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Dungeon Planet

Dungeon Planet - eBook-Ausgabe

Tobias O. Meißner
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Roman

„Meißners Bücher regen zum Nachdenken und Hinterfragen an.“ - phantastik-bestenliste.de

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Dungeon Planet — Inhalt

In einem kaum zu überwindenden Verlieslabyrinth warten hinterlistige Fallen, gefährliche Ungeheuer und unheimliche Monster auf die Teilnehmer von „Dungeoncrawler“! Die brutale Gameshow auf dem Planeten Laurel führt sie hinab in finstere Ebenen, denn nur dort wartet eine lohnende Beute. Um sie zu bekommen, muss man vor allem eins: überleben. Zumindest letzteres ist Jephron vor zwanzig Jahren gelungen. Als eine junge Teilnehmerin der neuen Staffel ihn bittet, ihr zu helfen, ist Jephron plötzlich wieder Teil der Show. Und die ist gefährlicher denn je! Wird es ihm auch diesmal gelingen, „Dungeoncrawler“ lebend zu verlassen und seine Begleiterin vor dem sicheren Tod zu bewahren? Und vor allem: Schafft er es endlich, die Show zu gewinnen?

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 02.10.2018
400 Seiten
EAN 978-3-492-99236-7
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Leseprobe zu „Dungeon Planet“

Jephron liebte das Draußensein am allermeisten dort, wo das All nicht nur aus weißen Lichtern auf schwarzem Grund bestand.

Ganz früher, von der alten Erde aus, mit bloßem Auge, hatte man kaum etwas anderes wahrnehmen können als Punkte auf Schwarz. Aber wenn man vor Ort war, mittendrin in der Entfernung, stellte man fest, dass der Raum in sämtlichen Farben leuchtete.

Es gab Planeten und Gasriesen in Grün und Gelb und Violett, Sternennebel, die dunkelrot und hellblau glosten wie Schmetterlinge oder Korallenriffe. Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, das [...]

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Jephron liebte das Draußensein am allermeisten dort, wo das All nicht nur aus weißen Lichtern auf schwarzem Grund bestand.

Ganz früher, von der alten Erde aus, mit bloßem Auge, hatte man kaum etwas anderes wahrnehmen können als Punkte auf Schwarz. Aber wenn man vor Ort war, mittendrin in der Entfernung, stellte man fest, dass der Raum in sämtlichen Farben leuchtete.

Es gab Planeten und Gasriesen in Grün und Gelb und Violett, Sternennebel, die dunkelrot und hellblau glosten wie Schmetterlinge oder Korallenriffe. Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, das All in Falschfarben zu betrachten wie die frühen Weltraumteleskope, die – stetig leistungsfähiger werdend – die Sehnsucht der Menschheit bis zur Unerträglichkeit gesteigert hatten. Die Falschfarbendarstellung wurde auf die Innenseite seines Cockpits projiziert, sodass Wärme sichtbar wurde oder chemische Zusammensetzungen oder Strahlung. Jephron konnte dann Wasserstoff grün sehen, Schwefel rot und Sauerstoff blau, es spielte keine Rolle. Denn eigentlich war nichts „falsch“ an diesen Farben. Aus wessen Perspektive war eine Wahrnehmung mit Sicherheit „falsch“? War der Mensch etwa der einzige Maßstab des Alls? Warum sollten ausgerechnet Menschenaugen definieren, in welche Gewänder sich die Ewigkeit hüllte? Jedes Insekt hätte die Farben anders wahrgenommen, jeder Hund ebenfalls.

Dies war das Erste, was die Menschen hier draußen gelernt hatten: Es gab gar kein Falsch mehr und auch kein Richtig. Es gab einfach alles und von allem unendlich viel. Alles war möglich. Und alles war relativ.

Der Traumraum der Menschheit war begeh- und bestaunbar geworden.

 

Besonders schön war es hier, vor den Säulen der Schöpfung. Fast siebentausend Lichtjahre von der alten Erde entfernt, im Adlernebel.

Diese aus Staub und Protosternen bestehenden und an drei finstere Schamanengottheiten erinnernden „Säulen“ waren so unfassbar gigantisch, sie waren bis zu vier Lichtjahre lang, das Licht musste vier Jahre rasen, um von der Basis bis zur Spitze zu gelangen. Ein Mensch, der dies betrachtete, spürte regelrecht, dass er nur ein Atom war, weniger noch als ein Atom, ein zerteiltes Atom vielleicht, mit derselben mulmigen Unruhe einer Kernspaltung. Ein Mensch saß da in seinem andruckabsorbierenden Pilotensitz und schnaufte, und Tränen liefen ihm über das Gesicht.

Der Hintergrund der Säulen leuchtete in Kobaltblau. Darin rötliche Schlieren mit gelblichen Rändern im erstarrten Wabern. Die Säulen selbst, gefrorene Protuberanzen, sahen aus, als seien sie lila oder getrocknetes Blut. Jephron schaute, und er konnte rundum schauen im kleinen Kuppelcockpit seines Einmannseglers MAYFIELD.

Auf seinen blinkenden Instrumenten und den auf den unteren Bereich der Kompriglasscheiben projizierten Monitoranzeigen bemerkte er einmal mehr, dass er nicht allein war. Hier, wo man so dicht vor den Säulen schwebte wie auf dem berühmten, nun über eintausend Jahre alten Hubble-Foto, trieben noch zwei weitere Schiffe. Eins war ein wie ein Oldtimer aussehendes hellrotes, fast wie ein Schuh geformt, wahrscheinlich drei Mann Besatzung. Jephron mochte, dass die Menschen nach rund zweihundert Jahren zweckmäßig designter Raumschiffe angefangen hatten, Schiffe zu bauen, die eigenwillig waren, die Stil und Aussage wagten, die an Tiere angelehnt waren oder einfach nur besonders farbenprächtig lackiert.

Das andere Schiff war ein dickbauchiger gelber Passagierkreuzer, der Touristen viele Credits abknöpfte für diesen imposanten Anblick. Wahrscheinlich wurde da drinnen jetzt klassische Musik gespielt und man stieß mit dünnwandigen Gläsern an und lachte nervös, eingeschüchtert vom Dreifaltigkeitsantlitz des Universums. Die Säulen der Schöpfung waren, als könnte man Zeit und Raum dabei zusehen, wie sie sich Hand in Hand zu etwas Großartigem, aber noch Rätselhaftem aufrichteten. Als Mensch versuchte man, in die Spitzen der drei Säulen Gesichter hineinzuinterpretieren, so wie man früher in der raumfahrtlosen Zeit die Umrisse von Tieren in den Wolken über der alten Erde erkannt zu haben glaubte.

 

Früher. Wie lange das jetzt her war!

Inzwischen schrieb man das Erdenjahr 3014.

Seit fünfhundert Jahren kolonisierten die Menschen das All. Seit der Erfindung des FTL-Antriebs. Faster Than Light. Vorher war gar nichts möglich gewesen, waren die Menschen an die Erdanziehungskraft geschmiedet gewesen wie Kettensträflinge. Die Entfernungen waren einfach zu groß. Sechshundert Tage Flug alleine bis zum Jupiter, etwa neunzehn Jahre bis zum Pluto – wer außer Verhaltensgestörten mit Todeswunsch hätte sich dem aussetzen wollen? Das Verlassen des Sonnensystems: ein unerfüllbarer Traum.

Dann war es mitten im von Freak Weather, den durch den Anstieg des Meeresspiegels verursachten Flüchtlingsbewegungen sowie resistenten Viren heimgesuchten 25. Jahrhundert zwei jugendlichen Forscherinnen aus der kalifornischen Kleinstadt Santa Ana gelungen, den Antrieb zu entwickeln. Er basierte auf einer komplizierten Kettenreaktion, an deren Anfang maritimes Flüssigerdgas stand, das war das Verschrobenste daran. Vor den Augen der fassungslosen Weltöffentlichkeit beschleunigten sie zuerst – aus nostalgischen Gründen – eine Untertasse aus handbemaltem Porzellan, dann eine kleine Raumkapsel auf Überlicht. Es knallte nicht wie bei der Schallmauer. Es sah nur so aus, als würde sich die Materie dehnen. Als hätte Salvador Dalí schon immer recht gehabt. Der Jamison-Hedge-Antrieb war geboren, die epochalste Erfindung, die die Menschheit je gemacht hatte (einige sagen: mit Ausnahme von Rad und Brot). Plötzlich gab es keine Grenzen mehr.

Selbstverständlich war der Antrieb zu Beginn noch nicht ausgereift, aber da die finanzstärksten Konzerne des Planeten sich auf dieses Patent stürzten, wurde innerhalb von nur vierzig Jahren eine bemannbare Angelegenheit daraus. Der Rest: Geschichte. War die sogenannte Lichtmauer erst einmal überwunden, schien die jenseitige Geschwindigkeit mit dem Jamison-Hedge-Antrieb geradezu stufenlos steigerbar zu sein. Es war, als sei man in eine Welt hinter den Spiegeln getreten. War es noch unfassbar kompliziert gewesen, an die Lichtgeschwindigkeit heranzukommen, schien jenseits der Lichtgeschwindigkeit das Beschleunigen immer einfacher zu werden, je mehr man beschleunigte. Nachdem das Problem mit der tachyonischen Elektrodynamik ausgeräumt war, ermöglichte es der Jamison-Hedge-Antrieb, das 100 000-Fache der Lichtgeschwindigkeit zu erreichen und mehr. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Zellstruktur des menschlichen Körpers bei Geschwindigkeiten jenseits von 90 Parsec pro 24 Erdenstunden zerfiel. In der experimentellen Anfangsphase gab es diesbezüglich schauerliche Unfälle. Ein Schiffsrumpf, in dem sich die Moleküle eines menschlichen Körpers dermaßen gleichmäßig verteilt hatten, dass sich in jedem Kubikzentimeter dieselbe Konzentration an Organischem befand, war ein Anblick, den man seinem schlimmsten Feind nicht hätte zumuten wollen. Dem Menschen war also ein natürlicher Grenzpunkt gesetzt. Frachten, Maschinen und Funksignalkomprimierungen allerdings konnten sogar noch schneller befördert werden. Und 90 Parsec in 24 Stunden waren bereits bahnbrechend genug, denn das entsprach 300 Lichtjahren an nur einem einzigen Tag. Der Mensch überholte das Licht lachend wie ein Rennwagen einen Ochsenkarren. Siebentausend Lichtjahre entfernte Phänomene wie die Säulen der Schöpfung wurden plötzlich in einem nur dreiundzwanzigtägigen Trip erreichbar.

Infolgedessen begann im Jahre 2514 die Große Expansion. In klapprigen Raumschiffen, die aufgrund von Materialermüdung oftmals sogar noch auseinanderbrachen, machte sich die Menschheit auf wie in der Frühgeschichte der alten Erde die ersten Fische, die das Wasser verließen. Nur dass sie diesmal ins Meer zurückkehrten: ins Sternenmeer.

Seitdem gab es geschätzt 6000 Planeten, auf denen Menschen mit irdischem Migrationshintergrund anzutreffen waren, weitere etwa 100 000 Planeten waren zumindest besucht, begutachtet und kartografiert oder sogar bereits um ihre Rohstoffe erleichtert worden.

Die Menschen besiedelten die Planeten, von denen sie schon immer geträumt hatten, und besiedelten sie so, dass diese Träume wahr wurden. Sie schlossen sich zu Interessengemeinschaften zusammen, statteten gigantische Exodusflotten aus und verwirklichten – einmal angekommen – die ihnen vorschwebende Lebensweise. Es gab nun einen Planeten namens Africa und einen nur für weiße, paranoide Separatisten mit Herrenmenschenambitionen. Es gab einen Planeten, auf dem wieder Samurai das Sagen hatten, und einen, auf dem der Wilde Westen für alle Zeiten Gegenwart war, inklusive selbstauferlegter technologischer Beschränkungen. Viele Planeten hatten einen solchen Themenparkcharakter, denn wenn sich die Menschen in der Unendlichkeit des Raums alles aussuchen konnten, wonach ihnen der Sinn stand – warum dann nicht etwas, das endloses Vergnügen verhieß? Es gab Bordellplaneten, Wassersportplaneten, Wüstenplaneten, Bergsteigerplaneten, Planeten mit so geringer Schwerkraft, dass man beinahe schweben konnte, Planeten für die Riesenechsenjagd, Planeten für Nudisten, Planeten für Fashion, Planeten für die jeweiligen Angehörigen der verschiedensten Konfessionen, Planeten für Fruktarier, einen garantiert pollenfreien Planeten für Allergiker, es gab einen Jazz-Planeten, einen Gothic-Planeten, einen Fußballturnier-Planeten, einen, den seine Bewohner den „Todesstern“ nannten, einen, auf dem nur Frauen lebten und den kein Mann jemals betreten und verpesten durfte, einen, auf dem es überwiegend Transsexuelle gab und auf dem man als geschlechtlich Festgelegter beargwöhnt und schikaniert wurde, einen, auf dem man sich unter mehreren Sonnen bräunen konnte, einen, der wie ein Kuschelzoo war, einen, auf dem es einen Badesee gab, der nach Champagner schmeckte, einen, auf dem sich Musiker trafen, um in Echohöhlen Aufnahmen zu machen, einen, auf dem man zahme Flugechsen reiten konnte, einen mit geringerer Schwerkraft für Übergewichtige, die den vergeblichen Kampf gegen ihre Pfunde aufgegeben hatten, einen, auf dem die Sonnenuntergänge tagelang dauerten, einen, auf dem Goldsucherfestivals veranstaltet wurden und man sich gegenseitig mit harmlosen Laserpistolen aus dem Wettbewerb schießen konnte, einen namens Alexandria II, auf dem man die größte Bibliothek des Universums errichtete, einen, auf dem auf der alten Erde Verbotenes nicht nur erlaubt, sondern erwünscht war, einen, der eine Kopie der alten Erde darstellte und sogar einen Planeten namens Bavarius, auf dem das ganze Jahr über Oktoberfest gefeiert wurde und man im trunkenen Ringkampf gegen Lebewesen antreten konnte, die als Octobear bezeichnet wurden.

Wahrscheinlich waren mittlerweile eintausend der sechstausend besiedelten Planeten solche Themenwelten, niemand vermochte mehr darüber Buch zu führen, obwohl es viele Blogger gab, die schreibend umherreisten. Fünftausend Planeten waren einfach nur Kolonien, schlossen sich zu Commonwealths zusammen und begannen schon wieder kleinliche Kriege um Rohstoffe oder Rechthabereien oder einfach deswegen, weil das Kriegerische den nun plötzlich raumfahrenden Steinzeitmenschen nichtsdestotrotz im Blut lag.

 

Jephron ließ die MAYFIELD sich um die eigene Achse drehen, um alles, wirklich alles sehen zu können. Er brauchte nur die Daumen beider Hände zu bewegen, dermaßen leichtgängig und komprimiert waren die Sticks seiner Steuerung.

Auch er machte jetzt Musik an wie der dicke Pott ein paar zehntausend Meilen backbord von ihm, die Musik des großen Komponisten, nach dem er sein Schiff benannt hatte. Der Song hieß „Keep on pushin’“ und enthielt in einem schwungvollen, fast walzerartigen Rhythmus die Textzeilen: Now look-a look a-look-a yonder, what’s that I see, a great big stone wall, stands there ahead of me, but I’ve got my pride, and I’ll move on aside, and keep on pushin’.

Für Jephron sah es so aus, als würden die Säulen der Schöpfung im Takt des sich bewegenden Schiffes zu tanzen beginnen.

Er lächelte, während er sich vorstellte, dass genau hier, an diesem mysteriösen Ort, der Urknall seinen Anfang genommen hatte. Wenn man sich diese Säulen als eine Art Geburtskammer der Sterne vorstellte, passte der Titel des Songs doppeldeutig perfekt.

 

Als gravierendstes Problem bei der Großen Expansion hatte sich das Kollidieren mit Materie während des Überlichtflugs herausgestellt. Etliche Pionierschiffe waren nicht nur zerborsten, sondern buchstäblich in Planetoiden geklatscht. Daraus ergab sich die nächste Marktlücke neben der Konstruktion von Raumschiffen und dem Bereitstellen von Emigrationsbedarf: die sogenannten Korridore. Korridore waren die Autobahnen des Universums. Auf ihnen wurden Schnellflugstrecken kontinuierlich von Materie frei geräumt, sodass die vollen 90 Parsec/Tag, die ein Mensch verkraften konnte, sorglos ausgeflogen werden konnten. Seitdem es die Korridore gab (erst seit etwa dreihundert Jahren), hatte sich die Aufbruchsbewegung der Menschheit nochmals vervielfacht. Die Reise durchs Weltall war nun nicht mehr nur noch Forschern und Waghalsigen vorbehalten, sondern wurde zum Vergnügen für die ganze Familie. Die Korridore führten natürlich nicht überall hin, aber zu den interessantesten und beliebtesten Nebeln, und von dort aus konnte man sich dann selbstständig weiter verzweigen. Es gab keine Limits mehr. Alles wurde immer einfacher. Und interessanterweise löste die Große Expansion sogar die meisten Probleme auf der alten Erde. Die vielen halsstarrig ineinander verbissenen Gruppierungen konnten sich nun einfach in der Unübersichtlichkeit des Weltalls aus dem Weg gehen, und auch der sich anbahnende Überbevölkerungskollaps auf dem Mutterplaneten der Menschheit wurde abgewendet, denn vierhundert Jahre nach Beginn der Großen Expansion lebten plötzlich nur noch halb so viele Menschen auf der Erde wie zuvor. Die andere Hälfte war aufgebrochen ins größte aller Abenteuer, und mit einem Mal gab es auf der alten Erde genügend Platz und Nahrung und Energie für alle, sodass die Daheimgebliebenen jene, die fortgezogen waren, beinahe bemitleideten.

 

Auf hunderttausend Planeten und ihren Zwischenräumen suchte die Menschheit außerirdisches Leben, wie man es aus Science-Fiction-Filmen kannte.

Wo waren sie, die Klingonen, die Ewoks, die säuremäuligen Aliens, die Daleks, die kleinen grünen oder grauen Männchen, der niedliche E. T. oder die großköpfig sabbernden Invasoren aus dem All?

Planeten mit Leben gab es unzählige. Aber bei den meisten hatte dieses Leben den Charakter von Bakterien, Pilzen, Flora oder Fauna. Im weitesten Sinne humanoide Zivilisationen waren bis zum Jahre 3014 erst ein halbes Dutzend gefunden worden, jede einzelne von diesen wurde als große Sensation behandelt. Jedoch befanden sich vier auf einer Entwicklungsstufe weit unterhalb von Raumfahrttechnologie. Eigentlich gab es nur die Yucconae mit ihren bleistiftdünnen Raumschiffen aus Grafitlegierungen sowie die tentakelbewehrten, von vielen Siedlern etwas despektierlich so bezeichneten „Cthulhuiden“ als ernst zu nehmende außerirdische Konkurrenten – aber beide Fremdrassen verhielten sich ausgesprochen scheu und misstrauisch, genau wie die Menschen.

Zuerst war die Nachricht mit Begeisterung aufgenommen worden, in den Tiefen des Weltraums nicht alleine zu sein.

Dann hatten sich die Skeptiker zu Wort gemeldet: War das Nicht-Alleinsein eigentlich eine gute oder eine schlechte Neuigkeit? Die Sache war doch nämlich so: Wenn sich auf der Erde zwei Menschenstämme begegneten, konnten sie damit beginnen, beiderseitig nutzbringende Handelsbeziehungen zu etablieren, sie konnten aber auch miteinander in Konflikt geraten. Über Nichtigkeiten. Oder über Territorien. Der Gedanke, dass es im grenzenlosen Universum nun Bereiche gab, die anderen Lebewesen gehören mochten, war neu für die Menschheit. Für die Yucconae und die Cthulhuiden möglicherweise auch. Also beschlossen alle, einander so gut wie möglich zu ignorieren.

Schließlich hatte es nie Probleme bereitet, „den anderen“ in den fassungslosen Weiten der Galaxis aus dem Weg zu gehen. Eher schon war es schwierig, überhaupt mit „den anderen“ in Kontakt zu treten. Wie die Yucconae aussahen, wusste man bis heute nicht, aber man stellte sie sich als eine Art technisch hochversierter Stabheuschrecken vor. Die „Cthulhuiden“ flogen in Klapperkisten, deren technischer Standard in etwa den störungsanfälligen Menschenschiffen zu Beginn der Großen Expansion entsprach.

Die Philosophen hatten bald eine Formulierung dafür parat gehabt, dass es im All so wenig reisende Völker gab und dass diese sich zueinander argwöhnisch verhielten: „Offensichtlich besteht der Hauptzweck des Universums nicht darin, Menschen oder Raumfahrer hervorzubringen. Es gibt weitaus mehr Blumen und Meere da draußen als solche, die Sträuße binden und fischen sollen.“ Was natürlich wiederum vielen etwas weniger komplex denkenden Erdlingen bestätigt hatte, wie verhältnismäßig einzigartig und auserwählt sie mit ihrer schönen, blau leuchtenden Herkunft doch waren.

 

Jephron behielt seine Instrumente stets im Blick. Der größte Teil der Energieversorgung der MAYFIELD lief über Fotovoltaik, er konnte jederzeit in der Nähe einer Sonne parken und das Schiff binnen zweier Stunden vollständig aufladen. Es war bald wieder Zeit für ein solches Manöver, das die Piloten als Sonnenbad bezeichneten.

Das war schon faszinierend, wie heiß und glühend und partikelstürmisch es hier überall sein konnte, wenn man nur nahe genug heranflog an die Punkte inmitten der Kälte. Der Weltraum war wie eine nächtliche Wüste, in der überall Schätze vergraben lagen.

Jephron sah, wie das Dreimannschiff abdrehte. Ein ehemaliger Schlepper, umgebaut zu einem Frachttransporter. Hatte wahrscheinlich schon hundert Jahre auf dem Buckel, anders als die MAYFIELD, die eine Werft in einem Cluster aus fünf Monden vor sechzehn Jahren nagelneu ausgespien hatte.

Vor sechzehn Jahren, als Jephron gerade zweiundzwanzig gewesen war und verrückt genug für das größte Wagnis jenseits der Raumfahrt selbst. Das Wagnis, das auch jetzt wieder seine Schlingen auswarf wie jedes Jahr.

Dungeoncrawler.

Die größte Show des Universums.

Jephron seufzte. Er würde auch dieses Jahr wieder hinfliegen. Vorher brachte er noch die vereinbarte Fracht termingerecht nach Xocotl IX, dann zog es ihn wieder nach Laurel.

 

Die MAYFIELD hatte nicht so viel Stauraum wie das Dreimannschiff, das gemütlich davonflog, aber es reichte für gekühlte Lieferungen von Früchten, die es nur auf bestimmten Planeten gab, handgeschöpfte Schokolade nach irdischem Rezept, Musikinstrumente aus Familientraditionsmeisterhand, Weine, Morastplanetentrüffel, ethnische Traditionsgegenstände wie Kolonistentrachtenkleidung oder Schmuck, originale Steine von einer Welt mit zwanzig Meilen hohen Bergen oder Strandsand vom Champagnersee, beglaubigte Dokumente, extraterrestrische archäologische Mitbringsel und Ähnliches. Alles, was nicht lebte, was wenigstens zwei Wochen haltbar war und nicht allzu viel Platz einnahm. Schon bei einer zu befördernden Person haperte es, Jephron wollte niemanden auf seinem Schiff haben, er hatte auch gar keine zweite Kabine. Piloten wie er bedienten die Sehnsüchte der Kolonisten. Schiffe von der alten Erde versorgten französischstämmige Siedler in den Untiefen des Kokonnebels mit Camemberts, die tatsächlich aus der Normandie stammten. Jephron dagegen verband eher die Kolonien miteinander, auf der alten Erde war er noch nie gewesen. Je mehr sich die Menschheit in der Galaxis verstreut hatte, desto mehr war die alte Erde zu einem Sehnsuchtsort geworden wie das Haus, in dem man als Kind gelebt hat, aber in dieser Hinsicht hielt Jephron es mit dem russischen Raumfahrtpionier Konstantin Ziolkowski, der einmal gesagt hatte: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben.“ Jephron faszinierte es eher, was die Menschen auf den unterschiedlichen Planeten einander zu bieten hatten, als dass er modischer Erdnostalgie nachhing.

 

Vor der heutigen, etwas weinerlichen Verklärung der alten Erde hatten die meisten der Siedler es gar nicht erwarten können, die irdischen Konventionen abzustreifen. Sie hatten sich losgesagt von Gesetzen, Verboten, Steuern, Terrorismus, hartnäckigen Reklame-K. I.s und Datenerfassung und sich ein Dasein nach ihren eigenen Regeln eingerichtet. Anfangs hatte die irdische Weltraumverwaltung noch versucht, den Daumen draufzuhalten, hatte sogar Truppen geschickt, um politische Abspaltungen und Steueroasen zu ahnden. Doch mehr und mehr Planeten waren besiedelt worden, und spätestens, als es über tausend waren, gab die Erde den Versuch auf, alles kontrollieren zu wollen. Sie hatte einen eigenen Planeten terraformt, der Militär und Behörden beherbergte, aber auch die waren irgendwann hoffnungslos überlastet gewesen und nach mehreren heftigen Scharmützeln schließlich auch deutlich dezimiert.

Am respekteinflößendsten war heutzutage die IPF, die Interstellar Police Force, die mit ihren rot-silberblauen Kanonenbooten überall anzutreffen war, aber die IPF war genau genommen längst keine staatliche Einrichtung mehr, sondern ein privatisierter Player. Im Grunde genommen eine Söldnerarmee, die sich aufführte wie ein Pausenhoftyrann und die man jederzeit mieten/schmieren konnte, um die eigenen Interessen zu vertreten.

Dann gab es noch die Päpstlich-Missionarische Flotte, der es um den Erhalt und die Verbreitung des Katholizismus ging, sowie die diplomatischen Schiffe der ebenfalls inzwischen im irdischen Rom residierenden Interplanetaren Regierung, die allerdings nur noch zuständig war für die etwa zweitausend der sechstausend besiedelten Planeten, die sich weiterhin ausdrücklich als der irdischen Hoheit unterstellt betrachteten. Weder der Papst noch die Interplanetare Regierung mischten sich in Angelegenheiten, die sie nichts angingen, also herrschte zwischen den Sternen überwiegend Gesetzlosigkeit. Vergleichbar den Zeiten, in denen die Menschen noch die Weltmeere auf salzkrustigen Segelschiffen befuhren und beständig auf der Hut zu sein hatten vor Piraten.

Jephron und seine MAYFIELD hatten auch schon mehrmals mit Piraten zu tun bekommen, aber die MAYFIELD hatte vier Vorteile: Sie war schnell, winzig klein, wendig und wehrhaft. Float like a butterfly, sting like a bee, zitierte Jephron gerne, bevor er allzu vorwitzigen Möchtegernplünderern mit seiner doppelläufigen Bordimpulskanone den Bug wegschmorte. Bislang hatte es noch niemand fertiggebracht, ihm auch nur einen einzigen Morastplanetentrüffel zu stehlen. Zumindest nicht im All. Auf den Planeten selbst war er natürlich schon übers Ohr gehauen worden wie wohl jeder, der zwischen den Sternen verkehrte. Windige Geschäftemacher würde es immer geben, auch dann, wenn die Menschheit eines Tages Wurmlöcher entdeckte, die Milchstraße verließ oder sich in andere Dimensionen aufmachte.

 

Er steuerte zurück in die Nähe eines Hellen Riesen der Leuchtkraftklasse II. Umso schneller würde das Aufladen im Sonnenbad vonstattengehen.

Es gefiel ihm, die überwältigenden Datenmengen des SpaceNets zu konsultieren, um zu erfahren, ob dieser Stern einen Namen trug. Das tat er durchaus, aber er klang nicht besonders lyrisch: BI657/JHI-2444.

Jephron fuhr die Solaraggregate aus, legte die MAYFIELD mit dem Partikelschutzschirm voran in den Sonnenwind, zog sich nach hinten durch den schlanken Leib seines Schiffes, saugte ein bisschen aufbereitetes Wasser und schnallte sich für ein paar Stunden in seinen Schlafbeutel, während die Annäherungssensorik der MAYFIELD für ihn Wache hielt. Sein Schiff war bei Weitem nicht groß genug, um eine eigene Zentrifugalschwerkraft erzeugen zu können, geschweige denn sich einen diesbezüglichen Feldgenerator leisten zu können, aber das störte ihn nicht. Gegen den Muskelschwund unternahm Jephron regelmäßig Landungen auf Planeten mit höherer Schwerkraft als der Erde und hielt sich dort mit Laufeinheiten und Gewichtstemmen in Form. Auch im Schiff hatte er Geräte. In der Schwerelosigkeit konnte man mit Gewichten nichts anfangen, aber mit einer Federstange, zwei Handtrainern und einem schwergängigen Ergometer konnte man der Atrophie entgegenarbeiten. Für einen 38-Jährigen war Jephron hervorragend in Schuss, und er tat einiges dafür, nicht so aufzudunsen und zu erschlaffen wie etliche andere Einmannsegler, die ihre Pilotensitze kaum noch verlassen konnten oder wollten.

Er schlief höchstens eine irdische Dreiviertelstunde, in der er von einem Schiffsrennen durch ein Asteroidenfeld träumte, bei dem fast jeder zweite Teilnehmer explodierte, dann weckte ihn das durchdringende Piepen eines Anrufs. Er tastete sich schwebend zur Konsole vor, ließ die Bildübertragung aber weg. Reichte doch, dass er Violaine sehen konnte, seine fast achtzigjährige Verbindungsfrau zu seinem Heimatplaneten Tonatiuh IV, 317 Lichtjahre von der alten Erde entfernt. Er sah Violaines schockrote Perücke leuchten, ihr alterslos schönes Gesicht mit den riesigen Augen. Die knallgrüne enge Latexhose, die sie am liebsten trug, um Männer zu verführen, die halb so alt waren wie Jephron und somit ihre Urenkel sein konnten, war in dieser Cam-Perspektive nicht zu sehen. Er hatte einmal Bilder gesehen von Violaine in ihrer Jugend. Sie musste eines der hübschesten Geschöpfe gewesen sein, die das Universum je hervorgebracht hatte. Heute konnte er sie unbedrängt bewundern, denn er war zu alt, um in ihr Beuteschema zu passen.

„Bildübertragung kaputt oder Bad Hair Day, Jeph?“

Er knurrte: „Hab grad geschlafen.“

„Du bist doch nicht etwa nackt, Schamloser?“ Sie machte ein geschauspielertes Schockiertgesicht.

„Bin ich nie“, sagte er so unbetont wie möglich. „Was gibt es denn?“

„Hör mal, ich hab hier was für dich. Einer der Kontraktoren von Tau Gelb hat diesmal richtig Mist gebaut und ist endlich gefeuert worden. Hundertfünfzig Kilo Guanodünger von Deneb Dulfim III passen doch gut rein in dein Schiff.“

„Aach, das stinkt mir doch schon wieder die ganze Hülle voll …“

„Diesmal nicht, versprochen. Ist alles gut vertütet und verschweißt. Fünfzig Säcke.“

„Deneb Dulfim, was ist das noch mal?“

„Epsilon Delphini. Ist genauso weit von der Erde weg wie ich jetzt, aber in anderer Richtung.“

„Stimmt. Okay, klingt machbar, aber ich …“

„Du musst erst noch nach Xocotl IX und dann wieder nach Laurel, du Junkie, weiß ich doch, kenn ich doch schon alles. Es ist die Zeit des Jahres, wo es die Lachse die Stromschnellen hochtreibt. Die Sache eilt nicht allzu sehr, vertüteter Dünger hält sich ja. Hier kriegt diesen Auftrag erst einmal keiner, denn ich habe ihn geblockt, weil ich immer an dich denke.“

„Und wo soll das dann hin?“

„Fast so weit draußen, wie du jetzt gerade bist. Deshalb will ich es nicht selbst machen.“ Violaine hatte einen eigenen Einmannsegler, die MISBEHAVE, aber sie hasste es, in ihrem Alter allzu lange ohne männliche Gesellschaft unterwegs sein zu müssen. Und mit männlicher Gesellschaft wurden ausgedehnte Reisen schnell zur Nerverei.

„Das heißt, ich muss erst rein und dann wieder raus?“ Rein bedeutete: in Richtung alte Erde, die der Einfachheit halber nach wie vor den Mittelpunkt sämtlicher Sternenkarten bildete. Raus bedeutete: in Richtung Galaxisrand. Jephron legte so viel Unbegeistertheit wie möglich in seine Stimme.

„Es liegt auf einer Strecke, ich hab’s ausgerechnet. Du fliegst doch jetzt ohnehin erst mal über Laurel. Von dort aus dann weiter rein nach Deneb Dulfim und dann in fast gerader Linie wieder raus. Leichter geht’s kaum.“

„Verfliegen kann man sich ja ohnehin nicht. Aber ich werde fast zwei Monate brauchen für das alles.“

„Ist doch gut! Zwei Monate unter festem Vertrag, was willst du mehr?“ Bei einem jüngeren Kerl hätte sie jetzt spielerisch angeboten: Soll ich dich begleiten kommen, Honigmund?

„Also schön. Sag ihnen, ich bin unterwegs, aber ich werde eine Woche auf Laurel bleiben.“

„Was willst du denn dort so lange? Den Dummköpfen beim Sterben zusehen?“

„Man muss da nicht sterben. Ich bin auch nicht gestorben.“

Sie lächelte mitleidig. Er verwendete die seit einigen Jahren unter Unangepassten übliche Abschiedsformel „Rioght!“, schaltete die Verbindung ab und rieb sich das Gesicht.

Zwei Monate unter Vertrag waren wirklich nicht übel. Auch wenn er Vogelscheiße transportieren musste. Die Vögel von Deneb Dulfim waren sicherlich immerhin sogar noch schöner als die auf der alten Erde. Er hatte mal gelesen von welchen auf einem Fremdplaneten, die Flügelspannweiten von dreißig Metern hatten und singen konnten wie Meerjungfrauen. Das Universum war der Ort, an dem sämtliche Märchen Entsprechungen fanden.

Die Verbindung piepste schon wieder. Es war noch einmal Violaine. „Nur aus Neugier“, sagte sie. „Hast du gebetet an den Säulen?“

Jephron dachte kurz nach, dann sagte er: „Mit dem Beten hat meine Familie aufgehört, als sie als Sklaven nach Amerika verschleppt wurden.“

„Einleuchtend. Man hätte aber dennoch wieder damit anfangen können, als die Menschheit ihr Sonnensystem und damit die Sklaverei für immer hinter sich ließ. Rioght!“

„Rioght!“

Dann war es wieder still um ihn, aber er war nicht mehr müde genug, um nicht fliegen zu wollen.

Tobias O. Meißner

Über Tobias O. Meißner

Biografie

Tobias O. Meißner, geboren 1967, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane werden von der Kritik hochgelobt. Meißner wurde von der Zeitschrift „Bücher“ als einer der „10 wichtigsten Autoren von morgen“ ausgezeichnet. Bei Piper sind u.a. die apokalyptischen Epen um „Die Dämonen“ sowie...

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