Bambini sind Balsamico für die Seele - eBook-Ausgabe
Geheimnisse italienischer Kindererziehung
„Ein Erziehungsbuch, eine locker erzählte Kindheitsgeschichte, interkulturelle Beobachtungen, Familienanekdoten - unterhaltsam, teilweise witzig.“ - Wiener Zeitung
Bambini sind Balsamico für die Seele — Inhalt
In Italien gibt es eine Art Gesetz, das lautet: „Meine Kinder sind besten!“ Für Antonio, bekannt aus Maria, ihm schmeckt’s nicht, gibt es daran nichts zu rütteln. Und für seine Tochter Sandra Limoncini auch nicht. Warum sollte man so vollkommene Geschöpfe also mit Golfkursen oder musikalischer Früherziehung quälen? So werden die Kleinen lieber beschmust als an der Geige festgebunden und bekommen auch nach neun Uhr abends noch ein Gelato ins Händchen gedrückt. Fröhliche Geschichten vom Kindererziehen all'Italiana – für mehr Remmidemmi in deutschen Familien!
Leseprobe zu „Bambini sind Balsamico für die Seele“
VORWORT
von Jan Weiler
In schweren Stunden träume ich von einem Leben als preußischer Vater ganz alter Schule. Ich möchte dann natürlich keine Schlägertype mit Rohrstock und Uniform sein, aber schon eine Respektsperson. Dann salutieren die Kinder, singen morgens ein munteres Lied und reden mich mit „Herr Papa“ an. Sie gehorchen mit einer geradezu dämlichen Fröhlichkeit. Und auch meine Gattin hat keinen Anlass für trüben Revanchismus gegenüber ihrem Mann, denn ich bin gerecht und freundlich, da alle machen, was ich sage. Ich bin der Boss. Und ja: Ich gebe [...]
VORWORT
von Jan Weiler
In schweren Stunden träume ich von einem Leben als preußischer Vater ganz alter Schule. Ich möchte dann natürlich keine Schlägertype mit Rohrstock und Uniform sein, aber schon eine Respektsperson. Dann salutieren die Kinder, singen morgens ein munteres Lied und reden mich mit „Herr Papa“ an. Sie gehorchen mit einer geradezu dämlichen Fröhlichkeit. Und auch meine Gattin hat keinen Anlass für trüben Revanchismus gegenüber ihrem Mann, denn ich bin gerecht und freundlich, da alle machen, was ich sage. Ich bin der Boss. Und ja: Ich gebe zu, dass die Emanzipation der Frau in diesen Träumen keine Rolle spielt. Aber alternative Schulformen spielen auch keine Rolle. Und Elektromobilität ebenfalls nicht, obwohl ich diese drei Errungenschaften normalerweise für epochal halte und mit Löwenmut für sie eintrete. Wie kann es also zu dieser erschreckenden Regression meiner Persönlichkeit kommen, die ich übrigens bedauere und für die ich mich bei sämtlichen modernen Frauen, Müttern und Preußen mit aufrichtigem Bedauern entschuldige?
Es ist ganz einfach: Manchmal wird mir das hier alles zu viel. Zu bunt, zu laut. Dann quatschen alle durcheinander, die Kinder bleiben länger auf als ich, und es werden zu viele Kohlehydrate verzehrt. Die letzten drei Ereignisse haben allesamt damit zu tun, dass meine Gattin – deren Buch Sie gerade in den Händen halten – Italienerin ist. Sie ist auch eine halbe Deutsche, besitzt beide Pässe, und in ihrem Genpool planschen alle Eigenschaften herum, die man den beiden Nationen als identitätsbildend zuschreibt. Das ist faszinierend, auch weil man nie genau weiß, welche Seite in meiner Frau im nächsten Moment die Oberhand erhält. Sie findet es richtig, dass wir den Müll trennen. Aber diese bürgerliche und sehr deutsche Einsicht hält sie nicht davon ab, im Stau auf dem Standstreifen zu überholen. Sie isst für ihr Leben gerne Pasta, bereitet aber auch ausgezeichnete Rinderrouladen zu. Sie möchte, dass im Kino alle außer George Clooney die Klappe halten, weil es unhöflich ist, wenn Zuschauer die ganze Zeit quatschen. Aber wenn George Clooney einmal in die Verlegenheit geriete, mit ihr kontrovers zu diskutieren, käme er sicher nicht zu Wort. Genau wie ich.
Diese Unwägbarkeiten machen meinen Alltag sehr spannend. Und die Kindererziehung auch. Mir kommt es manchmal so vor, als gäbe es bei uns keine Regeln. Aber das stimmt nicht. Natürlich gibt es die: Die Kinder sollen anständig sein – und ordentlich über die Stränge schlagen. Sie möchten bitte fleißig üben – aber nur, wenn sie Lust dazu haben. Sie müssen ihr Geld beisammenhalten, damit sie es anschließend für völligen Unsinn ausgeben dürfen. Sie sollen gefälligst freundlich mit anderen Kindern umgehen, sich aber nichts gefallen lassen. Wir erwarten von ihnen, dass sie auf uns hören, aber Duckmäuser sollen sie nicht werden. Das klingt furchtbar anstrengend, und das ist es manchmal auch, denn natürlich ergeben sich im Alltag haufenweise Widersprüche. Bei uns wird deshalb mehr geredet und verhandelt und diskutiert als in der UNO-Vollversammlung. Dabei hätte ich oft gerne einfach Ruhe. Stille. Totale Abwesenheit von Geräuschen jeglicher Art. Aber dafür hätte ich vielleicht eine Pfarrerstochter aus dem Sauerland heiraten müssen.
Ich lebe also in Anbetracht dieser Alternative damit, dass die beiden einzigen kontemplativ orientierten Bewohner unseres Hauses – außer mir zählt in dieser Kategorie noch ein eingestaubter Kaktus von zwergenhafter Gestalt – wenig Aussicht haben, Ruhe oder wenigstens Bedachtsamkeit als Kulturtechniken des Zusammenlebens durchzusetzen. Und weil das so ist und mir ohnehin niemand zuhört (außer, ich kaufe mir ein Megafon), hat meine Frau weite Teile der Kindererziehung übernommen. Sie rührt dabei die besten Zutaten ihrer deutschen Sozialisation mit den allerbesten italienischen Glücks-Ingredienzen zu einer faszinierenden Minestrone-Pädagogik zusammen. Davon und von den vielen Vorteilen, die das hat, handelt dieses Buch.
Nur manchmal wird mir das, wie gesagt, zu viel. Dann träume ich davon, ein preußischer Vater der ganz alten Schule zu sein. Aber das geht schnell vorüber.
ICH HABE EINE EINLADUNG. Zu einem sogenannten „Hausfrauen-Frühstück“. Die Kinder wurden erfolgreich in die Schule oder den Kindergarten abgeschoben, und Mutti kann sich endlich entspannen. Am besten mit ihren Freundinnen, Nachbarinnen, anderen Müttern, um über Windelcremes, Inhalte aus der aktuellen „Bunten“ oder andere weltbewegende Dinge zu sprechen.
Der Tisch ist gedeckt, der Latte Macchiato fertig, und die Semmeln duften.
Ich bin zum ersten Mal bei solch einem Event dabei. Bisher konnte ich Einladungsversuche mit dem Verweis auf meinen Job immer abwehren. Oder eines der Kinder war erkältet. Oder das Auto kaputt. Diesmal aber musste ich mit. Meine beste Freundin, Alessandra, Italienerin aus Neapel und die beste Schuldeneintreiberin, die ich kenne, hatte noch etwas gut bei mir. Ich Rindvieh habe sie einmal gebeten, meinen Vater, der bei mir zu Besuch war, eine Stunde zu bespaßen, beziehungsweise abzulenken, weil ich zum italienischen Konsulat nach München musste und meinen Vater auf keinen Fall mitnehmen wollte. Wenn ich dort mit meinem Vater auftauche, kann ich mir auch gleich einen Schlafsack und eine Isomatte mitnehmen, weil er sich mit allen unterhalten will und ich unter zwölf Stunden dort nicht wieder herauskomme.
Da saß ich also, unter top gelaunten jungen Müttern und wurde freundlich ausgefragt, wie viele Kinder etc., was mein Mann beruflich usw. und woher der so schön klingende Nachname denn komme?
Nachdem sich alle genügend beschnuppert hatten, legten die Damen auch schon mit der ersten Diskussion los, über Kinder, deren Erziehung, was sie essen sollten, welche Bücher man bräuchte, um mehr über dieses oder jenes Thema zu erfahren.
Als ich anmerkte, ich hätte so einen Ratgeber noch nie zu Ende gelesen, wurde es merklich leiser um mich herum. Ich erklärte, über drei Seiten sei ich einfach nicht hinausgekommen. Da erstarb das Gespräch völlig. Es fehlte nur noch die entsprechende Musik, die immer bei Duellen im Western gespielt wird, oder dass ein Tumbleweed durch das Esszimmer rollte. Ich sah zu Alessandra hinüber, die sich offenbar gerade überlegte, ob wir jetzt besser unter einem hastig gemurmelten Vorwand die Party verlassen sollten. Aber sie blieb tapfer sitzen. Also wurde ich von den belesenen Damen belehrt, es gäbe „suuuuper“ Bücher zum Thema Durchschlafen durch Ferberisieren, Sauberwerden, außerdem über die Schwierigkeiten von Erstgeborenen, wie man trotz zweier Kinder seine Beziehung rettet, worauf man achten muss, wenn man einen Hund hat und danach erst ein Kind bekommt. An diesem Punkt stieg ich gedanklich aus dem Gespräch aus.
Alessandra sagte, dass niemand in Neapel derartige Bücher lese. Es gebe dort in den Buchläden gar nicht so viele Ratgeber. Das sei in Deutschland ganz anders, berichtete sie.
„Wenn man bei Amazon ›Erziehung‹ eingibt, erscheinen haufenweise Fibeln über Welpen-, Hunde- und Kindererziehung.“ Sie habe sich daher schon gefragt, ob Welpen- und Kindererziehung in Deutschland dasselbe ist. Könnte man die Tipps, die in Hundeerziehungsratgebern stehen, einfach übernehmen und auf Kinder anwenden?
Da könnte etwas dran sein. Sehen Sie mal:
„Konsequenz bedeutet, sich stets an die gleichen Regeln zu halten. Aber es bedeutet vor allem, von einem Kind nichts zu fordern, was man nicht durchsetzen kann oder will, da man ansonsten automatisch inkonsequent verfährt.“
„Situativ konsequent sein heißt, sich in ähnlichen Situationen ähnlich verhalten. Ein Hund muss wissen, was erlaubt ist und was nicht, und er muss davon ausgehen können, dass diese Regeln auch morgen gelten. Wer heute eine Verhaltensweise seines Hundes nicht akzeptiert, darf sie auch morgen nicht akzeptieren. Das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall: Wer eine bestimmte Verhaltensweise am Montag toleriert oder gar lobend anerkennt, der verunsichert seinen Hund, wenn er sich von demselben Verhalten am Mittwoch aus der Fassung bringen lässt. Versuchen Sie, so berechenbar wie möglich zu sein.“
Bei diesen beiden Zitaten habe ich die Worte „Kind“ und „Hund“ miteinander vertauscht. Fällt doch nicht weiter auf. Das erste Zitat stammt aus einem Buch über Hundeerziehung, das zweite aus einem Elternratgeber zum Thema „Konsequenz“. Komisch, oder?
Die Gastgeberin des Hausfrauen-Frühstücks räumte zum Glück irgendwann die lustigen Motivservietten beiseite und verabschiedete alle Gäste mit folgenden Worten: „Wir sehen uns ja dann“, in meine Richtung nuschelte sie: „War nett dich kennenzulernen.“ Ich glaube, wir werden keine sehr engen Freundinnen.
Die bedauernden Blicke der ferberisierenden Mütter brachten mich dazu, meine Mutter anzurufen. Sie ist Deutsche, genauer gesagt Rheinländerin, und hat drei Kinder großgezogen – vier, wenn man meinen Vater mitrechnet. Sie erzählte, sie habe sich über Erziehung nie irgendwelche Gedanken gemacht. Dazu habe sie auch schlicht und einfach keine Zeit gehabt. Außerdem sei sie jetzt über vierzig Jahre mit einem Italiener verheiratet, das färbe ab.
Probleme zwischen mir und meinen Eltern gab es eigentlich nur, wenn mein Vater seine strengen und sehr traditionellen Maßstäbe anlegen wollte, besonders in Bezug auf mein jugendliches Partyleben. War er jahrelang ein Vater, der uns an der langen Leine unsere Freiheit ausleben ließ, endete diese in dem Moment, als die ersten pickeligen Jungs mit ihren Mofas vor unserem Reihenhaus auftauchten. Er hielt alles an ihnen (und an ihren Mofas) für mindestens moralisch fragwürdig, wenn nicht sogar untragbar. Auf einmal war ich viel zu jung, um auszugehen. Von wegen Freiheit. Plötzlich war alles gefährlich, auch der Weg, den ich jahrelang allein zur Schule gegangen war. Jungs waren es sowieso.
Ich hatte dann auch keine Lust mehr, mit meiner Familie stundenlang beim Essen zu sitzen. Und als ich verkündete, so wie meine Schulfreundinnen meine Nudeln mit Ketchup essen zu wollen, fasste er sich dramatisch an die Brust und tat so, als erlitte er einen Herzinfarkt. Seine kleine italienische Tochter wurde mit einem Mal so deutsch, dass er sie nicht mehr verstand. Aber das änderte sich zum Glück auch wieder. Eigentlich bin ich bis heute hin und her gerissen zwischen den Kulturen meiner Eltern. Ich weiß nie, was ich sagen soll, wenn ich gefragt werde, ob ich Deutsche oder Italienerin bin. Vielleicht bin ich eine deutsche, am Niederrhein aufgewachsene Italienerin. Ich habe einen deutschen und einen italienischen Pass. Ich schummele beim Spielen, fahre über rote Ampeln, heule bei Siegerehrungen und zelebriere eine große Schwäche für rheinischen Sauerbraten. Mein Vater stammt aus Süditalien, meine Mutter aus einer Stadt in der Nähe von Düsseldorf. Was das für meine Erziehung bedeutet hat, kann sich sicher niemand so recht vorstellen. Jedenfalls war es bei uns nie langweilig.
Als ich selber Mutter wurde, keimte in mir der Verdacht auf, dass ich irgendetwas anders mache als andere Mütter. Immer wieder fand ich mich in Situationen wieder, zum Beispiel im Kindergarten oder in der Schule, wo meine Reaktionen zu größeren Irritationen führten. So wie bei diesem Hausfrauen-Frühstück. Gerne aber auch gegenüber Kindergärtnerinnen oder Lehrerinnen.
Ob anders gut oder schlecht ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Nie im Leben würde ich behaupten, das Geheimnis glücklicher Kinder entdeckt zu haben oder meine Kinder als besonders glücklich zu bezeichnen. Dafür streiten wir uns vielleicht auch zu oft. Aber irgendwie macht es riesig Spaß und funktioniert – und von dem Irgendwie handelt dieses Buch.
Es erzählt von Erfahrungen, die ich gemacht habe, und es erzählt die Geschichten, die ich in zwei völlig unterschiedlichen Familienwelten erlebt habe, der deutschen und der italienischen. Mit der Gründung meiner eigenen Familie habe ich mich nämlich nicht für eine Variante des Familienlebens entschieden. Vielmehr vermischen sich diese zu einer neuen Version, zu einem deutsch-italienischen Mix, in dem mal die eine, mal die andere Seite stärker zur Geltung kommt.
Eines noch: Dieses Buch ist auf keinen Fall ein Ratgeber. Und falls mir tatsächlich an der einen oder anderen Stelle ein Rat oder ein klitzekleines Rätchen rausrutscht, dann versehentlich. Auf keinen Fall befolgen! Machen die Italiener auch so.
„HAST DU
IMMER NOCH
HUNGER?“
Damals wollten mein Mann und ich sehr gerne ein Kind, bloß nicht sofort. Wir waren schließlich jung und hatten Zeit. Wir planten abzuwarten und nichts zu überstürzen, da es ja ohnehin nach dem Absetzen der Verhütungsmittel ein bisschen dauert, bis es klappt.
„Nur Geduld. Das kann auch mal zwei oder drei Jahre dauern, bis ein Kind tatsächlich …“ So weit mein Gynäkologe. Zehn Tage später hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand.
Die Freude und vor allem die Überraschung waren groß. Besonders bei meinem Mann. Ich überlegte kurz, wem ich es nach ihm als Erstes erzählen sollte? Meiner Mutter oder meiner Schwiegermutter? Bei wem war es wahrscheinlicher, dass sie beleidigt wäre, wenn sie die glückliche Nachricht erst als Zweite erfuhr? Meine Mutter wurde die Erste. Sie war überrascht, behielt aber die Fassung. Mein Vater hingegen weinte hemmungslos vor Glück über den ersten Enkel (eine Enkelin schloss er als Möglichkeit aus), und ich sollte gleich entscheiden, ob ich stillen wollte oder nicht. Danach startete ich einen Rundruf, um sämtliche Verwandten davon in Kenntnis zu setzen, dass sie Oma, Opa, Tante, Onkel, Großcousin oder Pate werden würden. Ich freute mich einfach so sehr, dass es alle erfahren mussten. Meine Freundin Alessandra war unter den ersten zehn, die es erfuhren. Sie hat innerhalb weniger Minuten ihre zwanzig wirklich allerengsten Freunde informiert, sodass nach einer halben Stunde die erste Nachfrage eintraf, wann es denn so weit sei. Großartig. Verschwiegen wie Papageiengräber, die Damen. Meine Nonna in Italien war ebenfalls außer sich vor Freude und bat um sofortigen Besuch, um die Kreatur bestaunen zu können. Sie sagte tatsächlich „Kreatur“, was für deutsche Ohren recht grob klingen mag. Im Italienischen ist damit jedoch kein Monster gemeint, sondern die Kreatur im Sinne der Schöpfung, also das von Gott gegebene Menschlein. Ich fragte höflich, ob es in Ordnung sei, wenn ich das Kind erst noch gebären würde. Anschließend käme ich natürlich sofort, um es zu präsentieren.
Im ersten Drittel der bisher für Außenstehende unsichtbaren Schwangerschaft fuhr ich nach Italien zur Hochzeit meines Cousins. Nonna Emma, meine Großmutter, hatte das große Bett in ihrem Schlafzimmer für mich frei gemacht, weil ich ihrer Ansicht nach Platz bräuchte. Riesig war dann ihre Enttäuschung, als ich vor ihr stand: Nichts zu sehen, kein Bauch, noch nicht mal ein Bäuchlein. Die Lieblingsenkelin sah aus wie immer. Dennoch nahm mich meine Oma an die Hand und zog mich hinter sich her durchs Dorf. Jeder, der uns begegnete, kam in den Genuss der frohen Kunde über die baldige Geburt eines Urenkels. Nachbarn, der Kassierer im Supermarkt, der Gemüsehändler, ein Mann auf einer Vespa, der an der Ampel auf Grün wartete. Ich musste ständig wieder meinen flachen Bauch herzeigen, und Nonna Emma kommentierte: „Sie ist wirklich schwanger, sie kann nichts dafür, dass man noch nichts sieht.
Ihre Mutter ist Deutsche, vielleicht liegt es daran. Oder am Essen.“
Um größeren Schaden abzuwenden, ermahnte meine Nonna mich, möglichst viel zu essen. „Mehr als sonst?“, fragte ich, denn ich bin das, was man in Italien „eine gute Gabel“ nennt, ich esse immer und möglichst viel, wenn’s geht. Aber Nonna meinte, es sei gerade jetzt besonders wichtig, viel zu essen. Richtig viel. Sagenhaft viel. Denn wenn man sich etwas versage, habe das katastrophale Folgen. So wie bei Antonella, der Tochter von Frau Diodati, die über ihr wohnte. Antonella habe in ihrer Schwangerschaft dauernd „nein“ gesagt und nie, nie gegessen, wonach ihr der Sinn stand, und jetzt habe sie den Salat, denn ihr Kind habe überall diese fiesen Flecken auf der Haut.
Um zu erklären, um was für Flecken es sich da handelt, muss ich ein wenig ausholen: Schwangere Frauen haben Gelüste. Ich weiß mittlerweile, dass dies hormonelle Gründe hat, die Details dazu spielen jetzt keine Rolle. Von diesen Gelüsten hat man jedenfalls schon gehört. Die dicke Frau im Bett will unbedingt saure Gurken und Käsekuchen, und zwar um halb elf abends, wenn kein Geschäft mehr geöffnet hat. Und der bemühte Ehemann, der diese Mahlzeiten besorgen soll, ist tief verzweifelt, weil sein Walfisch mit schlechter Laune in den Kissen liegt und er daran nichts ändern kann. Ergo gibt’s Tränen und miese Stimmung und so weiter.
In Italien haben Schwangere die gleichen hormonellen Schwankungen und die gleichen Gelüste. Wenn jetzt aber eine italienische Frau – sagen wir im siebten Monat und um halb vier in der Nacht – den Wunsch nach Himbeeren verspürt und sich dann in einer dramatischen Aufwallung an den Arm fasst, hat das Kind später an der gleichen Stelle einen Fleck. Und zwar in der Farbe der Himbeeren. Wenn es um Kaffee ginge, würde der Fleck braun aussehen. Ich habe mich oft gefragt, wie ein Kind aussieht, dessen Mutter sich einen Obstsalat gewünscht und sich dabei an die Stirn gefasst hat.
Ich wurde jedenfalls angehalten zu essen. Mein Einwand, dass man davon möglicherweise dick werden könnte, wurde abgetan mit den Worten, das sei auch richtig so. Ich solle dick werden. Das sei nicht nur wünschenswert sondern geradezu mein Schicksal als Frau und künftige Mutter. Ich freute mich riesig und frühstückte ab sofort ausgiebig entgegen meiner bisherigen Gewohnheit, denn Frühstück war in meinem Elternhaus keine richtige Mahlzeit gewesen, zumindest nach deutschen Maßstäben. Mein Vater trank seinen Espresso und mümmelte ein kleines Stück Gebäck.
Italiener sind ganz allgemein keine Frühstücker, wie viele italienerprobte deutsche Urlauber sicher wissen. Kleiner Kaffee, also Espresso, dazu ein Cornetto, einen Keks in ein Glas Milch eintauchen oder eine Bomba con Crema. Zack, das war’s. So hatte ich es zumindest beigebracht bekommen.
Aber als ich in diese berühmten „anderen Umstände“ kam, änderte sich alles. Ich war begeistert von den vielen Sorten Müsli, die ich für mich entdeckte, von unzähligen bisher verschmähten Brot- und Brötchensorten sowie Hunderten Joghurtspezialitäten, die ich früher in den Regalen unseres Supermarktes nie wahrgenommen hatte. Ich kochte Marmelade, die ich auf eine Semmel mit Frischkäse strich und gierig verschlang. Sogar die englische Frühstücksvariante mit Speck und Rührei wurde zeitweise eingeführt. Als uns meine Schwiegermutter kurz nach unserer Italienreise besuchte und mit uns am Frühstückstisch saß, raunte sie meinem Mann zu, er solle sich trennen, und zwar schnell, bevor er keine Haare mehr auf dem Kopf hätte. Aber ich beruhigte sie. Ich esse keine Haare. Auch nicht während der Schwangerschaft.
Einmal ging ich im achten Monat mit meinem Mann und einem Freund in ein japanisches Restaurant, um Sushi zu essen. Ich bestellte so viel, dass mich mein Mann fragte, ob ich noch Gäste erwarte. Ich aß alles auf und dazu die Reste des opulenten Mahles meiner beiden konsternierten Begleiter. Das Gespräch erstarb, schweigend und mit fasziniertem Grausen schauten mir die Männer beim Essen zu. Mein Cousin aus Ancona erzählte mir später, mein Essverhalten sei noch harmlos. Eine Bekannte von ihm habe nachts ständig kalte Zucchiniblüten mit Cola bei ihrem überforderten Gatten bestellt.
Ich war jedenfalls immer bester Laune und liebte es, schwanger zu sein. Mein Bauchumfang war enorm. Meine Freundin Christine, die kurz nach mir schwanger wurde, sah vor, während, und nach der Schwangerschaft von hinten immer gleich aus. Ich nahm an, dass sie zehn Minuten nach der Geburt sofort wieder in ihre 34er Jeans schlüpfen würde. Viel später erzählte sie mir, dass sie ihre Schwangerschaft damit verbracht habe, ständig aufzupassen, ob sie auch alles richtig machte. Sie empfand das Schwangersein als wahnsinnig anstrengend. Interessant. Ich hatte für solche Gedanken damals überhaupt keine Zeit, ich musste ja essen.
Als ich meinem Mann einige Jahre später verkündete er würde ein zweites Mal Vater, stand er auf und bemerkte beim Hinausgehen trocken, dann würde er am besten jetzt gleich schon mal einkaufen gehen.
Bevor ich’s vergesse: Meine Kinder haben – soweit ich das beurteilen kann – keinerlei komisch aussehende, farbige Flecken an irgendeinem Körperteil. Hätte mich auch gewundert.
Eine Schwangerschaft in Italien bringt aber nicht nur eine gewisse römische Dekadenz bei den Essgewohnheiten mit sich, sondern auch eine kostenlose Hausangestellte in Form einer Mutter oder Schwiegermutter. Die Mutter, respektive Schwiegermutter, die zu ihrer schwangeren Tochter oder Schwiegertochter eilt, ist aber im Gegensatz zu einer Angestellten, der man auch mal kommentarlos eine Arbeit auftragen darf, die dann ohne nervige Gegenwehr erledigt wird, in der Regel eine komplette Nervensäge. Als Alessandra von meinen anderen Umständen erfuhr, jubelte sie: „Dann musst du ja ab jetzt nicht mehr kochen“. In Italien läuft das nämlich in der Regel so: Sobald eine Mutter erfährt, dass sie Oma wird, gerät sie in Abreisestress. Dann werden die Koffer gepackt, und mit Kochschürze, Hauskittel und Schlüffchen – in Italien nennt man die Dinger „Pantofole“ oder auch im Süden „Zoccoli“ – bewaffnet, geht es los, und der Haushalt der Tochter wird gestürmt. Nicht nur, dass man jetzt keinen Schritt mehr ohne Ermahnungen, gute Ratschläge oder Warnungen machen kann. Nein, es ist außerdem so, dass die Nonna den Haushalt „auf Vordermann“ bringt. Alle Schränke werden neu eingeräumt, weil das so viel praktischer sei. Die Cremes und Töpfchen im Bad werden anders angeordnet, weil das viel netter aussähe. Andere Putzmittel werden gekauft, („wie könnt ihr denn damit den Boden reinigen, das wird doch so nieeee richtig sauber“), und die Wäsche wird komplett gebügelt, auch Socken und String-Tangas. Nachdem Mary Poppins rund drei Wochen durchs Haus gefeudelt ist, findet man nicht einmal eine Gabel wieder, weil die jetzt in einer völlig anderen Schublade liegt. Oder sogar in einem anderen Raum. Alessandra berichtete mir, dass ihre Schwester nach der Abreise ihrer Mutter keinen Schimmer hatte, wie sie kochen sollte, weil sie erstens weder Töpfe noch Pfannen finden konnte und zweitens jede Form der Selbstständigkeit durch die monatelange Bewirtung eingebüßt hatte.
Einige Wochen nachdem ich meine erste Schwangerschaft verkündet hatte, rief mich mein Vater abends an. Er meldete an, dass er jetzt kommen würde, um mir ein bisschen im Haushalt zu helfen. Meinen Hinweis, dass ich in der dreizehnten Woche sei, also noch laufen und auch ganz gut Treppen steigen könne, wurde selbstverständlich ignoriert. Es hat mich ein drei Tage dauerndes Telefonat gekostet, meinen Vater davon abzuhalten, sein Köfferchen zu packen und mir zu Hilfe zu eilen. Auch in den kommenden Wochen und Monaten vermied ich es tunlichst, auch nur anzudeuten, dass ich dicker oder schweratmiger wurde. Ich trällerte immer, wie gut es mir ginge, und auch mein Bauch sei winzig, man könne immer noch fast nichts sehen. Gut, vier Wochen vor dem Entbindungstermin klingt das ein wenig eigenartig, möglicherweise unglaubwürdig, aber die Angst, bei einer faustdicken Lüge ertappt zu werden, war einfach nicht so groß wie die Angst vor einem Besuch von Mary Poppins Bruder.
Dieser enorme Familiensinn, der explosionsartig aus den Italienern hervorbricht, sobald sich irgendetwas in der Familie verändert, ist ein Phänomen, das ich oft beobachten konnte. Egal, ob schöne Anlässe oder traurige. Die Familie rückt zusammen und geht sich dabei vor lauter Enge auch mal auf die Nerven. Wenn man sich also seine Mutter, Schwiegermutter oder den eigenen Vater vom Leib halten will, muss man zu unlauteren Mitteln greifen. Ich persönlich würde es als Notwehr bezeichnen.
Meine Freundin Alessandra hat mich nicht verstanden. „Mann, bist du dumm. Du könntest wochenlang die Füße hochlegen und dich bedienen lassen. Stattdessen läufst du dir die Hacken ab, kochst, putzt und wirbelst herum wie ›Das Tier‹ aus der ›Muppet Show‹.“
Alessandra hat selbstverständlich keine Ahnung, wie es ist, wenn mein Vater sich um mich kümmert.
Es heißt immer, die jüdischen Mütter seien sehr anstrengend, weil sie ihre Kinder mit ihrer Liebe fast erdrücken. Wenn das stimmt, muss mein Vater jüdische Wurzeln haben. Jede Mutter in Tel Aviv könnte sich locker noch eine Scheibe von ihm abschneiden. Noch größer als meine Angst vor seinem Besuch ist allerdings meine Angst, er könnte erfahren, dass ich krank bin. Italiener sind gerne wehleidig, und das übertragen sie eins zu eins auf alle anderen Menschen in ihrer Umgebung.
Als meine Mutter einmal während meiner Schwangerschaft den fatalen Fehler machte, zu erwähnen, der Piccola – also der Kleinen – ginge es nicht gut, hatte mein Vater sofort den Hörer in der Hand, um den Arzt, das Krankenhaus oder einen Krankenwagen zu rufen. Ich hatte zwar nur einen Schnupfen, aber seiner Meinung nach kann sich so etwas besonders während der Schwangerschaft zu einem Flächenbrand an Gefahren ausweiten. Diese sehr interessante Art, mit Krankheit umzugehen, führte bei mir komischerweise nicht dazu, ebenfalls wehleidig zu werden. Ich mache mir nichts aus Schmerzen. Ich finde Kranksein langweilig. Die Möglichkeit, im Mittelpunkt zu stehen, ist zwar verlockend, aber ich ziehe andere Situationen vor, um mich wichtig zu machen. Meine Mutter und ich entwickelten daher einen Ersatzcode für die Begriffe „krank“, „anstrengend“ und „schlecht“. Alles Alarmwörter, die meinen Vater auf den Plan bringen würden. Unsere Gespräche klangen für die Ohren meines Vaters ab diesem Zeitpunkt sicherlich ein bisschen eigenartig. Denn wenn meine Mutter nach meinem Befinden fragen wollte, fragte sie mich, welche Pasta ich gekocht hätte. Das erwies sich jedoch als schwierig, wenn ich meine Mutter sehr früh morgens und sehr spät abends anrief, da morgens um sechs Uhr kein normaler Mensch – nicht einmal ein Italiener – Nudeln isst. Vater wurde misstrauisch. Also verlegten wir uns aufs Englische, das meine Mutter aber nur sehr schlecht spricht. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass meine Mutter mir etwas verheimlichen wollte, weil ich sie nun nicht mehr verstehen konnte. Wir unterhielten uns schließlich in der dritten Person über mich und gaben mir den Aliasnamen Jutta. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir endlich ungehindert über Stillkissen, Wehen und Babynamen sprechen, da mein Vater immer dachte, es ginge um eine alte Schulfreundin von mir. Noch Jahre später erkundigte er sich nach dem Befinden von Jutta, denn die müsse ja eine schreckliche Schwangerschaft gehabt haben.
„Herrlich offen und amüsant.“
„Wer hier nicht lachen kann, dem ist nicht mehr zu helfen...oder benötigt einfach mehr Remmidemmi in seinem Leben.“
„Limoncini vergleicht auf amüsante Art deutsche und italienische Mütter und Väter. (...) Kein strenger Erziehungsratgeber, der Müttern Angst macht, sondern eine vergnügliche Lektüre für Eltern und solche, die es werden wollen.“
„Eine lesenswerte, sehr kurzweilige Geschichte ist Limoncini gelungen.“
„Endlich mal ein unverzicktes Elternbuch. Lässig, urkomisch und schlau.“
„Ein Erziehungsbuch, eine locker erzählte Kindheitsgeschichte, interkulturelle Beobachtungen, Familienanekdoten - unterhaltsam, teilweise witzig.“
„Limoncini führt auf geistreich-charmante Weise in die Geheimnisse italienischer Kindererziehung ein. Die passende Reaktion auf die Lektüre - gestikulierend lachend "all'italiana" oder eher amüsiert schmunzelnd "alla tedesca" - bleibt jedem Leser frei überlassen.“
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