Manchmal gewinnt der Bessere Manchmal gewinnt der Bessere - eBook-Ausgabe
Die Physik des Fußballspiels
„So wird man mit Fußball tatsächlich noch schlauer.“ - academicworld.net
Manchmal gewinnt der Bessere — Inhalt
„Deutschlands womöglich coolster Physikprofessor.“ DER SPIEGEL
„So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere.“ Was Lukas Podolski nach der WM-Niederlage 2006 zerknirscht bekannte, beweist der Dortmunder Physikprofessor Metin Tolan: Fußball ist der ungerechteste Sport der Welt! Würden sich auf dem grünen Rasen nämlich je elf Physiker begegnen, wäre Schluss mit falschen Abseitsentscheidungen, Bananenflanken ins Aus und schlecht positionierter Abwehr. Denn die Physik kann, was Günter Netzer und Co. nur versuchen: Fußball erklären. Wer hätte gedacht, dass im Elfmeterschießen die Reihenfolge der Schützen entscheidend ist? Und wer wagt vom Wembley-Tor 1966 zu behaupten: „Der könnte drin gewesen sein“? Metin Tolan wagt es! Und lüftet absolut unbestechlich alle Geheimnisse rund ums runde Leder.
Tolan liefert nicht nur eine sonnenklare Analyse, warum Deutschland 2014 einfach Weltmeister werden musste, sondern auch eine Prognose für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland.
Leseprobe zu „Manchmal gewinnt der Bessere“
Vorwort
Fußball – ein einfaches Spiel?
Fußball – das bedeutet prickelnde Emotionen, heißer Kampf, überschwängliche Euphorie und Spannung pur. Die Physik hingegen prickelt überhaupt nicht, ist völlig kalt und emotionslos, kommt ohne Kampf und Euphorie aus, und viele Leute empfinden sie als alles andere als spannend. Dabei hat sie jedoch einen entscheidenden Vorteil: Die Physik ist objektiv, völlig frei von subjektiven Einflüssen und absolut unbestechlich.
Im Fußball kann man eigentlich (fast) alles mit den Mitteln der Physik erklären, denn wenn Bälle durch [...]
Vorwort
Fußball – ein einfaches Spiel?
Fußball – das bedeutet prickelnde Emotionen, heißer Kampf, überschwängliche Euphorie und Spannung pur. Die Physik hingegen prickelt überhaupt nicht, ist völlig kalt und emotionslos, kommt ohne Kampf und Euphorie aus, und viele Leute empfinden sie als alles andere als spannend. Dabei hat sie jedoch einen entscheidenden Vorteil: Die Physik ist objektiv, völlig frei von subjektiven Einflüssen und absolut unbestechlich.
Im Fußball kann man eigentlich (fast) alles mit den Mitteln der Physik erklären, denn wenn Bälle durch die Luft fliegen, geschieht dies nach den Gesetzen der Physik. Der Ball unterliegt natürlich der Schwerkraft, er wird durch den Luftwiderstand genauso gebremst wie ein Radfahrer, und manchmal wirken auf ihn auch noch der Wind und die sogenannte Magnus-Kraft ein. Diese Kräfte bestimmen dann seine Flugbahn. Befindet sich das runde Leder erst einmal in der Luft, wird es zum Spielball der Naturgesetze. Der Flug eines Fußballs erweist sich übrigens wegen seines Gewichts relativ zum Luftwiderstand im Vergleich zum Tischtennis-, Golf- oder Basketball als besonders schwer zu berechnen. Es scheint fast so, als ob uns die Natur davon abhalten will, dem emotionalen Fußballspiel mit den kalten Werkzeugen der Naturwissenschaft seine Geheimnisse zu entlocken!
Auch ein Schuss ist ein mechanischer Vorgang, sodass die Physik ihn erklären kann. Hier kann man mit dem Gesetz der Impulserhaltung die grundlegenden Mechanismen verstehen. Toni Kroos wird niemals einen 200 km/h schnellen Schuss zustande bringen, sondern immer bei 120 bis 130 km/h hängen bleiben, egal, wie sehr er sich anstrengt. Es ist leicht einzusehen, dass die Physik dies mit ihren Gesetzen verhindert und so dem Können und der Kraft der Spieler Grenzen setzt. Aber wer hätte gedacht, dass die Tor- und Ergebnisverteilung in der Fußball-Bundesliga mit einer Formel beschrieben werden kann? Wer würde vermuten, dass man exakt beweisen kann, dass Fußball zwar der ungerechteste Sport der Welt, dafür aber auch der interessanteste ist? Wer würde annehmen, dass es davon abhängt, in welchem Monat man geboren ist, ob man Fußballprofi wird oder nicht? Und wer hätte gedacht, dass im Elfmeterschießen die optimale Reihenfolge der Schützen entscheidend ist?
Es ist nicht genau überliefert, wo zuerst mit dem Fußballspielen begonnen wurde. Verschiedene Quellen nennen China als Ursprungsland, weil dort schon im zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt ein fußballähnliches Spiel namens „Ts’uh-küh“ ausgetragen wurde. „Ts’uh“ bedeutet dabei „mit dem Fuß stoßen“, und die Übersetzung von „küh“ lautet „Ball“. Gespielt wurde mit einem aus Lederstücken zusammengenähten Ball, der mit Tierhaaren oder Federn gefüllt war. Das Spiel geriet in China aber im Laufe der Zeit in Vergessenheit. Auch aus dem antiken Griechenland und von den Römern sind fußballähnliche Spiele bekannt. Leider ist deren Regelwerk nicht überliefert. Sie dienten vermutlich zur Ertüchtigung der Soldaten in der Armee und waren damit wohl alles andere als friedliche Spielchen.
In England wurde Fußball bereits im Mittelalter als brutales Kampfspiel ohne Regeln gespielt. Die Wurzeln liegen dabei in der Nähe von Derby bei Ashbourne. Dort spielten ganze Dörfer gegeneinander, die oft kilometerweit voneinander entfernt lagen. Der Ball musste dabei durch das gegnerische Stadttor oder eine ähnlich markante Einrichtung getrieben werden. Da es keine Regeln gab, konnte eine beliebige Zahl an Spielern pro Mannschaft teilnehmen. Ohne Regeln konnten sich die Spieler auch ungestraft gegenseitig die Knochen brechen und die Köpfe einschlagen. Das Spiel war so gewalttätig, dass es zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert verboten wurde. Im 14. Jahrhundert wurde in Frankreich über ein fußballähnliches Spiel mit dem Namen „La Soule“ berichtet, das in der Normandie heimisch war. In Norditalien wurde bis ins 18. Jahrhundert das „Calcagno“ (Fußtritt) gespielt, und in Florenz wird mit dem bis heute jährlich stattfindenden Kostümfußball „Calcio storico“ – bei dem es nur wenige Regeln gibt und es entsprechend rustikal zugeht – an ein Fußballereignis aus dem Jahr 1530 erinnert.
Das Mutterland des heutigen Fußballs ist zweifellos England. 1848 wurden in Cambridge die ersten Regeln verfasst, 1857 gründeten Kricketspieler mit dem FC Sheffield den ersten Fußballclub der Welt, und 1863 wurde mit der Football Association (FA) der erste Fußballverband gegründet, der das Regelwerk zentral vorgab und weiterentwickelte. In Deutschland wird Fußball erst seit 1871 gespielt. Fußball galt zur Zeit des Turnvaters Jahn, in der kräftige Männer am Barren oder Reck das Bild des erfolgreichen Sportlers verkörperten, aber eher als „Mädchensport“ und entwickelte sich deswegen nur sehr zögerlich. Der Deutsche Fußball Bund (DFB) wurde erst am 28. Januar 1900 in Leipzig gegründet und nach dem Zweiten Weltkrieg am 10. Juli 1949 in Stuttgart erneut aus der Taufe gehoben.
1872 fand in Glasgow das erste Fußball-Länderspiel statt – Schottland spielte gegen England 0:0. Im selben Jahr wurde mit dem noch heute ausgespielten FA-Cup der erste nationale Fußballwettbewerb eingeführt. 1888 spielten zum ersten Mal zwölf Teams in einer Liga den Meister aus. Preston North End beendete die Saison ungeschlagen als Erster vor Aston Villa und den Wolverhampton Wanderers, zwei Teams, die auch heute noch außerhalb Englands bekannt sind. In der Saison 2017/18 spielten immerhin noch vier Teams dieser allerersten zwölf Mannschaften in der englischen Premier League! Der Fußball wurde in England auch sehr früh professionalisiert. Seit 1897 wird das Leder auf der Insel von vertraglich an einen Verein gebundenen Profikickern getreten. Auch das Kaufen von Spielern kam recht schnell in Mode. So wurde schon im Jahr 1905 der Spieler Alf Common für über 1 000 Pfund von Sunderland nach Middlesbrough transferiert. Die Professionalität des Fußballs hat sich seitdem dramatisch weiterentwickelt und hat inzwischen mehr als bedenkliche Ausmaße angenommen. Spieler fühlen sich nicht mehr einem Verein zugehörig, sondern wechseln munter mitten in der Saison zu dem Verein, der noch mehr Geld bietet. Windige Berater handeln Verträge aus, die mehr als fragwürdig sind und mitunter auch kriminelle Steuervermeidungsmodelle enthalten. Heutzutage sind Jahresgehälter von weit über zehn Millionen Euro keine Seltenheit, und Paris Saint-Germain hat im Sommer 2017 für den brasilianischen Star Neymar vom FC Barcelona sage und schreibe 222 Millionen Euro Ablöse gezahlt! Das Geld droht den schönen Fußball zu zerstören, und man darf gespannt sein, wie lange sich die (zahlenden!) Fans diese Exzesse noch gefallen lassen.
Auf dem Festland brauchte die Professionalisierung etwas länger. Hier wurde in Österreich im Jahr 1924/25 die erste Profiliga eingeführt, der schnell weitere professionelle Ligen in den anderen europäischen Ländern folgten. Eine der wenigen Ausnahmen war Deutschland. Hier ist mit der Bundesliga erst 1963 eine Profiliga eingeführt worden. Vorher galt der strikte Amateurstatus, dessen Verletzung streng bestraft wurde. Die deutschen Weltmeister von 1954, die das „Wunder von Bern“ schafften, bekamen für ihren historischen Triumph lächerliche 2 500 Mark, einen Fernseher, einen Lederkoffer und einen Motorroller. Aber was ist schon schnödes Geld gegen die Unsterblichkeit der 54er-Helden …
Das British Empire umfasste im Jahr 1919 etwa ein Fünftel der gesamten Erdoberfläche. Somit konnte der Fußball, so wie er auf der Insel gespielt wurde, über die ganze Welt verbreitet werden. Interessant ist aber, dass bis heute der Fußball in der ehemaligen britischen Kolonie Indien nie so recht heimisch wurde. Indien hat sich bisher nur ein einziges Mal für eine Weltmeisterschaft qualifiziert – 1950 in Brasilien –, wobei man genau genommen noch nicht einmal von einer Qualifikation reden kann, da das Land als einziger Vertreter Asiens automatisch gesetzt war. Allerdings wollten die Spieler ohne Schuhe antreten, weil sie es nun mal so gewohnt waren. Dies wurde von der FIFA untersagt, und der indische Verband zog seine Mannschaft daraufhin zurück. Seitdem hat man vom indischen Fußball nicht mehr viel gehört.
Der Fußball-Weltverband, die Fédération Internationale de Football Association (kurz FIFA), wurde am 21. Mai 1904 in Paris im Hinterhaus des Sitzes der Union Française de Sports Athlétiques gegründet. Heutiger Sitz der FIFA ist Zürich. Die Gründungsakte wurde von den Bevollmächtigten der Verbände der Schweiz, der Niederlande, Frankreichs, Belgiens, Dänemarks, Spaniens und Schwedens unterzeichnet. Deutschland ist noch am selben Tag per Fernschreiben der FIFA beigetreten. 1909 kam Südafrika, das Gastgeberland der Weltmeisterschaft 2010, als erstes nicht-europäisches Land hinzu, und 1912 waren Argentinien und Chile die ersten südamerikanischen Länder, denen ein Jahr später die USA folgte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1946 traten die britischen Verbände in die FIFA ein. Davor war man auf der Insel der Auffassung, dass im Mutterland des Fußballs ohnehin der beste Fußball gespielt werde und man sich daher nicht mit dem Rest der Welt messen müsse – ein gigantischer Trugschluss, bedenkt man heute das mäßige Abschneiden der britischen Teams bei den bisherigen Welt- und Europameisterschaften. Heutzutage gehören der FIFA mit 211 Fußballverbänden deutlich mehr Mitglieder an als den Vereinten Nationen, die es nur auf 193 Länder bringen. Die FIFA ist damit der weltweit größte und auch mächtigste Sportverband, dessen Reputation aber in den letzten Jahren insbesondere durch die Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 nach Katar und die dadurch offen zutage getretene hemmungslose Korruption stark gelitten hat. Auch hier hat die bedingungslose Kommerzialisierung bereits zerstörerische Züge angenommen. Am 10. Januar 2017 beschloss die FIFA unter ihrem neuen Präsidenten Gianni Infantino, dass ab dem Jahr 2026 die Weltmeisterschaft mit 48 Teams ausgetragen werden soll. Eine Entscheidung, die rein kommerzielle und machttaktische Gründe hat. Sportlich wird ein solches Turnier immer weiter entwertet, wie die Trainer aller größeren Nationen bemerkt haben.
Die Entwicklung in Deutschland verlief ebenfalls rasant. Heute ist der DFB mit über 25 000 Vereinen, über 160 000 gemeldeten Mannschaften und fast sieben Millionen Mitgliedern der größte und reichste Einzelsportverband der Welt. Bei der totalen Kommerzialisierung des Fußballs und den in den letzten Jahren zutage getretenen Strukturen innerhalb des DFB wirkt es grotesk, dass dieser DFB immer noch als eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Frankfurt am Main firmiert.
Schon 1905 dachte die FIFA darüber nach, eine Weltmeisterschaft mit Nationalteams auszuspielen. Dieser Plan wurde aber erst im Jahr 1930 mit dem ersten WM-Turnier in Uruguay verwirklicht. Vorher galten die olympischen Fußballturniere als eine Art Ersatz-Weltmeisterschaft. Uruguay gewann auf heimischem Boden den ersten Titel mit 4:2 im Endspiel gegen Argentinien. Dieser Trend sollte sich fortsetzen: Amerikanische Teams gewannen fortan die Weltmeisterschaft immer dann, wenn sie auf amerikanischem Boden ausgetragen wurde, während europäische Teams in Europa triumphierten. Die einzige Ausnahme waren die Brasilianer 1958 in Schweden, die das Endspiel mit 5:2 und einem überragenden siebzehnjährigen Pelé gegen die Gastgeber gewannen. Brasilien gewann auch das erste Turnier im Jahr 2002 auf asiatischem Boden. 2010 wurde das erste Mal eine WM-Endrunde in Afrika ausgetragen. Hier gewann mit Spanien ein Team aus Europa. Auch die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien sollte wieder eine Ausnahme darstellen. Der deutsche Triumph im Endspiel durch Mario Götzes Traumtor zum 1:0 gegen Argentinien in der 113. Minute am 13. Juli 2014 war der erste Titelgewinn eines europäischen Teams auf amerikanischem Boden. Für die WM 2018 in Russland ist dann wohl alles offen, denn das „Gesetz“ der Serie scheint ja nicht mehr zu gelten.
Deutschland ist mit den vier Titeln 1954, 1974, 1990 und 2014 hinter Brasilien, das bisher fünfmal triumphierte, das zweiterfolgreichste WM-Team der Geschichte. Zwar gewannen die Italiener den Titel auch viermal, aber Deutschland hat mit vier weiteren Finalteilnahmen, vier dritten und einem vierten Platz eine mehr als eindrucksvolle Gesamtbilanz bei den insgesamt 18 WM-Teilnahmen vorzuweisen. Auf 13 Halbfinalteilnahmen kommt nicht einmal Brasilien. Auch hat sich Deutschland bisher immer, wenn man wollte oder durfte, für eine WM-Endrunde qualifiziert. 1930 wollte man genauso wie Italien wegen der Reisestrapazen nach Uruguay nicht, und 1950 durfte man nicht, weil Deutschland wegen seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg noch nicht wieder in die FIFA aufgenommen worden war.
Eindrucksvoll ist auch die deutsche Bilanz bei den seit 1960 ausgespielten Fußball-Europameisterschaften. Hier konnten unsere Jungs bei 15 Turnieren drei Titel (1972, 1980 und 1996), drei Vizemeisterschaften (1976, 1992 und 2008) und drei weitere Halbfinalteilnahmen erringen. Die letzten unglücklichen Niederlagen in der Vorschlussrunde gegen Italien bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine und 2016 gegen Frankreich, als man am Gastgeber scheiterte, sind sicher noch in bester Erinnerung. Wer hätte aber seinerzeit gedacht, dass die Europameisterschaft 1996, die die Vogts-Truppe im Londoner Wembley-Stadion durch das „Golden Goal“ von Oliver Bierhoff in der 95. Minute errang, für sage und schreibe 18 Jahre der letzte Titel unseres Teams sein würde?
Der weltweite Erfolg des Fußballs wird immer wieder auch damit begründet, dass es sich um ein einfaches, für den Zuschauer leicht nachvollziehbares Spiel handelt. Dieses Buch soll daran nichts ändern – keine Angst! Wenn man aber anfängt, Fragen zu stellen, dann wird der Fußball schnell recht kompliziert, zumindest wenn man diese Fragen mit den objektiven Mitteln der Mathematik und Physik beantworten will. Zum Beispiel, ob es mathematische Gründe dafür gibt, dass eine Mannschaft in einer Saison super drauf ist und unter die ersten fünf in der Tabelle kommt, im folgenden Jahr die gleichen Spieler mit dem gleichen Trainer aber völlig versagen und vielleicht sogar absteigen. Ja, dafür gibt es tatsächlich einen mathematischen Grund! Eine weitere Frage betrifft die Schieds- und Linienrichter. Kann man mathematisch und physikalisch feststellen, ob unsere Referees eigentlich gut oder schlecht sind? Ja, man kann! Unsere Referees sind sogar besser, als es die Physik erlaubt. Noch kurioser ist die Frage, ob Fußball etwas mit Radioaktivität zu tun hat. In der Tat! Fußball hat etwas mit Radioaktivität zu tun. Kann man physikalisch begründen, warum eigentlich noch niemand im „Aktuellen Sportstudio“ sechs Mal an der legendären Torwand aus sieben Metern die 55 Zentimeter großen Löcher getroffen hat? Ja natürlich, hierfür gibt es einen ganz objektiven und profanen mathematisch-physikalischen Grund. Kann man objektiv erklären, warum der Frauenfußball im Augenblick noch nicht so interessant ist wie der Männerfußball? Ja man(n) kann! Wird der Frauenfußball irgendwann einmal so attraktiv sein wie der Männerfußball? Er wird in (ferner?) Zukunft sogar noch attraktiver werden, was sich erstaunlicherweise mathematisch exakt begründen lässt. Ist der Austragungsmodus einer Weltmeisterschafts-Endrunde mathematisch optimal? Nein, ganz und gar nicht! Er birgt sogar sehr große Gefahren für Manipulationen. Gibt es eine optimale Reihenfolge, in der unsere Jungs zum nächsten Elfmeterschießen antreten sollten? Ja, die gibt es tatsächlich! Am Ende des Buches wird dann sogar streng mathematisch ausgerechnet, warum der Weltmeistertitel 2014 für Deutschland so gut wie unvermeidbar war und wer der Titelträger des Turniers in Russland 2018 sein wird. Allerdings ist auch die Mathematik vor Fehlern nicht immer gefeit …
Dies sind nur einige der Fragen, denen hier auf den Grund gegangen wird. Sie werden in diesem Buch so viel Neues über Fußball lernen, dass Sie im Freundeskreis mit diesen Kenntnissen sicher großen Eindruck schinden können. Selbst der „Fußball-Professor“ Ralf Rangnick wird nicht mithalten können! Leider werden an der einen oder anderen Stelle des Buches ein paar Formeln benötigt. Ja, Sie werden sogar auf so etwas Grausames wie „Bessel-Funktionen“ stoßen! Doch alles wird auch ausführlich in Worten erklärt. Sollten die Formeln Sie an die dunkelsten Kapitel Ihrer Schulzeit erinnern, so überspringen Sie diese Stellen einfach. Wer im Umgang mit Formeln etwas geübt ist, kann so allerdings die objektiven Begründungen manch subjektiv erscheinender Tatsachen etwas leichter nachvollziehen – Schau’n mer mal!
Fußball ist ein Spiel für 22 Mann; elf auf jeder Seite. Die Spieler treten den Ball von einem Ende des Platzes an das andere. Das Leder muss in ein Tor, in dem ein Keeper steht. Das Spiel dauert 90 Minuten. Und am Ende gewinnt immer Deutschland …
(Der englische Nationalspieler Gary Lineker fasst die Regeln des Fußballs zusammen.)
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Die Regeln
Im Jahr 1848 haben Studenten der Universität Cambridge die ersten Fußballregeln, die „Cambridge Rules“, verfasst. Eine Mannschaft sollte aus 15 bis 20 Spielern bestehen. Erst 24 Jahre später wurde durch die 1863 in England gegründete Football Association die Zahl der Spieler auf die heutigen elf festgelegt. Wir werden sehen, dass man die Zahl von zehn Feldspielern tatsächlich mathematisch begründen kann. 1863 beschloss die Football Association auch ein ausführliches Regelwerk, welches 14 Absätze umfasste und auf den Cambridge Rules basierte. Demnach werden das Spielen mit dem Fuß und das ausschließliche Treten nach dem Ball als wesentliche Elemente des Spiels festgelegt. Seit 1877 gibt es den Feldverweis eines Spielers bei grobem Foulspiel. Allerdings wurde erst 1909 der genaue Strafenkatalog dafür geschaffen, und erst seit 1970 wird der Feldverweis mit einer „Roten Karte“ und eine minder schwere Tat durch eine „Gelbe Karte“ angezeigt. Die Rote Karte zog der Referee im Unterschied zur Gelben, die in der Brusttasche steckte, immer aus seiner Gesäßtasche, damit die Zuschauer und Reporter vor den Schwarz/Weiß-Fernsehgeräten deutlich sehen konnten, wenn ein Spieler mit einem Feldverweis belegt wurde. Seither spricht man davon, dass jemand „die Arschkarte zieht“, wenn ihm ein Unglück widerfährt. Doch wie stark wird eine Mannschaft eigentlich durch eine solche „Arschkarte“ im Durchschnitt geschwächt?
Merkwürdigerweise hat die Football Association 1863 auch schon die Abseitsregel eingeführt. Wir werden im Folgenden sehen, warum diese Regel sinnvoll ist, dass sie aber geradezu ein Desaster für Schieds- und Linienrichter darstellt, da sie bei der Anwendung dieser Regel prinzipiell immer Fehler machen müssen. Auch die Größe des Tores liegt schon lange fest. Bereits im Jahr 1865 wurde die Torhöhe auf 8 Feet = 2,44 Meter begrenzt. Im Jahr 1875 wurde dies noch präziser als die Höhe der Lattenunterkante definiert, und gleichzeitig wurden die Halbzeitpause und der Seitenwechsel eingeführt. Auch die Breite des Tores wurde auf 8 Yards = 7,32 Meter normiert. Die Ballgröße steht seit 1872 mit einem Umfang von 68 bis 70 Zentimetern bei einem Durchmesser von etwa 22 Zentimetern fest. Warum gerade diese Ausmaße? Sollte man die Tore nicht größer und den Ball kleiner machen, damit das runde Leder häufiger im erst 1890 eingeführten Tornetz zappelt? Im Handball sind die Tore zwar kleiner, aber es fallen trotzdem viel mehr Tore als im Fußball. Ist dadurch das Spiel wirklich interessanter? Wir werden im folgenden Kapitel mathematisch begründen, dass der Fußball seinen großen Reiz daraus bezieht, dass nur sehr wenige Tore fallen. Dadurch wird Fußball zum ungerechtesten, aber auch interessantesten Mannschaftssport der Welt.
Mit der Ausbreitung des Fußballs Ende des 19. Jahrhunderts in England entwickelten und verfeinerten sich auch die Regeln. In Deutschland legte 1874 der Braunschweiger Lehrer Konrad Koch das erste Regelwerk fest. Die FIFA und der DFB haben die Regeln des Fußballspiels später immer weiter ausgearbeitet. Für jede denkbare Situation gibt es heutzutage eine konkrete Handlungsanweisung, nachzulesen beispielsweise auf der Homepage des DFB. Auf jährlichen Konferenzen kontrolliert die FIFA, ob die Regeln noch adäquat sind, und passt sie gegebenenfalls an. Es gibt im offiziellen Regelwerk der FIFA 17 Spielregeln, die 1938 neu gefasst wurden und bis auf geringfügige Änderungen bis heute unverändert geblieben sind. Man könnte daher denken, dass alles klar ist und darüber nicht mehr weiter diskutiert werden muss. Aber schon die triviale Frage, wann eigentlich ein Ball im Tor ist, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ungeheuer kompliziert. Die Regel ist glasklar formuliert, aber kann ein Schiedsrichter sie überhaupt so genau umsetzen? Wie viel Zeit hat er, um zu entscheiden, ob ein Ball „drin“ war? Interessant ist ohnehin, dass es den Schiedsrichter erst seit 1873 und seine beiden Linienrichter erst seit 1889 gibt. Vorher hat man offenbar 25 Jahre lang Fußball ohne Schiedsrichter gespielt! Die beiden Mannschaftsführer haben das Spiel geleitet und bei Regelverstößen unterbrochen. Es ist allerdings nicht überliefert, wen das unterlegene Team eigentlich für seine Niederlage verantwortlich gemacht hat, wenn der Schiedsrichter als Sündenbock ausfällt. Es ist auch nicht klar, wie die Schiedsrichter 16 Jahre lang Abseitsstellungen ohne Linienrichter gesehen haben.
Heutzutage sind die Schieds- und Linienrichter an allem schuld. Ihre Leistung wird jedes Wochenende kritisch hinterfragt, und einzelne Szenen werden mit Superzeitlupen und Standbildern geradezu seziert. Ein Ergebnis der Ausführungen des folgenden Kapitels wird aber sein, dass unsere Schiedsrichter erstaunlich wenige Fehler machen. Sie sind sogar besser, als sie laut Theorie eigentlich sein dürften! Und die Fehler, die sie machen, sind häufig das Salz in der Suppe. Was wäre der Fußball ohne all die Diskussionen über strittige Abseits- und Torentscheidungen, ohne übersehene Handspiele und unberechtigte Elfmeter, ohne zweifelhafte Feldverweise und nicht geahndete Foulspiele? Nichts – er wäre viel ärmer! Deswegen ist der Weg, den die FIFA seit der WM 2014 in Brasilien eingeschlagen hat, grundlegend falsch: Mit elektronischen Hilfsmitteln wie etwa der Torlinientechnik und dem beim Confed Cup 2017 getesteten und für die WM 2018 geplanten Videobeweis will man für mehr vermeintliche Gerechtigkeit auf dem Fußballplatz sorgen. Nein! Wir Fans wollen keinen klinisch reinen Fußball, wir dürsten geradezu nach Ungerechtigkeit und strittigen Entscheidungen! Und das Ungerechteste am Fußball sind sowieso nicht die Schiedsrichterentscheidungen, sondern etwas ganz anderes …
Wann ist ein Ball im Tor?
Im Fußball ist es wie in der Liebe. Was vorher ist, kann auch sehr schön sein, aber es ist nur Händchenhalten. Der Ball muss hinein!
(Der Trainer und Kolumnist Max Merkel philosophiert über das Wesen des Fußballspiels.)
Häufig erleben wir im Fußball umstrittene Torentscheidungen. War der Ball wirklich hinter der Linie? Das umstrittenste Tor der Fußballgeschichte ist wohl im WM-Finale 1966 gefallen und unter dem Namen „Wembley-Tor“ in die Annalen eingegangen. Auf dieses Tor kommen wir noch in aller Ausführlichkeit in einem späteren Abschnitt zurück. Auch im WM-Finale 2006 gab es zwei Entscheidungen dieser Art. Zinédine Zidane hat für Frankreich den ersten Elfmeter im Spiel lässig gegen die Unterkante der Latte gelupft. Von dort sprang er auf den Boden, wieder gegen die Latte und dann aus dem Tor heraus. Doch war dieser Ball wirklich im Tor? Im Elfmeterschießen hat David Trezeguet dann den entscheidenden Strafstoß gegen die Unterkante der Latte gehämmert. Der Ball sprang fast senkrecht nach unten auf den Rasen und von dort aus dem Tor heraus. War dieser Ball auch im Tor? Wir werden sehen, dass diese Fragen von einem Menschen eigentlich nicht zu beantworten sind.
Die Regel 10 der offiziellen Fußballregeln, die der DFB im Jahr 2017 veröffentlicht hat, besagt: „Ein Tor wird erzielt, wenn der Ball die Torlinie zwischen den Torpfosten und unterhalb der Querlatte vollständig überquert, sofern das Team, das den Treffer erzielt, weder ein Vergehen begangen noch gegen die Spielregeln verstoßen hat.“
Diese Regel hört sich recht einfach an, besagt sie doch nur, dass sich ein Fußball von 22 Zentimeter Durchmesser vollständig hinter der Torlinie befinden muss.
Da die Linie mit zum Spielfeld gehört, ist ein Ball also selbst dann nicht im Tor, wenn sich sein Mittelpunkt zwar vollständig, aber noch nicht mehr als elf Zentimeter hinter der Torlinie befindet. Physikalisch könnte man es auch so ausdrücken: Nur wenn das letzte Atom des Balls hinter dem letzten Atom der Linie ist – erst dann ist er im Tor!
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Selbst diese einfache Regel kann recht kompliziert werden, wie das folgende Beispiel aus der Bundesliga-Saison 2008/09 zeigt. Im Spiel des VfL Bochum gegen den VfB Stuttgart kam es am 26. Spieltag zu obiger Szene. Das Foto stammt aus der Frankfurter Rundschau vom 6. April 2009. Schiedsrichter Fleischer entschied, dass der Bochumer Spieler Joël Epalle ein Tor erzielte, weil der Stuttgarter Keeper Jens Lehmann einen peinlichen Fehler beging und den Ball offensichtlich erst hinter der Linie zu fassen bekam. Alle waren sich einig, dass es sich um ein klares Tor handelte. Der Spieler Epalle ohnehin, der Torhüter Jens Lehmann protestierte nicht, und die Reporter diverser Sportsendungen sprachen von einem „klaren Tor“. Die Frankfurter Rundschau schrieb sogar: „Hoppla: Jens Lehmann liegt mit Ball hinter der Linie.“ Die Lage ist ja auch eindeutig. Schließlich sieht man zwischen der Torlinie und dem Ball noch ein klitzekleines Stückchen des Rasens durchschimmern. Deswegen muss der Ball doch klar hinter der Linie liege, oder?
Die Lage sieht anders aus, wenn wir uns an die obige Regel 10 erinnern. Wenn wir bedenken, dass ein FIFA-Fußball einen Durchmesser von 22 Zentimetern hat, kann ein Ball also satte elf Zentimeter hinter der Linie liegen und trotzdem noch nicht im Tor sein. Ein „klein wenig Ball“ befindet sich dann noch in der Luft auf der Höhe der Linie, und das macht eben den Unterschied zwischen „Tor“ und „kein Tor“ aus. Bei einem kurz gemähten Rasen ist es nun durchaus möglich, dass man dann zwischen dem Ball und der Linie noch etwas von dem Grün sieht, obwohl der Ball noch nicht im Tor ist. Die Szene aus dem Spiel des VfL Bochum gegen den VfB Stuttgart ist also doch nicht so eindeutig wie zuerst vermutet. Auf ein klares Tor kann man jedenfalls aus den Fernsehbildern nicht schließen!
Ein weiteres Problem mit der Regel ergibt sich, wenn der Ball nur kurz hinter der Linie aufprallt und dann aufgrund eines Dralls aus dem Tor springt. Dies ist beim Wembley-Tor und auch bei den beiden entscheidenden Elfmetern des WM-Finales 2006 der Fall gewesen. Wir fragen uns nun, wie lange der Aufprall des Balls auf dem Boden überhaupt dauert. Dies ist immer dann wichtig, wenn er nur knapp hinter der Linie auf den Rasen springt und die Schieds- und Linienrichter dann blitzschnell entscheiden müssen, ob er „drin“ war.
Wir versuchen daher jetzt die Kontaktzeit tAufprall abzuschätzen. Wenn der Ball auf den Boden prallt, wird er dabei eingedrückt. Im Ball selbst muss laut DFB- und FIFA-Regeln ein Überdruck zwischen 0,6 und 1,1 Atmosphären herrschen. Wir gehen bei den folgenden Betrachtungen von einem Druck von p = 0,8 bar im Ball aus. Wenn die Kontaktfläche des Balls mit dem Boden nun mit A bezeichnet wird und wir bedenken, dass Druck = Kraft pro Fläche ist, dann erhalten wir einerseits für die auf den Ball wirkende Kraft: F = p × A.
Andererseits lautet das 2. Newton’sche Axiom Kraft = Masse × Beschleunigung, wobei Letztere eine Geschwindigkeitsänderung pro Zeit ist. In der halben Kontaktzeit tAufprall/2 ändert sich die Geschwindigkeit vom Ausgangswert v0 auf null. Dann ergibt sich also für die auf den Fußball der Masse m wirkende Kraft: F = m × v0 /(tAufprall/2).
Im Prinzip könnten wir so schon die Aufprallzeit eines Fußballs auf dem Rasen berechnen. Allerdings gibt es noch das Problem, dass die Kontaktfläche A in der Regel nur schwer zu bestimmen ist. Auch wird es so sein, dass die Aufprallgeschwindigkeit v0 mit der Größe der Kontaktfläche A zusammenhängt. Wenn der Ball mit einer größeren Geschwindigkeit auf den Boden trifft, wird er stärker zusammengedrückt, und die Kontaktfläche wird somit auch größer. Wir sind also noch nicht ganz fertig.
Zunächst kann die Anfangsgeschwindigkeit v0 auch durch die senkrechte Strecke s, um die der Ball eingedrückt wird, und die Aufprallzeit tAufprall ausgedrückt werden: v0 = 4 × s/tAufprall. Wenn die senkrecht eingedrückte Strecke s des Balls klein ist, dann ergeben geometrische Überlegungen, dass die Aufprallfläche durch den Durchmesser d eines Fußballs und die Strecke s sehr einfach bestimmt ist: A = π × d × s.
Wie bereits erwähnt, muss ein Fußball laut Regelwerk einen Umfang zwischen 68 und 70 Zentimetern haben, was einen Durchmesser von etwa d = 22 cm ergibt. Für den Druck setzen wir p = 0,8 bar, und die Masse eines Fußballs darf zwischen 410 und 450 Gramm liegen. Hier nehmen wir für die Berechnungen den maximalen Wert m = 450 Gramm an. Mit diesen Zahlen ergibt sich für die Kontaktzeit eines Fußballs mit dem Rasen ein Wert von tAufprall ≈ 0,008 Sekunden. Der Aufprall eines Fußballs dauert also weniger als eine Hundertstelsekunde! Nun ist es aber so, dass im besten Fall etwa fünf Hundertstelsekunden vergehen müssen, bis wir einen Seheindruck im Gehirn vollständig verarbeitet haben. Dies ist mehr als fünfmal länger als die Kontaktzeit des Balls mit dem Boden. Mit anderen Worten: Ein Schieds- oder Linienrichter kann gar nicht genau erkennen, ob der Ball wirklich knapp vor oder hinter der Linie aufprallt, da die Aufprallzeit deutlich kürzer als seine Wahrnehmungszeit ist! Er kann sich in solchen Fällen daher nur auf seine Erfahrung und Intuition verlassen. Dies sollte man immer berücksichtigen, wenn strittige Torszenen in Superzeitlupe von Reportern nachträglich seziert werden. Wir werden dies später beim Thema Abseits noch einmal aufgreifen und zum selben Schluss kommen.
Bedenkt man also, dass der Schiedsrichter viele strittige Szenen in Wirklichkeit gar nicht wahrnimmt, weil sie fünfmal schneller ablaufen, als sein Gehirn Seheindrücke verarbeiten kann, gab es eigentlich erstaunlich wenige Fehlentscheidungen in der Fußball-Bundesliga bis zur Einführung der Torlinientechnologie im Jahr 2015.
Die FIFA hatte diese schon wegen einer vermeintlichen Fehlentscheidung zugunsten der Engländer im Spiel gegen die Ukraine bei der EM 2012 beschlossen und 2014 bei der WM in Brasilien eingeführt. Die Bundesliga sprach sich wegen der Kosten von mindestens zehn Millionen Euro noch im Frühjahr 2014 gegen eine Einführung dieser Technologie aus, beschloss diese dann aber doch im Dezember 2014.
Befeuert wurde die Diskussion um die Torlinientechnologie auch durch Tore, wie sie etwa beim Spiel der TSG 1899 Hoffenheim gegen Bayer 04 Leverkusen am 18. Oktober 2013 gefallen sind. Beim Stand von 0:1 köpfte der Leverkusener Spieler Stefan Kießling von außen an das Seitennetz. Der Ball gelangte aber durch ein Loch trotzdem ins Tor. Schiedsrichter Felix Brych gab ohne zu zögern diesen „Treffer“. Das Spiel endete 1:2, und Hoffenheim legte Einspruch gegen die Spielwertung ein, der jedoch aufgrund der Tatsachenentscheidung des Referees abgeschmettert wurde. Solche Szenen können wir Fans seitdem leider nicht mehr intensiv diskutieren. Natürlich war dies ein lupenreines Tor, denn der Ball war ja schließlich auch vollständig hinter der Linie …
Ergänzt wurde die einfache Regel 10 des DFB, die wir am Anfang dieses Abschnitts zitiert hatten, übrigens durch die folgende Anweisung für den Schiedsrichter: „Bestehen Zweifel, ob der Ball vollständig im Tor war, soll der Schiedsrichter das Spiel weiterlaufen lassen.“ Unsere Ausführungen haben gezeigt, dass ohne Torlinientechnologie eigentlich immer Zweifel bestehen, weil es häufig recht kompliziert – wenn nicht sogar unmöglich – sein kann zu entscheiden, ob der Ball wirklich hinter der Linie war. Das Wembley-Tor hätte also nie gegeben werden dürfen, wenn der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst den Zusatz zur Regel 10 im Kopf gehabt hätte. Er tat aber trotzdem etwas Regelkonformes. Laut DFB- und FIFA-Regeln gilt nämlich: „Ist der Schiedsrichter über eine Entscheidung im Zweifel, so befragt er den Linienrichter, ehe er die Entscheidung trifft.“ Gottfried Dienst fragte den sowjetischen Linienrichter Tofik Bәhramov, der den Ball aus etwa 50 Metern Entfernung klar im Tor gesehen hatte …
Wie spielentscheidend sind Rote Karten?
Ich verwarne Ihnen. – Ich danke Sie!
(Dialog zwischen dem Referee und dem Spieler Willi „Ente“ Lippens, der daraufhin wegen Schiedsrichterbeleidigung vom Platz flog)
Als Christian Wörns in der 40. Minute des Viertelfinales der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich vom Platz gestellt wurde und Deutschland dieses Spiel gegen Kroatien sang- und klanglos mit 0:3 verlor, nahm der damalige Trainer Berti Vogts diese Szene zum Anlass, eine Verschwörung der FIFA gegen den deutschen Fußball auszumachen. Seine Mannschaft sei einfach für den Rest der Welt „zu stark“ geworden, und deswegen müsse man das deutsche Team eben so massiv benachteiligen, um es überhaupt zu schlagen. Doch wie stark hat dieser Platzverweis die Vogts-Truppe damals wirklich geschwächt? Dies soll nun genauer analysiert werden unter der Voraussetzung, dass alle Spieler einer Mannschaft als gleich stark angesehen werden können. Selbstverständlich sind die Spieler einer Mannschaft nicht alle gleich wichtig; beispielsweise wäre ein Verlust von Toni Kroos in der aktuellen Nationalmannschaft sicher viel größer als der von manch anderem Spieler, aber wir wollen hier nur ein Gefühl für den Effekt bekommen, um den es geht. Die Frage lautet also: Wie stark schwächt der Ausfall eines Fußballspielers seine Mannschaft? Diese Frage könnte natürlich sofort mit „um exakt 10 %!“ beantwortet werden, da einer von zehn Feldspielern ausscheidet, und 1/10 = 10 % ist. Doch ist es wirklich so einfach?
Zunächst stellen wir einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Feldspieler einer Mannschaft und der Größe des Spielfelds her, bevor wir die eigentliche Frage beantworten. Das Fußballfeld mit seinen Ausmaßen ist in der Abbildung auf Seite 36 dargestellt.
Interessant ist, dass es gar keine feste Regel dafür gibt, wie groß ein Spielfeld genau sein muss. Ein Spiel auf einem fast quadratischen Feld der Größe 91 Meter × 90 Meter wäre also durchaus regelkonform! In den Jenaer Regeln von 1896 wurde lediglich vorgegeben, dass Fußballfelder frei von Bäumen und Sträuchern sein sollen. Heutzutage ist eine Fläche von A = 7 000 Quadratmetern ein realistischer Wert. Nun soll eine bestimmte Zahl N von Feldspielern gleichmäßig auf diesem Spielfeld verteilt werden. Angenommen, jeder Feldspieler hat einen Aktionsradius von R, das heißt, er überbrückt diese Strecke in einer vorgegebenen Zeit, um beispielsweise einen Gegenspieler zu attackieren, dann kann die Spielfläche A mit N Quadraten der Seitenlänge 2 × R überdeckt werden. Der Aktionsradius ist aus Gründen der Einfachheit hier nicht wirklich der Radius eines Kreises, aber das ist nicht weiter wichtig.
Es ist nun leicht zu erkennen, dass sich der Zusammenhang A = N × (2 × R)2 für die Spielfläche und die Zahl der Feldspieler ergibt. Diese Formel kann einfach nach dem Aktionsradius R umgestellt werden. Der Aktionsradius R hängt dann von der Quadratwurzel aus dem Verhältnis der Spielfläche A und der Spieleranzahl N ab. Wenn der Aktionsradius durch die Geschwindigkeit vSpieler des Spielers und mit der Zeit TSpieler ausgedrückt wird, die ein Spieler benötigt, um seine Fläche zu kontrollieren, dann folgt: TSpieler = R/vSpieler. Für R kann der obige Zusammenhang mit der Spielfläche und der Spielerzahl eingesetzt werden. Es ergibt sich dann: TSpieler = √A/N/(2 × vSpieler).
Die Formel zeigt uns an, wie schnell ein Spieler sein muss, damit er bei vorgegebener Größe von Spielfeld und Spielerzahl seinen Aktionsradius in der errechneten Zeit TSpieler erreicht. Sind weniger Spieler auf dem Feld, wird die Zeit TSpieler größer, weil N im Nenner der Formel steht. Da aber auch vSpieler im Nenner steht, kann dies durch eine größere Geschwindigkeit der Spieler wettgemacht werden. Weil aber die Spielerzahl unter der Quadratwurzel steht, die Geschwindigkeit jedoch nicht, folgt daraus, dass beide Einflüsse nicht gleich sind. In der Tat ergibt die Berechnung: Wenn sich das Verhältnis der Spieler auf dem Feld ändert, wirkt dies wie eine halbe Änderung der Geschwindigkeit. Wenn sich also die Zahl der Spieler um 10 % verringert, dann müssen die verbleibenden Feldspieler nur um jeweils 5 % schneller rennen, um das Spielfeld genauso wie vorher abzudecken!
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Nun kann eingewendet werden, dass sich niemals alle Feldspieler gleichmäßig auf dem Fußballplatz verteilen, alle auch nicht gleich schnell sind und sicher nicht den gleichen Aktionsradius haben. Das ist richtig. Die Betrachtungen sollten nur ein grobes Gefühl für die Zusammenhänge vermitteln. Immerhin zeigen sie, dass eine Fußballmannschaft im Durchschnitt durch den Ausfall eines Spielers nicht so stark geschwächt wird, wie man zunächst vermuten könnte. Anstelle der sofort geschätzten 10 % ist es so, dass alle Spieler nur 5 % mehr Leistung geben müssen, um den Verlust des Spielers zu kompensieren. Allerdings helfen diese Betrachtungen Berti Vogts jetzt auch nicht mehr weiter …
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