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Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche

Dietmar Pieper
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Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben

„Der Reiz des Buches liegt vor allem in der historischen Tiefenschärfe, mit der die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft verfolgt werden. Es ist über die Hamburger Lokalgeschichte hinaus eine umfassende Darstellung des deutschen Kolonialismus und seiner Vorgeschichte seit dem 18. Jahrhundert.“ - Tagesspiegel

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Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche — Inhalt

So bereicherte sich Deutschland am Kolonialhandel

Der deutsche Kolonialismus entstand im Zusammenspiel von Kaufleuten, Bankiers und Reedern, für die der außereuropäische Handel seit Langem eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen war. Gerade Hamburg und Bremen spielten eine bedeutende Rolle: Ohne die hanseatischen Unternehmer hätte es die deutschen Kolonien nicht gegeben, erst auf ihr Drängen reagierte die Politik. Die Deutschen in Afrika waren berüchtigt für ihre Prügelstrafen, Zwangsarbeit war unter ihrem Regime die Regel. Dietmar Pieper beleuchtet ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.

€ 24,00 [D], € 24,70 [A]
Erschienen am 23.02.2023
352 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07167-3
Download Cover
€ 23,99 [D], € 23,99 [A]
Erschienen am 23.02.2023
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60326-3
Download Cover
„›Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche‹ vermittelt ein exzellentes Bild vor allem von dem historischen Hamburg.“
Hamburger Abendblatt
„Detailliert beschreibt er, wie hanseatische Kaufleute die Kolonialherrschaft des Deutsche Reiches vorantrieben.“
Philosophie Magazin
„Piepers Buch ist ein kluges, und angenehm unaufgeregtes Plädoyer dafür, über einen verantwortlichen Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte zu diskutieren und geeignete Lehren aus ihr zu ziehen.“
Deutschlandfunk „Andruck“

Leseprobe zu „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche“

Einleitung: Deutschland und der Kolonialismus

„Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.“

Karl Kraus, Die Fackel (1909)

 

Lange bevor die Deutschen ein eigenes Kolonialreich gründeten, hatten sie sich an den Kolonialismus gewöhnt. Sie nannten ihn nicht so, sie brauchten überhaupt kein Wort dafür, denn es war eine schleichende Gewöhnung, die vor mehr als 300 Jahren anfing und ihren Alltag für immer veränderte – erst in der Küche oder bei geselligen Zusammenkünften, dann in ihren Kleiderschränken und Kommoden und schließlich überall. Der [...]

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Einleitung: Deutschland und der Kolonialismus

„Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.“

Karl Kraus, Die Fackel (1909)

 

Lange bevor die Deutschen ein eigenes Kolonialreich gründeten, hatten sie sich an den Kolonialismus gewöhnt. Sie nannten ihn nicht so, sie brauchten überhaupt kein Wort dafür, denn es war eine schleichende Gewöhnung, die vor mehr als 300 Jahren anfing und ihren Alltag für immer veränderte – erst in der Küche oder bei geselligen Zusammenkünften, dann in ihren Kleiderschränken und Kommoden und schließlich überall. Der Kolonialismus kam langsam und freundlich zu den Deutschen; das Neue war angenehm wie weich fließende Baumwolle, es stammte von weither und war doch bald vertraut, sogar unentbehrlich. Welchen Grund hätte es geben sollen, etwas davon abzulehnen?

Zucker und Kaffee, Tee und Kakao, Tabak und Baumwolle fanden einen Platz im Leben der Menschen, als hätten sie immer dazugehört. Was gestern noch selten und kostbar oder völlig unbekannt war, erschien auf einmal schon als Selbstverständlichkeit.

Es dauerte nicht allzu lange, dann folgten Kokos- und Palmöl, Gummi und Kautschuk als Rohstoffe für Fabriken, in denen Seife, Kerzen, Margarine, Bratfett, Süßigkeiten, Klebstoff, Kämme oder Reifen hergestellt wurden. Nicht viel anders als heute gehorchte die Ökonomie kolonialer Produkte zumeist den Regeln von Angebot und Nachfrage: Kaufleute aus traditionsreichen Handelsstädten, allen voran Hamburg und Bremen, sorgten dafür, dass ihre Ware auf möglichst effiziente Weise nach Deutschland gelangte. Gerade unter den Hanseaten verstand es eine Händlergeneration nach der anderen, aus dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Gefälle zwischen Europa und den übrigen Kontinenten ihren Nutzen zu ziehen, so wie sie den Gezeitenstrom nutzten, der ihre Schiffe die Flüsse hinab zum Meer trug.

Aus dieser Beobachtung leitet sich die These ab, die dem Buch zugrunde liegt und im Folgenden erläutert und belegt werden soll: Die deutsche Kolonialgeschichte wurde in erster Linie – und viel stärker als bisher zusammenhängend beschrieben – von hanseatischen Unternehmern geprägt. Durch ihre Geschäfte wirkten sie intensiv auf das alltägliche Leben ein, sie beeinflussten politische Entscheidungen und gründeten schließlich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die ersten Kolonien des Deutschen Reichs.

Manche der Unternehmer stiegen aus kleinen Anfängen zu Beherrschern weltumspannender Handelsimperien auf. Der Reichtum fiel ihnen nicht in den Schoß, denn die Konkurrenz war groß und das Geschäft steckte voller Unwägbarkeiten. Aber sie alle nutzten die Tatsache aus, dass Menschen in weit entfernten Ländern für wenig oder gar kein Geld ihre Arbeitskraft hergeben mussten. In jeder Warenlieferung, die nach Europa verladen wurde, gingen der Schweiß, die Tränen und das Blut der Namenlosen mit auf die Reise. Doch davon blieb nach dem Ausladen, Weiterverarbeiten und Verkaufen scheinbar nichts mehr übrig. Am Ende der Lieferkette sah alles blitzblank aus.

Häufig verdienten die Händler auch an Geschäften in umgekehrter Richtung, durch den Export deutscher Erzeugnisse in die Kolonialgebiete – beliebt waren Textilien, Waffen, Schießpulver, Bier, scharfer Alkohol. Der Reichtum Schlesiens und Westfalens im 18. Jahrhundert beruhte zu einem großen Teil darauf, dass hanseatische Firmen die von den dortigen Webern hergestellten Leinenballen nach Südamerika und in die Karibik verschifften, wo aus dem Tuch billige Kleidung für die Frauen und Männer geschneidert wurde, die als Versklavte auf den Plantagen schufteten. Unter den portugiesischen, spanischen, englischen und anderen Sklavenhaltern hatten die robusten „Sletias“ und „Osnabrughs“ einen ausgezeichneten Ruf.

Aber rechtfertigt es tatsächlich die Bezeichnung Kolonialismus, wenn ein Hamburger Kaufmann im Jahr 1770 bei seinem Geschäftspartner in Breslau eine Ladung Leinen bestellte, um sie in Havanna gewinnbringend an einen Plantagenbesitzer zu verkaufen? In diesem Buch wird die Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Es wäre viel zu kurz gedacht, wollte man den Begriff des Kolonialismus so stark einschränken, dass er nur den direkten Austausch zwischen Kolonialmacht und Kolonie umfasst. In der langen Epoche der europäischen Vorherrschaft über die Erde hatte die Dominanz viele Gesichter. Der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel sieht im Kolonialismus darum ein „Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit“, das sich einer scharf umrissenen Definition entzieht.[i] In den folgenden Kapiteln wird das „Phänomen“ von vielen Seiten beleuchtet, sodass seine Konturen hoffentlich deutlich hervortreten.

Mehrmals stehen einzelne Personen im Mittelpunkt. Liegt darin nicht eine unzulässige Vereinfachung? Sie ist jedenfalls nicht beabsichtigt. Menschen und ihre Handlungen können ähnlich vielschichtig sein wie die Strukturen, in denen sie sich bewegen und die sie mitgestalten. Und vermutlich lassen sich komplexe Ereignisse leichter erfassen, wenn ihre Darstellung dem roten Faden einer biografischen Erzählung folgt. Der sorgfältige Blick auf historische Vorgänge, ihre Hintergründe und Folgen ist in jedem Fall das wichtigste Anliegen, das hier verfolgt wird.

Dass der Kolonialismus bis heute nachwirkt, liegt auf der Hand; dieses Buch, das einen anderen Schwerpunkt hat, weist an manchen Stellen darauf hin. Um es mit einem Satz von William Faulkner zu sagen, dem Literaturnobelpreisträger aus dem US-amerikanischen Süden: „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.“ Debatten von anhaltender Aktualität, wie sie etwa um die Rückgabe von Kunstwerken aus kolonialen Kontexten geführt werden, machen dies genauso deutlich wie geplante, geforderte oder bereits vollzogene Umbenennungen von Straßen und Institutionen. Museen, die bis vor wenigen Jahren den Begriff Völkerkunde im Namen trugen, heißen heute anders. Eine veränderte Haltung den eigenen Exponaten gegenüber ist allerdings noch nicht überall erkennbar; einen verblüffenden Fall von Ignoranz kann man in München besichtigen (siehe dazu Kapitel 4).[ii]

Was haben die Commerzbank, Douglas, Edeka, Unilever und Aurubis gemeinsam? Alle diese bekannten und international tätigen Unternehmen haben ihre Wurzeln im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts, vier von ihnen gehen auf Firmengründungen in Hamburg zurück. Und das fünfte, die 1898 als Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin (E. d. K.) gegründete Handelskette, bezog einen wichtigen Teil des Sortiments über den Hamburger Hafen. Das Geschichtsbewusstsein der Unternehmen geht allerdings bei allem Stolz auf die weit zurückreichende Historie nicht so weit, diesen Teil der eigenen Vergangenheit auszuleuchten.

Als die Deutschen schließlich in den Kreis der Kolonialmächte eintraten, konnten sie dies nur tun, weil der Kolonialismus in ihrem Land bereits tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Auf dem Weg dorthin ging die Wirtschaft voran, begleitet vom Trommelschlag der Propagandisten, die von einem deutschen Imperium träumten. Dann erst trat der Staat in Aktion.

Es waren willensstarke Kaufleute aus Hamburg und Bremen, die das Land zur Kolonialherrschaft trieben. In Afrika fing es an: Durch Landerwerbungen und Verträge mit regionalen Anführern etablierten sie zunächst ihre eigenen Gebiete, deren Verwaltung sie dann dem Deutschen Reich zuschoben, das auch für den militärischen Schutz sorgte. So entstanden 1884 die damals „Schutzgebiete“ genannten Territorien Deutsch-Südwestafrika und Kamerun, die ersten großen Besitzungen Deutschlands jenseits der europäischen Grenzen. Reichskanzler Otto von Bismarck, der staatliche Kolonien bis dahin abgelehnt hatte, war auf einmal der führende Kolonialherr der Nation. Wie es zu dieser spektakulären und für die Geschichte der deutschen Kolonialzeit entscheidenden Wendung kam, wird im vierten Kapitel so genau wie möglich nachgezeichnet.


Vom Fernhandel zur europäischen Expansion

Die koloniale Landnahme – meistens ein Raub, dem die Räuber mit einheimischer Hilfe einen legalen Anstrich gaben – hatte eine lange Vorgeschichte. Ohne den bis ins Mittelalter zurückreichenden Expansionsdrang der Europäer hätten die Deutschen niemals nach weit entfernten Territorien greifen können. Neben der Gewöhnung an den Kolonialismus im alltäglichen Umgang mit seinen Produkten war dies eine weitere Voraussetzung dafür, dass ab 1884 in Afrika, danach auch in der Südsee und über einem kleinen Teil Chinas die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs wehen konnte.

Der Austausch von Waren über große Entfernungen hatte seit jeher starke Kräfte freigesetzt. Dann kam es zu einer Zäsur: Durch den Niedergang des Mongolenreiches sowie den Aufstieg der Osmanen, die 1453 das christliche Konstantinopel eroberten, verschlossen sich die Handelswege in den Osten – die Seidenstraßen, die bis nach China führten. Doch auf den seit der Antike eingespielten Fernhandel, der ihnen Stoffe, Gewürze und Luxusartikel wie Porzellan lieferte, wollten die Europäer nicht verzichten. Portugiesische Seefahrer verfolgten mit neuer Entschlossenheit die schon ältere Idee, Afrika südlich zu umrunden, um dann quer über den Ozean zu segeln. Schließlich gelangte Vasco da Gama mithilfe eines arabischen Navigators von Lissabon nach Kalikut im Süden Indiens (heute Kozhikode). Den anderen, riskanteren Weg nach Asien suchte Christoph Kolumbus in spanischen Diensten: Er wollte so lange Richtung Westen fahren, bis er China oder Indien erreichen würde.

Als er 1492 von La Gomera kommend auf eine Küste stieß, glaubte Kolumbus, eine Insel gefunden zu haben, die vor dem indischen Festland liegt. In Bezeichnungen wie Indianer, Indios oder Westindien ist der welthistorische Irrtum sprachlich überliefert. Aber anders als dem Seefahrer, der stur an seiner Meinung festhielt, war vielen Europäern schnell klar, dass sie in ihre Weltkarten einen weiteren Kontinent einzeichnen mussten. Ein Schiff nach dem anderen segelte nun über den Ozean, auf einmal herrschte ein Entdeckungsfieber, Eroberungsfieber, Expansionsfieber, das gar nicht mehr aufhörte. In verschiedenen Varianten setzte sich der Rausch der Kolonisierung jahrhundertelang fort, kein Erdteil blieb davon verschont.

Da der Atlantik seinen alten Schrecken mit einem Schlag verloren hatte und – wie zuvor bloß das Mittelmeer – als maritimes Drehkreuz diente, begann die große Zeit der westeuropäischen See- und Kolonialmächte. Portugal und Spanien, die Niederlande, England, Frankreich, alles Länder mit ozeanischen Küsten, hatten ihre bedeutendsten Jahre vor sich. Dagegen kehrte der einstige Glanz der nach Osten orientierten Mächte nie mehr wieder; die kriegerische Handelsrepublik Venedig konnte nach Jahrhunderten weitgespannter Herrschaft bloß noch ihren Niedergang verlangsamen. In Deutschland büßte Lübeck seine alte Vorrangstellung unter den Hansestädten ein, denn nach der epochalen Wende hin zum Westen (die durch Passagen um das Kap der Guten Hoffnung und Kap Hoorn auch nach Asien und Ozeanien führte) war die Lage an der Ostsee ein Nachteil, der sich durch nichts ausgleichen ließ.

Hamburg und Bremen mit ihren Flusshäfen, die auf natürliche Weise durch die Nordsee mit dem Atlantik verbunden sind, etablierten sich stattdessen als führende Zentren des deutschen und europäischen Fernhandels. Ihr Weg zu Kolonialmetropolen war vorgezeichnet. Die Hanse löste sich als relevante Größe auf und wurde zu Folklore.

Die Triebkräfte der Expansion veränderten sich jahrhundertelang kaum. Schon bei Kolumbus war alles zusammengekommen, was territoriale und ökonomische Eroberer seitdem anspornte: die Suche nach Gold und anderen Reichtümern; der Wille, Menschen zu versklaven, also ihre Arbeitskraft so billig wie möglich zu nutzen; der Glaube an eine ideologische Rechtfertigung, sei es die christliche Mission oder, in späterer Zeit, ein vermeintlicher zivilisatorischer Auftrag.

Sogar die Abschaffung der Sklaverei im Lauf des 19. Jahrhunderts hat an der Härte, mit der viele Europäer ihre Interessen durchsetzten, nur wenig geändert. Die deutschen Kolonialherren in Afrika waren berüchtigt für ihre Prügelstrafen mit der Nilpferdpeitsche, ihr Wirtschaftssystem beruhte auf Zwangsarbeit. Verschleiert wurde die brutale Behandlung der Einheimischen oft durch pädagogisierende Betrachtungen: „Erziehung durch Arbeit“ galt als wegweisende Idee, nützlich für Kolonisierer und Kolonisierte. So wurde die Zwangsarbeit in vollendeter Perversion zur zivilisationsfördernden Wohltat verklärt. In einer Zeit, in der ein Rohrstock zur Grundausstattung vieler Eltern und Lehrer gehörte, dürfte es den meisten daheim im Reich nicht schwergefallen sein, so etwas zu glauben. Ein Übriges tat der Rassismus, von dem die Gesellschaft durchdrungen war. Wissenschaftliche und philosophische Theorien über die Ungleichheit verschiedener „Menschenrassen“ gingen mit der radikalen Unterdrückung von Nichteuropäern seit Langem Hand in Hand.

Nach der streng kommerziellen Logik mancher Geschäftsleute ließ sich eine Zwangslage allerdings auch einfach so ausnutzen, ganz ohne Rassismus. Abertausende Auswanderer aus Deutschland und anderen europäischen Ländern bekamen zu spüren, was das bedeuten konnte: Hart kalkulierende Reeder sperrten die Menschen auf den wochen- und monatelangen Überfahrten in Zwischendecks ohne Licht und Luft, bei grauenhaften hygienischen Verhältnissen. Waschwasser gab es so gut wie gar nicht, das Trinkwasser war faulig, das Essen karg und häufig verdorben. Bei der Ankunft litten viele der malträtierten Passagiere an Skorbut, obwohl es längst einfache Mittel gab, der altbekannten Mangelkrankheit vorzubeugen, etwa durch Sauerkraut oder Zitronensaft. Aber bis hinein in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten es führende hanseatische Unternehmer nicht für nötig, diese Lebensmittel für die Masse ihrer Kunden mit an Bord zu nehmen. Ihr Profit ging vor. Die Misshandlung vieler Auswanderer zeigt ein weiteres Mal, wie eng Kolonialismus und kaufmännisches Gewinnstreben miteinander verbunden waren.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts endeten die Verteilungskämpfe der expansiven Staaten. Voller Stolz erklärte der Chef des Reichskolonialamts in Berlin: „Deutschland hat das drittgrößte Kolonialreich der Welt“.[iii] Den Höhepunkt erreichte die Dominanz der Kolonialmächte nach dem Ersten Weltkrieg, einige wenige Staaten beherrschten nun die Hälfte der gesamten Landfläche (die unbewohnte Antarktis nicht mitgerechnet): Großbritannien, Frankreich, Portugal, Belgien, die Niederlande, Italien, Russland, Japan, die USA.[iv]

Das Deutsche Reich gehörte als Verlierer des Krieges nicht mehr zu diesem Kreis. Der Versailler Vertrag besiegelte die Gebietsabtretungen mit der bewusst demütigenden Begründung, die Deutschen seien als Kolonialherrscher ungeeignet. Da es keine stichhaltigen Argumente gab, warum das Regime der Engländer, Franzosen oder Belgier effizienter und humaner sein sollte, ließ sich die Versailler „Koloniallüge“ propagandistisch gut ausschlachten. Am Ende nutzte die leichtsinnige Demütigung den Nationalsozialisten, die während der Weimarer Republik große Energie aus dem Hass auf den „Diktatfrieden“ von 1919 zogen.


Verdrängung und neu erwachtes Interesse

Nach dem Untergang des Nazireichs kehrten sich die Vorzeichen um. Hatten die Deutschen die Jahre ihrer Kolonialherrschaft gerade noch für sehr bedeutend gehalten, redeten sie jene Ära nun konsequent kleiner, als sie tatsächlich gewesen war (vor allem in der Bundesrepublik). Aus der relativ kurzen Zeit der formalen Machtausübung ließ sich mühelos ein Entlastungsargument ableiten – was nicht lange gedauert hatte, konnte keine tiefen Spuren hinterlassen haben. Und die (westlichen) Siegermächte hatten genug damit zu tun, die Bundesbürger an ihre Verantwortung für die NS-Verbrechen zu erinnern. Außerdem wurden Franzosen und Briten durch die Dekolonisierung mit ihrer eigenen Gewaltgeschichte konfrontiert.

Während die DDR sich nur auf politisch genehme Traditionslinien stützte und alles Übrige, auch den Kolonialismus, dem Westen zuschob, gelang dem kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik eine andere Verdrängungsleistung: Die deutsche Kolonialvergangenheit wurde bei den harmlosen Kuriositäten der älteren Geschichte abgespeichert. Ausnahmen gab es, etwa in der Studentenbewegung, was sich dann zum Beispiel in Uwe Timms Roman Morenga niederschlug.

Erst nach der Jahrtausendwende erwachte ein etwas breiteres Interesse, das durch antirassistische Gruppen im Umfeld von Black Lives Matter beflügelt wurde und bis heute anhält. Dennoch sind wesentliche Ereignisse, Personen und Zusammenhänge aus der Kolonialzeit weiterhin so gut wie unbekannt. Die Schulen tun wenig, um daran etwas zu ändern.[v] Aus den Lehrplänen für die Klassen 7 bis 10 geht hervor, dass die Schülerinnen und Schüler nur in vier Bundesländern (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt) beim Thema Kolonialismus auch etwas über die deutsche Beteiligung erfahren sollen.

Das folgende erste Kapitel beschreibt die Zeit, als sich der Kolonialismus in Deutschland tief zu verankern begann. Im Mittelpunkt steht ein Produkt, der Zucker, sowie ein Unternehmer, der als Eigentümer von Zuckerplantagen und versklavten Frauen und Männern von einem reichen zu einem sehr reichen Mann wurde.

Dietmar Pieper

Über Dietmar Pieper

Biografie

Dietmar Pieper, Jahrgang 1963, studierte Germanistik, Komparatistik und Philosophie und hat sich in fast 33 Jahren beim Spiegel mit historischen Themen beschäftigt, u. a. als Redaktionsleiter der Heftreihe Spiegel Geschichte.

Interview mit dem Autor

Herr Pieper, in drei Sätzen gesagt: Worum geht es in Ihrem Buch?

Die Deutschen hatten viel mehr mit dem weltweiten Kolonialismus zu tun, als heute meistens angenommen wird. Das fing schon vor Jahrhunderten im privaten Alltag an, mit angenehmen Dingen wie Kaffee und Zucker aus der Karibik oder Brasilien, und führte schließlich zu einem weitgespannten Kolonialreich. Ich erzähle diese Geschichte möglichst anschaulich anhand ausgewählter Personen und Ereignisse.

Welche Rolle spielten hanseatische Kaufleute beim deutschen Kolonialismus?

Sie waren die entscheidenden Wegbereiter. Die Händler in Hamburg und Bremen verfügten nicht nur über die nötigen internationalen Kontakte, sondern dank ihrer Häfen auch über den direkten Zugang zum Atlantik und damit zur kolonialen Welt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es hanseatische Geschäftsleute, die in Afrika Kolonien gründeten und Reichskanzler Otto von Bismarck dazu brachten, dafür die staatliche Verantwortung zu übernehmen.

Viele meinen, dass Deutschland eine vergleichsweise kleine Kolonialmacht war. Stimmt das?

Was heißt klein? Es ist noch nicht furchtbar lange her, da waren viele Deutsche ganz stolz darauf, dass sie das drittgrößte Kolonialreich der Welt beherrschten, hinter Briten und Franzosen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sich die Perspektive um: Auf einmal schien die koloniale Ära weit weg und ziemlich unbedeutend gewesen zu sein. Aber das war sie nicht.

Wie haben die deutschen Kolonialherren in Afrika konkret gehandelt?

Ihr Ziel war es, aus den unterworfenen Gebieten wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Dazu war ihnen fast jedes Mittel recht. Zwangsarbeit und Prügelstrafen galten als normal, die Verhältnisse waren oft nicht besser als auf Sklavenplantagen. Die deutsche Gesellschaft war von Rassismus durchdrungen.

Hat der Kolonialismus Auswirkungen bis heute? Und wenn ja, welche?

Seinem Wesen nach war der Kolonialismus immer ein ökonomisches und kein machtpolitisches Unternehmen. Davon wird unsere heutige Welt noch stark geprägt, denn die Globalisierung ist ein Kind der Kolonialzeit. Für den globalen Norden waren und sind die Länder des globalen Südens in erster Linie dafür da, Ressourcen zu liefern – billige Arbeitskräfte, begehrte Lebensmittel und Bodenschätze. Der unfaire Handel wird oft beklagt, dauert jedoch in vieler Hinsicht an. Und noch etwas: Der hemmungslose Umgang mit Ressourcen, der den Kolonialherren zur zweiten Natur wurde, dürfte die wichtigste Ursache des menschengemachten Klimawandels sein.

Pressestimmen
Hamburger Abendblatt

„›Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche‹ vermittelt ein exzellentes Bild vor allem von dem historischen Hamburg.“

Philosophie Magazin

„Detailliert beschreibt er, wie hanseatische Kaufleute die Kolonialherrschaft des Deutsche Reiches vorantrieben.“

Deutschlandfunk „Andruck“

„Piepers Buch ist ein kluges, und angenehm unaufgeregtes Plädoyer dafür, über einen verantwortlichen Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte zu diskutieren und geeignete Lehren aus ihr zu ziehen.“

Business & Diplomacy

„kenntnisreich und detailliert“

Handelsblatt

„Gespickt mit historischen Anekdoten erweckt Piepers Werk die Welt der Hamburger Patrizierfamilien des 18. und 19. Jahrhunderts zum Leben, der Sievekings und Godeffroys.“

Münchner Merkur

„Ein wichtiger Beitrag dazu, sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch zu befassen.“

Tagesspiegel

„Der Reiz des Buches liegt vor allem in der historischen Tiefenschärfe, mit der die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft verfolgt werden. Es ist über die Hamburger Lokalgeschichte hinaus eine umfassende Darstellung des deutschen Kolonialismus und seiner Vorgeschichte seit dem 18. Jahrhundert.“

Weser-Kurier

„Dietmar Piepers ausgesprochen gut recherchiertes und lesbares Buch zu diesem Thema zeigt unter anderem den immensen Einfluss hanseatischer Kaufleute auf die Politik.“

NDR Kultur "Das Journal"

„Hamburg war die eigentliche Hauptstadt des Kolonialismus, und viele der ehrbaren Kaufleute haben davon nicht nur profitiert, sondern die Kolonialisierung aktiv vorangetrieben. Das belegt Dietmar Pieper eindrücklich in seinem Buch.“

kultur-extra.de

„Es ist ein wichtiges Buch, das zeigt, dass heute die Kolonialgeschichte mit ihren Auswirkungen gerne kleingeredet wird.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Piepers kolonialistische Spurensuche im deutschen Norden lässt sich mit Spannung verfolgen. Auch sein Spaziergang am Ende des Buches durch das heutige Hamburg vorbei am vormaligen Völkerkundemuseum, dem Bismarck-Denkmal, Chile-Haus und der Hafen-City, alle in Schwarz-Weiß-Bildern gezeigt, schärft den Blick für manche in dieser Form bislang nicht wahrgenommene Ungereimtheiten.“

Wochenanzeiger

„Spannend, faktensatt, an Personen und Schicksalen entlang erzählt. Kurz: so, wie man sich die Vermittlung historischen Wissens immer gewünscht hätte.“

freundederkuenste.de

„Dieses Buch ist seit Jahren überfällig und sollte als Pflichtlektüre an allen Schuleinrichtungen eingeführt werden.“

Das Parlament

„Er schildert detailliert und spannend.“

Buchkultur Bücherbrief

„Pieper zeichnet akribisch nach, dass bereits vorher schon in deutschen Landen bei diesem Spiel eifrig mitgemischt wurde.“

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