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Sisis Weg

Martina Winkelhofer
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Vom Mädchen zur Frau – Kaiserin Elisabeths erste Jahre am Wiener Hof

„Was an Winkelhofers Buch erstaunt, ist weniger das Bild Elisabeths, sondern jenes des Kaisers.“ - Stern

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Sisis Weg — Inhalt

Sisis Leben zwischen Mythos und Wahrheit
Kaiserin Elisabeth gehört zweifelsfrei zu den bekanntesten Frauen der Geschichte. Längst ist Sisi zum Mythos geworden. Doch was wissen wir wirklich über ihr Leben? Wie sah ihr Alltag aus? Wie ihre Kindheit? Welche gesellschaftlichen Normen und Ideale beeinflussten ihr Fühlen, Denken und Handeln? Und wie unterschied sie sich von anderen Frauen ihres Standes?

• Erstmals wird Kaiserin Elisabeths Leben aus der Perspektive ihres Alltags betrachtet
• Durch die Analyse unveröffentlichter Originalquellen schließt die Autorin Lücken in der Elisabeth-Forschung

Überzeugend und detailgetreu zeigt die Autorin in dieser Biografie eine neue Seite der legendären, österreichischen Kaiserin: die private Sisi vor dem Hintergrund des 19. Jahrhunderts.

„Die Historikerin erzählt endlich die wahre Geschichte über Sisis Kindheit, ihre ersten Jahre am Wiener Hof. Ohne zu dramatisieren und mit besten Quellen rekonstruierte sie deren wenig märchenhaften Alltag.“ ― PM History

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 27.10.2022
352 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31358-2
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€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 01.09.2021
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99198-8
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Leseprobe zu „Sisis Weg“

Vorwort
Seit ich vor vielen Jahren zum ersten Mal die Zeremonialprotokolle des Kaiserhofes in den Händen hielt, fasziniert mich die Figur der jungen Kaiserin Elisabeth. Das schüchterne sechzehnjährige Mädchen, von dem heute alle Welt denkt, es in- und auswendig zu kennen, zog mich mit all seiner Eleganz und Tapferkeit in seinen Bann. Die kostbaren Quellen, die heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt werden, zeichnen ein deutliches Bild von der gigantischen und komplexen Organisation des Wiener Kaiserhofes, der als vornehmster Hof des alten Europas [...]

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Vorwort
Seit ich vor vielen Jahren zum ersten Mal die Zeremonialprotokolle des Kaiserhofes in den Händen hielt, fasziniert mich die Figur der jungen Kaiserin Elisabeth. Das schüchterne sechzehnjährige Mädchen, von dem heute alle Welt denkt, es in- und auswendig zu kennen, zog mich mit all seiner Eleganz und Tapferkeit in seinen Bann. Die kostbaren Quellen, die heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt werden, zeichnen ein deutliches Bild von der gigantischen und komplexen Organisation des Wiener Kaiserhofes, der als vornehmster Hof des alten Europas galt. Die Einträge in diesen großen, auf vielen Seiten eng beschriebenen Büchern erzählen vom Leben in einem Mikrokosmos, in dem selbst die privatesten Momente im Leben der Herrscher – Geburt, Heirat und Tod –, aber auch der ganz typische Alltag in feste Rituale und unabänderliche Zeremonien eingebettet waren.
Wie musste sich das unerfahrene und verängstigte Mädchen Elisabeth gefühlt haben, fragte ich mich beim Studium der alten Quellen. Durch ihre Heirat mit Kaiser Franz Joseph von Österreich an die Spitze dieses Imperiums gehievt und als Kaiserin Elisabeth von Österreich als dessen Aushängeschild präsentiert? Wie reifte sie unter den Argusaugen spitzzüngiger Höflinge von einer unsicheren Pubertierenden zu einer selbstbewussten und selbstbestimmten Frau heran, die – gemessen am Standard des 19. Jahrhunderts – eine außergewöhnliche persönliche Entwicklung an den Tag legte?
Nach meiner Lektüre der Hunderte von Seiten konnte ich erahnen, was es für sie bedeutet haben mochte, ihr Leben im engen Korsett dieses strengen Zeremoniells zu bestreiten. Ich wollte mehr über die schillernde Gestalt der Kaiserin erfahren, deren erste Auftritte am Wiener Hof rührend schüchtern waren. Wie für jede andere junge Frau ihrer Zeit gehörte Fremdbestimmung zum Alltag. Ihr Dasein als Ehefrau, Mutter und Kaiserin schränkte ihren persönlichen Aktionsradius immens ein. Und dennoch gelang es ihr, sich zu einer der ersten Ikonen der weiblichen Selbstbestimmung emporzuschwingen.
Wie jede Forscherin und jeder Forscher habe auch ich eigene Schwerpunkte in meiner Arbeit gesetzt. Ich stellte das Kind „Elise“, das Mädchen Elisabeth und die junge Kaiserin von Österreich in den Mittelpunkt meiner Recherchen. Wie wuchs Elisabeth auf? Welche Prägungen erfuhr sie in ihrer Kindheit? Wie unterschied sich ihre Erziehung von jener anderer Mädchen ihres Standes? Welche Hoffnungen wurden in Elisabeth gesetzt, als sie ins heiratsfähige Alter kam? Wie passte sie sich am Kaiserhof an? Wie erfüllte sie die in sie gesetzten Erwartungen – als Kaiserin, First Lady, Ehefrau, Mutter, Tochter, Schwiegertochter? Welche Ereignisse und Erfahrungen ließen sie zu jener Persönlichkeit reifen, die bis heute fasziniert und jede Generation aufs Neue zur Spurensuche in dieser ungewöhnlichen Frauengeschichte herausfordert? Welche Schicksalsschläge und persönlichen Erfolge wurden zu Wendepunkten in ihrem Leben?
Meiner Idee für dieses Buch lag die Absicht zugrunde, die Lebensgeschichte nicht „von hinten zu erzählen“. Zu oft wurden Elisabeths Kindheit, Jugend und frühen Jahre am Wiener Hof aus der Perspektive des entstandenen „Sisi-Mythos“ erzählt. Zu viel wurde aus dem Wissen um die spätere Entwicklung Elisabeths in Kindheits- und Jugenderlebnisse interpretiert. Zu schnell wurden die Lücken in der Biografie mit Mutmaßungen geschlossen. Und viel zu oft ihre ersten Jahre am Wiener Hof als eine Geschichte des persönlichen Scheiterns erzählt – obwohl sich gerade in diesen Jahren zeigte, welch enorme Adaptions- und Lernwilligkeit die jugendliche Elisabeth an den Tag legte. Es gehört zu den größten Problemen in der Betrachtung der historischen Figur Kaiserin Elisabeth, dass ihre Persönlichkeit und ihr Leben stets aus dem (jeweiligen) Heute gedeutet und analysiert wurden, dass ebenso Bewertungen – positive wie negative – meist anhand gängiger Werte und Erwartungen erfolgten. Man nahm dabei die Frau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Blick, deren persönliche Grenzen und gesellschaftliche Zwänge ganz andere gewesen waren als jene der nachfolgenden Generationen.
Ich machte mich auf die Suche nach dem Mädchen, der jungen Frau hinter dem „Sisi-Mythos“. Ich wollte das in die Konventionen ihrer Zeit eingebettete Frauenleben erforschen und gleichzeitig die Geschichte ihrer persönlichen Entwicklung in den größeren Zusammenhang des 19. Jahrhunderts stellen. Stereotype werden dabei über Bord geworfen, nicht nur jene, die Elisabeth betreffen, sondern auch jene, die man ihren engsten Mitmenschen übergestülpt hat, um dadurch den Mythos „Sisi“ zu untermauern: ihrer Mutter, ihrer Schwiegermutter, ihrem Vater, ihrem Ehemann. Mittels genauer Analyse und Rekonstruktion ihres Alltags habe ich versucht, Elisabeths junge Jahre greifbarer und diese Zeit verständlicher zu machen. Vor allem aber war es mir ein Anliegen, alle Facetten des Lebens einer Frau ihres Standes sichtbar zu machen. Nicht die Kaiserin, nicht die Ikone, sondern die junge Frau steht deshalb im Mittelpunkt dieses Buches.
Die eingangs erwähnte Suche nach dem sechzehnjährigen Mädchen, das im Jahr 1854 an den Wiener Hof kam, wurde eine Reise durch die ersten siebenundzwanzig Jahre im Leben einer der berühmtesten Monarchinnen der Geschichte. Sie führte durch Archive und Sammlungen, höfische Zeremonialprotokolle und erhaltene Sekretariatsakten der Kaiserin, durch vergilbte Tagebücher, Korrespondenzen und in alte Nachlässe. Ich versuchte, öffentliche Auftritte der jungen Kaiserin zu rekonstruieren, zeichnete ihre Reiserouten nach, filterte Informationen aus Korrespondenzen, die teilweise nur mehr in Bruchteilen und in Abschriften erhalten sind, studierte unterschiedliche Quellen und klopfte sie auf ihre Glaubwürdigkeit ab. Ich bemühte mich, bei unterschiedlichen Informationen, die diese Quellen mitunter gaben, den gemeinsamen Kern herauszulösen. Ich untersuchte die wenigen Kleidungsstücke der jungen Kaiserin, die noch erhalten sind, und studierte alte Gemälde. Das Ergebnis ist ein authentisches und stimmiges Gesamtbild eines Frauenlebens, der Entwicklung Elisabeths von der Kindheit bis hin zu ihrem Erwachsensein.

Wien, 2021


Das Elternhaus
„Sie werden lernen, einander zu lieben.“

Die drei königlichen Würdenträger, die am Abend des 24. Dezember 1837 gegen 8 Uhr 30 den kostbar eingerichteten Salon in der Ludwigstraße Nummer 8 betraten, bereiteten sich darauf vor, die kommenden Stunden hier auszuharren. Der Raum, in den sie ein livrierter Diener geführt hatte, hätte nicht prächtiger sein können. Er maß acht Meter in der Breite, dreizehn Meter in der Länge, war mit drei Fensterachsen ausgestattet und befand sich, wie es sich für den Empfangssalon des schönsten Privatpalais der bayerischen Hauptstadt gehörte, genau über einer dreitorigen Einfahrt. Die drei Beamten – Sebastian Freiherr von Schrenk, Staatsminister der Justiz; Ludwig Ritter von Wiesinger, Staatsminister des Inneren, sowie der Minister des königlichen Hauses, Friedrich Freiherr von Gise – waren in das Palais beordert worden, um die Geburt einer Wittelsbacher Prinzessin zu bezeugen. Bis es so weit wäre, blieb ihnen jedoch genug Zeit, um einen der berühmtesten Säle der Residenzstadt München ausführlich zu betrachten.
Unter einer mächtigen hölzernen Kassettendecke, und jeweils oben und unten von einem Fries eingerahmt, schmückten vier große Fresken des Münchner Historienmalers Robert von Langer die Wände des Salons und zeigten, in leuchtenden Farben und klassizistischem Stil, Motive aus der griechischen Mythologie. Überlebensgroß blickten die Götter des Olymps von den Seiten der langen Ostwand auf die königlichen Beamten herab. Und die drei honorigen Herren erkannten zwischen den thronenden Paaren – Zeus und Hera auf der rechten, Hades und Persephone auf der linken Seite – den trefflichen Herakles im Löwenfell, der die treue Alkestis, die anstelle ihres Gatten in den Tod gehen wollte, aus der Unterwelt befreit. An der Nordwand des Saales sahen sie, wie Theseus den stierköpfigen Minotaurus besiegt. Und die Südwand bot ihnen einen Künstler par excellence: Orpheus, den Dichter und Sänger, der die Macht der Worte und Klänge bewies, indem er mit Lyra-Spiel und Gesang sogar Felsen zum Weinen brachte.
Erhaltene Fotografien belegen, dass die Stühle und Bänke des Empfangssalons unmittelbar unter den Fresken aufgestellt waren. Wo immer die drei Herren auf ihren grazilen Stühlchen auch saßen – sie mussten sich geradezu klein vorkommen angesichts der monumentalen Helden- und Götterfiguren über ihren Köpfen. Natürlich konnten die drei, während sie ohne jede Ablenkung im Empfangsraum ausharrten, noch nicht ahnen, dass die Prinzessin, deren Geburt nur einige Räume weiter im Gange war, sich später einmal für die geistige und mythologische Welt des antiken Griechenland, wie sie hier von den Wänden auf sie herabstrahlte, begeistern würde.
An diesem 24. Dezember freilich deutete noch nichts darauf hin, dass der kleine Mensch, der bald das Licht der Welt erblicken sollte, einen ungewöhnlichen Lebensweg vor sich hatte. Es war auch kein besonderer Dienst, den die drei Minister ausgerechnet am Heiligen Abend im Palais Herzog Maximilians in der Ludwigstraße zu leisten hatten. Es ging lediglich darum, die Geburt eines weiteren Mitglieds des Hauses Wittelsbach zu beglaubigen, derlei gehörte zu ihren amtlichen Aufgaben. Der neunundzwanzigjährige Hausherr, Herzog Maximilian Joseph in Bayern, wurde in diesen Stunden zum vierten Mal Vater. Zwei Söhne und eine Tochter waren ihm bereits geschenkt worden – wobei der zweite seiner Söhne noch im ersten Lebensjahr verstorben war. Nun lag seine Frau Ludovika erneut in den Wehen. Sie hatte an diesem Weihnachtsabend eigentlich die Stunden der Bescherung bei ihrer Mutter verbringen wollen, doch ihr Arzt hatte es verboten. Er vermutete, dass die Geburtswehen an genau diesem Abend einsetzen würden – und behielt damit recht.
Die Minister warteten schon über eine Stunde, als Ludovika – oder Louise, wie die ebenfalls Neunundzwanzigjährige im Familienkreis genannt wurde – die finale Phase ihrer vierten Entbindung durchlebte. Die Geburt fand in Ludovikas „weißem Boudoir“ statt. Zu ihrer emotionalen Unterstützung standen ihr vier Frauen bei, die auch ihre engsten Vertrauten waren: ihre Mutter, die verwitwete Königin Caroline von Bayern; ihre ehemalige Erzieherin, die nunmehrige Obersthofmeisterin Gräfin Auguste von Rottenhan; ihre um zwanzig Jahre ältere Halbschwester Herzogin Auguste von Leuchtenberg, die im nahe gelegenen Palais Leuchtenberg residierte, sowie deren Tochter Eugenie, Ehefrau des Erbprinzen von Hohenzollern-Hechingen. Ludovikas beide Hofdamen hielten sich in den Nebenzimmern bereit. Ihre Aufgabe war es, den hohen Verwandten ihrer Herrin, sobald diese das Boudoir der Gebärenden verließen, zu Diensten zu sein.
Ludovikas Appartement grenzte unmittelbar an die Festräume des herzoglichen Palais, zu denen auch der Empfangssalon mit seinen mythologischen Fresken zählte. Die hier wartenden Minister gingen davon aus, dass sich die Geburt nicht mehr lange hinzog; andernfalls hätte man sie – gerade am Heiligen Abend – noch nicht in das Palais geholt. In Fällen wie diesem wurden sie nie schon nach dem ersten Einsetzen der Wehen verständigt.
Exakt eine Stunde und dreizehn Minuten nach Eintreffen der Minister im Palais hatte ihr Warten ein Ende: Die zweite Tochter von Herzog Maximilian und Herzogin Ludovika erblickte das Licht der Welt. Nun wurden die Minister ins Boudoir der Herzogin gerufen, wo ihnen die Hebamme das Neugeborene präsentierte. Dass Herzogin Ludovika nach den Strapazen der Geburt in Nachtkleid und Morgenmantel auf der Chaiselongue ruhte und weder ihre Kleidung noch ihr Haar in einem Zustand waren, der erlaubte, fremde Besucher zu empfangen, ja dass ohnehin eine Frau von königlichem Geblüt niemals Herren in ihrem Boudoir empfing, zu empfangen hatte – über all das wurde hinweggesehen. Schließlich galt es, den Hofvorschriften Genüge zu tun. Und diese verlangten, dass ein Neugeborenes sofort nach der Geburt den zuständigen hohen Staatsbeamten zu präsentieren war. Damit sollte sichergestellt werden, dass ein Kind, das namentlich als legitimes Mitglied des Hauses Wittelsbach in die Geburtsurkunde eingetragen wurde, tatsächlich die Herrin des Hauses zur Mutter hatte. Aus diesem Grund hatte man übrigens auch die Minister in der Nähe der Gebärenden warten lassen. Die herzogliche Herkunft des Kindes und seine rechtmäßige Zugehörigkeit zur Dynastie der Wittelsbacher sollten zweifelsfrei garantiert sein. Immerhin blieb der Herzogin die Anwesenheit der offiziellen Zeugen noch während der Entbindung erspart. Anders als etwa am britischen Königshof üblich, hatte Ludovika den intimen Akt der Geburt nicht vor den Ministern durchleben müssen, allein geschützt von einer Art fahrbaren Leinwand, die die untere Körperhälfte der Gebärenden zwar verdeckte, ihren Oberkörper jedoch den Blicken von Familienfremden auslieferte.
Der amtliche Akt der Bezeugung war schnell erledigt. Nachdem sie den Säugling gesehen und die obligaten Glückwünsche ausgesprochen hatten, verließen Sebastian Freiherr von Schrenk, Ludwig Ritter von Wiesinger und Freiherr von Gise das Boudoir. Dem Haus Wittelsbach, notierten sie im Geburtsprotokoll, war Punkt zehn Uhr und dreiundvierzig Minuten am Abend des 24. Dezember 1837 eine weitere Prinzessin geboren worden. Damit hatten sie ihre Pflicht erfüllt und konnten zu ihren Familien heimeilen.
Dem neugeborenen Mädchen wurde der Name Elisabeth Amalie Eugenie gegeben. Namenspatin war eine ältere Schwester Ludovikas – Elisabeth Ludovika von Preußen, die drei Jahre nach der Geburt ihres Patenkindes Königin von Preußen werden würde. Ihren zweiten Namen Amalie erhielt die kleine Prinzessin zu Ehren der Zwillingsschwester ihrer Patin, der späteren Königin von Sachsen. Der dritte Name Eugenie schließlich verwies auf jene Cousine, die Ludovika in ihren Wehen mit beigestanden hatte. Zwei Tage nach der Geburt taufte man Elisabeth in der Stiftskirche St. Kajetan, der „Theatinerkirche“ genannten Hofkirche in München.
Es war damals erst wenige Jahrzehnte her, dass das Haus Wittelsbach, dem Elisabeth angehörte und das neben ihr so viele andere außergewöhnliche, bisweilen exzentrische Persönlichkeiten hervorbrachte, von Napoleon die Königswürde erhalten hatte. In den unruhigen Jahren nach 1804, als der korsische Feldherr sich zum Kaiser der Franzosen krönte, bis zu seinem Niedergang, der mit dem missglückten Russlandfeldzug 1812 einsetzte, wurden Europas Staaten und mit ihnen die althergebrachte politische Ordnung durcheinandergewirbelt. Die europäischen Herrscher, die sich auf Napoleons Seite schlugen, konnten nun ihr Territorium und ihren Einfluss gegenüber ihren Nachbarn vergrößern – ganz abgesehen davon, dass sie so dem klassischen Schicksal jener widerständigen Standeskollegen entkamen, die der Feldherr und Kaiser einfach von ihren Thronen fegte, um darauf die Angehörigen seiner Familie zu setzen. Elisabeths Großvater Maximilian IV., in jenen Jahren noch Kurfürst und Herzog, erkannte eine Chance für sein Haus und wurde der erste Bündnispartner Napoleons – der ihn im Gegenzug 1806 zum König des stark vergrößerten Bayern machte. Das Ende der Herrschaft Napoleons wenige Jahre später konnte dem jungen Königreich nichts anhaben. Anders als andere Herrscher, die ausschließlich aufgrund ihrer Bündnistreue gegenüber dem französischen Kaiser an die Macht gekommen waren und diese nun verloren, waren die Wittelsbacher zu etabliert, als dass sie ihre Regentschaft während der Restauration wieder hätten abgeben müssen. Davon abgesehen hatten sie noch im letzten Moment die Seiten gewechselt und entgingen deshalb einer Neuaufteilung ihres Herrschaftsgebietes.
Die Wittelsbacher gehörten zu den ältesten deutschen Adelsgeschlechtern und herrschten schon seit Jahrhunderten in Bayern. Sie waren Pfalzgrafen, Herzöge und Kurfürsten gewesen, hatten also stets einen der sieben Fürsten gestellt, die die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches kürten, das heißt wählen durften. Napoleon Bonaparte war nur eine Fußnote in der Geschichte dieser Dynastie. Aber immerhin, die neue Königswürde von seinen Gnaden bedeutete eine Rangerhöhung, und der neue König Maximilian I. Joseph machte daraus das Beste für sein Haus und das Land. Elisabeths Großvater krempelte den Staat von Kopf bis Fuß um. Er reformierte die Staatsverwaltung und führte neben einer neuen Verfassung und einem durchschlagskräftigen Beamtenkorps, neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Religionsfreiheit auch die allgemeine Schulpflicht ein. Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, in der Verfassung verankert, war eine der Maßnahmen, mit denen der nunmehrige Regent die Macht des bayerischen Adels schwächte. Dessen Steuerfreiheit hob er ebenso auf wie das bis dato noch existierende System der Leibeigenschaft. Unter Maximilian I. Joseph wurde Bayern zum modernen Staat. Er war zudem der erste einer Reihe höchst illustrer bayerischer Könige, die eine Popularität erreichten, von der die Herrscher aus anderen Dynastien nur träumen konnten. Und so sollten die Wittelsbacher bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, das auch das Ende des monarchischen Europas einläutete, die Könige von Bayern stellen.
Die Mutter Elisabeths, Herzogin Ludovika Wilhelmina, war die zweitjüngste Tochter Maximilian I. Josephs. Sie entstammte der zweiten Ehe des Monarchen mit der badischen Prinzessin Caroline Friederike. Acht Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, sechs Mädchen und zwei Buben, von denen der eine tot geboren wurde und der andere als kleines Kind verstarb. Ludovika und ihre Schwestern hatten zudem noch fünf Halbgeschwister, die aus der ersten Ehe ihres Vaters mit einer Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt stammten. Zu ihnen gehörte auch Ludovikas Halbbruder Ludwig, der spätere König von Bayern. Als Ludwig I. bestimmte er 1837, als Elisabeth zu Weihnachten das Licht der Welt erblickte, bereits in seinem dreizehnten Regierungsjahr die Geschicke der Monarchie.
Die Kindheit und frühe Jugend Ludovikas, die 1808 geboren wurde, unterschied sich – im besten Sinne – von der üblichen Kindheit junger Prinzessinnen an deutschen Höfen. So schwer es fällt, den bürgerlichen Begriff von einem glücklichen Familienleben auf das Leben an einem damaligen Fürstenhof anzuwenden: Ludovikas Kindheit dürfte den modernen Vorstellungen einer glücklichen Kindheit durchaus entsprochen haben. Die noch erhaltenen und ausgewerteten Briefe ihrer Familie lassen auf einen innigen und herzlichen Umgang miteinander schließen. Trennungen der Eltern von ihren Kindern, bedingt durch die repräsentativen Pflichten des Königspaares, wurden eifrig beklagt, und auch die Beschreibungen alltäglicher Vorkommnisse zeichnen das Bild einer königlichen Familie, die sich neben der Erfüllung ihrer Aufgaben am Hof einen gewissen familiären Freiraum schaffen konnte. Ganz ein Monarch des angehenden Biedermeier, als die Besinnung auf den kleinen familiären Raum (und damit auch dessen Stilisierung) gepflegt wurde, gefiel sich Maximilian, bei aller königlichen Würde, auch in der Rolle des treu sorgenden Familienvaters. Seine sechs Töchter hingen an ihm. Auch ihre Mutter, Königin Caroline, pflegte eine innige Beziehung zu den Mädchen. Vertrauen und Zuneigung prägten auch das Verhältnis der Prinzessinnen untereinander. Bis an ihr Lebensende sollten die fünf Schwestern, die das Erwachsenenalter erreichten – die sechste und jüngste verstarb noch als Kind –, sowie ihre beiden Halbschwestern aus der ersten Ehe des Vaters die enge Verbindung zueinander aufrechterhalten. Selbst in späteren Jahren, als es sie durch ihre Verheiratung in die verschiedensten Himmelsrichtungen verschlagen hatte – nach Berlin, Dresden, Salzburg und Wien –, pflegten die Schwestern ihr starkes familiäres Netzwerk, das dann zur Basis höchst erfolgreicher Heiratsprojekte wurde.
Auch dies mag als Zeichen dafür gelten, dass es Ludovikas Eltern wohl geglückt war, für sich und ihre Kinder eine zufriedenstellende Balance zwischen repräsentativen Pflichten und einem erfüllten Familienleben zu finden. Aber bei aller Zuneigung und Erfüllung, die ein derart vertrauter, quasi bürgerlicher Umgang mit den Töchtern bedeutete, blieb sich das Königspaar – so erzählen die relevanten schriftlichen Quellen – der Pflichten bewusst, die es mit sich brachte, wenn man die erste Familie im Staat war und kleine Prinzessinnen auf eine Zukunft bei Hof vorbereiten musste. Wie ihre Schwestern wurde Ludovika von frühem Alter an zudem zu höfischen Empfängen herangezogen. So musste sie schon als Vierjährige an Theaterbesuchen teilnehmen. Ihren Erzieherinnen beschied man, das kleine Mädchen solle lernen, Erschöpfung oder Langeweile mit Grazie durchzustehen. Als sie dreizehn war, hatte Ludovika bei Hofbällen zu erscheinen. Allerdings durfte sie – als Heranwachsende – noch nicht tanzen, denn das hätte sie in allzu große Nähe zu Männern gebracht. Die angeordneten Ballbesuche dienten auch hier vorerst nur einem Zweck: Sie sollte sich daran gewöhnen, stundenlang bei einem gesellschaftlichen Ereignis auszuharren, ohne andere ihre Müdigkeit oder ihren Überdruss spüren zu lassen.
Die Kindheit und Jugend Ludovikas fand vor dem Hintergrund großen materiellen Reichtums statt. Auch der Lebensstil ihrer Familie entsprach – bei allen Anklängen an ein bürgerlich-biedermeierliches Ideal – ganz einer königlichen Hofhaltung, mit prachtvollen Residenzen und entsprechendem Luxus. Die Familie residierte im Winter in der Münchner Residenz, dem alten Wohn- und Regierungssitz der bayerischen Herzöge, und im Sommer im bezaubernden Schloss Nymphenburg vor den Toren der Stadt. 1816 erwarb König Maximilian zudem eine persönliche Herrschaft, die zum privaten Refugium der Familie werden sollte: das ehemalige Benediktinerkloster Tegernsee, malerisch gelegen am östlichen Ufer des gleichnamigen Sees in den bayerischen Alpen. Hierher, in dieses zur Privatresidenz umgebaute Kloster, konnte sich die Familie zurückziehen, hier fanden große Familientreffen und -feste statt, und hierher sollten später auch die ersten Reisen der österreichischen Kaiserin mit ihrer Familie führen.
Zeitgleich und in räumlicher Nähe zu Ludovika, obschon in emotionaler Hinsicht Lichtjahre entfernt von ihrem familiären Glück, wuchs ein Knabe, der nur drei Monate jünger war als sie, in gänzlich anderen Verhältnissen auf. Er hieß Maximilian und war ein Verwandter der Familie, nämlich der Sohn des Herzogspaares Pius und Amalie aus der altbayerischen Wittelsbacher Linie der Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen. Ludovikas Vater sollte sich seiner besonders annehmen. Dafür gab es mehrere Gründe: Maximilian war das einzige Kind dieser Wittelsbacher Nebenlinie, und die familiären Verhältnisse, in denen er aufwuchs, waren äußerst schwierig. Hinzu kam, dass die Angehörigen dieser einst einflussreichen und bestens vernetzten Nebenlinie in der Vergangenheit immer wieder gegen die Vorrangstellung der dynastischen Hauptlinie, von der Maximilian I. Joseph abstammte, aufgetreten waren – und erst vor kurzer Zeit sämtliche Hoffnungen auf eine souveräne Herrschaft innerhalb bayerischen Gebietes aufgegeben hatten. Es erscheint also nur logisch, dass der König seine Wittelsbacher Verwandten enger an die Kandare nehmen und damit ein bisschen unter Kontrolle haben wollte. Außerdem besaß der diesem Haus entstammende Knabe, um dessen persönliches Wohl es hier ging, nicht nur einen bedeutenden Namen – er würde eines Tages als Alleinerbe auch über eines der bedeutendsten Vermögen des Landes verfügen. Aus all diesen Gründen konnte der Monarch gar nicht anders, als in das Leben des kleinen Max einzugreifen und damit die alte, reiche Wittelsbacher Nebenlinie enger an die königliche Linie zu binden. Des Königs Ansprechpartner in dieser Obsorge-Angelegenheit war sein Schwager Wilhelm, Herzog in Bayern. Dieser war nicht nur das Oberhaupt der besagten Nebenlinie, sondern als Großvater auch die dominierende Figur im Leben des Knaben Max. Dessen Eltern, Herzog Pius August in Bayern und seine Gattin Amalie Luise, hatten weder Einfluss auf die Erziehung des Kindes, noch waren sie in der Lage, sich diesbezüglich gegen Max’ Großvater durchzusetzen.
Von seinen Zeitgenossen wurde Herzog Pius unterschiedlich beurteilt – nachsichtiger aus bayerischer, weniger mild aus ausländischer Perspektive. So wurde er von ersterer Seite allenfalls als sonderlich, maßlos und – auch in den späteren Biografien seiner Enkelin Elisabeth – als Eigenbrötler mit dem Hang zum völligen sozialen Rückzug beschrieben. Wesentlich problematischer war der Eindruck, den der preußische Gesandte in Bayern, Friedrich Wilhelm Christian von Zastrow, von Max’ Vater erhalten hatte. In den Augen von Zastrows war Herzog Pius ein verwahrloster Charakter und Choleriker, der aus grundloser Aggression Schlägereien provozierte, bei denen er seine Kontrahenten „auf das Äußerste misshandelt und grausam verwundet“ hat – weshalb er auch einige Male im Gefängnis landete. Von Max’ Großvater ist nur ein einziger, ironischer Satz über seinen Sohn Pius überliefert: „Das liebe Wesen isst wie ein Menschenfresser und verdaut wie ein Strauß“ – ein kurioses Resümee über die Qualitäten des eigenen Sprösslings (in Anspielung auf die großen Muskelmägen der afrikanischen Strauße, die zur Unterstützung ihrer enormen Verdauungsleistung auch Steine, Sand und alle möglichen kleinen Dinge verschlucken), das noch Jahrzehnte später im herzoglichen Haus als Anekdote weitererzählt wurde. Max’ Vater wurde schließlich unter Aufsicht seiner Familie gestellt. So hatte der Großvater und Patriarch Herzog Wilhelm die Vormundschaft für seinen Enkel – in diesem Fall explizit, denn in der Regel traf ohnehin das Oberhaupt eines Adelshauses die letzte Entscheidung hinsichtlich Ausbildung und Aufenthaltsort der einzelnen Familienmitglieder.
Für den Knaben Max bedeutete diese schwierige familiäre Situation, dass er früh nicht nur immer wieder die ihn belastenden Verhältnisse, sondern auch noch einen häufigen Wechsel der Bezugspersonen zu verarbeiten hatte. Mit sechs Jahren wurde er von seinem strengen Großvater, vor dem er sich noch als Erwachsener fürchten sollte, in die Obhut eines Gesandtschaftsattachés gegeben, dessen Erziehungsstil sogar für die damalige Zeit übermäßig hart und drakonisch war. Mit neun Jahren kam er dann ins Internat, das heißt ins vom weltlichen Priester und Pädagogen Benedikt von Holland geleitete „Königliche Institut für Studierende in München“. An dieser Ausbildungsstätte, deren Besuch für einen jungen Aristokraten, der üblicherweise seine eigenen Hauslehrer hatte, schon ungewöhnlich genug war, machte Max eine für seinesgleichen seltene Erfahrung: Die Zöglinge des Instituts wurden ohne Unterschied gleich behandelt, Herkunft oder gesellschaftlicher Stand spielten keine Rolle. Ein einziges Privileg gestand man dem jungen Wittelsbacher jedoch zu: seinen eigenen Schlafraum.
Die Jahre im Internat, in denen ihm nicht nur der klassische Bildungskanon vermittelt, sondern auch seine Liebe zu Kunst und Musik geweckt wurde, sollte Max zeitlebens in bester Erinnerung behalten. Sie endeten, als er fünfzehn Jahre alt war. Jetzt musste er auf Anordnung seines königlichen Großonkels das Holland’sche Institut verlassen. Denn man befand es für wichtiger, dass der Knabe nun von einem Hofmeister ins „Leben“ eingeführt werde. Dieser war ein Mann, den Benedikt von Holland wohl nicht von ungefähr für dünkelhaft und intrigant hielt. Er hatte den Auftrag, dem Halbwüchsigen die Sinnesfreuden und Unterhaltungen nahezubringen, welche die damalige Adelsgesellschaft, die einen Großteil der bürgerlichen Moralvorstellungen belächelte, ihren männlichen Mitgliedern zugestand (eine Art „Schule des Dolce Vita“ also). Aus heutiger Sicht wirkt es eigentümlich, dass man jungen Aristokraten nach Jahren des Lernens und der Ausbildung vornehmlich die Rolle von Lebemännern zugestand und ihnen zwar eine Fülle an Zerstreuungen anbot, aber keine Aufgaben, bei denen sie ihre Fähigkeiten ernsthaft hätten entfalten können.
Das Resultat dieser Kombination aus zerrütteten Verhältnissen, sehr unterschiedlichen Erziehungsmethoden und mehrmaligem Wechsel der Bezugspersonen war ein junger Mann, der keinerlei positive Erfahrungen mit dem Familienleben gemacht hatte. Dank seiner Zeit im Internat Benedikt von Hollands besaß Max eine gewisse soziale Kompetenz, etwa die Fähigkeit des vorurteilsfreien Umgangs mit Menschen anderer Gesellschaftsschichten. Ansonsten hatte er sich jedoch längst an einen Lebensstil gewöhnt, der in der Hauptsache der Erfüllung seiner persönlichen Wünsche und Neigungen diente. Als künftiger Herzog in Bayern, Träger eines großen Titels und Nutznießer eines riesigen Vermögens entsprach er damit ganz dem Stereotyp des Lebemannes, der sich um nichts kümmern muss. Max war aber auch das Produkt seiner Umwelt. Denn die trostlosen Erfahrungen seiner Kindheit, der selbst für damalige Zeitverhältnisse gefühlsarme Umgang seiner Erziehungsberechtigten mit ihm, wirkten noch lange nach. So berührt es zu lesen, wie Max selbst als erwachsener Mann seine in seiner Kindheit räumlich wie emotional stets abwesenden Eltern verklärte. In den Erinnerungen an seine Orientreise schrieb er etwa, in der Jerusalemer Grabeskirche sei es ihm vorgekommen, als ob ihn die „Geister“ seiner „entschlafenen Eltern liebevoll umschwebten“.
Dass ein junger Mann wie Max, der ein Großneffe des bayerischen Königs und der künftige Erbe der reichen Wittelsbacher Nebenlinie war, nicht selbst wählen konnte, wen er zur Frau nahm, lag auf der Hand. Diese Entscheidung traf natürlich König Maximilian I. Joseph höchstpersönlich, wobei ihm Max’ Großvater eifrig mit Rat und Tat zur Seite stand. Und der König entschied: Der junge Maximilian sollte später seine jüngste Tochter heiraten. Der Gedanke dahinter war, dass durch diese Heirat die stolze Nebenlinie der Wittelsbacher, deren Angehörige sich einst Hoffnungen auf eine souveräne Herrschaft in Bayern gemacht hatten, stärker an die königliche Linie gebunden wurde. Und was das immense Vermögen der Nebenlinie anging, so blieb dieses in der Familie. Zumindest hätte keine andere Dynastie oder aristokratische Familie darauf Zugriff, was ganz im Sinn des Königs war. Max’ Großvater wiederum versprach sich von dem Projekt eine Aufwertung seiner Linie. Durch diese Heirat würden Max und seine Nachkommen den Titel „Königliche Hoheit“ erhalten und in den engsten familiären Kreis des Königs aufsteigen.
Doch Maximiliane Josepha Karoline, die jüngste Tochter des Bayernkönigs, die nach dem Wunsch der beiden Familienpatriarchen Max’ künftige Braut werden sollte, stand bald nicht mehr zur Verfügung. Das Mädchen starb im Jahr 1821, mit noch nicht einmal zwölf Jahren, an den Folgen einer Erkältung. Nun hatte die zweitjüngste Tochter des Königs als Braut nachzurücken, und das war Prinzessin Ludovika. Schon an der Tatsache, dass Ludovika nach dem Tod ihrer Schwester die Lücke füllen sollte, kann man erkennen, dass dieses Wittelsbacher Heiratsprojekt von großer dynastischer Bedeutung für das bayerische Königshaus war. Spätere Mutmaßungen, Elisabeths Mutter habe keine gute Partie gemacht, weil man sie als Königstochter mit einem Mann verheiratete, der „nur“ den Titel „Herzog in Bayern“ trug, sind als Klischees zu betrachten. Denn gerade daran, dass gleich die nächste Königstochter in das Heiratsprojekt bugsiert wurde, zeigt sich, wie wichtig dem bayerischen Königshaus die Fusion mit der reichen Wittelsbacher Nebenlinie war. Ludovika erlangte durch diese Heirat zwar keine Position an der Seite eines regierenden Monarchen, aber für ihre Dynastie – und nur diese Sichtweise zählte in einem regierenden Haus des frühen 19. Jahrhunderts – war die Eheverbindung mit Max eine dynastische Notwendigkeit, die das Haus Wittelsbach stärkte.
Ludovika war zu dem Zeitpunkt, als ihre kleine Schwester starb, dreizehn Jahre alt. Der entfernte Cousin, den sie in einigen Jahren heiraten würde, war ihr seit früher Kindheit vertraut. Denn ihr Vater hatte nicht nur die Oberaufsicht über Max’ Erziehung, sondern ermöglichte dem Buben – den er gerne mochte und dem nur noch sein Großvater als naher Verwandter geblieben war – immer wieder den familiären Umgang mit seinen Töchtern. Ludovika und Max sahen sich als Kinder also regelmäßig und schrieben einander kleine Briefchen, in denen sie von aufregenden Ereignissen und Begebenheiten aus ihrem kindlichen Alltag berichteten.
Ob Ludovika und Max im Alter von zehn bis zwölf Jahren – jenem Alter, aus dem besonders viele Briefe erhalten sind – sich eine gemeinsame Zukunft hätten vorstellen können, lässt sich heute nicht mehr eruieren. Sie verhielten sich jedenfalls wie alle jungen Menschen ihrer Zeit und ihres Ranges: Sie hinterfragten die Entscheidungen ihrer Eltern und Vormunde, wen sie zu heiraten hatten, nicht, denn sie hatten Gehorsam zu leisten. Rebellion und Trotz gegenüber den Eltern war angesichts der Tatsache, dass Mütter und vor allem Väter – noch dazu solche, die Regenten und Standesherren waren – damals als unhinterfragbare Autoritäten auftraten, schwer vorstellbar. Kein denkbarer Einwand Ludovikas gegen die für sie vorgesehene Heirat hätte eine Planänderung bewirken können, und es ist auch unvorstellbar, dass ein Mädchen der damaligen Zeit es gewagt und darum gekämpft hätte, den eigenen Bräutigam selbst auszusuchen. Nicht minder abwegig war, dass Max sich den Erwartungen seines Großonkels und Königs entgegengestellt hätte. Dabei hatten sowohl er als auch Ludovika ihr Herz an einen anderen Menschen verloren als den künftigen Ehepartner. Eine Enkelin der beiden berichtete später, dass Max in eine bürgerliche Regimentskommandeurstochter verliebt gewesen sei, während Ludovika – die inzwischen zu einer auffallend schönen jungen Frau herangewachsen war – bei einem Besuch in Wien für den landlosen portugiesischen Thronanwärter Dom Miguel von Braganza entflammte. Doch beide Erwählte waren für ihre Familien nicht akzeptabel. Für einen Herzog wie Max kam die Tochter eines Mannes, der im Sold des Königs als oberstem Kriegsherrn stand, natürlich keinesfalls als Heiratskandidatin infrage. Und was Ludovika angeht, so war ihre Liebesgeschichte wohl nicht ganz so romantisch wie oft kolportiert. Dom Miguel wurde ihre Hand nicht prinzipiell verweigert, sondern er selbst wollte sich die Möglichkeit offenhalten, seine Nichte – die erste Thronanwärterin und spätere Königin Maria II. von Portugal – zu heiraten, sobald diese volljährig war. Auch wenn er sich zu Ludovika hingezogen fühlte, fest steht: Zum Zeitpunkt, als sie heiratsfähig war, war Dom Miguel aus politischen Gründen für sie nicht verfügbar. Davon abgesehen hätte König Maximilian I. einer bayerisch-portugiesischen Heiratsallianz wohl nicht allzu viel abgewinnen können. Er wollte seine Töchter nur in deutschsprachige Länder verheiraten.
Was auch immer Ludovika und Max fühlten und wünschten: Die Entscheidung lag nicht bei ihnen. Damit mochte man hadern, aber man arrangierte sich. Und die Frage, ob die beiden ohne ihr Zutun in einer Ehe zusammengespannten Personen auch miteinander glücklich würden, war, falls überhaupt, nur nachrangig relevant. Niemand formulierte deutlicher, wie man in royalen Kreisen über die Voraussetzungen für eine Ehe dachte, als Max’ Großvater. Als man ihn darauf ansprach, dass sein Enkel und seine Großnichte einander nicht lieben würden, sagte er: „Das ist absolut egal. Sie werden lernen, sich zu lieben“ – damit hatte er die Ansichten seiner Zeit anschaulich beschrieben.
Also fand am 9. September 1828 in Schloss Tegernsee die Trauung statt. Anstelle von Ludovikas Vater, der 1825 gestorben war, regierte inzwischen ihr Halbbruder, König Ludwig I., das Land. Als neues Oberhaupt des Hauses Wittelsbach hatte er dieses Eheprojekt ebenfalls unterstützt. Und so wurden Prinzessin Ludovika von Bayern, die jüngste noch lebende Tochter des ersten Bayernkönigs Maximilian, und Herzog Max, das künftige Oberhaupt der Wittelsbacher Nebenlinie der Herzöge in Bayern, zu Mann und Frau. Die Hochzeit wurde mit Prunk, Pomp und den nobelsten Gästen gefeiert. Der Vertrag, in dem schon Jahre vor der Eheschließung sämtliche Modalitäten festgelegt worden waren, ließ keinen Zweifel aufkommen, wer hier den höheren Rang einnahm. Für Ludovika hatte sich die königliche Familie ausbedungen, den Vertrag zur Vereinbarung der Eheschließung jederzeit einseitig zugunsten der Prinzessin wieder lösen zu können.
Rangmäßig stand Ludovika zwar über ihrem frisch angetrauten Gatten, aber was die Größe seines Vermögens betraf, war er weitaus besser gestellt als ihre ganze Familie. Die herzogliche Nebenlinie der Wittelsbacher war damals wesentlich reicher als die königliche Hauptlinie, was, überspitzt gesagt, bedeutete: Anders als Ludwig I. verfügte Herzog Max über die finanziellen Mittel, die einem König entsprachen. Er erhielt allein aus der Staatskasse eine Apanage von jährlich 225 000 Gulden, damals ein ungeheuer großer Betrag. Grundlage dieser hohen Zahlungen an ein Mitglied der nicht regierenden Linie der Wittelsbacher war ein Vertrag, den einst Ludovikas Vater nach seiner Ernennung zum König mit Max’ Großvater, Herzog Wilhelm, abgeschlossen hatte. Darin wurde die Apanage, die das Land Bayern seiner Dynastie zusprach, zu annähernd gleichen Teilen zwischen der neuen königlichen Linie und der Nebenlinie der Herzöge in Bayern aufgeteilt und festgelegt. Dass die nicht regierenden Wittelsbacher derart großzügig vom neuen Monarchen ausgestattet wurden, lag nicht zuletzt darin begründet, dass sich das neue Königtum Bayern im Zuge territorialer Veränderungen während der napoleonischen Zeit einige Besitzungen der Nebenlinie einverleibt hatte. Allein die jährliche staatliche Apanage, die der Wittelsbacher Nebenlinie zustand, führte im Laufe der Zeit zu einer Vermögenskonzentration, die bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar gewesen war. Da die königliche Linie im Mannesstamm stetig zunahm, während die herzogliche Nebenlinie über Generationen oft nur einen männlichen Vertreter hervorbrachte, entstand die paradoxe Situation, dass sich bei jeweils einem einzelnen Erben aufseiten der Wittelsbacher Herzöge über Jahrzehnte mehr und mehr Geld anhäufte – während in der königlichen Linie die staatliche Apanage stets unter vielen Nachkommen aufgeteilt werden musste. So kam es schließlich dazu, dass Herzog Max mehr Geld zu seiner persönlichen Verfügung hatte als der regierende Monarch. Und zu diesem Vermögen gesellte sich noch ein reiches Erbe, das Max nach dem Tod seiner französischstämmigen Mutter antrat. Denn Herzogin Amalie Luise von Arenberg hatte ausgedehnte Besitzungen in Frankreich und ein Palais in Paris, in bester Lage, in die Ehe mit dem Vater von Max eingebracht.
Dessen Vermögen übertraf also bei Weitem jenes von Ludovika. Allerdings hieß das nicht, dass sie ihrerseits keine reiche Braut war. Auch sie verfügte über beträchtliche finanzielle Mittel. Als sie vierzehn Jahre alt gewesen war, hatte ihr Vater die damals gigantische Summe von fast zweieinhalb Millionen Gulden zugunsten seiner Ehefrau und der gemeinsamen Töchter veranlagt. Nur aus den Zinsen erwuchsen jeder von ihnen jährlich 25 000 Gulden. Zu ihrer Hochzeit erhielt Ludovika zusätzlich noch eine Mitgift in der Höhe von 100 000 Gulden, die in das Vermögen des herzoglichen Hauses einflossen. Später kamen noch Schloss Tegernsee und Schloss Biederstein über eine Erbschaft Ludovikas zur herzoglichen Linie.
Der Reichtum des frisch vermählten Paares schlug sich in einer Hofhaltung nieder, die für einen Herzog außergewöhnlich und einer Königstochter nur allzu würdig war. Zum besonderen, augenfälligen Prunkstück dieses Lebens im Reichtum wurde das imposante, dreigeschossige „Palais Max“ in der Münchner Ludwigstraße – Elisabeths Geburtshaus. Herzog Max besaß die Mittel, um dieses schönste Palais der Stadt zu bauen, doch auch der bayerische König, Elisabeths Onkel Ludwig I. – der kunst- und architekturbegeistert und ein großer Verehrer der griechischen Antike war –, hatte einen Anteil daran, dass die spätere Kaiserin Elisabeth in einem architektonischen Juwel aufwachsen sollte.
Ludwigs I. großer ästhetischer Anspruch, den er als Monarch in seiner Haupt- und Residenzstadt München zu verwirklichen suchte, hinterließ nachweislich Spuren im Leben von Elisabeths Familie. Der König träumte davon, das in städtebaulicher Hinsicht noch recht provinzielle München völlig umzugestalten. Die bayerische Hauptstadt sollte wachsen. Die alten Stadtmauern wurden eingerissen, die Stadt vergrößert. Zahlreiche neue öffentliche Bauwerke im Stil des Klassizismus sollten die Residenzstadt in ein Gesamtkunstwerk verwandeln. Ein Prestigeprojekt, das dem König besonders am Herzen lag, war die Ludwigstraße – ein Prachtboulevard im Herzen Münchens, dessen Gebäude im Stil der Neorenaissance errichtet werden sollten. Damit seine Vision auch Wirklichkeit wurde, brauchte Ludwig I. willige und finanzkräftige Bauherren. Diese sollten nicht nur über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, sondern auch bereit sein, seine architektonischen Bauvorgaben eins zu eins umzusetzen. Einer dieser Bauherren war nun Ludovikas Ehemann, sein Schwager. Seit Ludwig König war, hatte er gegenüber diesem rangniederen Verwandten zwar nicht mit herabsetzenden Bemerkungen und kleinen Demütigungen gespart – denn anders als sein Vater hegte er keine Sympathie für Max –, aber in ihren schöngeistigen Interessen waren König und Herzog einander ähnlich. Die Begeisterung für Kunst und Antike musste Ludwig in seinem Cousin nicht erst wecken, dieser war ebenso ein Ästhet wie er.
Innerhalb von nur dreieinhalb Jahren, während derer er und Ludovika ein Mietshaus in München bewohnten, entstand unter dem Bauherrn Herzog Max in der Ludwigstraße 8 das schönste private Gebäude der Stadt. Das Wort „Palais“ passte eigentlich nicht mehr zu diesem riesigen, vom berühmten Architekten Leo von Klenze entworfenen schlossähnlichen Gebäude. Allein die dazugehörige Grundfläche umfasste 5000 Quadratmeter. Das zwei Stockwerke hohe, hufeisenförmige Palais zeigte zum Boulevard hin eine prächtige Fassade im Stil der Spätrenaissance. Aus den Fenstern der Repräsentationsräume blickte man direkt auf das pulsierende Leben auf der Ludwigstraße.
Das Palais diente nach seiner Fertigstellung als offizieller Wintersitz für Herzog Max, Ludovika und ihre Familie. Hier wurden die repräsentativen Empfänge abgehalten, hier machten Adelige und Diplomaten der herzoglichen Familie ihre Aufwartung, hier wurden im zwei Etagen hohen Ballsaal glänzende Feste gefeiert. (Neun Tage vor Elisabeths hundertstem Geburtstag wurde das Palais übrigens abgerissen; am 15. Dezember 1937 begannen die Abbrucharbeiten, und an seiner Stelle entstand in der NS-Zeit ein Neubau für die Reichsbank. Doch bis heute erhaltene Grundrisse, Pläne und Fotografien erzählen von der klassischen Schönheit und den enormen Ausmaßen dieses Gebäudes, von dem viele meinen, es sei der schönste fürstliche Palast gewesen, den Leo von Klenze je entworfen habe.)
Die Raumaufteilung und Ausstattung des Palais Max war ganz auf seine Bewohner und deren hohen Rang zugeschnitten. Auch lässt sich an der Aufteilung der Räume genau ablesen, wo die Grenze zwischen den gesellschaftlichen Pflichten der Familie und ihrem Privatleben verlief und wie die Trennung dieser beiden Sphären das Leben und die Wege der hier Wohnenden und Arbeitenden bestimmte: Von der Ludwigstraße aus betrat die Familie über das prächtige Hauptportal das Palais. Dieser Eingang war dem Hausherrn, seiner Ehefrau, ihren Kindern und offiziellen Gästen vorbehalten. Die zahlreichen Bediensteten und das Stallpersonal, wie auch die Beamten im herzoglichen Dienst, hatten das Palais durch einen der beiden Seiteneingänge zu betreten. Hatte man das Portal durchschritten, ging es links vom Vestibül aus in die Privatgemächer des Herzogs, die im Erdgeschoss lagen. An zwei Vorzimmer schlossen zwei Salons an. In diesen dekorativ ausgestatteten Räumen empfing Elisabeths Vater seine Privatgäste. Daran anschließend folgten ein Kabinett, das den Übergang zu den Privaträumen des Herzogs markierte, ein Arbeitszimmer, eine Bibliothek und das Schlafzimmer des Hausherrn. Dieser Teil des Palais war dem Herzog vorbehalten. Weder seine Ehefrau noch seine Kinder hatten hier Zutritt. Wollten diese Ehemann und Vater sehen, mussten sie sich erst beim diensthabenden Diener des Herzogs anmelden.
Genau über dem Appartement Maximilians, im ersten Stock, befanden sich die Räume von Elisabeths Mutter. Sie waren über die große Feststiege erreichbar und noch schmuckvoller ausgestattet als die Räume des Herzogs. Auch zu Ludovikas Privatappartement gehörten zwei riesige Salons, in denen die Hausherrin ihre persönlichen Besucher empfing: der „grüne Salon“, der seinen Namen von der grünen Seidentapete hatte, die seine Wände bekleidete. Zur Einrichtung gehörten weiß-goldene Möbel und großformatige Ölgemälde, die das herzogliche Paar und seine Familie zeigten. An diesen „grünen“ schloss der „braune Salon“ und an diesen das bereits erwähnte „weiße“ Eckboudoir im pompejanischen Stil an – jener Raum mit seinen filigranen, antike Frauengestalten, Pflanzen und Vögel darstellenden Malereien, in dem Elisabeth ihrer Geburtsurkunde zufolge als neugeborene Prinzessin den königlichen Beamten präsentiert wurde. Daneben befand sich das Schlafzimmer der Herzogin, das durch eine Wendeltreppe mit dem Schlafzimmer des Herzogs im Erdgeschoss verbunden war. So waren, trotz getrennter Wohnbereiche mit unterschiedlichen Eingängen, diese beiden privatesten Räume des Ehepaares miteinander verbunden, und wann immer Herzog Max danach war, besuchte er seine Ehefrau für intime Stunden. Der Impuls zu diesen Zusammenkünften in eroticis sei, erzählte später Ludovika ihren Enkeln recht freimütig, stets und ausschließlich vom Herzog ausgegangen. Sie habe zwar immer gehofft, dass es zu mehr kommen werde als zu kurzen Besuchen, Max aber nie dazu bewegen können.
Auf der gegenüberliegenden Seite von Ludovikas Appartement befanden sich die Festappartements, deren Pracht und Ausstattung legendär waren. Wie in einem Barockschloss waren die Festappartements als Enfilade, als Zimmerflucht mit einander gegenüberliegenden Türen angelegt. Der erste Raum dieser Zimmerflucht war der anfangs beschriebene Empfangssalon mit den mythologischen Fresken Robert von Langers. An diesen schlossen sich drei quadratische Zwischensalons an – große, reich ausgeschmückte Räume, nach deren Durchschreiten der Besucher in das nördliche Eckzimmer und den riesigen Ballsaal kam. Der letzte der Festräume war das in der Familie Elisabeths sogenannte „große Esszimmer“ – ein Saal von über hundert Quadratmetern, in dem Festbankette und Familiendiners abgehalten wurden.
Als Elisabeth geboren wurde, war das Palais auch innen bereits fix und fertig ausgestattet, und die Ausstattung war wahrhaft königlich.
Doch mit den Festappartements und den Appartements des Herzogspaares ist nur ein kleiner Teil des Palais beschrieben. Im zweiten Stock, im vorderen Gebäudeteil, über den Räumen Ludovikas und den Festappartements, lagen die Zimmer der herzoglichen Kinder, jene des Erziehungspersonals und die Räume der Hofdamen. Das Kammerpersonal, wie die Beamten und auch das Küchen- und Stallpersonal, wohnte im rückwärtigen Teil des Palais. Außergewöhnlich war, dass auch das Personal in den Luxus der neuesten Errungenschaften in Sachen Wohnkomfort und Hygiene kam. So verfügten nicht nur Max’ und Ludovikas Appartements über Badezimmer und Toiletten – auch in der Wohnung der Kinder und den Wohnungen ihrer Erzieher gab es Badezimmer und sanitäre Anlagen. Ebenso waren die Wirtschafts- und Personalgebäude mit Toiletten ausgestattet.
Ein derart imposantes herzogliches Stadtpalais benötigte natürlich eine perfekte Infrastruktur, damit alles wie am Schnürchen lief. Deswegen umfasste das Palais Max auch Verwaltungsgebäude, Wirtschaftsräume – von der Küche bis zu den Waschkammern –, eine Kanzlei, ein Rechnungsbüro und diverse Lager und Kammern, in denen von Lebensmitteln bis Holz alles gelagert wurde, sowie eine eigene Kapelle. Im hintersten Teil des Palais – von der Vorderseite durch gleich zwei Höfe getrennt – lagen die Stallgebäude und Remisen, hier waren die Pferde, Wagen und Sattelkammern untergebracht.
Im Grunde besaß das Palais Max die Dimensionen eines kleinen fürstlichen Hofes, und Elisabeth wuchs auch mit einem kleinen Hofstaat auf: Ihr Vater hatte einen sogenannten Hofchef (an großen Höfen Obersthofmeister genannt), der dem herzoglichen Haus vorstand, zwei königliche Kämmerer und einen Hofkaplan. Herzogin Ludovika hatte einen Obersthofmeister und eine Obersthofmeisterin, ein bis zwei Hofdamen, zwei Kammerdienerinnen, zwei Garderobendienerinnen und zwei Lakaien. Dazu kamen noch Hausmeister, Portiers, Köche und Küchengehilfen, Silberdiener, Lakaien, Stallpersonal mit Kutscher, Bereiter, Vorreiter, Reitknechten.
Selbst dieser kurze Blick auf die Gegebenheiten im Palais Max beweist schon, dass die später – oftmals als Tatsache verbreiteten – Vorstellungen von der, auch finanziell, bescheidenen Herkunft Kaiserin Elisabeths falsch sind und nicht einmal einer oberflächlichen Überprüfung standhalten. Elisabeth wuchs vielmehr in einem Umfeld auf, das von großem Reichtum und hohem Status geprägt war. Sie entstammte nicht „nur“ der Nebenlinie des Hauses Wittelsbach, wie in manchen ihrer Biografien betont wird – ganz so, als ob ihre Familie eine „Aschenputtel-Stellung“ innegehabt hätte. Dies mag zwar der späteren Romantisierung des „Elisabeth-Mythos“ entsprechen – armes, unbedarftes Mädchen heiratete reichen Prinzen, eine der besten Partien des 19. Jahrhunderts –, doch es entspricht nicht den historischen Gegebenheiten. Elisabeth war die Tochter einer bayerischen Königstochter, sie war die Enkelin eines Königs, und die Linie der Wittelsbacher Herzöge wurde durch die Ehe ihrer Eltern bewusst nah an die bayerische königliche Linie herangeführt – so wie es ihr Großvater geplant hatte. Ludovika hätte in späteren Jahren niemals so viele Töchter in königliche Familien verheiraten können, wären ihre Kinder nicht gewesen, was sie waren: Mitglieder des königlichen bayerischen Hauses. Als solche wurden sie betrachtet, als solche wuchsen die Kinder dieser Ehe auf. Zwar betonte Ludovikas Halbbruder, König Ludwig I., nach dem Tod Maximilian I. Josephs auf manchmal geradezu kränkende Weise seine dynastische Überlegenheit und die Separierung der beiden Wittelsbacher Linien voneinander – etwa indem er Max und den Kindern für einige Jahre den Titel „Königliche Hoheit“ entzog –, doch waren derlei kleine Schikanen auf eine gewisse Eifersucht Ludwigs zurückzuführen und änderten nichts an der außerordentlichen Stellung, die Max’ und Ludovikas Haus hatte.
Elisabeth lernte das Leben im Luxus also nicht erst nach ihrer Hochzeit mit dem Kaiser von Österreich kennen. Sie kannte es längst durch ihren Vater. Herzog Max hatte wenig Bezug zu Geld und ging davon aus, dass man sich jeden Wunsch, der mit Geld erfüllt werden konnte, auch erfüllte. Was eine Auffassung war, die seine zweitgeborene Tochter in ihrem späteren Leben teilte.
Gab es für die herzogliche Nebenlinie auch offizielle Aufgaben? Eigentlich nur eine einzige: Sie sollte aufs Repräsentativste den Glanz der Wittelsbacher widerspiegeln. Die Zeiten, als ihre Angehörigen in der Politik eine Rolle spielten, waren seit Ende der Napoleonischen Kriege vorbei. Nun gab es nur mehr eine Linie, die politisch von Bedeutung war: die königliche. Max’ Großvater Wilhelm war der letzte Wittelsbacher Herzog gewesen, der noch auf dem politischen Parkett taktiert hatte. Vor diesem Hintergrund muss man auch die späteren Urteile über Elisabeths Vater betrachten. Von diesem Herzog wurde stets geschrieben, dass er sich ganz seinen privaten Interessen hingegeben habe und keinesfalls durch politische Ambitionen aufgefallen sei. Sein Engagement erschöpfte sich angeblich in der Teilnahme an den Sitzungen der Reichsratskammer, denen alle erwachsenen männlichen Mitglieder des königlichen Hauses beiwohnten. Für einige Zeit hatte er auch eine Position in der Kavallerie, wo er bis zum General der Kavallerie aufrückte – was sich aber vornehmlich seiner hohen Herkunft verdankte. Ob Herzog Max mit seinem Rückzug ins Private nur tat, was seine angeheirateten königlichen Verwandten von ihm erwarteten, oder ob es sich dabei um eine persönliche Resignation handelte, lässt sich heute ebenso wenig beantworten wie die Frage, ob der Herzog überhaupt Interesse an einer ihn beanspruchenden Tätigkeit politischer oder militärischer Art gehabt hätte. Ein Leben als Privatier war für einen Verwandten der königlichen Familie ohnehin das Übliche. Das Geschäft der Politik blieb dem Souverän vorbehalten, und jede andere Betätigung hätte als nicht standesgemäß gegolten.
Ihre repräsentativen Pflichten erfüllten Herzog Maximilian und Herzogin Ludovika in den ersten Ehejahren gemeinsam aufs Vorbildlichste. Das Palais Max war Treffpunkt der bayerischen Aristokratie und des diplomatischen Korps. An erster Stelle der gesellschaftlichen Pflichten stand der Empfang neu akkreditierter Diplomaten und ihrer Ehefrauen sowie der Standesherren und Palastdamen. Diese machten nämlich nicht nur in der Münchner Residenz ihre Aufwartung, sondern auch im Palais in der Ludwigstraße, wo Max und Ludovika sie als Mitglieder des königlichen Hauses empfingen. Die Abfolge der Empfänge blieb bis zum Ende der Monarchie dieselbe: Der Herzog empfing die Diplomaten und Standesherren, die Herzogin deren Ehefrauen und die Palastdamen. Die Empfänge fanden in den Abendstunden und in „großer Toilette“ statt. Das bedeutete, dass Männer in Uniform oder schwarzem Rock und mit Orden, die Frauen in Hofroben mit Schleppe und reichem Schmuck erscheinen mussten. Die Geladenen mussten mit der Kutsche vor dem Palais vorfahren, anschließend wurden sie von Saaldienern in die Festappartments gebracht, wo sie warteten, bis sie an der Reihe waren. Dann führte man sie nacheinander in jenen Raum, in dem das Herzogspaar mitsamt seinem Gefolge wartete. Das Vorstellen übernahm beim Herzog der Hofmeister, bei der Herzogin deren Obersthofmeisterin. Anschließend wechselten Max und Ludovika noch einige Worte mit den Besuchern, dann wurden diese wieder hinausgeführt. Solche zeremoniellen Empfänge waren für beide Seiten ermüdend. Dennoch mussten sie regelmäßig – und mit Sorgfalt – abgehalten werden, denn sie waren in sozialer Hinsicht der Kitt zwischen Königshaus und Aristokratie, zwischen Herrscherfamilie und Diplomaten.
Wesentlich lebhafter und fröhlicher ging es bei den Bällen und Konzerten zu, die Max und Ludovika ebenfalls in ihren ersten Ehejahren veranstalteten. Die Bälle im Palais Max gehörten zu den größten gesellschaftlichen Ereignissen der bayerischen Hauptstadt und wurden in den Münchner Gesellschaftsblättern detailliert beschrieben. „Großer Ball bei Herzog Max“, titelte etwa das Münchner Tagblatt über einen der vielen Anlässe, zu denen Herzog Max und Herzogin Ludovika einluden. Um die sechshundert bis siebenhundert Einladungen wurden pro Ball ausgeschickt, und was die Gäste hier erwartete, fand nicht nur Eingang in die Tageszeitungen, sondern auch in die autobiografischen Aufzeichnungen und Bücher derer, die einst die Bälle im Palais Max besuchten und noch im hohen Alter nicht aufgehört hatten, sich an deren überwältigenden Glanz zu erinnern.
Neben den klassischen Bällen während der Wintersaison luden Herzog Max und Herzogin Ludovika zu Masken- und Kostümbällen, die stets einem bestimmten Motto gewidmet waren. Während der Faschingszeit wurde wöchentlich ein Ball veranstaltet – und es waren diese außergewöhnlichen Feste, die den Ruf des Herzogspaares als perfekte Gastgeber festigten und den Glanz der herzoglichen Nebenlinie der Wittelsbacher widerspiegelten.
Natürlich fanden auch kleinere Festivitäten im Palais Max statt. So lud der Hausherr immer wieder zu Konzerten und Theateraufführungen, denn selbstverständlich verfügte sein stattliches Heim wie die meisten in der Zeit des Biedermeier errichteten Palais über ein kleines Privattheater, in dem Schauspieler des Königlichen Hof- und Nationaltheaters die Stücke der Klassiker nebst leichteren Komödien aufführten. Hinter dem Palais ließ Max zudem ein überdachtes Hippodrom errichten, in dem außer Zirkusvorstellungen mit Harlekins und Tänzern auch Reitvorstellungen gegeben wurden, bei denen er persönlich mitwirkte. Seine „Reit-Exerzitien“ waren im damaligen München legendär. Dass Herzog Max auf den Rücken zweier nebeneinanderlaufender Pferde stehen und dabei noch einen Viererzug Pferde lenken konnte, war bald Stadtgespräch. Max ritt Hohe Schule, die schwierigste und anspruchsvollste Form des Dressurreitens, und ließ sich dabei von zuschauenden Freunden des Hauses und der in den Logen sitzenden Hofgesellschaft eifrig zujubeln. Anders als oft kolportiert, lernte jedoch seine Tochter Elisabeth nicht in diesem Hippodrom reiten. Auch wird sie als Kind Max’ Vorführungen nicht oft gesehen haben. Denn als sie sieben Jahre alt war, wurde das Hippodrom bereits wieder abgerissen. Max hatte den Platz, auf dem es stand, den Stadtvätern für die Errichtung eines neuen Straßenzugs überlassen. Und da er in den Jahren vor dem Abriss oft monatelang auf Reisen war, gab es für seine Tochter wenig Gelegenheiten, ihn als Zirkusreiter zu bestaunen.
1837, das Jahr, gegen dessen Ende Elisabeth geboren wurde, brachte eine einschneidende Veränderung für Max und Ludovika. In diesem Jahr starben sowohl der Großvater als auch der Vater von Max, der nun plötzlich in den Vollgenuss des gesamten herzoglichen Vermögens geriet. Zwar war ihm schon vorher von seinem Großvater gegen eine jährliche Apanage die Leitung aller Hausangelegenheiten übertragen worden, und auch sein Vater hatte – zeitgleich und ebenfalls gegen eine Apanage – auf alle weiteren Rechte verzichtet. Aber nun fielen Max noch das riesige Gesamtvermögen und alle Besitzungen der Wittelsbacher Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen zu. Eine unmittelbare Folge dieser Erbschaften war, dass seine Tochter Elisabeth ihren Vater in den nächsten Jahren noch weniger zu Gesicht bekommen sollte als ihre älteren Geschwister in ihrem Alter. Denn dieser beschloss nun, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Und so brach Herzog Max unmittelbar nach Elisabeths Geburt zu einer mehrmonatigen, kostspieligen Orientreise auf.


Mädchenjahre
„Elise wird sehr hübsch, und sie ist so ein gutes Kind.“

Als Elisabeth dreieinhalb Jahre alt war, hatte der Hofstaat ihres Vaters einen Todesfall zu beklagen. Im Sterbeverzeichnis der Münchner Frauenkirche findet sich ein Eintrag, laut dem am 17. Mai des Jahres 1841 um ein Uhr nachmittags im Palais Max ein junger Afrikaner gestorben war. Der – wie es im Sterbebuch heißt – „Mohr aus Abessinien“ war nur siebzehn Jahre alt geworden. Zwei Jahre vor seinem frühen Tod war er auf den Namen Theodor getauft worden, bis dahin war sein Rufname „Osman“ gewesen. Als Todesursache wird „Abzehrung“ angegeben, was darauf schließen lässt, dass Theodor entweder an den Folgen einer schweren Infektion oder einer juvenilen Tumorerkrankung verstorben war.
Er war einer von fünf afrikanischen Dienern bei Herzog Max gewesen. Während seiner ausgiebigen Orientreise, die ihn bis nach Ägypten und ins Heilige Land führte, hatte dieser die fünf als Jungen auf einem Sklavenmarkt in Kairo gekauft und sie dann nach Bayern mitgenommen. Dass der bekannte Herzog schwarze Diener hatte, sorgte im beschaulichen München zwar für einiges Erstaunen, aber eine Sensation war es keine. Immerhin hatten ein Jahr vor Max’ Orientreise aufregende Nachrichten über die Afrikareise des Gartenbauers und Abenteurers Fürst Hermann von Pückler-Muskau an deutschen Höfen die Runde gemacht. Im Februar 1837 hatte der Fürst ebenfalls auf dem Kairoer Sklavenmarkt eine dreizehnjährige Abessinierin gekauft, die ihn seitdem begleitete. Dass sich zudem auf die gebildete und sprachbegabte „Machbuba“ das gängige Klischee der einfältigen schwarzen Sklavin nicht anwenden ließ, heizte das Interesse an ihr in deutschen Adelskreisen noch mehr an.
Vor dem Hintergrund der populären Geschichte von Pückler-Muskaus Reiseerlebnissen galten die schwarzen Diener, die Max im September 1838 mitbrachte, zwar noch immer als exotisch, aber die allgemeine Verwunderung hielt sich in Grenzen. Zudem waren die Gründe, weshalb er die fünf Jungen in Kairo gekauft hatte, christlich-altruistischer Natur. So kann man noch heute nachlesen, wie entsetzt Max über die nordafrikanischen Sklavenmärkte war. Es sei höchst verstörend gewesen, zusehen zu müssen, wie „Menschen gleich dem Vieh“ dort verkauft würden, heißt es einmal. Zurück in München, ließ der Herzog die freigekauften ehemaligen Sklaven in der Frauenkirche taufen.
Als Diener wohnten sie in den im rückwärtigen Teil des Palais Max gelegenen Dienstbotenräumen im zweiten Stock. Ebenfalls dort oben, jedoch im vorderen Gebäudeteil, hatte Elisabeth ihr Zimmer. Von Kind an war für sie der Umgang mit schwarzen Dienern völlig alltäglich. Als Kaiserin sollte sie selbst zwei Afrikaner anstellen: den Nubier Muhammed Beschir, der drei Jahre bei ihr Hausdiener war und später nach Afrika zurückkehrte, sowie den Knaben Rudolf Rustimo. Beide wurden von ihr gefördert und unterstützt, selbst nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei Hof. In späteren Biografien deutete man die schwarzen Diener der Kaiserin oft als „Spleen“, den sie gepflegt habe, um die Wiener Hofgesellschaft zu schockieren – was aber angesichts des häuslichen Umfelds, in dem Elisabeth aufwuchs, zu kurz greift.
Ohnehin prägte dieses sie auf ungewöhnliche, weil sehr unterschiedliche Weise. Denn die Tochter von Herzog Max und Herzogin Ludovika lernte in ihrer Kindheit zwei im Grunde unvereinbare „Welten“ kennen: die des Vaters und die der Mutter. In Ludovikas Welt gehörte Elisabeth ganz und gar zum beschaulichen bayerischen Hofleben des 19. Jahrhunderts. Sie durchlief die typische Erziehung, die ein weibliches Mitglied der königlich-bayerischen Familie zu durchlaufen hatte, und erlebte eine Kindheit mit festen Ritualen und eindeutigen Rollenzuschreibungen. Ihrer hohen Position und ihrem Geschlecht entsprechend musste sie lernen, sich zu disziplinieren und anzupassen. Doch Elisabeth schnupperte auch in eine andere Welt hinein – eine, die eigentlich längst untergegangen war und gar nicht mehr zum „bürgerlichen“ 19. Jahrhundert passte, in dem sich die Höfe Europas zurückhaltender und biederer präsentierten als noch ein Jahrhundert zuvor, im Ancien Régime. In dieser anderen Welt lebte ihr Vater; hier wurden den strikten höfischen Regeln befreiende, individuelle Stilbrüche zugemutet, hier gehörte die Lust an der Provokation genauso zum Lebensstil wie eine luxuriöse, hedonistische Gestaltung des Alltags. Im Grunde führten Max und Ludovika ihren Kindern innerhalb ein- und desselben gesellschaftlichen Rahmens zwei völlig unterschiedliche Lebensweisen vor. Und so wenig diese beiden Lebensweisen miteinander in Einklang zu bringen waren, so wenig harmonierten auch die Eltern miteinander. In diesem Spannungsfeld wurden die Ansichten und Werte der späteren Kaiserin Österreichs geprägt.
Spätestens nach Max’ Orientreise lebten Elisabeths Eltern voneinander getrennt. Die Entscheidung ging von Max aus, der am 20. Januar 1838, kaum einen Monat nach der Geburt seiner zweiten Tochter, zu seiner Reise aufbrach, die ihn unter anderem über Venedig nach Korfu, Athen, Alexandria, Kairo und Jerusalem führte. Als er acht Monate später nach München zurückgekehrt war, entschied er, dass die exquisiten Bälle, die Konzerte und Theateraufführungen, kurz das gesellschaftliche Leben im Palais Max ein Ende finden müsse. Also wurde all das eingestellt, und der Neunundzwanzigjährige zog sich jetzt konsequent vom höfischen und öffentlichen Leben zurück. Die großen Veranstaltungen wichen kleineren, intimeren Gesellschaften, die Prunkräume im ersten Stock des Palais wurden nur mehr selten geöffnet. Max bevorzugte nun kleinere Runden wie die fröhlichen Herrenabende, zu denen er Künstler und Wissenschaftler in seine Privaträume lud. Bei feinen Diners und reichlich Champagner diskutierten die geladenen Herren mit ihrem Gastgeber über die neuesten Bücher, lauschten wissenschaftlichen Vorträgen, philosophierten und musizierten. Die Herzogin war bei diesen Männerrunden nie anwesend. Da ihr Mann keine größeren Gesellschaften – zu denen auch Frauen eingeladen worden wären – mehr geben wollte, endeten für Ludovika sowohl das gesellschaftliche Leben im Palais Max wie auch ihre Auftritte als glanzvolle Gastgeberin. Dass die Ehefrau in eigener Initiative ohne den Hausherrn Bälle oder Empfänge ausrichtete, war damals undenkbar. Hinzu kam, dass Max ab jetzt noch weniger Zeit in ihrer Gesellschaft verbrachte als in den Jahren zuvor.
Auch kaufte der Herzog siebzig Kilometer nördlich von München ein kleines Wasserschlösschen, das in einem riesigen Jagdgebiet gelegen war, und ließ es nach seinem Geschmack ausbauen. Schloss Unterwittelsbach war bald Max’ bevorzugter Wohnsitz. Hier verbrachte er seine Tage mit Lektüre und Studium und verfasste historische Abhandlungen. Vor allem aber widmete er sich bei seinen Aufenthalten in Unterwittelsbach der Jagd und der Reiterei. Seine Freunde und die Besucher seiner regelmäßigen Herrenabende waren auch hier, im Wasserschlösschen, gern gesehene Gäste. Nur Ludovika und seine Kinder sollten diesen Rückzugsort von Max zu seinen Lebzeiten kaum besuchen.
Ausschließlich während der Wintermonate, und selbst dann höchst sporadisch, sahen Frau und Kinder den Herzog. Dessen de facto Junggesellenleben tat allerdings der Familienplanung keinen Abbruch. Im Gegenteil, nach Elisabeths Geburt wuchs die Kinderschar von Max und Ludovika sogar beträchtlich an. In den folgenden Jahren gesellten sich zu den älteren Kindern Louis, Helene und Elisabeth bald in jeweils kurzen Abständen Karl Theodor, Marie, Mathilde, Sophie und Max Emanuel. Die Geburtsdaten dieser jüngeren Geschwister Elisabeths scheinen den individuellen Rhythmus des herzoglichen Ehelebens zu bestätigen: Bis auf Mathilde kamen alle Geschwister im Spätsommer oder Herbst zur Welt, also stets neun Monate nach dem winterlichen Séjour des Herzogs im Münchner Palais, wo die bereits erwähnte Wendeltreppe von seinem Schlafzimmer direkt in das von Ludovika führte.
Ansonsten zog es der Herzog auch im Winter vor, seine Zeit in seinem Privatappartement im Parterre des Palais Max zu verbringen. Da dieses einen eigenen Eingang zur Straße hin hatte, konnte er kommen und gehen, ohne von seiner Familie bemerkt zu werden. Als zum Beispiel die junge Elisabeth einmal von ihrer Gouvernante gefragt wurde, ob sie ihren Vater – der kurz zuvor von einer langen Reise zurückgekehrt war – schon gesehen habe, antwortete sie: „Nein, aber ich habe ihn pfeifen gehört“. Zeitgenossen berichteten, dass Max und Ludovika oft tagelang unter demselben Dach lebten, ohne einander zu begegnen. Wollten Ludovika und die Kinder Max sehen, mussten sie sich bei seinen Dienern anmelden. Derlei distanzierte Umgangsformen waren zwar in königlichen Kreisen gang und gäbe – selbst Eheleute platzten hier nicht einfach in das Appartement des/der anderen, sondern kündigten dem jeweiligen Kammerpersonal ihren Besuch an. Dennoch verdeutlichen sie im Fall von Herzog Max, dass er die Begegnung mit Frau und Kindern als Störung seines Alltags empfunden haben dürfte.
Max schien bei seinen Kindern zu wiederholen, worunter er bei seinem eigenen Vater schmerzlich gelitten hatte. Er zeigte keinerlei Interesse an seinem Nachwuchs, und dies in einer Deutlichkeit, dass es die Verwandten seiner Ehefrau entsetzte. So schrieb Ludovikas Schwester, Erzherzogin Sophie, schon nach der Geburt von Max’ und Ludovikas erstem Kind, der Umstand, dass sich ihr Schwager „überhaupt nicht mit seinem wunderbaren Schatz“ beschäftige, sei ein Beweis seiner übermäßigen Leichtfertigkeit und zeige, „dass sein Herz kaum spricht“. Ein nicht minder scharfes Urteil fällte später Elisabeths Bruder Karl Theodor über den Vater: Dieser sei der „personifizierte Egoismus“ gewesen.
Elisabeth, die als Kind von ihrer Familie „Elise“ gerufen wurde, wuchs ganz im Einflussbereich ihrer Mutter auf. Und so, wie sich Ludovikas Kindheit deutlich von jener ihres Ehemannes unterschieden hatte, unterschied sich nun die Aufmerksamkeit, die sie ihren Kindern entgegenbrachte, in gravierendem Maß von der seinen. Auch die Herzogin wiederholte die eigenen Kindheitserfahrungen: Für sie standen die Kinder im Mittelpunkt. Hatten schon ihre Eltern das Zusammensein mit ihren Kindern als erstrebenswertes familiäres Glück betrachtet, so fand auch Ludovika Erfüllung in der Betreuung ihres Nachwuchses. Eine ihrer Schwiegertöchter sollte die Herzogin später sogar als „ausgesprochenes Mutterwesen“ bezeichnen, als Frau, die ganz für ihre Kinder lebte. Ludovika selbst sagte Jahrzehnte später zu ihrer Enkelin Amélie von Urach, dass einer Frau nur die Kinder blieben, „wenn die Männer ihrer Wege gehen“. Allerdings stand trotz Max’ Desinteresse am Familienleben die Frage, ob man Kinder haben wolle, auch nie zur Disposition – oder wie die alte Herzogin es ausdrückte: Man pfusche dem Herrgott nicht in seine Pläne. Ludovikas großes Engagement für ihre Kinder, ihre leidenschaftliche Hingabe an die Mutterrolle – damals ungewöhnlich für eine Frau ihres Standes – war wohl auch, ungeachtet aller mütterlichen Gefühle, eine Kompensation dafür, dass sie in ihrer Ehe keinerlei Aufmerksamkeit erfuhr. Denn Max zeigte sich so uninteressiert an seiner Ehefrau wie an seinen Kindern und brachte ihr kaum mehr als oberflächliche Höflichkeitsbezeugungen entgegen. Es gebe keine Beziehung zwischen den beiden, konstatierte Ludovikas Schwester Sophie und klagte über den Schwager: „Eine derartige Gleichgültigkeit kann man sich nicht vorstellen!“
Sucht man nach Gründen für die Ignoranz, die Max nicht nur gegenüber Ludovika und den Kindern zeigte, sondern auch gegenüber dem Urteil seiner Umgebung, muss man neben seiner trostlosen Kindheit auch die einzigartige Stellung ins Treffen führen, die er innerhalb der Wittelsbacher Dynastie einnahm. Ludovikas Ehemann war aufgrund seiner familiären Konstellation ein besonderer Majoratsherr. Er erbte nicht nur das gesamte Familienvermögen, sondern unterlag schon in jungen Jahren keinerlei sozialen Kontrolle durch ältere, ranghöhere Familienmitglieder. Herzog Max konnte also im wahrsten Sinn tun und lassen, was er wollte – mit der Konsequenz, dass er bereits als junger Mann nicht nur einen hochgradigen Individualismus an den Tag legte, sondern auch eine Selbstbezogenheit entwickelte, die keinen Raum für Gefälligkeiten gegenüber seinen Mitmenschen ließ. Ludovikas Familie nahm Max’ Verhalten freilich als pure Rücksichts- und Respektlosigkeit wahr. Doch wer hätte dem Herzog dreinreden sollen? Selbst der bayerische König, Ludovikas Halbbruder, schien sich so sehr über Max empört zu haben, dass er sich vornahm, ihm die Leviten zu lesen, ließ es dann jedoch bleiben. Die väterliche Hausgewalt war schließlich etwas, was dem Hausherrn – und nur diesem – zustand, selbst ein König hütete sich, hier einzugreifen.
Ein Gemeinplatz in der Kaiserin-Elisabeth-Forschung besagt, dass die schwierige Ehe ihrer Eltern ein prägendes Element in Elisabeths Biografie darstellt. Die Ehe von Max und Ludovika gilt als Paradebeispiel einer gescheiterten Ehe, mit entsprechenden Folgen für die gemeinsamen Kinder. So wurden von späteren Biografen Elisabeths Kindheitserfahrungen – mit einem nicht nur mental abwesenden Vater – oft zur Erklärung ihres Verhaltens als Erwachsene herangezogen. Eine derlei einfache Argumentation ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Schließlich kann man diese herzogliche Ehe des 19. Jahrhunderts nicht aus der Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts beurteilen, wo man zumindest in der westlichen Welt die Liebe als Voraussetzung einer geglückten Ehe betrachtet.
Aber wie hat man sich in jener Epoche, in der Elisabeths Eltern junge Erwachsene waren, in ihren Kreisen die ideale Ehe vorgestellt? Was erwartete man sich von der Ehe? Naturgemäß etwas anderes als heute. Zur Zeit von Max und Ludovika wurde der Zweck einer Ehe weder in der emotionalen Erfüllung noch in der Legitimierung einer leidenschaftlichen Beziehung zwischen Mann und Frau gesehen. Als erfolgreich galt eine Ehe, wenn sie eine Erhöhung oder zumindest die Aufrechterhaltung des sozialen Status beider Parteien in Hinblick auf gesellschaftliche Stellung, Rang und Vermögen bewirkte. Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen, sondern waren Allianzen zwischen zwei Häusern, zwei Dynastien. Wer das Eheleben eines Herzogs aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein an heutigen Maßstäben misst, wird ihm nicht gerecht. Denn seinerzeit musste ein guter Ehemann vor allem eines: kraft seiner gesellschaftlichen Stellung seiner Angetrauten einen gesellschaftlichen Rang sichern, der wenigstens ihrer Herkunft entsprach oder, im besten Fall, den Rang ihrer Familie sogar übertraf. Und das tat Herzog Max. Er bot seiner Ehefrau den Status und Rang, der ihr als Tochter eines bayerischen Königs zustand, und sein Vermögen garantierte ihr eine standesgemäße Lebensweise. Mehr durfte Ludovika nicht erwarten. Liebe und Aufmerksamkeit waren eine Draufgabe, die nur wenige Glückliche erhielten. Dass Max laut seinen Nachkommen „auf Abwege geriet, wie viele vornehme Herren seiner Zeit“, war für einen Familienvater damals nicht erwähnenswert. Auch Ludovikas Geschwister, die ihren Schwager sonst sehr kritisch sahen, empfanden dessen erotische „Abwege“ als wenig bedeutendes Kavaliersdelikt. Ludovikas Schwester, Erzherzogin Sophie, versicherte der Betrogenen sogar nachdrücklich, sie kenne sehr viele Frauen, die mit ihren untreuen Gatten höchst glückliche Ehen führten.
Ludovika ihrerseits verhielt sich, wie es erwartet wurde, ihrem Mann gegenüber kooperativ und fügsam. Sie betonte ihre körperlichen Reize, um Max zu gefallen. Als alte Frau sagte sie einmal rückblickend, wenn Max zu ihr ins Schlafzimmer gekommen sei, habe sie stets versucht, ihn zu „kapern“. Was darauf hindeutet, dass sie auch ihre erotische Attraktivität bewusst einsetzte, um eine Beziehung zu ihrem Mann herzustellen. Ebenso war sie zunächst bemüht, ihm optisch zu gefallen. Weil Herzog Max bei Frauen viel Wert auf ein prachtvolles Erscheinungsbild gelegt habe, so erzählte sie es später einer ihrer Enkelinnen, habe sie sich in den ersten Ehejahren sehr herausgeputzt. Doch die erhoffte Aufmerksamkeit blieb aus. Ludovika resignierte schließlich und wurde im Laufe der Jahre zu einer abgeklärten Frau, die ihre Umgebung illusionsfrei beurteilte.
Was es Elisabeths Mutter in jungen Jahren erschwerte, im herzoglichen Haushalt eine starke Position einzunehmen, war weniger die eheliche Tristesse als die Unmöglichkeit, sich als Herrin des Hauses zu profilieren. Keine Frau ihres Standes konnte sich damals Liebe und Zuneigung von einer Ehe erwarten, das wurde den adligen Heiratskandidatinnen von Kind an eingeimpft. Doch viele konnten als Ehefrauen wenigstens ihr neues Heim zu ihrem Machtbereich umgestalten. Die Verantwortung und Entscheidungsmacht über häusliche Angelegenheiten war einer der wenigen, ihrem Geschlecht zugestandenen Freiräume, in denen sie autonom schalten und walten konnten. Sie wurden zu energischen Organisatorinnen des heimischen Alltags (der nebst Kindern oft eine vielköpfige Dienerschaft umfasste) und glänzten in großer Toilette gelassen an der Seite ihrer – oft untreuen – Gatten auf dem gesellschaftlichen und höfischen Parkett. Mochten ihre Männer außer Haus Befehle erteilen oder sich verlustieren – zu Haus führten sie das Zepter und waren die unumstrittenen Autoritäten.
Herzogin Ludovika blieb es verwehrt, wenigstens in der Rolle der Hausherrin Anerkennung und eine gewisse Autonomie zu erlangen. Zwar hätte sie als Ehefrau des Oberhaupts der immens reichen Nebenlinie der Wittelsbacher die besten Voraussetzungen gehabt, um in Bayern und am dortigen königlichen Hof eine der einflussreichsten „Damen der Gesellschaft“ zu werden. Doch Herzog Max gestand ihr nicht zu, neben ihm die Rolle der Hausherrin zu übernehmen. Im Gegenteil, sein Verhalten hinderte sie sogar daran, in ihrer beider Haushalt auch nur im Geringsten eigenständig zu agieren. Denn obwohl Max praktisch ein Singleleben führte, das kaum Berührungspunkte zum Alltag seiner Familie aufwies, ließ er nicht zu, dass seine Rechte als Pater familias geschmälert wurden. Ludovika lebte de facto wie eine verlassene Ehefrau, nur ohne deren Freiräume. Kein noch so nebensächliches Vorhaben, das nicht der Erlaubnis ihres Ehemanns bedurfte. Auch für jede Personalentscheidung, die ihren persönlichen Hofstaat betraf, benötigte sie Max’ Zustimmung; jede Reise, die sie oder die Kinder unternahmen, musste vorher von ihm genehmigt werden. Max ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihm allein die Entscheidungsgewalt im Haus und in der Familie zustand.
Analysiert man die wenigen erhaltenen und der Forschung zugänglichen Briefe der Herzogin an ihren Mann, so fällt auf, wie sich ihr Tonfall mit den Jahrzehnten ändert. Vor der Heirat spricht aus den Briefen ein selbstbewusstes Mädchen, das auch freimütig Kritik an der Lebensweise seines Verlobten äußert. Nach der Heirat wird der Ton jedoch nüchterner und oft geradezu bittend, verweist fast auf eine devote Haltung Ludovikas gegenüber ihrem Mann. Deutlich erkennbar ist auch, dass sie gegenüber Max keinerlei Forderungen stellen konnte. Sanftmütig und um Verständnis bittend, versuchte sie immer wieder, für sich oder ihre Vertrauten zu intervenieren. Hatte Ludovika es doch einmal gewagt, eine Entscheidung zu treffen, über die der Ehemann nicht informiert wurde, konnte dieser ihr wie auch ihrem Hofstaat gegenüber zornig und verletzend werden. Geriet Max durch ein ihm eigenmächtig erscheinendes Verhalten seiner Gattin in Rage, brüskierte er sie, indem er ihren Vertrauten am herzoglichen Hof ihre Position entzog. „Die arme Louise“, berichtete Ludovikas Schwester Sophie diesbezüglich einmal ihrer Mutter, „sie hat mir unlängst Züge einer unglaublichen Tyrannei von ihm erzählt!“ In einem der letzten Briefe Ludovikas an Max bittet die mittlerweile fast Achtzigjährige darum, ihrem persönlichen Obersthofmeister, der ihr wie dem herzoglichen Haus vierzig Jahre treu gedient hatte (jedoch ohne Max’ Sympathie zu gewinnen), als Anerkennung eine Medaille zu verleihen. Eine kleine, fast selbstverständliche Aufmerksamkeit, ein bescheidener Wunsch, nichts weiter – und dennoch gibt sich Ludovika demütig: Mit den Worten „deshalb erlaube ich mir, dich mit dieser Bitte zu belästigen“ schloss die alte Herzogin, die zu diesem Zeitpunkt bereits fünfzig Jahre verheiratet war, ihr traurig zu lesendes Schreiben.
So viel seit Erscheinen der ersten Biografien Elisabeths auch über ihre Eltern geschrieben wurde, so wenig wurden die gängigen, von Biografie zu Biografie meist einfach übernommenen, Darstellungen von Herzog Max und Herzogin Ludovika in Bayern hinterfragt. Aussagekräftige Quellen in bedeutender Zahl gibt es zu den Eltern Elisabeths zwar nicht, doch die Art und Weise, wie ihre Persönlichkeiten dargestellt, ihre Eigenschaften beschrieben und bewertet werden, scheint seit den ersten Biografien im 20. Jahrhundert unverrückbar festzustehen. So wird Elisabeths Vater Max meistens als intellektueller, aufgeschlossener und moderner Freigeist dargestellt, der durch eine arrangierte Ehe an eine wenig intellektuelle Frau ohne Interessen gebunden war, die den geistigen Höhenflügen ihres Ehemannes verständnislos gegenüberstand. Max’ Seitensprünge wie auch der Abbruch der Beziehung zu Ludovika wurden demgemäß oft als logische Reaktion eines intellektuell anspruchsvollen Mannes verstanden, der mit seiner biederen Ehefrau nichts anzufangen wusste. Oder mit den Worten einer herzoglichen Hofdame: „In der Meinung der Welt galt sie als ziemlich nichtssagend und damit entschuldigte man oft den Gemahl, der seine Neigungen nach manch anderer Seite wandte“.
Aber ähneln diese Beschreibungen nicht auffällig den traditionellen Rollenzuschreibungen der Geschlechter? Der Verdacht kommt jedenfalls auf, dass in vielen Darstellungen von Elisabeths Eltern bisher ein Klischee – hier der kluge, weltläufige Mann, da sein einfältiges Ehegespons – bemüht wurde, wo man hätte differenzieren können und müssen. Freilich, ein Klischee, das in vielen Varianten auftaucht. So findet, wer die gängigen Beschreibungen von Max und Ludovika betrachtet, etwa folgende der alten, geschlechtstypischen Rollenzuschreibungen: der Freidenker und die langweilige Ehefrau. Der interessierte Privatforscher und die intellektuell genügsame Herzogin. Der moderne, aufgeschlossene Wittelsbacher und die altmodischen Werten anhängende Königstochter. Keine Frage, dass dem Ehemann hierbei stets der interessantere Part zukommt, während seine Frau mitunter als personifizierte Langeweile beschrieben wird.
Gerne und oft schrieb man die tiefen Gräben zwischen den Eheleuten ihrem unterschiedlichen Temperament zu. Persönlichkeit und Temperament mögen bei Max und Ludovika zwar grundverschieden gewesen sein – was man jedoch nicht außer Acht lassen darf, ist das große soziale Gefälle zwischen Männern und Frauen. Was etwa Ausbildung, Bildung, Beruf und auch die räumliche Bewegungsfreiheit anging, hatten damals Frauen nicht nur völlig andere, sondern auch drastisch weniger Möglichkeiten als Männer. Als Kinder wurden in diesen Kreisen etwa Männer vom Rang des Herzogs in klassischen Sprachen und Geografie, in Staatskunde und politischer Bildung unterwiesen. Frauen wie Ludovika sollten im Mädchenalter dagegen neue Sprachen lernen, die sie für die Konversation bei Hof brauchen würden, hinzu kamen Gesellschaftstänze und die hohe Kunst des, wie wir heute sagen würden, Small Talks, also des oberflächlichen, unterhaltsamen Gesprächs. Unter diesen Voraussetzungen musste jeder Vergleich in Sachen Bildung unweigerlich zuungunsten der Frau ausfallen. Doch selbst wenn Max, wie manchmal angedeutet, an der Seite einer humanistisch und geisteswissenschaftlich gebildeten oder zumindest interessierten Frau ein besserer Ehemann geworden wäre, so sei doch angemerkt, dass ein solches Exemplar von Ehefrau in seinen Heiratskreisen schlichtweg nicht existierte. Charakteristika wie die für Max’ ideale Gattin geforderten passten wohl auf die eine oder andere bürgerliche Betreiberin eines literarisch-philosophischen Salons im 18. Jahrhundert, aber nicht auf eine typische Angehörige des Hochadels im 19. Jahrhundert. Hier wurden intellektuelle Interessen bei Frauen als „Flausen“ abgetan, und eine Frau, die solche zeigte, geriet schnell in den Ruf, ein „Blaustrumpf“ – also eine „gelehrte Frau ohne weiblichen Charme“ – zu sein. Ganz abgesehen davon fühlte sich Herzog Max bei seinen Seitensprüngen ohnehin nicht von intellektuellen Frauen angezogen. Lieber vergnügte er sich mit Kammerzofen und Mädchen aus dem Volk. Aus dieser Perspektive war in der unglücklichen Ehe von Elisabeths Eltern wohl weniger ein „Freigeist“ mit einer allzu biederen Frau zusammengespannt als ein häuslicher Despot mit einer Frau, die sich ihm gegenüber nachgiebig und devot verhielt.
Auf Elisabeth dürfte die Ehe ihrer Eltern und die ständige Abwesenheit des Vaters jedoch keine sehr prägende Wirkung entfaltet haben – denn königliche Kinder sahen damals ihre Väter in der Regel selten, und so gut wie keine arrangierte Ehe in königlichen Kreisen zeichnete sich durch große Intimität oder viele gemeinsam verbrachte Stunden aus. Stärker – im Sinne einer prägenden Erfahrung für die spätere österreichische Kaiserin – fiel wohl ins Gewicht, was man „das Phänomen weiblicher Ohnmacht“ nennen kann: Frauen, deren Wünsche und Ziele nicht mit dem gängigen weiblichen Rollenbild harmonierten, mussten in der damaligen Gesellschaft vielfach ihre Machtlosigkeit erkennen. Viele von ihnen resignierten gegenüber der männlichen Übermacht, und nicht wenige entwickelten unbewusst Strategien, um sich ungewollten Situationen entziehen zu können. Und diese Strategien hießen zumeist: Rückzug, innere Emigration und, besonders häufig, Flucht in Krankheit.
In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass Ludovika das hohe Alter von dreiundachtzig Jahren erreichte, ohne dass jemals eine schwerere Krankheit bei ihr diagnostiziert wurde, und sie sich dennoch lebenslang in einem leidenden Zustand befand. Zwar wurde Elisabeths Mutter nachweislich von schweren Migräneanfällen heimgesucht, die ihren Alltag erheblich einschränkten, dennoch erstaunt das Ausmaß ihrer, wie sie es nannte, „Leiden“. Die vielen Entschuldigungen in ihren Briefen, etwa aufgrund „meines Kopfes“ und weiterer Zustände nicht zu einer Festivität anreisen, an einer anderen nicht teilnehmen zu können etc., sind auffällig. Und selbst wenn man Ludovikas Disposition für Migräne in Betracht zieht, machen solche Passagen stutzig: „Da ich finde, dass es mir besser ist, wenn ich nicht aufstehe, bleibe ich geduldig zu Hause auf meine Zimmer beschränkt, die ich mir noch bequemer eingerichtet habe“. Aus Zitaten wie diesem spricht deutlich der Wunsch nach innerem Rückzug. Für Ludovika waren ihre körperlichen Zustände ein guter – und für die Umgebung nachvollziehbarer – Vorwand, sich in die persönliche Komfortzone zurückzuziehen. Elisabeth wuchs in nächster Nähe zu ihrer Mutter auf. Sie erlebte Ludovikas Enttäuschungen wohl ebenso mit wie deren durch Max verursachte Kränkungen. Sie muss gesehen haben, wann und in welchen Situationen die Mutter sich zurückzog. Auch in ihrem Leben sollte es später eine „Flucht in die Krankheit“ geben.
Die Kindheit Elisabeths allerdings wird in allen Biografien, die seit ihrem Tod im Jahr 1898 erschienen, als äußerst glücklich beschrieben. Elisabeth, so der allgemeine Tenor, sei frei und ungebunden aufgewachsen. Sie habe das Glück gehabt, vom königlichen Zeremoniell weitgehend verschont zu bleiben, weil ihr Vater dem nicht regierenden Zweig der Wittelsbacher angehört habe. Auch das Leben in der herzoglichen Familie sei überraschend einfach und ungezwungen gewesen, weshalb Elisabeth als Kaiserin später Schwierigkeiten gehabt habe, sich am strengen Wiener Hof zurechtzufinden.
Die vielfach romantisch ausgeschmückte Geschichte des fernab des höfischen Protokolls und in großer Nähe zur Natur und zum einfachen Leben aufgewachsenen Mädchens gehört ohne Zweifel zum Repertoire des „Sisi-Mythos“. Aber: Wuchs Elisabeth derart frei auf? Unterschied sich ihre Erziehung tatsächlich von der Erziehung anderer Mädchen ihres Ranges? Und: Worauf beruhen eigentlich die tradierten Erzählungen von Kaiserin Elisabeths Kindheit?
Wer sich auf die Suche nach den Grundlagen dieser Erzählungen begibt, landet schließlich im Österreichischen Staatsarchiv, bei einem Karton mit der Nummer 13. Er gehört zu einer Vielzahl an Kartons, in denen der wissenschaftliche Nachlass des 1953 verstorbenen ehemaligen Offiziers und Historikers Egon Caesar Conte Corti verwahrt wird. Conte Corti erstellte in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts die erste, auf historischen Quellen basierende Biografie Elisabeths. Fast alle nachfolgenden Werke gründen auf seiner Studie, und da Conte Corti viele Originalquellen, die heute nicht mehr zugänglich sind, auswerten durfte, gehört sein Nachlass bis heute zu den wichtigsten Behelfen aller, die sich wissenschaftlich mit der österreichischen Kaiserin beschäftigen.
In Karton Nummer 13 finden sich zwei kleine Zettel, auf denen in verblasster Tinte alles über Elisabeths Kindheit steht, was wir aus zugänglichen Quellen wissen können (und in ihren zahllosen Biografien wieder und wieder tradiert wird). Es handelt sich hierbei um die gekürzten Abschriften zweier Briefe, die Conte Corti Ende der Zwanzigerjahre kopierte. Die zwei Briefe aus dem Jahr 1900 stammten von den beiden ehemaligen Gouvernanten Baronin Amalie Tänzl von Tratzberg und Gräfin Luise von Hundt-Wulffen. Die zwei alten Damen hatten darin – auf Wunsch von Elisabeths jüngster Tochter Marie Valerie – ihre Erinnerungen an die Kindheit Elisabeths aufgezeichnet. Marie Valerie hatte damals geplant, eine Biografie über ihre 1898 ermordete Mutter zu verfassen, und aus diesem Grund getan, was auch heute seriöse Forscher tun würden: Sie hatte begonnen, sämtliche Informationen zum Leben der Kaiserin zusammenzutragen. Und die letzten Zeitzeugen aus der frühen Kindheit ihrer Mutter waren außer ihren noch lebenden Geschwistern diese beiden ehemaligen Gouvernanten gewesen. Gräfin Hundt und Baronin Tänzl zeichnen in ihren Briefen das Bild einer glücklichen Kindheit. Sie erzählen unter anderem vom „unwiderstehlichen Liebreiz“ der kleinen „Elise“, die der „Liebling des ganzen Hauses“ gewesen sei. Und sie schreiben vom ausgezeichneten Verhältnis der Geschwister zueinander, davon, dass Elisabeth als Mädchen „hilfreich gegenüber anderen“ und gütig zu den Armen gewesen sei – so habe sie diesen stets die Eier der von ihr betreuten Perlhühner gebracht.
Die Aufzeichnungen der früheren Gouvernanten sind jedoch sehr mit Vorsicht zu behandeln, und man sollte auch berücksichtigen, unter welchen Umständen sie verfasst wurden: Die beiden betagten Damen wurden von der Tochter der ermordeten österreichischen Kaiserin gebeten, ein Stimmungsbild der Herkunftsfamilie ihrer Mutter zu verfassen. Zudem lebte der Ehemann ihres ehemaligen Schützlings noch und war einer der mächtigsten Männer Europas. Es ist unvorstellbar, dass Gräfin Hundt oder Baronin Tänzl unter diesen Umständen ein kritisches Porträt der jungen Elisabeth gezeichnet hätten. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass die beiden Frauen die familiären Verhältnisse im Elternhaus ungefiltert darstellten. Sie wussten, was sie zu schreiben hatten – und was nicht. In ihren Briefen schildern sie Elisabeth so, wie man als Gouvernante in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl das perfekte Mädchen beschreiben würde: voller Liebreiz, hilfsbereit, gütig gegenüber den Armen, aufgewachsen in großer Harmonie. Es ist dies die Beschreibung des damaligen Frauenideals. Und sie ist nicht nur deckungsgleich mit anderen Porträts anderer hochgestellter Mädchen dieser Zeit, sondern geradezu austauschbar. Etwaige schwierige Themen umschifften die beiden gebildeten Damen geschickt. Tatbestände, die der Erzählung von der unbeschwerten Kindheit eines perfekten Mädchens widersprochen hätten, wurden von ihnen nur zart angedeutet. So habe Elisabeth „ein weitaus heitereres und sorgloseres Leben gehabt, als man nach den Verhältnissen des herzoglichen Hofes meinen sollte“.
Ob die Kindheit Kaiserin Elisabeths wirklich um so vieles sorgloser war, als man es angesichts der elterlichen Situation hätte vermuten können, sei also dahingestellt – und muss es bleiben. Es gibt heute nur wenige zuverlässige Quellen, die uns etwas über das Leben der jungen Elisabeth verraten. Als aussagekräftig, vor allem aber weniger problematisch, weil in ihnen von Alltagsdingen berichtet, aber keine Deutungen vorgenommen werden, erweisen sich die erhaltenen Briefe von Elisabeths Mutter an ihre Schwestern und Vertrauten. Diesen lässt sich entnehmen, dass „Elise“ weder besonders frei erzogen wurde, noch dass ihre Erziehung sich von jener anderer Mädchen ihres Standes unterschied. Die Erziehung und Ausbildung Elisabeths hat man nachträglich oft mit jener ihres späteren Ehemannes verglichen, um anhand der Unterschiede ein Erklärungsmodell für die Anpassungsschwierigkeiten Elisabeths am Wiener Hof zu konstruieren. Dabei wurde jedoch häufig übersehen, dass sich die beiden Kindheiten nicht miteinander vergleichen lassen. Franz Josephs Erziehung war völlig auf seine künftige Rolle als Kaiser von Österreich und Herrscher über ein Großreich ausgerichtet. Damit überstiegen sowohl die Erwartungen an ihn selbst als auch sein Lernpensum bei Weitem den durchschnittlichen Erziehungskanon seiner Zeit und seinesgleichen. Kein Erzherzog wurde so sorgfältig unterrichtet oder so früh an repräsentative Pflichten herangeführt wie er. Außerdem müssen die bereits erwähnten enormen Unterschiede in der Erziehung von Knaben und Mädchen berücksichtigt werden. Prinzen wurden darauf vorbereitet, eine Rolle in der Öffentlichkeit einzunehmen, während junge Prinzessinnen im 19. Jahrhundert nur für ihre künftige Rolle innerhalb ihrer Familie und Dynastie erzogen wurden.
Elisabeths Erziehung entsprach ganz dem Geist der Zeit, ihrer Herkunft und den Erwartungen, die später an sie als Frau gestellt würden. Frei war diese Erziehung in keiner Weise, und ein ungebundenes Leben führte die kleine „Elise“ sicher nicht. Ihre Erziehung folgte den üblichen Vorgaben: ein strenger Tagesplan mit fixen Einheiten, eine frühe Unterweisung in Benehmen und Etikette sowie absoluter Gehorsam gegenüber den Eltern und dem Erziehungspersonal. Elisabeths Ausbildung verlief ohne gröbere Komplikationen oder Schwierigkeiten. Sie war ihren Erzieherinnen gegenüber kooperativ und ließ sich leicht leiten – ganz so, wie es damals von einem Mädchen erwartet wurde. Aus den wenigen Quellen scheint sich zumindest eines herausfiltern zu lassen: Elisabeth dürfte ein ruhiges, introvertiertes, sanftes und emphatisches Mädchen gewesen sein, das – als äußerst empfindsam beschrieben – zudem voller Skrupel war und zum Grübeln neigte. Ludovika jedenfalls war entzückt von ihrer fügsamen zweitgeborenen Tochter, die feinfühlig und liebenswert und so anders sei als ihre ältere Schwester Helene, die nicht zuletzt wegen ihres unermüdlichen Widerspruchsgeists in der Familie als Kratzbürste galt. Auch Elisabeths Aussehen gab ihrer Mutter von früh an Anlass zur vollen Zufriedenheit: „Elise wird sehr hübsch, und sie ist so ein gutes Kind“.
War die Erziehung der jungen Elisabeth auch die gleiche wie bei anderen Mädchen von königlichem Geblüt, so unterschied sich ihre Kindheit von der anderer königlicher Kinder doch in einem Punkt: der Persönlichkeit ihrer Mutter. Herzogin Ludovika beschäftigte sich für damalige Verhältnisse sehr viel mit ihren Kindern. Elisabeth und ihre Geschwister verbrachten mehr Zeit mit der Mutter als üblich. Zwar hielt sich die Herzogin an die Konvention, und es gab, wie bei anderen Müttern ihres Standes, fixe Stunden, zu denen ihr die Kleinen gebracht wurden. Doch diese Stunden der Begegnung mit ihren Kindern fanden ungewöhnlich häufig und regelmäßig statt. Üblicherweise sahen Frauen royaler Abstammung wie Ludovika ihre Kinder nur einmal täglich bei einem gemeinsamen Essen, und auch das erst dann, wenn der Nachwuchs schon in der Lage war, gesittet bei Tisch zu sitzen. Ansonsten wurden die Kleinsten den Eltern täglich für kurze Zeit vorgeführt, meist an Nachmittagen, wenn sich die Eltern im Salon trafen. Frisch gewaschen, ordentlich gekämmt und in sauberer Kleidung präsentierte das Personal der Kindskammer dann die Kleinkinder den hohen Eltern – und schaffte sie sofort wieder aus deren Gesichtsfeld, sobald sich gewisse körperliche Notwendigkeiten bemerkbar machten. In die tägliche Säuglings- und Kinderpflege waren die Damen nicht eingebunden, dafür hatte man schließlich entsprechendes Personal.
Ludovika hingegen ließ sich ihre Kinder nicht nur vorführen, sondern widmete ihnen Zeit und Aufmerksamkeit. Aus ihren erhaltenen Korrespondenzen wissen wir, dass sie mit ihren größeren Kindern zumindest täglich eine Stunde spielte. Die Spielstunde war nach dem Mittagessen angesetzt, wenn die kleineren Kinder ins Bett gebracht wurden. An Sonntagen durften alle Kinder in der großen Puppenküche kochen, die man ihnen in einem Salon des Palais aufgestellt hatte – und zwar ausschließlich an Sonntagen, denn die permanente Verfügbarkeit von Spielzeug hielt man damals für einen pädagogischen Fehler. Auch abends durften die Kinder das Appartement ihrer Mutter aufsuchen. Während diese ihre Korrespondenzen erledigte, wurde ihnen von Ludovikas Obersthofmeisterin vorgelesen.
Das Palais Max diente wie ihrem Mann auch Herzogin Ludovika und ihrem persönlichen Hofstaat in den Wintermonaten als Domizil. Doch mit Beginn der warmen Jahreszeit begann der alljährliche Séjour der Herzogin auf dem Lande. In Possenhofen, einem Ort dreißig Kilometer südwestlich von München, am Ufer des Starnberger Sees gelegen, hatte Herzog Max für seine Ehefrau ein kleines Schloss gekauft. Nachdem er, drei Jahre vor Elisabeths Geburt, bei einer Versteigerung das kompakte Renaissanceschlösschen erworben hatte, hatte er es von Grund auf renovieren und ein großes Wirtschaftsgebäude anbauen lassen, das nun genug Platz für das zahlreiche Personal der herzoglichen Familie sowie für Gästeappartments bot. Das Schloss, das ganz nach den Bedürfnissen Ludovikas und der Kinder ausgebaut worden war, wurde zu deren geliebtem Refugium. Hier nahm Ludovika ab nun ihren traditionellen Sommeraufenthalt, hierher lud sie regelmäßig ihre zahlreichen Verwandten – Schwestern, Nichten und Neffen – zu langen Aufenthalten ein, hier fanden sie und die Kinder Erholung von dem lauten und staubigen Leben in der Residenzstadt.
Schloss Possenhofen hatte eine malerische Lage, die es erlaubte, in und mit der Natur zu leben. Der riesige, mit alten Bäumen geschmückte Park reichte bis an das Ufer des Starnberger Sees. Als der Herzog das Schloss erworben hatte, gab es rundherum keine Bauten, sondern nur unberührte Natur. Die idyllische Umgebung lud zu langen Spaziergängen ein, und es muss – abgesehen von den Lauten der Tiere – eine unbeschreibliche Ruhe geherrscht haben. Die Sommer in Possenhofen gehörten zu den prägendsten Kindheitserinnerungen Kaiserin Elisabeths. Die Schönheit der Natur und die vielen Freiräume, die sich dort für Kinder auftaten, deren Alltag sonst streng reglementiert war, machten Possenhofen zu einem Paradies. Von Dienern und Gouvernanten begleitet, ruderten die Herzogssprösslinge über den Starnberger See, die Kinder durften Tiere halten – „Mama schenkte mir zwei sehr nette Lämmer, welche mich recht freuen; sie sind sehr zahm und laufen mir überall nach“, erzählte Elisabeth – und im riesigen Park herumtoben. „Es wäre recht schön, wenn ihr uns manchmal dabei begleiten könntet“, schrieb die elfjährige Elise ihrem Wiener Cousin Erzherzog Karl Ludwig und setzte ein charmantes „Nun lebe recht wohl, lieber Karl und schreibe bald wieder Deiner Dich liebenden Elise“ unter die Einladung.
Elisabeth hatte auf dem Parkgelände von Possenhofen sogar ein eigenes Versteck, in das sie sich zurückziehen konnte: einen kleinen, verfallenen Turm am Ufer des Sees, der zu den Resten der alten, mit Türmchen verzierten Mauer gehörte, die einst Schloss und Park umgeben hatte. Hier soll Elisabeth Gedichte geschrieben und Tagträumen nachgehangen haben. Für ein Mädchen der damaligen Zeit, das ständig unter Beobachtung stand, musste ein eigenes, geheimes Versteck wie dieses den Inbegriff von Freiheit darstellen. So bedeutete Possenhofen auch für die herzogliche Familie ein Stückchen Unabhängigkeit auf Zeit, Entspannung, Rückzug und Erholung – freilich nur für Ludovika und ihre Kinder. Herzog Max ließ sich hier nie blicken. Er verbrachte seine Sommer weiterhin entweder auf Reisen oder in seinem eigenen Refugium, Schloss Unterwittelsbach.
Der Blick auf das beschauliche Possenhofen und den behüteten Alltag der jungen Herzogstochter soll aber nicht über die Turbulenz der Zeit hinwegtäuschen, in der Elisabeth heranwuchs. Denn sie war in eine Zeit des Aufbruchs hineingeboren worden, in eine dynamische Epoche, in der es den Menschen schien, als ob die Welt immer kleiner würde, eine rapide fortschreitende Globalisierung – was heute kaum mehr bedacht wird. Zumeist wird das zweite Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem Elisabeth geboren wurde, oft von der Warte des 20. und 21. Jahrhunderts aus, als die ruhige Zeit des Biedermeier wahrgenommen. Doch allein der technische Fortschritt vollzog sich in einem kaum begreiflichen Tempo. Zwei Jahre vor Elisabeths Geburt feierte man die Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke auf deutschem Boden, und zwar im Herrschaftsgebiet ihres Onkels, König Ludwigs I. von Bayern. Von Nürnberg bis Fürth führte diese erste Strecke der Königlichen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft. Zehn Jahre nachdem sich die Eisenbahn in England durchgesetzt hatte, revolutionierte sie nun den Verkehr auf deutschem Boden. Das Streckennetz sollte in den nächsten Jahren rapide anwachsen und die Eisenbahn den Alltag der Menschen sowie Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig verändern. Elisabeth gehörte in ihrem späteren Leben zu den privilegiertesten Nutznießern des neuen Fortbewegungsmittels, das ihr ermöglichte, ihrer Reiselust leicht, schnell und mit großem Komfort nachzukommen.
Auch politisch erlebten die Menschen dieser Zeit gewaltige Umbrüche. In der Residenzstadt München sollten sich im Jahr 1848, wie an vielen Orten Europas, die Bürger gegen das herrschende politische System erheben. Es zeichnete sich ein neues, und nicht mehr umkehrbares, Verhältnis zwischen Bürgern und Souverän ab. Die Menschen verlangten nach politischer Mitbestimmung, das monarchische Prinzip war nicht mehr unantastbar und die Könige nicht mehr sakrosankt. Hinzu kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im ganzen Land hatte es Missernten gegeben, die Lebensmittelpreise waren in die Höhe geschossen. In dieser Situation reichte eine Stichflamme, um einen Flächenbrand auszulösen und den Wittelsbacher Thron zu erschüttern – oder eine königliche Affäre, die im Herbst 1846 begonnen hatte.
Mittlerweile war König Ludwig I. mit seinen zweiundsechzig Jahren rettungslos der siebenundzwanzigjährigen irischen Tänzerin Elizabeth Gilbert verfallen, die unter ihrem Künstlernamen Lola Montez in die bayerische Skandalgeschichte einging. Die schöne Lola, vom König auch zur Gräfin ernannt, nahm ihren royalen Galan nicht nur finanziell aus wie eine Weihnachtsgans, sondern brachte ihn auch zunehmend auf liberale Ideen (und seinem Kabinett den Namen „Lolaministerium“ ein). Damit waren ihr die Sympathien der Studentenschaft ebenso sicher wie die Ablehnung und Empörung der konservativen und katholischen Bürger. Diese sahen ihr Vertrauen in den König erschüttert und die bayerische Monarchie gefährdet. Hatte Ludwigs Begeisterung für schöne Frauen bis dahin stets in Liebschaften gemündet, die für die Dynastie politisch keine Gefahr darstellten, waren sich nun seine Familie, die Regierung und der Großteil der bayerischen Bevölkerung einig: Eine Mätressenwirtschaft im Stil einer Pompadour passte weder zu den Wittelsbachern noch zu Bayern – die Montez musste das Land verlassen. Auf den Straßen kam es zu Ausschreitungen, aber die Wittelsbacher saßen nach den Tumulten wieder fest im Sattel. Allerdings musste Elisabeths Onkel, König Ludwig I., abdanken.
Die für ihre Familie schwierige Zeit der Unruhen im März 1848 verbrachte Ludovika allein in München. Herzog Max weilte wieder einmal fern von den Seinen und gedachte nicht, angesichts der schwierigen Lage in der Hauptstadt dorthin zu kommen. In langen Briefen informierte Ludovika ihn über die Vorgänge bei Hof und die Vorgänge auf der Straße: Die allgemeine Stimmung sei ernst, und es herrsche „eine bedrückende Stille“. Die Zukunft Bayerns lag nach der Abdankung Ludwigs I. nun in der Hand seines Sohnes. Die Übergabe der Regierungsgeschäfte an König Maximilian II. erwies sich in dynastischer Hinsicht als ideal. Wie ein Steuermann, der mit ruhiger Hand sein Schiff durch unruhige Wellen lenkt, führte er, wenn auch oft zögernd und in Befürchtung einer neuen Revolution, Bayern in die moderne Zeit. Elisabeth sollte diesen Cousin, dessen Regentschaft sie noch einige Jahre in München erlebte, als liebenswürdigen Verwandten hoch schätzen und seinen Tod im Jahr 1864 sehr betrauern.
In den Jahren, die der Revolution von 1848 folgten, entwickelte sich Elisabeth langsam vom Kind zum jungen Mädchen, auf dem Weg zur Frau. Die Aufsicht über ihre Erziehung und die Verantwortung für die Auswahl des Erziehungspersonals hatte ihre Mutter – die freilich stets im Sinn ihres Ehemannes entscheiden musste. Doch da sich Herzog Max für die Erziehung seiner Töchter nicht interessierte – lediglich bei seinen Söhnen war er stärker involviert –, hatte die Herzogin bei den Töchtern freie Hand. Und so sollte Elisabeth während der fünfzehn Jahre, die sie in ihrem Elternhaus lebte, vier prägende weibliche Bezugs- und Betreuungspersonen haben: Die erste war Miss Mary Newbald, die englische Kinderfrau, der Elisabeth anvertraut war. Mit Elisabeths achtem Lebensjahr trat Baronin Luise von Wulffen in den herzoglichen Dienst ein. Sie war zum Zeitpunkt ihres Dienstantritts eine zwanzigjährige, feinsinnige Dame aus diplomatischem Adel. Luise von Wulffen war Elisabeths erste Gouvernante, blieb viereinhalb Jahre im Dienst der herzoglichen Familie und beendete ihre Anstellung im herzoglichen Haus, als sie heiratete. Elisabeth war knapp dreizehn Jahre alt, als Baronin Wulffen sie verließ, verblieb mit ihr aber auch in den folgenden Jahren in innigem brieflichem Kontakt. Luise von Wulffen ging sehr gut auf ihren Schützling ein, und Elisabeths spätere Briefe an sie zeugen von großer Vertrautheit und der engen Bindung, die sie als Mädchen zu dieser Gouvernante aufgebaut hatte. Deren Nachfolgerin wurde Gräfin Camilla von Oetting-Fünfstetten, eine junge Frau, die Ludovika als „liebes, wohlerzogenes, lebendiges“ Mädchen mit guten religiösen Grundsätzen beschrieb. Allerdings wirkte die junge Gräfin mit ihren neunzehn Jahren noch immer so kindlich, dass Ludovika ihr nicht erlaubte, allein mit den Kindern spazieren zu gehen – es hätte nicht passend ausgesehen. Zudem hatte die Herzogin Bedenken, ob Camilla ihrer Aufsichtspflicht überhaupt gewachsen war. Noch eine weitere junge Dame sollte die junge Elisabeth nachhaltig beeinflussen. Nachdem ihre geliebte Gouvernante, nun Gräfin Luise von Hundt, wegen ihrer Heirat den herzoglichen Hof verlassen hatte, holte Herzogin Ludovika Baronin Amalie Tänzl von Tratzberg an ihren Hof. Baronin Tänzl war es, die das zeichnerische Talent der späteren Kaiserin erkannte. Selbst eine begabte Malerin, unterwies sie Elisabeth in der Malerei. Sie berichtete später, dass Elisabeth hervorragende Karikaturen gezeichnet und auch Ölbilder auf Holz gemalt habe. Was einige Zeichnungen und Bilder belegen, die lange nach dem Tod der österreichischen Kaiserin versteigert wurden.
Herzogin Ludovika hatte eine gute Hand bei der Auswahl der Gouvernanten. Es war nicht selbstverständlich, dass sich die Beziehungen zwischen Gouvernanten und Kindern harmonisch gestalteten. Denn allein die Position der Gouvernante oder Erzieherin barg schon das Potenzial, für Missstimmung innerhalb eines Hofstaates zu sorgen. Nicht von ungefähr findet man in der Literatur und den Tagebuchaufzeichnungen Adliger des 19. Jahrhunderts so viele Erzählungen über schwierige, unangenehme Gouvernanten. Grund dafür war die besondere Stellung der Gouvernanten. Sie gehörten weder zur Familie, noch nahmen sie rangmäßig bedeutende Stellungen wie jene von Obersthofmeisterin oder Hofdamen ein. Aber sie waren auch nicht dem Kammerpersonal oder der Dienerschaft zuzurechnen. Ihre isolierte Stellung brachte oft mit sich, dass die Gouvernanten von jenen, die im hierarchisch geregelten Mikrokosmos eines Hofstaats rangmäßig über ihnen standen, mit Arroganz behandelt wurden – während das rangniedere Personal zu ihnen auf Distanz ging, weil sie auch hier nicht dazugehörten und man sich von Erzieherinnen, die in der Regel kamen und gingen, ohnehin nichts sagen ließ. Auf Gouvernanten, die als ledige Frauen von vornherein keinen hohen Status hatten (vor allem wenn sie nicht mehr im heiratsfähigen Alter waren), wurde oft wenig Rücksicht genommen. Und so rächte sich manche Erzieherin, indem sie ihre jungen Schutzbefohlenen gegenüber dem restlichen Hofstaat, und manchmal auch gegenüber deren Eltern, instrumentalisierte. Schließlich waren es die Gouvernanten, die am leichtesten Zugang zu den Kindern eines Hauses hatten.
Die vier Erzieherinnen, mit denen Elisabeth aufwuchs, hatten eines gemeinsam: Sie alle waren junge Frauen ohne Lebenserfahrung. Über ihre künftigen Aufgaben als Ehefrau eines Fürsten oder als Mutter konnten diese Gouvernanten Elisabeth nichts erzählen. Mit einer erfahreneren Gouvernante hätte Elisabeth jedoch lernen können, wie man bei Hof Souveränität im Umgang mit Ranghöheren und Diplomatie im Umgang mit Rangniederen zeigte. Eine solche Erzieherin hätte ihrem Schützling auch vorleben können, wie man bestimmt und dennoch nachsichtig inmitten der Hofchargen Kurs hielt. Doch Elisabeths Gouvernanten waren allesamt blutjung, sanft, einfühlsam, lieb und bisweilen unsicher. Frauen, die, falls nötig, energisch und durchsetzungsfähig den ihnen übertragenen Aufgaben nachkamen und Verantwortungsbewusstsein vor Beliebtheit stellten, lernte die junge Elisabeth nie kennen. Andernfalls hätte sie später am Wiener Hof so manche Kränkung seitens der dort agierenden selbstbewussten Damen aus der Hocharistokratie angemessen parieren – oder auch würdevollst ignorieren – können.Vorwort
Seit ich vor vielen Jahren zum ersten Mal die Zeremonialprotokolle des Kaiserhofes in den Händen hielt, fasziniert mich die Figur der jungen Kaiserin Elisabeth. Das schüchterne sechzehnjährige Mädchen, von dem heute alle Welt denkt, es in- und auswendig zu kennen, zog mich mit all seiner Eleganz und Tapferkeit in seinen Bann. Die kostbaren Quellen, die heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt werden, zeichnen ein deutliches Bild von der gigantischen und komplexen Organisation des Wiener Kaiserhofes, der als vornehmster Hof des alten Europas galt. Die Einträge in diesen großen, auf vielen Seiten eng beschriebenen Büchern erzählen vom Leben in einem Mikrokosmos, in dem selbst die privatesten Momente im Leben der Herrscher – Geburt, Heirat und Tod –, aber auch der ganz typische Alltag in feste Rituale und unabänderliche Zeremonien eingebettet waren.
Wie musste sich das unerfahrene und verängstigte Mädchen Elisabeth gefühlt haben, fragte ich mich beim Studium der alten Quellen. Durch ihre Heirat mit Kaiser Franz Joseph von Österreich an die Spitze dieses Imperiums gehievt und als Kaiserin Elisabeth von Österreich als dessen Aushängeschild präsentiert? Wie reifte sie unter den Argusaugen spitzzüngiger Höflinge von einer unsicheren Pubertierenden zu einer selbstbewussten und selbstbestimmten Frau heran, die – gemessen am Standard des 19. Jahrhunderts – eine außergewöhnliche persönliche Entwicklung an den Tag legte?
Nach meiner Lektüre der Hunderte von Seiten konnte ich erahnen, was es für sie bedeutet haben mochte, ihr Leben im engen Korsett dieses strengen Zeremoniells zu bestreiten. Ich wollte mehr über die schillernde Gestalt der Kaiserin erfahren, deren erste Auftritte am Wiener Hof rührend schüchtern waren. Wie für jede andere junge Frau ihrer Zeit gehörte Fremdbestimmung zum Alltag. Ihr Dasein als Ehefrau, Mutter und Kaiserin schränkte ihren persönlichen Aktionsradius immens ein. Und dennoch gelang es ihr, sich zu einer der ersten Ikonen der weiblichen Selbstbestimmung emporzuschwingen.
Wie jede Forscherin und jeder Forscher habe auch ich eigene Schwerpunkte in meiner Arbeit gesetzt. Ich stellte das Kind „Elise“, das Mädchen Elisabeth und die junge Kaiserin von Österreich in den Mittelpunkt meiner Recherchen. Wie wuchs Elisabeth auf? Welche Prägungen erfuhr sie in ihrer Kindheit? Wie unterschied sich ihre Erziehung von jener anderer Mädchen ihres Standes? Welche Hoffnungen wurden in Elisabeth gesetzt, als sie ins heiratsfähige Alter kam? Wie passte sie sich am Kaiserhof an? Wie erfüllte sie die in sie gesetzten Erwartungen – als Kaiserin, First Lady, Ehefrau, Mutter, Tochter, Schwiegertochter? Welche Ereignisse und Erfahrungen ließen sie zu jener Persönlichkeit reifen, die bis heute fasziniert und jede Generation aufs Neue zur Spurensuche in dieser ungewöhnlichen Frauengeschichte herausfordert? Welche Schicksalsschläge und persönlichen Erfolge wurden zu Wendepunkten in ihrem Leben?
Meiner Idee für dieses Buch lag die Absicht zugrunde, die Lebensgeschichte nicht „von hinten zu erzählen“. Zu oft wurden Elisabeths Kindheit, Jugend und frühen Jahre am Wiener Hof aus der Perspektive des entstandenen „Sisi-Mythos“ erzählt. Zu viel wurde aus dem Wissen um die spätere Entwicklung Elisabeths in Kindheits- und Jugenderlebnisse interpretiert. Zu schnell wurden die Lücken in der Biografie mit Mutmaßungen geschlossen. Und viel zu oft ihre ersten Jahre am Wiener Hof als eine Geschichte des persönlichen Scheiterns erzählt – obwohl sich gerade in diesen Jahren zeigte, welch enorme Adaptions- und Lernwilligkeit die jugendliche Elisabeth an den Tag legte. Es gehört zu den größten Problemen in der Betrachtung der historischen Figur Kaiserin Elisabeth, dass ihre Persönlichkeit und ihr Leben stets aus dem (jeweiligen) Heute gedeutet und analysiert wurden, dass ebenso Bewertungen – positive wie negative – meist anhand gängiger Werte und Erwartungen erfolgten. Man nahm dabei die Frau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Blick, deren persönliche Grenzen und gesellschaftliche Zwänge ganz andere gewesen waren als jene der nachfolgenden Generationen.
Ich machte mich auf die Suche nach dem Mädchen, der jungen Frau hinter dem „Sisi-Mythos“. Ich wollte das in die Konventionen ihrer Zeit eingebettete Frauenleben erforschen und gleichzeitig die Geschichte ihrer persönlichen Entwicklung in den größeren Zusammenhang des 19. Jahrhunderts stellen. Stereotype werden dabei über Bord geworfen, nicht nur jene, die Elisabeth betreffen, sondern auch jene, die man ihren engsten Mitmenschen übergestülpt hat, um dadurch den Mythos „Sisi“ zu untermauern: ihrer Mutter, ihrer Schwiegermutter, ihrem Vater, ihrem Ehemann. Mittels genauer Analyse und Rekonstruktion ihres Alltags habe ich versucht, Elisabeths junge Jahre greifbarer und diese Zeit verständlicher zu machen. Vor allem aber war es mir ein Anliegen, alle Facetten des Lebens einer Frau ihres Standes sichtbar zu machen. Nicht die Kaiserin, nicht die Ikone, sondern die junge Frau steht deshalb im Mittelpunkt dieses Buches.
Die eingangs erwähnte Suche nach dem sechzehnjährigen Mädchen, das im Jahr 1854 an den Wiener Hof kam, wurde eine Reise durch die ersten siebenundzwanzig Jahre im Leben einer der berühmtesten Monarchinnen der Geschichte. Sie führte durch Archive und Sammlungen, höfische Zeremonialprotokolle und erhaltene Sekretariatsakten der Kaiserin, durch vergilbte Tagebücher, Korrespondenzen und in alte Nachlässe. Ich versuchte, öffentliche Auftritte der jungen Kaiserin zu rekonstruieren, zeichnete ihre Reiserouten nach, filterte Informationen aus Korrespondenzen, die teilweise nur mehr in Bruchteilen und in Abschriften erhalten sind, studierte unterschiedliche Quellen und klopfte sie auf ihre Glaubwürdigkeit ab. Ich bemühte mich, bei unterschiedlichen Informationen, die diese Quellen mitunter gaben, den gemeinsamen Kern herauszulösen. Ich untersuchte die wenigen Kleidungsstücke der jungen Kaiserin, die noch erhalten sind, und studierte alte Gemälde. Das Ergebnis ist ein authentisches und stimmiges Gesamtbild eines Frauenlebens, der Entwicklung Elisabeths von der Kindheit bis hin zu ihrem Erwachsensein.

Wien, 2021


Das Elternhaus
„Sie werden lernen, einander zu lieben.“

Die drei königlichen Würdenträger, die am Abend des 24. Dezember 1837 gegen 8 Uhr 30 den kostbar eingerichteten Salon in der Ludwigstraße Nummer 8 betraten, bereiteten sich darauf vor, die kommenden Stunden hier auszuharren. Der Raum, in den sie ein livrierter Diener geführt hatte, hätte nicht prächtiger sein können. Er maß acht Meter in der Breite, dreizehn Meter in der Länge, war mit drei Fensterachsen ausgestattet und befand sich, wie es sich für den Empfangssalon des schönsten Privatpalais der bayerischen Hauptstadt gehörte, genau über einer dreitorigen Einfahrt. Die drei Beamten – Sebastian Freiherr von Schrenk, Staatsminister der Justiz; Ludwig Ritter von Wiesinger, Staatsminister des Inneren, sowie der Minister des königlichen Hauses, Friedrich Freiherr von Gise – waren in das Palais beordert worden, um die Geburt einer Wittelsbacher Prinzessin zu bezeugen. Bis es so weit wäre, blieb ihnen jedoch genug Zeit, um einen der berühmtesten Säle der Residenzstadt München ausführlich zu betrachten.
Unter einer mächtigen hölzernen Kassettendecke, und jeweils oben und unten von einem Fries eingerahmt, schmückten vier große Fresken des Münchner Historienmalers Robert von Langer die Wände des Salons und zeigten, in leuchtenden Farben und klassizistischem Stil, Motive aus der griechischen Mythologie. Überlebensgroß blickten die Götter des Olymps von den Seiten der langen Ostwand auf die königlichen Beamten herab. Und die drei honorigen Herren erkannten zwischen den thronenden Paaren – Zeus und Hera auf der rechten, Hades und Persephone auf der linken Seite – den trefflichen Herakles im Löwenfell, der die treue Alkestis, die anstelle ihres Gatten in den Tod gehen wollte, aus der Unterwelt befreit. An der Nordwand des Saales sahen sie, wie Theseus den stierköpfigen Minotaurus besiegt. Und die Südwand bot ihnen einen Künstler par excellence: Orpheus, den Dichter und Sänger, der die Macht der Worte und Klänge bewies, indem er mit Lyra-Spiel und Gesang sogar Felsen zum Weinen brachte.
Erhaltene Fotografien belegen, dass die Stühle und Bänke des Empfangssalons unmittelbar unter den Fresken aufgestellt waren. Wo immer die drei Herren auf ihren grazilen Stühlchen auch saßen – sie mussten sich geradezu klein vorkommen angesichts der monumentalen Helden- und Götterfiguren über ihren Köpfen. Natürlich konnten die drei, während sie ohne jede Ablenkung im Empfangsraum ausharrten, noch nicht ahnen, dass die Prinzessin, deren Geburt nur einige Räume weiter im Gange war, sich später einmal für die geistige und mythologische Welt des antiken Griechenland, wie sie hier von den Wänden auf sie herabstrahlte, begeistern würde.
An diesem 24. Dezember freilich deutete noch nichts darauf hin, dass der kleine Mensch, der bald das Licht der Welt erblicken sollte, einen ungewöhnlichen Lebensweg vor sich hatte. Es war auch kein besonderer Dienst, den die drei Minister ausgerechnet am Heiligen Abend im Palais Herzog Maximilians in der Ludwigstraße zu leisten hatten. Es ging lediglich darum, die Geburt eines weiteren Mitglieds des Hauses Wittelsbach zu beglaubigen, derlei gehörte zu ihren amtlichen Aufgaben. Der neunundzwanzigjährige Hausherr, Herzog Maximilian Joseph in Bayern, wurde in diesen Stunden zum vierten Mal Vater. Zwei Söhne und eine Tochter waren ihm bereits geschenkt worden – wobei der zweite seiner Söhne noch im ersten Lebensjahr verstorben war. Nun lag seine Frau Ludovika erneut in den Wehen. Sie hatte an diesem Weihnachtsabend eigentlich die Stunden der Bescherung bei ihrer Mutter verbringen wollen, doch ihr Arzt hatte es verboten. Er vermutete, dass die Geburtswehen an genau diesem Abend einsetzen würden – und behielt damit recht.
Die Minister warteten schon über eine Stunde, als Ludovika – oder Louise, wie die ebenfalls Neunundzwanzigjährige im Familienkreis genannt wurde – die finale Phase ihrer vierten Entbindung durchlebte. Die Geburt fand in Ludovikas „weißem Boudoir“ statt. Zu ihrer emotionalen Unterstützung standen ihr vier Frauen bei, die auch ihre engsten Vertrauten waren: ihre Mutter, die verwitwete Königin Caroline von Bayern; ihre ehemalige Erzieherin, die nunmehrige Obersthofmeisterin Gräfin Auguste von Rottenhan; ihre um zwanzig Jahre ältere Halbschwester Herzogin Auguste von Leuchtenberg, die im nahe gelegenen Palais Leuchtenberg residierte, sowie deren Tochter Eugenie, Ehefrau des Erbprinzen von Hohenzollern-Hechingen. Ludovikas beide Hofdamen hielten sich in den Nebenzimmern bereit. Ihre Aufgabe war es, den hohen Verwandten ihrer Herrin, sobald diese das Boudoir der Gebärenden verließen, zu Diensten zu sein.
Ludovikas Appartement grenzte unmittelbar an die Festräume des herzoglichen Palais, zu denen auch der Empfangssalon mit seinen mythologischen Fresken zählte. Die hier wartenden Minister gingen davon aus, dass sich die Geburt nicht mehr lange hinzog; andernfalls hätte man sie – gerade am Heiligen Abend – noch nicht in das Palais geholt. In Fällen wie diesem wurden sie nie schon nach dem ersten Einsetzen der Wehen verständigt.
Exakt eine Stunde und dreizehn Minuten nach Eintreffen der Minister im Palais hatte ihr Warten ein Ende: Die zweite Tochter von Herzog Maximilian und Herzogin Ludovika erblickte das Licht der Welt. Nun wurden die Minister ins Boudoir der Herzogin gerufen, wo ihnen die Hebamme das Neugeborene präsentierte. Dass Herzogin Ludovika nach den Strapazen der Geburt in Nachtkleid und Morgenmantel auf der Chaiselongue ruhte und weder ihre Kleidung noch ihr Haar in einem Zustand waren, der erlaubte, fremde Besucher zu empfangen, ja dass ohnehin eine Frau von königlichem Geblüt niemals Herren in ihrem Boudoir empfing, zu empfangen hatte – über all das wurde hinweggesehen. Schließlich galt es, den Hofvorschriften Genüge zu tun. Und diese verlangten, dass ein Neugeborenes sofort nach der Geburt den zuständigen hohen Staatsbeamten zu präsentieren war. Damit sollte sichergestellt werden, dass ein Kind, das namentlich als legitimes Mitglied des Hauses Wittelsbach in die Geburtsurkunde eingetragen wurde, tatsächlich die Herrin des Hauses zur Mutter hatte. Aus diesem Grund hatte man übrigens auch die Minister in der Nähe der Gebärenden warten lassen. Die herzogliche Herkunft des Kindes und seine rechtmäßige Zugehörigkeit zur Dynastie der Wittelsbacher sollten zweifelsfrei garantiert sein. Immerhin blieb der Herzogin die Anwesenheit der offiziellen Zeugen noch während der Entbindung erspart. Anders als etwa am britischen Königshof üblich, hatte Ludovika den intimen Akt der Geburt nicht vor den Ministern durchleben müssen, allein geschützt von einer Art fahrbaren Leinwand, die die untere Körperhälfte der Gebärenden zwar verdeckte, ihren Oberkörper jedoch den Blicken von Familienfremden auslieferte.
Der amtliche Akt der Bezeugung war schnell erledigt. Nachdem sie den Säugling gesehen und die obligaten Glückwünsche ausgesprochen hatten, verließen Sebastian Freiherr von Schrenk, Ludwig Ritter von Wiesinger und Freiherr von Gise das Boudoir. Dem Haus Wittelsbach, notierten sie im Geburtsprotokoll, war Punkt zehn Uhr und dreiundvierzig Minuten am Abend des 24. Dezember 1837 eine weitere Prinzessin geboren worden. Damit hatten sie ihre Pflicht erfüllt und konnten zu ihren Familien heimeilen.
Dem neugeborenen Mädchen wurde der Name Elisabeth Amalie Eugenie gegeben. Namenspatin war eine ältere Schwester Ludovikas – Elisabeth Ludovika von Preußen, die drei Jahre nach der Geburt ihres Patenkindes Königin von Preußen werden würde. Ihren zweiten Namen Amalie erhielt die kleine Prinzessin zu Ehren der Zwillingsschwester ihrer Patin, der späteren Königin von Sachsen. Der dritte Name Eugenie schließlich verwies auf jene Cousine, die Ludovika in ihren Wehen mit beigestanden hatte. Zwei Tage nach der Geburt taufte man Elisabeth in der Stiftskirche St. Kajetan, der „Theatinerkirche“ genannten Hofkirche in München.
Es war damals erst wenige Jahrzehnte her, dass das Haus Wittelsbach, dem Elisabeth angehörte und das neben ihr so viele andere außergewöhnliche, bisweilen exzentrische Persönlichkeiten hervorbrachte, von Napoleon die Königswürde erhalten hatte. In den unruhigen Jahren nach 1804, als der korsische Feldherr sich zum Kaiser der Franzosen krönte, bis zu seinem Niedergang, der mit dem missglückten Russlandfeldzug 1812 einsetzte, wurden Europas Staaten und mit ihnen die althergebrachte politische Ordnung durcheinandergewirbelt. Die europäischen Herrscher, die sich auf Napoleons Seite schlugen, konnten nun ihr Territorium und ihren Einfluss gegenüber ihren Nachbarn vergrößern – ganz abgesehen davon, dass sie so dem klassischen Schicksal jener widerständigen Standeskollegen entkamen, die der Feldherr und Kaiser einfach von ihren Thronen fegte, um darauf die Angehörigen seiner Familie zu setzen. Elisabeths Großvater Maximilian IV., in jenen Jahren noch Kurfürst und Herzog, erkannte eine Chance für sein Haus und wurde der erste Bündnispartner Napoleons – der ihn im Gegenzug 1806 zum König des stark vergrößerten Bayern machte. Das Ende der Herrschaft Napoleons wenige Jahre später konnte dem jungen Königreich nichts anhaben. Anders als andere Herrscher, die ausschließlich aufgrund ihrer Bündnistreue gegenüber dem französischen Kaiser an die Macht gekommen waren und diese nun verloren, waren die Wittelsbacher zu etabliert, als dass sie ihre Regentschaft während der Restauration wieder hätten abgeben müssen. Davon abgesehen hatten sie noch im letzten Moment die Seiten gewechselt und entgingen deshalb einer Neuaufteilung ihres Herrschaftsgebietes.
Die Wittelsbacher gehörten zu den ältesten deutschen Adelsgeschlechtern und herrschten schon seit Jahrhunderten in Bayern. Sie waren Pfalzgrafen, Herzöge und Kurfürsten gewesen, hatten also stets einen der sieben Fürsten gestellt, die die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches kürten, das heißt wählen durften. Napoleon Bonaparte war nur eine Fußnote in der Geschichte dieser Dynastie. Aber immerhin, die neue Königswürde von seinen Gnaden bedeutete eine Rangerhöhung, und der neue König Maximilian I. Joseph machte daraus das Beste für sein Haus und das Land. Elisabeths Großvater krempelte den Staat von Kopf bis Fuß um. Er reformierte die Staatsverwaltung und führte neben einer neuen Verfassung und einem durchschlagskräftigen Beamtenkorps, neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Religionsfreiheit auch die allgemeine Schulpflicht ein. Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, in der Verfassung verankert, war eine der Maßnahmen, mit denen der nunmehrige Regent die Macht des bayerischen Adels schwächte. Dessen Steuerfreiheit hob er ebenso auf wie das bis dato noch existierende System der Leibeigenschaft. Unter Maximilian I. Joseph wurde Bayern zum modernen Staat. Er war zudem der erste einer Reihe höchst illustrer bayerischer Könige, die eine Popularität erreichten, von der die Herrscher aus anderen Dynastien nur träumen konnten. Und so sollten die Wittelsbacher bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, das auch das Ende des monarchischen Europas einläutete, die Könige von Bayern stellen.
Die Mutter Elisabeths, Herzogin Ludovika Wilhelmina, war die zweitjüngste Tochter Maximilian I. Josephs. Sie entstammte der zweiten Ehe des Monarchen mit der badischen Prinzessin Caroline Friederike. Acht Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, sechs Mädchen und zwei Buben, von denen der eine tot geboren wurde und der andere als kleines Kind verstarb. Ludovika und ihre Schwestern hatten zudem noch fünf Halbgeschwister, die aus der ersten Ehe ihres Vaters mit einer Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt stammten. Zu ihnen gehörte auch Ludovikas Halbbruder Ludwig, der spätere König von Bayern. Als Ludwig I. bestimmte er 1837, als Elisabeth zu Weihnachten das Licht der Welt erblickte, bereits in seinem dreizehnten Regierungsjahr die Geschicke der Monarchie.
Die Kindheit und frühe Jugend Ludovikas, die 1808 geboren wurde, unterschied sich – im besten Sinne – von der üblichen Kindheit junger Prinzessinnen an deutschen Höfen. So schwer es fällt, den bürgerlichen Begriff von einem glücklichen Familienleben auf das Leben an einem damaligen Fürstenhof anzuwenden: Ludovikas Kindheit dürfte den modernen Vorstellungen einer glücklichen Kindheit durchaus entsprochen haben. Die noch erhaltenen und ausgewerteten Briefe ihrer Familie lassen auf einen innigen und herzlichen Umgang miteinander schließen. Trennungen der Eltern von ihren Kindern, bedingt durch die repräsentativen Pflichten des Königspaares, wurden eifrig beklagt, und auch die Beschreibungen alltäglicher Vorkommnisse zeichnen das Bild einer königlichen Familie, die sich neben der Erfüllung ihrer Aufgaben am Hof einen gewissen familiären Freiraum schaffen konnte. Ganz ein Monarch des angehenden Biedermeier, als die Besinnung auf den kleinen familiären Raum (und damit auch dessen Stilisierung) gepflegt wurde, gefiel sich Maximilian, bei aller königlichen Würde, auch in der Rolle des treu sorgenden Familienvaters. Seine sechs Töchter hingen an ihm. Auch ihre Mutter, Königin Caroline, pflegte eine innige Beziehung zu den Mädchen. Vertrauen und Zuneigung prägten auch das Verhältnis der Prinzessinnen untereinander. Bis an ihr Lebensende sollten die fünf Schwestern, die das Erwachsenenalter erreichten – die sechste und jüngste verstarb noch als Kind –, sowie ihre beiden Halbschwestern aus der ersten Ehe des Vaters die enge Verbindung zueinander aufrechterhalten. Selbst in späteren Jahren, als es sie durch ihre Verheiratung in die verschiedensten Himmelsrichtungen verschlagen hatte – nach Berlin, Dresden, Salzburg und Wien –, pflegten die Schwestern ihr starkes familiäres Netzwerk, das dann zur Basis höchst erfolgreicher Heiratsprojekte wurde.
Auch dies mag als Zeichen dafür gelten, dass es Ludovikas Eltern wohl geglückt war, für sich und ihre Kinder eine zufriedenstellende Balance zwischen repräsentativen Pflichten und einem erfüllten Familienleben zu finden. Aber bei aller Zuneigung und Erfüllung, die ein derart vertrauter, quasi bürgerlicher Umgang mit den Töchtern bedeutete, blieb sich das Königspaar – so erzählen die relevanten schriftlichen Quellen – der Pflichten bewusst, die es mit sich brachte, wenn man die erste Familie im Staat war und kleine Prinzessinnen auf eine Zukunft bei Hof vorbereiten musste. Wie ihre Schwestern wurde Ludovika von frühem Alter an zudem zu höfischen Empfängen herangezogen. So musste sie schon als Vierjährige an Theaterbesuchen teilnehmen. Ihren Erzieherinnen beschied man, das kleine Mädchen solle lernen, Erschöpfung oder Langeweile mit Grazie durchzustehen. Als sie dreizehn war, hatte Ludovika bei Hofbällen zu erscheinen. Allerdings durfte sie – als Heranwachsende – noch nicht tanzen, denn das hätte sie in allzu große Nähe zu Männern gebracht. Die angeordneten Ballbesuche dienten auch hier vorerst nur einem Zweck: Sie sollte sich daran gewöhnen, stundenlang bei einem gesellschaftlichen Ereignis auszuharren, ohne andere ihre Müdigkeit oder ihren Überdruss spüren zu lassen.
Die Kindheit und Jugend Ludovikas fand vor dem Hintergrund großen materiellen Reichtums statt. Auch der Lebensstil ihrer Familie entsprach – bei allen Anklängen an ein bürgerlich-biedermeierliches Ideal – ganz einer königlichen Hofhaltung, mit prachtvollen Residenzen und entsprechendem Luxus. Die Familie residierte im Winter in der Münchner Residenz, dem alten Wohn- und Regierungssitz der bayerischen Herzöge, und im Sommer im bezaubernden Schloss Nymphenburg vor den Toren der Stadt. 1816 erwarb König Maximilian zudem eine persönliche Herrschaft, die zum privaten Refugium der Familie werden sollte: das ehemalige Benediktinerkloster Tegernsee, malerisch gelegen am östlichen Ufer des gleichnamigen Sees in den bayerischen Alpen. Hierher, in dieses zur Privatresidenz umgebaute Kloster, konnte sich die Familie zurückziehen, hier fanden große Familientreffen und -feste statt, und hierher sollten später auch die ersten Reisen der österreichischen Kaiserin mit ihrer Familie führen.
Zeitgleich und in räumlicher Nähe zu Ludovika, obschon in emotionaler Hinsicht Lichtjahre entfernt von ihrem familiären Glück, wuchs ein Knabe, der nur drei Monate jünger war als sie, in gänzlich anderen Verhältnissen auf. Er hieß Maximilian und war ein Verwandter der Familie, nämlich der Sohn des Herzogspaares Pius und Amalie aus der altbayerischen Wittelsbacher Linie der Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen. Ludovikas Vater sollte sich seiner besonders annehmen. Dafür gab es mehrere Gründe: Maximilian war das einzige Kind dieser Wittelsbacher Nebenlinie, und die familiären Verhältnisse, in denen er aufwuchs, waren äußerst schwierig. Hinzu kam, dass die Angehörigen dieser einst einflussreichen und bestens vernetzten Nebenlinie in der Vergangenheit immer wieder gegen die Vorrangstellung der dynastischen Hauptlinie, von der Maximilian I. Joseph abstammte, aufgetreten waren – und erst vor kurzer Zeit sämtliche Hoffnungen auf eine souveräne Herrschaft innerhalb bayerischen Gebietes aufgegeben hatten. Es erscheint also nur logisch, dass der König seine Wittelsbacher Verwandten enger an die Kandare nehmen und damit ein bisschen unter Kontrolle haben wollte. Außerdem besaß der diesem Haus entstammende Knabe, um dessen persönliches Wohl es hier ging, nicht nur einen bedeutenden Namen – er würde eines Tages als Alleinerbe auch über eines der bedeutendsten Vermögen des Landes verfügen. Aus all diesen Gründen konnte der Monarch gar nicht anders, als in das Leben des kleinen Max einzugreifen und damit die alte, reiche Wittelsbacher Nebenlinie enger an die königliche Linie zu binden. Des Königs Ansprechpartner in dieser Obsorge-Angelegenheit war sein Schwager Wilhelm, Herzog in Bayern. Dieser war nicht nur das Oberhaupt der besagten Nebenlinie, sondern als Großvater auch die dominierende Figur im Leben des Knaben Max. Dessen Eltern, Herzog Pius August in Bayern und seine Gattin Amalie Luise, hatten weder Einfluss auf die Erziehung des Kindes, noch waren sie in der Lage, sich diesbezüglich gegen Max’ Großvater durchzusetzen.
Von seinen Zeitgenossen wurde Herzog Pius unterschiedlich beurteilt – nachsichtiger aus bayerischer, weniger mild aus ausländischer Perspektive. So wurde er von ersterer Seite allenfalls als sonderlich, maßlos und – auch in den späteren Biografien seiner Enkelin Elisabeth – als Eigenbrötler mit dem Hang zum völligen sozialen Rückzug beschrieben. Wesentlich problematischer war der Eindruck, den der preußische Gesandte in Bayern, Friedrich Wilhelm Christian von Zastrow, von Max’ Vater erhalten hatte. In den Augen von Zastrows war Herzog Pius ein verwahrloster Charakter und Choleriker, der aus grundloser Aggression Schlägereien provozierte, bei denen er seine Kontrahenten „auf das Äußerste misshandelt und grausam verwundet“ hat – weshalb er auch einige Male im Gefängnis landete. Von Max’ Großvater ist nur ein einziger, ironischer Satz über seinen Sohn Pius überliefert: „Das liebe Wesen isst wie ein Menschenfresser und verdaut wie ein Strauß“ – ein kurioses Resümee über die Qualitäten des eigenen Sprösslings (in Anspielung auf die großen Muskelmägen der afrikanischen Strauße, die zur Unterstützung ihrer enormen Verdauungsleistung auch Steine, Sand und alle möglichen kleinen Dinge verschlucken), das noch Jahrzehnte später im herzoglichen Haus als Anekdote weitererzählt wurde. Max’ Vater wurde schließlich unter Aufsicht seiner Familie gestellt. So hatte der Großvater und Patriarch Herzog Wilhelm die Vormundschaft für seinen Enkel – in diesem Fall explizit, denn in der Regel traf ohnehin das Oberhaupt eines Adelshauses die letzte Entscheidung hinsichtlich Ausbildung und Aufenthaltsort der einzelnen Familienmitglieder.
Für den Knaben Max bedeutete diese schwierige familiäre Situation, dass er früh nicht nur immer wieder die ihn belastenden Verhältnisse, sondern auch noch einen häufigen Wechsel der Bezugspersonen zu verarbeiten hatte. Mit sechs Jahren wurde er von seinem strengen Großvater, vor dem er sich noch als Erwachsener fürchten sollte, in die Obhut eines Gesandtschaftsattachés gegeben, dessen Erziehungsstil sogar für die damalige Zeit übermäßig hart und drakonisch war. Mit neun Jahren kam er dann ins Internat, das heißt ins vom weltlichen Priester und Pädagogen Benedikt von Holland geleitete „Königliche Institut für Studierende in München“. An dieser Ausbildungsstätte, deren Besuch für einen jungen Aristokraten, der üblicherweise seine eigenen Hauslehrer hatte, schon ungewöhnlich genug war, machte Max eine für seinesgleichen seltene Erfahrung: Die Zöglinge des Instituts wurden ohne Unterschied gleich behandelt, Herkunft oder gesellschaftlicher Stand spielten keine Rolle. Ein einziges Privileg gestand man dem jungen Wittelsbacher jedoch zu: seinen eigenen Schlafraum.
Die Jahre im Internat, in denen ihm nicht nur der klassische Bildungskanon vermittelt, sondern auch seine Liebe zu Kunst und Musik geweckt wurde, sollte Max zeitlebens in bester Erinnerung behalten. Sie endeten, als er fünfzehn Jahre alt war. Jetzt musste er auf Anordnung seines königlichen Großonkels das Holland’sche Institut verlassen. Denn man befand es für wichtiger, dass der Knabe nun von einem Hofmeister ins „Leben“ eingeführt werde. Dieser war ein Mann, den Benedikt von Holland wohl nicht von ungefähr für dünkelhaft und intrigant hielt. Er hatte den Auftrag, dem Halbwüchsigen die Sinnesfreuden und Unterhaltungen nahezubringen, welche die damalige Adelsgesellschaft, die einen Großteil der bürgerlichen Moralvorstellungen belächelte, ihren männlichen Mitgliedern zugestand (eine Art „Schule des Dolce Vita“ also). Aus heutiger Sicht wirkt es eigentümlich, dass man jungen Aristokraten nach Jahren des Lernens und der Ausbildung vornehmlich die Rolle von Lebemännern zugestand und ihnen zwar eine Fülle an Zerstreuungen anbot, aber keine Aufgaben, bei denen sie ihre Fähigkeiten ernsthaft hätten entfalten können.
Das Resultat dieser Kombination aus zerrütteten Verhältnissen, sehr unterschiedlichen Erziehungsmethoden und mehrmaligem Wechsel der Bezugspersonen war ein junger Mann, der keinerlei positive Erfahrungen mit dem Familienleben gemacht hatte. Dank seiner Zeit im Internat Benedikt von Hollands besaß Max eine gewisse soziale Kompetenz, etwa die Fähigkeit des vorurteilsfreien Umgangs mit Menschen anderer Gesellschaftsschichten. Ansonsten hatte er sich jedoch längst an einen Lebensstil gewöhnt, der in der Hauptsache der Erfüllung seiner persönlichen Wünsche und Neigungen diente. Als künftiger Herzog in Bayern, Träger eines großen Titels und Nutznießer eines riesigen Vermögens entsprach er damit ganz dem Stereotyp des Lebemannes, der sich um nichts kümmern muss. Max war aber auch das Produkt seiner Umwelt. Denn die trostlosen Erfahrungen seiner Kindheit, der selbst für damalige Zeitverhältnisse gefühlsarme Umgang seiner Erziehungsberechtigten mit ihm, wirkten noch lange nach. So berührt es zu lesen, wie Max selbst als erwachsener Mann seine in seiner Kindheit räumlich wie emotional stets abwesenden Eltern verklärte. In den Erinnerungen an seine Orientreise schrieb er etwa, in der Jerusalemer Grabeskirche sei es ihm vorgekommen, als ob ihn die „Geister“ seiner „entschlafenen Eltern liebevoll umschwebten“.
Dass ein junger Mann wie Max, der ein Großneffe des bayerischen Königs und der künftige Erbe der reichen Wittelsbacher Nebenlinie war, nicht selbst wählen konnte, wen er zur Frau nahm, lag auf der Hand. Diese Entscheidung traf natürlich König Maximilian I. Joseph höchstpersönlich, wobei ihm Max’ Großvater eifrig mit Rat und Tat zur Seite stand. Und der König entschied: Der junge Maximilian sollte später seine jüngste Tochter heiraten. Der Gedanke dahinter war, dass durch diese Heirat die stolze Nebenlinie der Wittelsbacher, deren Angehörige sich einst Hoffnungen auf eine souveräne Herrschaft in Bayern gemacht hatten, stärker an die königliche Linie gebunden wurde. Und was das immense Vermögen der Nebenlinie anging, so blieb dieses in der Familie. Zumindest hätte keine andere Dynastie oder aristokratische Familie darauf Zugriff, was ganz im Sinn des Königs war. Max’ Großvater wiederum versprach sich von dem Projekt eine Aufwertung seiner Linie. Durch diese Heirat würden Max und seine Nachkommen den Titel „Königliche Hoheit“ erhalten und in den engsten familiären Kreis des Königs aufsteigen.
Doch Maximiliane Josepha Karoline, die jüngste Tochter des Bayernkönigs, die nach dem Wunsch der beiden Familienpatriarchen Max’ künftige Braut werden sollte, stand bald nicht mehr zur Verfügung. Das Mädchen starb im Jahr 1821, mit noch nicht einmal zwölf Jahren, an den Folgen einer Erkältung. Nun hatte die zweitjüngste Tochter des Königs als Braut nachzurücken, und das war Prinzessin Ludovika. Schon an der Tatsache, dass Ludovika nach dem Tod ihrer Schwester die Lücke füllen sollte, kann man erkennen, dass dieses Wittelsbacher Heiratsprojekt von großer dynastischer Bedeutung für das bayerische Königshaus war. Spätere Mutmaßungen, Elisabeths Mutter habe keine gute Partie gemacht, weil man sie als Königstochter mit einem Mann verheiratete, der „nur“ den Titel „Herzog in Bayern“ trug, sind als Klischees zu betrachten. Denn gerade daran, dass gleich die nächste Königstochter in das Heiratsprojekt bugsiert wurde, zeigt sich, wie wichtig dem bayerischen Königshaus die Fusion mit der reichen Wittelsbacher Nebenlinie war. Ludovika erlangte durch diese Heirat zwar keine Position an der Seite eines regierenden Monarchen, aber für ihre Dynastie – und nur diese Sichtweise zählte in einem regierenden Haus des frühen 19. Jahrhunderts – war die Eheverbindung mit Max eine dynastische Notwendigkeit, die das Haus Wittelsbach stärkte.
Ludovika war zu dem Zeitpunkt, als ihre kleine Schwester starb, dreizehn Jahre alt. Der entfernte Cousin, den sie in einigen Jahren heiraten würde, war ihr seit früher Kindheit vertraut. Denn ihr Vater hatte nicht nur die Oberaufsicht über Max’ Erziehung, sondern ermöglichte dem Buben – den er gerne mochte und dem nur noch sein Großvater als naher Verwandter geblieben war – immer wieder den familiären Umgang mit seinen Töchtern. Ludovika und Max sahen sich als Kinder also regelmäßig und schrieben einander kleine Briefchen, in denen sie von aufregenden Ereignissen und Begebenheiten aus ihrem kindlichen Alltag berichteten.
Ob Ludovika und Max im Alter von zehn bis zwölf Jahren – jenem Alter, aus dem besonders viele Briefe erhalten sind – sich eine gemeinsame Zukunft hätten vorstellen können, lässt sich heute nicht mehr eruieren. Sie verhielten sich jedenfalls wie alle jungen Menschen ihrer Zeit und ihres Ranges: Sie hinterfragten die Entscheidungen ihrer Eltern und Vormunde, wen sie zu heiraten hatten, nicht, denn sie hatten Gehorsam zu leisten. Rebellion und Trotz gegenüber den Eltern war angesichts der Tatsache, dass Mütter und vor allem Väter – noch dazu solche, die Regenten und Standesherren waren – damals als unhinterfragbare Autoritäten auftraten, schwer vorstellbar. Kein denkbarer Einwand Ludovikas gegen die für sie vorgesehene Heirat hätte eine Planänderung bewirken können, und es ist auch unvorstellbar, dass ein Mädchen der damaligen Zeit es gewagt und darum gekämpft hätte, den eigenen Bräutigam selbst auszusuchen. Nicht minder abwegig war, dass Max sich den Erwartungen seines Großonkels und Königs entgegengestellt hätte. Dabei hatten sowohl er als auch Ludovika ihr Herz an einen anderen Menschen verloren als den künftigen Ehepartner. Eine Enkelin der beiden berichtete später, dass Max in eine bürgerliche Regimentskommandeurstochter verliebt gewesen sei, während Ludovika – die inzwischen zu einer auffallend schönen jungen Frau herangewachsen war – bei einem Besuch in Wien für den landlosen portugiesischen Thronanwärter Dom Miguel von Braganza entflammte. Doch beide Erwählte waren für ihre Familien nicht akzeptabel. Für einen Herzog wie Max kam die Tochter eines Mannes, der im Sold des Königs als oberstem Kriegsherrn stand, natürlich keinesfalls als Heiratskandidatin infrage. Und was Ludovika angeht, so war ihre Liebesgeschichte wohl nicht ganz so romantisch wie oft kolportiert. Dom Miguel wurde ihre Hand nicht prinzipiell verweigert, sondern er selbst wollte sich die Möglichkeit offenhalten, seine Nichte – die erste Thronanwärterin und spätere Königin Maria II. von Portugal – zu heiraten, sobald diese volljährig war. Auch wenn er sich zu Ludovika hingezogen fühlte, fest steht: Zum Zeitpunkt, als sie heiratsfähig war, war Dom Miguel aus politischen Gründen für sie nicht verfügbar. Davon abgesehen hätte König Maximilian I. einer bayerisch-portugiesischen Heiratsallianz wohl nicht allzu viel abgewinnen können. Er wollte seine Töchter nur in deutschsprachige Länder verheiraten.
Was auch immer Ludovika und Max fühlten und wünschten: Die Entscheidung lag nicht bei ihnen. Damit mochte man hadern, aber man arrangierte sich. Und die Frage, ob die beiden ohne ihr Zutun in einer Ehe zusammengespannten Personen auch miteinander glücklich würden, war, falls überhaupt, nur nachrangig relevant. Niemand formulierte deutlicher, wie man in royalen Kreisen über die Voraussetzungen für eine Ehe dachte, als Max’ Großvater. Als man ihn darauf ansprach, dass sein Enkel und seine Großnichte einander nicht lieben würden, sagte er: „Das ist absolut egal. Sie werden lernen, sich zu lieben“ – damit hatte er die Ansichten seiner Zeit anschaulich beschrieben.
Also fand am 9. September 1828 in Schloss Tegernsee die Trauung statt. Anstelle von Ludovikas Vater, der 1825 gestorben war, regierte inzwischen ihr Halbbruder, König Ludwig I., das Land. Als neues Oberhaupt des Hauses Wittelsbach hatte er dieses Eheprojekt ebenfalls unterstützt. Und so wurden Prinzessin Ludovika von Bayern, die jüngste noch lebende Tochter des ersten Bayernkönigs Maximilian, und Herzog Max, das künftige Oberhaupt der Wittelsbacher Nebenlinie der Herzöge in Bayern, zu Mann und Frau. Die Hochzeit wurde mit Prunk, Pomp und den nobelsten Gästen gefeiert. Der Vertrag, in dem schon Jahre vor der Eheschließung sämtliche Modalitäten festgelegt worden waren, ließ keinen Zweifel aufkommen, wer hier den höheren Rang einnahm. Für Ludovika hatte sich die königliche Familie ausbedungen, den Vertrag zur Vereinbarung der Eheschließung jederzeit einseitig zugunsten der Prinzessin wieder lösen zu können.
Rangmäßig stand Ludovika zwar über ihrem frisch angetrauten Gatten, aber was die Größe seines Vermögens betraf, war er weitaus besser gestellt als ihre ganze Familie. Die herzogliche Nebenlinie der Wittelsbacher war damals wesentlich reicher als die königliche Hauptlinie, was, überspitzt gesagt, bedeutete: Anders als Ludwig I. verfügte Herzog Max über die finanziellen Mittel, die einem König entsprachen. Er erhielt allein aus der Staatskasse eine Apanage von jährlich 225 000 Gulden, damals ein ungeheuer großer Betrag. Grundlage dieser hohen Zahlungen an ein Mitglied der nicht regierenden Linie der Wittelsbacher war ein Vertrag, den einst Ludovikas Vater nach seiner Ernennung zum König mit Max’ Großvater, Herzog Wilhelm, abgeschlossen hatte. Darin wurde die Apanage, die das Land Bayern seiner Dynastie zusprach, zu annähernd gleichen Teilen zwischen der neuen königlichen Linie und der Nebenlinie der Herzöge in Bayern aufgeteilt und festgelegt. Dass die nicht regierenden Wittelsbacher derart großzügig vom neuen Monarchen ausgestattet wurden, lag nicht zuletzt darin begründet, dass sich das neue Königtum Bayern im Zuge territorialer Veränderungen während der napoleonischen Zeit einige Besitzungen der Nebenlinie einverleibt hatte. Allein die jährliche staatliche Apanage, die der Wittelsbacher Nebenlinie zustand, führte im Laufe der Zeit zu einer Vermögenskonzentration, die bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar gewesen war. Da die königliche Linie im Mannesstamm stetig zunahm, während die herzogliche Nebenlinie über Generationen oft nur einen männlichen Vertreter hervorbrachte, entstand die paradoxe Situation, dass sich bei jeweils einem einzelnen Erben aufseiten der Wittelsbacher Herzöge über Jahrzehnte mehr und mehr Geld anhäufte – während in der königlichen Linie die staatliche Apanage stets unter vielen Nachkommen aufgeteilt werden musste. So kam es schließlich dazu, dass Herzog Max mehr Geld zu seiner persönlichen Verfügung hatte als der regierende Monarch. Und zu diesem Vermögen gesellte sich noch ein reiches Erbe, das Max nach dem Tod seiner französischstämmigen Mutter antrat. Denn Herzogin Amalie Luise von Arenberg hatte ausgedehnte Besitzungen in Frankreich und ein Palais in Paris, in bester Lage, in die Ehe mit dem Vater von Max eingebracht.
Dessen Vermögen übertraf also bei Weitem jenes von Ludovika. Allerdings hieß das nicht, dass sie ihrerseits keine reiche Braut war. Auch sie verfügte über beträchtliche finanzielle Mittel. Als sie vierzehn Jahre alt gewesen war, hatte ihr Vater die damals gigantische Summe von fast zweieinhalb Millionen Gulden zugunsten seiner Ehefrau und der gemeinsamen Töchter veranlagt. Nur aus den Zinsen erwuchsen jeder von ihnen jährlich 25 000 Gulden. Zu ihrer Hochzeit erhielt Ludovika zusätzlich noch eine Mitgift in der Höhe von 100 000 Gulden, die in das Vermögen des herzoglichen Hauses einflossen. Später kamen noch Schloss Tegernsee und Schloss Biederstein über eine Erbschaft Ludovikas zur herzoglichen Linie.
Der Reichtum des frisch vermählten Paares schlug sich in einer Hofhaltung nieder, die für einen Herzog außergewöhnlich und einer Königstochter nur allzu würdig war. Zum besonderen, augenfälligen Prunkstück dieses Lebens im Reichtum wurde das imposante, dreigeschossige „Palais Max“ in der Münchner Ludwigstraße – Elisabeths Geburtshaus. Herzog Max besaß die Mittel, um dieses schönste Palais der Stadt zu bauen, doch auch der bayerische König, Elisabeths Onkel Ludwig I. – der kunst- und architekturbegeistert und ein großer Verehrer der griechischen Antike war –, hatte einen Anteil daran, dass die spätere Kaiserin Elisabeth in einem architektonischen Juwel aufwachsen sollte.
Ludwigs I. großer ästhetischer Anspruch, den er als Monarch in seiner Haupt- und Residenzstadt München zu verwirklichen suchte, hinterließ nachweislich Spuren im Leben von Elisabeths Familie. Der König träumte davon, das in städtebaulicher Hinsicht noch recht provinzielle München völlig umzugestalten. Die bayerische Hauptstadt sollte wachsen. Die alten Stadtmauern wurden eingerissen, die Stadt vergrößert. Zahlreiche neue öffentliche Bauwerke im Stil des Klassizismus sollten die Residenzstadt in ein Gesamtkunstwerk verwandeln. Ein Prestigeprojekt, das dem König besonders am Herzen lag, war die Ludwigstraße – ein Prachtboulevard im Herzen Münchens, dessen Gebäude im Stil der Neorenaissance errichtet werden sollten. Damit seine Vision auch Wirklichkeit wurde, brauchte Ludwig I. willige und finanzkräftige Bauherren. Diese sollten nicht nur über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, sondern auch bereit sein, seine architektonischen Bauvorgaben eins zu eins umzusetzen. Einer dieser Bauherren war nun Ludovikas Ehemann, sein Schwager. Seit Ludwig König war, hatte er gegenüber diesem rangniederen Verwandten zwar nicht mit herabsetzenden Bemerkungen und kleinen Demütigungen gespart – denn anders als sein Vater hegte er keine Sympathie für Max –, aber in ihren schöngeistigen Interessen waren König und Herzog einander ähnlich. Die Begeisterung für Kunst und Antike musste Ludwig in seinem Cousin nicht erst wecken, dieser war ebenso ein Ästhet wie er.
Innerhalb von nur dreieinhalb Jahren, während derer er und Ludovika ein Mietshaus in München bewohnten, entstand unter dem Bauherrn Herzog Max in der Ludwigstraße 8 das schönste private Gebäude der Stadt. Das Wort „Palais“ passte eigentlich nicht mehr zu diesem riesigen, vom berühmten Architekten Leo von Klenze entworfenen schlossähnlichen Gebäude. Allein die dazugehörige Grundfläche umfasste 5000 Quadratmeter. Das zwei Stockwerke hohe, hufeisenförmige Palais zeigte zum Boulevard hin eine prächtige Fassade im Stil der Spätrenaissance. Aus den Fenstern der Repräsentationsräume blickte man direkt auf das pulsierende Leben auf der Ludwigstraße.
Das Palais diente nach seiner Fertigstellung als offizieller Wintersitz für Herzog Max, Ludovika und ihre Familie. Hier wurden die repräsentativen Empfänge abgehalten, hier machten Adelige und Diplomaten der herzoglichen Familie ihre Aufwartung, hier wurden im zwei Etagen hohen Ballsaal glänzende Feste gefeiert. (Neun Tage vor Elisabeths hundertstem Geburtstag wurde das Palais übrigens abgerissen; am 15. Dezember 1937 begannen die Abbrucharbeiten, und an seiner Stelle entstand in der NS-Zeit ein Neubau für die Reichsbank. Doch bis heute erhaltene Grundrisse, Pläne und Fotografien erzählen von der klassischen Schönheit und den enormen Ausmaßen dieses Gebäudes, von dem viele meinen, es sei der schönste fürstliche Palast gewesen, den Leo von Klenze je entworfen habe.)
Die Raumaufteilung und Ausstattung des Palais Max war ganz auf seine Bewohner und deren hohen Rang zugeschnitten. Auch lässt sich an der Aufteilung der Räume genau ablesen, wo die Grenze zwischen den gesellschaftlichen Pflichten der Familie und ihrem Privatleben verlief und wie die Trennung dieser beiden Sphären das Leben und die Wege der hier Wohnenden und Arbeitenden bestimmte: Von der Ludwigstraße aus betrat die Familie über das prächtige Hauptportal das Palais. Dieser Eingang war dem Hausherrn, seiner Ehefrau, ihren Kindern und offiziellen Gästen vorbehalten. Die zahlreichen Bediensteten und das Stallpersonal, wie auch die Beamten im herzoglichen Dienst, hatten das Palais durch einen der beiden Seiteneingänge zu betreten. Hatte man das Portal durchschritten, ging es links vom Vestibül aus in die Privatgemächer des Herzogs, die im Erdgeschoss lagen. An zwei Vorzimmer schlossen zwei Salons an. In diesen dekorativ ausgestatteten Räumen empfing Elisabeths Vater seine Privatgäste. Daran anschließend folgten ein Kabinett, das den Übergang zu den Privaträumen des Herzogs markierte, ein Arbeitszimmer, eine Bibliothek und das Schlafzimmer des Hausherrn. Dieser Teil des Palais war dem Herzog vorbehalten. Weder seine Ehefrau noch seine Kinder hatten hier Zutritt. Wollten diese Ehemann und Vater sehen, mussten sie sich erst beim diensthabenden Diener des Herzogs anmelden.
Genau über dem Appartement Maximilians, im ersten Stock, befanden sich die Räume von Elisabeths Mutter. Sie waren über die große Feststiege erreichbar und noch schmuckvoller ausgestattet als die Räume des Herzogs. Auch zu Ludovikas Privatappartement gehörten zwei riesige Salons, in denen die Hausherrin ihre persönlichen Besucher empfing: der „grüne Salon“, der seinen Namen von der grünen Seidentapete hatte, die seine Wände bekleidete. Zur Einrichtung gehörten weiß-goldene Möbel und großformatige Ölgemälde, die das herzogliche Paar und seine Familie zeigten. An diesen „grünen“ schloss der „braune Salon“ und an diesen das bereits erwähnte „weiße“ Eckboudoir im pompejanischen Stil an – jener Raum mit seinen filigranen, antike Frauengestalten, Pflanzen und Vögel darstellenden Malereien, in dem Elisabeth ihrer Geburtsurkunde zufolge als neugeborene Prinzessin den königlichen Beamten präsentiert wurde. Daneben befand sich das Schlafzimmer der Herzogin, das durch eine Wendeltreppe mit dem Schlafzimmer des Herzogs im Erdgeschoss verbunden war. So waren, trotz getrennter Wohnbereiche mit unterschiedlichen Eingängen, diese beiden privatesten Räume des Ehepaares miteinander verbunden, und wann immer Herzog Max danach war, besuchte er seine Ehefrau für intime Stunden. Der Impuls zu diesen Zusammenkünften in eroticis sei, erzählte später Ludovika ihren Enkeln recht freimütig, stets und ausschließlich vom Herzog ausgegangen. Sie habe zwar immer gehofft, dass es zu mehr kommen werde als zu kurzen Besuchen, Max aber nie dazu bewegen können.
Auf der gegenüberliegenden Seite von Ludovikas Appartement befanden sich die Festappartements, deren Pracht und Ausstattung legendär waren. Wie in einem Barockschloss waren die Festappartements als Enfilade, als Zimmerflucht mit einander gegenüberliegenden Türen angelegt. Der erste Raum dieser Zimmerflucht war der anfangs beschriebene Empfangssalon mit den mythologischen Fresken Robert von Langers. An diesen schlossen sich drei quadratische Zwischensalons an – große, reich ausgeschmückte Räume, nach deren Durchschreiten der Besucher in das nördliche Eckzimmer und den riesigen Ballsaal kam. Der letzte der Festräume war das in der Familie Elisabeths sogenannte „große Esszimmer“ – ein Saal von über hundert Quadratmetern, in dem Festbankette und Familiendiners abgehalten wurden.
Als Elisabeth geboren wurde, war das Palais auch innen bereits fix und fertig ausgestattet, und die Ausstattung war wahrhaft königlich.
Doch mit den Festappartements und den Appartements des Herzogspaares ist nur ein kleiner Teil des Palais beschrieben. Im zweiten Stock, im vorderen Gebäudeteil, über den Räumen Ludovikas und den Festappartements, lagen die Zimmer der herzoglichen Kinder, jene des Erziehungspersonals und die Räume der Hofdamen. Das Kammerpersonal, wie die Beamten und auch das Küchen- und Stallpersonal, wohnte im rückwärtigen Teil des Palais. Außergewöhnlich war, dass auch das Personal in den Luxus der neuesten Errungenschaften in Sachen Wohnkomfort und Hygiene kam. So verfügten nicht nur Max’ und Ludovikas Appartements über Badezimmer und Toiletten – auch in der Wohnung der Kinder und den Wohnungen ihrer Erzieher gab es Badezimmer und sanitäre Anlagen. Ebenso waren die Wirtschafts- und Personalgebäude mit Toiletten ausgestattet.
Ein derart imposantes herzogliches Stadtpalais benötigte natürlich eine perfekte Infrastruktur, damit alles wie am Schnürchen lief. Deswegen umfasste das Palais Max auch Verwaltungsgebäude, Wirtschaftsräume – von der Küche bis zu den Waschkammern –, eine Kanzlei, ein Rechnungsbüro und diverse Lager und Kammern, in denen von Lebensmitteln bis Holz alles gelagert wurde, sowie eine eigene Kapelle. Im hintersten Teil des Palais – von der Vorderseite durch gleich zwei Höfe getrennt – lagen die Stallgebäude und Remisen, hier waren die Pferde, Wagen und Sattelkammern untergebracht.
Im Grunde besaß das Palais Max die Dimensionen eines kleinen fürstlichen Hofes, und Elisabeth wuchs auch mit einem kleinen Hofstaat auf: Ihr Vater hatte einen sogenannten Hofchef (an großen Höfen Obersthofmeister genannt), der dem herzoglichen Haus vorstand, zwei königliche Kämmerer und einen Hofkaplan. Herzogin Ludovika hatte einen Obersthofmeister und eine Obersthofmeisterin, ein bis zwei Hofdamen, zwei Kammerdienerinnen, zwei Garderobendienerinnen und zwei Lakaien. Dazu kamen noch Hausmeister, Portiers, Köche und Küchengehilfen, Silberdiener, Lakaien, Stallpersonal mit Kutscher, Bereiter, Vorreiter, Reitknechten.
Selbst dieser kurze Blick auf die Gegebenheiten im Palais Max beweist schon, dass die später – oftmals als Tatsache verbreiteten – Vorstellungen von der, auch finanziell, bescheidenen Herkunft Kaiserin Elisabeths falsch sind und nicht einmal einer oberflächlichen Überprüfung standhalten. Elisabeth wuchs vielmehr in einem Umfeld auf, das von großem Reichtum und hohem Status geprägt war. Sie entstammte nicht „nur“ der Nebenlinie des Hauses Wittelsbach, wie in manchen ihrer Biografien betont wird – ganz so, als ob ihre Familie eine „Aschenputtel-Stellung“ innegehabt hätte. Dies mag zwar der späteren Romantisierung des „Elisabeth-Mythos“ entsprechen – armes, unbedarftes Mädchen heiratete reichen Prinzen, eine der besten Partien des 19. Jahrhunderts –, doch es entspricht nicht den historischen Gegebenheiten. Elisabeth war die Tochter einer bayerischen Königstochter, sie war die Enkelin eines Königs, und die Linie der Wittelsbacher Herzöge wurde durch die Ehe ihrer Eltern bewusst nah an die bayerische königliche Linie herangeführt – so wie es ihr Großvater geplant hatte. Ludovika hätte in späteren Jahren niemals so viele Töchter in königliche Familien verheiraten können, wären ihre Kinder nicht gewesen, was sie waren: Mitglieder des königlichen bayerischen Hauses. Als solche wurden sie betrachtet, als solche wuchsen die Kinder dieser Ehe auf. Zwar betonte Ludovikas Halbbruder, König Ludwig I., nach dem Tod Maximilian I. Josephs auf manchmal geradezu kränkende Weise seine dynastische Überlegenheit und die Separierung der beiden Wittelsbacher Linien voneinander – etwa indem er Max und den Kindern für einige Jahre den Titel „Königliche Hoheit“ entzog –, doch waren derlei kleine Schikanen auf eine gewisse Eifersucht Ludwigs zurückzuführen und änderten nichts an der außerordentlichen Stellung, die Max’ und Ludovikas Haus hatte.
Elisabeth lernte das Leben im Luxus also nicht erst nach ihrer Hochzeit mit dem Kaiser von Österreich kennen. Sie kannte es längst durch ihren Vater. Herzog Max hatte wenig Bezug zu Geld und ging davon aus, dass man sich jeden Wunsch, der mit Geld erfüllt werden konnte, auch erfüllte. Was eine Auffassung war, die seine zweitgeborene Tochter in ihrem späteren Leben teilte.
Gab es für die herzogliche Nebenlinie auch offizielle Aufgaben? Eigentlich nur eine einzige: Sie sollte aufs Repräsentativste den Glanz der Wittelsbacher widerspiegeln. Die Zeiten, als ihre Angehörigen in der Politik eine Rolle spielten, waren seit Ende der Napoleonischen Kriege vorbei. Nun gab es nur mehr eine Linie, die politisch von Bedeutung war: die königliche. Max’ Großvater Wilhelm war der letzte Wittelsbacher Herzog gewesen, der noch auf dem politischen Parkett taktiert hatte. Vor diesem Hintergrund muss man auch die späteren Urteile über Elisabeths Vater betrachten. Von diesem Herzog wurde stets geschrieben, dass er sich ganz seinen privaten Interessen hingegeben habe und keinesfalls durch politische Ambitionen aufgefallen sei. Sein Engagement erschöpfte sich angeblich in der Teilnahme an den Sitzungen der Reichsratskammer, denen alle erwachsenen männlichen Mitglieder des königlichen Hauses beiwohnten. Für einige Zeit hatte er auch eine Position in der Kavallerie, wo er bis zum General der Kavallerie aufrückte – was sich aber vornehmlich seiner hohen Herkunft verdankte. Ob Herzog Max mit seinem Rückzug ins Private nur tat, was seine angeheirateten königlichen Verwandten von ihm erwarteten, oder ob es sich dabei um eine persönliche Resignation handelte, lässt sich heute ebenso wenig beantworten wie die Frage, ob der Herzog überhaupt Interesse an einer ihn beanspruchenden Tätigkeit politischer oder militärischer Art gehabt hätte. Ein Leben als Privatier war für einen Verwandten der königlichen Familie ohnehin das Übliche. Das Geschäft der Politik blieb dem Souverän vorbehalten, und jede andere Betätigung hätte als nicht standesgemäß gegolten.
Ihre repräsentativen Pflichten erfüllten Herzog Maximilian und Herzogin Ludovika in den ersten Ehejahren gemeinsam aufs Vorbildlichste. Das Palais Max war Treffpunkt der bayerischen Aristokratie und des diplomatischen Korps. An erster Stelle der gesellschaftlichen Pflichten stand der Empfang neu akkreditierter Diplomaten und ihrer Ehefrauen sowie der Standesherren und Palastdamen. Diese machten nämlich nicht nur in der Münchner Residenz ihre Aufwartung, sondern auch im Palais in der Ludwigstraße, wo Max und Ludovika sie als Mitglieder des königlichen Hauses empfingen. Die Abfolge der Empfänge blieb bis zum Ende der Monarchie dieselbe: Der Herzog empfing die Diplomaten und Standesherren, die Herzogin deren Ehefrauen und die Palastdamen. Die Empfänge fanden in den Abendstunden und in „großer Toilette“ statt. Das bedeutete, dass Männer in Uniform oder schwarzem Rock und mit Orden, die Frauen in Hofroben mit Schleppe und reichem Schmuck erscheinen mussten. Die Geladenen mussten mit der Kutsche vor dem Palais vorfahren, anschließend wurden sie von Saaldienern in die Festappartments gebracht, wo sie warteten, bis sie an der Reihe waren. Dann führte man sie nacheinander in jenen Raum, in dem das Herzogspaar mitsamt seinem Gefolge wartete. Das Vorstellen übernahm beim Herzog der Hofmeister, bei der Herzogin deren Obersthofmeisterin. Anschließend wechselten Max und Ludovika noch einige Worte mit den Besuchern, dann wurden diese wieder hinausgeführt. Solche zeremoniellen Empfänge waren für beide Seiten ermüdend. Dennoch mussten sie regelmäßig – und mit Sorgfalt – abgehalten werden, denn sie waren in sozialer Hinsicht der Kitt zwischen Königshaus und Aristokratie, zwischen Herrscherfamilie und Diplomaten.
Wesentlich lebhafter und fröhlicher ging es bei den Bällen und Konzerten zu, die Max und Ludovika ebenfalls in ihren ersten Ehejahren veranstalteten. Die Bälle im Palais Max gehörten zu den größten gesellschaftlichen Ereignissen der bayerischen Hauptstadt und wurden in den Münchner Gesellschaftsblättern detailliert beschrieben. „Großer Ball bei Herzog Max“, titelte etwa das Münchner Tagblatt über einen der vielen Anlässe, zu denen Herzog Max und Herzogin Ludovika einluden. Um die sechshundert bis siebenhundert Einladungen wurden pro Ball ausgeschickt, und was die Gäste hier erwartete, fand nicht nur Eingang in die Tageszeitungen, sondern auch in die autobiografischen Aufzeichnungen und Bücher derer, die einst die Bälle im Palais Max besuchten und noch im hohen Alter nicht aufgehört hatten, sich an deren überwältigenden Glanz zu erinnern.
Neben den klassischen Bällen während der Wintersaison luden Herzog Max und Herzogin Ludovika zu Masken- und Kostümbällen, die stets einem bestimmten Motto gewidmet waren. Während der Faschingszeit wurde wöchentlich ein Ball veranstaltet – und es waren diese außergewöhnlichen Feste, die den Ruf des Herzogspaares als perfekte Gastgeber festigten und den Glanz der herzoglichen Nebenlinie der Wittelsbacher widerspiegelten.
Natürlich fanden auch kleinere Festivitäten im Palais Max statt. So lud der Hausherr immer wieder zu Konzerten und Theateraufführungen, denn selbstverständlich verfügte sein stattliches Heim wie die meisten in der Zeit des Biedermeier errichteten Palais über ein kleines Privattheater, in dem Schauspieler des Königlichen Hof- und Nationaltheaters die Stücke der Klassiker nebst leichteren Komödien aufführten. Hinter dem Palais ließ Max zudem ein überdachtes Hippodrom errichten, in dem außer Zirkusvorstellungen mit Harlekins und Tänzern auch Reitvorstellungen gegeben wurden, bei denen er persönlich mitwirkte. Seine „Reit-Exerzitien“ waren im damaligen München legendär. Dass Herzog Max auf den Rücken zweier nebeneinanderlaufender Pferde stehen und dabei noch einen Viererzug Pferde lenken konnte, war bald Stadtgespräch. Max ritt Hohe Schule, die schwierigste und anspruchsvollste Form des Dressurreitens, und ließ sich dabei von zuschauenden Freunden des Hauses und der in den Logen sitzenden Hofgesellschaft eifrig zujubeln. Anders als oft kolportiert, lernte jedoch seine Tochter Elisabeth nicht in diesem Hippodrom reiten. Auch wird sie als Kind Max’ Vorführungen nicht oft gesehen haben. Denn als sie sieben Jahre alt war, wurde das Hippodrom bereits wieder abgerissen. Max hatte den Platz, auf dem es stand, den Stadtvätern für die Errichtung eines neuen Straßenzugs überlassen. Und da er in den Jahren vor dem Abriss oft monatelang auf Reisen war, gab es für seine Tochter wenig Gelegenheiten, ihn als Zirkusreiter zu bestaunen.
1837, das Jahr, gegen dessen Ende Elisabeth geboren wurde, brachte eine einschneidende Veränderung für Max und Ludovika. In diesem Jahr starben sowohl der Großvater als auch der Vater von Max, der nun plötzlich in den Vollgenuss des gesamten herzoglichen Vermögens geriet. Zwar war ihm schon vorher von seinem Großvater gegen eine jährliche Apanage die Leitung aller Hausangelegenheiten übertragen worden, und auch sein Vater hatte – zeitgleich und ebenfalls gegen eine Apanage – auf alle weiteren Rechte verzichtet. Aber nun fielen Max noch das riesige Gesamtvermögen und alle Besitzungen der Wittelsbacher Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen zu. Eine unmittelbare Folge dieser Erbschaften war, dass seine Tochter Elisabeth ihren Vater in den nächsten Jahren noch weniger zu Gesicht bekommen sollte als ihre älteren Geschwister in ihrem Alter. Denn dieser beschloss nun, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Und so brach Herzog Max unmittelbar nach Elisabeths Geburt zu einer mehrmonatigen, kostspieligen Orientreise auf.


Mädchenjahre
„Elise wird sehr hübsch, und sie ist so ein gutes Kind.“

Als Elisabeth dreieinhalb Jahre alt war, hatte der Hofstaat ihres Vaters einen Todesfall zu beklagen. Im Sterbeverzeichnis der Münchner Frauenkirche findet sich ein Eintrag, laut dem am 17. Mai des Jahres 1841 um ein Uhr nachmittags im Palais Max ein junger Afrikaner gestorben war. Der – wie es im Sterbebuch heißt – „Mohr aus Abessinien“ war nur siebzehn Jahre alt geworden. Zwei Jahre vor seinem frühen Tod war er auf den Namen Theodor getauft worden, bis dahin war sein Rufname „Osman“ gewesen. Als Todesursache wird „Abzehrung“ angegeben, was darauf schließen lässt, dass Theodor entweder an den Folgen einer schweren Infektion oder einer juvenilen Tumorerkrankung verstorben war.
Er war einer von fünf afrikanischen Dienern bei Herzog Max gewesen. Während seiner ausgiebigen Orientreise, die ihn bis nach Ägypten und ins Heilige Land führte, hatte dieser die fünf als Jungen auf einem Sklavenmarkt in Kairo gekauft und sie dann nach Bayern mitgenommen. Dass der bekannte Herzog schwarze Diener hatte, sorgte im beschaulichen München zwar für einiges Erstaunen, aber eine Sensation war es keine. Immerhin hatten ein Jahr vor Max’ Orientreise aufregende Nachrichten über die Afrikareise des Gartenbauers und Abenteurers Fürst Hermann von Pückler-Muskau an deutschen Höfen die Runde gemacht. Im Februar 1837 hatte der Fürst ebenfalls auf dem Kairoer Sklavenmarkt eine dreizehnjährige Abessinierin gekauft, die ihn seitdem begleitete. Dass sich zudem auf die gebildete und sprachbegabte „Machbuba“ das gängige Klischee der einfältigen schwarzen Sklavin nicht anwenden ließ, heizte das Interesse an ihr in deutschen Adelskreisen noch mehr an.
Vor dem Hintergrund der populären Geschichte von Pückler-Muskaus Reiseerlebnissen galten die schwarzen Diener, die Max im September 1838 mitbrachte, zwar noch immer als exotisch, aber die allgemeine Verwunderung hielt sich in Grenzen. Zudem waren die Gründe, weshalb er die fünf Jungen in Kairo gekauft hatte, christlich-altruistischer Natur. So kann man noch heute nachlesen, wie entsetzt Max über die nordafrikanischen Sklavenmärkte war. Es sei höchst verstörend gewesen, zusehen zu müssen, wie „Menschen gleich dem Vieh“ dort verkauft würden, heißt es einmal. Zurück in München, ließ der Herzog die freigekauften ehemaligen Sklaven in der Frauenkirche taufen.
Als Diener wohnten sie in den im rückwärtigen Teil des Palais Max gelegenen Dienstbotenräumen im zweiten Stock. Ebenfalls dort oben, jedoch im vorderen Gebäudeteil, hatte Elisabeth ihr Zimmer. Von Kind an war für sie der Umgang mit schwarzen Dienern völlig alltäglich. Als Kaiserin sollte sie selbst zwei Afrikaner anstellen: den Nubier Muhammed Beschir, der drei Jahre bei ihr Hausdiener war und später nach Afrika zurückkehrte, sowie den Knaben Rudolf Rustimo. Beide wurden von ihr gefördert und unterstützt, selbst nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei Hof. In späteren Biografien deutete man die schwarzen Diener der Kaiserin oft als „Spleen“, den sie gepflegt habe, um die Wiener Hofgesellschaft zu schockieren – was aber angesichts des häuslichen Umfelds, in dem Elisabeth aufwuchs, zu kurz greift.
Ohnehin prägte dieses sie auf ungewöhnliche, weil sehr unterschiedliche Weise. Denn die Tochter von Herzog Max und Herzogin Ludovika lernte in ihrer Kindheit zwei im Grunde unvereinbare „Welten“ kennen: die des Vaters und die der Mutter. In Ludovikas Welt gehörte Elisabeth ganz und gar zum beschaulichen bayerischen Hofleben des 19. Jahrhunderts. Sie durchlief die typische Erziehung, die ein weibliches Mitglied der königlich-bayerischen Familie zu durchlaufen hatte, und erlebte eine Kindheit mit festen Ritualen und eindeutigen Rollenzuschreibungen. Ihrer hohen Position und ihrem Geschlecht entsprechend musste sie lernen, sich zu disziplinieren und anzupassen. Doch Elisabeth schnupperte auch in eine andere Welt hinein – eine, die eigentlich längst untergegangen war und gar nicht mehr zum „bürgerlichen“ 19. Jahrhundert passte, in dem sich die Höfe Europas zurückhaltender und biederer präsentierten als noch ein Jahrhundert zuvor, im Ancien Régime. In dieser anderen Welt lebte ihr Vater; hier wurden den strikten höfischen Regeln befreiende, individuelle Stilbrüche zugemutet, hier gehörte die Lust an der Provokation genauso zum Lebensstil wie eine luxuriöse, hedonistische Gestaltung des Alltags. Im Grunde führten Max und Ludovika ihren Kindern innerhalb ein- und desselben gesellschaftlichen Rahmens zwei völlig unterschiedliche Lebensweisen vor. Und so wenig diese beiden Lebensweisen miteinander in Einklang zu bringen waren, so wenig harmonierten auch die Eltern miteinander. In diesem Spannungsfeld wurden die Ansichten und Werte der späteren Kaiserin Österreichs geprägt.
Spätestens nach Max’ Orientreise lebten Elisabeths Eltern voneinander getrennt. Die Entscheidung ging von Max aus, der am 20. Januar 1838, kaum einen Monat nach der Geburt seiner zweiten Tochter, zu seiner Reise aufbrach, die ihn unter anderem über Venedig nach Korfu, Athen, Alexandria, Kairo und Jerusalem führte. Als er acht Monate später nach München zurückgekehrt war, entschied er, dass die exquisiten Bälle, die Konzerte und Theateraufführungen, kurz das gesellschaftliche Leben im Palais Max ein Ende finden müsse. Also wurde all das eingestellt, und der Neunundzwanzigjährige zog sich jetzt konsequent vom höfischen und öffentlichen Leben zurück. Die großen Veranstaltungen wichen kleineren, intimeren Gesellschaften, die Prunkräume im ersten Stock des Palais wurden nur mehr selten geöffnet. Max bevorzugte nun kleinere Runden wie die fröhlichen Herrenabende, zu denen er Künstler und Wissenschaftler in seine Privaträume lud. Bei feinen Diners und reichlich Champagner diskutierten die geladenen Herren mit ihrem Gastgeber über die neuesten Bücher, lauschten wissenschaftlichen Vorträgen, philosophierten und musizierten. Die Herzogin war bei diesen Männerrunden nie anwesend. Da ihr Mann keine größeren Gesellschaften – zu denen auch Frauen eingeladen worden wären – mehr geben wollte, endeten für Ludovika sowohl das gesellschaftliche Leben im Palais Max wie auch ihre Auftritte als glanzvolle Gastgeberin. Dass die Ehefrau in eigener Initiative ohne den Hausherrn Bälle oder Empfänge ausrichtete, war damals undenkbar. Hinzu kam, dass Max ab jetzt noch weniger Zeit in ihrer Gesellschaft verbrachte als in den Jahren zuvor.
Auch kaufte der Herzog siebzig Kilometer nördlich von München ein kleines Wasserschlösschen, das in einem riesigen Jagdgebiet gelegen war, und ließ es nach seinem Geschmack ausbauen. Schloss Unterwittelsbach war bald Max’ bevorzugter Wohnsitz. Hier verbrachte er seine Tage mit Lektüre und Studium und verfasste historische Abhandlungen. Vor allem aber widmete er sich bei seinen Aufenthalten in Unterwittelsbach der Jagd und der Reiterei. Seine Freunde und die Besucher seiner regelmäßigen Herrenabende waren auch hier, im Wasserschlösschen, gern gesehene Gäste. Nur Ludovika und seine Kinder sollten diesen Rückzugsort von Max zu seinen Lebzeiten kaum besuchen.
Ausschließlich während der Wintermonate, und selbst dann höchst sporadisch, sahen Frau und Kinder den Herzog. Dessen de facto Junggesellenleben tat allerdings der Familienplanung keinen Abbruch. Im Gegenteil, nach Elisabeths Geburt wuchs die Kinderschar von Max und Ludovika sogar beträchtlich an. In den folgenden Jahren gesellten sich zu den älteren Kindern Louis, Helene und Elisabeth bald in jeweils kurzen Abständen Karl Theodor, Marie, Mathilde, Sophie und Max Emanuel. Die Geburtsdaten dieser jüngeren Geschwister Elisabeths scheinen den individuellen Rhythmus des herzoglichen Ehelebens zu bestätigen: Bis auf Mathilde kamen alle Geschwister im Spätsommer oder Herbst zur Welt, also stets neun Monate nach dem winterlichen Séjour des Herzogs im Münchner Palais, wo die bereits erwähnte Wendeltreppe von seinem Schlafzimmer direkt in das von Ludovika führte.
Ansonsten zog es der Herzog auch im Winter vor, seine Zeit in seinem Privatappartement im Parterre des Palais Max zu verbringen. Da dieses einen eigenen Eingang zur Straße hin hatte, konnte er kommen und gehen, ohne von seiner Familie bemerkt zu werden. Als zum Beispiel die junge Elisabeth einmal von ihrer Gouvernante gefragt wurde, ob sie ihren Vater – der kurz zuvor von einer langen Reise zurückgekehrt war – schon gesehen habe, antwortete sie: „Nein, aber ich habe ihn pfeifen gehört“. Zeitgenossen berichteten, dass Max und Ludovika oft tagelang unter demselben Dach lebten, ohne einander zu begegnen. Wollten Ludovika und die Kinder Max sehen, mussten sie sich bei seinen Dienern anmelden. Derlei distanzierte Umgangsformen waren zwar in königlichen Kreisen gang und gäbe – selbst Eheleute platzten hier nicht einfach in das Appartement des/der anderen, sondern kündigten dem jeweiligen Kammerpersonal ihren Besuch an. Dennoch verdeutlichen sie im Fall von Herzog Max, dass er die Begegnung mit Frau und Kindern als Störung seines Alltags empfunden haben dürfte.
Max schien bei seinen Kindern zu wiederholen, worunter er bei seinem eigenen Vater schmerzlich gelitten hatte. Er zeigte keinerlei Interesse an seinem Nachwuchs, und dies in einer Deutlichkeit, dass es die Verwandten seiner Ehefrau entsetzte. So schrieb Ludovikas Schwester, Erzherzogin Sophie, schon nach der Geburt von Max’ und Ludovikas erstem Kind, der Umstand, dass sich ihr Schwager „überhaupt nicht mit seinem wunderbaren Schatz“ beschäftige, sei ein Beweis seiner übermäßigen Leichtfertigkeit und zeige, „dass sein Herz kaum spricht“. Ein nicht minder scharfes Urteil fällte später Elisabeths Bruder Karl Theodor über den Vater: Dieser sei der „personifizierte Egoismus“ gewesen.
Elisabeth, die als Kind von ihrer Familie „Elise“ gerufen wurde, wuchs ganz im Einflussbereich ihrer Mutter auf. Und so, wie sich Ludovikas Kindheit deutlich von jener ihres Ehemannes unterschieden hatte, unterschied sich nun die Aufmerksamkeit, die sie ihren Kindern entgegenbrachte, in gravierendem Maß von der seinen. Auch die Herzogin wiederholte die eigenen Kindheitserfahrungen: Für sie standen die Kinder im Mittelpunkt. Hatten schon ihre Eltern das Zusammensein mit ihren Kindern als erstrebenswertes familiäres Glück betrachtet, so fand auch Ludovika Erfüllung in der Betreuung ihres Nachwuchses. Eine ihrer Schwiegertöchter sollte die Herzogin später sogar als „ausgesprochenes Mutterwesen“ bezeichnen, als Frau, die ganz für ihre Kinder lebte. Ludovika selbst sagte Jahrzehnte später zu ihrer Enkelin Amélie von Urach, dass einer Frau nur die Kinder blieben, „wenn die Männer ihrer Wege gehen“. Allerdings stand trotz Max’ Desinteresse am Familienleben die Frage, ob man Kinder haben wolle, auch nie zur Disposition – oder wie die alte Herzogin es ausdrückte: Man pfusche dem Herrgott nicht in seine Pläne. Ludovikas großes Engagement für ihre Kinder, ihre leidenschaftliche Hingabe an die Mutterrolle – damals ungewöhnlich für eine Frau ihres Standes – war wohl auch, ungeachtet aller mütterlichen Gefühle, eine Kompensation dafür, dass sie in ihrer Ehe keinerlei Aufmerksamkeit erfuhr. Denn Max zeigte sich so uninteressiert an seiner Ehefrau wie an seinen Kindern und brachte ihr kaum mehr als oberflächliche Höflichkeitsbezeugungen entgegen. Es gebe keine Beziehung zwischen den beiden, konstatierte Ludovikas Schwester Sophie und klagte über den Schwager: „Eine derartige Gleichgültigkeit kann man sich nicht vorstellen!“
Sucht man nach Gründen für die Ignoranz, die Max nicht nur gegenüber Ludovika und den Kindern zeigte, sondern auch gegenüber dem Urteil seiner Umgebung, muss man neben seiner trostlosen Kindheit auch die einzigartige Stellung ins Treffen führen, die er innerhalb der Wittelsbacher Dynastie einnahm. Ludovikas Ehemann war aufgrund seiner familiären Konstellation ein besonderer Majoratsherr. Er erbte nicht nur das gesamte Familienvermögen, sondern unterlag schon in jungen Jahren keinerlei sozialen Kontrolle durch ältere, ranghöhere Familienmitglieder. Herzog Max konnte also im wahrsten Sinn tun und lassen, was er wollte – mit der Konsequenz, dass er bereits als junger Mann nicht nur einen hochgradigen Individualismus an den Tag legte, sondern auch eine Selbstbezogenheit entwickelte, die keinen Raum für Gefälligkeiten gegenüber seinen Mitmenschen ließ. Ludovikas Familie nahm Max’ Verhalten freilich als pure Rücksichts- und Respektlosigkeit wahr. Doch wer hätte dem Herzog dreinreden sollen? Selbst der bayerische König, Ludovikas Halbbruder, schien sich so sehr über Max empört zu haben, dass er sich vornahm, ihm die Leviten zu lesen, ließ es dann jedoch bleiben. Die väterliche Hausgewalt war schließlich etwas, was dem Hausherrn – und nur diesem – zustand, selbst ein König hütete sich, hier einzugreifen.
Ein Gemeinplatz in der Kaiserin-Elisabeth-Forschung besagt, dass die schwierige Ehe ihrer Eltern ein prägendes Element in Elisabeths Biografie darstellt. Die Ehe von Max und Ludovika gilt als Paradebeispiel einer gescheiterten Ehe, mit entsprechenden Folgen für die gemeinsamen Kinder. So wurden von späteren Biografen Elisabeths Kindheitserfahrungen – mit einem nicht nur mental abwesenden Vater – oft zur Erklärung ihres Verhaltens als Erwachsene herangezogen. Eine derlei einfache Argumentation ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Schließlich kann man diese herzogliche Ehe des 19. Jahrhunderts nicht aus der Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts beurteilen, wo man zumindest in der westlichen Welt die Liebe als Voraussetzung einer geglückten Ehe betrachtet.
Aber wie hat man sich in jener Epoche, in der Elisabeths Eltern junge Erwachsene waren, in ihren Kreisen die ideale Ehe vorgestellt? Was erwartete man sich von der Ehe? Naturgemäß etwas anderes als heute. Zur Zeit von Max und Ludovika wurde der Zweck einer Ehe weder in der emotionalen Erfüllung noch in der Legitimierung einer leidenschaftlichen Beziehung zwischen Mann und Frau gesehen. Als erfolgreich galt eine Ehe, wenn sie eine Erhöhung oder zumindest die Aufrechterhaltung des sozialen Status beider Parteien in Hinblick auf gesellschaftliche Stellung, Rang und Vermögen bewirkte. Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen, sondern waren Allianzen zwischen zwei Häusern, zwei Dynastien. Wer das Eheleben eines Herzogs aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein an heutigen Maßstäben misst, wird ihm nicht gerecht. Denn seinerzeit musste ein guter Ehemann vor allem eines: kraft seiner gesellschaftlichen Stellung seiner Angetrauten einen gesellschaftlichen Rang sichern, der wenigstens ihrer Herkunft entsprach oder, im besten Fall, den Rang ihrer Familie sogar übertraf. Und das tat Herzog Max. Er bot seiner Ehefrau den Status und Rang, der ihr als Tochter eines bayerischen Königs zustand, und sein Vermögen garantierte ihr eine standesgemäße Lebensweise. Mehr durfte Ludovika nicht erwarten. Liebe und Aufmerksamkeit waren eine Draufgabe, die nur wenige Glückliche erhielten. Dass Max laut seinen Nachkommen „auf Abwege geriet, wie viele vornehme Herren seiner Zeit“, war für einen Familienvater damals nicht erwähnenswert. Auch Ludovikas Geschwister, die ihren Schwager sonst sehr kritisch sahen, empfanden dessen erotische „Abwege“ als wenig bedeutendes Kavaliersdelikt. Ludovikas Schwester, Erzherzogin Sophie, versicherte der Betrogenen sogar nachdrücklich, sie kenne sehr viele Frauen, die mit ihren untreuen Gatten höchst glückliche Ehen führten.
Ludovika ihrerseits verhielt sich, wie es erwartet wurde, ihrem Mann gegenüber kooperativ und fügsam. Sie betonte ihre körperlichen Reize, um Max zu gefallen. Als alte Frau sagte sie einmal rückblickend, wenn Max zu ihr ins Schlafzimmer gekommen sei, habe sie stets versucht, ihn zu „kapern“. Was darauf hindeutet, dass sie auch ihre erotische Attraktivität bewusst einsetzte, um eine Beziehung zu ihrem Mann herzustellen. Ebenso war sie zunächst bemüht, ihm optisch zu gefallen. Weil Herzog Max bei Frauen viel Wert auf ein prachtvolles Erscheinungsbild gelegt habe, so erzählte sie es später einer ihrer Enkelinnen, habe sie sich in den ersten Ehejahren sehr herausgeputzt. Doch die erhoffte Aufmerksamkeit blieb aus. Ludovika resignierte schließlich und wurde im Laufe der Jahre zu einer abgeklärten Frau, die ihre Umgebung illusionsfrei beurteilte.
Was es Elisabeths Mutter in jungen Jahren erschwerte, im herzoglichen Haushalt eine starke Position einzunehmen, war weniger die eheliche Tristesse als die Unmöglichkeit, sich als Herrin des Hauses zu profilieren. Keine Frau ihres Standes konnte sich damals Liebe und Zuneigung von einer Ehe erwarten, das wurde den adligen Heiratskandidatinnen von Kind an eingeimpft. Doch viele konnten als Ehefrauen wenigstens ihr neues Heim zu ihrem Machtbereich umgestalten. Die Verantwortung und Entscheidungsmacht über häusliche Angelegenheiten war einer der wenigen, ihrem Geschlecht zugestandenen Freiräume, in denen sie autonom schalten und walten konnten. Sie wurden zu energischen Organisatorinnen des heimischen Alltags (der nebst Kindern oft eine vielköpfige Dienerschaft umfasste) und glänzten in großer Toilette gelassen an der Seite ihrer – oft untreuen – Gatten auf dem gesellschaftlichen und höfischen Parkett. Mochten ihre Männer außer Haus Befehle erteilen oder sich verlustieren – zu Haus führten sie das Zepter und waren die unumstrittenen Autoritäten.
Herzogin Ludovika blieb es verwehrt, wenigstens in der Rolle der Hausherrin Anerkennung und eine gewisse Autonomie zu erlangen. Zwar hätte sie als Ehefrau des Oberhaupts der immens reichen Nebenlinie der Wittelsbacher die besten Voraussetzungen gehabt, um in Bayern und am dortigen königlichen Hof eine der einflussreichsten „Damen der Gesellschaft“ zu werden. Doch Herzog Max gestand ihr nicht zu, neben ihm die Rolle der Hausherrin zu übernehmen. Im Gegenteil, sein Verhalten hinderte sie sogar daran, in ihrer beider Haushalt auch nur im Geringsten eigenständig zu agieren. Denn obwohl Max praktisch ein Singleleben führte, das kaum Berührungspunkte zum Alltag seiner Familie aufwies, ließ er nicht zu, dass seine Rechte als Pater familias geschmälert wurden. Ludovika lebte de facto wie eine verlassene Ehefrau, nur ohne deren Freiräume. Kein noch so nebensächliches Vorhaben, das nicht der Erlaubnis ihres Ehemanns bedurfte. Auch für jede Personalentscheidung, die ihren persönlichen Hofstaat betraf, benötigte sie Max’ Zustimmung; jede Reise, die sie oder die Kinder unternahmen, musste vorher von ihm genehmigt werden. Max ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihm allein die Entscheidungsgewalt im Haus und in der Familie zustand.
Analysiert man die wenigen erhaltenen und der Forschung zugänglichen Briefe der Herzogin an ihren Mann, so fällt auf, wie sich ihr Tonfall mit den Jahrzehnten ändert. Vor der Heirat spricht aus den Briefen ein selbstbewusstes Mädchen, das auch freimütig Kritik an der Lebensweise seines Verlobten äußert. Nach der Heirat wird der Ton jedoch nüchterner und oft geradezu bittend, verweist fast auf eine devote Haltung Ludovikas gegenüber ihrem Mann. Deutlich erkennbar ist auch, dass sie gegenüber Max keinerlei Forderungen stellen konnte. Sanftmütig und um Verständnis bittend, versuchte sie immer wieder, für sich oder ihre Vertrauten zu intervenieren. Hatte Ludovika es doch einmal gewagt, eine Entscheidung zu treffen, über die der Ehemann nicht informiert wurde, konnte dieser ihr wie auch ihrem Hofstaat gegenüber zornig und verletzend werden. Geriet Max durch ein ihm eigenmächtig erscheinendes Verhalten seiner Gattin in Rage, brüskierte er sie, indem er ihren Vertrauten am herzoglichen Hof ihre Position entzog. „Die arme Louise“, berichtete Ludovikas Schwester Sophie diesbezüglich einmal ihrer Mutter, „sie hat mir unlängst Züge einer unglaublichen Tyrannei von ihm erzählt!“ In einem der letzten Briefe Ludovikas an Max bittet die mittlerweile fast Achtzigjährige darum, ihrem persönlichen Obersthofmeister, der ihr wie dem herzoglichen Haus vierzig Jahre treu gedient hatte (jedoch ohne Max’ Sympathie zu gewinnen), als Anerkennung eine Medaille zu verleihen. Eine kleine, fast selbstverständliche Aufmerksamkeit, ein bescheidener Wunsch, nichts weiter – und dennoch gibt sich Ludovika demütig: Mit den Worten „deshalb erlaube ich mir, dich mit dieser Bitte zu belästigen“ schloss die alte Herzogin, die zu diesem Zeitpunkt bereits fünfzig Jahre verheiratet war, ihr traurig zu lesendes Schreiben.
So viel seit Erscheinen der ersten Biografien Elisabeths auch über ihre Eltern geschrieben wurde, so wenig wurden die gängigen, von Biografie zu Biografie meist einfach übernommenen, Darstellungen von Herzog Max und Herzogin Ludovika in Bayern hinterfragt. Aussagekräftige Quellen in bedeutender Zahl gibt es zu den Eltern Elisabeths zwar nicht, doch die Art und Weise, wie ihre Persönlichkeiten dargestellt, ihre Eigenschaften beschrieben und bewertet werden, scheint seit den ersten Biografien im 20. Jahrhundert unverrückbar festzustehen. So wird Elisabeths Vater Max meistens als intellektueller, aufgeschlossener und moderner Freigeist dargestellt, der durch eine arrangierte Ehe an eine wenig intellektuelle Frau ohne Interessen gebunden war, die den geistigen Höhenflügen ihres Ehemannes verständnislos gegenüberstand. Max’ Seitensprünge wie auch der Abbruch der Beziehung zu Ludovika wurden demgemäß oft als logische Reaktion eines intellektuell anspruchsvollen Mannes verstanden, der mit seiner biederen Ehefrau nichts anzufangen wusste. Oder mit den Worten einer herzoglichen Hofdame: „In der Meinung der Welt galt sie als ziemlich nichtssagend und damit entschuldigte man oft den Gemahl, der seine Neigungen nach manch anderer Seite wandte“.
Aber ähneln diese Beschreibungen nicht auffällig den traditionellen Rollenzuschreibungen der Geschlechter? Der Verdacht kommt jedenfalls auf, dass in vielen Darstellungen von Elisabeths Eltern bisher ein Klischee – hier der kluge, weltläufige Mann, da sein einfältiges Ehegespons – bemüht wurde, wo man hätte differenzieren können und müssen. Freilich, ein Klischee, das in vielen Varianten auftaucht. So findet, wer die gängigen Beschreibungen von Max und Ludovika betrachtet, etwa folgende der alten, geschlechtstypischen Rollenzuschreibungen: der Freidenker und die langweilige Ehefrau. Der interessierte Privatforscher und die intellektuell genügsame Herzogin. Der moderne, aufgeschlossene Wittelsbacher und die altmodischen Werten anhängende Königstochter. Keine Frage, dass dem Ehemann hierbei stets der interessantere Part zukommt, während seine Frau mitunter als personifizierte Langeweile beschrieben wird.
Gerne und oft schrieb man die tiefen Gräben zwischen den Eheleuten ihrem unterschiedlichen Temperament zu. Persönlichkeit und Temperament mögen bei Max und Ludovika zwar grundverschieden gewesen sein – was man jedoch nicht außer Acht lassen darf, ist das große soziale Gefälle zwischen Männern und Frauen. Was etwa Ausbildung, Bildung, Beruf und auch die räumliche Bewegungsfreiheit anging, hatten damals Frauen nicht nur völlig andere, sondern auch drastisch weniger Möglichkeiten als Männer. Als Kinder wurden in diesen Kreisen etwa Männer vom Rang des Herzogs in klassischen Sprachen und Geografie, in Staatskunde und politischer Bildung unterwiesen. Frauen wie Ludovika sollten im Mädchenalter dagegen neue Sprachen lernen, die sie für die Konversation bei Hof brauchen würden, hinzu kamen Gesellschaftstänze und die hohe Kunst des, wie wir heute sagen würden, Small Talks, also des oberflächlichen, unterhaltsamen Gesprächs. Unter diesen Voraussetzungen musste jeder Vergleich in Sachen Bildung unweigerlich zuungunsten der Frau ausfallen. Doch selbst wenn Max, wie manchmal angedeutet, an der Seite einer humanistisch und geisteswissenschaftlich gebildeten oder zumindest interessierten Frau ein besserer Ehemann geworden wäre, so sei doch angemerkt, dass ein solches Exemplar von Ehefrau in seinen Heiratskreisen schlichtweg nicht existierte. Charakteristika wie die für Max’ ideale Gattin geforderten passten wohl auf die eine oder andere bürgerliche Betreiberin eines literarisch-philosophischen Salons im 18. Jahrhundert, aber nicht auf eine typische Angehörige des Hochadels im 19. Jahrhundert. Hier wurden intellektuelle Interessen bei Frauen als „Flausen“ abgetan, und eine Frau, die solche zeigte, geriet schnell in den Ruf, ein „Blaustrumpf“ – also eine „gelehrte Frau ohne weiblichen Charme“ – zu sein. Ganz abgesehen davon fühlte sich Herzog Max bei seinen Seitensprüngen ohnehin nicht von intellektuellen Frauen angezogen. Lieber vergnügte er sich mit Kammerzofen und Mädchen aus dem Volk. Aus dieser Perspektive war in der unglücklichen Ehe von Elisabeths Eltern wohl weniger ein „Freigeist“ mit einer allzu biederen Frau zusammengespannt als ein häuslicher Despot mit einer Frau, die sich ihm gegenüber nachgiebig und devot verhielt.
Auf Elisabeth dürfte die Ehe ihrer Eltern und die ständige Abwesenheit des Vaters jedoch keine sehr prägende Wirkung entfaltet haben – denn königliche Kinder sahen damals ihre Väter in der Regel selten, und so gut wie keine arrangierte Ehe in königlichen Kreisen zeichnete sich durch große Intimität oder viele gemeinsam verbrachte Stunden aus. Stärker – im Sinne einer prägenden Erfahrung für die spätere österreichische Kaiserin – fiel wohl ins Gewicht, was man „das Phänomen weiblicher Ohnmacht“ nennen kann: Frauen, deren Wünsche und Ziele nicht mit dem gängigen weiblichen Rollenbild harmonierten, mussten in der damaligen Gesellschaft vielfach ihre Machtlosigkeit erkennen. Viele von ihnen resignierten gegenüber der männlichen Übermacht, und nicht wenige entwickelten unbewusst Strategien, um sich ungewollten Situationen entziehen zu können. Und diese Strategien hießen zumeist: Rückzug, innere Emigration und, besonders häufig, Flucht in Krankheit.
In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass Ludovika das hohe Alter von dreiundachtzig Jahren erreichte, ohne dass jemals eine schwerere Krankheit bei ihr diagnostiziert wurde, und sie sich dennoch lebenslang in einem leidenden Zustand befand. Zwar wurde Elisabeths Mutter nachweislich von schweren Migräneanfällen heimgesucht, die ihren Alltag erheblich einschränkten, dennoch erstaunt das Ausmaß ihrer, wie sie es nannte, „Leiden“. Die vielen Entschuldigungen in ihren Briefen, etwa aufgrund „meines Kopfes“ und weiterer Zustände nicht zu einer Festivität anreisen, an einer anderen nicht teilnehmen zu können etc., sind auffällig. Und selbst wenn man Ludovikas Disposition für Migräne in Betracht zieht, machen solche Passagen stutzig: „Da ich finde, dass es mir besser ist, wenn ich nicht aufstehe, bleibe ich geduldig zu Hause auf meine Zimmer beschränkt, die ich mir noch bequemer eingerichtet habe“. Aus Zitaten wie diesem spricht deutlich der Wunsch nach innerem Rückzug. Für Ludovika waren ihre körperlichen Zustände ein guter – und für die Umgebung nachvollziehbarer – Vorwand, sich in die persönliche Komfortzone zurückzuziehen. Elisabeth wuchs in nächster Nähe zu ihrer Mutter auf. Sie erlebte Ludovikas Enttäuschungen wohl ebenso mit wie deren durch Max verursachte Kränkungen. Sie muss gesehen haben, wann und in welchen Situationen die Mutter sich zurückzog. Auch in ihrem Leben sollte es später eine „Flucht in die Krankheit“ geben.
Die Kindheit Elisabeths allerdings wird in allen Biografien, die seit ihrem Tod im Jahr 1898 erschienen, als äußerst glücklich beschrieben. Elisabeth, so der allgemeine Tenor, sei frei und ungebunden aufgewachsen. Sie habe das Glück gehabt, vom königlichen Zeremoniell weitgehend verschont zu bleiben, weil ihr Vater dem nicht regierenden Zweig der Wittelsbacher angehört habe. Auch das Leben in der herzoglichen Familie sei überraschend einfach und ungezwungen gewesen, weshalb Elisabeth als Kaiserin später Schwierigkeiten gehabt habe, sich am strengen Wiener Hof zurechtzufinden.
Die vielfach romantisch ausgeschmückte Geschichte des fernab des höfischen Protokolls und in großer Nähe zur Natur und zum einfachen Leben aufgewachsenen Mädchens gehört ohne Zweifel zum Repertoire des „Sisi-Mythos“. Aber: Wuchs Elisabeth derart frei auf? Unterschied sich ihre Erziehung tatsächlich von der Erziehung anderer Mädchen ihres Ranges? Und: Worauf beruhen eigentlich die tradierten Erzählungen von Kaiserin Elisabeths Kindheit?
Wer sich auf die Suche nach den Grundlagen dieser Erzählungen begibt, landet schließlich im Österreichischen Staatsarchiv, bei einem Karton mit der Nummer 13. Er gehört zu einer Vielzahl an Kartons, in denen der wissenschaftliche Nachlass des 1953 verstorbenen ehemaligen Offiziers und Historikers Egon Caesar Conte Corti verwahrt wird. Conte Corti erstellte in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts die erste, auf historischen Quellen basierende Biografie Elisabeths. Fast alle nachfolgenden Werke gründen auf seiner Studie, und da Conte Corti viele Originalquellen, die heute nicht mehr zugänglich sind, auswerten durfte, gehört sein Nachlass bis heute zu den wichtigsten Behelfen aller, die sich wissenschaftlich mit der österreichischen Kaiserin beschäftigen.
In Karton Nummer 13 finden sich zwei kleine Zettel, auf denen in verblasster Tinte alles über Elisabeths Kindheit steht, was wir aus zugänglichen Quellen wissen können (und in ihren zahllosen Biografien wieder und wieder tradiert wird). Es handelt sich hierbei um die gekürzten Abschriften zweier Briefe, die Conte Corti Ende der Zwanzigerjahre kopierte. Die zwei Briefe aus dem Jahr 1900 stammten von den beiden ehemaligen Gouvernanten Baronin Amalie Tänzl von Tratzberg und Gräfin Luise von Hundt-Wulffen. Die zwei alten Damen hatten darin – auf Wunsch von Elisabeths jüngster Tochter Marie Valerie – ihre Erinnerungen an die Kindheit Elisabeths aufgezeichnet. Marie Valerie hatte damals geplant, eine Biografie über ihre 1898 ermordete Mutter zu verfassen, und aus diesem Grund getan, was auch heute seriöse Forscher tun würden: Sie hatte begonnen, sämtliche Informationen zum Leben der Kaiserin zusammenzutragen. Und die letzten Zeitzeugen aus der frühen Kindheit ihrer Mutter waren außer ihren noch lebenden Geschwistern diese beiden ehemaligen Gouvernanten gewesen. Gräfin Hundt und Baronin Tänzl zeichnen in ihren Briefen das Bild einer glücklichen Kindheit. Sie erzählen unter anderem vom „unwiderstehlichen Liebreiz“ der kleinen „Elise“, die der „Liebling des ganzen Hauses“ gewesen sei. Und sie schreiben vom ausgezeichneten Verhältnis der Geschwister zueinander, davon, dass Elisabeth als Mädchen „hilfreich gegenüber anderen“ und gütig zu den Armen gewesen sei – so habe sie diesen stets die Eier der von ihr betreuten Perlhühner gebracht.
Die Aufzeichnungen der früheren Gouvernanten sind jedoch sehr mit Vorsicht zu behandeln, und man sollte auch berücksichtigen, unter welchen Umständen sie verfasst wurden: Die beiden betagten Damen wurden von der Tochter der ermordeten österreichischen Kaiserin gebeten, ein Stimmungsbild der Herkunftsfamilie ihrer Mutter zu verfassen. Zudem lebte der Ehemann ihres ehemaligen Schützlings noch und war einer der mächtigsten Männer Europas. Es ist unvorstellbar, dass Gräfin Hundt oder Baronin Tänzl unter diesen Umständen ein kritisches Porträt der jungen Elisabeth gezeichnet hätten. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass die beiden Frauen die familiären Verhältnisse im Elternhaus ungefiltert darstellten. Sie wussten, was sie zu schreiben hatten – und was nicht. In ihren Briefen schildern sie Elisabeth so, wie man als Gouvernante in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl das perfekte Mädchen beschreiben würde: voller Liebreiz, hilfsbereit, gütig gegenüber den Armen, aufgewachsen in großer Harmonie. Es ist dies die Beschreibung des damaligen Frauenideals. Und sie ist nicht nur deckungsgleich mit anderen Porträts anderer hochgestellter Mädchen dieser Zeit, sondern geradezu austauschbar. Etwaige schwierige Themen umschifften die beiden gebildeten Damen geschickt. Tatbestände, die der Erzählung von der unbeschwerten Kindheit eines perfekten Mädchens widersprochen hätten, wurden von ihnen nur zart angedeutet. So habe Elisabeth „ein weitaus heitereres und sorgloseres Leben gehabt, als man nach den Verhältnissen des herzoglichen Hofes meinen sollte“.
Ob die Kindheit Kaiserin Elisabeths wirklich um so vieles sorgloser war, als man es angesichts der elterlichen Situation hätte vermuten können, sei also dahingestellt – und muss es bleiben. Es gibt heute nur wenige zuverlässige Quellen, die uns etwas über das Leben der jungen Elisabeth verraten. Als aussagekräftig, vor allem aber weniger problematisch, weil in ihnen von Alltagsdingen berichtet, aber keine Deutungen vorgenommen werden, erweisen sich die erhaltenen Briefe von Elisabeths Mutter an ihre Schwestern und Vertrauten. Diesen lässt sich entnehmen, dass „Elise“ weder besonders frei erzogen wurde, noch dass ihre Erziehung sich von jener anderer Mädchen ihres Standes unterschied. Die Erziehung und Ausbildung Elisabeths hat man nachträglich oft mit jener ihres späteren Ehemannes verglichen, um anhand der Unterschiede ein Erklärungsmodell für die Anpassungsschwierigkeiten Elisabeths am Wiener Hof zu konstruieren. Dabei wurde jedoch häufig übersehen, dass sich die beiden Kindheiten nicht miteinander vergleichen lassen. Franz Josephs Erziehung war völlig auf seine künftige Rolle als Kaiser von Österreich und Herrscher über ein Großreich ausgerichtet. Damit überstiegen sowohl die Erwartungen an ihn selbst als auch sein Lernpensum bei Weitem den durchschnittlichen Erziehungskanon seiner Zeit und seinesgleichen. Kein Erzherzog wurde so sorgfältig unterrichtet oder so früh an repräsentative Pflichten herangeführt wie er. Außerdem müssen die bereits erwähnten enormen Unterschiede in der Erziehung von Knaben und Mädchen berücksichtigt werden. Prinzen wurden darauf vorbereitet, eine Rolle in der Öffentlichkeit einzunehmen, während junge Prinzessinnen im 19. Jahrhundert nur für ihre künftige Rolle innerhalb ihrer Familie und Dynastie erzogen wurden.
Elisabeths Erziehung entsprach ganz dem Geist der Zeit, ihrer Herkunft und den Erwartungen, die später an sie als Frau gestellt würden. Frei war diese Erziehung in keiner Weise, und ein ungebundenes Leben führte die kleine „Elise“ sicher nicht. Ihre Erziehung folgte den üblichen Vorgaben: ein strenger Tagesplan mit fixen Einheiten, eine frühe Unterweisung in Benehmen und Etikette sowie absoluter Gehorsam gegenüber den Eltern und dem Erziehungspersonal. Elisabeths Ausbildung verlief ohne gröbere Komplikationen oder Schwierigkeiten. Sie war ihren Erzieherinnen gegenüber kooperativ und ließ sich leicht leiten – ganz so, wie es damals von einem Mädchen erwartet wurde. Aus den wenigen Quellen scheint sich zumindest eines herausfiltern zu lassen: Elisabeth dürfte ein ruhiges, introvertiertes, sanftes und emphatisches Mädchen gewesen sein, das – als äußerst empfindsam beschrieben – zudem voller Skrupel war und zum Grübeln neigte. Ludovika jedenfalls war entzückt von ihrer fügsamen zweitgeborenen Tochter, die feinfühlig und liebenswert und so anders sei als ihre ältere Schwester Helene, die nicht zuletzt wegen ihres unermüdlichen Widerspruchsgeists in der Familie als Kratzbürste galt. Auch Elisabeths Aussehen gab ihrer Mutter von früh an Anlass zur vollen Zufriedenheit: „Elise wird sehr hübsch, und sie ist so ein gutes Kind“.
War die Erziehung der jungen Elisabeth auch die gleiche wie bei anderen Mädchen von königlichem Geblüt, so unterschied sich ihre Kindheit von der anderer königlicher Kinder doch in einem Punkt: der Persönlichkeit ihrer Mutter. Herzogin Ludovika beschäftigte sich für damalige Verhältnisse sehr viel mit ihren Kindern. Elisabeth und ihre Geschwister verbrachten mehr Zeit mit der Mutter als üblich. Zwar hielt sich die Herzogin an die Konvention, und es gab, wie bei anderen Müttern ihres Standes, fixe Stunden, zu denen ihr die Kleinen gebracht wurden. Doch diese Stunden der Begegnung mit ihren Kindern fanden ungewöhnlich häufig und regelmäßig statt. Üblicherweise sahen Frauen royaler Abstammung wie Ludovika ihre Kinder nur einmal täglich bei einem gemeinsamen Essen, und auch das erst dann, wenn der Nachwuchs schon in der Lage war, gesittet bei Tisch zu sitzen. Ansonsten wurden die Kleinsten den Eltern täglich für kurze Zeit vorgeführt, meist an Nachmittagen, wenn sich die Eltern im Salon trafen. Frisch gewaschen, ordentlich gekämmt und in sauberer Kleidung präsentierte das Personal der Kindskammer dann die Kleinkinder den hohen Eltern – und schaffte sie sofort wieder aus deren Gesichtsfeld, sobald sich gewisse körperliche Notwendigkeiten bemerkbar machten. In die tägliche Säuglings- und Kinderpflege waren die Damen nicht eingebunden, dafür hatte man schließlich entsprechendes Personal.
Ludovika hingegen ließ sich ihre Kinder nicht nur vorführen, sondern widmete ihnen Zeit und Aufmerksamkeit. Aus ihren erhaltenen Korrespondenzen wissen wir, dass sie mit ihren größeren Kindern zumindest täglich eine Stunde spielte. Die Spielstunde war nach dem Mittagessen angesetzt, wenn die kleineren Kinder ins Bett gebracht wurden. An Sonntagen durften alle Kinder in der großen Puppenküche kochen, die man ihnen in einem Salon des Palais aufgestellt hatte – und zwar ausschließlich an Sonntagen, denn die permanente Verfügbarkeit von Spielzeug hielt man damals für einen pädagogischen Fehler. Auch abends durften die Kinder das Appartement ihrer Mutter aufsuchen. Während diese ihre Korrespondenzen erledigte, wurde ihnen von Ludovikas Obersthofmeisterin vorgelesen.
Das Palais Max diente wie ihrem Mann auch Herzogin Ludovika und ihrem persönlichen Hofstaat in den Wintermonaten als Domizil. Doch mit Beginn der warmen Jahreszeit begann der alljährliche Séjour der Herzogin auf dem Lande. In Possenhofen, einem Ort dreißig Kilometer südwestlich von München, am Ufer des Starnberger Sees gelegen, hatte Herzog Max für seine Ehefrau ein kleines Schloss gekauft. Nachdem er, drei Jahre vor Elisabeths Geburt, bei einer Versteigerung das kompakte Renaissanceschlösschen erworben hatte, hatte er es von Grund auf renovieren und ein großes Wirtschaftsgebäude anbauen lassen, das nun genug Platz für das zahlreiche Personal der herzoglichen Familie sowie für Gästeappartments bot. Das Schloss, das ganz nach den Bedürfnissen Ludovikas und der Kinder ausgebaut worden war, wurde zu deren geliebtem Refugium. Hier nahm Ludovika ab nun ihren traditionellen Sommeraufenthalt, hierher lud sie regelmäßig ihre zahlreichen Verwandten – Schwestern, Nichten und Neffen – zu langen Aufenthalten ein, hier fanden sie und die Kinder Erholung von dem lauten und staubigen Leben in der Residenzstadt.
Schloss Possenhofen hatte eine malerische Lage, die es erlaubte, in und mit der Natur zu leben. Der riesige, mit alten Bäumen geschmückte Park reichte bis an das Ufer des Starnberger Sees. Als der Herzog das Schloss erworben hatte, gab es rundherum keine Bauten, sondern nur unberührte Natur. Die idyllische Umgebung lud zu langen Spaziergängen ein, und es muss – abgesehen von den Lauten der Tiere – eine unbeschreibliche Ruhe geherrscht haben. Die Sommer in Possenhofen gehörten zu den prägendsten Kindheitserinnerungen Kaiserin Elisabeths. Die Schönheit der Natur und die vielen Freiräume, die sich dort für Kinder auftaten, deren Alltag sonst streng reglementiert war, machten Possenhofen zu einem Paradies. Von Dienern und Gouvernanten begleitet, ruderten die Herzogssprösslinge über den Starnberger See, die Kinder durften Tiere halten – „Mama schenkte mir zwei sehr nette Lämmer, welche mich recht freuen; sie sind sehr zahm und laufen mir überall nach“, erzählte Elisabeth – und im riesigen Park herumtoben. „Es wäre recht schön, wenn ihr uns manchmal dabei begleiten könntet“, schrieb die elfjährige Elise ihrem Wiener Cousin Erzherzog Karl Ludwig und setzte ein charmantes „Nun lebe recht wohl, lieber Karl und schreibe bald wieder Deiner Dich liebenden Elise“ unter die Einladung.
Elisabeth hatte auf dem Parkgelände von Possenhofen sogar ein eigenes Versteck, in das sie sich zurückziehen konnte: einen kleinen, verfallenen Turm am Ufer des Sees, der zu den Resten der alten, mit Türmchen verzierten Mauer gehörte, die einst Schloss und Park umgeben hatte. Hier soll Elisabeth Gedichte geschrieben und Tagträumen nachgehangen haben. Für ein Mädchen der damaligen Zeit, das ständig unter Beobachtung stand, musste ein eigenes, geheimes Versteck wie dieses den Inbegriff von Freiheit darstellen. So bedeutete Possenhofen auch für die herzogliche Familie ein Stückchen Unabhängigkeit auf Zeit, Entspannung, Rückzug und Erholung – freilich nur für Ludovika und ihre Kinder. Herzog Max ließ sich hier nie blicken. Er verbrachte seine Sommer weiterhin entweder auf Reisen oder in seinem eigenen Refugium, Schloss Unterwittelsbach.
Der Blick auf das beschauliche Possenhofen und den behüteten Alltag der jungen Herzogstochter soll aber nicht über die Turbulenz der Zeit hinwegtäuschen, in der Elisabeth heranwuchs. Denn sie war in eine Zeit des Aufbruchs hineingeboren worden, in eine dynamische Epoche, in der es den Menschen schien, als ob die Welt immer kleiner würde, eine rapide fortschreitende Globalisierung – was heute kaum mehr bedacht wird. Zumeist wird das zweite Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem Elisabeth geboren wurde, oft von der Warte des 20. und 21. Jahrhunderts aus, als die ruhige Zeit des Biedermeier wahrgenommen. Doch allein der technische Fortschritt vollzog sich in einem kaum begreiflichen Tempo. Zwei Jahre vor Elisabeths Geburt feierte man die Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke auf deutschem Boden, und zwar im Herrschaftsgebiet ihres Onkels, König Ludwigs I. von Bayern. Von Nürnberg bis Fürth führte diese erste Strecke der Königlichen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft. Zehn Jahre nachdem sich die Eisenbahn in England durchgesetzt hatte, revolutionierte sie nun den Verkehr auf deutschem Boden. Das Streckennetz sollte in den nächsten Jahren rapide anwachsen und die Eisenbahn den Alltag der Menschen sowie Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig verändern. Elisabeth gehörte in ihrem späteren Leben zu den privilegiertesten Nutznießern des neuen Fortbewegungsmittels, das ihr ermöglichte, ihrer Reiselust leicht, schnell und mit großem Komfort nachzukommen.
Auch politisch erlebten die Menschen dieser Zeit gewaltige Umbrüche. In der Residenzstadt München sollten sich im Jahr 1848, wie an vielen Orten Europas, die Bürger gegen das herrschende politische System erheben. Es zeichnete sich ein neues, und nicht mehr umkehrbares, Verhältnis zwischen Bürgern und Souverän ab. Die Menschen verlangten nach politischer Mitbestimmung, das monarchische Prinzip war nicht mehr unantastbar und die Könige nicht mehr sakrosankt. Hinzu kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im ganzen Land hatte es Missernten gegeben, die Lebensmittelpreise waren in die Höhe geschossen. In dieser Situation reichte eine Stichflamme, um einen Flächenbrand auszulösen und den Wittelsbacher Thron zu erschüttern – oder eine königliche Affäre, die im Herbst 1846 begonnen hatte.
Mittlerweile war König Ludwig I. mit seinen zweiundsechzig Jahren rettungslos der siebenundzwanzigjährigen irischen Tänzerin Elizabeth Gilbert verfallen, die unter ihrem Künstlernamen Lola Montez in die bayerische Skandalgeschichte einging. Die schöne Lola, vom König auch zur Gräfin ernannt, nahm ihren royalen Galan nicht nur finanziell aus wie eine Weihnachtsgans, sondern brachte ihn auch zunehmend auf liberale Ideen (und seinem Kabinett den Namen „Lolaministerium“ ein). Damit waren ihr die Sympathien der Studentenschaft ebenso sicher wie die Ablehnung und Empörung der konservativen und katholischen Bürger. Diese sahen ihr Vertrauen in den König erschüttert und die bayerische Monarchie gefährdet. Hatte Ludwigs Begeisterung für schöne Frauen bis dahin stets in Liebschaften gemündet, die für die Dynastie politisch keine Gefahr darstellten, waren sich nun seine Familie, die Regierung und der Großteil der bayerischen Bevölkerung einig: Eine Mätressenwirtschaft im Stil einer Pompadour passte weder zu den Wittelsbachern noch zu Bayern – die Montez musste das Land verlassen. Auf den Straßen kam es zu Ausschreitungen, aber die Wittelsbacher saßen nach den Tumulten wieder fest im Sattel. Allerdings musste Elisabeths Onkel, König Ludwig I., abdanken.
Die für ihre Familie schwierige Zeit der Unruhen im März 1848 verbrachte Ludovika allein in München. Herzog Max weilte wieder einmal fern von den Seinen und gedachte nicht, angesichts der schwierigen Lage in der Hauptstadt dorthin zu kommen. In langen Briefen informierte Ludovika ihn über die Vorgänge bei Hof und die Vorgänge auf der Straße: Die allgemeine Stimmung sei ernst, und es herrsche „eine bedrückende Stille“. Die Zukunft Bayerns lag nach der Abdankung Ludwigs I. nun in der Hand seines Sohnes. Die Übergabe der Regierungsgeschäfte an König Maximilian II. erwies sich in dynastischer Hinsicht als ideal. Wie ein Steuermann, der mit ruhiger Hand sein Schiff durch unruhige Wellen lenkt, führte er, wenn auch oft zögernd und in Befürchtung einer neuen Revolution, Bayern in die moderne Zeit. Elisabeth sollte diesen Cousin, dessen Regentschaft sie noch einige Jahre in München erlebte, als liebenswürdigen Verwandten hoch schätzen und seinen Tod im Jahr 1864 sehr betrauern.
In den Jahren, die der Revolution von 1848 folgten, entwickelte sich Elisabeth langsam vom Kind zum jungen Mädchen, auf dem Weg zur Frau. Die Aufsicht über ihre Erziehung und die Verantwortung für die Auswahl des Erziehungspersonals hatte ihre Mutter – die freilich stets im Sinn ihres Ehemannes entscheiden musste. Doch da sich Herzog Max für die Erziehung seiner Töchter nicht interessierte – lediglich bei seinen Söhnen war er stärker involviert –, hatte die Herzogin bei den Töchtern freie Hand. Und so sollte Elisabeth während der fünfzehn Jahre, die sie in ihrem Elternhaus lebte, vier prägende weibliche Bezugs- und Betreuungspersonen haben: Die erste war Miss Mary Newbald, die englische Kinderfrau, der Elisabeth anvertraut war. Mit Elisabeths achtem Lebensjahr trat Baronin Luise von Wulffen in den herzoglichen Dienst ein. Sie war zum Zeitpunkt ihres Dienstantritts eine zwanzigjährige, feinsinnige Dame aus diplomatischem Adel. Luise von Wulffen war Elisabeths erste Gouvernante, blieb viereinhalb Jahre im Dienst der herzoglichen Familie und beendete ihre Anstellung im herzoglichen Haus, als sie heiratete. Elisabeth war knapp dreizehn Jahre alt, als Baronin Wulffen sie verließ, verblieb mit ihr aber auch in den folgenden Jahren in innigem brieflichem Kontakt. Luise von Wulffen ging sehr gut auf ihren Schützling ein, und Elisabeths spätere Briefe an sie zeugen von großer Vertrautheit und der engen Bindung, die sie als Mädchen zu dieser Gouvernante aufgebaut hatte. Deren Nachfolgerin wurde Gräfin Camilla von Oetting-Fünfstetten, eine junge Frau, die Ludovika als „liebes, wohlerzogenes, lebendiges“ Mädchen mit guten religiösen Grundsätzen beschrieb. Allerdings wirkte die junge Gräfin mit ihren neunzehn Jahren noch immer so kindlich, dass Ludovika ihr nicht erlaubte, allein mit den Kindern spazieren zu gehen – es hätte nicht passend ausgesehen. Zudem hatte die Herzogin Bedenken, ob Camilla ihrer Aufsichtspflicht überhaupt gewachsen war. Noch eine weitere junge Dame sollte die junge Elisabeth nachhaltig beeinflussen. Nachdem ihre geliebte Gouvernante, nun Gräfin Luise von Hundt, wegen ihrer Heirat den herzoglichen Hof verlassen hatte, holte Herzogin Ludovika Baronin Amalie Tänzl von Tratzberg an ihren Hof. Baronin Tänzl war es, die das zeichnerische Talent der späteren Kaiserin erkannte. Selbst eine begabte Malerin, unterwies sie Elisabeth in der Malerei. Sie berichtete später, dass Elisabeth hervorragende Karikaturen gezeichnet und auch Ölbilder auf Holz gemalt habe. Was einige Zeichnungen und Bilder belegen, die lange nach dem Tod der österreichischen Kaiserin versteigert wurden.
Herzogin Ludovika hatte eine gute Hand bei der Auswahl der Gouvernanten. Es war nicht selbstverständlich, dass sich die Beziehungen zwischen Gouvernanten und Kindern harmonisch gestalteten. Denn allein die Position der Gouvernante oder Erzieherin barg schon das Potenzial, für Missstimmung innerhalb eines Hofstaates zu sorgen. Nicht von ungefähr findet man in der Literatur und den Tagebuchaufzeichnungen Adliger des 19. Jahrhunderts so viele Erzählungen über schwierige, unangenehme Gouvernanten. Grund dafür war die besondere Stellung der Gouvernanten. Sie gehörten weder zur Familie, noch nahmen sie rangmäßig bedeutende Stellungen wie jene von Obersthofmeisterin oder Hofdamen ein. Aber sie waren auch nicht dem Kammerpersonal oder der Dienerschaft zuzurechnen. Ihre isolierte Stellung brachte oft mit sich, dass die Gouvernanten von jenen, die im hierarchisch geregelten Mikrokosmos eines Hofstaats rangmäßig über ihnen standen, mit Arroganz behandelt wurden – während das rangniedere Personal zu ihnen auf Distanz ging, weil sie auch hier nicht dazugehörten und man sich von Erzieherinnen, die in der Regel kamen und gingen, ohnehin nichts sagen ließ. Auf Gouvernanten, die als ledige Frauen von vornherein keinen hohen Status hatten (vor allem wenn sie nicht mehr im heiratsfähigen Alter waren), wurde oft wenig Rücksicht genommen. Und so rächte sich manche Erzieherin, indem sie ihre jungen Schutzbefohlenen gegenüber dem restlichen Hofstaat, und manchmal auch gegenüber deren Eltern, instrumentalisierte. Schließlich waren es die Gouvernanten, die am leichtesten Zugang zu den Kindern eines Hauses hatten.
Die vier Erzieherinnen, mit denen Elisabeth aufwuchs, hatten eines gemeinsam: Sie alle waren junge Frauen ohne Lebenserfahrung. Über ihre künftigen Aufgaben als Ehefrau eines Fürsten oder als Mutter konnten diese Gouvernanten Elisabeth nichts erzählen. Mit einer erfahreneren Gouvernante hätte Elisabeth jedoch lernen können, wie man bei Hof Souveränität im Umgang mit Ranghöheren und Diplomatie im Umgang mit Rangniederen zeigte. Eine solche Erzieherin hätte ihrem Schützling auch vorleben können, wie man bestimmt und dennoch nachsichtig inmitten der Hofchargen Kurs hielt. Doch Elisabeths Gouvernanten waren allesamt blutjung, sanft, einfühlsam, lieb und bisweilen unsicher. Frauen, die, falls nötig, energisch und durchsetzungsfähig den ihnen übertragenen Aufgaben nachkamen und Verantwortungsbewusstsein vor Beliebtheit stellten, lernte die junge Elisabeth nie kennen. Andernfalls hätte sie später am Wiener Hof so manche Kränkung seitens der dort agierenden selbstbewussten Damen aus der Hocharistokratie angemessen parieren – oder auch würdevollst ignorieren – können.

Martina Winkelhofer

Über Martina Winkelhofer

Biografie

Martina Winkelhofer, Dr. phil. für Geschichte und Kunstgeschichte (Universität Wien), ist Expertin für die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Familiengeschichte europäischer Herrscherhäuser. Sie hat Standardwerke zum franzisko-josephinischen Kaiserhof und zur Alltagsgeschichte des Adels...

Pressestimmen
Stern

„Was an Winkelhofers Buch erstaunt, ist weniger das Bild Elisabeths, sondern jenes des Kaisers.“

Main-Echo

„Winkelhofers Biografie stützt sich auf sorgfältige Quellenarbeit, ist aber eingängig geschrieben. Einen frischen und um Ausgewogenheit bemühten Blick wirft Winkelhofer auf Sisis Eltern und Schwiegermutter.“

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