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Die Maschine (Die Spin-Trilogie 1)

Die Maschine (Die Spin-Trilogie 1) - eBook-Ausgabe

Andrew Bannister
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Roman

„Andrew Bannister bricht mit seiner Spin-Trilogie in eine wirklich eigene Zukunft auf. Im Hintergrund gibt es ein spannendes Geheimnis welches gelüftet wird und im Vordergrund gibt es eine Heldin, welche keine ist, aber dank ihrer Flucht vor ihrem Vater die Sympathie des Lesers gewinnt. Kleine schnelle Wendungen, viel Verrat und Hinterlist, mehr muss man nicht mögen, um sich hier wohl zu fühlen.“ - forum.scifinews.de

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Die Maschine (Die Spin-Trilogie 1) — Inhalt

Vor hundert Millionen Jahren wurde die Spin-Galaxie erschaffen, eine gigantische Ansammlung aus bizarren Planeten und Sternen. Sie ist das letzte Zeugnis der gottgleichen Erbauer des Universums – doch ein furchterregender Krieg hat die Welten des Spin fast vollständig zerstört. Drei Jahre nachdem er die Rebellion niedergeschlagen hat, festigt Viklun Haas, Oberbefehlshaber der Hegemonie, seine Herrschaft, indem er alle Überbleibsel der Opposition vernichtet. Und er beginnt mit seiner Tochter ... Doch Fleare Haas hat sich lange auf diesen Moment vorbereitet. Es gelingt ihr, aus ihrem Gefängnis im Exil zu fliehen und ihre alten Verbündeten um sich zu versammeln. Gemeinsam müssen sie durch die faszinierende Welt des Spin reisen – zu den letzten umkämpften Planeten und an die Frontlinie des Krieges. Und als auf einem längst vergessenen Planeten ein uraltes Artefakt entdeckt wird, ändert sich alles, für Viklun Haas ebenso wie für die Freiheitskämpfer: denn das Artefakt ist eine Maschine der Schöpfer des Universums ...

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 04.10.2016
Übersetzt von: Simon Weinert
416 Seiten
EAN 978-3-492-97510-0
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Leseprobe zu „Die Maschine (Die Spin-Trilogie 1)“

Der Mond Obel


Klar und kalt dämmerte der tausendunddritte Tag von Fleares Gefangenschaft herauf. Die Steinzinnen des Klosters waren von eisigem Flaum überzogen, und die Ebene fünfzehnhundert Meter tiefer hüllte sich in Nebel. Auf ihrem täglichen Gang die Schattentreppe hinauf blieb Fleare auf halber Höhe stehen und schlang sich die Falten der dünnen Häftlingsuniform enger um den Körper, als würde ihr dadurch wärmer. Aber es half nicht.

Schon seit zwanzig Minuten erstieg sie die Treppe, und ihre Kleidung war klamm vom Schweiß, der allmählich gefror. Ein [...]

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Der Mond Obel


Klar und kalt dämmerte der tausendunddritte Tag von Fleares Gefangenschaft herauf. Die Steinzinnen des Klosters waren von eisigem Flaum überzogen, und die Ebene fünfzehnhundert Meter tiefer hüllte sich in Nebel. Auf ihrem täglichen Gang die Schattentreppe hinauf blieb Fleare auf halber Höhe stehen und schlang sich die Falten der dünnen Häftlingsuniform enger um den Körper, als würde ihr dadurch wärmer. Aber es half nicht.

Schon seit zwanzig Minuten erstieg sie die Treppe, und ihre Kleidung war klamm vom Schweiß, der allmählich gefror. Ein unmodifizierter Mensch hätte bereits erhebliche Schwierigkeiten bekommen, und auch sie stand kurz vor einem Kollaps. Sie zitterte und ging weiter. Bewegung war lebenswichtig. Sie war zweiundzwanzig und fest entschlossen, dreiundzwanzig zu werden. Neben ihr summte leise das längliche und vollkommen graue kleine Ei, das ihr auf Schritt und Tritt folgte.

Tu etwas, versuch mit allen Mitteln, Informationen zu bekommen!

Das Kloster war das älteste Bauwerk auf Obel. Niemand wusste, wer es errichtet hatte. Kloster war nicht der ursprüngliche Name. Eine Geißlersekte hatte sich während des Zweiten Industriezeitalters an diesem Ort niedergelassen und es mehr als tausend Jahre nach seiner Errichtung so benannt. Siebzehn Jahrtausende lang hatte sich der Name erhalten, und auch die derzeitigen Bewohner, die Mitglieder der Strecki-Bruderschaft, behielten ihn bei.

Als ein Durcheinander aus Zikkurats, Kuppeln und Pfeilern erhob sich das Kloster aus der Staubebene. Doch nicht immer senkrecht. Manche Türme ragten auch zur Seite hinaus oder standen kopf, und ein Teil des Bauwerks schwebte ein Stück abseits und drehte sich alle elf Tage wie ein Stundenglas um. Die gesamte Architektur fügte sich in dem rotierenden schlanken Gebetsturm zusammen, der sich auf einer Höhe von fünfhundert Metern so stark verjüngte, dass er kaum breiter war als ein Mensch mit ausgestreckten Armen. Erst später, auf zwei Kilometern Höhe über der Ebene, blähte er sich zur sogenannten Laterne auf.

Mach dir Verbündete! Halt nach Schwachstellen Ausschau, nach Systemen, die unterlaufen werden können! Sowohl biologische als auch technische. Geh mit den Wächtern ins Bett, wenn es sein muss. Was auch immer – Hauptsache, du kannst Informationen senden.

Langeweile war ein Problem. Der Umstand, dass sie das Kloster für sich hatte, war hilfreich gewesen, sich die Zeit zu vertreiben. Fleare verbrachte Tage mit dem Durchforsten der unsortierten Archive, die den Großteil der unteren Stockwerke einnahmen. Dort hatte sie die Geschichte des Klosters und Obels studiert. Zwei Geschichten, die über so viele Jahrtausende parallel verlaufen waren, dass sie wie ein und dieselbe Geschichte anmuteten.

Man erzählte sich, dass im teilweise zerfallenen Kern des Klosters die Überreste eines Tempels begraben lägen, der noch aus den Zeiten vor dem Spin stammte. Oder das konservierte Gehirn und die Genitalien eines wahnsinnigen Gottkönigs. Oder das Geheimnis ewigen Lebens.

Die Fakten waren allerdings prosaischer. Das Bauwerk besaß eine Energiequelle unbekannter Art, die immer noch funktionierte, sowie eine offenbar senile KI, die mehrere tote Sprachen beherrschte und jede neunte Frage mit einer Unflätigkeit beantwortete. Fleare unterhielt sich gern mit der KI und vermutete, dass sie weniger senil war, als sie zu sein vorgab. Denn von Zeit zu Zeit schien sie sich zu vergessen und wurde klar und auf seltsame Weise sogar sanft. Danach überspielte sie den Lapsus stets mit einem Schwall von Obszönitäten.

Andere Gefangene gab es nicht. Was die Strecki über Fleare wussten, reichte aus, um sie einer ganz eigenen Sicherheitsstufe zuzuordnen. Schon während des Gefangenentransports war sie allein gewesen. Als die quietschende, Rauch speiende Maschine an das Eingangstor angedockt hatte – mit einem Krachen, das sie umgeworfen hatte –, hatte niemand sie in Empfang genommen.

Eine schwebende Kugeldrohne, ungefähr doppelt so groß wie ihr Kopf, hatte sie durch die Korridore geführt. Die Drohne roch stark nach Ozon, und Fleare hatte sich nach dem Grund gefragt. Bis sie zum ersten Mal langsamer geworden war. Da hatte die Drohne sie sanft angestoßen, und der Stromschlag hatte sie fast umgeworfen.

„Wo sind denn alle?“, hatte sie in der Empfangszelle gefragt. Der untersetzte kleine Mönch hatte an seiner fleckigen Kutte gezerrt und so lebhaft mit den Augen gerollt, dass seine dunkelgelbe Lederhaut zum Vorschein gekommen war. „Du bist alle“, hatte er ihr erklärt. „Einzelhaft. Niemand will sich auch nur in die Nähe einer dreckigen Schlampe wie dir aufhalten. Selbst die Wächter wagen sich nicht weiter als bis zum Zweiten Kreis herein. Deshalb musst du dich allein unterhalten. Ich weiß schon, was ihr stinkenden Luder so treibt.“ Er leckte sich die Lippen. „Es gibt Kameras.“

Fleare unterdrückte ein Schaudern. „Stehst du nicht eher auf Knaben?“, fragte sie unschuldig.

Er grinste und zeigte schwarze Zähne. „Sag, was du willst“, erwiderte er. „Dein Lösegeld beträgt zehn Milliarden Standards. Solange niemand diese Summe aufbringt, bist du auf dich allein gestellt. Doch nein, nicht ganz.“ Er winkte in Richtung Zellentür. „Hier hast du ein wenig Gesellschaft.“

Fleares Blick folgte seiner Bewegung, und sie entdeckte ein ebenmäßiges graues Ei, das in Kopfhöhe schwebte. Es summte, und obwohl das Geräusch leise war, fuhr Fleare das nackte Grauen durch Mark und Bein. Sie wandte sich wieder dem Mönch zu, der jetzt sogar noch breiter grinste.

„Daran solltest du dich gewöhnen“, riet er ihr. „Der folgt dir ab sofort auf Schritt und Tritt, was immer du tust. Und er zieht dir binnen zehn Sekunden die Haut ab. Pass auf!“

Er drückte auf einen altmodischen Schalter in der Wand neben sich. In der Zelle wurde es dunkel, und auf der gegenüberliegenden Wand erschienen Bilder.

Fleare hielt knappe dreißig Sekunden durch, bevor sie sich übergeben musste.

Was ihr die Mönche antäten, wenn sie nicht nur einen Teil der Wahrheit, sondern alles erführen, wollte Fleare sich gar nicht ausmalen.

Ganz offensichtlich wussten sie sich gut zu unterhalten. Auch wenn nichts so raffiniert war wie das schwebende kleine Ei, und auch das ließ sich auf feinsinnige Weise einsetzen. Manchmal, vor allem in der ersten Zeit, war sie auf der harten Pritsche und unter der stinkenden dünnen Decke aus unruhigem Schlaf aufgeschreckt und hatte … nichts gehört. Kein Summen. Rasch hatte sie sich aufgesetzt und in der Zelle umgesehen. Mit irrem Herzschlag hatte sie das Ding zu orten versucht, hatte mit ihrem künstlich gesteigerten Gehör in die Stille gelauscht, bis nichts mehr still gewesen war und die Dunkelheit sich mit Brummen und Zischen gefüllt hatte, dem Grundrauschen ihrer eigenen Ohren.

Dann war das Ding neben ihrem Kopf aufgetaucht und hatte so plötzlich und laut losgesummt, dass sie heftig zusammengezuckt war und sich dabei einen Bauchmuskel gezerrt hatte.

Das mussten die Mönche irgendwie bemerkt haben. Denn am nächsten Tag hatte mit dem Essen etwas nicht gestimmt. Zwar sah es nicht übler aus als sonst, und es schmeckte auch nicht schlimmer, aber einige Stunden später musste Fleare sich übergeben. Sie stürzte zur Toilettengrube in der Ecke ihrer Zelle und brach dort kotzend auf den Knien zusammen. Jeder Würgekrampf zerrte an ihrem verletzten Muskel, und sie heulte, als ihr die Galle hochkam.

Schließlich schlief sie eine Weile, und als sie erwachte, stellte sie fest, dass sich die Schikane verändert hatte. Denn nun brach übel riechender Dünnschiss aus ihr heraus, und ihr blieb nichts anderes übrig, als auf den Boden zu kacken, denn während ihres Schlafs hatte sich die Toilettengrube geschlossen.

Denk daran, dass beinahe alles eine Information sein kann. Selbst nur ein wiederkehrendes Verhaltensmuster, falls du sonst nichts herausbekommst.

Die Misshandlungen der ersten Zeit hatten nachgelassen. Sie hatte gelernt, nicht weiter auf die Abwesenheiten des Eis zu achten, und nach einer Weile schien es aufgegeben zu haben. Inzwischen gab es sich damit zufrieden, einen Meter über ihrem Kopf zu schweben, wenn sie schlafen wollte. Dabei neigte es sich ein wenig, bis das klingenbesetzte Ende des Gehäuses auf ihren Schritt wies. Bei dem ständigen Summen fand sie so gut wie keine Ruhe. Und wenn sie dann doch eingeschlafen war, wurde sie nach kurzer Zeit vom Hunger geweckt.

Ein einziges Mal hatte sie vor Wut nach dem Ding geschlagen. Nur ein einziges Mal. Eine violette Lichtzunge war aus dem vorderen Teil des Gehäuses hervorgeschossen, zu schnell für das Auge, und dann hatte sie sich die Hand im Schoß gehalten, während aus ihrem halb abgetrennten Finger ein Blutschwall hervorgequollen war. Unweigerlich hatte sich die Wunde eitrig entzündet. Und selbst ein Jahr später war sie noch nicht ganz verheilt gewesen.

Wir werden dich beobachten.

Fleare hoffte, dass das noch jemand tat.

Gegen Ende wandte sich die Schattentreppe nach innen und führte durch einen schmalen Durchgang ins Innere des eigentlichen Turms. Nach einigen weiteren Stufen gelangte sie auf einen breiten Absatz und hatte Milliens Wacht erreicht.

Wer oder was Millien gewesen war, blieb wie so vieles im Innern des Turms im Dunkel. Bekannt war offenbar nur, dass die Wacht nach Fertigstellung des Turms geschaffen worden war. Denn während der Rest rätselhafterweise keinerlei Spuren aufwies, fanden sich auf den Innenwänden der Wacht unregelmäßige schwache Werkzeugspuren, fast so, als hätte sich etwas durch den Turm hindurchgenagt.

Darüber hinaus war offensichtlich, dass die Schaffung der Wacht eigentlich dazu hätte führen müssen, dass der Turm wie ein gefällter Baum umfiel.

Man nehme einen runden Turm, durchlöchere ihn mit etwas Rechteckigem, das ein wenig breiter ist als sein halber Durchmesser und doppelt so hoch wie ein durchschnittlicher Mensch, drehe das Ganze um neunzig Grad und wiederhole diesen Vorgang.

Die vier Säulen, die an den Ecken der Wacht verblieben waren, erwiesen sich wunderbarerweise – dämlicherweise – als zu dünn, um die hundert Meter Turm zu tragen, die darauf lasteten, ganz zu schweigen von dem unbekannten Gewicht der Laterne. Beim ersten Anblick der Säulen war Fleare heftig zusammengezuckt und hatte damit gerechnet, dass das enorme Gewicht sie Zweidimensionalität lehren würde. Inzwischen zuckte sie nur noch innerlich zusammen, aber ganz ließ sich diese Reaktion nicht abstellen.

Halb unbewusst holte sie tief Luft und trat auf die Plattform hinaus. Dabei rieb sie sich die Handflächen und knetete die Finger. In dieser Höhe würde sie innerhalb von zwanzig Minuten Erfrierungen erleiden, ganz gleich, was sie tat, aber wenn sie sich nicht bewegte, würde es noch früher passieren. Es war bereits das tausendste Mal – das Jubiläum war ihr nicht entgangen –, und noch besaß sie alle ihre Finger.

Ihre Beinmuskulatur fühlte sich heiß und gleichzeitig kalt und taub an. Die Kraftlosigkeit wurde immer schlimmer. Wenn sie so mutig war und darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass man sie verhungern ließ, und zwar so langsam wie möglich. Dies war ein Punkt auf einer immer länger werdenden Liste von Fakten, über die sie nicht nachzudenken wagte.

Über Höhen nachzudenken, war in Ordnung. Denn Höhen lenkten ab. Als sie zum ersten Mal auf die Wacht gekommen war, hatte der Anblick des ungeschützten Abgrunds panischen Schwindel bei ihr ausgelöst, der erst wieder abgeklungen war, als sie sicher auf den unteren Terrassen angelangt war. Bei ihrem nächsten Aufstieg hatte sie eine Spule leichtes Seil mitgebracht, welches das Kloster nicht mehr brauchte und das seit Jahrhunderten eingestaubt herumlag. Mit teils geschlossenen Augen hatte sie es an den vier Pfeilern festgebunden und damit ein Geländer markiert, das ungefähr in Hüfthöhe um die Plattform herumlief.

Am nächsten Tag war es verschwunden gewesen. Noch zweimal hatte sie es in den darauffolgenden Tagen ersetzt, immer mit demselben Ergebnis.

Nachdem sie es ein drittes Mal angebracht hatte, entdeckte sie einen geschützten Balkon am unteren Ende der Schattentreppe und ließ sich dort mit einer Flasche heißem Wasser und einem Beutel jener bitteren Kräuter nieder, die die Strecki für alles verwendeten. Sie kochten Tee daraus, würzten die Speisen damit und rauchten die Blätter. Das Einzige, was Fleare im Überfluss bekam, waren diese Kräuter, wahrscheinlich weil sie keinerlei Nährwert enthielten. Bis spät in den Abend hinein hielt Fleare Ausschau, bis die Treppe dick mit unüberwindbarem Frost überzogen war. Doch sie entdeckte niemanden.

Am nächsten Tag war das Seil verschwunden. Fleare kam zu dem Schluss, dass der Turm selbst etwas gegen das Seil hatte und es entfernt haben musste. Wie, vermochte sie sich nicht zu erklären. Das war ihr jedoch gleichgültig. Die Schutzlosigkeit erschien ihr immer auch ein wenig wie eine Einladung. Nicht, dass sie diese jetzt schon annehmen wollte – vielleicht würde sie sie nie annehmen. Aber sie brauchte die Gewissheit, dass eine Einladung vorlag. Bis auf Weiteres war sie vermutlich in der Lage, sich weiterhin zu dem Aufstieg zu zwingen. Sollte allerdings der Tag kommen, an dem sie so schwach wäre, dass sie den Abstieg nicht mehr schaffte, dann wäre Fliegen, wenn auch nur über kurze Distanz, ein ruhmvolleres Ende als das Erfrieren. Aber noch nicht.

Die dünne alte Luft war trocken und sehr klar. Da die Umrisse der Sonne nicht getrübt oder verschwommen waren, stand sie als winzige blassrosa Scheibe am gleichförmig blauschwarzen Himmel. Zumindest war der Himmel sonst immer gleichförmig. Doch an diesem Morgen hatte sich etwas verändert. An einer bestimmten Stelle war der Himmel diesig, und Rauch schien von einem fernen Feuer aufzusteigen.

Wir beobachten dich. Und eines Tages werden wir kommen, wie lange es auch dauern mag.

Der Rauch bewegte sich, wirbelte auf den Turm zu und wand sich um den Pfeiler, der Fleare am nächsten war. Da bemerkte sie, dass es kein Rauch war. Eher so etwas wie feiner schwarzer Staub. Staub, der sich bewegte.

Reflexartig trat sie einen Schritt zurück und warf einen Blick auf das schwebende Ei. Sein Summen wurde lauter, und aus dem vorderen Ende seines Gehäuses fuhr eine veilchenblaue Lichtzunge hervor. Genau wie in dem Video.

„Mist!“ Fleare wich zurück. Doch dann blieb sie stehen und wandte sich um, denn ein anderes Geräusch, ein lautes Brummen, erfüllte die Wacht.

Der Staub löste sich von dem Pfeiler und umschwirrte das Ei wie ein Insektenschwarm. Aus dem Brummen wurde ein Kreischen, dann verstummte es.

Das Ei war verschwunden.

Aufs Neue formte sich die Wolke, diesmal sah sie jedoch um einiges größer aus.

Dann sprach die Wolke mit einer Stimme wie rieselnder Sand.

„Fleare?“

Fleare starrte auf die Wolke und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Du bist nicht echt“, sagte sie. „Du bist eine Täuschung.“

Mittlerweile schmerzten ihre Beine heftig. Sie konzentrierte sich auf die Schmerzen. Realitäten waren sicherer als Täuschungen oder, schlimmer noch, als Halluzinationen. Wenn sie bereits halluzinierte, dann war es womöglich an der Zeit, das Fliegen nicht länger aufzuschieben.

„Ich bin echt. Fleare? Du siehst nicht sehr gut aus.“

„Mir geht’s gut.“ Das war eine dumme Leugnung, aber diese Behauptung und die Schmerzen waren alles, was ihr geblieben war. Sie wollte in die Hocke gehen und bewegte sich mit dem Gesäß nach unten, doch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr, und sie fiel so jäh nach hinten, dass sie mit der Lendenwirbelsäule auf den Boden krachte. Ich falle auseinander, dachte sie, und plötzlich wollte sie der Täuschung glauben. Zumindest war sie zu gleichgültig, um es nicht zu tun. Sie sah zu der Wolke auf.

„Muz? Bist du’s?“

„Natürlich. Oder kennst du noch andere sprechende und umherfliegende Wolken?“

Sie nickte und stützte sich auf dem Ellbogen ab. „Nun, es wird auch höchste Zeit, verdammt“, quengelte sie. Dann rutschten die Arme unter ihr weg, sie landete auf dem Rücken, und der letzte Atem wurde ihr aus den Lungen gepresst.

Die Wolke schwebte neben ihr herab, und sie spürte einen Stich im Unterarm.

„Was …?“

„Pst! Aufputschmittel, Schmerzmittel, Vitamine, Zucker, ein Kreislaufmittel. Du bist unterernährt und stehst kurz vor dem Kältetod.“

„Ohne Scheiß.“ Das Zeug wirkte schnell. Ihr Kopf wurde klarer. Sie versuchte sich aufzusetzen, und diesmal erschien es ihr machbar, doch schreckten ihre wiedererwachten Sinne vor der Kälte zurück. „Danke“, fügte sie leise hinzu.

„Schon in Ordnung.“

Fleare prickelte es in den Augen. Sie hob eine Hand und fuhr sich damit über das Gesicht. „So“, sagte sie. „Da du endlich aufgetaucht bist, sollten wir dann nicht besser mal verduften? Gewiss hast du Vorkehrungen getroffen, wie wir von diesem Steinhaufen verschwinden können, wenn wir es überhaupt so weit schaffen.“

„Ja.“ Die Wolke neigte sich nach vorn, als würde sie nicken. „Dort draußen gibt es einen netzgetarnten Orbiter, in zehn Sekunden Entfernung.“

„Gut.“ Sie stand auf und testete ihre Beine aus. Offenbar waren sie in Ordnung, weshalb sie sich umwandte und auf die Schattentreppe zuging. „Und tarn dich! Du bist zu auffällig“, sagte sie über die Schulter hinweg.

Sie vernahm keine Antwort, doch nach einigen Stufen die Schattentreppe hinunter schmiegte sich etwas an ihre Seite. Sie fuhr zusammen und sah nach unten.

„Oh, sehr lustig“, sagte sie.

Irgendwie schaffte es die Nachbildung eines Dildos, unschuldig zu ihr aufzublicken. „Was?“

Langmütig atmete sie aus. „Ich meinte, dass du dich als etwas tarnen solltest, das …“ Ungeduldig wedelte sie mit der Hand. „Das sich einfügt.“

„Äh. Nun gut, wie wär’s damit?“ Der Phallus löste sich in Flecken auf und setzte sich zu einer neuen Form zusammen.

Fleare betrachtete das Gebilde. Es war eine Kopie des Eis, auch wenn sie irgendwie robuster aussah als das Original. „Ja“, bestätigte sie leise. „Dieser Anblick ist besser.“

Die Kopie kicherte. „Oh, glaub mir, das ist mehr als nur ein Anblick.“ Das Ei schwebte bis auf Augenhöhe nach oben. „Sollen wir einige Mönche zum Spielen suchen?“ Das Ei kicherte, und am vorderen Ende flackerte eine winzige veilchenblaue Flamme auf und verschwand wieder.

Fleare musste ein Zittern unterdrücken. „Ja“, stimmte sie zu und holte tief Luft. „Lass uns das machen. Nebenbei gefragt, Muz, bist du eigentlich immer noch …?“ Unsicher stockte sie.

„Geisteskrank?“ Wieder kicherte das Ei. „O ja, auf jeden Fall. Ziemlich durchgeknallt. Verrückt wie ein Sack voller Skorpione. War die Sache mit dem Dildo nicht schon ein ausreichend deutlicher Hinweis?“ Sein Ton wurde besorgter. „Macht es dir etwas aus?“

Sie schüttelte den Kopf. „Im Moment beruhigt es mich eher. Und es tut wirklich gut, dich wiederzusehen.“

„Hast du mich besucht, als ich im Glas steckte?“

„Ja. Aber nur einmal, bevor sie mich hierherbrachten.“

„Ich war mir nicht sicher, ob es nur ein Traum war.“

„Es war kein Traum.“ Kurz starrte sie ins Leere. Dann schüttelte sie sich. „Lass uns gehen!“

„Jawohl, Captain.“

„Sei nicht sarkastisch!“ Sie hielt inne. „Wie auch immer, du warst schon länger dabei als ich, als wir uns das erste Mal begegnet sind.“

„Ja, ich weiß. Drei Jahre.“

„Jetzt bin ich schon drei Jahre hier. Fast vier Jahre, seit ich zu euch gestoßen bin.“ Sie stieg die Treppe hinunter, und ihre Gedanken schweiften in jene Zeit zurück, ob sie wollte oder nicht.


Also, fast vier Jahre früher: Vor sechzehn Tagen hatte sie sich der rasch wachsenden Miliz der Anderen Gesellschaft angeschlossen. Genau zum Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit, was bedeutete, dass ihre Familie es nicht mehr verhindern konnte. Vor acht Tagen war sie im Ausbildungszentrum angekommen. Und vor einem Tag hatten die Rekruten beschlossen, dass sie ihre letzte freie Zeit vor der umfassenden Ausbildung am besten damit verbrachten, sich viele, viele berauschende Mittelchen einzuwerfen.

„Was?“

„Was ist mit den Mods?“

Sie waren in der Raucherbar des Hundepimmels. Fleare wusste nicht genau, wie sie dort gelandet waren. Jedenfalls hielten sie sich schon lange in der Bar auf.

„Entschuldige. Ich verstehe dich nicht. Dieser Scheißlärm hier!“

Fleare seufzte, lehnte sich zur Seite und hielt den Mund dicht an Kelks Ohr. „Ich sagte: Was ist mit den Modifizierungen?“

Kelk grinste und stellte sein Glas ab. „Ich will einen voll krassen Schwanz!“

Sie versetzte ihm einen sanften Klaps. „Im Ernst.“

„Geht nicht, ich bin besoffen.“ Er musterte sie beunruhigt. „Du doch auch. Wie kommt’s, dass du ernst sein kannst, während du knülle bist?“

Wieder hob sie die Hand, und er wich in gespielter Angst zurück. Dabei stieß er seinen Drink um. „Mist!“ Tollpatschig tupfte er in der Spirituosenpfütze herum, bevor er wieder zu Fleare aufsah. Doch sein Blick war unstet. „Ich will immer noch einen Mordsschwanz.“

Fleare seufzte erneut und lehnte sich zurück. Sie war betrunken, sicher, aber Kelk hatte sie locker abgehängt. Auch die meisten anderen hatten sie längst überholt. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, in dem Qualm die altmodische Uhr über der Bar zu entziffern, und zuckte zusammen. Vier Stunden. Anfangs hatte es noch nach einer guten Sache ausgesehen.

Sie drehte sich zu dem Mann auf der anderen Seite um und stieß ihm gegen die Schulter. „He!“

Erst irrte sein Blick umher, dann blieb er an ihr hängen. „Oh, hi, Fle. Geiler Abend, hä?“

„Ja.“

„Diese Jungs … und du auch … Ich finde, dass es zwischen uns so richtig klickt, wie?“ Er wedelte mit der Hand. „Als wären wir schon Jahre zusammen. Und nicht nur ein paar Tage.“

„Klar.“ Sie nickte behutsam und lehnte sich noch mehr zu ihm hinüber. „Hör mal, Muz, hast du darüber nachgedacht, dich modifizieren zu lassen?“

Er schürzte die Lippen. „Was? Dieses Nanodingens-Gentechnozeugs?“

„Ja, genau das.“ Sie musterte sein Gesicht. „Und, hast du?“

Er griff nach seinem Glas, betrachtete es und hielt es kopfüber über den Tisch. „Leer. Siehst du? Leer!“ Er hob das noch immer umgestülpte Glas und brüllte zur Bar hinüber. „Oi! Ich brauche hier mal dringend Hilfe. Durstiger Soldat in Not, vielen Dank.“ Er stellte das Glas ab, wandte sich wieder an Fleare und glotzte ihr ins Gesicht. „Was?“

Sie verkniff sich ein Lächeln. „Du bist nicht durstig, sondern besoffen.“ Er nickte gewichtig, und sie sprach weiter. „Und du bist kein Soldat – noch nicht. Du bist Kadett. Trotzdem könnten sie dich auf der Stelle aus dem Dienst werfen.“

„Nee, das sollten sie nicht tun. Denn wenn sie mich rauswerfen würden, täte es dir das Herz brechen. Au!“ Er zuckte zusammen und befreite seine Rippen von Fleares Ellbogen. „Außerdem kann man auch so dabeibleiben.“ Er sah ihr unverwandt in die Augen, und sein Blick schien plötzlich nüchterner zu werden. „Wenn du dich modifizieren lässt, bist du auf Lebenszeit dabei. Das ist dir doch klar, oder?“

Sie wich seinem Blick nicht aus, doch dann betrachtete sie ihren Drink. „Ja“, sagte sie. „Das stimmt.“

„Hmmm.“

Der Boden zitterte. Muz warf den Kopf herum, um auf die alte Uhr zu sehen. „Ah“, sagte er. „Es dampft. Das passiert nur alle zehn Jahre mal. Wirklich ein Zufall, dass wir ausgerechnet heute unseren letzten freien Tag haben. Willst du es dir ansehen?“

Dankbar nickte sie. „Klar“, erwiderte sie. Sie stand auf und hielt sich am Tisch fest, weil ein stärkerer Erdstoß die Bar erschütterte. „Lass uns gehen!“ Sie klopfte Kelk auf die Schulter. „Komm schon, Suffkopf!. Die Show beginnt. Wir sehen sie uns an. Kommst du mit?“

Kelks Kopf lag auf dem Tisch. Er hob ihn in dem Moment, als der Barkeeper einen neuen Drink vor ihm abstellte. „Ah“, sagte er. „Entscheidungen. Dampfteil angucken oder trinken.“ Er legte einen Finger auf den Rand des vollen Glases und schwenkte es in Richtung Tür. „Trinken – Gucken. Gucken – Trinken. Trink – Guck …“ Er runzelte die Stirn und verlor den Faden.

Fleare musterte Muz und zuckte mit den Achseln. Dann hob sie das volle Glas und hielt es dem verdutzten Kelk vor das Gesicht. „Trink!“, schlug sie vor. Strahlend nahm er das Glas entgegen. Dann drehte sie sich um und folgte Muz zur Tür hinaus. Wieder wackelte alles. Hinter ihr war ein Schlag zu hören, als ob jemand vom Stuhl gefallen wäre. Sie blickte nicht zurück.

Auf den Balkonen vor der Bar ging es eng zu. Muz bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durchs Gedränge. Fleare folgte ihm und widerstand dem Drang, sich zu entschuldigen. Allerdings nickte sie einigen Leuten zu, die sie während des Shuttleflugs getroffen hatte. Muz blieb erst stehen, als er an dem knorrigen Holzgeländer des Balkons angekommen war. Fleare gesellte sich zu ihm und hielt sich am Geländer fest.

Dampfschwaden ringelten aus der Tiefe herauf und wanden sich um die mächtigen Pumpbäume. Ihre wasserumtosten glatten Stämme umstanden das Bargebäude in einem dichten Kreis. Durch den warmen Nebel spähte Fleare zum Blätterdach der Regenknospen hinauf, das hundert Meter über ihrem Kopf schwebte. Selbst aus dieser Entfernung wirkten die rötlich braunen Knospen aufgedunsen.

Der Balkon wurde erschüttert, so stark, dass mehrere weniger Standhafte in die Knie gingen. Doch die meisten konnten sich halten. Muz nickte. „Jetzt kommt’s“, sagte er und streckte die Hand aus. „Willst du dich an mir festhalten?“

Sie schüttelte den Kopf und umklammerte das Geländer noch fester. Im selben Moment fielen die ersten Regentropfen.

Als sie diesen Ort vor acht Tagen zum ersten Mal vom All aus gesehen hatte, war er ihr wie ein Sturm erschienen – oder wie ein Pickel oder eine Zielscheibe. Eine deutlich erhobene rostfarbene Scheibe auf einem langweiligen, gelbbraunen kleinen Planeten. Man hätte ihm alle möglichen Namen geben können. Letztlich hatte sich die Mehrheit auf „Nippel“ geeinigt, was noch einer der höflichsten Spitznamen war.

„Krass, was?“

Sie wandte den Blick vom Beobachtungsbildschirm ab und musterte den Mann, der sie angesprochen hatte. Er war hochgewachsen, sehr schlank und trug eine Brigadeuniform. Nur war sie schon verblichen, und das aufgenähte Schulterabzeichen machte deutlich, dass er bereits ein Jahr lang dabei war. Sie richtete sich auf, lächelte und machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Kein Gruß!“, sagte er. „Ich bin nur ein Pluskadett, kein richtiger Offizier. Außerdem blicke ich in der Hierarchie sowieso nicht durch.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Muzimir fos Gelent. Muz.“

Sie schüttelten sich die Hände. „Fleare Haas. Fleare.“ Seine Finger waren trocken und kräftig.

Er deutete auf den Planeten. „Schon ziemlich krass und auch irgendwie ein bisschen geil. Das ist am Ende des Zweiten Maschinenkriegs passiert.“

„Passiert?“ Fleare betrachtete den kleinen Planeten genauer, der den Bildschirm immer weiter ausfüllte, während das Shuttle in seine Umlaufbahn eintrat. „War er denn nicht schon immer so?“

„Nee.“ Der Soldat stieß sich vom Geländer ab. „Hör mal, wir werden frühestens in einer Stunde für den Transfer angekoppelt. Darf ich dir einen Drink spendieren?“

Sie betrachtete ihn einen Moment lang. „Willst du mich abschleppen?“

Er grinste. „Ha, ertappt! Sehr unangemessen. Missbrauch meines Rangs.“ Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu, warf ihr jedoch einen betont unauffälligen Seitenblick zu. „Aber egal – darf ich dir einen Drink spendieren?“

Es war eine lange Reise, redete Fleare sich ein, und die Luft an Bord des ächzenden kleinen Militärshuttles roch ölig und beißend. Natürlich hatte sie Durst. Die Finger und das Grinsen hatten damit nichts zu tun. Selbstverständlich nicht.

„Gern“, sagte sie.

Im Shuttle gab es keine Bar, nur Automaten, an denen man höchstens einen Fruchtsaft und Kräutertee bekam. Muz stellte sich vor einen der Automaten, zog seinen Kreditchip durch das Lesegerät und hob den Blick zur Anzeige. „Wer hätte das gedacht? Anscheinend habe ich noch was auf meinem Konto. Idioten!“ Er drehte sich zu Fleare um. „Was nimmst du?“

Sie entschied sich für einen sauren Chai, und Muz nahm auch einen. Mit den Getränken bahnten sie sich einen Weg durch die Menge meist menschlicher Passagiere zurück zum Aussichtsbildschirm. Fleare nippte und verzog den Mund, als sie den herben Geschmack auf der Zunge spürte. „Igitt.“ Sie wandte sich an Muz. „Also, dann erzähl mir was über Nippel! Das lenkt mich vielleicht von diesem Zeug hier ab.“

„Ha!“ Auch er trank einen Schluck und starrte entsetzt auf das Glas. „Ja, das ist echt eine Herausforderung.“ Er zuckte mit den Achseln und zog eine Grimasse, als wolle er seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. „Eigentlich gibt es nicht viel zu erzählen. Es war ein langweiliger kleiner Planet mit ein paar unterirdischen Wasservorkommen und gerade genug Atmosphäre, um eine Handvoll Eigenbrötler zu versorgen, die ein ruhiges Leben führen wollen. Keine einheimische Fauna. Millionen Jahre heiterstes Leck-mich-am-Arsch-Dasein. Dann wurde es interessant.“

Er konnte gut erzählen. Ein Talent, das Fleare bei Männern schätzte. Sie lauschte.

Die Geschichte fing vor zweitausend Jahren an. Damals hörte Nippel auf den weitaus prosaischeren Namen Salamis 1. Salamis war ein gelblicher kleiner Stern in der dritten Schale des Spin, weitab von allem, was nützlich oder interessant war. Die Gesamtbevölkerung des einzigen Planeten erreichte ihren Höchstpunkt bei fünfhundert stinkenden Einsiedlern in fünfhundert stinkenden Hütten. Die Gesamtausfuhr entsprach der Gesamteinfuhr und belief sich auf null. Begrenzter Pflanzenwuchs erlaubte es den Unbeirrbaren, Ackerbau zu betreiben, solange sie bereit waren, primitiven Mais und stärkehaltige, zähe Wurzeln als Nahrung zu bezeichnen.

Die zahlreichen Kriege, die in diesem Sektor in jener Zeit auszubrechen pflegten, wirbelten stets um den kleinen Planeten herum, ohne mit ihm in Berührung zu kommen. Nicht nur entbehrte Salamis jeglicher nützlicher Eigenschaften, es besaß zudem nicht einmal eine strategisch wertvolle Lage.

Weshalb beim besten Willen nicht vorstellbar war, wieso irgendjemand versuchen sollte, Salamis zu zerstören.

Fleare runzelte die Stirn. „Zerstören?“

Muz wedelte sich mit der Hand vor dem Gesicht herum. „Nun, so hatte es wenigstens den Anschein, auch wenn es wahrscheinlich ein Unfall war.“ Er leerte sein Glas und stellte es erleichtert ab. „Hast du schon einmal von einer Spezies namens Zeft gehört?“

Sie zog die Brauen zusammen. „Vielleicht. Hilf mir auf die Sprünge! Ich kann mich im Augenblick nicht erinnern.“

„Das überrascht mich wenig. Es war nicht gerade ihre Sternstunde. Eher ihr letztes Stündlein.“ Er hob die Schultern. „Kleindarsteller. Jedenfalls haben das alle geglaubt.“

Fleare nickte. Nun fielen ihr Einzelheiten ein, die Muz’ Geschichte vervollständigten. Die Fragmente der kostspieligen Erziehung, auf die sie so hartnäckig nichts gegeben hatte, setzten sich nach und nach zusammen. Mist!, dachte sie. Dann habe ich Daddys Geld doch nicht so unnütz verschwendet, wie ich annahm. Künftig muss ich mich mehr anstrengen.

Die Zeft waren humanoid gewesen und auf eingeschränkte und sinnlose Weise aggressiv. Auf der Basis einfachster geraubter Technologien hatten sie ein scheußliches Imperium geschaffen, das sich über zehn Planeten in fünf Systemen erstreckt hatte. Dazu ein rigides Kastensystem und Sklavenhandel. Einige Jahrhunderte lang vermochten sie ihr Imperium zu halten, indem sie den wahren Mächten des Sektors aus dem Weg gingen. Stets hatte es im Spin zwei oder drei Zeft gegeben, und man wurde am besten mit ihnen fertig, wenn man sich die Nase zuhielt und weiterging.

Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, war während einer der letzten Schlachten des Zweiten Maschinenkriegs eine Kriegsflotte der Zefts aufgetaucht, von der niemand zuvor gewusst hatte. Sie erklärte, dass sie sich der Seite anschloss, die sich bereits als Sieger herauskristallisierte, sandte den Bewohnern von Salamis 1 ein undeutliches Warnsignal – und feuerte etwas ab.

Wahrscheinlich sollte es eine Überraschung sein und die Auswirkung war für die Zeft vermutlich ebenfalls höchst überraschend, wenn auch nicht für lange. Was immer es war, es ließ einen Plasmaball von hunderttausend Kilometer Durchmesser entstehen, dessen Zentrum die Flotte darstellte. Als er sich aufgelöst hatte, waren die Zeft schlichtweg verschwunden.

Fleare starrte Muz an. „Einfach verschwunden? Es blieb nichts übrig?“

„Nichts. Nicht einmal Staub. Nur ein Haufen heißer Atome.“

„Scheiße.“ Sie dachte einen Moment lang nach. „Was zum Teufel war das?“

„Die Waffe? Das weiß keiner. Natürlich wird die Gegend noch heute erforscht. Aber höchstwahrscheinlich gabelten die Zeft ein Artefakt aus dem Ersten Maschinenkrieg oder vermutlich sogar aus der ursprünglichen Konstruktionsphase auf. Sie gingen davon aus, dass es ihnen einen Weg zur Unsterblichkeit ebnen würde, und die Beweisführung war dann katastrophal.“

Fleare nickte. Manchmal tauchten Artefakte auf. Heutzutage musste man sie der Hegemonie übergeben, wenn man sich keinen empfindlichen Sanktionen aussetzen wollte. Meistens waren die Artefakte entweder nutzlos oder nicht entschlüsselbar, doch es blieb immer ein gewisses Risiko, dass etwas Mächtiges passierte.

Fleare richtete den Blick auf den Bildschirm. „Und was hat das damit zu tun?“ Sie machte eine Handbewegung in Richtung der rötlich braunen Aureole und runzelte die Stirn. Es sah wirklich wie ein Nippel aus.

„Ach, das.“ Muz stützte sich tief über das Geländer, als wolle er den kleinen Planeten genau untersuchen. „Ich sagte, dass nach dem Feuerball nichts mehr übrig blieb. Das war nicht ganz korrekt. Etwas schoss aus ihm hervor. Etwas Kleines, sehr Schnelles und sehr Heißes, höchstwahrscheinlich ein Zefttrümmerteil. Was immer es war, es hatte ein Höllentempo drauf und bohrte einfach mal ein Loch in die Planetenkruste. Dadurch ist ein Haufen magmatisches heißes Wasser ausgetreten und … nun ja, das hier entstanden.“ Er beschrieb mit den Händen einen Kreis. „Ein ganz neues Ökosystem mit einem Durchmesser von fünftausend Kilometern, das auf warmem Wasser beruht. Pumpbäume, heiße Quellen, Regenhaie. Mittendrin eine Kneipe. Ziemlich cooler Laden. Wenn wir dort sind, zeige ich ihn dir. Wenn du willst.“

Sie betrachtete erst den Planeten, dann Muz. „Ich will.“

Und jetzt, acht Tage später, befanden sie sich mitten im Nippel. Der Regen wurde stärker, und die Erde bebte anhaltend, während hundert Geysire dampfendes, mineralreiches Wasser in die Höhe schossen. Die Fontänen spritzten von unten gegen die Terrasse, und kleine Wasserstrahlen fanden ihren Weg zwischen den Ritzen der Planken hindurch. Die warme, feuchte Luft roch nach Salz, Laubkompost und nassem Holz.

Muz stieß sie an. Er wies nach oben. „Sieh nur!“, sagte er. „Der explodiert gleich. Siehst du?“

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den Pumpbaum im Nebel, auf den er deutete. Die Regenknospen in seiner Krone zitterten. Eine Gruppe Schimpansen, die aufgrund ihrer Tarnung unsichtbar blieben, solange sie sich nicht bewegten, kreischten wie auf ein Kommando los und sprangen vom Baum herab.

Die aufgeblähten Knospen schwollen sichtbar an. Und dann platzten sie.

Durch die Erschütterung geriet die Terrasse ins Wanken. Rings um Fleare und Muz wurden reihenweise Menschen umgeworfen und landeten der Länge nach auf den rauen Dielen. Die meisten blieben liegen, hielten sich am Geländer oder aneinander fest, während sich Ströme von süßem Wasser über sie ergossen, das sich mit Pflanzensaft vermischt hatte.

Es wirkte wie eine Kettenreaktion. Ein Baum steckte den anderen an, bis der ganze Hain rauschte und Wasser zu verspritzen schien.

Fleare gelang es irgendwie, auf den Beinen zu bleiben. Gegen den prasselnden Regenvorhang kniff sie die Augen zusammen. Verschwommen nahm sie wahr, wie Schwärme von verzweifelten Optimistfischen an den Sturzbächen hinaufklettern wollten. Kaum einem von tausend würde es gelingen, so hoch zu gelangen, dass er ein befruchtetes Ei in einer der entleerten Knospen absetzen konnte. Die Eier, die es schafften, würden ein Jahr brauchen, um durch die Entwässerung der Pumpbäume wieder nach unten transportiert zu werden. Und dann würde es noch einmal neun Jahre dauern, bis die Fische geschlechtsreif waren, gerade rechtzeitig für die nächste Regensaison.

Fleare drehte sich zu Muz um und lachte. Er hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, den Mund geöffnet. Rinnsale von Pflanzensaft und Wasser liefen ihm über die Lippen und tropften ihm vom Kehlkopf, als er schluckte.

Sie stieß ihn an. „He!“

Er öffnete die Augen, leckte sich die Lippen und wandte sich zu ihr um. „Was?“

„Was machst du da?“

„Nach was sieht es denn aus? Ich trinke.“ Er grinste sie an. „Jetzt fragst du natürlich gleich, warum ich das tue.“

Sie dachte nach. „Vielleicht gebe ich dir auch lieber eine Ohrfeige. Selbstgefälliges Arschloch!“

Er schüttelte den Kopf. „Nee, das machst du nicht. Nette Mädchen hauen keine Suffköpfe. Wie dem auch sei, du willst die Antwort haben.“

Sie betrachtete ihre Fingernägel.

„Nun gut.“ Muz schüttelte noch immer den Kopf. „Drei Gründe. Erstens habe ich Durst. Zweitens soll es gesund sein. Voll von natürlichem Zeug. Und drittens …“ Er wurde leiser. „… ein todsicheres Aphrodisiakum.“

„Was du nicht sagst.“ Auch sie sprach leise.

„Nee, das habe ich mir ausgedacht.“

„Gut.“

„Echt?“

„Ja.“ Sie drehte sich wieder zum Geländer um. „Hätte ich dich tatsächlich für so billig gehalten, wäre ich gegangen.“

„Oh.“

Einige Zeit später fuhr sie ihm gemächlich mit dem Finger über das kurze, nasse Brusthaar. Er machte eine Bewegung, wachte aber nicht auf aus seinem gesättigten Schlaf. Sie runzelte die Stirn und drückte fester zu. Als er flatternd die Augen aufschlug, setzte sie sich rittlings auf ihn. Er stöhnte. „O nein! Schon wieder?“

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „O ja“, erklärte sie ihm. „Denk dran, ich hätte einfach gehen können.“

„Ah. Das stimmt. Ahh …“

Über Andrew Bannister

Biografie

Andrew Bannister wurde 1965 in Cornwall geboren. Er studierte Geologie und arbeitet zumeist auf hoher See als Berater in Umweltfragen. Seine Vorliebe für Science-Fiction brachte ihn auf die Idee, eine Serie um die ganz großen Geheimnisse des Universums zu schreiben – und mit der „Spin“-Trilogie...

Pressestimmen
forum.scifinews.de

„Andrew Bannister bricht mit seiner Spin-Trilogie in eine wirklich eigene Zukunft auf. Im Hintergrund gibt es ein spannendes Geheimnis welches gelüftet wird und im Vordergrund gibt es eine Heldin, welche keine ist, aber dank ihrer Flucht vor ihrem Vater die Sympathie des Lesers gewinnt. Kleine schnelle Wendungen, viel Verrat und Hinterlist, mehr muss man nicht mögen, um sich hier wohl zu fühlen.“

buchwelten.wordpres.com

„Sowohl die Story als auch die entworfene Galaxie lassen den Leser nicht los und bleiben im Gedächtnis haften“

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