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Let’s Talk About Sex, Habibi Let’s Talk About Sex, Habibi - eBook-Ausgabe

Mohamed Amjahid
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Liebe und Begehren von Casablanca bis Kairo

— Sexualität, Erotik und Glaube

„Genau darin liegt vielleicht eine der größten Stärken von Amjahids Berichten: Sie geben den handelnden Subjekten ihre Menschlichkeit und schrecken vor Komplexität nicht zurück.“ - Der Tagesspiegel

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Let’s Talk About Sex, Habibi — Inhalt

„Aufklärerisch, informativ, humorvoll und herrlich unterhaltsam.“Der Freitag

„Ohne Klischees dafür aber mit ganz viel Wahrheit und Witz.“ Süddeutsche Zeitung

Der Sex der Anderen

Unser Blick auf Liebe und Begehren in Nordafrika ist stark von Klischees, Orientalismus und Fetischisierung geprägt. Doch welche Freiheiten gibt es in vermeintlich geschlossenen Gesellschaften? Mohamed Amjahid zeigt, wie die alltägliche Sexualität der Nordafrikaner*innen wirklich ist und räumt mit rassistischen Stereotypen auf. Er erzählt von Orgien am Fuße des Atlasgebirges, muslimischen Liebeszaubern und Salafisten, die überteuerte Kondome verkaufen. Aber auch von toxischer Männlichkeit, religiösem Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt. Ein ungetrübter Blick in die Schlafzimmer von Marokko bis Ägypten. 

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 29.09.2022
224 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06316-6
Download Cover
€ 17,99 [D], € 17,99 [A]
Erschienen am 29.09.2022
224 Seiten
EAN 978-3-492-60202-0
Download Cover
„›Let's Talk About Sex, Habibi‹ ist ein Buch über die arabische Welt, das ohne Klischees auskommt, dafür aber ganz viel Wahrheit und Witz hat.“
Süddeutsche Zeitung online
„›Let’s Talk About Sex, Habibi‹ (…) ist ein Aufklärungsbuch im besten Sinne: intim, tabulos, ehrlich und sehr unterhaltsam.“
ORF Ö1 „Kontext“

Leseprobe zu „Let’s Talk About Sex, Habibi“

Prolog

Es liegt auf der Hand, dass Völkerverständigung am besten über Liebe betrieben werden kann: käufliche Liebe, liebevollem Sex, sexuellem Begehren. Indem man in die Schlafzimmer, unter die Schleier, eben in die Liebesleben der Menschen blickt, bekommt man ein wohliges Gefühl für die Kulturen, die einem zunächst fern und exotisch erscheinen mögen – davon bin ich überzeugt.

Als Reporter habe ich in den vergangenen Jahren viele Regionen Nordafrikas besucht, mit unzähligen Menschen zwischen Casablanca und Kairo gesprochen, aufwendige Recherchen zu Papier [...]

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Prolog

Es liegt auf der Hand, dass Völkerverständigung am besten über Liebe betrieben werden kann: käufliche Liebe, liebevollem Sex, sexuellem Begehren. Indem man in die Schlafzimmer, unter die Schleier, eben in die Liebesleben der Menschen blickt, bekommt man ein wohliges Gefühl für die Kulturen, die einem zunächst fern und exotisch erscheinen mögen – davon bin ich überzeugt.

Als Reporter habe ich in den vergangenen Jahren viele Regionen Nordafrikas besucht, mit unzähligen Menschen zwischen Casablanca und Kairo gesprochen, aufwendige Recherchen zu Papier gebracht. Auch weil ich selbst in Marokko aufgewachsen bin und zum Land seit Jahren arbeite, kann ich berichten: Maroks sind Weltmeister*innen im Spaßhaben. Und genau diese orgasmische Lockerheit möchte ich einer breiten Leser*innenschaft mitgeben.

Denn nicht erst seit der sogenannten Kölner Silvesternacht wurde über die Sexualität der Nordafrikaner*innen verhandelt, ohne mit Nordafrikaner*innen selbst zu sprechen. Es fing mit dem Kolonialismus an, dass afrikanische Körper im literarischen Kanon und der eurozentrischen Erzählung der Menschheitsgeschichte anders gemacht wurden. Vorurteile, Desinformation, Orientalismus und Fetischisierung dominieren bis heute das Gespräch über (Nord-)Afrika in Deutschland und Europa. Ich würde ja behaupten, dass viele Menschen in Europa sehr wenig über das benachbarte Nordafrika wissen, dafür aber viele Vorurteile über diese sehr diverse Region pflegen. Ich habe mir schon so einige erstaunte Aussagen über mich selbst anhören müssen: Ich sei „soft“, „pittoresk“ oder „für einen Mohamed irgendwie sehr fortschrittlich“, mal begleitete diese Aussagen ausgesprochen oder unausgesprochen der Zusatz „für einen nordafrikanischen Mann“. Egal, wie dieser auch immer in den Vorstellungen der Europäer*innen zu sein hat: Wir müssen als Menschen fair, geschichtsbewusst, faktenbasiert, empathisch und auf Augenhöhe aufeinander blicken, miteinander sprechen und zusammenleben.

In meinen beiden ersten Büchern Unter Weißen und Der weiße Fleck geht es um Privilegien und die Emanzipation von verletzbaren Minderheiten. Ich musste als von Rassismus betroffener Autor diese Bücher schreiben. Und ich habe sie gerne geschrieben, um meinen Beitrag zu leisten: zum Abbau historisch gewachsener Strukturen und Machtgefälle nach dem Kolonialismus. Dieses, mein drittes Buch, baut auf diese emanzipatorische Perspektive der Selbstermächtigung auf und verknüpft sie mit dem mediterranen Savoir-vivre, nach dem sich so viele Europäer*innen – nicht nur beim Strandurlaub – sehnen. Mehr ist dies aber ein Text, den ich unbedingt schreiben möchte. Mit anderen Worten: Ich habe diesmal richtig Bock.

Mit Erinnerungen aus meiner Pubertät, Begegnungen mit Frauen und Queers und der Betrachtung von Verletzbarkeiten möchte ich das facettenreiche Nordafrika mit meinen Leser*innen bereisen. Ich möchte mich auf die Spuren einer weitverbreiteten toxischen Männlichkeit und des feministischen Befreiungskampfes begeben. Einen kritischen Blick wagen auf das Verhältnis von Glaube, Tradition und Körperlichkeit, das andauernd bestimmen möchte, wen ich bitte schön zur Braut nehmen soll.

An dieser Stelle muss ich einen Hinweis loswerden: In diesem Buch kommen explizite Sprache und Erzählungen zu sexualisierter Gewalt und der Diskriminierung von verletzbaren Gruppen und Individuen vor. Diese Menschenfeindlichkeit ist Teil der Realität und kann nicht ausgeblendet werden. Dies ist ein sehr persönliches, erzählendes Sachbuch. Bedeutet: Alle Beschreibungen sind wahr, sie dienen als Fallbeispiele und Zugänge zu universal wichtigen Fragen. Um die Anonymität meiner Protagonist*innen zu wahren, habe ich die meisten Namen abgekürzt oder geändert, teilweise habe ich meine Beziehung zu den beschriebenen Menschen unkenntlich gemacht. Auch weil ich nicht immer die Möglichkeit hatte, sie um Erlaubnis zu bitten, in diesem Buch vorzukommen. Um Erzählungen abzugleichen und Fakten zu checken, habe ich lange mit anderen Menschen über meine Erinnerungen gesprochen, unter anderem mit meiner Mutter und meinen Schwestern. Denn einige Anekdoten liegen sehr weit in der Vergangenheit, in einer Zeit, bevor ich angefangen habe, als Reporter und Anthropologe Tagebücher zu schreiben.

Aber genug des Vorworts: Ich möchte diese (Reporter-)Tagebücher nun öffnen, ich will meinen Leser*innen so den Alltag am südlichen Mittelmeer näherbringen, den arabischen Witz übersetzen, das Lebensgefühl der Menschen dort transportieren. Ich möchte die Anliegen und Sehnsüchte der Nordafrikaner*innen in den Fokus dieses Buchs stellen, sie – wo immer es auch geht – für sich selbst sprechen lassen und damit aufzeigen, wie geil es sein kann, sich aufrichtig auf „andere“ Gesellschaften einzulassen.

Let’s talk about Sex, Habibi!


Kondome und die Salafi-Apotheker

Sex ohne Schwangerschaft? Ohne sexuell übertragbare Krankheiten? Kondome sind da eine gute Wahl. Zumindest wenn ein Penis in die ganze Sache involviert ist und das Glied nicht zu so ’nem Typen gehört, der es partout blank irgendwo reinstecken muss, egal was das Gegenüber möchte, weil es sich sonst „nicht echt anfühlt“ … Halt doch die Fresse und zieh dir einfach eins über!

Was ich aber eigentlich erzählen will: Ich habe in meinem Leben schon überall in Nordafrika Kondome käuflich erworben, wie man im Kapitalismus so schön sagt. In Deutschland geht man dafür in den Supermarkt (und wundert sich über die limitierte Auswahl) oder in die Drogerie (und ärgert sich über die horrenden Preise) oder zum Automaten (der auch im Jahr 2022 weiterhin nur 2-Euro-Stücke nimmt, die man natürlich nie dabeihat). In Tunesien, Algerien, Ägypten und Marokko geht man für Kondomshopping in die Apotheke. Dort wird man als Kund*in schnell in mal unangenehme und mal erkenntnisreiche Gespräche verwickelt.

Tunis

Die Sonne knallte erbarmungslos auf meinen Kopf, und ich irrte bei einer Recherche mitten in der Hauptstadt Tunesiens umher. Ich starrte – von der Hitze benommen – auf die Menschen, die an einer Tram-Haltestelle herumschwirrten. Im Geografieunterricht in Marokko hatte ich vier Fakten über sie gelernt: Die Tunesier*innen leben in einem kleinen Land, haben mit das höchste Pro-Kopf-Einkommen Nordafrikas, werden von einem autokratischen Polizeistaat unterdrückt, und sie können null kochen. Das mit der Autokratie war seit August 2013 fürs Erste Geschichte, der Rest stimmte.

Den Tunesier*innen wird auch nachgesagt, dass sie – gesellschaftlich betrachtet – besonders progressiv seien. Frauenrechte, Religionsfreiheit und sexuelle Befreiung: alles easy und viel besser als in so manchem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, wie Polen zum Beispiel. Immerhin hatte Habib Bourguiba, Tunesiens erster Präsident nach der Unabhängigkeit von der französischen Besatzung, im Fastenmonat Ramadan tagsüber und öffentlich einen Orangensaft geschlürft und eine Zigarette dazu geraucht. Diese geschmacklich fragwürdige Kombination fand im Jahr 1958 statt. Zur damaligen Zeit undenkbar in einem anderen mehrheitlich muslimischen Land, heutzutage hier und da auf jeden Fall unmöglich.

Also stieß ich – das Image der grenzenlosen Progressivität Tunesiens im Hinterkopf – mit Schwung die Tür zur kleinen Apotheke an der Tram-Haltestelle auf. Jede noch so kurze Pause vor den Sonnenstrahlen war willkommen, und ich wollte sowieso eine Packung Sodbrennen-Blocker (die tunesische Küche ist wirklich nicht mein Ding) und Kondome kaufen.

Hinter der chaotischen Glastheke, in der sich alte Flaschen mit Sonnenmilch und Babymilchpulver stapelten, lugte ein Mann hervor. Er hatte eine kleine weiße Gebetsmütze auf, die ihn direkt als orthodox-gläubig erkennbar machte. Dabei hätte er den Strickstoff auf dem Kopf gar nicht dafür gebraucht: Am minutiös-gerade rasierten 8-Tage-Bart und dem beachtlich großen und dunklen Gebetsfleck auf der Stirn konnte ich schnell erkennen, dass es sich hier um einen besonders überzeugten Bruder handelte. In Nordafrika wird zwischen jenen „Geschwistern“ differenziert, die für sich orthodox leben, und anderen, die politisch ihren Glauben der Gesellschaft aufzwingen wollen. Vom parteipolitischen Islam haben sich – Allah sei dank – in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen in der Region abgewendet. Schon damals wusste ich, dass sich einige von ihnen durch eine Art Schönheitsoperation den Gebetsfleck auf der Stirn vergrößern ließen. Je imposanter der Fleck, desto ausgiebiger und intensiver der Niederwurf vor Allah im Gebet. Oder eben nicht, wenn man chirurgisch nachhelfen muss.

Dennoch rutschte mir das Herz in die Hose, als ich auf seiner Stirn den Gebetsfleck sah, der sich vor meine frisch geblendeten Augen wie der Mond vor die Sonne schob. Ich weiß nicht, ob mein sommerweichgekochtes Hirn meinem Herzen einfach nicht schnell genug in die Hose folgen konnte oder mein Kopf wieder mal in diesen Jetzt-erst-recht-Modus schaltete, der mich schon öfter im Leben in missliche Lagen befördert hatte; auf jeden Fall sprudelten beim Hineintreten in den muffigen Laden folgende Sätze aus mir heraus: „Salam Aleikum, Allahs Barmherzigkeit und seine Gnade sei mit euch. Ich hätte gerne etwas Starkes gegen Sodbrennen und eine Packung Kondome.“

Der Bruder schaute mich skeptisch an. Er kramte aus dem Regal hinter ihm eine rote 12er-Packung mit Magentabletten hervor und knallte sie auf den Tresen. Dann fragte er: „Bist du verheiratet?“ Ich neigte den Kopf und fragte zurück, ob der Bund der Ehe Sodbrennen fördere. Ich fand den Witz äußerst lustig, merkte aber zugleich erschrocken, dass ich spätestens jetzt im trotzigen Mohamed-Modus gefangen war. Er sagte, dass sein „pharmazeutischer Ehrenkodex“ es nötig mache, diese Frage zu stellen, und dass er sogar legal eine Heiratsurkunde verlangen könne, wenn ihm danach sei. Mein Blick schweifte auf eine kleine Vitrine am äußersten rechten Rand des Tresens. Dort waren eine Handvoll Packungen mit der Aufschrift „préservatifs“ aufgereiht. Sie waren verstaubt. Seit Jahren hatte in dieser Apotheke niemand Kondome gekauft, so schien es.

Ich scannte die Reihe von rechts nach links und bat ihn, mir die größte und teuerste Packung zu geben. 65 tunesische Dinar (rund 20 Euro) stand auf dem Etikett. Dabei war „größte Packung“ mit nur 12 Kondomen relativ. Aber hier ging es ums Prinzip, und der Apothekenbruder spürte meine Energy. Er überlegte kurz und schloss dann die Vitrine auf. Profitgier schlägt „pharmazeutischen Ehrenkodex“ dachte ich mir und fühlte mich wie der arabische Dildo-König.

Während eine extreme Auslegung des Christentums darauf abzielt, Kondome ganz zu verbieten, damit sich jedes weibliche Ei und jedes Spermium in kleine Ministrant*innen verwandeln, ist es dem Muslimbruder wichtiger, dass es keinen außerehelichen Sex gibt. Innerhalb der Ehe geht für ihn bestimmt auch viel. Verhütung ist selbst für viele orthodoxe Muslim*innen kein Problem. Der Apotheker schien mir ein wenig baff, als könnte er es selbst nicht recht glauben, dass seine Hände nun eine winzige Plastiktüte über die Kondompackung stülpten. Ich bat ihn noch überheblich um eine größere Packung Magentabletten, bezahlte mit den größten Scheinen, die ich in meinem Portemonnaie hatte, und nahm die kleine Plastiktüte wie eine Trophäe mit in die Hitze der Stadt.

Oran

Dass es mit diesen Apothekenbrüdern auch anders geht, zeigt ein Kondomkauf etwas mehr als ein Jahr später in der westalgerischen Stadt Oran. Auch hier habe ich mich an die wichtigsten Fakten aus dem Geografieunterricht in meiner marokkanischen Grundschule erinnert: Die Algerier*innen leben in einem Staat, der sich vor allem mit den Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung am Leben hält und deswegen unabhängiger von Steuereinnahmen ist. Sie lassen fast keine europäischen Touris in ihr Land und vergeben nur wenige Visa (weil sich hier Ausländer, vor allem aus Frankreich, schon mal schlecht benommen haben), dennoch sprechen viele Algerier*innen gerne und gut Französisch. Fakt ist auch: Das Trauma des Bürgerkriegs in den Neunzigerjahren haben die meisten Algerier*innen nicht überwunden. Damals, nach dem Sieg der Islamisten bei der Parlamentswahl 1991, war zwischen den politisch-religiösen Kräften und dem Militär ein erbitterter Machtkampf entbrannt. Das Land war in eine blutige Kriegsdekade um Deutungshoheit, Identität und Ressourcen versunken.

Vielleicht lag es auch an dieser schmerzvollen Geschichte, dass der Muslimbruder in der hellen, aufgeräumten Apotheke im Zentrum der Stadt so ganz anders war, als ich es mir zunächst einbildete. Der Laden befand sich in einem schneeweißen Gebäude aus der französischen Kolonialzeit. Es war November, angenehmes Wetter, mein Kopf war kühl. Dennoch schaltete ich beim Anblick seines Gesichts samt Bart und Gebetsfleck innerlich wieder in den besagten Modus, auch wenn er, im Gegensatz zu seinem tunesischen Kollegen, keine weiße Strickmütze auf dem Kopf hatte.

„Ich hätte gerne Kondome“, sagte ich entschlossen. Er lächelte mich, ja flirtete mich förmlich an, bat mich, ihm in den Verkaufsraum hinter der Kosmetikabteilung zu folgen, und zeigte mir ein üppig bestücktes Regal. Egal was die verantwortungsbewusste Libido begehrte, es war dort zu haben: extradünn, genoppt, Tuttifrutti, Größen M bis XXL, schwarz oder beige, teuer oder ein bisschen weniger teuer, Markenprodukt oder No-Name. Ich schaute zum Bruder, nickte und bedankte mich. Damit wollte ich signalisieren: Okay, lass mich jetzt mal bitte kurz alleine in Ruhe schauen. Aber er wollte nicht von meiner Seite weichen. Zuerst dachte ich, dass er darauf achten wollte, dass ich nichts klaue, aber dann wurde mir klar: Er wartete darauf, mich beraten zu können. Ich griff nach einer Packung, auf der die französischen Worte „transparent et inodore“ (durchsichtig und geruchsneutral) standen. „Excellent choix, Monsieur!“ Ich hätte eine ausgezeichnete Wahl getroffen, sagte er, als wäre er der zuvorkommende Garçon in einem Michelin-Restaurant. Und fügte hinzu, dass die meisten Menschen sowieso von diesen fancy Kondomen überfordert seien. „Wer will schon, dass das Schlafzimmer wie ein Kaugummi riecht?“ Der zumindest äußerlich als orthodox lebender Muslim zu erkennende Mann zeigte auf die billig anmutende Tuttifrutti-Packung, auf der Bananen, Ananas und Erdbeeren abgebildet waren. Ich konnte seiner Expertise nur zustimmen.

Zwar gelten die Algerier*innen nicht als superprogressiv, so wie ihre Nachbar*innen in Tunesien. Aber mir ist in der Vergangenheit schon hier und da ein algerisches Laisser-faire begegnet. Mir kam vor dem Kondomregal in Oran zwangsläufig eine Szene aus einem algerischen Spielfilm in den Sinn, in der das Höschen einer Schauspielerin ihre Beine herunterglitt. Damit wollte die Regie signalisieren: Jetzt wird gefickt – ohne den Akt selbst zu zeigen. Undenkbar im marokkanischen TV der Neunzigerjahre. Meine Mutter hatte vor dem Fernseher geflucht und gesagt, dass die richtig unverschämt seien in Algerien. Der Kolonialismus habe denen die Moral ausgetrieben.

Ich atmete tief durch, beförderte mich aus dem sexy Flashback wieder zurück in die Apotheke im Zentrum von Oran und versuchte, mir die Überraschung nicht ansehen zu lassen. Immerhin war ich davon ausgegangen, dass ich Fragen wie „Bist du verheiratet?“ mit Witzen werde ausweichen müssen. Stattdessen befand ich mich quasi mitten in der musulmanischen Version der Kondomwerbung mit Hella von Sinnen von 1989. In diesem legendären Spot ruft eine Kassiererin quer durch den Supermarkt, „Tina, wat kosten die Kondome?“, und der Kunde an der Kasse möchte am liebsten im Boden versinken. Nur eine ältere Kundin löst die unangenehme Stille auf, weil sie weiß: „2,99, die sind im Sonderangebot.“ Dieses Schauspiel hatte meine Mutter vor dem Fernseher damals sehr, sehr lustig gefunden und die Werbung gerne als Running Gag zitiert. Nix da mit Moral.

Der Bruder in der Apotheke nahm derweil eine große, dicke Tube in die Hand und zeigte damit auf meinen Körper. Vielleicht war er nur ein guter Verkäufer? Vielleicht bekam er für jedes verkaufte Produkt eine kleine Provision? Vielleicht war er einfach sexuell befreit im Kopf? Auf jeden Fall wollte er mir noch das passende geruchsneutrale Gleitgel zu den Kondomen andrehen. Ich schaute zuerst auf den horrenden Preis auf dem Etikett, dann in die Mitte der geräumigen Apotheke, wo wartende Kundinnen sich die Zeit mit Lauschen und Gaffen vertrieben, und lehnte dankend ab. Ich überreichte das Geld passend und verschwand ohne weiteren Blickkontakt aus meinem persönlichen Werbespot-Albtraum.

Mohamed Amjahid

Über Mohamed Amjahid

Biografie

Mohamed Amjahid, 1988 in Frankfurt a. M. geboren, ist politischer Journalist, Buchautor und Moderator. Er schreibt für mehrere Medien wie ZEIT, Spiegel, taz und Süddeutsche Zeitung und wurde unter anderem mit dem Alexander-Rhomberg-Preis und dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Amjahid ist Fellow im...

Pressestimmen
Süddeutsche Zeitung online

„›Let's Talk About Sex, Habibi‹ ist ein Buch über die arabische Welt, das ohne Klischees auskommt, dafür aber ganz viel Wahrheit und Witz hat.“

ORF Ö1 „Kontext“

„›Let’s Talk About Sex, Habibi‹ (…) ist ein Aufklärungsbuch im besten Sinne: intim, tabulos, ehrlich und sehr unterhaltsam.“

SRF 2 Kultur „Kultur-Talk“

„Eine Stärke des Buches ist es, dass es sehr viel Humor in den Beschreibungen gibt.“

Radio Corax

„Es gibt in dem Buch eine interessante Balance zwischen Witzigem und Skurrilem.“

Der Tagesspiegel

„Genau darin liegt vielleicht eine der größten Stärken von Amjahids Berichten: Sie geben den handelnden Subjekten ihre Menschlichkeit und schrecken vor Komplexität nicht zurück.“

queer.de

„Insgesamt ist ›Let's Talk About Sex, Habibi‹ aber ein Buch, das Hoffnung macht. Die Veränderungen in Nordafrika gehen langsam voran, aber es gibt sie, so die positive Grundstimmung des Buches, das sich absolut zu lesen lohnt.“

Der Freitag

„Mit seinem neuen Buch entpuppt Amjahid sich als marokkanisch-deutsche Entsprechung der US-amerikanischen Sexualtherapeutin und Soziologin Dr. Ruth Westheimer: aufklärerisch, informativ, humorvoll und herrlich unterhaltsam. Wallah, Dr. Mohamed, let’s talk!“

Deutschlandfunk Kultur „Lesart“

„Sehr unterhaltsam“

qantara.de

„›Let’s Talk About Sex, Habibi‹ besticht durch Authentizität und hat definitiv seinen Platz im Bücherregal verdient.“

buchlieberhaberin

„Mohamed Amjahid möchte mit seinem neuen Buch aufklären und Vorurteile aus der Welt schaffen. Das macht er, indem Amjahid den Alltag anderer Länder schildert und sich dabei mit einer fetten Menge Humor bewaffneten - denn hier bleibt kein Auge trocken.“

Bayern 2 „Zündfunk”

„Schonungslos, humorvoll und sehr intim.“

Jolie online

„Ein Buch mit großem Witz und Tiefgang.“

thewaveshavecome

„Ein superinteressantes Buch und ich hab einiges gelernt, vor allem da solche Themen sonst ja gerne tabuisiert werden.“

Der Freitag

„Herausgekommen ist eine überraschende wie auch aufschlussreiche Reise in die sexpositive Tradition dieser Länder.“

Radio X

„In unterhaltsamer Art und Weise bringt er die Nordafrikanische Beziehung zu Intimität näher und das direkt und ohne Tabus.“

bibliophilistin

„Mal laut und unverschämt, mal intim und sinnlich, mal prüde und mal überraschend. Gemeinsam haben die Texte, dass sie augenöffnend, lustig und vor allem lehrreich sind.“

WDR 5 „Diesseits von Eden“

„Ein sehr unterhaltsames Buch.“

Passauer Neue Presse

„Das macht er meist mit lockerem Erzählstil, sodass es leicht ist, sich in das an mancher Stelle immer noch tabubehaftete Thema einzufinden.“

Deutschlandfunk Nova „Eine Stunde Liebe“

„Sehr humorvolles Buch, es bringt einen oft zum Schmunzeln.“

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