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Götter, Gurus und Gewürze

Morten Hübbe
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Zwei Jahre per Anhalter durch Indien

„Das Indienbuch überzeugt mit einem unvoreingenommenen ethnographischen, antieurozentrischen Blick, ohne dabei (…) in Fallgruben des Verklärenden zu verfallen.“ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Götter, Gurus und Gewürze — Inhalt

Ein spannender Roadtrip durch ein widersprüchliches Land
24 Monate, 21.206 Kilometer, 269 Mitfahrgelegenheiten – fasziniert lassen sich Rochssare und Morten auf das Abenteuer Indien ein. Sie besuchen boomende Metropolen und abgelegene Dörfer im Himalaja, heilige Stätten und rauschende Feste. 

Indien unplugged: authentisch, nachhaltig, intensiv

Per Anhalter reisen sie im engen Kontakt mit den Einheimischen. Und mit jeder Tasse Chai tauchen sie tiefer ein in die Kulturen, Legenden und Traditionen Indiens. Dabei erleben sie zahlreiche Gegensätze. Armut und Reichtum, Gastfreundschaft und Überlebenskampf, Aberglaube und Modernität reichen sich in Indien die Hand.

Wo Shiva tanzt

Rochssare und Morten erzählen von skurrilen Begegnungen am Straßenrand; dem verwirrenden Chaos von Neu-Delhi, Mumbai und Kalkutta; den unterschiedlichen Lebenswelten von Hindus, Sikhs und Moslems.

Zwischen jahrtausendealter Geschichte und verblüffender Gegenwart entfaltet sich eine fesselnde Reise durch ein überwältigendes Land.

Ein mitreißendes Buch für alle, die das Außergewöhnliche suchen

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 10.03.2022
336 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-89029-550-3
Download Cover
€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erschienen am 10.03.2022
304 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60128-3
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Leseprobe zu „Götter, Gurus und Gewürze“

Prolog
Rochssare
Mahatma Gandhi lächelt milde vom Torbogen, der die Brüder und Erzfeinde Pakistan und Indien voneinander trennt. Ein Grenzbeamter in schnieker kakifarbener Uniform mit Bügelfalte steht neben dem Durchgang. Ein dekorativer Turban schmückt sein Haupt. Passkontrolle, strenge Blicke: „Where do you come from?“ „Pakistan“, erwidere ich, nein, „sorry, Germany.“ Oha, noch nicht einmal richtig im Land und schon das erste Fettnäpfchen. Indien verunsichert mich. Die Geschichten von Arm und Reich, Slums und Bollywood, Kastensystem und Karma, heiligen [...]

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Prolog
Rochssare
Mahatma Gandhi lächelt milde vom Torbogen, der die Brüder und Erzfeinde Pakistan und Indien voneinander trennt. Ein Grenzbeamter in schnieker kakifarbener Uniform mit Bügelfalte steht neben dem Durchgang. Ein dekorativer Turban schmückt sein Haupt. Passkontrolle, strenge Blicke: „Where do you come from?“ „Pakistan“, erwidere ich, nein, „sorry, Germany.“ Oha, noch nicht einmal richtig im Land und schon das erste Fettnäpfchen. Indien verunsichert mich. Die Geschichten von Arm und Reich, Slums und Bollywood, Kastensystem und Karma, heiligen Kühen und roher Gewalt haben schon weit vor der Grenze meinen inneren Kompass auseinandergenommen. Beim Gedanken an Indien verliere ich die Orientierung.
Der dekorative Turban reicht unsere Pässe zurück. „Welcome to India.“ Und über seinem nun freundlichen Lächeln biegt sich ein buschiger, an den Seiten nach oben gezwirbelter dunkler Schnurrbart. Es gibt kein Zurück mehr.
Da stehen wir nun. Rochssare: lebensfrohe Reiseenthusiastin, Hundestreichlerin, kreative Problemlöserin und verliebt in die Sonnenaufgänge nach durchtanzten Nächten. Morten: sympathisch-hanseatisch, fahrlässig unerschrocken, Menschenfreund und verwurzelt an den Meeren der Welt. Gemeinsam sind wir weit gekommen. Aus dem Norden Deutschlands ins Ruhrgebiet, wo wir uns kennenlernten und die gemeinsame Liebe zur Ferne entdeckten. Häufig unterwegs, bis wir ganz weg waren. Südamerika hieß das Ziel, der Traum einer großen Reise. Es hätten neun Monate werden sollen, und es wurden zwei Jahre zwischen Feuerland und Karibik. Damals schon per Anhalter. Damals schon mit einer Begeisterung für Menschen, Kulturen und Bräuche.
Das Reisen hatte Besitz von uns ergriffen, und nur zu gern ließen wir uns einnehmen. Zurück in Europa war der weitere Weg bereits klar. Per Anhalter nach Indien; durch die Türkei, Iran und Pakistan. Ohne abgesteckte Grenze, einfach schauen, was passiert.
Nun sind wir also da: Incredible India! Faszinierend und abschreckend, magisch und angsteinflößend, herzerwärmend und entsetzlich, werden wir feststellen. Und egal, wie wir es betrachten: Indien ist extrem. Alles ist potenziert, viel heftiger, als wir es uns vorgestellt haben; im Guten wie im Schlechten.
Indien lässt keine lauwarmen Emotionen zu. Entweder man verliebt sich in das Land, oder man nimmt Reißaus – oder entwickelt eine Hassliebe, die ruhelos im Herzen köchelt, in alle Richtungen ausschlägt und in jeder Faser des Körpers brennt. So wird es uns ergehen.
Alles in diesem Land ist anders. Die Distanzen zwischen den Orten sind gigantisch groß, zwischen den Menschen dagegen oft winzig klein. Heilige Bettelmönche pilgern durch Wüsten, Wälder und den mächtigen Himalaja. Jahrtausendealte Ruinen und Megastädte stehen in unmittelbarer Nähe zueinander. Metropolen wie Neu-Delhi, Mumbai oder Kolkata lassen den Puls vor Freude und vor Schreck rasen. Ein Strom der Menschenmassen. An anderen Orten kaum gekannte Abgeschiedenheit.
Per Anhalter machen wir uns auf durch dieses gewaltige Land. Mal im heißen Fahrtwind auf schmutzigen Ladeflächen, mal in weichen Ledersitzen klimatisierter Nobelkarossen. Es sind fast ausschließlich Männer, die uns mitnehmen. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau im indischen Alltag und in der Öffentlichkeit entspricht einem Kodex, den wir nach und nach begreifen: Das Patriarchat ist stark – Frauen sind zweitrangig, haben keine öffentliche Stimme. Töchter sind, vor allem im ländlichen Raum, eine potenzielle Armutsfalle. Wir werden feststellen, dass wir ausgesprochen selten mit indischen Frauen ins Gespräch kommen. Wenn wir es tun, dann gehören sie meist zur jungen, urbanen Generation, einer Randerscheinung in diesem noch immer von Traditionen und Bräuchen bestimmten Land.
Indien ist ein Gegenentwurf, das wussten schon die Hippies, als sie in den 1960er-Jahren den langen Weg über das eurasische Festland wählten, um der bürgerlichen Enge ihrer Generation zu entkommen. In Indien fanden sie hervorragende Bedingungen. Cannabis, das seit Urzeiten an den Hängen des Himalajas wächst, ist fester Bestandteil der indischen Kulturgeschichte. Shiva, Herr über Zerstörung und Neubeginn, der wichtigste und mächtigste Gott in den hinduistischen Religionen, macht sich das Gras zu eigen.
Die Hippies waren Vorreiter. Heute ist Indien in aller Munde. Meditation, Yoga, Goa, Kerala. Und doch ist vieles unbekannt. In der Weite des Landes ist es ein Leichtes, sich zu verlieren und neu zu finden. In vielen Momenten fühlen wir uns wie Außerirdische, und jeder Schritt wird zu einer Reise in neue Welten.


Amritsar und das Wunderland Indien
Morten
50 Kilometer in östlicher Richtung hinter der Grenze zwischen Pakistan und Indien kommen wir in die Millionenstadt Amritsar. Hier verläuft die Grand Trunk Road. Eine historische Handelsstraße, die von Kolkata über die Gangesebene bis nach Lahore und weiter nach Kabul führt. Ganz in der Nähe endeten einst die Eroberungszüge Alexanders des Großen. Von hier ging 1919 der gewaltfreie Widerstand der indischen Unabhängigkeitsbewegung aus, nachdem britische Kolonialtruppen in Amritsar 400 Demonstranten erschossen und weitere 1500 verletzt hatten.
Es ist heiß, das Thermometer zeigt weit über 30 Grad Celsius an. Staub bedeckt Straßen und kaputte Gehwege, bedeckt verwaschene Mauern und bröckelnden Putz. Es hat lange nicht geregnet. Motorräder knattern unentwegt hupend durch die Gassen. Ein Knirps mit speckigem Haar und dreckigem Shirt reckt uns die leere Hand entgegen. Der erste Mensch, dem wir in Amritsar begegnen, ist ein bettelndes Kind. Es bleibt nicht das einzige.
In einer Ecke sitzt ein Mann mit einem wulstigen Ödem auf der Straße. Aufgebläht wie ein länglicher Luftballon, liegt sein Bein vor ihm, drei Mal so dick wie das andere. Er braucht Geld für Medikamente, steht auf einem Schild vor seiner Brust.
Hunde streunen durch die Stadt. Indien erschlägt uns. Schweiß steht auf meiner Stirn, und ich bin mir nicht sicher, ob er allein durch die Hitze des Subkontinents dorthin gelangt ist. Das hektische Hupen des chaotischen Verkehrs animiert mein Herz zu Stakkatoschlägen. Ich bin nervös. Heruntergelassene Bahnschranken bremsen einen Teil der quäkenden, stinkenden Blechlawine. Doch wer sein Gefährt unter den Schranken hindurchschieben kann, lässt sich nicht aufhalten. Selbst das dröhnende Horn des nahenden Zuges kümmert nur die wenigsten Rad- und Motorradfahrer an den Gleisen.
Die Bahnschienen teilen die Stadt in den hektischen, modernen Norden und das hektische, historische Viertel im Süden mit den vielen verwinkelten Gassen, Märkten und Tempeln. Amritsar ist intensiv – lauter, wuseliger und schmutziger als alles, was wir bisher kennengelernt haben. Ein Stimmengewirr aus Punjabi, Hindi und Urdu ist allgegenwärtig. Es vermischt sich mit dem Motorenlärm der Mopeds und geht letztendlich im schrillen Hupkonzert auf den vollgestopften Straßen unter.
Die Luft steht schwer wie Blei, hitzegeschwängert und toxisch. Männer und Frauen schieben sich durch bunte, lebendige Sträßchen. Das wilde Durcheinander überfordert uns, wirkt reizvoll auf unbekannte Art. Amritsar ist der Kaninchenbau, durch den wir in die verrückte Welt des Wunderlandes Indien fallen. Von nun an verdreht uns der Subkontinent den Verstand.
In einem alten, mehrstöckigen Gebäude mieten wir ein Zimmer. Unter der hohen Decke rotiert ein schwerer Ventilator. Langsam wälzt er die warme Luft über einer durchgelegenen Matratze um. Ein wurmzerstochener Kleiderschrank steht in einer Ecke. Wir bestellen Essen im hauseigenen Restaurant. Zimmerservice. Bereits die ersten Stunden in Indien erschöpfen uns. Den Weg nach draußen trauen wir uns heute nicht mehr zu, aus Angst, in der tumultartigen Wirklichkeit unterzugehen.
Hinter den verschmierten Fensterscheiben ziehen schwarze Wolken über den Himmel. Plötzlich rütteln Sturmböen an den Fensterläden. Staub und Dreck werden in die Luft gewirbelt und von einem heftigen Platzregen sogleich wieder auf die Erde gespült.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne über Amritsar. Müll brennt in den Straßen, und was mitten in der Stadt nicht verbrannt werden kann, holt wenig später ein rostender Traktor mit klapperndem Anhänger. Männer, die ihre Gesichter mit bunten Tüchern schützen, sammeln mit Schaufeln und Schüsseln den übrig gebliebenen Abfall auf der offenen Ladefläche.
Enge Gassen führen zu Märkten, auf denen Obst und Haushaltswaren, religiöse Dolche und Medaillons verkauft werden. Schneider fertigen aus farbenfrohen Stoffen elegante Saris. Unter hölzernen Balkonen präsentieren Juweliergeschäfte ihre goldglänzende Auslage, geschützt durch dicke Glasscheiben. Immer wieder tauchen kleine Tempel und Schreine im Schatten der Häuser auf. Glocken läuten, Gläubige murmeln Mantras, falten die Hände vor der Brust, wischen sich über Gesicht und haarige Ohrläppchen. Männer mit Turbanen und prächtigen Bärten sind hier unterwegs. Fahrradrikschas und Motorräder drängeln sich zwischen den Ständen hindurch. Dutzende Stromkabel hängen bedrohlich ineinander verknäult darüber.
Aromatisch duftende Rauchschwaden ziehen vorbei. Sie stammen von den handgedrehten Bidis, den Zigaretten des Subkontinents, die mit Vorliebe von Chai-Wallahs und Rikschafahrern geraucht werden. Ihr starker, würzig-trockener Geschmack gehört zu den ureigenen Sinneseindrücken Indiens.
Dhabas, die großen und kleinen Straßenrestaurants, sind überall in der Stadt verstreut. Sie versorgen die Menschen in Amritsar mit der Küche des Punjabs, die weit über die Grenzen des Bundesstaates und selbst über die Grenzen des Landes hinaus berühmt ist. Punjabi Dhabas sind der Inbegriff der Vielfalt und Intensität der nordindischen Küche. Chili, Zitrone, Knoblauch und Ingwer gehören hier zu den meistgenutzten Gewürzen. Mattar Paneer, Naan aus dem Lehmofen, Dal Makhani und viele weitere Gerichte, die heute überall in Indien verzehrt werden, stammen aus dem Punjab.
In Amritsar muss gegessen werden – viel und reichhaltig. Thalis sind der ideale Einstieg in die faszinierende Geschmackswelt Indiens. Dabei werden, oft auf einer runden Platte, zu Reis oder Chapati, einem Fladenbrot, verschiedene Currys serviert. Thalis vereinen wie kaum ein zweites Gericht die verschiedenen gastronomischen Freuden des Landes. Traditionell vor allem vegetarisch, zaubern die Köche mit wenigen Zutaten seit Jahrhunderten für europäische Gaumen oft ungewohnte Leckereien. Dabei ist die indische Küche für uns Ungeübte extrem. Wichtig ist die Balance: Gegen brennende Chilischärfe hilft nur klebrig süßer Chai.
Zurück in den Straßen Amritsars suchen wir noch immer Sinn in all dem Chaos. Wir brauchen eine Konstante, etwas Verlässliches, etwas, was uns zuruft: „Seht mich an! Hier bin ich, so wie ihr mich kennt.“ Wir finden es nicht. Stattdessen hören wir „Welcome to Amritsar“ und geraten noch tiefer in den Strudel des Sonderbaren.
Richtig schräg ist der hinduistische Mata-Lal-Devi-Tempel. Über dem Eingang empfangen zwei bekifft dreinschauende Löwenköpfe die Besucher. Dahinter öffnet sich eine Halle mit goldenen Schreinen, bunten Stoffen und schweren Glocken. Gläubige Hindus verbeugen sich vor Altären. Eine unauffällige Seitentür führt in ein Labyrinth aus schmalen Korridoren und Treppen, die in bizarre Räume mit irrwitzigen Götzenfiguren und Fabelwesen münden. Manche Gänge sind so schmal, dass wir nur auf allen vieren durch sie hindurchkriechen können. Weit geöffnete Mäuler wilder Tiere bilden Pforten und Tore.
Dieser Tempel ist ein architektonischer LSD-Trip. Gleich mehrere Realitäten sind hier miteinander in Ekstase verschmolzen. Eine Explosion an kitschig bunten Farben und Formen, zerrissen und neu zusammengesetzt zu wundersamen Gestalten und verrückten Wesen. Es heißt, der Tempel könne Wunder vollbringen und sei ein Ort der Fruchtbarkeit. Aus ganz Indien pilgern kinderlose Frauen hierher und bitten um baldige Nachkommen.
Der Mata-Lal-Devi-Tempel versetzt uns in einen Rausch, der auch auf den Straßen Amritsars nicht nachlässt. Wir raunen uns immer wieder verblüfft ein „Guck mal da!“ oder „Hast du das gesehen?“ zu. Mit großen Augen betrachten wir eine fantasierende Wirklichkeit und torkeln, geführt von der mächtigen Hand Indiens, durch die Gassen. Widerstand zwecklos.


Karma-Krieger im Goldenen Tempel der Sikhs
Morten
Mitten in der staubigen, hektischen Altstadt Amritsars erhebt sich der elegante Harmandir Sahib vor einem weiten Hof, der umgeben von den schmalen Gassen Platz zum Atmen bietet und den Blick auf das palastähnliche Gebäude lenkt. Menschen strömen ein und aus. Sie tragen Turbane, Schals, Kopftücher. Männer mit langen Bärten und ernsten Blicken betreten das weiße Gemäuer, in dessen Innerem sich das höchste Heiligtum der Sikhs befindet, das in der Welt als der Goldene Tempel bekannt ist.
Amritsar, 1577 von Guru Ram Das gegründet, ist sowohl politisches, religiöses als auch geografisches Zentrum des Sikhismus. Etwa die Hälfte der Stadtbewohner gehört der Religionsgemeinschaft an, die weltweit rund 30 Millionen Mitglieder zählt. Für sie ist der Harmandir Sahib so wichtig wie Mekka für Muslime oder der Vatikan für Katholiken.
Je näher wir dem Tempel-Heiligtum kommen, desto greifbarer wird die besondere Aura, die hier herrscht. Plötzlich begegnen sich die Menschen mit einer Extraportion Respekt. Das Drängeln und Schubsen, die Rufe, das Hupen, selbst der penetrante Geruch bleiben in den umliegenden Altstadtgassen zurück. Niemand raucht, nicht einmal der starke Duft der handgedrehten Bidis liegt in der Luft. In den nahen Restaurants wird ausschließlich vegetarische Küche angeboten. Das gilt auch für Pizza Hut und Subway. Alkohol ist in einem weiten Radius um den Tempel herum verboten.
Wer vor das weiß-goldene Gebäude tritt, hat ein erwartungsvolles Leuchten in den Augen. Darin spiegeln sich Vorfreude und Ehrfurcht. Der Gurdwara, so nennen die Sikhs ihre Tempel, darf nur barfuß und mit bedecktem Kopf betreten werden. In einer mit Wasser gefüllten Mulde werden die vom indischen Leben eingestaubten Füße gesäubert. Hinter dem Eingang öffnet sich ein riesiger Innenhof. Dort führt ein breiter, marmorner Rundgang um ein ausladendes Wasserbecken. Karpfen tummeln sich darin. Hier ist es plötzlich ganz ruhig. Die Hektik, der Lärm und Schmutz der Stadt bleiben vor den Mauern zurück. Eine friedliche Atmosphäre liegt über dem Harmandir Sahib. Sie steht ganz im Gegensatz zu dem auf allen Sinnesebenen rücksichtslos intensiven indischen Alltag.
Tempelwächter sind an den Eingängen postiert, die den Harmandir Sahib zu allen Himmelsrichtungen öffnen. Sie gehören zur Sikh-Bruderschaft der Khalsa, die im Tempel beheimatet ist. Ihre selbstsicheren Blicke schweifen über die Anlage. Geschmückt mit blauen Turbanen, orangefarbenen Kleidern und bewaffnet mit einem Speer, wirken sie wie stolze Krieger einer vergangenen Zeit. Ab und an patrouillieren sie um das Wasserbecken. Ein leichter Windstoß lässt ihre langen Kleider wallen. Ein Dolch, der Kirpan, hängt von der Schulter herab. Er ist eines der wichtigsten Symbole der Sikhs, mit ihm verteidigen sie die Armen und Schwachen.
Die Besucher des Harmandir Sahib verteilen sich um das Wasserbecken. Jeder Mensch ist im Gurdwara willkommen; ganz unabhängig von Religion, Herkunft oder sozialem Stand. Schon am frühen Morgen sind Hunderte gekommen. Unter ihnen sind nicht nur Sikhs, sondern auch Hindus und Muslime und auch ausländische Besucher.
Als offensichtlich Fremde werden wir schon bald von einer Gruppe junger indischer Männer angesprochen. „Snap“, „Snap shot“, „You, snap shot“ – unsere Gegenüber sind Sprachpuristen. Sie halten sich nicht mit höflichen Formulierungen auf. Innerhalb weniger Sekunden sind wir umringt von Pilotensonnenbrillen und bunten Hemden. Handykameras sind auf uns gerichtet, und Dutzende Selfies verschwinden in internen Speichern. Das wirkt befremdlich, fordernd. Doch dann schieben die jungen Männer ein breites, über und über strahlendes Lächeln hinterher, dem wir nichts entgegensetzen können.
Es bleiben nicht die einzigen Fotos. Eltern drücken uns Babys in die Arme, stellen ihre oft widerwilligen Kleinkinder in unsere Mitte, holen Freunde und Bekannte dazu, damit auch sie Bilder mit uns knipsen können. Ob wir zustimmen oder nicht, ist dabei oft egal. Wir sind noch ungeübt mit der indischen Mentalität und bald schon an der Grenze unserer Geduld. „Wollen wir so langsam weiter?“, lachen wir uns öfter zu, als wir es gern hätten. So exotisch Indien auf uns wirkt, so exotisch wirken wir auf die Menschen in Indien. Natürlich. Reisen ist keine Einbahnstraße.
So viel unaufgeforderte Aufmerksamkeit sind wir nicht gewohnt. In Indien herrschen andere Verhaltensregeln, und das Konzept der Privatsphäre ist in diesem überbevölkerten Land schon lange überholt. Und doch: Ein Lächeln ist immer dabei, und auch das typisch indische Kopfwackeln, das wir noch nicht richtig deuten können, gehört dazu. Indiens Ellenbogengesellschaft wird vom Herzen bestimmt. Ohne es zu begreifen, ist das die erste Lektion, die uns das Land nahebringt.
Wir spazieren auf Gummiläufern um das große Wasserbecken. Sie schützen die nackten Fußsohlen vor dem vom Sonnenlicht aufgeheizten Marmor. Die gesamte Tempelanlage ist sauber und gepflegt. Ein ungewöhnlicher Kontrast zu den verdreckten Gassen nur ein paar Meter hinter den hohen Mauern des Tempels.
Während der Mittagsstunden ist es ausgesprochen heiß. Lächelnde Menschen sitzen in den Schatten spendenden Arkaden um das Wasserbecken. Mit ihren leuchtenden Saris, bunten Turbanen und Hemden setzen sie Farbkleckse in die puristische Gestaltung der Tempelanlage. Jemand zeichnet mit Pinsel und Farbe feine Linien auf weiße Wände. Sie verbinden sich zu Zeichen einer Sprache, die ich nicht verstehe, und dennoch erfreuen wir uns an ihren leichten geschwungenen Formen. Es gibt nicht viel zu tun außer die Reflexion des Goldenen Tempels, der sich aus der Mitte des Wasserbeckens erhebt, mit seinem glänzenden Original zu vergleichen. Beide sind wunderschön, über und über mit Blattgold verziert.
Eine nie enden wollende Menschenschlange wartet auf der schmalen Brücke zum Goldenen Tempel, um einen Blick auf das kostbare Innere, das heilige Buch „Granth Sahib“, zu erhaschen. In ihm sind die Schriften der ersten Gurus und die wichtigsten Glaubenssätze des Sikhismus niedergeschrieben. Das Buch zitiert auch aus anderen Religionen und ist offen für die Erkenntnisse der Welt. Für die in ihm enthaltene Weisheit wird das Granth Sahib seit 1708 als Guru verehrt. Das Buch gilt der Sikh-Gemeinde als Lehrer und gesellschaftlicher wie moralischer Kompass.
Im Goldenen Tempel werden pausenlos Verse und Hymnen aus dem Buch vorgetragen und von Musikern mit leichten Melodien untermalt. Über Lautsprecher gelangt die Musik, die Gurbani Kirtan, von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht hinaus in die Außenbereiche. Wohlwollende, warme Rhythmen wiegen durch die Luft. Es sind die Ragas der klassischen indischen Musik, die der ohnehin friedlichen Stimmung noch mehr Ruhe verleihen. Im Klang der Musik gehen die Stunden dahin, verlieren sich unbemerkt wie die sanften Wolken am Himmel.
Immer wieder werden wir von freundlichen Mitgliedern der Sikh-Gemeinde angesprochen, die uns das Tempelareal zeigen wollen. Sie alle suchen das Gespräch. Der etwas untersetzte Mister Singh mit dem grauen Bart ist der Erste, der uns durch die Anlage führt. Aufmerksam erklärt er uns die wechselhafte Geschichte des Harmandir Sahib, erzählt vom Frieden innerhalb der Mauern, aber auch vom Angriff des indischen Militärs unter Ministerpräsidentin Indira Gandhi 1984, ihrer anschließenden Ermordung und den darauf folgenden Pogromen gegen die Sikhs. Mister Singh lächelt gutmütig. Uns schwirrt der Kopf. Für die Geschehnisse um Gewalt, Separatismus und unnachgiebige Politiker reicht eine Runde durch die Tempelanlage nicht aus.
Täglich marschieren freiwillige Putztruppen um das Wasserbecken. Die Helfer fegen und wischen den Boden, sind Ansprechpartner für die Orientierungslosen. Kaum jemand ist hier angestellt, denn an Freiwilligen hat es im Tempel noch nie gemangelt. Für die Sikhs ist es eine religiöse Pflicht, im Harmandir Sahib zu helfen. Mit großer Freude machen sie sich ans Werk und belohnen sich mit Karma, Glück, Zufriedenheit.
Auch Gastfreundschaft ist ihnen eine Selbstverständlichkeit. Diese Grundhaltung haben sich die Sikhs seit der Religionsgründung durch Guru Nanak Dev im 15. Jahrhundert trotz aller Widerstände erhalten. Als neue Religion stand ihnen der Mogulkaiser Akbar, der zu jener Zeit auch über den Punjab herrschte, friedlich gegenüber. Der Sikhismus wuchs, entwickelte sich im Punjab zu einer religiösen und politischen Macht, die bestehende Traditionen kritisch hinterfragte. Okkultismus, Aberglaube, Askese, Kastensystem, selbst das Priesterwesen lehnten die Sikhs ab. Stattdessen stellten sie Mann und Frau gesellschaftlich gleich und protestierten damit gegen den religiösen Standard der Zeit.
Allerdings war ihr Streben nach religiöser und politischer Eigenständigkeit gefährlich. Schon Akbars Nachfolger Jahangir setzte die Sikhs gewaltsam unter Druck, ließ ihren Anführer, Guru Arjan, wegen Gotteslästerung foltern und töten. Die Sikhs wurden nun als religiöse Minderheit verfolgt.
Doch sie wehrten sich, führten Schlachten und entwickelten eine Haltung des Kriegertums, für die sie bis heute verehrt und gefürchtet sind. In ihrem Selbstverständnis setzen sich die Sikhs noch immer gegen religiöse und politische Intoleranz ein.
Die Sikhs sind Krieger, kämpften für die Briten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Doch nach der Unabhängigkeit Indiens verlagerte sich ihr Schlachtfeld wieder in den Punjab. Als religiöse Minderheit politisch benachteiligt, verlangten sie ihre Souveränität und zahlten dafür einen hohen Preis. Während der Operation Blue Star attackierte die indische Armee mehrere Gurdwaras im Punjab. Im Harmandir Sahib, der bei den Angriffen massiv beschädigt wurde, starben etwa 1000 Personen. Es folgten Gewalt und Gegengewalt, Tausende Sikhs starben, und viele weitere mussten aus ihrer Heimat nach Europa und in die USA fliehen.
Anstatt zu verbittern, wandte sich die Gemeinschaft der Welt zu. „Ein Sikh muss anderen ein Vorbild sein“, sagen sie, jemand, der freundlicher, hilfsbereiter, aber auch erfolgreicher und wohlhabender ist. Disziplin und Reinheit, Respekt und Treue sind für die Sikhs elementar. Ihr Glaubensbekenntnis verpflichtet sie zu einem ehrlichen Leben, verbietet Betrug und Bettelei. Die Sikhs sind stolz auf ihre Nächstenliebe, aber auch auf ihre Geschäftstüchtigkeit, die es ihnen ermöglicht, anderen zu helfen. Die Gurdwaras sind dabei zentrale Anlaufstellen, so auch der Harmandir Sahib in Amritsar.
Dort, wo es klappert und kracht, wo es scheppert und klackert, da ist die Menschlichkeit. Im Harmandir Sahib heißt dieser Ort Langar und ist die Großküche des Tempelkomplexes. Die riesige Kantine ist eine Essensmanufaktur. Hier sitzen Küchenhelfer in kleinen Gruppen zusammen und ziehen vergnüglich Häute von Knoblauchzehen, schälen Kartoffeln, schneiden Karotten.
Morgens, mittags und abends wird hier gemeinsam gekocht und gegessen. Vegetarisch, einfach und in unfassbaren Mengen. Es ist eine der größten Küchen der Welt, in der mehr als 80 000 Mahlzeiten täglich gratis verteilt werden. Vom Bettler bis zum Millionär wird hier jeder bedient. Einheimische, Pilger und Touristen essen gemeinsam. Die Gastfreundschaft der Sikhs ist blind gegenüber sozialen oder religiösen Unterschieden. Jeder ist willkommen, und alle kommen. Um die Mittagszeit ist es deshalb auch im Harmandir Sahib mit der Ruhe vorbei. Tausende Menschen strömen in den Tempel, um sich an einer warmen Mahlzeit zu laben.
Hunderte Freiwillige sind an der Zubereitung der Lebensmittel beteiligt; und eine Handvoll Festangestellte, die Aufgaben verteilen und vor allem den Reiskochtopf, einen gigantischen Kessel, im Blick haben. Männer und Frauen jeden Alters sitzen hier zusammen. Zwischen ihnen türmen sich Gemüseberge. Da sind der Mount Möhrenscheibe, der sich über die Kartoffelklippen erhebt, und das Zwiebelgebirge mit den Knoblauchausläufern. Sanfte Chilihügel schmiegen sich daran. Vier Tonnen Gemüse werden hier jeden Tag verarbeitet.
Das funktioniert, weil alle zusammenarbeiten – schneiden, hacken, walzen, kneten, zerlegen. Nicht weit von den Gemüsebergen entfernt rollen Dutzende Freiwillige kleine Teigkügelchen zu breiten Fladen, die anschließend auf vier brennend heißen Eisenplatten zu Chapatis gebacken werden.
Acht Freiwillige sitzen sich dabei gegenüber. Jeder von ihnen hat bis zu 20 Fladenbrote gleichzeitig im Blick. Mit langen Pfannenwendern flippen sie die Chapatis auf der Platte fröhlich hin und her, bis sie goldbraun gebacken sind und im hohen Bogen auf einem Haufen auf dem Boden landen. Standventilatoren sorgen dafür, dass die Hitze der Backstationen etwas erträglicher wird. Nebenan hocken weitere Freiwillige, die rohe Chapatifladen wie Frisbees auf die frei gewordenen Flächen der Eisenplatten werfen.
Unterdessen werden die Gemüseberge in großen Blecheimern abgetragen und zu den Kochstellen gehievt. Hier brodelt es bereits in vier jeweils mehr als einen Meter hohen Töpfen auf gasbetriebenen Feuerstellen. Ein dickbäuchiger Mann mit festem Turban und prächtigem, grau meliertem Vollbart beugt sich darüber. In der Rechten hält er einen Rührlöffel, so lang wie ein Speer. Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Darunter fixiert ein grimmiger Blick das herbeigeschaffte Gemüse. „Alles viel zu langsam“, beschwert er sich, „wir müssen uns beeilen.“ Der Mann ist Profi. Ein Gemüsechefkoch, der Anweisungen knurrt und dann zusieht, wie Karotten und Kartoffeln auf zwei kochende Töpfe aufgeteilt werden.
Nur ein paar Schritte weiter, in einem angrenzenden Raum, ragen sechs weitere Hexenkessel empor. Ihre Durchmesser kann ich gerade so mit der Spannweite meiner Arme erfassen. Darin wirft milchig brauner Chai Blasen und dampft dabei wie ein Zaubertrank.
Neben der Küche befindet sich der Essensraum. In der großen Halle sitzen die Hungrigen im Schneidersitz auf langen Läufern. Freiwillige reichen Teller und Schüsseln, servieren aus Kübeln Curry und Linsen. Andere verteilen frisch gebackene Chapatis. Chai schwappt in riesigen Kanistern.
Das Essen ist einfach und lecker. Liebe und Zuneigung sind darin verarbeitet. Aber auch Trauer und Wut, Freude und Hoffnung, Behaglichkeit und Nervosität gehören zu den Zutaten. Jeder Helfer fügt dem Essen seine eigene Geschichte, seine eigenen Gedanken hinzu. Das Küchenpersonal wechselt ständig. Nicht nur täglich, sondern stündlich, und mit ihm wandelt sich auch das Essen.
Finanziert über Spenden, werden an geschäftigen Tagen durchaus mal 100 000 Mahlzeiten verteilt. Jeder Sikh gibt etwa zehn Prozent seines Einkommens an die Kassen der Gurdwaras weiter. Es ist ein privat finanziertes Sozialsystem. Vom Staat erwartet in Indien sowieso niemand etwas.
Der Gemeinschaftsdienst der Sikhs ist in Amritsar ein wichtiger Bestandteil des städtischen Lebens. Denn es kommt nicht nur, wer sein Seelenheil verbessern möchte. Die Rikschafahrer und Tagelöhner der Stadt sind regelmäßig hier. Hunger und Armut sind groß. Wer keine Arbeit findet, kommt zum Harmandir Sahib, um wenigstens eine Mahlzeit am Tag zu ergattern. Manche Sorgen lassen sich an den alten, ausgemergelten Gesichtern derjenigen ablesen, die um die Mittagszeit in der Großküche sitzen. Sie sind in die Lücken fehlender Zähne und tiefen Augenhöhlen geschrieben, sie balancieren über die endlosen Furchen auf sonnengegerbter Haut.
In den langen Reihen des Speisesaals sitzen wir auf dem Fußboden und schlürfen Chai. Wir sind mittendrin. Keine exponierte Position, sondern Teil des Ganzen. Wir betrachten unsere Nachbarn, die Alten und Gebrechlichen, die Familien und Pilger, die eng um uns herum sitzen. Manchmal treffen wir ihre Blicke, ein flüchtiges Lächeln, ein freundlicher Blick. Ein junger Mann, der sein Haupt mit einem wild gemusterten Kopftuch bedeckt, reckt fragend seinen Daumen in die Höhe. „Good?“, lächelt er uns an. „Very good!“, strahlen wir zufrieden zurück.
Nach dem Essen gelangt das ganze benutzte Geschirr in die Waschstraße. Auch hier engagieren sich bereits Hunderte Freiwillige. Jeder hat eine Aufgabe. Essensreste werden in einem großen Bottich entsorgt, Edelstahlteller und Schüsseln schwirren durch die Luft, landen scheppernd in für sie vorgesehenen Metallkörben – oder auf dem steinernen Boden. Nicht alle Freiwilligen haben die notwendige Wurfgenauigkeit. Ein weiterer Helfer sortiert das Geschirr in den Körben und muss aufpassen, nicht selbst von heranfliegenden Tellern getroffen zu werden.
Von hier wird das schmutzige Geschirr zu den Waschbecken gebracht, wo vor lang gezogenen Wannen bereits ein dichtes Gedränge herrscht. Unter riesigen, surrenden Ventilatoren spülen Freiwillige Teller und Schüsseln, reichen sie weiter, sodass sie erneut gespült werden. Tausende Einzelteile werden so gereinigt, und weil es schnell gehen muss, klappert und lärmt es hier besonders laut. Von Tempelruhe ist nichts zu spüren. Am Ende wird sauberes Geschirr an Träger übergeben, die es zum Trocknen in große Rollwagen stapeln.
Scheidet ein Helfer aus, wird er von einem neuen Freiwilligen ersetzt. Hier stehen die Menschen Schlange, um das Geschirr der anderen zu spülen. Auch die Tempelwächter beteiligen sich immer wieder am Küchendienst. Ihre würdevolle Haltung zeichnet sie selbst beim Spüldienst aus. Der spirituelle Beschützerdolch hängt für jedermann sichtbar an der Taille.
Am späten Nachmittag kehrt wieder Ruhe ein. Die Geräusche aus der Küche ebben ab. Die Tempelmusik klingt sacht durch die Anlage. Einige Sikhs steigen mit Turbanen und knielangen Unterhosen ins Wasserbecken. Mütter baden ihre Kinder. Sie glauben an die heilenden Kräfte des Wassers und an den damit verbundenen Zugewinn an Karma.
Die Sonnenstrahlen hüllen den Goldenen Tempel in warmes, funkelndes Licht. Wenn es Abend wird, bestrahlen Scheinwerfer den Tempel, der dann wie ein goldener Mond schimmert. Die drückende Hitze des Tages ist verschwunden. Menschen versammeln sich am Rand des Wasserbeckens und genießen die Ruhe der einfallenden Nacht.
Weit über uns leuchten die Sterne. Das heilige Buch Granth Sahib wird in einer langsamen Prozession aus dem Goldenen Tempel in ein nahes Gebäude getragen. Wie ein König, der vom Thron steigt und sich nun in seine privaten Gemächer zurückzieht. Begleitet wird es von einer sich hin und her wiegenden Menge. Jeder möchte dem Granth Sahib so nah wie möglich sein.
Früh am nächsten Morgen wird das Buch zurückgebracht. Die heilige Schrift ist wieder im Dienst. Die ersten Sonnenstrahlen erhellen das Wasserbecken. Viele Besucher haben auf dem marmornen Rundweg die Nacht verbracht. Eingeladen von der Sikh-Gemeinde, darf jeder Gast im Tempel übernachten. Nicht nur auf dem harten Marmorboden, sondern auch in bereitgestellten Räumen und Mehrbettzimmern.
Wir bleiben drei Tage im Harmandir Sahib, lauschen den Melodien der Musiker und dem säuselnden Stimmengewirr, machen Fotos und werden fotografiert. Immer wieder posieren wir mit völlig Fremden für unbekannte Familienalben. Wir genießen die Ruhe, das einfache Essen, ein paar glückliche, zufriedene Stunden. Wir sammeln Kraft für die Außenwelt, denn am Morgen des vierten Tages ist es so weit. Wir kehren zurück in den hektischen, lauten, bunten und verrückten Alltag Indiens.


Kurioses aus Indien: Schick im Alltag
Das beliebteste Kleidungsstück für Männer in Indien ist das geknöpfte Hemd. Das gilt für Kinder, Jugendliche sowie Senioren. Mit einem Hemd ist man in fast allen Situationen des Lebens passend und schick gekleidet. Dabei erfreuen sich besonders wild gemusterte Stoffe großer Popularität. Einfarbige Hemden gelten als langweilig. Je wirrer das Muster, desto besser. Besonders gefragt sind Drucke mit Hunderten klitzekleiner Schneeflocken, Kringel, Punkte oder Blüten. Da bekommt man extraviel für sein Geld. An zweiter Stelle der Beliebtheitsskala steht das breit geringelte Polohemd. Bunte Querstreifen in zwei bis fünf Farben werden ebenfalls gerne getragen.

Morten Hübbe

Über Morten Hübbe

Biografie

Nach dem Master in Literatur und Medien zog es Morten Hübbe (geboren 1984) gemeinsam mit seiner Freundin Rochssare Neromand-Soma 2011 für zwei Jahre nach Südamerika. Seitdem haben sich die beiden Reiseenthusiasten und -blogger ganz dem Unterwegssein verschrieben. Derzeit erkunden sie, wieder per...

Rochssare Neromand-Soma

Über Rochssare Neromand-Soma

Biografie

Nach dem Master in Literatur und Medien zog es Rochssare Neromand-Soma (geboren 1986) gemeinsam mit Ihrem Freund Morten Hübbe 2011 für zwei Jahre nach Südamerika. Seitdem haben sich die beiden Reiseenthusiasten und -blogger ganz dem Unterwegssein verschrieben. Derzeit erkunden sie, wieder per...

Pressestimmen
StadtRadio Göttingen „Book's n' Rock's“

„Ehrlich und authentisch beschreiben die Beiden, wie sie sich während der Reise fühlen und nehmen ihre Leser*innen mit auf eine fesselnde Reise durch ein überwältigendes Land.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Das Indienbuch überzeugt mit einem unvoreingenommenen ethnographischen, antieurozentrischen Blick, ohne dabei (…) in Fallgruben des Verklärenden zu verfallen.“

Asia Bridge

„Ein lesenswertes Buch!“

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