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Denkanstöße 2018 (Denkanstöße)

Denkanstöße 2018 (Denkanstöße)

Ein Lesebuch aus Philosophie, Kultur und Wissenschaft

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Denkanstöße 2018 (Denkanstöße) — Inhalt

Wie beeinflussten die Jesuiten die europäische Moderne? Erkennen wir die größten Bedrohungen für unsere offene Gesellschaft und wie schützen wir die Idee der Toleranz? Warum lässt uns die Vergangenheit auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht ruhen - und warum ist das gut so? Denkanstöße 2018 präsentiert neue Erkenntnisse aus Politik, Geschichte, Philosophie und Naturwissenschaften von namhaften Autoren wie Markus Friedrich, Matthias Thöns, Alexandra Senfft oder Michael Schmidt-Salomon. Übersichtlich nach Themen gegliedert, bringen die Texte Wichtiges und Wissenswertes zur Sprache. Ein Jahrbuch zum Mitdenken, Mitreden und Weiterdenken.

€ 6,99 [D], € 6,99 [A]
Erschienen am 01.09.2017
Herausgegeben von: Isabella Nelte
224 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97786-9
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Leseprobe zu „Denkanstöße 2018 (Denkanstöße)“

Vorwort
Die aktuelle Zerrissenheit unserer Gesellschaft zwischen Abschottung
und Willkommenskultur, europäischer Solidarität
und Separatismus scheint beispiellos. Extreme Positionen hallen
durch die Echokammern, etablierte Strukturen und Autoritäten
stehen unter Legitimationsdruck. Dabei gerät zwangsläufig
auch die eigene Meinungsbildung auf den Prüfstand : Wem
kann man noch glauben – und viel wichtiger : Zählt die Einzelmeinung
im globalen Getöse überhaupt noch ?
Marie von Ebner-Eschenbach, eine kluge Frau und große
Humanistin, wusste auf diese Frage bereits im [...]

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Vorwort
Die aktuelle Zerrissenheit unserer Gesellschaft zwischen Abschottung
und Willkommenskultur, europäischer Solidarität
und Separatismus scheint beispiellos. Extreme Positionen hallen
durch die Echokammern, etablierte Strukturen und Autoritäten
stehen unter Legitimationsdruck. Dabei gerät zwangsläufig
auch die eigene Meinungsbildung auf den Prüfstand : Wem
kann man noch glauben – und viel wichtiger : Zählt die Einzelmeinung
im globalen Getöse überhaupt noch ?
Marie von Ebner-Eschenbach, eine kluge Frau und große
Humanistin, wusste auf diese Frage bereits im 19. Jahrhundert
eine so gelassene wie zeitlose Antwort : „ Nicht jene, die streiten,
sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen. “
In diesem Sinne wendet sich dieser Band der Denkanstöße
2018 Streitenden und Denkenden aus unterschiedlichen Disziplinen
zu, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise den
Ambivalenzen des Lebens stellen oder gestellt haben.
Geschichtsprofessor Markus Friedrich widmet sich eingangs
Ignatius von Loyola. Der einst kämpferische und aufbrausende
Adelssohn wandte sich nach einer schweren Verwundung
dem Glauben zu und wurde einer der Mitbegründer
des Jesuitenordens.
Eine ähnlich schillernde Figur ist Karl August von Hardenberg,
dem Historiker Lothar Gall nachspürt. Der Staatsmann
gilt als Begründer der preußischen Verwaltung – und ging zugleich
als privat hoch verschuldeter Lebemann in die Geschichte
ein, der zeitlebens ein Getriebener seines ausschweifenden
Lebensstils war.
In der Begegnung von Ludwig von Wittgenstein und John
Maynard Keynes, die Helge Hesse beschreibt, stehen zwei
große Denker unserer Zeit in fruchtbarem Austausch, und Alexandra
Senfft untersucht in ihrem Beitrag, wie sich die historischen
und biografischen Zäsuren des Nationalsozialismus über
Generationen hinweg auswirken.

Palliativmediziner Matthias Thöns gibt bewegende und aufrüttelnde
Einblicke in seinen Beruf, Physikprofessor Metin
Tolan ergründet in seinem Beitrag die Faszination des Weltraums
auf ganz besondere Weise und Michael Schmidt-Salomon
beschreibt die Grundprinzipien der Toleranz in einer sich
immer schneller verändernden Welt.
Die Vielseitigkeit der Denkanstöße der Autorinnen und
Autoren
dieser Ausgabe laden dazu ein, sich selbst eine Meinung
zu bilden, zu diskutieren und eigene Ideen zu entwickeln.
Denkanstöße 2018 feiert den Unterschied.
Isabella Nelte

 

ERFAHRUNGEN
Aus Religion und Zeitgeschichte

Markus Friedrich
Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn
Um den 20. Mai 1521 erreichten Truppen des französischen
Königs Franz I. unter dem Heerführer André des Foix Pamplona
im nordspanischen Königreich Navarra. Als die Soldaten
in die Stadt eindrangen, hatten sie zunächst leichtes Spiel. Teile
der Garnison hatten ihren Posten verlassen und waren angesichts
der französischen Übermacht geflohen. Nur die Burg von
Pamplona bereitete den Franzosen größere Schwierigkeiten.
Ein paar verwegene Verteidiger glaubten es mit den Gegnern
aufnehmen zu können. Nach hartem Kampf und wirksamem
Artilleriebeschuss brach der Widerstand in der Burg jedoch
zusammen. Pamplona wurde französisch, wenngleich nicht für
lange. Das Kriegsglück wandte sich bald gegen Franz I., und so
stellten die Ereignisse vom Frühsommer 1521 letztlich nur eine
wenig bedeutende Episode im langen politischen und militärischen
Ringen zwischen den beiden Großmächten Frankreich
und Spanien dar, das die europäische Politik seit 1494 für die
nächsten zwei Jahrhunderte prägte.1
Dennoch hatte das französische Bombardement der Burg
von Pamplona epochale Konsequenzen. So sahen das jedenfalls
die Jesuiten. Denn die Entstehung dieses katholischen Ordens,
der Gesellschaft Jesu oder Societas Iesu, ist aufs Engste
mit den Ereignissen von 1521 verknüpft. Einer der tapferen
oder gar tollkühnen Verteidiger in der Burg von Pamplona war
ein baskischer Adeliger von etwa dreißig Jahren, Iñigo López
de Oñaz y Loyola. Er war es angeblich überhaupt erst gewesen,
der zu dem verzweifelten Widerstand angestiftet hatte, war er
doch zum Hauptmann der Burg gegangen und hatte bei ihm
gegen die Feigheit der abziehenden spanischen Soldaten pro
testiert. Die durchaus verständliche Flucht der numerisch stark
unterlegenen Spanier passte nicht zu seinen ausgeprägten Vorstellungen
von Ehre, Tapferkeit und Tugend. Er war willens,
Leib und Leben im Kampf gegen die Franzosen aufs Spiel zu
setzen. Sein Eifer steckte einige der verbleibenden Soldaten an.
Iñigo selbst leitete den Widerstand, doch dann wurde der Baske
an beiden Beinen von einer Kanonenkugel schwer verletzt. Als
er ausfiel, erlosch auch der Kampfesgeist seiner Männer. Pamplona
fiel mit Iñigo.
Doch Iñigo überlebte die schwere Verwundung. Seine französischen
Gegner erkannten seine Tapferkeit an und sorgten
für ihn. Einige Tage nach dem Gefecht konnte er auf einer
Bahre in die Heimat, auf das Schloss seiner Familie in Loyola,
getragen werden. Es folgten mehrere grausame Operationen
am zerschossenen Bein, die einesteils aus medizinischen
Gründen notwendig waren, andernteils von Iñigo selbst aus
kosmetischen
Gründen angeordnet wurden, um ein entstellendes
Überbein zu entfernen, das sich bei der Heilung gebildet
hatte. Zeit seines Lebens blieb ein Hinken von diesen
Eingriffen zurück. Schon äußerlich veränderte die Niederlage
in Pamplona also den baskischen Adeligen. Außerdem waren
die Geschehnisse auch Ursache oder zumindest doch Anlass
für einen tief greifenden innerlichen Wandel Iñigos. Die
lange Zeit des Krankenlagers und der Genesung war Auslöser
für eine kritische Bestandsaufnahme
seines bisherigen
Lebens.
Von seiner Geburt ( vermutlich 1491 ) bis zum Jahr 1521
hatte Iñigo ein Leben geführt, das in vielem der typischen
Lebensweise des spanischen Adels am Ende des Mittelalters
entsprach. Er stammte aus Guizpoca, einer baskischen Region
im damaligen Königreich Navarra direkt südlich der Pyrenäen.
Die Loyolas waren eine in der Region sehr angesehene und gut
vernetzte Familie, die sich über Jahrhunderte bis 1180 zurückverfolgen
ließ. Im Lauf dieser langen Zeit hatten die Loyolas
nicht nur den Adelstitel erhalten, sondern auch erhebliche
Güter erworben. Nicht weniger als sechs Abteien und zehn
Kapellen standen unter ihrer Obhut.2 Solche Herrschaftsrechte
in Dörfern und Kirchen bildeten traditionell die Grundlage
für Reichtum und Macht des Adels. Den regionalen Rückhalt
münzte man dann in überregionale Verbindungen um. Iñigos
Familie verfügte über gute Beziehungen zum hohen Adel sowie
zu wichtigen königlichen Funktionsträgern, von denen er selbst
schon früh in seinem Leben profitieren sollte. Denn als junger
Mann begab er sich – wie viele andere aufstrebende junge
Adelige – in den Schutz und Umkreis einer höhergestellten
Familie. Protegiert durch den Großschatzmeister Kastiliens,
Don Juan Velásquez de Cuéllar, bei dem er seit 1505 in Arévalo
lebte, konnte Iñigo als Knabe und junger Mann das Leben bei
Hof und die höfische Kultur kennenlernen. Er lernte auch,
Kontakte mit Reichen und Mächtigen zu pflegen. Das waren
Fähigkeiten, die Iñigo immer wieder unter Beweis stellen
sollte.
Iñigos Familie war von Religion und Militär geprägt. Zahlreiche
Loyolas fielen in den Kriegszügen der spanischen
Könige, während andere Onkel, Brüder und Neffen Männer der
Kirche wurden. Iñigo hat vermutlich selbst die niederen Weihen
empfangen, um ihm den Weg in eine kirchliche Stellung
zu öffnen. Seine Welt war von den ritterlich-christlichen Werten
der spätmittelalterlichen adelig-religiösen Kultur geprägt.
Iñigos Frömmigkeit war ebenso tief verwurzelt wie nachlässig,
ebenso moralisch anspruchsvoll wie alltäglich dehnbar, ebenso
institutionenbezogen wie individuell. Am Hofe Cuéllars lebte
der junge Mann in einer Umgebung, die diese christlich-ritterliche
Vielfalt widerspiegelte. Einerseits war dies ein Zentrum
mystischer und introvertierter franziskanischer Frömmigkeit,
die uns noch einmal begegnen wird. Andererseits war diese
Welt von einer beträchtlichen Zügellosigkeit geprägt. Iñigo
war aufbrausend und schnell mit dem Schwert zur Hand. Er
und seine Zeitgenossen achteten eifersüchtig auf das, was sie
„ Ehre “ nannten – ihre eigene, die ihrer Familie, die ihrer
Frauen, die der Kirche und ihrer Heiligen. Eine Portion Machismus
war dieser Lebensweise nicht fremd, und mit den offiziellen
Moralvorgaben gingen die Adeligen bei Bedarf durchaus
großzügig um. Uneheliche Kinder waren in Iñigos Familie
keine Seltenheit.
All das änderte sich seit Pamplona, seit der zweiten Jahreshälfte
1521, als Iñigo in Loyola genas. Das Trauma der schweren
Verletzung brachte ihn auch dazu, seine bisherige Existenz
infrage zu stellen. Er rückte seinen Lebensweg zurecht
und begab sich auf eine innere und äußere Reise zur Selbstfindung,
an deren Ende, knapp zwanzig Jahre später, die Gründung
einer religiösen Gemeinschaft stand : der Gesellschaft
Jesu, der Societas Iesu, des Jesuitenordens. Die Geschichte seines
Wandels nach 1521 hat Iñigo am Ende seines Lebens 1556
selbst in der sogenannten „ Autobiografie “ erzählt, in der er
von sich selbst in der dritten Person als „ dem Pilger “ spricht.
Es handelt sich dabei um die durch einen Schreiber überarbeitete
Aufzeichnung einer mehrfach unterbrochenen mündlichen
Erzählung, die weniger Biografie als Erbauungsbuch
sein möchte – doch sie zeichnet ein eindrucksvolles Bild vom
Suchen und Finden einer religiösen Berufung.3 Im Lauf dieses
Prozesses wurde aus dem baskischen Adeligen Iñigo López de
Oñaz y Loyola der Kirchenmann und spätere Heilige Ignatius
von Loyola.
Ausgelöst wurde seine geistliche Neuerfindung, so erzählt
es eine berühmte Anekdote, durch einen Zufall. Er habe, so
heißt es in der Autobiografie, immer schon zum Zeitvertreib
gern die spätmittelalterlichen Ritterromane gelesen. Als er
auf dem Krankenbett nach solcher Lektüre rief, brachte man
ihm nur einige fromme Bücher – der einzige Lesestoff, den es
in Loyola gab. Mit der Vita Christi Ludolfs von Sachsen und
der Legenda Aurea von Jakob von Vorago nahm sich Ignatius,
vielleicht etwas enttäuscht und unwillig, notgedrungen zwei
Bücher vor, die damals sehr weit verbreitet waren. Wider Erwarten
hatte diese ungeliebte Lektüre bei ihm jedoch große
Folgen. Was bei vielen anderen Lesern und Hörern allenfalls zu
einer Verstärkung konventioneller Weltanschauungen führte,
stellte bei ihm das eigene Leben infrage. Von den Heiligen,
mit denen er auf den Seiten dieser Werke nun Bekanntschaft
machte, hatten es ihm besonders die mittelalterlichen Ordensgründer
Franziskus und Dominikus angetan. Durch ihre religiösen
Anstrengungen fühlte er sich herausgefordert, ihrem
geistlichen Rittertum wollte er nacheifern. Bald wurde für alle
Anwesenden deutlich, dass sich Ignatius verändert hatte. Gegen
den Rat seiner Familie verließ er Loyola und begab sich als
Asket auf eine Wanderschaft. An verschiedenen Wallfahrtsorten
Spaniens hielt Ignatius inne. Vor der berühmten Marienstatue
in Montserrat westlich von Barcelona betete er eine ganze
Nacht. Im nahe gelegenen Ort Manresa verbrachte er ungefähr
ein dreiviertel Jahr, das für ihn – nach eigener Aussage – voller
„ Erleuchtung “ war. Von Barcelona aus reiste Ignatius in radikaler
Armut nach Rom, von dort nach Venedig und trat schließlich
die Überfahrt ins Heilige Land an. Dort, an den biblischen
Stätten, wollte Ignatius bleiben, vermutlich als Seelsorger für
andere Pilger. Doch der franziskanische Guardian, der geistliche
Verantwortliche für Palästina, schickte den mittellosen
Ignatius wieder nach Europa zurück.
In der ersten Phase seines „ neuen “ Lebens nach 1521 ging
Ignatius sehr hart mit sich um. Innerlich war er voller Zweifel
und Skrupel, die zu einer Art Beichtzwang führten. Er meinte,
ständig geistliche Maximalleistungen erbringen zu müssen.
Die ersten Abschnitte seiner Suche nach der richtigen geistlichen
Orientierung waren deshalb häufig von radikalen Formen
der Frömmigkeit geprägt. Er hörte phasenweise auf, seine
Haare und Nägel zu schneiden, trug nur gröbste Gewänder,
ging barfuß oder in absichtlich durchlöcherten Schuhen, fastete
stark, beichtete täglich. Erst nach der Jerusalemreise – und der
abenteuerlichen Rückkehr nach Spanien inmitten von Kriegs
wirren – begann ein neuer Abschnitt in seiner Suche. Er fasste
den Entschluss, sein Weltbild um einen wesentlichen Bestandteil
zu erweitern : um akademische Bildung und Gelehrsamkeit.
In Europa waren seit dem frühen 13. Jahrhundert überall neue
Zentren des Wissens und der Lehre entstanden, die Universitäten.
Spanien hatte von Anfang an diese Entwicklung mit vollzogen.
Schon 1218 wurde in Salamanca die erste iberische
Hochschule eingerichtet. Der europäische Adel stand diesen
neuen Zentren der Gelehrsamkeit und ihren neuen Formen und
Standards für Wahrheit und Bildung freilich lange zwiespältig
gegenüber. Ein Leben bei Hof, wie es auch Ignatius in Arévalo
kennengelernt hatte, setzte zwar sehr wohl ein hohes Maß an
Ausbildung und Wissen voraus, doch nicht unbedingt die lateinische
Gelehrsamkeit der Intellektuellen, Professoren und
Theologen. Mit höherer Bildung im akademischen Sinne war
Ignatius bisher nicht konfrontiert gewesen.
Doch genau diese Form universitärer Gelehrsamkeit strebte
er nun an. Mit weit über dreißig Jahren musste er dazu
in Barcelona
erst einmal die Anfangsgründe des Lateinischen erlernen,
ehe er zu den eigentlichen Studien an einer Hochschule
voranschreiten konnte. Ignatius hat die Herausforderung des
akademischen Studiums engagiert angenommen. Doch trotz
mehrjähriger Aufenthalte an den Universitäten in Alcalá de
Henares ( 1526 ), Salamanca ( 1527 ) und insbesondere in Paris
( ab 1528 ) wurde aus ihm kein Mitglied der europäischen
Gelehrtenrepublik mehr. Auch wenn ihn seine Gefolgsleute
gelegentlich als „ unseren Vater, den Theologen “ bewunderten,
so verließ er sich doch bei der Ausarbeitung theoretischer Programme
und bei der Formulierung dogmatischer Positionen
später lieber auf kompetente Helfer, von denen er im neuen
Orden bald eine große Zahl zur Verfügung haben sollte.4 Zu
keiner der beiden um 1540 in Europa vorherrschenden intellektuellen
Leitkulturen – Humanismus und Scholastik – kann man
Ignatius wirklich rechnen, auch wenn er mit beiden Lagern
enge Bekanntschaft machte.
Dennoch waren die Studienjahre eine außerordentlich
fruchtbare Zeit für ihn. Sie haben vielfach ihre Spuren in der
Vor- und Frühgeschichte des Ordens hinterlassen. Die Unterrichtsmethode,
die er in Paris kennengelernt hatte, wurde zum
Vorbild für die Ausbildungsprojekte der Gesellschaft Jesu. Und
wenn Ignatius selbst durch die universitäre Form von Bildung
und Theologie auch nur vergleichsweise flüchtig geprägt wurde,
so kam er doch dauerhaft in Kontakt mit anderen Menschen,
die die akademische Kultur und Denkweise gründlicher in sich
aufgenommen hatten. Unter den engsten Bekannten des Ignatius,
die mit ihm 1540 den Orden gründeten, war eine Reihe von
qualifizierten Theologen, die dem Orden von Anfang an den
Ruf höchster fachwissenschaftlicher Kompetenz einbrachten.
Diego Laínez und Alfonso Salmerón zum Beispiel, zwei Jesuiten
der ersten Stunde, gehörten zu den wenigen Menschen, die
ab 1545 an allen drei Sitzungsperioden des Trienter Konzils
teilnahmen.5
Für Ignatius und seinen Orden waren die Wander- und Studienjahre
in Spanien und Frankreich aber auch in anderer Hinsicht
wegweisend. Ignatius sammelte wichtige Erfahrungen im
religiösen Umgang mit Menschen. Nicht nur lernte er im Lauf
dieser Zeit jene neun Männer kennen, die schließlich mit ihm
gemeinsam die erste Generation von Jesuiten bilden sollten –
Peter Faber, Franz Xaver, Claude Jay, Paschase Broët, Simão
Rodrigues, Alfonso Salmerón, Diego Laínez, Nicolás Bobadilla,
Jean Codure. Glaubt man der Autobiografie, so stand der
spätere Ordensgründer seit seiner Verwundung in Pamplona
zudem beständig im Austausch mit den unterschiedlichsten
Menschen. Immer wieder verwickelte er Männer und Frauen,
Arme und Reiche, Laien und Geistliche ins Gespräch – schon
bald suchten manche Menschen Ignatius ganz gezielt auf,
andere sprach er bei Gelegenheit selbst an. Angesichts seiner
eigenen komplizierten inneren Seelenzustände, so deutet
die Autobiografie an, war Ignatius in besonderer Weise in der
Lage, das Innenleben seiner Gesprächspartner zu erfassen.
Menschen, die Rat und Orientierung suchten, kamen deshalb
bald gern zu ihm. Diese Rolle eines „ geistlichen Vaters “ blieb
für Ignatius zeitlebens von großer Bedeutung. Ein wachsender
Schatz an psychologischer Erfahrung, gewonnen im Lauf der
Zeit durch diese zahlreichen Begegnungen, half dabei, die
Gesprächsführung weiter zu verbessern. In einer komplizierten
und jahrzehntelangen Arbeit hat Ignatius bis 1540 aus diesen
im Alltag gesammelten Erfahrungen eine Methode zur geistlichen
Besinnung und Selbstprüfung entwickelt. Immer wieder
hat er Notizen angefertigt und einzelne Textbausteine dazugeschrieben.
Diese Fragmente fügte er schließlich zu einem
Büchlein zusammen, seinen berühmten Geistlichen Übungen.
Darin konnte man niedergelegt finden, wie man in einem ungefähr
vierwöchigen Prozess von Gebet, Meditation und innerer
Selbsterforschung Klarheit über den spirituell richtigen Lebensweg
erlangt. Die Übungen oder Exerzitien, die bereits vor
der Gründung des Jesuitenordens fertig waren, wurden zur
wichtigsten geistlichen Grundlage der neuen Gemeinschaft und
beeinflussten die christliche Welt insgesamt sehr nachhaltig.
Während seiner Studienzeit lernte Ignatius allerdings auch
die Gefahren, Grenzen und Schwierigkeiten des Umgangs
mit Menschen kennen. Mehrfach geriet er in Konflikt mit der
Inquisition und anderen kirchlichen Autoritäten – oft im Zusammenhang
mit seinen Bemühungen, andere Menschen im
Gespräch für seine Ideen von Frömmigkeit zu begeistern. Kritisiert
wurde, dass sich Ignatius und seine Gefolgsleute ohne
formale kirchliche und akademische Legitimation zu solchen
seelsorgerischen Aktivitäten aufschwangen. Außerdem gerieten
sie immer wieder in den Verdacht, unorthodoxe Vorstellungen
zu vertreten. In Spanien herrschte damals eine aufgeregte
Sorge, neue Formen der Frömmigkeit würden mit den eingeführten
Auffassungen brechen. Die Neigung zu religiöser
Innerlichkeit verband sich oft mit intensiver Mystik. Manches
davon schien den Kirchenoberen hilfreich und gut, anderes
wurde bekämpft. Die intensive Frömmigkeit hatte eine radikale
Dimension. Eine diffuse Gruppe von sogenannten alumbrados,
„ Erleuchteten “, wurde verfolgt. Mehr als einmal schien es den
Behörden, als würde Ignatius mit diesen gefährlichen Ansichten
sympathisieren. Auch wenn derartige Anschuldigungen
regelmäßig als unzutreffend niedergeschlagen wurden, machten
diese Erfahrungen doch für Ignatius deutlich, dass er seine
Auffassung von Frömmigkeit und seine Praxis der Seelsorge
kirchlich absichern musste.

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