Lieber Christian Dittloff, Sie entwerfen in Ihrem Debütroman eine Vision neuer Konzepte von Elternschaft. Ist der titelgebende Ort, um den das Romangeschehen kreist – das Weiße Schloss –, ein idealer Ort?
Natürlich provoziert der Name „Das Weiße Schloss“ Märchen-Assoziationen und suggeriert einen idealen Ort. Innerhalb der Logik der Romanwelt erscheint das Weiße Schloss als ideale Lösung für die Probleme der Protagonisten Ada und Yves, weil es ihre vielen Wünsche und Erwartungen an das eigene Leben erreichbar erscheinen lässt. Das Weiße Schloss verspricht die Verbindung der scheinbar unvereinbaren Lebensentwürfe Karriere, Elternschaft, Freundschaft, Individualität und Paarbeziehung. Für mich ist „Das Weiße Schloss“ weder Utopie noch Dystopie. Ersteres würde einen Wunsch formulieren, letzteres eine Warnung, und beides soll dieser Roman nicht sein. Allein das Wort bewertet schon eindeutig die dargestellte Welt. Und in meinem Fall finde ich das gar nicht so leicht.
Inwieweit ist „Das Weiße Schloss“ für Sie ein Zukunftsroman? Oder anders gefragt: Wie viel Gegenwart steckt darin?
Mein Roman versucht nicht, eine Prognose abzugeben. Ich glaube, wir leben generell mit Zukunftsbildern, die noch stark von einer Perspektive des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt sind. Wir sehen uns in Szenarien, die die großen Dystopien der letzten hundert Jahre vorgegeben haben. Und das lässt auch die „Zukunft“ schnell zu einer Art Genre werden, das von bestimmten Markern angekündigt wird. Dies können auf der einen Seite Elemente der Science-Fiction sein: Roboter, Raumschiffe. In meinem Fall ist es eher der alles kontrollierende Apparat, der hinter dem Weißen Schloss zu stehen scheint. Ich halte meinen Roman für einen Zukunftsroman in dem Sinne, dass er bestimmte Genre-Elemente hat, doch im Grunde spielt er in einer potentiellen Gegenwart. Alles, was Sie in meinem Roman finden, gibt es so oder so ähnlich in Europa bereits. Ich habe es nur anders genannt. Ich verstehe „Das Weiße Schloss“ eher als Spiegel zeitgenössischer Sehnsüchte und Wünsche an das Leben.
Ada und Yves entscheiden sich für ein Kind, wollen ihr freies und hedonistisches Leben jedoch nicht aufgeben. Ihre Furcht vor der Unvereinbarkeit von Liebe, Karriere und Erziehung kennen viele Paare. Bedeutet die Entscheidung für ein Kind aber nicht immer auch eine gewisse Hingabe? Worin wurzelt der Kinderwunsch der beiden?
In vielen Besprechungen wird diese Frage gestellt. Aber ehrlich gesagt sehe ich täglich Beispiele von Kleinfamilien mit aggressiv wirkender Grunddynamik, bei denen ich mich frage: Warum wolltet ihr Eltern eigentlich Kinder? Besonders gründlich geht die Gesellschaft der Frage scheinbar erst nach, wenn von der heteronormativen Paarbeziehung und dem Bild der klassischen Kleinfamilie abgewichen wird.
Inwieweit ist „Das Weiße Schloss“ für Sie ein Zukunftsroman? Oder anders gefragt: Wie viel Gegenwart steckt darin?
Mein Roman versucht nicht, eine Prognose abzugeben. Ich glaube, wir leben generell mit Zukunftsbildern, die noch stark von einer Perspektive des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt sind. Wir sehen uns in Szenarien, die die großen Dystopien der letzten hundert Jahre vorgegeben haben. Und das lässt auch die „Zukunft“ schnell zu einer Art Genre werden, das von bestimmten Markern angekündigt wird. Dies können auf der einen Seite Elemente der Science-Fiction sein: Roboter, Raumschiffe. In meinem Fall ist es eher der alles kontrollierende Apparat, der hinter dem Weißen Schloss zu stehen scheint. Ich halte meinen Roman für einen Zukunftsroman in dem Sinne, dass er bestimmte Genre-Elemente hat, doch im Grunde spielt er in einer potentiellen Gegenwart. Alles, was Sie in meinem Roman finden, gibt es so oder so ähnlich in Europa bereits. Ich habe es nur anders genannt. Ich verstehe „Das Weiße Schloss“ eher als Spiegel zeitgenössischer Sehnsüchte und Wünsche an das Leben.
Ada und Yves entscheiden sich für ein Kind, wollen ihr freies und hedonistisches Leben jedoch nicht aufgeben. Ihre Furcht vor der Unvereinbarkeit von Liebe, Karriere und Erziehung kennen viele Paare. Bedeutet die Entscheidung für ein Kind aber nicht immer auch eine gewisse Hingabe? Worin wurzelt der Kinderwunsch der beiden?
In vielen Besprechungen wird diese Frage gestellt. Aber ehrlich gesagt sehe ich täglich Beispiele von Kleinfamilien mit aggressiv wirkender Grunddynamik, bei denen ich mich frage: Warum wolltet ihr Eltern eigentlich Kinder? Besonders gründlich geht die Gesellschaft der Frage scheinbar erst nach, wenn von der heteronormativen Paarbeziehung und dem Bild der klassischen Kleinfamilie abgewichen wird.
Was fasziniert Sie an dem Thema „Elternschaft“? Greifen Sie damit auch Erfahrungen aus Ihrem persönlichen Umfeld auf?
Fasziniert bin ich vor allem von der Tatsache, wie sich andere Themen an das Thema „Elternschaft“ andocken lassen, wie zum Beispiel soziale Ungerechtigkeit und Geschlechterungleichheit. Ada und Yves sind privilegierte Protagonist*innen, nur deshalb können sie überhaupt in Erwägung ziehen, das vorgelebte und staatlich geförderte Modell der Kleinfamilie durch ihre Lebenspraxis in Frage zu stellen und ihr Kind durch eine outgesourcte Mutter erziehen zu lassen. Diese Mutter wiederum wird gesellschaftlich anerkannt und finanziell gut entlohnt. In unserer Gesellschaft begegnet mir eine derartige Wertschätzung der Mütter, die über Stereotype der Glückseligkeit hinausgeht, leider nur sehr selten. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der jede Mutter Mutter und jeder Vater Vater sein kann, ohne dabei auf finanzielle Sicherheit, gesellschaftliche Anerkennung und Unabhängigkeit verzichten zu müssen.
Mit eingestreuten Miniaturen beleuchten Sie auch die historische Entwicklung unseres Wissens über die menschliche Fortpflanzung. Je weiter dieses Wissen fortschritt, desto mehr wuchs unsere Fähigkeit, die der Entstehung des Lebens zugrunde liegenden Vorgänge zu beeinflussen. Was sind für Sie in dieser Hinsicht zentrale Fragen?
Unsere Idee von Familie, Elternschaft und Erziehung ist immer im Wandel. Aristoteles dachte noch, dass Fortpflanzung so funktioniert: Das Menstruationsblut der Frau liefert das Material, der Samen des Mannes den schöpferischen Funken, aus dem das Kind hervorgeht. So eine Überzeugung strahlt natürlich in die Gesellschaft zurück und zeigt den Mann als göttlichen Schöpfer, die Frau als körperliche Versorgerin. Ähnliches gilt für die Idee von „Kindheit“ oder für das Stillen, das sich erst im 19. Jahrhundert als emotionales Obligat etablierte und ja auch momentan wieder heftig von aktuellen Feminist*innen diskutiert wird.
Als „Das Weiße Schloss“ Anfang August 2018 erschien, währte die #MeToo-Debatte seit mehreren Monaten. Hat #MeToo Ihre Sicht auf die im Roman behandelten Themen noch einmal verändert?
Der Roman streift zwar bestimmte Aspekte der #MeToo-Debatte im Sinne des allgemein wachsenden Verständnisses darüber, dass Worte Wahrheiten erschaffen und wir als Gesellschaft genau überlegen müssen, wer wie repräsentiert wird. Ich habe mich für die Arbeit an meinem Roman sehr intensiv mit Texten zeitgenössischer Feminist*innen auseinandergesetzt, aber die Debatte ist ja etwas anderes: Die #MeToo-Bewegung ist so unglaublich wichtig, weil sie Sichtbarkeit für reale strukturelle Geschlechterungleichheiten und Gewalt schafft. Mein Roman ist Literatur und nimmt eine andere Ausformung dieser evidenten Ungleichheit in den Fokus.
Gibt es für Sie literarische Referenzen, auf die sich Ihr Text besonders bezieht?
Das ist natürlich ein literarisches Spiel, das ich ungern spoilern würde. Mein Roman steckt voller literarischer Verweise, Anspielungen und Ähnlichkeiten. Strukturell am offensichtlichsten sind es wohl „Die Wahlverwandtschaften“ von Goethe und „Der Report der Magd“ von Margret Atwood.
Das erste In-vitro-Baby ist vor genau vierzig Jahren geboren worden. Nicht nur bei der Leihmutterschaft, auch beim Thema Eizellenspende gehört Deutschland im europäischen Vergleich zu den restriktivsten Ländern, die Debatte gilt als stark tabuisiert. Wie sollte sich unser Blick auf die Themenbereiche Elternschaft und Kinderkriegen ändern?
Ehrlich gesagt möchte ich da auf keinen Fall juristische Forderungen stellen. „Das Weiße Schloss“ ist quasi ein Cocktail europäischer Reproduktionsmedizin-Realitäten. Es kombiniert die Gesetzgebung der weniger restriktiven und oft ärmeren Länder mit den kapitalistischen Idealen unserer Gesellschaft: Reproduktionsmedizin ohne Ausbeutung, alles Bio und FairTrade. Ich möchte den Blick auf eine andere Frage lenken: Warum ist der Begriff „Familie“ so eng gefasst? Die Kleinfamilie halte ich für überholt, und ich wünsche mir andere Formen des Zusammenlebens, mit denen dann auch das Dogma der genetischen Nachkommenschaft abgestreift würde, sodass stattdessen Wahlfamilien entstehen können.
„Das Weiße Schloss“ entstand parallel zu Ihrer Vollzeittätigkeit als Social-Media-Manager der Komischen Oper Berlin. Wo haben Sie die Ruhe gefunden, Ihren Debütroman zu schreiben?
Ich habe dankenswerterweise meine Theaterferien verlängern können und den ganzen Sommer 2017 auf dem Brandenburger Land gelebt und an meinem Roman geschrieben. Dort hatte ich einen sehr ritualisierten Alltag und bin mit der Sonne aufgestanden und zu Bett gegangen. Immer, wenn ich nicht mehr schreiben oder lesen konnte, habe ich mich bewegt: Fahrradtouren, Wanderungen, baden, bis der Kopf wieder frei wurde. In dieser Zeit sind ungefähr zwei Drittel des Textes entstanden. Für das letzte Drittel war es zum Teil sogar hilfreich, einen festen Job zu haben, weil ich mich durch die eingeschränkte Zeit sehr disziplinieren musste, um den Roman zu beenden.
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