bild lächelten wir breit in die Kamera, die Köpfe eng beieinander, und sein Arm [...]

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1 – Since U Been Gone

„I even fell for that stupid love song“ – Kelly Clarkson

Die Fotos wanderten in den Karton. Alle. Nicht ein einziges wollte ich behalten, weil es zu sehr schmerzte. Zu sehen, wie glücklich wir mal gewesen waren, versetzte mir einen Schlag gegen die Brust, in der die winzigen Reste meines bereits gebrochenen Herzens brannten. Auch das von letztem Jahr im New River Gorge Nationalpark hielt ich in meinen Händen. Da hatte Julian keine Zweifel gehabt. Auf dem Bild lächelten wir breit in die Kamera, die Köpfe eng beieinander, und sein Arm war um mich gelegt. In diesem Moment hatte ich noch nicht geahnt, was kurz darauf beim Diamond Point folgen würde. Umgeben von uralten Bäumen und mit Blick auf eine Steinwand, die zu allen Seiten von Schlingpflanzen umrankt wurde, war er auf die Knie gegangen. Und für mich hatte es nur eine Antwort gegeben. Ja. Immer ja – bis heute.

Meine Augen brannten. Dass sie überhaupt noch in der Lage dazu waren, Tränenflüssigkeit zu erzeugen, wunderte mich. Doch viel schlimmer war der salzige Geschmack, der mir sogar mein Trosteis verfälschte. Salted Caramel bekam so eine ganz neue Bedeutung.

Ich warf das Foto schluchzend in den Pappkarton, mit dem ich seit heute Morgen durch das Haus wanderte. Wie ein Dieb hatte ich unserem ehemals gemeinsamen Zuhause Erinnerungen, Schätze und damit den Charakter gestohlen, bis die Mittagshitze mir den Schweiß in den Nacken getrieben hatte. Und selbst dann noch pflückte ich Gegenstände aus Schubladen heraus, die uns die Welt bedeutet hatten. Mir weiterhin bedeuteten. Trotzdem wollte ich sie mir aus den Augen schaffen, denn ich musste loslassen. Und ihm waren diese Andenken sowieso egal.

Kurz hielt ich inne und betrachtete mein Werk. Das Chaos hatte sich mittlerweile vom Flur und der Küche die Treppe hinauf in das zweite Stockwerk gezogen. Offen stehende Schranktüren, umhergerückte Möbelstücke und umgekippte Dekogegenstände, weil ich ohne diese verfluchte Leiter hatte arbeiten müssen. Nur er wusste, wo sie sich befand. Eine Spur der Verwüstung durchzog dieses Haus und war doch nur ein lächerliches Echo von dem, was in mir vorging.

Der letzte Raum, der mir bevorstand, war das Schlafzimmer. Seit Stunden drückte ich mich davor, aber nun näherte ich mich meiner einstigen Wohlfühloase, um sie auseinanderzunehmen wie unsere gesamte Beziehung. Wobei ich ja nicht der Auslöser gewesen war.

Allein bei dem Gedanken daran, welche unangenehmen Aufgaben auf mich warteten, wurde mir übel. Dieses Zimmer war nur ein weiterer Punkt auf der To-do-Liste einer Frau, die sitzen gelassen worden war.

Die Klinke an meinen Fingerspitzen war eiskalt, als ich die Tür aufdrückte. Seit Julian mir eröffnet hatte, dass er sich unsicher war, ob er mich wirklich heiraten wollte, hatte ich auf der Couch geschlafen. Ohne ihn im Bett zu liegen, kam mir einfach falsch vor. Er fehlte. Deshalb hatte ich diesen Raum gemieden.

Nun lag er dunkel vor mir. Ich knipste das Licht an und sah mich im Spiegel gegenüber. Schnell senkte ich den Blick, denn ich ertrug den Anblick meiner blutunterlaufenen Augen keine Sekunde. All seine Sachen befanden sich an den üblichen Orten, als würde er jeden Moment zur Haustür hereinkommen und mir von seinem Arbeitstag berichten. Das Wandermagazin auf dem Nachttisch, als hätte er gestern noch darin gelesen. Seine Armbanduhr auf der Kommode wartete nur darauf, dass er sie umlegte. Alles wie immer, nur dass das eine Wunschvorstellung war. Denn leider hatte er nicht nur Zweifel an unserer Eheschließung, sondern auch an der Beziehung, die wir für zehn Jahre geführt hatten. Vergangenheitsform.

Ich erschauderte. Getreu dem Motto, das Pflaster einfach abzureißen, ohne viel zu zögern, durchquerte ich den Raum und öffnete die linke Schranktür. Der Kleidersack war wie ein Mahnmal. Nur weil ich ein Hochzeitskleid gekauft hatte, hieß es noch nicht, dass ich dieses auch tragen würde. Mir war klar, dass es eine unkluge Idee war. Trotzdem konnte ich nicht anders. Wie hypnotisiert trat ich näher, nahm den Stoffbeutel heraus und breitete ihn auf dem Bett aus, das noch immer leicht nach Julian roch.

Das Öffnen des Reißverschlusses offenbarte einen Traum aus Chantilly-Spitze, Pünktchen-Tüll und Chiffon. Für die Suche danach hatte ich die volle Prozedur mitgemacht. Mit Pina, den Mädels aus dem Salon und meiner Schwiegermutter hatte ich vor Monaten einen Termin in dem Brautmodengeschäft White Oak Bridal in Charles Town wahrgenommen, Sekt geschlürft und genau drei Brautkleider anprobiert. Schon in der Umkleide beim Anlegen der edlen Stoffe war ich mir sicher gewesen. Sicher mit dem Kleid, mit Julian und der Zukunft, die wir uns gemeinsam ausgemalt hatten. Den Hauskauf hatten wir bereits abgehakt, die Trauung hatte kurz bevorgestanden, und nächstes Jahr sollte Nachwuchs folgen.

Als ich den anderen meine finale Wahl präsentiert hatte, war ich von strahlenden Gesichtern und Freudentränen überwältigt worden. Noch nie hatte ich mich so schön gefühlt. So gewollt. Mein Spiegelbild hatte dem entsprochen, wovon ich immer geträumt hatte: einer Prinzessin. Natürlich war das furchtbar kitschig, aber ich konnte es nicht leugnen.

Wenn Julian mich in diesem Kleid gesehen hätte … wäre er dann nicht gegangen?

Ich belog mich selbst. Unsere Beziehung war nicht makellos gewesen, deshalb war er abgehauen. Anstatt wie ein Erwachsener gemeinsam mit mir an den Problemen zu arbeiten, hatte er einfach die Flinte ins Korn geworfen.

Meine Finger krallten sich in den zarten Stoff.

„Verdammte Scheiße!“

Ich zog die Tausend-Dollar-Investition aus dem Sack und knüllte sie in meinen Armen zusammen. Wenn die Brautausstatterin das sehen könnte, würde sie mit Sicherheit einen Herzinfarkt erleiden. Ohne genauen Plan verließ ich das Schlafzimmer und marschierte die Treppe hinunter, denn ich wusste nur, dass ich es nicht länger aushielt. Neben unserem Bett, mit diesem Fummel und in diesem Haus. All das beklemmte mich so sehr, deshalb stürmte ich in den Garten.

Auch hier erwarteten mich nur verworfene Pläne. Der Baum, den wir nach der Hochzeit hatten pflanzen wollen, stand in seinem Topf bereit. Sogar eine Hundehütte hatte Julian vorab besorgt, denn auch ein Familienhund war auf unserer imaginären Liste der heilen Vorstadtliebe vermerkt.

„Drauf geschissen!“

Mein Schrei schreckte ein paar Vögel auf, die es sich auf dem Hausdach gemütlich gemacht hatten. Kurz sah ich ihnen nach, aber dann warf ich das Kleid auf den Rasen. Mein Herz klopfte so sehr, dass ich meinen Puls in den Ohren spürte. Mein Blick heftete sich an das feuchte Gras, das den Stoff grünlich zu verfärben drohte.

Ich war so zerrissen. Eine unsichtbare Hand schien sich um meine Kehle zu legen. Einerseits hoffte ich noch immer, dass er wiederkam. Dass es sich nur um eine kurzweilige Verwirrung handelte und die Hochzeit doch stattfand.

Und andererseits war ich mir mit jeder Minute, die ich ohne ihn verbrachte, unsicherer, ob ich überhaupt weitermachen könnte, als wäre das hier nie passiert. Wer heiratete schon einen Mann, der kalte Füße bekommen hatte? Nicht nur kurz, für ein paar Minuten. Der nicht nur aus Angst einen vorübergehenden Rückzieher gemacht hatte, sondern alles beendet hatte. Meine Brust zog sich zusammen. Der Kloß in meinem Hals wuchs. Wie konnte man mit einer Person zusammen sein, die einen nicht wollte? Tränen zwängten sich brennend nach oben und fanden ihr Ventil in meinen stechenden Augen.

Er wollte mich nicht mehr.

Ich trat auf das Kleid, und dieser Schritt gab mir mehr Luft zum Atmen.

„Ich hasse dich“, nuschelte ich halbherzig, denn es war eine Lüge. Weder das Kleid noch den Mann, für den ich es gekauft hatte, hasste ich. Eher im Gegenteil.

Mit mehr Elan drehte ich mich um, stürmte über die Wiese und Terrasse bis zu Julians riesigem Grill, der eher einem Metallungetüm glich. Da ich mich selten um das Barbecue gekümmert hatte, dauerte es einige Sekunden, bis ich den Grillanzünder in der Box daneben gefunden hatte. Bewaffnet mit der scharf riechenden Flüssigkeit und einem Feuerzeug, das ich ebenfalls darin gefunden hatte, marschierte ich zurück zu meinem Opfer. Noch immer flossen Tränen mein Gesicht hinab, die mithilfe des Windes meine erhitzte Haut kühlten.

„Ich hasse dich.“ Ein weiterer Versuch, der mir kaum über die Lippen wollte.

„Ich hasse, was du mit mir machst.“ Das klappte schon besser.

Mit verzogenem Gesicht öffnete ich die Flasche, denn der Gestank setzte sich direkt stechend in meine Nase. Mit ausgestrecktem Arm hielt ich inne. Das Kleid war wertvoll, und ich würde mir in den nächsten Wochen vermehrt um Geld Sorgen machen müssen. Es wäre schlauer, das Kleidungsstück zu verkaufen. Nun hatte ich noch die Chance, es vor den Erd- und Grasflecken zu retten. Tausend Dollar waren viel Geld für eine Friseurin aus Harpers Ferry, die sich eine neue Wohnung suchen musste. Dieses Mal würde mir niemand helfen.

Doch die Vorstellung, dass eine andere Person mein Prinzessinnenkleid tragen könnte, versetzte mir einen Schlag, der sich regelrecht körperlich in meine Magengegend grub. Ein fremder Mensch, der anstelle von mir den besten Tag des Lebens in genau diesem Stoff verbrachte.

Nein.

Mein Arm machte allmählich schlapp, deshalb senkte ich die Flasche mit dem Spiritus. Nur um Rotz und Tränen fortzuwischen und dann die Hand zu wechseln. Ich kippte das Gefäß, sodass ein einzelner Tropfen auf den cremefarbenen Stoff fiel. Bevor dieser zu einer Lache werden konnte, ertönte eine Stimme hinter mir.

„Mein Kind, was machst du da?“

Ich sah über die Schulter und blickte meiner Schwiegermutter in das zu einer schockierten Grimasse verzogene Gesicht.

„Kayla?“

Ich schüttelte den Kopf. „Es ist schon zwei Tage her. Er kommt nicht zurück, Diane.“

Sie war sofort bei mir. Behutsam nahm sie die Flasche und das Feuerzeug aus meinen Händen. Da ich mich nicht weiter an meinen Zerstörungswahn festklammern konnte, tat ich es nun an ihr. Sie konnte die Umarmung kaum erwidern, weil sie noch immer versuchte, die Utensilien auf den Terrassenfliesen abzustellen.

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.“ Ihre Stimme war beruhigend und mütterlich. Also eigentlich wie immer, denn sie war die Frauenfigur, die einer Mutterrolle für mich am nächsten kam. Stew und sie hatten mich vor zehn Jahren einfach aufgenommen, als klar war, dass ich nicht zu meinen leiblichen Eltern zurückkonnte. Seitdem war ich mehr als eine Schwiegertochter gewesen. Und Diane mehr als die Mutter meines Ex.

„Ich vermisse ihn so sehr“, flüsterte ich an ihrer Brust, das Gesicht gegen die gestreifte Bluse gedrückt.

„Darling, ich weiß. Ich verstehe es auch nicht.“ Sie rieb mir im immer gleichen Takt mit kreisenden Bewegungen über den Rücken. Es war, als würde sie die Einsamkeit aus mir herausmassieren. Da erst wurde mir bewusst, dass ich nicht nur meinen Lebenspartner verloren hatte. Ich war nicht mehr Teil dieser Familie und damit wirklich allein auf der Welt. Und dieses Gefühl war das schlimmste von allen.

„Hast du mit ihm geredet? Ich …“ Mir fehlten die Worte. Ich wusste ja selbst nicht, wie, aber irgendjemand musste Julian doch aufhalten. Er konnte doch nicht einfach alles kaputt machen. „Ich will euch nicht verlieren.“ Wieder schluchzte ich auf, denn dieser Gedanke war zu viel für mein geschundenes Herz.

„Du verlierst uns nicht!“ Diane hielt mich so, dass ich sie ansehen musste. Die vereinzelten grauen Strähnen in ihrem blonden Haar glänzten in der Nachmittagssonne. Auf ihrer Stirn bildete sich eine tiefe Linie, und ihr Kinn erzitterte. Als sich unsere Blicke wieder trafen, begriff ich schließlich, was hier vor sich ging. Nun war sie es, die ihre Wange an meine Brust legte und unregelmäßig atmete. Dieses Mal war ich diejenige, die ihr über den Rücken streichelte.

„Es tut mir so leid, Kleines. Ich verstehe ihn auch nicht. Meinen eigenen Sohn!“ Ihr Ruf zog sich in die Länge und endete in einem Wimmern, das mir eine Gänsehaut über die Arme trieb.

„Ist schon okay. Du kannst nichts dafür.“ Wie von Zauberhand endeten meine Tränen. Hatte ich endlich das Tal erfolgreich durchquert oder war die Tatsache, dass ich Diane trösten musste, einfach zu absurd?

„Wo sind denn meine Mädels?“

Ich versuchte, mir genau die Stimmfarbe und die Melodie von Stews Lieblingsspruch einzuprägen, weil es vielleicht das letzte Mal war, dass ich ihn gehört hatte. Über Dianes Schulter hinweg sah ich meinen Schwiegervater ums Haus kommen. Er war wohl außen herumgegangen und hatte das Gartentor aufbekommen, das seit Wochen klemmte.

„Schatz, was ist denn los?“ Stew war sofort bei seiner Frau. Sein sonst freundliches Gesicht verdüsterte sich, als er das Brautkleid auf dem Rasen entdeckte.

„Mich macht das alles so fertig. Unsere kleine Kayla“, erklärte Diane ihrem Mann kaum verständlich.

Stew stellte sich neben mich und breitete die Arme aus, sodass er seine Frau und mich in eine Dreierumarmung zog. Doch anders als sonst bildeten wir keinen Knoten aus Unterstützung und Trost. Kam es mir nur so vor oder war Stew zurückhaltender als üblich? Der sonst so herzliche Mann wirkte auf einmal distanziert. Meine größte Angst wurde zur Realität.

Julian wollte mich nicht mehr.

Und die beiden wollten mich nun auch nicht mehr.

Bei Stew fing es an, und bei Diane oder Barry, dem Familienkater, würde es aufhören.

„Schatz, ich bitte dich. Sie ist ja nicht aus der Welt.“ Er lächelte mir zu, nachdem wir uns losgelassen hatten. Aber das Grinsen erreichte seine Augen nicht.

„Wie konnte das alles nur passieren?“ Diane tupfte sich mit dem Ärmel ihrer Bluse Tränen vom Gesicht. Ihre Mascara war verschmiert. Obwohl es kaum möglich schien, schmerzte das hier noch mehr als mein Solo-Leid. Es war eine Sache, wenn ich mich quälte, doch die Menschen so leiden zu sehen, die ich in mein Herz geschlossen hatte – das war eine neue Ebene der Qual.

„Ihr müsst gehen.“ Ich löste mich von Diane und nickte Stew zu. Ein weiteres Indiz dafür, dass er mit mir abgeschlossen hatte, war der verstehende Blick.

„Kayla braucht ihren Freiraum, Engel. Komm mit nach Hause. Wir müssen auch an unseren Sohn denken.“ Er zog seine weinende Frau von mir weg, Stück für Stück.

Mit mahlenden Kiefern beobachtete ich, wie Diane zwischen uns hin- und hersah. Sie sollten wirklich an ihren Sohn denken. Immerhin war er hier ganz klar das Opfer. Schon kapiert. Unter keinen Umständen wollte ich mich meinen bitteren Gedanken hingeben, doch die Säure stieg mir den Hals hinauf.

„Aber sie ist unsere Tochter.“ Diane widersetzte sich ihrem Mann für einen Augenblick. Kurz ergriff sie meine Hand. „Ich hab dich lieb, Darling.“

„Ich dich auch. Aber ich bin nicht deine Tochter. Die Chance habe ich leider nicht erhalten.“ Ich atmete tief ein und aus. „Bitte geh nach Hause. Ich komme klar. Das Kleid wird auch nicht verbrannt, versprochen. Ich werde es in die Reinigung geben und euch zurückbringen. Schließlich habt ihr dafür gezahlt.“ Mit aller Macht zog ich meine Mundwinkel in die Höhe, aber es wollte nicht funktionieren. Vielleicht konnte ich aufhören zu weinen, aber selbst ein trauriges Lächeln war nicht drin.

„Nein.“ Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Nein, nein. Das war ein Geschenk, das du nicht zurückgeben kannst. Es ist dir überlassen, was du mit deinem Hochzeitskleid machst. Wenn du es verbrennen willst …“ Sie schnaufte kurz. „Wenn du es verbrennen willst, dann ist das dein gutes Recht.“

Ich drückte ihre Hand, bevor Stew erneut begann, auf mich einzureden.

„Kayla, es tut uns wirklich leid. Das ist alles nicht so gelaufen wie geplant. Aber zu Hause sitzt unser Sohn, der verwirrt ist und nicht weiterweiß. Er hat nun für uns Priorität, das verstehst du sicherlich. Das bedeutet ja nicht, dass wir uns nie wiedersehen. Wir leben in derselben Stadt und werden uns noch oft über den Weg laufen. Vorausgesetzt, du bleibst in der Nähe?“

Früher hätte ich angenommen, dass Stew aus aufrichtigem Interesse gefragt hatte, doch nun war ich mir nicht mehr so sicher.

Diane ließ meine Hand los. Obwohl ihr Blick noch immer tränenverwässert war, zeichnete sich auf ihrem Gesicht bereits die Erkenntnis ab. Es war vorbei. Und es würde nie wieder so werden wie früher.

Als die beiden um die Ecke gebogen waren und das Knarzen des Gartentors ihre endgültige Abreise verkündete, hielt ich mich am Gartentisch fest, weil meine Knie nachgaben.


2 – I Can Do It With a Broken Heart

„They said, ‚Babe, you gotta fake it till you make it’ and I did“ – Taylor Swift

„Bist du wirklich okay?“ Meghan presste die Lippen aufeinander. Ihre großen grünen Augen ließen mich kaum eine Sekunde aus dem Blickfeld, seit ich im Salon aufgetaucht war. Für die anderen überraschend, denn ich hatte ja eigentlich Urlaub eingereicht und sollte morgen nicht nur heiraten, sondern ebenfalls in die Flitterwochen fliegen. Und vor drei Tagen war ich verlassen worden. Meghan war wohl nicht davon ausgegangen, dass ich hier und heute den Föhn einstöpselte und bereit war, loszulegen. Allerdings war die Arbeit für mich die einzige Rettung. Zum einen würde ich nur noch mehr in Selbstmitleid versinken, wenn ich mich weiterhin auf der Couch verkroch und Süßigkeiten in mich reinschaufelte. Zum anderen musste ich meiner neuen Lebensrealität entgegensehen, und das bedeutete, dass ich nun wieder für mich verantwortlich war. Es gab kein Sicherheitsnetz mehr, das mich vor einem Sturz bewahren würde. Kein zweites, viel höheres Gehalt, das die Rechnungen und Lebensmittel zahlte. Vielleicht auch kein Haus mehr, sondern bald schon eine Wohnung, die ich allein finanzieren musste.

„Ja, ganz sicher.“ Ich sparte mir den Versuch zu lächeln, denn es war, als hätte ich diese Art von Mimik verlernt.

Meghan nickte, doch ich kannte diesen Ausdruck. Genauso blickte sie drein, wenn eine Kundin mit schwarzen Haaren auf Platin blondiert werden wollte. Natürlich kam sie diesem Wunsch nach, aber überzeugt davon war sie nicht.

„Wirklich“, versicherte ich ihr. Selbst für mich klang es wenig überzeugend.

Um nicht weiter in Bedrängnis zu geraten, widmete ich mich wieder der Reinigung unserer kleinen Küche. Hier bereiteten wir nicht nur Snacks und Speisen zu, sondern mischten entgegen den Anweisungen unserer Chefin an der Spüle auch Kolorationen an. Durch meinen spontanen Nicht-Ausfall standen für mich keine Termine an. Somit wartete ich auf Laufkundschaft und wollte mich in der Zwischenzeit zumindest ein wenig nützlich machen.

Meghan tätschelte mir die Schulter, dann ging sie nach vorn zu unserer Chefin. Monica bemühte sich zwar, Verständnis für mich zu zeigen, aber ich spürte ihre schlechte Stimmung. Dass sie mich einen ganzen Tag bezahlen sollte, obwohl ich keine Stammkundschaft bediente, ging ihr gegen den Strich. Eine Alternative hatte ich jedoch nicht. Immerhin würde Pina gleich reinschneien. Sie hatte es mir direkt angeboten und freute sich schon auf einen ordentlichen Blow-out.

Die Küche blitzte inzwischen vor Sauberkeit, deshalb begab ich mich zur Rezeption und entstaubte die Ablagen und Fächer des Tresens, in denen wir verschiedene Pflegeprodukte zum Verkauf anboten. In meinem Kopf ging zwar die Tragödie meines Lebens weiter, aber immerhin hatten meine Hände eine Beschäftigung.

Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Im Radio erklangen Töne, die mir eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherten. Die seichte Melodie des Pianos in Verbindung mit dem Rhythmus der Gitarre. Eine zarte Frauenstimme sang gehauchte Worte, mit denen ich mich noch vor wenigen Tagen identifiziert hatte. Ich umkrallte die Haarkur in meinen Händen und schloss die Augen. Mit einem Mal fehlte mir die Luft zum Atmen. Das war unser Lied. Nein. Es wäre unser Lied gewesen, wenn Julian nicht alles abgesagt hätte. Zu diesem Song wären wir morgen als frisch Vermählte über die Tanzfläche geschwebt.

Wieder das Brennen in der Kehle. Auch meine Lippen bebten. Ich unterdrückte ein Schluchzen und stellte mit zittrigen Fingern das Pflegeprodukt zurück in das vorgesehene Fach, als sich eine Hand auf meine Schulter legte.

„Kayla?“

„Mhm?“ Ich biss mir von innen auf die Wange, denn dieser Schmerz überdeckte den in meiner Brust.

Monicas Stirn war gerunzelt. Sie scannte jedes Detail meines Gesichts, sodass ich mir wie auf einem Silbertablett präsentiert vorkam.

„Du kannst ruhig nach Hause gehen. Alle hier haben Verständnis für deine … Situation.“ Ihr schmaler Mund war eine gerade Linie.

Ich hatte keine Ahnung, ob Sorge wirklich der Auslöser für dieses Angebot war. Monica war eine Geschäftsfrau durch und durch. Doch in ihrer Miene erkannte ich, dass ihr mein Wohlbefinden auch nicht egal war. Mitgefühl schwang mit, als sie ihre Arme um mich legte.

„Wir alle kennen Herzschmerz. Trennungen sind nie schön, und über sie hinwegzukommen, dauert manchmal.“

Sie meinte es nur gut, das war mir klar. Trotzdem spannte sich automatisch jeder Muskel in meinem Körper an. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, aus dieser Umarmung zu entkommen. Natürlich hatte ich den Schmerz auf dieser Welt nicht für mich gepachtet. Anderen Menschen erging es viel schlimmer. Und selbstverständlich hatte nahezu jeder Erwachsene bereits Liebeskummer durchlebt. Aber nicht jede Person war wenige Tage vor der Hochzeit sitzen gelassen worden. Das war der Unterschied, der mein Leben so verkomplizierte. Mir war meine Zukunft genommen worden. Und Monica, glücklich verheiratet mit zwei Söhnen, die bald aufs College gehen würden, hatte ausnahmsweise einmal keine Ahnung, was sie da überhaupt von sich gab.

„Nimm den Urlaub wie geplant“, raunte sie mir zu.

Ich befreite mich aus ihrer Umklammerung, kaum bereit, mich mit ihr anzulegen, doch da erschien meine Rettung in der Tür.

„Pina ist da!“ Ich ließ Monica stehen und eilte auf meine beste Freundin zu. Auf dem Weg wischte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel.

Pinas erste Amtshandlung war, das Radio auszustellen. Sie schloss mich auch nicht in ihre Arme, weil sie genau wusste, dass dann meine Maske fallen würde. Stattdessen tat sie so, als wäre alles normal, und half mir damit am meisten.

„Hallo, Mädels!“, rief sie in den Salon und erntete Begrüßungen und Winken von allen Anwesenden, egal, ob Mitarbeiterin oder Kundin.

„Zum Glück bist du da!“, zischte ich und zog an ihrer Hand, bevor sie die bunte Strickjacke ablegen konnte.

„Was ist los?“ Pina nickte den anderen zu, während ich sie vor mir herschob.

„Monica will mich heimschicken. Ich kann das aber nicht. Wenn ich einen weiteren Tag allein in diesem Haus verbringen muss, verliere ich endgültig den Verstand.“ Meine Stimme war viel schriller als sonst. Sogar ich bemerkte, dass ich zu laut sprach, und dämpfte den Ton. „Du kommst also wie gerufen.“

Pina nahm meine Hand. „Ich bin ja jetzt hier, und danach rufe ich meine Mutter an. Vielleicht kannst du ihren Ansatz nachfärben.“ Das Drücken ihrer Finger war wie ein Versprechen.

„Das klingt gut.“ Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr. Konzentration war nun angesagt, denn bei dem ganzen Drama wollte ich Pinas Haarpracht nicht in Gefahr bringen. Nur weil ich emotional aufgeladen war, sollten meine Kundinnen nicht darunter leiden.

Ich sammelte meine Utensilien zusammen, atmete tief ein und aus und legte Pina dann einen Umhang um. „Waschen, föhnen, legen?“

„Ja, bitte.“ Sie machte es sich auf dem Stuhl bequem und grinste mich im Spiegel an.

Bei ihr war ich mir sicher, dass sie kein künstliches Zurücklächeln von mir erwartete. Sie bot mir die Möglichkeit, einfach ich selbst zu sein, deshalb nickte ich nur und fuhr den Stuhl durch ein paar gezielte Tritte auf das Pedal hoch.

Ihre Haare glitten wie Samt durch meine Finger. Pechschwarz glänzend und hüftlang waren sie nicht nur eine Perfektion im allgemeinen Sinne, sondern auch der Traum jeder Friseurin. Manchmal stellte ich mir vor, was ich mit dieser Spielwiese anstellen könnte. Ein langer Bob mit ein paar Highlights, die im Sonnenlicht Bewegung in das Haar brachten. Oder ein Pony, der das kantige Gesicht meiner Freundin weich umspielen würde. Doch egal, in welche Richtung meine Gedanken abdrifteten, ich kam immer wieder zu dem Schluss, dass Pinas Frisur perfekt zu ihr passte. Sie bedurfte keinerlei Anpassung, deshalb kämmte ich die Haarpracht nur ordentlich durch, positionierte ein kleines Handtuch in ihrem Nacken und führte sie dann zum Waschbecken.

Sie machte es mir unendlich einfach. Mit Anekdoten und Geschichten aus der Arbeitswoche hielt sie das Gespräch am Laufen, vermied jedoch jegliches Thema, das für mich unangenehm werden könnte. Sie war eine Meisterin darin, unwichtigen Small Talk zu halten. Vermutlich verkaufte sie deshalb so viele Häuser. Ich hatte durch ihren Besuch eine Ablenkung, durfte den Job ausüben, den ich so sehr liebte, musste aber keine Konfrontation eingehen, die mich wieder an den Rand eines Nervenzusammenbruchs trieb. Sogar die anderen Kundinnen und meine Kolleginnen unterbrachen uns nicht, weil Pina es gar nicht zuließ. Sie redete wie ein Wasserfall, und ich musste nur an den richtigen Stellen nicken oder mit den Schultern zucken.

Als wir zum Platz vor dem Spiegel zurückkehrten und ich nicht nur ein weiteres Mal ihre Haare durchkämmte, sondern auch ein Hitzeschutzspray in ihnen verteilte, belegte Meghan den Stuhl direkt neben uns mit einer Kundin. Sie musste neu sein, denn ihr Gesicht kam mir nicht bekannt vor.

Zuerst hörte ich von ihrem Gespräch mit meiner Kollegin nur Bruchstücke, denn der Föhn übertönte fast alles. Das monotone Rauschen war wie eine Verschnaufpause für meinen Verstand. Ich genoss sie ein wenig zu sehr, denn Pinas Kopfhaut wurde bereits rot von der übermäßigen Hitze. Sobald ich das Gerät abstellte und das Haaröl in ihren Haaren verteilte, bekam ich jedes Detail der Unterhaltung neben uns mit.

„Ja, er war so ein Gentleman. Niemals hätte ich damit gerechnet, hier einen Mann wie ihn zu treffen.“ Die Fremde strahlte so sehr, dass sie ihre Nase krauszog. Dabei hob sich die Spitze leicht.

Ich fragte mich, welche Veränderung sie an ihrer Frisur wohl vornehmen lassen würde, denn die lockigen braunen Haare unterstrichen ihre niedliche Art.

„Also ist es etwas Ernstes?“ Meghan brachte ihrer Kundin ein Glas Wasser. Im Vorbeigehen sah sie mich entschuldigend an.

Ich tat so, als würde ich nichts mitbekommen. Doch der Bericht der jungen Frau über den gelungenen Abend im Irish Pub unserer Stadt war anscheinend so interessant, dass selbst Pina nicht mehr weitersprach.

„Ich habe ihn ja erst gestern kennengelernt.“ Die Brünette lachte auf. Alles, was sie tat, wirkte zart. Wie sie einen Schluck Wasser trank, sich den Mund mit der Serviette abtupfte, weil ein Tropfen von ihrer Lippe rann, oder ihr Spiegelbild überprüfte. Sie glich einer Fee, die einem Märchen entsprungen war. „Aber ich werde drei weitere Wochen in Harpers Ferry bleiben, um mich um meine Tante zu kümmern. In der Zeit wollen wir uns noch mal treffen.“ Sie strahlte mit der Sonne um die Wette, die den Salon im Mittagslicht erhellte.

„Sie sind also auf Reisen?“

Ich atmete auf, als Pina das Thema wechselte. Die Kennenlerngeschichte von zwei füreinander schwärmenden Menschen entsprach nicht gerade der Ablenkung, die ich hier suchte.

„Ja, ich stamme ursprünglich von hier. Meine Eltern sind aber nach Kalifornien gezogen, als ich sechs Jahre alt war.“

Meghan begann, die Haare der Kundin zurechtzuzupfen. Es sah aus, als würde sie einen Lockenschnitt bei ihr vornehmen. Ich war froh, dass ich diese Aufgabe nicht übernehmen musste. Zum einen hatte ich keine Lust, über ihre Barbekanntschaft zu reden, und zum anderen war ich nicht besonders geübt im Umgang mit ihrer Haarstruktur. Meine Stärke lag in Kolorationen und Flechtfrisuren.

„Reisen ist eine Bereicherung, oder?“ Meine Kollegin warf mir einen Blick zu, den ich überging.

Ich vermutete, dass sie mich auf diese Weise ebenfalls zu der Hochzeitsreise überreden wollte – auch ohne Ehemann. Wahrscheinlich erwarteten sie alle einen Trip wie im Film Wild von mir, doch das konnten sie vergessen. Sicherlich würde ich nicht einsam in die Wildnis aufbrechen, um über einen Schicksalsschlag hinwegzukommen. Mehr Klischee ging ja gar nicht. Mein Leben war kein Spielfilm, sondern die Realität. Und in der war ich nun allein für mich verantwortlich. Ich hatte Rechnungen zu bezahlen.

Pina sah mich im Spiegel an. Was auch immer sie in meinem Gesicht erkannte, sie wechselte sofort das Thema. „Und wie heißt der Glückliche?“

Ich knetete ihre Spitzen durch, damit sie perfekt im Bogen über ihre Schultern fielen.

„Julian.“

Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Alle Augen waren auf mich gerichtet.

„Den Nachnamen habe ich wieder vergessen, aber ich habe ihn auf Instagram gefunden. Moment, ich suche sein Profil. Wir folgen uns seit gestern, haben schon den ganzen Morgen geschrieben und …“

Ich hörte nicht mehr zu. Alles, was sie nach diesem Namen sagte, war egal. Mir kam es vor, als würde die Situation in Zeitlupe ablaufen. Ich wischte die klebrigen Hände an meinem Kittel ab, während Pina aufstand und den Umhang selbst abstreifte. Sie redete davon, dass es viele Julians in Harpers Ferry gab. Auch ihrem Gebrabbel schenkte ich keine Aufmerksamkeit mehr. Als ich neben die Fremde trat, hielt Meghan mich fest. Vielleicht ging sie davon aus, dass ich ihrer Kundin Worte an den Kopf werfen wollte, die an unserem Arbeitsplatz nichts verloren hatten. Dabei suchte ich nur nach der Bestätigung für mein Bauchgefühl. Und ein Bild auf ihrem Display, das ich selbst von ihm geschossen hatte, reichte aus. Ich legte den Kittel ab, schob den Wagen mit meinen Utensilien zur Seite und verließ den Laden.

Der Himmel war nur hie und da mit kleinen weißen Wolken gespickt, ansonsten erstrahlte er in Hellblau. Er bot den perfekten Hintergrund für die idyllische Kleinstadt mit den vielen mit Holz verkleideten Häusern.

Monica rief mir etwas zu, aber ich nahm bereits die Stufen hinab und trat auf die Straße. Ein Wagen wich mir hupend aus. Ich wechselte auf den Gehweg und marschierte los. Die Fahrerin des roten Jeeps wollte lautstark wissen, was mit mir nicht stimmte, doch da ich darauf ohnehin keine Antwort hatte, blieb ich nicht stehen.

Mein Puls rauschte so heftig, dass ich ihn überall in meinem Körper spürte. Besonders in den Fingern, als ich meine Hände zu Fäusten ballte. Passend zu meinem Herzschlag stürmte ich an den Vorgärten vorbei, die durch den heißen Sommer litten. Das erkannte man an den bräunlichen Flecken auf den sonst so grünen Rasenflächen. Trockene Blättchen zierten einige Sträucher, und die wenigen Bäume ließen die Äste hängen. Die Stadt dürstete nach Regen, und ich wünschte, ich könnte all meine Tränen den Pflanzen spenden. Dann hätten wir zumindest ein Problem gelöst.

„Kayla!“

Ich ging weiter, denn meine Absicht war klar. Vorbei an dem blinkenden Schild des mexikanischen Restaurants, das die Idylle brach. Ich kniff die Augen zusammen, weil mir mit jedem Schritt, den ich tat, alles immer surrealer vorkam. Das war doch nicht mein Leben. Ich musste träumen. Schon bald würde ich aufwachen, und alles hätte wieder seine Ordnung.

„Kayla!“ Pina holte auf. Sie band sich im Laufen einen Zopf und versaute damit meine ganze Arbeit. „Wo willst du hin?“

Ich hatte keine Ahnung, deshalb blieb ich stehen. Mir war nur klar, dass ich nicht bei dieser Frau im Salon sein konnte. Dass ich von den anderen nicht weiter so angestarrt werden wollte. Und dass ich den Anblick seines Gesichts nicht mehr ertrug. Nie wieder.

„Warum tut er mir das an? Warum hat er mich verlassen?“

Natürlich hatte Julian mir diese Frage selbst beantwortet. Doch seine Antworten waren für mich nicht greifbar gewesen. Sie waren oberflächlich und boten mir keinerlei Erklärung für das, was zwischen uns geschehen war.

„Ich weiß es nicht, Kayla. Aber eines kann ich ganz sicher sagen: Er ist keine weitere Sekunde deiner Zeit wert.“ Pinas Stirn war leicht gerunzelt.

Ihre Worte sollten mich trösten, aber sie halfen nicht. Er hatte einfach aufgehört, mich zu lieben. Das war es. Laut seiner Aussage steckte nicht mehr dahinter. Nur dass unsere Beziehung zum Alltag geworden war, den er sich nicht mehr wünschte. Und jetzt diese Frau. Ich wusste nicht, was mich mehr quälte: die Ungewissheit oder die Sorge, dass er mich womöglich schon während der Beziehung betrogen haben könnte.

„Es tut so weh“, flüsterte ich über das sanfte Rauschen des Windes hinweg.

Pina nickte nur. Sie nahm meine Hand, doch ich entzog sie ihr. Damit war jetzt Schluss. Ich hatte genug geweint. Zumindest für den Moment. Es war mehr als klar, dass Julian nicht zu Hause saß und sich die Augen aus dem Kopf heulte. Er ging in Bars und verabredete sich mit fremden Frauen. Küsste sie vielleicht sogar.

„Mir ist schlecht.“ Ich hielt mir den Bauch und lehnte mich an einen der Strommasten, die die linke Straßenseite säumten.

„Es tut mir so leid, Süße. Wirklich.“

Ich schloss kurz die Lider und konzentrierte mich darauf, genug Sauerstoff in meine Lunge zu pumpen. Ein weiterer Zusammenbruch, und dann auch noch auf der Straße, war ausgeschlossen. Julian hatte zu viel Macht über mich.

Bereits im Alter von zehn Jahren hatte ich mir geschworen, dass niemals wieder eine Person so eine Kontrolle über mich haben sollte. Wie die Menschen, die mich so emotional hatten verhungern lassen. Und doch war ich ein so enges Bündnis eingegangen, dass er zur Priorität in meinem Leben geworden war. Und nun hinterließ er einen leeren Fleck. Diese Leerstelle fraß mich Stück für Stück auf. Sie schmerzte in meiner Seele.

Die ganze Zeit war ich davon ausgegangen, dass es ihm ähnlich ging. Vielleicht nicht exakt so, aber zumindest ein bisschen. Da hatte ich wohl falschgelegen. Ich war nicht nur allein in dem Haus, in meinem Leben, sondern auch mit meinen Gefühlen.

Ich stieß mich vom Mast ab und marschierte los. Dieses Mal war es nicht wie in einem Traum. Ich nahm jede Kleinigkeit genau wahr, und meine Umgebung war mir bewusster denn je.

„Wo willst du hin?“

Meine Schritte auf dem Gehweg klangen wie das Schlagen einer Trommel, als ich das Tempo beschleunigte. Wie der Beginn eines Songs.

„Kayla! Was hast du vor?“ Pina holte zu mir auf. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Stirn glänzte. Im letzten Moment wich sie einer Mülltonne aus, und ich hielt kurz ihre Schulter, um sie zu stabilisieren. Sie blieb stehen, doch ich joggte weiter. „Kayla!“

Ich sah über meine Schulter hinweg zu ihr. Sie legte eine Hand auf ihre Brust, mit der anderen wischte sie sich über das Gesicht.

Mit einem langen Ausatmen stoppte ich und wandte mich ihr zu. Als ich näher trat, bemerkte ich, dass Pina sich nicht nur Schweiß unter den Augen wegrieb. Da waren auch Tränen, die ihre Wangen fluteten. Vielleicht war ich nicht die Einzige, die litt. Vielleicht war es nicht Julians, aber Pinas Welt war ebenfalls erschüttert.

„T-tut mir leid. Ich will nicht heulen.“ Ihre Stimme zitterte. „Du bist das Opfer. Ich weiß das. Sorry, dass ich so reagiere. Ich bin nur so wütend und enttäuscht. Nie hätte ich das von ihm gedacht und –“

„Flieg mit mir nach Texas“, unterbrach ich sie. Es war eine fixe Idee, die mir in den Kopf gesprungen war. Zu ihr existierten weder weiterführende Pläne noch eine durchdachte Begründung. Es gab nur das dringende Bedürfnis, von hier zu fliehen.

„Wie bitte?“

„Flieg morgen mit mir in die Flitterwochen. Lass uns einen Urlaub daraus machen. Wir gehen wandern, verbringen Zeit miteinander und kommen hier raus.“

„Aber das waren doch eure Pläne. Wäre das nicht irgendwie … merkwürdig?“ Pina blinzelte mehrmals hintereinander.

Ich trat näher an sie heran und wischte die Tränen von ihren perfekten Wangenknochen. „Und jetzt datet er wohl andere Frauen im Pub. Dinge ändern sich.“ Ich presste die Lippen aufeinander.

Ihre Hand legte sich auf meine Schulter. „Du hast etwas Besseres als ihn verdient. Er ist ein Arschloch.“

„Ich weiß“, murmelte ich, obwohl ich gar nichts wusste.

„Aber die Reise wird dich an ihn erinnern, oder nicht?“ Pina schniefte.

„Wieso sollte sie?“

Wir sahen uns einen Moment lang an. Pina schien von meiner vorgetäuschten Lässigkeit nicht überzeugt zu sein. Der Plan hatte auch unzählige Schwachstellen. Es würde morgen Abend losgehen, und nichts war gepackt. Ich musste eigentlich noch das Haus räumen, all die Hochzeitsgeschenke zurückschicken, arbeiten oder zumindest mit Monica sprechen, und Pina brauchte ebenfalls Urlaub. Das Ganze war ein Mammutprojekt.

„Ich muss hier weg, verstehst du? Ich halte es hier nicht mehr aus. Harpers Ferry war mein Hafen. Hier habe ich mich endlich angekommen gefühlt. Ich bin aufgenommen und geliebt worden. Und jetzt bricht alles auseinander. Ich will mir keine Wohnung suchen. Ich will mich nicht um die Nachwehen kümmern, weil ich sie nicht zu verantworten habe. Im Gegensatz zu ihm habe ich mich mit reinem Herzen für unsere gemeinsame Zukunft entschieden. Er dagegen ist weggerannt. Und jetzt möchte ich auch mal wegrennen.“ Ich kämpfte um die Kontrolle über meine Stimme, den Atem und meinen zitternden Körper.

Pinas Griff wurde zu einer Umarmung. Ich sog ihren süßlich-würzigen Duft nach Zimt in mich auf. Sie war mein letzter Halt. Die verbliebene Säule, die Heimat für mich bedeutete.

„Wenn du eine Pause brauchst, unterstütze ich das.“

Ich nickte, sodass unsere Köpfe sich berührten. Mein Kinn legte ich danach auf ihrer Schulter ab. „Bitte komm mit mir. Ich brauche dich.“

Mir war klar, dass ich eine erwachsene Frau war und eigenständig durchs Leben gehen musste. Doch bereits die Vorstellung versetzte mich in eine dunkle Zeit meines Lebens zurück.

„Okay.“ Pina löste sich von mir, nur um meine Hände in ihre zu nehmen. Ihre Stirn lag zwar noch in Falten, und ihre Lippen waren verzogen, aber sie nickte. „Wir fliegen nach Texas. Zusammen.“

„Danke“, hauchte ich. Tränen pressten sich ihren Weg nach oben. Ich wischte sie schnell mit dem Handrücken weg, ließ dabei meine Freundin jedoch nicht los.

„Okay, dann gibt es wohl einiges zu erledigen. Wie starten wir? Ich muss auf der Arbeit anrufen und spontan Urlaub nehmen.“

Ich gluckste. Ein warmer Schauer glitt mir über den Rücken und die Brust, als ich realisierte, dass ich da nicht allein durchmusste.

„Zuerst gehe ich zur Bank und räume unser Konto. Dieses Schwein bekommt keinen Cent von mir.“ Ich drückte sie ein letztes Mal an mich, dann setzte ich mich wieder in Bewegung.

Pina telefonierte, während sie mir folgte.

Marie Kärsting

Über Marie Kärsting

Biografie

Marie Kärsting, 1993 in Kempen geboren, lebt mit ihrem Ehemann und zwei Hunden in einem kleinen Dorf am Niederrhein. Nach ihrem Schulabschluss studierte sie Betriebswirtschaftslehre und schloss eine kaufmännische Ausbildung ab, doch trotz der vielen Zahlen fand sie ihre Liebe zu Wörtern wieder. Mit...

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