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Ein feiner TypEin feiner Typ

Ein feiner Typ Ein feiner Typ - eBook-Ausgabe

Willy Vlautin
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Roman

— „Ein Roman wie ein Springsteen-Song.“ Berner Zeitung

„So gesehen behalten seine Figuren auch in den Momenten größter Niedergeschlagenheit ihre Würde. Geleitet von der Idee, dass der Triumph trotz allem immer möglich ist. Genau davon nämlich handeln die wundervollen Romane des ins Gelingen vernarrten Idealisten Vlautin: Von der Gewissheit, dass am Ende des Tunnels - möge er ihnen auch bisweilen unendlich erscheinen - das Licht der Erlösung auf seine Helden wartet.“ - Spiegel Online

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Ein feiner Typ — Inhalt

Ein herzzerreißender Roman über wahre Freundschaft und Loyalität

Ein herzzerreißender Roman über wahre Freundschaft und Loyalität. 
Eigentlich ist er zu alt und sein Rücken macht ihm zu schaffen, aber Mr Reese geht in seinem einfachen Leben in den Bergen von Nevada ganz auf. Deshalb will er seine Farm eigentlich Horace übergeben. Der ist wie ein Sohn für ihn und sein bester Mann auf der Ranch. Aber obwohl auch Horace die Tiere und die Arbeit mit ihnen eigentlich liebt - es drängt ihn in die Stadt.

Der Hütejunge muss sich und der Welt unbedingt beweisen, dass er mehr ist als das „Halbblut“, von dem die eigene Mutter nichts wissen wollte. Auch wenn er ahnt, dass es Mr Reese das Herz bricht, geht Horace nach Tucson, Arizona, um sich dort als Preisboxer ganz neu zu erfinden. Doch als Mr Reese zu lange nichts von dem Jungen hört, sorgt er sich und fährt los, um ihn zu suchen. 

 „Vermutlich der einzige Rockstar, der seine Karriere mit Literatur finanzierte. Für … Ein feiner Typ feierte man ihn als einen der great american writers in der Tradition von John Steinbeck und Cormack McCarty.“ Andrian Kreye, Süddeutsche Zeitung 

€ 24,00 [D], € 24,70 [A]
Erschienen am 02.05.2019
Übersetzt von: Nikolaus Hansen
336 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-8270-1378-1
Download Cover
€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 02.05.2019
Übersetzt von: Nikolaus Hansen
320 Seiten
EAN 978-3-8270-7988-6
Download Cover
„So gesehen behalten seine Figuren auch in den Momenten größter Niedergeschlagenheit ihre Würde. Geleitet von der Idee, dass der Triumph trotz allem immer möglich ist. Genau davon nämlich handeln die wundervollen Romane des ins Gelingen vernarrten Idealisten Vlautin: Von der Gewissheit, dass am Ende des Tunnels - möge er ihnen auch bisweilen unendlich erscheinen - das Licht der Erlösung auf seine Helden wartet.“
Spiegel Online
„Vlautin ist mit „Ein feiner Typ“ ein herzergreifendes Versagerporträt gelungen“
Deutschlandfunk Kultur
„Die Sprache, in der Vlautin schreibt, ist von großer Reinheit, gradlinig wie jene Countrysongs, die von Einsamkeit handeln, von Träumen und Niederlagen.“
Badische Zeitung
„Ein Buch - zärtlich und brutal, mit Potential zum Lieblingsbuch.“
WDR 5 Scala
„Große Gegenwartsliteratur“
Süddeutsche Zeitung
"Ein großer Atem des Erzählens"
SRF 2

Leseprobe zu „Ein feiner Typ“

1

Horace Hopper schlug die Augen auf und sah zur Uhr: fünf in der Früh. Der erste Gedanke an diesem Morgen galt seiner Mutter, die er seit fast drei Jahren nicht gesehen hatte. Dann dachte er daran, wie er in gut einer Woche allein in einem Bus nach Tucson sitzen würde. Noch keine Minute wach und schon ein flaues Gefühl im Magen.

Er stand auf und zog eine Jeans und ein kariertes langärmeliges Westernshirt an. Er stieg in seine Stiefel und versuchte, wach zu werden. Er trank ein Glas Wasser und starrte auf die Fotos der Boxer, die er an die Wand des [...]

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1

Horace Hopper schlug die Augen auf und sah zur Uhr: fünf in der Früh. Der erste Gedanke an diesem Morgen galt seiner Mutter, die er seit fast drei Jahren nicht gesehen hatte. Dann dachte er daran, wie er in gut einer Woche allein in einem Bus nach Tucson sitzen würde. Noch keine Minute wach und schon ein flaues Gefühl im Magen.

Er stand auf und zog eine Jeans und ein kariertes langärmeliges Westernshirt an. Er stieg in seine Stiefel und versuchte, wach zu werden. Er trank ein Glas Wasser und starrte auf die Fotos der Boxer, die er an die Wand des Trailers geklebt hatte.

Die Ausschnitte entstammten verschiedenen Ausgaben des Ring Magazine und die Kämpfer waren Mexikaner. Das größte Bild zeigte den Kampf zwischen Israel Vázquez und Rafael Márquez. Es war die dritte Runde ihres vierten Kampfes und Vázquez versetzte Márquez gerade einen brutalen linken Haken. Rechts neben dem Foto hing der Bruder von Rafael Márquez, der großartige Juan Manuel Márquez, und links der legendäre Julio César Chávez mit einem Sombrero auf dem Kopf. Darunter ein Bild von Érik Morales, Horaces Lieblingsboxer. Links von Morales war Juan Díaz und auf dieses Bild hatte Horace mit schwarzem Filzstift geschrieben „Der Meister“. Neben dem „Meister“ hing Antonio Margarito. Sein Gesicht war mit schwarzem Filzstift ausgekreuzt. „Der Betrüger“.

Von einem Bord neben dem Bett nahm er ein abgewetztes und angefressenes Notizbuch und schlug es auf. Auf der ersten Seite stand mit Handschrift in blauer Farbe Verzeichnis der schlechten Träume. Er blätterte ein halbes Dutzend beschriebener Seiten durch, bis er zum Abschnitt Gestrandet in Tonopah kam. Darunter zweiunddreißig Striche. Er fügte einen weiteren hinzu, sodass es nun dreiunddreißig waren. Dann schlug er den hinteren Teil des Notizbuchs auf und notierte am unteren Rand einer fast vollgeschriebenen Seite das Datum und schrieb dazu, was er auch schon am Tag davor und am Tag davor geschrieben hatte: „Ich werde wer sein.“

Er stellte einen Kessel auf den Propangaskocher, machte Instantkaffee, vier Rühreier und nahm alles mit nach draußen, wo er im Tiefblau der Morgendämmerung an einem Picknicktisch aß. Der weiß und orange gestrichene Prowler-Trailer, Jahrgang 1983, stand auf einem Hügel hundert Meter hinter den Hauptgebäuden mit freiem Blick auf die fünftausend Hektar der Little Reese Ranch. Vor dem Trailer ragte ein wellblechgedecktes Sonnendach ins Freie. Darunter standen ein Fahrrad, der Picknicktisch, ein Grill und ein Liegestuhl. Gleich daneben parkte ein kaputter Saturn-Viertürer mit plattem Reifen. Horace war nach dem Abschluss der Highschool aus dem Haupthaus hierhergezogen, weil Mr. Reese meinte, vielleicht wollte er sein eigenes Reich, wo er so lange aufbleiben konnte, wie er wollte, wo er so laut Musik spielen konnte, wie er wollte, und wohin er mitbringen konnte, wen er wollte. Eine Junggesellenhöhle.

Unter sich, am Fuß des Hügels, sah Horace weder Licht im Haupthaus noch dahinter im Lämmerstall, und nur aus der großen Scheune drang ein schwacher Lichtschimmer. Er beendete sein Frühstück, spülte das Geschirr, machte sich ein Lunchpaket, bestehend aus Bologneser Wurst und Käsescheiben, die er abwechselnd aufeinanderstapelte, und füllte zwei Flaschen Wasser. Er packte das Lunchpaket und ein Hemd und ein Paar Socken zum Wechseln sowie seinen CD-Spieler, Panteras The Great Southern Trendkill, Crowbars Sever the Wicked Hand und Slayers Show No Mercy, in den Rucksack. Er nahm Mantel und Schlafsack und stapfte den Hügel runter.

Horace war einundzwanzig Jahre alt, eins siebzig groß und wog siebenundfünfzig Kilo. Er war halb weiß, halb Paiute und hatte langes schwarzes Haar, das ihm bis über die Schultern fiel. Seine Augen waren dunkelbraun, er hatte eine lange schmale Nase und er musste sich trotz seines Alters nur selten rasieren. Unterm Hemd auf dem linken Bizeps hatte er ein Tattoo. Da stand in roter Tinte „Schlächter“ und darunter in schwarzer Tinte „Die Hölle wartet“ und dann ein schwarz gehörnter Totenschädel mit zwei glutroten Augen. Auf seinem Weg durch die Morgendämmerung hatte er jenseits der Ranch und der Viehweiden Ausblick auf die dürre Wüste des Ralston Valley: Salbeigesträuch, kleine Flecken Präriegras, ab und zu ein Vogel oder ein Wildkaninchen und ein paar einsame Kiefern. Zehn Meilen trennten die Little Reese Ranch von ihrem nächsten Nachbarn, dreißig Meilen waren es bis zu einer gepflasterten Straße und sechzig Meilen bis zur nächsten Stadt, Tonopah.

In der Scheune traf Horace auf den Alten, der an einer Werkbank lehnte und auf einem gelben Block schrieb. Neben ihm ein Stock aus Metall und zu seinen Füßen, zu einem Ball zusammengerollt, ein altersschwacher schwarz-weißer Border Collie, Little Lana.

„Guten Morgen, Mr. Reese“, sagte Horace, als er eintrat.

„Morgen“, erwiderte der Alte, ohne die Augen von dem gelben Block zu nehmen. „Die Vorräte liegen auf der Veranda und ich hab dir einen Kaffee mitgebracht. Steht auf der Standbohrmaschine.“

Horace ging hin.

„Bist du so weit fertig?“

„Glaub schon“, sagte Horace.

„Wen willst du mitnehmen?“

„Boss und Honey.“

Mr. Reese unterbrach sein Schreiben und sah Horace an. „Weißt du, ich hab über Boss nachgedacht. Den hast du gut hingekriegt. Ich hätte nie gedacht, dass er’s schafft.“

„Er wollte immer ein gutes Pferd sein“, sagte Horace. „Er wusste nur nicht genau, wie das geht.“

„Das hab ich nicht erkannt.“

„Das hätten Sie aber – ich war’s bloß, der mit ihm gearbeitet hat.“

Mr. Reese nickte und fing wieder an zu schreiben. Er war zweiundsiebzig Jahre alt, schmächtig, fast eins achtzig groß und hatte kurzes, dünnes graues Haar. Er trug verwaschene Jeans, ein hellblaues Westernhemd und ausgelatschte Cowboystiefel. Er griff nach einem Englisch-Spanisch-Wörterbuch und blätterte durch die Seiten, bis er das Wort fand, das er suchte, und schrieb es auf den gelben Block.

Horace trank seinen Kaffee, dann holte er zwei Halfter aus dem Geräteschuppen und ging zum Pferch. Zuerst legte er Boss das Halfter an, dann Honey, er führte sie ins Freie und band sie an eine Stange vor der Scheune. Er striegelte sie und sattelte Boss, hängte Honey Tragekörbe über und holte die Vorräte vom Haus und packte sie in den Truck. Dann wartete er, während Mr. Reese weiter an seinem Brief schrieb.

Als er fertig war, nahm der Alte den Brief, eine Telefonkarte und drei Fotokopien von Kartenausschnitten, faltete sie zusammen und steckte sie in einen weißen Umschlag, den er verschloss. Er adressierte ihn an „Pedro“ und gab ihn Horace. „Ich weiß, ich hab dir das alles schon erklärt, aber was dagegen, wenn wir die Sache noch mal durchgehen?“

„Nichts dagegen“, sagte Horace.

Der Alte räusperte sich. „Also, wir beide wissen, dass Pedro Englisch versteht. Wenn es ihm gerade passt, tut er so, als würde er nichts verstehen, aber er versteht. Dieser Brief ist auf Spanisch, weil ich möchte, dass die Dinge klar sind. Ich möchte keinerlei Unklarheiten. Vor allem geht es darum, zu sehen, wie Pedro zurechtkommt und wie Víctor sich macht. Du warst gerade weg und hast für Harrington gearbeitet, als Víctor zu uns gekommen ist, und seitdem hast du erst einmal Vorräte hochgebracht. Tatsache ist, dass wir beide nicht viel über ihn wissen. Und vergiss nicht, sein Spanisch ist äußerst spärlich und er kann kein Englisch. Die einzige Sprache, die er wirklich spricht, ist Peruanisch. Sie heißt Quechua. Ich verstehe rein gar nichts, wenn er loslegt. Ich hab ein Quechua-Wörterbuch bestellt, aber es ist noch nicht da. Also hol dir Pedro zum Übersetzen dazu. Er kann die Sprache. Frag Víctor, wie es ihm hier gefällt, wie ihm die Arbeit als Hirte gefällt. Frag ihn, ob er sich zutraut, eine eigene Herde zu betreuen, und dann frag Pedro ohne sein Beisein, ob er meint, dass Víctor das Zeug dazu hat. Ich werde nächste Woche wieder mit Conklin reden. Es hilft mir bei meiner Entscheidung, ob ich expandieren soll, wenn ich weiß, wie Víctor sich macht. Wenn ich mich auf den Deal einlasse und Conklin seine zwölfhundert abkaufe, brauche ich einen weiteren Fulltime-Aufseher für die Herde.“

„Alles klar“, sagte Horace.

„In dem Umschlag ist eine Telefonkarte mit fünfzig Dollar drauf. Sorg dafür, dass Pedro sein Handy lädt. Bei unserer letzten Begegnung hat er behauptet, es gebe Probleme mit dem Solarladegerät, aber ich hab’s ausprobiert und es hat einwandfrei funktioniert. Er ist jetzt seit vier Monaten draußen. Vor ziemlich genau einem Jahr haben seine Probleme angefangen. Es sollte jetzt besser gehen, weil Víctor und er verwandt sind und er bei ihm ist. Aber wie auch immer, hab ein Auge drauf, ob er sich rasiert, wie das Lager aussieht und wie es den Hunden geht.“

„Es war ein echter Schock, wie er letztes Mal aussah“, sagte Horace.

Der Alte nickte. „Ich muss ständig daran denken. Kein Tag, an dem ich mir nicht Sorgen um ihn mache, aber er hat gesagt, es geht ihm gut und er kann wieder arbeiten. Er hat gesagt, er hätte sich Hilfe gesucht, wir werden sehen.“

Horace nickte. „Geht es Ihrem Rücken heute Morgen besser?“

Der alte Mann zuckte mit den Schultern. „Mach dir um mich keine Gedanken. Kümmer dich drum, dass da oben alles in Ordnung ist, und pass auf dich auf. Der Wetterbericht sagt bis zu vierzig Grad voraus, also vergiss nicht, genug Flüssigkeit zu dir zu nehmen, und mach Pause am Bach für die Pferde.“

„Schon klar“, sagte Horace und lächelte.

Mr. Reese lachte kurz auf. „Entschuldigung. Mein Tick, immer alles zweimal sagen zu müssen. Scheint mit zunehmendem Alter schlimmer zu werden.“

*

Boss und Honey schaukelten im Pferdehänger die Schotterstraße entlang und über der Monitor Range ging die Sonne auf. Um Horace herum, so weit das Auge reichte, nur Salbeigesträuch und Hügel und Himmel. Er schob sich einen Priem Copenhagen in die Backe, suchte nach Radiosendern und fuhr dreißig Meilen, bis er in einen nicht markierten Feldweg einbog, der ostwärts zum Fuß der Berge führte. Der Weg wurde schlechter und Horace hielt an und kuppelte den Vierradantrieb des alten Trucks ein. Er fuhr behutsam durch ausgewaschene Senken und wich Felsbrocken aus, bis er die verlassene Mine erreichte, wo er am Eingang zu einem schmalen Canyon parkte. Auf der anderen Seite der Straße waren ein paar Stolleneingänge und irgendwo lag ein umgekippter Wohnwagen. Weiter oben befand sich die Hauptanlage der Mine, neben den Resten alter Gebäude rosteten in einer Grube altes Minengerät und ein reifenloser Pferdehänger vor sich hin.

Er nahm ein laminiertes Schild aus dem Handschuhfach – Dieser Truck gehört zur Reese Ranch. Bitte nicht beschädigen! Wir sind ein kleiner Familienbetrieb – und klemmte es unter den Scheibenwischer. Er verschloss den Truck, setzte einen breitkrempigen Cowboyhut auf, öffnete den staubigen Hänger und lud die Pferde aus.

Er zog bei beiden die Sattelgurte nach, belud Honey mit den Vorräten, schwang sich auf Boss und machte sich auf den Weg. Die Minenstraße verengte sich zu einem Pfad und der Aufstieg in den Canyon begann. Um ihn herum immer mehr Pinyon-Kiefern und Birken, und das Rinnsal, das parallel zum Weg lief, schwoll zu einem passablen Bach. Er hielt die Zügel und das Halfter, an dem er den Gaul führte, mit der linken Hand, in der rechten hatte er einen Handtrainer. Er quetschte ihn hundert Mal zusammen, dann nahm er ihn in die linke Hand. Er wechselte während des Reitens hin und her und hin und her. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass dies das letzte Mal war, dass er den Trip machte, doch er konnte nicht anders und das Herz wurde ihm schwer.

„Ich werde euch nicht vergessen“, sagte er zu den Pferden. „Ich werde euch jeden Tag vermissen, aber ich komme zurück. Ich werde wer anderes sein, wenn ich zurückkomme, aber ich werde hier sein und mich kümmern, damit ihr es gut habt. Macht euch keine Sorgen, okay?“

*

Um die Mittagszeit war er auf zweitausendfünfhundert Meter. Boss trottete langsam und mit sicherem Schritt den steinigen Pfad hinauf und Honey folgte träge, bis sie das Ende des Canyons erreichten, wo sich auf einem Plateau eine schüsselförmige Weide auftat. Die Berge um sie herum waren über viertausend Meter hoch. In der Ferne konnte Horace die Herde ausmachen, elfhundert Schafe, und ganz schwach war das Blöken und das Bellen von Hunden zu hören. Er führte die Pferde zum Bach, ließ sie saufen, und weiter ging es.

Als Erstes sah er Tiny, einen braun-weißen Border Collie. Er pfiff sie heran und stieg ab. Tiny wedelte aufgeregt mit dem Schwanzstummel, als sie zu ihm kam. Er untersuchte ihre Tatzen nach Verletzungen. Mit dem Taschenmesser schnitt er ihr zwei verfilzte Fellbüschel vom Hinterteil, dann fuhr er ihr auf der Suche nach Zecken mit den Händen durchs Fell, wurde aber nicht fündig. Er legte ihr ein neues Flohhalsband um und gemeinsam begleiteten sie die Pferde zu einem blauen Sonnenschutz in einem Espengehölz am Rande der Weide.

Myrtle, Mr. Reeses Esel, stand im Wiesengras, festgebunden an einer zwischen zwei Bäumen gespannten High Line, und Pedro, der Herdenaufseher, schlief auf seiner Matte neben einem erloschenen Feuer. Das Gras um ihn herum war niedergetrampelt und über ihm zitterten die Espen im Wind. Neben seinem Lager standen ein kleiner Plastikkanister mit Wasser und ein Paar Lederstiefel. Das Kochgeschirr war sauber auf einem grünen Coleman-Kocher gestapelt und an einem Baum lehnte ein Gewehr. Zwei Hemden und drei Paar Socken hingen auf einer improvisierten Wäscheleine und weiter hinten, fast außer Sichtweite, baumelte ein Lammkadaver in einem Kleidersack an einem kräftigen Ast.

„Weck ihn auf, Tiny“, sagte Horace leise zu dem Hund. „Los, hol den Pedro.“ Der Hund ging zu dem schlafenden Mann und leckte ihm das Gesicht. Pedro schrie und setzte sich erschrocken auf.

„Hola, Pedro“, sagte Horace und lachte. Tiny kam zu ihm gelaufen und suchte Zuflucht hinter seinen Beinen.

Pedro war frisch rasiert und sein Lächeln entblößte einen Mund mit zahlreichen Silberzähnen und Zahnlücken. Er war klein, dunkelhaarig, hatte einen Bauch und schütteres braunes Haar. Als er sich hinstellte, rutschten ihm die Hosen runter. Er trug keine Unterwäsche. Er zog die Hosen hoch, knöpfte sie zu und schloss den Gürtel. Er zog Socken und Stiefel an.

„Mr. Reese hat noch immer Rückenprobleme, darum musst du wieder mit mir vorliebnehmen. Wie ist es gelaufen?“

Pedro zuckte mit den Schultern.

„Wo ist Víctor?“

„Víctor ist weg“, seufzte er und schüttelte den Kopf.

„Weg?“, fragte Horace.

„Sí.“

„Weg wohin?“

Pedro zuckte wieder mit den Schultern und deutete in Richtung Berge.

„Ist er bloß gerade weg, oder ist er weg für immer?“

„Loco“, sagte Pedro.

„Loco? Was soll das heißen?“

Pedro zuckte die Schultern. „Víctor hat genommen Gewehr und auf mich gezielt. Sagt, er mich töten, wenn ich ihn nicht wegbringe aus las montañas.“ Er sah zu Boden und trat mit der Stiefelspitze in den Staub.

„Was ist dann passiert?“

„Ich hab Gewehr weggenommen“, sagte Pedro und grinste. „Nächsten mañana, Víctor no aquí.“

„Wie lange ist das her?“

Er hob die Hand und zeigte zwei Finger.

„Dos días?“, sagte Horace.

Pedro nickte.

Wally, ein achtjähriger schwarz-weißer Border Collie, kam ins Lager. Horace rief ihn zu sich und untersuchte seine Tatzen und tastete ihn nach Zecken ab. Er schnitt vier Filzbüschel aus seinem Fell und legte ihm ein neues Flohhalsband an.

„Wo ist Little Roy?“

Pedro schüttelte den Kopf. „Con Víctor.“

„Little Roy ist bei Víctor?“

Pedro nickte.

„Dónde es Víctor?“

Pedro deutete wieder hinter sich in Richtung Berge. „Ich ihm gesagt, hier keine Stadt, aber er los, um Stadt suchen. Er nix mag las ovejas. Víctor es deprimido.“

„Wie geht’s Jip und Whitey?“

„Bueno … Con las ovejas.“

Horace sah hinaus auf die Weide, bis er, versteckt inmitten der Herde, die beiden Anatolier entdeckte. Er richtete den Blick wieder auf Pedro und dann an ihm vorbei auf den Kadaver hinter dem Lager. „Was ist mit dem Lamm?“

Pedro sah hin und sah dann wieder Horace an. „Víctor hat es getötet vor zwei Tage. Wir gestritten. Ich sag Nein.“

„Víctor hat es getötet?“

„Sí“, sagte Pedro.

Horace holte den Umschlag aus dem Rucksack und gab ihn Pedro. „Das sind die Anweisungen von Mr. Reese und eine neue Telefonkarte. Wir laden erst mal Honey ab und dann liest du den Brief, klar?“

Pedro nickte und sie luden die Vorräte von der Stute. Horace sattelte Boss ab und führte die beiden Pferde auf die Weide zum Fressen. Er hielt sie an ihren Halftern, aß sein Mittagssandwich und beobachtete die Herde, die dicht zusammengedrängt stand und das hohe Weidegras futterte. Dann machte er Honey an der High Line fest, sattelte Boss erneut und ging zu Pedro, der auf seinem Schlafsack hockte und den Brief überflog.

„Wo hast du Víctor das letzte Mal gesehen?“

Pedro legte den Brief beiseite und stand auf. Sie gingen aus dem Gehölz auf die Weide. Er zeigte zum Rand des Hochtals.

Horace sah in die angedeutete Richtung. Eine halbe Meile aufwärts teilte sich das Tal in zwei kleinere Täler, in die man eine Meile weiter hineinsehen konnte, ehe sie in einer Bergflanke verschwanden. „Welche Seite?“

„No sé.“

„Du weißt nicht, auf welcher Talseite er ist?“

Pedro schüttelte den Kopf.

*

Es war später Nachmittag, als Horace aufbrach. Im Tal, das vor ihm lag, wuchs Salbei und Schaumkraut, Zuckerbirke und Buchweizen. Vergeblich suchte er nach Anzeichen von Víctor. Dort, wo sich das Tal teilte, machte er eine Pause. Die rechte Seite war felsig und kahl und es gab nur kleine Flecken mit Wiesengrün und Salbei. Links waren ein Bach und Weideland und drei einzelne Espengehölze und der Anstieg war sanfter. Er wählte diese Seite und ritt eine Meile aufwärts, dann war Schluss. Er fand einen kleinen Zickzackpfad die Bergflanke hinauf. Er ritt weitere zwei Stunden und der Pfad war steinig und schmal. Als die Nacht kam, hatte er den Grat erreicht. Er war auf mehr als dreitausendfünfhundert Metern und hatte einen Blick über das ganze Tal.

Er band Boss an eine Pinyon-Kiefer, sattelte ihn ab und legte ihm Fußfesseln an. Er trug Rucksack und Schlafsack zum offenen Grat, räumte eine Fläche von Steinen frei und rollte auf dem Boden eine kleine Plane aus. Er legte den Schlafsack drauf, zog die Stiefel aus und setzte sich. Er holte sein Abendessen, den CD-Spieler und das Fernglas aus dem Rucksack. Er aß die Reste Bologneser Wurst und Käse, spielte Panteras The Great Southern Trendkill, griff zum Fernglas und schaute.

Zuerst sah er Pedros Feuer und dann suchte er das Haupttal auf ein weiteres Feuer ab und danach die beiden kleineren Täler, vergeblich. Er zog die Jeans aus, kroch in seinen Schlafsack und spielte die CD von vorn. Er lag auf dem Rücken und sah hinauf zu den Sternen und den vorbeifliegenden Satelliten. Als die CD zu Ende war, suchte er wieder mit dem Fernglas die Gegend ab. Diesmal entdeckte er am Ende des Haupttals ein zweites Feuer, genau dort, wo es sich teilte. Er merkte sich die Stelle, setzte das Fernglas ab und legte sich schlafen.

2

Mr. Reese sah Horace im Wagen mit Anhänger hinterher, bis sie außer Sicht waren, und dann machte er sich an die Arbeit, den Ford-600-Truck zu reparieren. Er humpelte zwischen Werkstatt und Truck hin und her und stützte sich auf seinen Stock und bastelte so lange herum, bis schließlich schwarzer Qualm aus dem Auspuff waberte, und sogar Mrs. Reese kam aus dem Haus, um mitzuerleben, wie er ihn endlich zum Laufen brachte. Er hängte einen Tieflader an, holte sein Lunchpaket, Kaffee und eine Feldflasche mit Wasser und fuhr los.

Er nahm die breite Schotterstraße, Little Lana hatte ihm den Kopf in den Schoß gelegt, und fuhr dreißig Meilen nach Norden. Er trank Kaffee und hörte bei miesem Empfang einen Countrysender aus Tonopah, als links von ihm eine kleine Herde Antilopen durch das Salbeigesträuch spazierte; weiter oben am Fuße der Monitors nahmen zwei Wildpferde ein Bad in der Morgensonne. Der Sender verschwand und er machte das Radio aus. Er kam an eine holprige Stichstraße, die ihn nach drei Meilen zur Morton Ranch führte.

Während er vor einer roten Scheune parkte, sah er, wie Lonnie Dixon, ein sechsundzwanzigjähriger Arbeiter, Kisten aus dem Haupthaus trug und auf einen schrottigen und verbeulten Viehhänger lud. Mr. Reese und der Hund stiegen aus dem Fahrerhaus und gingen langsam zu ihm rüber.

„Guten Morgen“, rief Mr. Reese im Näherkommen.

„Morgen“, Lonnie lächelte. Er war hager, hatte braunes Haar und dunkelblaue Augen. Die Krähenfüße und seine wettergegerbte Haut ließen ihn älter aussehen, als er war. Er trug ein dünnes graues T-Shirt, Jeans und Arbeitsstiefel.

„Wie läuft’s so?“, fragte der alte Mann, als sie sich mit Handschlag begrüßten.

„Ich muss sagen, langsam hab ich das Gefühl, ich würde schon mein halbes Leben Kisten aus diesem Haus verladen.“

Mr. Reese grinste und stützte sich auf seinen Stock. „Soweit ich weiß, haben die Mortons nie irgendwas weggeschmissen.“

„Sie sind echte Hamster, so viel steht fest.“

„Und ich wette, dass Eddie, als seine Verwandten gestorben sind, auch von deren Zeug nix weggeschmissen hat.“

„Da haben Sie recht“, sagte Lonnie. „Er hat alles in Kisten gepackt und in den Keller gestellt. Auch die Klamotten. Der Krempel lagert da unten seit zwanzig Jahren. Er hat sogar noch Sachen von seiner Ex.“

„Ist er da?“

Lonnie schüttelte den Kopf. „Eddie war kaum noch hier, seit er den Verkauf unterschrieben hat.“

„Es muss schwer für ihn sein.“

„Auf jeden Fall macht ihn die Sache kaputt. Kann es nicht ertragen, das alles hier bloß noch zu sehen. Sagt, dass er so Schuldgefühle hat, aber andererseits weiß er auch nicht, was es soll, dass er einsam und allein hier draußen stirbt.“

„Wären seine Verwandten noch am Leben, sie würden das verstehen“, sagte Mr. Reese. „Er hat viele Jahre hier draußen versucht, die Sache zum Laufen zu bringen. Es hat wenig Sinn, wenn du keine Familie hast, die dir hilft, die mit am selben Strang zieht. Geld lässt sich hier sowieso nicht verdienen.“

„Alle sagen, dass er es seit seiner Scheidung schwer hat. Aber seit ich hier arbeite, hat er sich jeden Abend betrunken, und ich bin drei Jahre hier. Seine Scheidung war zehn Jahre früher.“

Mr. Reese lachte. „Hat er das Vieh verkauft?“

„Größtenteils. Der Rest ist in einem Pferch in der Stadt. Ich weiß, dass die sie loswerden wollen, aber Eddie lässt nicht mit sich reden. Ich glaube, er hat zwischenzeitlich mal mit dem Gedanken gespielt, anderswo neu anzufangen. Also hat er fünfzig Kühe behalten, aber jetzt, wer weiß, was er jetzt machen will.“

Mr. Reese schaute nach unten, wo sich Little Lana an seinem Stock scheuerte. „Und was ist mit deinen Plänen, Horace nach Arizona zu bringen?“

Lonnie schüttelte den Kopf und traktierte die Schotterstraße mit dem Stiefel. Er setzte sich auf den Radkasten des Viehhängers. „Ich hab’s wirklich versucht, Mr. Reese, aber Horace hat gesagt, er will mit dem Bus nach Tucson fahren. Ich hab ihm angeboten, dass ich den Sprit bezahle und ihn umsonst hinbringe, aber er hat gesagt, er will allein aus Tonopah weg. Dass es Momente gibt, da muss man die Dinge allein erledigen. Aber es ist immer noch so, dass ich Eddies Pferde zu seinem Onkel nach Globe bringe. Ich fahr in ein paar Tagen los, falls er seine Meinung ändert. Ich hab Horace immer gemocht. Wir haben lauter Jobs für Mr. Harrington erledigt und wir haben viel gelacht. Und er hat mir beim Kauf meines Pferdes geholfen, Elroy. Also, ich glaub nicht, dass es an mir liegt. Hoffe ich jedenfalls.“

„Es liegt nicht an dir“, sagte Mr. Reese. „Er will sich bloß beweisen, das ist der Punkt. Er war wild entschlossen, den alten Wagen von seiner Großmutter wieder in Gang zu bringen und mit dem zu fahren. Aber dann hat der Motor den Geist aufgegeben, also hat er gesagt, er nimmt den Bus. Ich hab ihm angeboten, ihm ein Auto zu kaufen, aber er hat abgelehnt. Und ich hab ihm x-mal angeboten, ihn zu fahren, aber das wollte er auch nicht. Und als ich dann hörte, dass du in die Gegend fährst, hab ich gedacht, vielleicht lässt er sich von dir mitnehmen. Du bist sein Freund, kein alter Mann. Ich hab gehofft, dass du ihm helfen kannst, sich da unten einzuleben. Er war noch klein, als er nach Tonopah gekommen ist. Er hat also bisher noch nie wirklich in einer Stadt gelebt. Jedenfalls nicht als Erwachsener. Ich mach mir bloß Sorgen um ihn.“

„Mir hat er erzählt, dass er da hinwill, um Berufsboxer zu werden. Stimmt das?“

„Das will er.“

„Klingt nach dem harten Weg.“

Mr. Reese nickte.

„Einmal ruf ich ihn noch an und frag ihn.“

„Das würde mich sehr freuen“, sagte Mr. Reese.

„Ich hoffe, er kommt da unten gut zurecht.“

„Das hoffe ich auch.“

Lonnie stand auf. „Also, der Trecker und all das Zeug, das Eddie für Sie bereitgelegt hat, ist in der Scheune, wenn Sie mal mitkommen wollen.“

Mr. Reese nickte und die beiden machten sich auf den Weg. Little Lana lief voraus und kroch auf der Flucht vor der Sonne unter den Ford.

Auf einer Werkbank standen drei Pappkartons, eine Milchkiste aus Plastik mit einem alten KitchenAid-Mixer und ein Holzkasten mit einem Waffeleisen, einem Pürierstab und einer Bratpfanne.

„Soweit ich weiß, ging es um diese Küchensachen, den kaputten Generator, den Trecker und ein paar Kisten mit Ersatzteilen.“

„Das war alles, glaube ich“, sagte Mr. Reese und öffnete einen der Pappkartons, in dem bunte Keramikschüsseln lagen. „Meine Frau hat die Schüsseln von Eddies Mom immer geliebt und den Mixer. Schön, dass Eddie sich daran erinnert hat. Das wird meiner Frau eine Menge bedeuten.“

„Es heißt, Eddies Mutter war eine großartige Bäckerin.“

Mr. Reese nickte. „Zu ihren Lebzeiten hat sie sämtliche Hochzeitskuchen im Umkreis von sechzig Meilen beigesteuert.“

„Meine Güte, und ich hab noch nie was gebacken außer fertigen Backmischungen.“

„Ich hab nicht mal das auf die Reihe gekriegt“, sagte Mr. Reese mit einem Lächeln.

„Was wollen Sie eigentlich mit dem alten Trecker anfangen?“

„Also, vor ungefähr dreißig Jahren haben Eddies Dad und ich die gleichen Treckermodelle gekauft. Beim Zubehör haben wir uns zusammengetan, um Geld zu sparen. Eddies Dad und ich waren von Kindheit an gute Freunde. Im Laufe der Jahre haben wir oft solche Sachen gemacht … Aber dann starb er und kurz darauf hat das Getriebe an diesem Ferguson schlappgemacht und Eddie hat den Kubota mit anderem Zubehör gekauft. Ich hab auch überlegt, ob ich mir einen neuen Trecker anschaffe, aber seit ein paar Monaten macht mir mein Hauptbrunnen Probleme und wir müssen einen neuen bohren. Jetzt hoffe ich einfach, dass ich diesen Ferguson ausschlachten und meinen so wieder in Gang bringen kann. Eddie war so nett, ihn mir zu überlassen.“

„Klingt nach ner Menge Arbeit.“

„Das könnte stimmen.“

„Na, viel Glück“, sagte Lonnie und packte sich eine Kiste und Mr. Reese lehnte seinen Stock an die Scheunenwand und nahm sich auch eine. Sie liefen viermal hin und her, um Kisten und Kasten und diverse Traktorenteile wegzuschleppen. Zusammen hievten sie den Generator auf die Ladefläche des Trucks und dann hakte Lonnie eine Kette vom Kubota an den Ferguson und sie schleppten ihn aus der Scheune. Mr. Reese nutzte die Winsch vom Hänger, um den kaputten Traktor auf den Tieflader zu ziehen.

Es war Mittag und beinahe vierzig Grad, als alles geschafft war. Lonnie brachte zwei Gläser mit Eiswasser aus dem Haus und sie setzten sich auf die Veranda.

„Und was machst du jetzt?“, fragte Mr. Reese.

„Weiß nicht genau“, sagte Lonnie. „Wenn Eddie mir mein Gehalt zahlt, ein bisschen Ferien. Fahr vielleicht eine Weile einfach rum.“

„Wird er dich bezahlen?“

„Manchmal hab ich so meine Zweifel, aber meistens kriegt er die Kurve.“

„Und was macht er?“

„Er sagt, wenn der Verkauf über die Bühne ist, kauft er sich einen Trailer unten in Baja, aber wer weiß.“

„Und wer hat die Ranch hier gekauft?“

„Das ist das Komische. Das Ding stand Jahre zum Verkauf und dann kreuzt plötzlich wie aus dem Nichts ein reicher Anwalt aus Las Vegas auf und er und seine Frau sehen das hier und machen ein Angebot, und das alles an einem Nachmittag. Ich schätze, sie mag Pferde.“

„Vielleicht übernehmen sie dich.“

„Vielleicht.“

Mr. Reese trank sein Wasser aus und nickte. Er stellte das Glas auf einen Holztisch, und im selben Moment spürte er, wie sein Rücken sich meldete. „Ich glaube, ich mach mich besser auf den Weg“, sagte er. „Wenn du nach deinen Ferien hier in die Gegend zurückkommst und Arbeit suchst, lass es mich bitte wissen. Wenn Horace weg ist, kann ich bestimmt ab und zu Hilfe brauchen.“

„Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen“, sagte Lonnie und sie gaben sich die Hand.

Mr. Reese stieg langsam und unter Schmerzen von der Veranda und ging über den Schotter. Als er die Fahrertür öffnete, kroch Little Lana aus dem Schatten unter dem Truck hervor und sprang hinein.

Sie waren fast an der Hauptstraße, als die Krämpfe ihre volle Wucht entfalteten und er anhielt. Er schrie auf vor Schmerz und ließ sich auf die Vorderbank sinken. Little Lana wimmerte und leckte ihm die Hand, während die unerbittliche Nachmittagssonne auf sie niederbrannte. Der alte Mann tastete in seiner Hemdtasche nach seinem Tablettenröhrchen. Er schluckte eine Valium, schloss die Augen vor dem tropfenden Schweiß und wartete.

Über Willy Vlautin

Biografie

Willy Vlautin, geboren 1967 in Reno, Nevada, ist Sänger und Songschreiber der Folkrockband The Delines. Seine Romane „Motel Life“, „Northline“ und„Lean on Pete“ wurden zu internationalen Erfolgen, „Motel Life“ wurde mit Emile Hirsch, Dakota Fanning und Stephen Dorff in den Hauptrollen verfilmt....

Medien zu „Ein feiner Typ“
Pressestimmen
Spiegel Online

„So gesehen behalten seine Figuren auch in den Momenten größter Niedergeschlagenheit ihre Würde. Geleitet von der Idee, dass der Triumph trotz allem immer möglich ist. Genau davon nämlich handeln die wundervollen Romane des ins Gelingen vernarrten Idealisten Vlautin: Von der Gewissheit, dass am Ende des Tunnels - möge er ihnen auch bisweilen unendlich erscheinen - das Licht der Erlösung auf seine Helden wartet.“

Deutschlandfunk Kultur

„Vlautin ist mit „Ein feiner Typ“ ein herzergreifendes Versagerporträt gelungen“

Badische Zeitung

„Die Sprache, in der Vlautin schreibt, ist von großer Reinheit, gradlinig wie jene Countrysongs, die von Einsamkeit handeln, von Träumen und Niederlagen.“

WDR 5 Scala

„Ein Buch - zärtlich und brutal, mit Potential zum Lieblingsbuch.“

Süddeutsche Zeitung

„Große Gegenwartsliteratur“

SRF 2

"Ein großer Atem des Erzählens"

Podcast „Fest & Flauschig“

„Das Buch macht total Spaß zu lesen, gerade mein absolutes Highlight … ich verschlinge es. Für alle, die sich gerade ein neues Buch holen wollen: Willy Vlautin, ›Ein feiner Typ‹ – ganz tolles Buch!“

Kleine Zeitung

„großartiges Gespür für Melancholie und Traurigkeit, völlig kitschfrei, in leiser, eindringlicher Sprachmusik.“

literaturreich.wordpress.com

„Eine tieftraurige Geschichte, eindringlich und sehr gefühlvoll.“

Doppelpunkt

„Dieser Roman ist ein Schwergewichts-Champ, der über alle Runden geht und siegt – eine Boxergeschichte mit Country-Noir-Unterbau und auf Augenhöhe mit Leonard Gardners Klassiker ›Fat City‹. Ein Volltreffer.“

SWR2 „Lesenswert“

„ein berührender Roman“

Buchkultur

„Ein Höhepunkt des Buchfrühjahrs. Unprätentiös, schlicht und ergreifend.“

Berner Zeitung

„Ein Roman wie ein Springsteen-Song. ›Ein feiner Typ‹ steigt in die Niederungen eines Boxers und anderen verlorenen Seelen in Amerika hinab – mit beeindruckender Kraft.“

Falter

„Vlautins Figuren schaffen es, auch unter widrigsten Umständen keine Arschlöcher zu sein. Und darin liegt ihre Würde.“

lesenswert.net

„Vlautin erschafft Bilder, die sich einprägen.“

Kleine Zeitung

„Eine Außenseiterstory, die berührender nicht sein könnte.“

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