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Operation Butterfly

Operation Butterfly

Corine Hartman
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Thriller

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Operation Butterfly — Inhalt

Ein niederländischer Diplomat verschwindet spurlos; mit ihm der „Schmetterlingsatlas“, ein verschlüsseltes Geheimdokument der NATO, das in falschen Händen den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs bedeuten könnte. Der NATO-Sicherheitsdienst hat zunächst die Cosa Nostra im Verdacht und beordert ein Team aus zwei ungewöhnlichen Geheimagenten, um das Leben des Botschafters zu retten und den geraubten Code wiederzubeschaffen. Doch nicht nur die Mafia will den Atlas für ihre Zwecke nutzen, auch Terroristen und skrupellose Regierungen sind auf der Jagd danach. Ein gefährlicher Wettlauf beginnt.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 01.08.2017
Übersetzt von: Stefanie Schäfer
352 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97645-9
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Leseprobe zu „Operation Butterfly“

Es war lange her, dass Adam Kaplan Angst gehabt hatte. Doch jetzt hatte er Angst. Todesangst. Er zitterte am ganzen Leib und hätte am liebsten laut geschrien, aber schon das kleinste Geräusch hätte ihn verraten können. Seine Lungen füllten sich mit Luft, so heiß wie der Wüstenwind vor so vielen Jahren in der Felsspalte, in der er damals festgesteckt hatte. Ihm donnerten wieder die Geschütze der Hamas in den Ohren, aber das geschah nur in seinem Kopf, denn er war nicht in Gaza, und nichts als das monotone Brummen eines Lüftungsmotors durchbrach die [...]

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Es war lange her, dass Adam Kaplan Angst gehabt hatte. Doch jetzt hatte er Angst. Todesangst. Er zitterte am ganzen Leib und hätte am liebsten laut geschrien, aber schon das kleinste Geräusch hätte ihn verraten können. Seine Lungen füllten sich mit Luft, so heiß wie der Wüstenwind vor so vielen Jahren in der Felsspalte, in der er damals festgesteckt hatte. Ihm donnerten wieder die Geschütze der Hamas in den Ohren, aber das geschah nur in seinem Kopf, denn er war nicht in Gaza, und nichts als das monotone Brummen eines Lüftungsmotors durchbrach die Stille.

An seiner Angst änderte das nichts.

Meter für Meter kroch er wie eine Raupe durch einen endlosen, zu engen Kokon und ignorierte die Schmerzen in der Leiste, die durch den Druck der Pistole verursacht wurden. Es kam ihm vor, als arbeitete er sich schon seit Stunden durch das dunkle Röhrensystem, dabei war noch keine Viertelstunde vergangen, seitdem er den Mann im Park vor dem Haus getötet hatte.

Von irgendwoher ertönte Gelächter, und er erstarrte, als er einen spitzen Schrei hörte. Eine Welle der Wut durchlief ihn und verdrängte seine Angst. Er robbte um eine Kurve von fast neunzig Grad. Hinter einem Lüftungsgitter schimmerte Licht. Er hörte einen Mann reden – nasale Stimme, Englisch mit starkem Akzent.

„Konzentrierte Salzsäure, Fräulein von Löwenstein. Anorganische Säure, stark ätzend.“

Kaplan unterdrückte die Schmerzen im Brustkorb und rutschte vorsichtig weiter, bis er das Gitter erreicht hatte und in den Raum unter sich blicken konnte.

„Ich bewundere Ihren Mut, Fräulein von Löwenstein, nur wird er Ihnen leider nicht helfen. Ihre Kollegen können Sie auch nicht mehr retten. Wo sind sie, wenn Sie sie am nötigsten brauchen?“

Vera lag unter einer grellen Lampe auf einem Metalltisch, nackt, die Handgelenke mit Metallklammern gefesselt, die Beine weit gespreizt. Wehrlos. Grellrote Flecken auf der Haut. Selbst wenn er die brennende Zigarette nicht gerochen hätte, hätte er gewusst, wodurch sie verursacht worden waren. Links von ihr stand ein Mann, eine dunkle Gestalt außerhalb des Lichtkreises.

Oh, Vera, meine Vera! Mit der linken Hand versuchte er vergeblich, die Pistole im Hosenbund zu erreichen. Sein Messer? Sinnlos, selbst wenn genügend Platz zum Werfen gewesen wäre.

Wieder ertönte die Stimme.

„Sie wissen, dass Sie sterben werden. Jeder Mensch hofft auf einen schnellen und schmerzlosen Tod. Ihrer wird gnädig sein, wenn Sie die Namen nennen, wenn aber nicht … nun, dann wird Ihr Tod lange und äußerst schmerzhaft sein. Es liegt an Ihnen.“

Diese Stimme! Er kannte sie. Sie gehörte einem der Männer, die vor einigen Monaten beim Nuklearen Sicherheitsgipfel in Den Haag einen Anschlag geplant hatten.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Das habe ich Ihnen schon gesagt.“ Vera musste höllische Schmerzen leiden, wirkte aber dennoch gefasst.

„Sie lügen! Heute Abend haben Sie mit dem blauäugigen Mann zu Abend gegessen.“

Mit mir, dachte Kaplan und verfluchte sich dafür, nicht bemerkt zu haben, dass sie beobachtet worden waren. Nachdem sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte er weitere Gestalten, zwei, drei. Dann sah er eine Lichtreflexion. Eine Spritze!

„Ich gebe Ihnen zehn Sekunden. Das ist nicht viel, reicht aber aus, um sich vorzustellen, was in Ihrem Körper geschehen wird, wenn ich die Säure hineinspritze. Zehn … neun … Was sagtest du gleich wieder, mein Freund, wie wird sich die Dame fühlen? Als würde sie bei lebendigem Leib verbrennen?“

Jemand lachte auf, zynisch und laut, und sagte etwas in einer fremden Sprache.

Kaplan starrte auf die Hand, die die Spritze hielt, und für einen kurzen Augenblick sah er das magere Gesicht eines Mannes mit schwarzem glattem Haar und dunklen Augen, der sich in den Lichtkreis beugte und die Nadel zwischen Veras Schenkel schob.

Salzsäure. Mafia? Oder Russen? Osteuropäischer Akzent, dieses Lachen. Kaplan lief es eiskalt den Rücken hinunter. Russen. Gnadenlos. Sie würden sie in jedem Fall töten, auch wenn sie seinen und Charles’ Namen nannte.

„Machen Sie sich keine Illusionen, Fräulein … Sieben …“

Während die nasale Stimme erbarmungslos rückwärts zählte, zwang sich Kaplan dazu, sich auf den Rücken zu drehen, obwohl sein Brustkorb schmerzte, als würde er zerquetscht.

„Ich weiß nicht, was Sie wollen“, wiederholte Vera. „Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie müssen mich mit jemandem verwechseln. Ich arbeite für die NATO, ich setze mich für den Frieden ein und für …“

Der Mann unterbrach sie. „Ich irre mich nie. Sie und der Mann mit den blauen Augen haben zwei unserer Kameraden getötet. Vier …“

Mit äußerster Anspannung, den Schmerz unterdrückend, gelang es ihm endlich, seine Pistole herauszuziehen. Er atmete mehrmals konzentriert ein und aus, um die Beherrschung wiederzugewinnen.

„Ich weiß nicht, wen Sie meinen.“ Veras Stimme klang ausdruckslos, doch Adam hörte heraus, dass sie am liebsten laut geschrien hätte.

„Drei …“

Der Mann mit der Spritze blickte auf einmal schräg nach oben, und Adam befürchtete, er hätte ihn entdeckt, doch dann wandte er das Gesicht wieder ab.

„Sie sind nicht nur tapfer, sondern auch dumm. Ich frage Sie noch ein letztes Mal: Wer sind sie?“

„Sie werden euch finden und töten“, stieß Vera hervor. „Euch alle.“

Ein spöttisches Lachen. „Eins …“

„Halt! Halt, in Gottes Namen!“

„Wer sind sie?“

„Der ältere Mann ist ein Kollege. Er arbeitet für die NATO wie ich.“

„Seinen Namen!“

„Fox.“

„Fox. Und weiter? Wer ist der Mann mit den blauen Augen?“

„Ich … ich weiß es nicht.“

„Schade, Sie haben Ihre Chance gehabt.“

Vera schrie auf. Ihr Becken zuckte, ihre Augen drehten sich weg.

Innerlich fluchend zielte Adam und schoss. Der Mann mit dem mageren Gesicht stieß einen Schrei aus, Adam sah, wie er sich wegduckte, und sofort prasselte eine Salve von Geschossen gegen das Lüftungsgitter. Kaplan dachte, ihm würde das Trommelfell platzen, aber es kümmerte ihn nicht, er hatte nur Augen für Vera. Sie blickte hoch, als könnte sie ihn sehen, als wüsste sie, dass er da war. Ihre Lippen bewegten sich, ihr Blick war bittend, und er verstand, was sie von ihm wollte. Er kannte es, dieses stumme Flehen. Vor so vielen Jahren hatte er es schon einmal in den brechenden Augen des Mannes unter ihm in der Felsspalte gesehen. Einen Moment zögerte er noch. Dann zielte er. Und schoss.

Noch bevor ihm die Tränen die Sicht nahmen, sah er, wie das Blut zwischen ihren Augen hervorquoll.

Der schmale Weg schlängelte sich steil zwischen den riesigen Felsbrocken empor, die im Sonnenlicht glänzten wie polierter Stahl. Die Landschaft erinnerte Charles an das schottische Hochland: rau und kahl, der Horizont begrenzt von Gebirgskämmen, deren Gipfel in Wolken gehüllt waren. Hin und wieder sah er in einer Haarnadelkurve das Meer, aus dem Felsen wie prähistorische Ungeheuer aufragten.

Charles Spencer Cavendish liebte Schottland, vor allem den typischen Single Malt, dabei war er genauso englischer Herkunft wie der gemietete Land Rover, mit dem er unterwegs war. Und zwar nach Calibera, einem kleinen Dorf im zentralen Bergmassiv Siziliens, das nur noch eine Handvoll Einwohner zählte; alte Leute, die ihre Kinder nach Neapel, Rom oder ins Ausland hatten fortgehen sehen und nun auf den Tag warteten, an dem Pastore Vizzini ihnen die letzten Sakramente spenden würde. Paolo Vizzini war mit seinen einundsechzig Jahren vermutlich der jüngste Einwohner. Sie kannten einander schon über dreißig Jahre, hatten sich aber lange nicht gesehen, und Charles fühlte sich unwohl, weil es kein reiner Freundschaftsbesuch war. Er brauchte dringend Hilfe.

Es war schon merkwürdig, wie das Schicksal die drei alten Kriegsveteranen jetzt wieder zusammenführte: ihn als Leiter von Securicor, einer Untergruppe des Sicherheitsdiensts der NATO, Paolo, der das Schwert gegen das Evangelium eingetauscht hatte, und Ethan Boydd, General und Mitglied des Militärkomitees der NATO.

Geschickt manövrierte Charles das Allradfahrzeug durch die Kurven und fragte sich zum x-ten Mal, wo Jan-Willem de Brauw sein konnte und ob er noch lebte. Der Diplomat hatte eine Affäre mit einer sizilianischen Rechtsanwältin angefangen, Gina Fioretti, doch Charles bezweifelte, dass der Seitensprung ihrerseits unschuldig-romantischer Art war. De Brauw sah zwar gut aus für einen Fünfundfünfzigjährigen, aber warum sollte sich eine junge, schöne Sizilianerin in ihn verlieben?

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die Cosa Nostra einen Diplomaten entführte. Wie zynisch es auch sein mochte, so hoffte Charles, dass bald eine Lösegeldforderung eingehen würde. Doch die Chancen standen nicht gut, denn de Brauw war nicht hier, sondern auf Rhodos verschwunden, wo er gerade einen Auftrag ausgeführt hatte. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. Auf Rhodos sollte er auf seine Frau warten, mit der er dort einen Kurzurlaub verbringen wollte. Sein Gepäck war in seinem Hotel auf Rhodos abgeholt und die Rechnung bar bezahlt worden. Aber nicht von ihm. Es konnte kaum ein Zufall sein, dass Gina Fioretti mit einem berüchtigten Mafioso liiert war und sich dieser jetzt ebenfalls auf dem Weg nach Rhodos befand. Gina von den Carabinieri vernehmen zu lassen, erschien ihm sinnlos, denn sie würde alles leugnen, und Charles hielt sowieso nicht besonders viel von der sizilianischen Kripo. Lieber kümmerte er sich selbst um die Sache, vor allem, falls de Brauw von einer anderen Organisation als der Mafia entführt worden war.

Ein Flugzeug stieg über den Bergen auf, und Charles dachte an den australischen Diplomaten, der im vergangenen Jahr bei der Katastrophe mit der MH17 umgekommen war. Auch dieser war in einer NATO-Mission unterwegs gewesen. Eine Operation gegen Putins Aggressionspolitik. Dringend notwendig, denn genau wie Ethan machte Charles sich keinerlei Illusionen: Wladimir Putin wollte seinen megalomanen Traum verwirklichen, das alte Sowjetreich wieder aufzubauen. Vor gut einem Jahr hatte eine kleine Task Force unter Charles’ Führung einen Anschlag während des Nuklearen Sicherheitsgipfels in Den Haag verhindern können. Ein Anschlag – geplant von russischen Söldnern.

Er bremste angesichts einer Herde Ziegen und musste warten. Überall zwischen den Sträuchern flatterten Schmetterlinge umher, was ihn an seine Frau erinnerte, die jetzt zu Hause in Il Giardino dell’Eden in der Toskana mit ihren Faltern experimentierte. Sarah war Biologin, spezialisiert auf Schmetterlinge aus der Türkei und dem Mittleren Osten und schon seit Jahren der Frage auf der Spur, wie manchmal spontan neue Arten entstanden.

Charles grüßte den Hirten der Ziegenherde, gab Gas und nahm die letzte Steigung zum Bergdorf in Angriff. In Gedanken roch er bereits den Duft von Paolos Brot. Sein alter Kamerad verkaufte sogar Wein, Olivenöl und frisches Fleisch von den Hühnern und Ziegen, die er eigenhändig schlachtete. Er war hierhergezogen, als das Dorf noch einige Hundert Einwohner gezählt hatte und die kleine Kirche bei jeder Messe brechend voll gewesen war. Paolo Vizzini hatte Dutzende Babys getauft, Ehen geschlossen, Tote begraben und deren Erbe geregelt. Er hatte auch Kranke getröstet und sogar gepflegt, denn vor langer Zeit war er einmal ein junger, vielversprechender Arzt gewesen. Doch niemand in Calibera wusste Genaueres über die Vergangenheit des Priesters.

Ganz im Gegensatz zu Charles. Jedes Mal, wenn er einen Stich im linken Oberschenkel spürte, so wie jetzt, weil er in der Kurve zurückschalten musste, sah er in Gedanken kurz das wettergegerbte Gesicht des jungen Paolo vor sich. Paolo hatte genau wie er und Ethan Menschen getötet, doch im Gegensatz zu ihnen hatte er jahrelang mit seinem Gewissen gerungen, bis ihm eines Tages die Jungfrau Maria erschienen war. Ethan hielt das für blanken Unsinn, aber Charles war sich da nicht so sicher.

 

Kurze Zeit später parkte er den Rover in einer Einbuchtung vor dem ersten Haus. Zwischen Sträuchern hindurch führte ein kleiner Pfad hinauf zur Kirche und zu Paolos Haus, dessen Dachziegel inmitten der graugrünen Olivenbäume blau leuchteten. Als Charles den Motor ausschaltete, seine Tasche nahm und ausstieg, war es bis auf das Plätschern von Wasser totenstill, als wären auch die letzten Einwohner gestorben. Doch Charles wusste, dass sie das fremde Auto schon lange entdeckt hatten.

Der Pfad war mit Steinen übersät. Er hatte Paolo einmal gefragt, warum er ihn nicht einebnete, sodass die Gemeindemitglieder leichter hinaufkämen, doch der Padre war der Meinung, der Kirchgang müsse beschwerlich sein: der schmale, dornige Pfad, der zu Gottes Herrlichkeit führte. Dornig war der Weg nicht; Paolo hatte das Wasser des Bergbachs teilweise umgeleitet, sodass trotz der Höhenlage und des trockenen Bodens überall wunderschöne und seltene Pflanzen blühten.

Charles überquerte eine kleine Brücke und hörte Paolos Hund bellen. Kurz darauf kam der schwarze Cane Corso angerannt. Das große, kräftige Tier sprang an ihm hoch und leckte ihm schwanzwedelnd die Hände. Lachend schob Charles ihn von sich weg.

„Vielen Dank, Johannes. Genug. Basta!“

Paolo hatte den Hund nach Papst Johannes XXIII. benannt, nicht nur aus Bewunderung, sondern auch, weil durch den viereckigen Kopf und das gutmütige Gesicht eine gewisse Ähnlichkeit bestand.

„Er erkennt dich noch, Charlie!“

Obwohl Charles auf Italienisch sogar streiten und träumen konnte, sprachen sie Englisch miteinander.

„Paolo.“ Charles küsste selten einen Mann, aber dieser Freund bildete eine Ausnahme. „Du siehst gut aus.“ Sie umarmten sich, und Charles war gerührt. Unvorstellbar, dass sie beide mittlerweile über sechzig waren. Ihn schätzte man manchmal jünger, obwohl auch sein welliges Haar inzwischen silbrig weiß geworden war. Ebenso wie Charles war Paolo sonnengebräunt, doch es war nicht zu übersehen, wer von ihnen der Brite und wer der Italiener war. Charles verkörperte den kultivierten Aristokraten, der in seinem schicken Sommeranzug aussah wie ein Bankier, Paolo Vizzini den jovialen Dorfpastor, der das gute Landleben genoss – mit Händen, die heute segneten, aber einst Menschen getötet hatten.

„Wie geht es Sarah?“, fragte Paolo.

„Gut. Ich soll dich herzlich grüßen und fragen, wann du uns mal wieder in Il Giardino besuchen kommst.“

Mit einer raumgreifenden Geste deutete Paolo um sich. „Was soll ein Sizilianer in der Toskana? Ich lebe hier in meinem eigenen Garten Eden.“

Charles klopfte ihm auf die Schulter. „Du weißt, dass ich deine Entscheidung für Gott respektiere, aber ich habe nie verstanden, wie du ohne eine Frau auskommen kannst.“

„Du weißt doch, was Kipling über Frauen gesagt hat, Charlie. A woman is only a woman, but a good cigar is a smoke. Komm, bestimmt hast du Lust auf eine Zigarre. Und einen Drink.“

Sie gingen durch die Olivenbäume zu seinem aus dem Mittelalter stammenden Haus, das „die Pastorei“ genannt wurde.

Charles wurde warm, und er zog sein Sakko aus. Seine weiße Leinenhose und das Hemd sahen trotz der langen Autofahrt makellos aus, und seine Kalbslederschuhe glänzten, als wären sie eben erst geputzt worden, ja, sogar der Knoten in seiner Travellers-Club-Krawatte saß noch perfekt.

„Du hättest Sarah mitbringen sollen“, bemerkte Paolo und deutete auf die Schmetterlinge, die um die blühenden Pflanzen flatterten. „Bestimmt fliegt da der ein oder andere, den sie noch nicht hat.“

„Das bezweifle ich. Aber ich komme nicht direkt aus der Toskana, ich war in Brüssel.“

„Die NATO also.“ Paolo zwinkerte ihm zu. „Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht nur um der alten Zeiten willen kommst. Wie geht es Ethan, unserem alten Eisenfresser? Steht er unseren muslimischen Mitmenschen immer noch so unversöhnlich gegenüber?“

„Nicht nur denen, auch den russischen“, erwiderte Charles, „vor allem nach dem Abschuss der MH17.“

„Ist es sicher, dass es die Russen waren?“

Charles zuckte mit den Schultern. „So gut wie. Aber Beweise haben wir nicht.“

Das Gesicht seines alten Freundes verdüsterte sich, und Charles wusste, warum. Obwohl Paolo nach dem Vorbild Jesu Versöhnung und Vergebung suchte und predigte, galt das nicht für die Kommunisten, die Russen und das libysche Staatsoberhaupt Gaddafi. Die Russen hatten Gaddafi damals chemische Waffen geliefert und taten das Gleiche jetzt mit seinem syrischen Verbündeten Assad.

„Wladimir Putin“, grollte Paolo, „ist nichts weiter als ein selbstherrlicher Tyrann, der Gott leugnet. Ein Muslim glaubt wenigstens an Allah, er aber nur an das Schwert. Dabei ist er der Sohn einer gläubigen orthodoxen Christin.“ Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, schwieg dann aber.

Charles bedrängte ihn nicht. Hass vertrug sich zwar nicht mit der Lehre des Neuen Testamens, doch Paolos Abneigung war durchaus verständlich: Sein Vater war in den Achtzigerjahren ein fanatischer Kommunist gewesen wie so viele Italiener.

Paolo betrat die Terrasse, die im Schatten des Hauses lag. „Das Gleiche wie immer?“

„Gern“, antwortete Charles.

Gefolgt von Johannes, verschwand Paolo in der Küche. Charles lehnte sich über die Balustrade, atmete tief ein und genoss den Duft des Frühlings. Von der Terrasse aus blickte man über das Dorf, die Berghänge und den Fluss, der sich wie eine Girlande hinunter ins Tal schlängelte. Weiter weg beschien die späte Sonne die geborstenen Säulen eines Tempels.

Er setzte sich an den uralten Marmortisch, der in Rom ein kleines Vermögen eingebracht hätte. Aus einer Nische heraus blickte Maria mit ihren steinernen Augen auf ihn nieder. Zu ihren Füßen lag eine weiße Orchidee.

Kurz darauf stellte Paolo ein Glas zwölf Jahre alten Aberfeldy Single Malt ohne Eis vor ihn hin, daneben eine Kiste Zigarren. „Du bleibst doch zum Essen, oder?“

„Natürlich.“

Paolo schenkte sich ein Glas blutroten Palari ein, und sie stießen an. „Auf unsere Freundschaft.“

Schweigend genossen sie den Augenblick. Der Hund trank aus seinem Wassernapf und streckte sich dann unter dem Tisch aus. Die Sonne versank hinter den Bergen, und von irgendwoher ertönte das erste hohe Zirpen einer Grille. Charles’ Gedanken wanderten unwillkürlich zurück zu ihrer ersten Begegnung, und er wusste genau, dass es seinem alten Freund in diesem Augenblick nicht anders ging. Dieses Bewusstsein machte die Stille so wohltuend. Es schwang eine Mischung aus Frieden und dem Respekt vor der Unbegreiflichkeit von Vergangenheit und Zukunft darin mit. Paolo knüpfte zweifellos religiöse Gedanken daran, aber auch ohne den Glauben an eine höhere Macht spürte Charles, wie kostbar dieser Moment war. Wie von selbst stiegen die Erinnerungen in ihm auf. Damals, in der libyschen Wüste. Paolo, der Militärarzt, der ihm das Leben gerettet hatte, nachdem Gaddafis Soldaten ihn mithilfe russischer Folterexperten wochenlang gequält hatten. Er konnte von Glück sagen, dass er mit durchgeschnittenen Oberschenkelmuskeln davongekommen war. Ethan ging es mit seinen gebrochenen Rippen ähnlich schlecht. Ein dritter Sergeant war vor ihren Augen enthauptet worden. Die Freundschaft zwischen Paolo, Ethan und ihm hatte ihre Wurzeln im gemeinsamen Überleben.

„Ich hoffe, dass du mir helfen kannst“, sagte er, holte seinen Laptop aus der Tasche, stellte ihn auf den Tisch und klappte ihn auf. „Ich möchte, dass du dir das hier mal ansiehst.“ Er öffnete ein Video.

Paolo beugte sich nach vorn und blickte auf den Monitor. „Der Flughafen von Palermo“, stellte er fest.

„Aufnahmen der Sicherheitskameras. Entschuldige, die Qualität ist nicht die beste.“ Er zeigte auf eine Frau auf dem Bildschirm. „Es geht um diese Dame mit den langen dunklen Locken. Sie wartet auf einen Mann, er kommt gleich auf sie zu.“ Er hielt das Bild an.

Paolo überlegte einen Moment, dann nickte er. „Ja, ich glaube, ich kenne sie. Gina Fioretti. Anwältin.“

Charles atmete erleichtert auf. „Ich bin froh, dass du sie erkannt hast. Die Kriminalpolizei von Palermo hat ihren Namen ausfindig gemacht, und sie wussten auch, dass sie in Ficanto di Mare geboren und aufgewachsen ist. Da fiel mir ein, dass du dort jahrelang Priester gewesen bist.“

„Ich kann mich irren, schließlich muss es an die dreißig Jahre her sein, aber ich habe sie vermutlich sogar getauft. Leider ist sie nicht weiter auf Gottes Wegen gewandelt. Sie soll inzwischen die Geliebte eines Mafiabosses sein.“

Mafia. Auch das hatte die Kripo angedeutet, wenn auch nur zwischen den Zeilen. Aus Angst, vermutlich. Charles hoffte, dass der Besuch bei seinem alten Freund nicht umsonst war, und schämte sich gleich darauf für diesen Gedanken. Er erhob das Glas. Sie stießen noch einmal an. Diesmal auf das Leben. „Weißt du, mit wem sie zusammen ist?“, fragte Charles dann.

„Mit Silvio Carlentini, einem Capo der Cosa Nostra hier auf Sizilien. Cavolo, Charlie, auf was hast du dich da eingelassen?“

Charles blies den Rauch nachdenklich in Richtung der kleinen Marienstatue, während er die Aufnahme weiterlaufen ließ. Kurz darauf zeigte er Paolo auf dem Bildschirm den verschwundenen de Brauw. „Diesen Mann muss ich unbedingt finden, Paolo. Er ist Diplomat.“

„Möchtest du mir erzählen, worum es geht?“, fragte Paolo.

Charles schwieg einen Moment und sagte dann: „Er könnte sich auf Rhodos befinden. Dort sollte er etwas für uns abliefern, und das hat er auch zuverlässig getan.“

„Weiß Gina Fioretti, wo der Mann ist? Oder hat Carlentini damit zu tun?“

„Möglicherweise“, antwortete Charles. „Und genau das würde ich sie gerne selbst fragen. Gibt es noch etwas, was du mir erzählen kannst?“

Paolo zögerte, schüttelte dann den Kopf und verzog das Gesicht. „Ich heize jetzt mal den Ofen an. Ich vermute, du möchtest noch einen Whisky?“

„Das wäre wunderbar.“ Charles seufzte noch einmal tief. Die intensiven Farben Siziliens verursachten ihm plötzlich Kopfschmerzen.

Paolo wandte sich in Richtung Haus, blieb aber in der Tür stehen. „Ich kenne jemanden“, sagte er, „der dir vielleicht helfen kann. Caressa. Eine junge Frau, die früher Ginas beste Freundin war.“

„War?“

„Ja“, antwortete Paolo. „Sie ist es inzwischen nicht mehr.“

„Weißt du, warum?“

„Ja, das weiß ich.“

„Wohnt sie hier auf der Insel?“

Paolo sah ihn wortlos an und verschwand dann in der Küche.

Corine Hartman

Über Corine Hartman

Biografie

Corine Hartman wurde 1964 in Den Haag, Niederlande, geboren. Von 1994 bis 2005 leitete sie ihre eigene Werbeagentur, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete. „Operation Butterfly“ ist ihr erstes auf Deutsch erschienenes Buch.

Tomas Ross

Über Tomas Ross

Biografie

Tomas Ross wurde 1944 in Den Bommel, Niederlande, geboren. Sein Vater arbeitete beim Inlandsgeheimdienst der Niederlande. Er hat bisher über vierzig Kriminalromane, unter anderem zusammen mit Maj Sjöwall, außerdem Kinder- und Jugendbücher und Drehbücher verfasst.

Ein packender Actionthriller über Politik, Mafia und Geheimpläne – und drei Geheimagenten, die einen Krieg verhindern müssen …

Corine Hartman und Thomas Ross sprechen über den Entstehungsprozess von „Operation Butterfly“ und gehen hierbei besonders auf das gemeinsame Schreiben sowie auf die Entwicklung der Charaktere und Handlung ein.

Sie haben „Operation Butterfly“ gemeinsam geschrieben. Wie kam es dazu, dass Sie zusammenarbeiten? 

Corine: Wir haben uns ein paar Mal getroffen, um über einen möglichen Plot zu sprechen, und es schien uns von Anfang an eine blendende Idee, gemeinsam an diesem Projekt zu arbeiten. Schreiben ist normalerweise eine sehr einsame Tätigkeit, als Team zu schreiben war deshalb eine schöne Abwechslung. Ich sah es auch als Herausforderung, und wir beide waren, denke ich, neugierig, was uns die Zusammenarbeit bringen würde.

Tomas: Außerdem ist eine männliche und weibliche Perspektive immer wichtig – nicht nur im Leben allgemein, sondern auch, was das Schreiben betrifft. Obwohl Corine aus hartem Holz geschnitzt ist, was ihre schriftstellerische Arbeit angeht, hat sie zusätzlich auch einen interessanten psychologischen Faktor in den Roman hineingebracht. Es ist also keine Überraschung, dass die weiblichen Charaktere auf ihr Konto gehen.

Wie kamen Sie beide überhaupt zum Schreiben?

Corine:
 Seit ich meinen ersten Agatha Christie Roman gelesen habe, träumte ich davon Schriftstellerin zu werden. Ich habe schon immer geschrieben und Bilder dazu gezeichnet, später wurde ich Werbetexterin und Grafik Designerin. Mit Mitte Dreißig wäre ich beinahe an einer Bauchfell-Entzündung gestorben. Nachdem ich mich wieder erholt hatte, dachte ich, dass es höchste Zeit war, meinen Kindheitstraum vom eigenen Buch endlich zu erfüllen.

Tomas: Ich habe in den Siebzigerjahren mit dem Schreiben begonnen, genauer gesagt nach zwei einschneidenden Erlebnissen: Zum einen starb mein Vater ganz plötzlich. Er war Mitgründer des niederländischen Geheimdienstes und ein fantastischer und mysteriöser Mann, der niemals über seinen Beruf redete, was mich immer fasziniert hat. Zum anderen las ich Frederick Forsyths „Der Schakal“. Das war ein wahrer Augenöffner: Wie offenbart man die verborgene Geschichte in einem Roman.
 

Es macht doch einen Unterschied, ob man alleine oder zu zweit schreibt. Wie lief der Arbeitsprozess zwischen Ihnen ab?

Corine:
 Wir sprachen über den Plot, die Hauptcharaktere und deren Entwicklung, dabei sind wir aber nie wirklich ins Detail gegangen. Danach legten wir einfach los. Jeder schrieb abwechselnd ein Kapitel, dann tauschten wir die Texte aus. Das klingt einfach, erfordert aber viel Zeit und Redebedarf.

Tomas: Es gab aber verblüffenderweise niemals Streit!

War es einfacher, die Handlung gemeinsam zu planen und Charaktere zu zweit zu erfinden oder mussten oft Kompromisse eingegangen werden? Gab es noch andere Schwierigkeiten?

Corine:
 Natürlich musste man Kompromisse eingehen, schließlich hatte jeder von uns eigene Ideen. Der ständige Austausch trieb uns aber auch an, während wir diskutierten, kamen wir oft auf völlig neue Lösungen. Ich denke wir hätten „Operation Butterfly“ nicht so schreiben können, wenn wir alleine gearbeitet hätten.

Tomas: Ein Problem ist natürlich, dass jeder einen anderen Blick auf bestimmte Aspekte hat – vielleicht nicht so sehr im Hinblick auf den Plot, sondern eher was die Figuren und ihr Denken und Handeln anbelangt. Interessant, aber manchmal auch schwierig, ist es, wenn ein Charakter sich komplett anders verhält, als man es selbst erwartet hätte. Das war auch ein Grund, warum wir die Figurenentwicklung unter uns aufgeteilt haben. Kniffliger wurde es dann bei Kapiteln, in denen die Helden Carry und Adam aufeinandertrafen.

 

Woher kam die Inspiration für „Operation Butterfly“ und speziell für die Charaktere im Buch? Nehmen Sie hierbei Menschen, die Sie kennen als Vorbild für Ihre Protagonisten?

Corine:
 Manchmal werden Romanfiguren zu einer Mischung aus Leuten, die ich wirklich kenne, und einem Bisschen von meiner Persönlichkeit. Wenn ich allerdings einen Serienmörder erschaffen möchte, benutze ich meine ganze Fantasie, um diesen zu konzipieren. Ich nehme ihn dann gedanklich überallhin mit, sodass er in meinem Kopf wirklich lebendig werden kann.

Tomas: Es gibt immer Figuren, die jemanden aus meinem wahren Leben ähneln, sonst könnte ich mich nicht so gut mit ihnen identifizieren. Für mich war das in diesem Buch zum Beispiel der ältere Herr, Sir Charles – eine Mischung aus einem guten alten Freund von mir und meinen Vater. Natürlich fließen auch eigene Charakterzüge in die Figuren mit ein.

Was würden Sie sagen, zeichnet Ihre Charaktere in Operation Butterfly aus?

Corine:
 Natürlich mussten sie hart im Nehmen sein und stark, denn sie haben es mit allerhand gefährlichen Leuten und Situationen zu tun. Sie brauchten aber auch eine sensible Seite, damit sich die Leser um sie sorgen und mit ihnen mitfühlen konnten.

Tomas: Und natürlich brauchten sie auch eine dunkle Seite, so wie wir sie alle haben. Ein Geheimnis aus der Vergangenheit, das die Figuren antreibt und menschlicher macht.

Herr Ross, Ihr Vater war im Inlandsgeheimdienst tätig. Findet sich deshalb diese Thematik in „Operation Butterfly“ wieder?

Tomas:
 Aber sicher. Meine eigenen Bücher basieren meistens auf wahren Begebenheiten. Wie ich schon sagte: Ein Geheimnis aus der Vergangenheit, um Geschichten glaubhafter und authentischer zu mache.

Welche Buchgenres lesen Sie beide privat sehr gerne?

Corine:
 Wenn ich jogge oder mit meinem Hund Gassi gehe, höre ich gerne Hörspiele. Ich habe früher selbst einmal ein Hörspiel namens „Solomon“ verfasst, seitdem bin ich süchtig danach. Abgesehen davon lese ich viel und in den unterschiedlichsten Genres, meistens jedoch Belletristik. Ich versuche mich auf den Laufenden zu halten, was international anerkannte Romane betrifft.

Tomas: Einer meiner Lieblingsautoren im Thriller-Genre ist Philip Kerr, der in einem ähnlichen Stil und über ähnliche Themen schreibt. Als Teilzeit Lektor lese ich auch viele Krimis, meistens sind es aber Biographien und Bücher zu geschichtlichen Themen.

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